Sonntag, 10. März 2024

K r e u z e s - Fragen in der Erzählung von Wolfdietrich Schnurre: "Eine schwierige Reparatur"

  




Nein, ein solch frommes Kreuz, gesteckt-verdeckt in eines Lammes Fülle, ist dieses Schnuresche Kreuz, in einer Berliner Kirche nicht: Es hat Holzwurmbefall >> und soll gerettet werden:


Literarisches Stichwort   G o t t

K r e u z e s - Fragen


Übertünchte Gemäuer: verblasste Strukturen: religiöse Bedürfnisse und ihre Erfüllungen oder Deletionen

Und Wolfdietrich Schnurres Geschichte Eine schwierige Reparatur - eine elegant humorvolle Story zu einem - unter Christen - schwierigen Thema: der Kreuzes Realität und der Kreuzes Symbolik.



Bruno und sein Vater Otto sind in Schnurres Familien- und Zeiterzählungen ein prototypisches Paar, sie sind ohne Frau und Mutter, ohne feste Arbeit, ohne landläufige Attitüden. In der Kurzgeschichte "Eine schwierige Reparatur" befinden sich in einer katholischen Kirche, im Berlin der Zwischenkriegszeit. Ein junger Pfarrer hat den handwerklich geschickten "Vater" zu einer Begutachtung eines zu renovierenden Kreuzes gebeten:


(Mein Vater) riß ein Streichholz an und trat dicht unter das Kreuz und hielt das Streichholz dem Jesus an die übereinander genagelten Füße.

Ich zog den Kopf ein und duckte mich zwischen die Bänke. Ob aus Holz oder nicht, die flackernde Streich­holzflamme hatte auf einmal jede Sehne, jede Tuchfalte des Jesus lebendig gemacht. Vater blies ihm auf die Zehen. Eine dichte gelbe Staubwolke stieg auf ...

»Natürlich«, sagte Vater hustend, und es war deutlich zu merken, er hatte sein naturwissenschaftliches Gleich­gewicht wiedergefunden, »da sind Holzwürmer drin. Paß auf«, sagte er unangenehm aufgekratzt, »ich kann zaubern.«

Er pochte dem Jesus mit dem gekrümmten Zeigefinger gegen das Schienbein. Im selben Augenblick hörte das Klopfen in seinem Brustkasten auf

»Na -?« fragte Vater frohlockend.

Ich wollte gerade anstandshalber sagen: „Phantastisch“, da flammte in der ganzen Kirche Elektrischlicht auf, und jemand kam leise pfeifend den Mittelgang runter. Ungehalten drehten wir uns um.

Ein blasser schlechtrