Montag, 11. März 2024

Über s u i z i d a l e s V e r h a l t e n

<Der Selbst-Mord: eine Abhandlung eines deutschen Philosophen (1775) >: Erste deutsches Schrift über den Freitod (damals noch moralisch-selbstverständlich genannt: "Selbst-Mord": 











Über  s u i z i d a l e s  V e r h a l t e n


* insbesondere Prophylaxe und Therapie bei Suizidversuchen Jugendlicher


* Ein Literaturbericht unter pädagogischen Gesichtspunkten *



Gegenstand dieses Literaturberichts sind meist aktuelle Veröffentlichungen, die die Phänomene des Suizids und die Möglichkeiten des helfenden Eingreifens darstellen; die Literatur ist nur in einem kleinen Teil für die Hand von Fachleuten, also Therapeuten, Psychologen und Psychiater, geschrieben; zunehmend erscheinen Veröffentlichungen, die Eltern, Mitschüler, Mitgeschwister, größtenteils auch Lehrer einbeziehen. Darüber hinaus zeigen sich an diesem Phänomen potenziert gesellschaftliche, nämlich soziale Entwicklungen (und auch Chancen für ein Eingreifen), die in den kritischen Blick und zu den Maßnahmen der nichtvoyeuristischen Öffentlichkeit gehören.

In den Schulen ist der Freitod meist Gegenstand betroffenen Schweigens, besten Falles manchmal in der Form eines nachträglichen, zeremoniell aufwendigen, aber punktuellen und desto wirkungsloseren, nichtssagenden religiösen Rituals.

Noch häufiger entwickelt sich zu unserer Zeit das Problem in der Form der suizidalen Versuchshandlung (besonders häufig bei Mädchen) mit seiner deutlichen Appellfunktion - die aber verdeckt wird, so daß es herrschende Übung ist, den unangenehmen Vorfall in größter Spracharmut und desto geringer Empathie zu verschweigen, z.B. Kollegen, die in der Klasse unterrichten, nicht einmal zu informieren und über den peinlichen Vorfall eine Decke erbärmlichen, jedenfalls nicht erbarmungsvollen Schweigens zu breiten.

Schulisch bedingte Umstände werden nirgends thematisiert von betroffenen Kollegien, allerhöchstens im vagen Fluidum des naiv befreienden Klatsches, der affektiven Abwehr oder der Projektion auf andere; Lehrer und insbesondere Leitungskräfte in den Schulen sind nicht darauf vorbereitet, menschlich und psychologisch nicht in der Lage, auf solche radikalen und endgültigen Reaktionen als Fehlform der Konfliktbearbeitung einzugehen.

Neuerdings mehren sich auch Berichte über suizidales Verhalten bei (nicht erfolgreichen) Versuchen des Aussteigens aus Sekten oder sektenähnlichen Wirtschaftsorganisation oder krimineller, teils politisch verbrämter Gruppen oder Banden.

Konkret habe ich die hilflose Strategie seitens einer Schulleitung erlebt, einem betroffenen Mädchen, Tochter eines Lehrerkollegen, einen Schulwechsel anzuraten. Eine wirkliche Bearbeitung schob man mit spitzen Fingern und einer bloß formelhaften Gestik des irreparabel Wunderbar-Entsetzlichen der Sonderdisziplin Psychologie zu, über die aber ohnehin die allgemein dominierende lehrermäßige Beurteilung vorherrscht, sie, die Erkundung der Psyche, sei (fast) nie in der Lage, bei Versagen und/oder Entwicklungsfehlformen fundiert zu helfen oder Veränderung zu bewirken.

Eine konkrete, ehrliche, praxisorientierte, veröffentlichte Schulkritik in diesem Bereich menschlichen Versagens kenne ich nicht; sie bleibt wohl Desiderat, aus mehreren Gründen, der Unfähigkeit, darüber Auskunft zu geben und der verständlichen Scheu, die eigene Trauer und/oder Betroffenheit zu publizieren.

Eine solche fundierte, wie allgemein praktikable Erziehungspsychologie, wie die von R. und A.-M. Tausch (mir vorliegend in der 10. Auflage 1991) erwähnt den Casus suicidalis mortalis mit keinen Satz, mit keinem Stichwort, obwohl die Begrifflichkeit des Selbst eine begrüßenswert große Rolle spielt (Selbstkonzept, Selbstöffnung, Selbstverantwortung u.a.). Er ist fachwissenschaftlich den anderen Disziplinen (der psychologischen oder noch häufiger psychiatrischen) zugeordnet. Ein Zustand, der die Desorientierung der Erziehung am meßbaren Erfolg kennzeichnet; sie ist gemeinhin an öffentlichen Schulen eine Pädagogik des Lernzwanges, der Verhaltensdressur, keine des gemeinschaftlichen Erlebens, des gemeinsam projektierten Lernens.

Eine konkrete Öffnung der schulischen Verantwortung für ihre Fehlerziehung (im Verbund oder in Ergänzung zum elterlichen Anteil und in einem psychologischen Konzept) könnte, genauso wie im Problemfall der schulischen Gewalt, die langehin tabuisiert wurde, ein Benanntwerden und eine Diskussionswürdigkeit als Voraussetzung eines anteiligen Wandels einleiten.

Suizidalität scheint als ein mächtiges, unidentifizierbares, nicht vorhersehbares Naturereignis unter Lehrern diskutiert und als nicht analysierbar empfunden zu werden. Die erlittene Not Sterbewilliger oder Selbstgetöter, das Entsetzen betroffener Überlebender sind um so größer und im Einzelfall um so verantwortungsloser aufgenommen, als man sich lehrerseits nicht um das Problem der Entwicklung und Vermeidung dessen kümmert, woran man auch mit den Mitteln seiner pädagogischen Verantwortung, die häufig eine strukturelle Gewaltform ist, beteiligt wird, ob ursächlich oder Anlaß oder nur als auslösendes Moment.

Wer aus Deutsch-, Psychologie- oder Politik-Lektürestoffen in der Mittel- oder Oberstufe weiß, daß der früher so genannte Selbstmord häufig Stoff literarischer Behandlung ist, z.B. in den "Leiden des jungen Werther", auch in vielen Jugendromanen zum Thema sexuelle Gewalt und in vielen literarischen, letzten Briefen von Suizidanten, wird sich der Thematik ohnehin häufiger zu stellen haben; meist wird sie aber ausgeklammert, verrätselt, gar (noch) moralisiert oder tabuisiert.

Genauso wie es in Modellversuchen schon schulische Trainingsgruppen zu den Problemen Gewalt und Mobbing gibt, ist zu fordern, daß es Kontakt- und Beratungsmöglichkeiten, etwa unter dem allgemeinen, nicht thematisch einschränkenden oder negativ etikettierenden Titel "Emotionale und soziale Gesundheit" geben sollte; Formen gezielten Selbstsicherheitstraining und gruppendynamische Spiele sind in der Literatur vorgestellt, ohne daß die Reizworte Freitod, Selbstmord o.ä. fallen müssen. Viele Symptome und Merkmale des suizidalen Verhaltens entsprechen anderen Auffälligkeiten, etwa den emotionalen oder sozialen Folgen des sexuellen Mißbrauchs oder dem Einstieg in das Suchtverhalten oder seiner Eskalation oder der Abhängigkeitskarriere selbst. Es gilt nur, sie wahrzunehmen, statt mit einem öffentlich-rechtlichen Wahrnehmungspanzer Problem zu verschleiern und Kinder und Jugendliche auszugrenzen, im schlimmsten Falle seinen eigenen Anteil als Mitschuldigkeit zu leugnen.

Kollegen und Kolleginnen, die sich beamtenmäßig distanzieren von einem solchen erweiterten Pädagogen-Konzept des helfenden Lehrers (mit Hinweisen auf Inkompetenz, Überforderung, Überfrachtung der fachlichen Qualifikation) sollten zumindest bedenken, ob ihr Nicht-Engagement nicht Faktor einer Eskalation verstärkter un- oder antimenschlicher im Sinne der Steigerung von wirtschaftlich motivierter Leistungsorientierung, Erfolgsdruck und fehlender Gesprächsbereitschaft werden könnte.


Dieser Literaturbericht ist eine Vorarbeit für eine Materialiensammlung, die für den VdP spätestens nach den Sommerferien 97 vorliegen wird.



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1. Améry, Jean: Hand an sich legen. Diskurs über den Freitod. Stuttgart 1976: Ernst Klett Verlag (und spätere Auflagen, auch als Taschenbuch).


An die Spitze der Berichts möchte ich Amérys zwanzig Jahre alten Essay stellen, der natürlich über die fächerspezifische Behandlung in den Fächern an Schulen hinausgeht. Améry selber, der programmatisch frei von den Kategorien Psychologie, Philosophie, (und erst recht nicht der Theologie) argumentiert, berichtet in einer Art psychohistorischen Lebensbeichte, daß er schon mehrmals versucht habe, Selbstmord zu begehen - das erstemal in seiner KZ-Haft nach der Folterung, weil er so verhindern wollte, nach weiterer Quälerei die Adresse einer jüdischen Freundin preiszugeben. Er teilt auch mit, wie er es als tiefste Schmach empfand, als ihm die Kunst der Ärzte "Rettung" zuteil werden ließ.

Der Aufklärer und sensible literaturkritische Essayist Améry hielt in und nach diesem Buch es für sein autonomes menschliches Recht, ohne Hilfe oder Beistand oder Rettungsversuche von Freunden oder Professionellen aus dem Leben zu scheiden. Seine lange jahre währende menschliche Geduld mit der Fortsetzung der "Lebenslogik um jeden Preis" war in der Nacht des 17.10.1978 in einem Salzburger Hotel beendet, in seinem freien Entschluß, wie er es zwei Jahre zuvor in dem Buch und in öffentlichen Diskussionen zum Freitod vorformulierte. Eine Provokation für jeden, der sich um Mit-Menschlichkeit, insbesondere im pädagogischen Bereich bemüht.

Das Buch geht über die Einsatzmöglichkeiten im schulischen Unterricht hinaus; es bietet aber Argumente zur Provokation, Fallbeispiele aus der Philosophie, aus der Literatur, z.B. Paul Celans Freitod oder der Suzid der Hauptperson in Schnitzlers Novelle "Leutnant Gustl", und ist ein die Begriffe schulendes und die Notwendigkeiten begreifbar machendes, bemerkenswertes Dokuments einer radikal aufklärerischen Freiheit: "Wer abspringt, ist nicht notwendigerweise dem Wahnsinn verfallen, ist nicht einmal unter allen Umständen 'gestört' oder 'verstört'. Der Hang zum Freitod ist keine Krankheit, von der man geheilt werden muß wie von den Masern. Der Freitod ist ein Privileg des Humanen." So zwingt uns Améry, unsere eigenen Motive des Lebens und der pädagogischen oder therapeutischen Hilfe für lebenslang Verletzte und für in ihrem Er-Leben Verletzte zu überdenken, im Dialog zu erkunden und sich (und vielleicht andere als Vorbild) in seinem Lebenszentrum zu binden und bilden.

Der letzte Abschnitt seines epochemachenden, kritisch zu lesenden Essays lautet: "Es steht nicht gut um den Suizidär, stand nicht zum besten für den Suizidanten. Wir sollten ihnen Respekt vor ihrem Tun und Lassen, sollten ihnen Anteilnahme nicht versagen, zumalen ja wir selber keine glänzende Figur machen. Beklagenswert nehmen wir uns aus, das kann eine jeder sehen. So wollen wir gedämpft und in ordentlicher Haltung, gesenkten Kopfes den beklagen, der uns in Freiheit verließ." (S. 129).

Für die Diskussion des Normalfalles Suizid, insbesondere des jugendlichen in oder zur Zeit der Schule, ist Amérys Dokument nicht eindimensional einsetzbar, darf aber auch nicht verschwiegen werden.

- Vgl. die Diskussion des Améryschen Versuches (des literarischen und existenziellen) im Buch von Pohlmeier, siehe Nr. 7!


2. Freemann, Arthur und Reinecke, Mark A.: Selbstmordgefahr? Erkennen und Behandeln: Kognitive Therapie bei suicidalem Verhalten. Aus dem Amerikanischen von I. Erckenbrecht. Verlag Hans Huber, Bern 1995. 49,80 DM.


In vielen genauen Kategorien und Untersuchungsergebnissen wird die Kognitive Theorie in ihren Leistungen für das Erkennen von Suizid-Gefährdung vorgestellt. Es wird plausibel dargestellt, daß entwicklungsbedingte, sogenannte "automatische" Gedanken, kognitive "Verzerrungen" eine wichtige Symptomatik der Suizidgefährdung sind. Beispiele dieser gedanklichen Symptome sind u.a. polarisiertes Denken, Übergeneralisierungen, selektive Abstraktionen, willkürliche Schlußfolgerungen, Soll/Muß-Denken, Etikettierung, Über- und Untertreibung, Personalisierung, Disqualifikation positiver Erfahrungen u.a.

Zum polarisierten Denken erfahren wir: Damit ist die Tendenz vieler Menschen gemeint, ihre Leistungen, Erfahrungen und persönlichen Eigenschaften nach starren Schwarz-Weiß-Kategorien einzuschätzen.

Personalisierung wird z.B. so erklärt: Zur P. kommt es, wenn man Ereignisse, die nichts mit einem selbst zu tun haben, dennoch auf sich bezieht und ihnen eine persönliche Bedeutung beimißt. In extremer Form können wir dies bei paranoiden Patientinnen und Patienten beobachten.

Wer allgemein Mitmenschen, ob Nahestehende oder im Beruflichen Nächste, z.B. SchülerInnnen in kritischen Situationen erlebt hat, kann Ansätze für alle diese Wahrnehmungs-, Denk- und Kommunikationsstörungen beobachten. - Mir persönlich ging bei dieser Auflistung allgemein und isoliert bekannter Denkeigentümlichkeiten (S. 36 - 40) erschütternd die Erinnerung an einen persönlich bekannten Fall einer Suizidantin, Schülerin einer Jahrgangsstufe 12, durch den Kopf, deren eigene Mutter berichtete geradezu sachlich zu berichten versuchte, ihre Tochter habe in der Familie Mobbing betrieben. In dieser distanzierenden Etikettierung durch die primäre Vertrauensperson, die im hohen Grade Empathie und Hilfsansätze vermissen ließ, ging natürlich jegliche Beziehung und jede Chance für eine Hilfe gegenüber dem gefährdeten Mädchen verloren.

Diese Verzerrungen, die in ihrer Häufung negativ wirken und zu dysfunktionalem Verhalten führen, und hierin besteht der Hauptteil des Buches von Freemann und Reinecke, gilt es, in der Therapie zu "entzerren".

Diese genannten Symptome können, wenn sie nicht fokussiert und konfliktär auftreten, durchaus das bezeichnen, was man den "depressiven Realismus" nennt, mit seinen vielen Erkenntnis- und Veränderungschancen. (Kurt Tucholsky war z.B. ein solcher depressiver Realist, dessen "beleidigter Idealismus" die Quelle seiner kritisch-satirischen, dichterischen Potenz und als poetische Garantie der privaten Existenz war.)

Schwerpunkt der weiteren Kapitel der wissenschaftlich und praxisorientierten Darstellung sind die klinischen Erfahrungen mit der Therapie gefährdeter Menschen aus verschiedenen Risikogruppen, auch mit Patienten, die erhöhte Risiken durch Faktoren wie Drogen- und Tablettenmißbrauch (auch Alkoholismus) und traumatische Kriegserlebnisse aufweisen.

Die Verzerrungen können tatsächlich, so wird nachvollziehbar im Buch ausgewiesen, präziser und realistischer sein als die Auffassungen nichtdepressiver Menschen. Denn diese extrem sensiblen Wahrnehmungen, Attributionen und Schlußfolgerungen haben, im nichtpathologischen Fall und reflektiert eingesetzt, hohen Erkenntniswert.

In der amerikanischen, soziologisch orientierten Psychologie wird dieser Kognitiven Therapie der Autoren mittlerweile eine Art Wunderfunktion zugeschrieben. Wer die hohe Intellektualität vieler überlebender Suizidanten erlebt hat und mitberücksichtigt, kann dies plausibel einschätzen: Die kognitiven Faktoren, die leicht überschießen und ein Krisenpotential erzeugen, können auch, positiv und akzeptierend eingeordnet, Quelle der therapeutisch angeleiteten eigenen, selbständig orientierten Konfliktbewältigung durch Patienten und Familienmitglieder werden. Hier setzt fachkundige, emotional zuwendende, positiv einschätzende Hilfe an; Tausch/Tausch (in ihrer Erziehungspsychologie) nennen die entsprechenden Kategorien "Achtung-Wärme", "einfühlendes Verstehen", die in jedem pädagogischen Bezug förderliche Variablen sind.

Im pädagogischen Alltag ist das Buch nicht unmittelbar einsetzbar; es ist einer Anschaffung in der Fachbibliothek wert; aber für Pädagogen, die in ihrem Interesse Hilfsmöglichkeiten erkunden und/oder unter Fachkollegen die Möglichkeit gefunden haben zu einer privaten Supervisionsgruppe, gibt es eine Fülle von Informationen für Erkundung und Aufarbeitung von Symptomen, die, wenn sie gehäuft auftreten, ein Gefährdungspotential signalisieren.


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3. Thomas Giernalczyk: Lebensmüde. Hilfe bei Selbstmordgefährdung. München 1995: Kösel.


Der Autor ist kundig in seinem Arbeitsbereich und teilt viele, einsichtige Erfahrungen mit. Positiv sind auch seine Einschätzungsskala und eine Phasenbeschreibung der Suizidalität.

Im statistischen Zahlenmaterial greift er auf das Jahr 1992 zurück; eine Information, die man für 1996 und später ergänzen müßte, da die heutige, nach der deutschen Einheit und mit ihren vorherrschend wirtschaftlichem Denken und der entsprechenden politischen Ausrichtung der sozialen und kapitalen Effektivierung und Ausgrenzung vieler nicht so leistungsfähiger Menschen und Gruppen nachgewiesene Eskalation von Jugendlichen-Selbstmord-Fällen so nicht dokumentiert werden kann.

Das Adressenmaterial nimmt, teilweise überflüssig, großgedruckt fast 50 Seiten ein; es gibt einfachere, vollständigere Informationen über Hilfsmöglichkeiten.

Eine für Pädagogeninteressen eher entbehrliche Neuerscheinung, insbesondere im Hinblick auf praktikablere Informationskontakten, siehe unter Nr. 4 und 5!



4. Hömmen, Christa: Mal sehen, ob ihr mich vermißt. Menschen in Lebensgefahr. Reinbek: 1989: rororo 20547 (7,8o DM).


Lebensgeschichten und Informationen, Analysen und Hilfsangebote für alle, die mehr über die Motive einer Selbsttötung wissen wollen und für alle, die selbst nicht mehr weiter wissen.

Ein interessantes Kapitel heißt "Sieben lebensgefährliche Vorurteile", in dem konkrete Einstellungstereotype behandelt werden, z.B. "Wer über den Suizid spricht, tut es nicht" - oder "Wer den Suizid überlebt, wollte gar nicht sterben" - oder "Nur Verrückte machen einen Selbsttötungsversuch".

Einzelne Kapitel lassen sich herausnehmen für verschiedene Unterrichtszwecke, so z.B. S. 145f.: "In meiner Klasse hat jemand einen Suizidversuch gemacht"; dieser Text ist als Einstieg geeignet, stellvertretend und prophylaktisch für eine Ernstsituation mit ihrer schwierigen Belastung und den fast unabschätzbaren emotionalen Reaktionen, Spielregeln und Hilfsangebote zu besprechen, ohne daß die individuelle Betroffenheit zu sehr strapaziert wird oder gar schädlich sich artikuliert.

Die Sprache ist klar, die Probleme oder Schritte zur Lösung werden menschlich sensibel und analytisch fundiert erfaßt.

Auch hier ist die Kategorie der sich selbst schädigenden Handlung eingeführt - eine Betrachtungsweise, die sensibilisieren kann für Hilfsangebote bei unerklärlichen Symptomen, die mensch als LehrerIn vielleicht nicht früh genug beobachtete und gar nicht mit dramatischen Hintergrund der Lebensgefährdung in Verbindung gebracht hätte.

- Ab 13 Jahren ist das Taschenbuch zu empfehlen; so stuft auch der Verlag dieses Publikation selber ein; dem kann ein Lehrermensch folgen. Unter (schlimmen) Umständen ließe sich das Buch auch als Klassenlektüre als kostenloses Hilfs- und Textangebot einsetzen, wenn die Schule das Buch im Klassensatz vorhielte wie aus anderen Fächern Nachschlagewerke oder Anthologien; über die im engeren Sinne gesellschaftswissenschaftlichen Fächer ist das Taschenbuch auch in Religion einsetzbar; hier wäre sicherlich aber auch eine Absprache mit Eltern und LehrerInnen (auch in den Parallelklassen) nötig, wenn an einer Schule das Thema Suizid oder Suizid-Versuche unter den Schülern zu einem kollektiven Problem (bekannt) geworden ist.

Weiter könnte es aber in jeder Mittelstufenklasse und in jedem Kurs EW der Oberstufe mit Einzeltexten als Steinbruch für Arbeitspapiere verwendet werden - für die vielleicht irgendwann nötige Thematik; am günstigen, um schwierige Diskussionsbemühungen prophylaktisch anzubieten, verbunden mit den nötigen Angaben von Hilfsstationen im örtlichen Bereich (Telefonseelsorge, Pro Familia, sozialpsychiatrischer Dienst der Gesundheitsämter u.ä.), die im Buch aufgelistet sind.


6. Käsler, Helga und Nikodem, Brigitte: Bitte, hört, was ich nicht sage. Signale von Kindern und Jugendlichen verstehen, die nicht mehr leben wollen. München 1996: Kösel.


Das Buch ist praxisorientiert, informativ, materialreich durch die vier umfangreichen, sensiblen Fallanalysen. In den Kapiteln Suizidtheorien, dem präsuizidalen Syndrom, den Alarmzeichen in dieser Phase und dem suizidalen Endverhalten. Teil II bietet Informationen, die ich in dieser Form in keiner anderen Veröffentlichung gefunden habe: Nachsorge beim Suizid-Versuch, der gleichzeitig Prophylaxe ist, in der Einzel- bzw. Familientherapie.

Die geäußerte Schulkritik ist knapp und profund: Lehrpläne, Notensysteme und Leistungsnachweise fördern häufig nicht das, was als Ziel vorgegeben wird. Es fördert das Konkurrenzverhalten und Durchsetzungsstrategien, die zu Lasten sozialen und kreativen Miteinanders gehen." (S. 164).

Die Überlebensstrategien, die sich notgedrungen entwickeln bei Schülern, die dem Leistungsdruck und der Anonymität nicht standhalten können, werden auf dieser Basis eigens beschrieben. Z.B.: Der kollegiale und partnerschaftliche Arbeitsstil auch unter Lehrern wäre als Vorbildfunktion für Schüler wünschenswert.



7. Pohlmeier, Hermann: Depression und Selbstmord. Parerga, Düsseldorf/Bonn. 1995. (Band 5 der Schriften der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben) (34,- DM).


Die Buch geht von der Erfahrung aus, daß Suizid ohne Depression nicht real wird und nicht denkbar ist, (selbstverständlich gilt nicht die Umkehrung: die Depression müsse zum Suizid führen).

Nach den Erörterungen von Erscheinungsformen (gegliedert nach "anatomischem, medizinischem, aggressivem, narzißtischem, gelerntem und politischem Suizid"), dem Zusammenhang und den Entstehungsbedingungen von Depression und Suizid ist im Buch die Rede von Reaktionen auf Depression und Selbstmord. Hier werden allgemein die Gesellschaft, dann die Medizin (Psychologie), Philosophie und Politik.

Das in der dritten Auflage neue Nachwort enthält einen Nachruf auf Jean Améry, der 1978 den von ihm proklamierten bewußten und freien Suizid suchte. Sein Freitod hat die öffentliche Diskussion über Suizid, Suizidverhütung und Sterbehilfe verändert. Es wurden und werden Fragen gestellt, die der Suizidant Améry aufwarf und für sich radikal einsam entschied: nach Freiheit und/oder Zwang, nach Krankheit oder Stärke, nach Recht und Unrecht, nach Anmaßung oder Verpflichtung. Die Fragen nach der gemeinsamen, unteilbaren Menschlichkeit des Suizidanten und des Selbsttötungsverhinderers (des Arztes, des Seelsorgers) sind gerade nach dem Freitod Amérys für die "Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben" und deren öffentliche Darstellung und Hilfsangebote neu gestellt und rechtlich und ethisch noch nicht einvernehmlich beantwortet. Pohlmeier äußert sich sehr persönlich: "In seinem Leben hat er mir meine Freiheit wiederzuerlangen geholfen. Die ...'Gnade des Todes'... ihm geschenkt lassen zu können und seinen Selbstmord nicht verhindert haben zu wollen, hilft er mir jetzt noch lernen." (S. 197)


8. Ringel, Erwin: Selbstmord - Appell an die anderen. Stuttgart 1980: Chr. Kaiser [KT 68].


Diese vom ersten empirisch und therapeutisch aktiven und erfolgreichen Freitodforscher, dem Wiener Psychiater Ringel, geleistete Zusammenfassung seiner epochemachenden Untersuchungen ist ein Werk, das typische Begleitumstände, Abläufe und Folgen des Verhaltens und der Handlungen von Personen, die den Freitod suchten und/oder fanden, aufarbeitet.

Ringel beschreibt hier zusammenfassend das präsuizidale Syndrom, das in vielen späteren und unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchungen Anerkennung fand: Die Eskalation der Suizidalität liegt in einer Einengung der persönlichen Möglichkeiten und Verhaltensweisen und der Ausprägung einer "persönlichen Einbildung", die nicht real ist. Es folgt die Einengung der Gefühlswelt, der zwischenmenschlichen Kontakte und der "Wertwelt". Die gehemmte und gegen die eigene Person gerichtete Aggression verbindet sich im weiterem mit den Selbstmordfantasien, die im sich mit der Fixierung der Phantasie auf kleinste Punkte der Durchführung steigern kann. Die schlimmste, mortale Eskalation begrenzt, wenn keine Hilfe gesucht und/oder gefunden wird, jede positive Ablenkung und endet im Suizid.

Das Taschenbuch ist die derzeit beste Grundlage für die Behandlung des Themas im Fach Pädagogik, ob GK, ob Lk. Ein eigenes Kapital in ihm gilt der Schulerziehung, indem gestörte zwischenmenschliche Beziehungen, falsche Einstellungen zu Außenseitern und Schwachen und ungenügende Kenntnis über das Freitodproblem behandelt werden.

Auch die nötige Abgrenzung des Laieneinsatzes zu der professionellen psychologischen oder psychiatrischen Therapie ist aufgezeigt. Eingestreut sind auch meist gekürzte literarische Dokumente, so im Falle Stefan Zweig, Georg von der Vring oder Sergej Jessenins u.a.; hier kann sich sicherlich jeder Deutschlehrer umfangreichere Materialien zusammenstellen, z.B. mit Der Selbstmord. Hrsg. von Roger Willemsen. [dtv 11021] oder Todeszeichen. Hrsg. von Gabriele Dietze. [SL 329]. Zu denken ist z.B. an Bert Brechts Gedicht "Zum Freitod des Flüchtlings W.B." (1941).

Ein solches schmales, aber potentes Werk durchzuarbeiten, z.B. in Gruppenarbeit als Fortbildungsmaßnahme, gehörte (Konjunktiv optativus) nach meinem Verständnis zu den Qualifikationsgrundlagen eines Lehrers, zumindest im Zuge von Beförderungsmaßnahmen, um an der Schule einen Standard an Humanität zu befördern, der auch im Ernstfall, ob von ihr verursacht oder gesteigert oder mitverschuldet oder woran sie schuldlos ist, eine Chance von Hilfsbereitschaft, dialogischer Fähigkeit und praktizierter Empathie bietet.


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9. Angela Knapp: Verzeiht mir, aber ich kann nicht anders. Frankfurt/M. 1993: R.G. Fischer Verlag.


Im statistischen Teil ist das Büchlein nicht mehr aktuell. Es vermag aber die Zusammenhänge in kurzen Kapiteln noch heute sinnvoll zu beschreiben, z.B. im Hinblick auf Unterschiede im weiblichen bzw. männlichen und im jugendlichen Suizid-Verhalten. Einzelne Problembeschreibungen sind durch Modellskizzen illustriert, die sich auch auf andere Fallbeispiele transferieren lassen. Dies gilt besonders für die Kapitel "Notsignale", "Selbstmord als Imitationshandlung" und "Begründungsansätze". Das Literaturregister erschließt auch ältere Aufsätze aus Zeitschriften wie "Psychologie heute", "betrifft: erziehung" oder "Suchtprophylaxe", um aus ihnen Materialien zu gewinnen.

Das Buch wird häufig in öffentlichen Büchereien angeboten, auch in den entsprechenden Jugendabteilungen.


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10. Schütz, Julia: Ihr habt mein Weinen nicht gehört. Hilfen für suicidgefährdete Jugendliche. Frankfurt/M. 1995: Fischer-Tb. 11964. (14,90 DM).


Ein äußerst kompaktes, erfreulich informatives Taschenbuch. Von den gebotenen Fällen und Materialien, um Hilfe anzubieten, Beratungsmöglichkeiten zu initiieren her ein einfaches, aber wirkungsvoll konzipiertes Buch. Das Taschenbuch sollte Pflichtlektüre für Lehrer und als Grundlage für Verhaltensbeobachtungs- und Psychologie-Seminare in der Lehrerausbildung (wenn sie denn Realität würden) bereit gehalten werden.


11. Weber, Karin (Hrsg.): Nimm dir doch das Leben! Wenn Jugendliche das Leben satt haben. Recklinghausen 1994: Bitter Verlag.

Hintergrund dieses intelligent und fachgerecht als Einblick aus verschiedenen Sichtweisen auf einen Fall konzipierten allgemein verständlich geschriebenen Buches ist das Fallbeispiel der Sandra D., die im Alter von 14 Jahren Selbstmord beging; das Leben des Mädchens wird in ihren persönlichen Zeugnissen konkret und auch offensichtlich journalistisch korrekt nachgezeichnet, aber auch auf den Ebenen von psychologischen sozialen Strukturen in den Familien, in der Schule und als Anfrage an das heutigentags beobachtbare Leben in kirchlichen Gemeinden analysiert; das Individuelle des Lebens der Sandra D., insbesondere auch ihre schriftlichen Zeugnisse (Gedichte, Aufzeichnungen, Schularbeiten) wird belichtet und ergänzt durch eine größtenteils akzeptable, an den realen Veränderungen der sozialen Bereiche orientierte Problemanalyse.

Insbesondere der Beitrag des katholischen Theologen Dr. Rainer Krockauer ist herausragend und dementsprechend überdurchschnittlich wichtig; er vermittelt einen kritisch-engagierten Blick auf eine bisher unzureichende Seelsorge-Arbeit in den Kirchen. Er entwickelt, sozialwissenschaftlich und theologisch zeitgerecht geschult eine Auffassung von Kirchenleben, das akzeptabel werden könnte für junge Menschen, so daß nicht in ganz selbstverständlichen, oder gar krisenhaften Problemsituationen bei Jugendlichen nur der Eindruck vorherrscht: In beiden großen Kirchen kann ich nicht aus meinem Problemstrudel auftauchen, da soll ich ja nur beten und verzichten lernen, da darf ich nur das von mir rauslassen, was dem selektiven Verständnis eines Priesters und seiner ihm hörigen Gemeinde verständlich oder angemessen ist, die dort nicht ausgebildet sind für das erschreckend Menschliche. Der Seelsorger Krockauer bietet Ansätze und konkrete Hilfen (für den Nürnberger Raum aufgezeigt), daß Jugendliche mit religiösem Hintergrund oder mit eben solchen neu erwachenden Interessen nicht fast zwangsläufig den emotional riskanten und häufig magiefreudigen Subkultur- oder Sektenangeboten in die willig und profittüchtig ausgebreiteten Hände fallen müssen. Wo kann mensch schon von einem solch offenen Kirchen-Leben berichten oder empfehlend darauf verweisen?

In diesem positiv-engagierten Sinne ist auch der auffällige Titel gemeint; abgeleitet von einem NT-Spruch (Sie sollen das Leben haben; ja, sie sollen es in Fülle haben!) fordert der Spruch als Wunschformel Jugendliche und auch Erwachsene auf: Nehmt euch ein Stück von diesem angebotenen Leben; verwirklicht euch in diesem lebendigen Sinne. 1]


Gesamthintergrund der Buchautoren sind auch die Aussagen der Statistik, daß sich in Deutschland täglich zwischen drei und vier junge Menschen das Leben nehmen, haben wir hier eine Jahresrate von 1400 toten Jugendlichen zu beklagen.

Ein Sammelwerk mit Beiträgen aus verschiedenen Bereichen, die größtenteils eindringlich sind und über das Mädchen Sandra, die selber zu Lebzeiten von den "Mauern des Schweigens um mich herum" betroffen war, wie sie es selber beschriebe; von ihr berichtet Herausgeberin K. Weber in vorbildlicher Weise.

Der Fall wurde auch TV-publik, als SPIEGEL-TV-Reportage, im SAT 1. Programm: als Dokumentation am 19.12.1993 gesendet, mit Interviews aus beteiligter Betroffenheit.


12. Wenglein, Erik, Arno Hellwig und Matthias Schoof (Hrsg.): Selbstvernichtung. Psychodynamik und Psychotherapie bei autodestruktivem Verhalten. Göttingen u. Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht. 1996. (39,- DM).


Die elf Einzelaufsätze entstammen drei verschiedenen Arbeitsbereichen der Mediziner und Psychologen:

Lebenstrieb und Autodestruktion; sowie die medizinischen Felder mit ihren diagnostischen und therapeutischen Aspekten.


Der Grundsatzfrage über einen Todestrieb oder einen Lebenstrieb geht Battegay nach; er resümiert: "Selbst wenn ein Suizid vollzogen wird, ist es, wie hinterlassene Briefe oder Bücher zeigen, nicht ein Todestrieb, wie er von Freud (1920) postuliert wurde, der diese Menschen bewegte, sondern die Verzweiflung am Leben und der unbewußte Wunsch, in ein besseres Jenseits zu gelangen, in dem noch eine Kommunikation mit der sozialen Umwelt, ein Da-Sein gegeben wäre." (S. 45)

Interessante kulturelle Aspekte erschließt der Aufsatz von Th. Haenel über den "Suizid als Gruppen- und Kollektivphänomen". So ist es inzwischen gesichert, daß öffentliche Berichte über Suizide auch unerwünschte Nachahmungseffekte haben. "Wissenschaftlich ist es damit zum erstenmal gelungen, eine lang verfolgte Hypothese, das Lernen am fiktiven Modell als Anstoß für Selbstmordhandlungen, zu belegen." (S. 79) Als Imitationslernen mit seinen Identifikations- und Habitualisierungseffekten wäre der Effekt besser beschrieben.

Der Autor referiert auch mit Zusammenfassungen über die Suizide von Kleist und Zweig. Leider wird zwar Zweigs Gedicht erwähnt, aber nicht abgedruckt; es sei hier eingerückt, weil ergreifend, Zweigs letztes Gedicht, vor seinem Suizid im Februar 1942; geschrieben in Rio de Janeiro, am 4. Febr. 1942 (ohne Titel): 

         LINDER schwebt der Stunden Reigen

über schon ergrautem Haar,

denn erst an des Bechers Neige

wird der Grund, der goldne, klar.


Vorgefühl des nahen Nachtens,

es verstört nicht... es entschwert.

Reine Lust des Weltbetrachtens

kennt nur, wer nicht mehr begehrt,


nicht mehr fragt, was er erreichte,

nicht mehr klagt, was er bemißt,

und dem Altern nur der leichte

Anfang seines Abschieds ist.


Niemals glänzt der Ausblick freier,

als im Glast des Scheidelichts.

Nie liebt man das Leben treuer,

als im Schatten des Verzichts.


 Viele Beiträge liefern Fallbeispiele und Modellskizzen, die im Pädagogikunterricht gut verwertbar sind.

Die interessantesten Modell aus Wolfersdorfs Beitrag "Der suizidgefährdete Mensch. Zur Diagnostik und Therapie" (S. 89-112) seien hier genannt: Krise und Entwicklung von Suizidalität und ein Modell suizidaler Dynamik.

Das Buch geht über die Frage des mortalen Suizids hinaus und behandelt auch "selbstverletzende Verhaltensweisen" (SVV) (z.B. Schneiden, Brennen, Verbrühen), die neben ihren autoaggressiven Komponenten auch sinnvolle, progressive Anteile verdeckt aufzeigen, die kundigen Therapeuten herausarbeiten können. "SVV ist in dieser Sichtweise .... als Mittel zur Beendigung von Depersonalisationszuständen und als zentrales narzißtisches Regulans immer auch ein selbstfürsorglicher Akt."

Auch Beiträge über das moderne Freizeit-Risiko-Verhalten und über die aktiven Sterbehilfe (von H. Wedler) sind produktiv in diesem übergreifenden Themenstellung der Selbstvernichtung.

Unterschiede in suizidalen Abläufen, Ursachen und Methoden bei Männern und Frauen und in unterschiedlichen Altersgruppen lassen sich aus Materialien und Statistiken von R. Battegay, E. Wenglein, J. Kind und M. Teising erschließen.

Alle Beiträge sind ohne speziell psychiatrisches Fachvokabular zu lesen.

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Noch eine Buchempfehlung zu dem Anschlußthema Trauerarbeit mit Verwaisten:

13. Böhle, Solveig: Damit die Trauer Worte findet. München 1995: dtv 35105. (12,90 DM).


Für den Bereich, den sich LehrerInnen anschauen sollten, wenn sie denn bereit sind, sich der Thematik zu stellen, ein gut geschriebenes, angenehm kompaktes, kundiges Buch. Hier finden wir Beispielsfälle, in denen die schwedische Journalistin Böhle mit Angehörigen von Suizidanten zusammenkam, um in Interviews dem Lebensweg der Verwandten, der zum Freitod führte, nachzugehen, nicht nur im emotional verstehenden Sinne, sondern in eigenen Fällen auch in der konkreten Bedeutung des Miteinander-Gehens, zu Orten, wo der Tod stattfand, zu Gräbern, das ein kathartisches, ein befreiendes, ein erlösendes Tun sein kann.

Viele Details aus der Freitodforschung finden sich hier bestätigt, erweitert, ergreifend einfach verbalisiert und dokumentiert.

Ein ethisches und soziales Muss für Menschen, die gerade nach einem Fall von Freitod sich angesprochen, sich verpflichtet fühlen, ihren Gedanken, ihren Vermutungen, ihrem Antrieb zu folgen, mehr zu tun, als nur Abschied von einem Toten zu nehmen und Beileid gegenüber Lebenden zu bezeugen, ist möglich.


1] In der geplanten Materialsammlung für den VdP soll dieses Buch, einschließlich Rezensionen auch aus dem kirchlichen Bereich, besonders ausgewertet werden. Der Autor ist daran interessiert, aus der ganzen Breite existierender gesellschaftlicher Gruppen über vorhandene und beispielhafte Angebote für die Lebensfragen, - pläne und -nöte Jugendlicher zu publizieren. Koordinierungsbemühungen, einschließlich journalistisch und medial attraktiver Umsetzungen, sind sicherlich hoch an der Zeit. Ethisch, sogar theologisch gesprochen, könnte man einen neuesten Bund der Kirchen und der öffentlichen und sozialen Angebote ohne Scheuklappen und Eingangs- oder Schwellenängste für Jugendliche reklamieren.


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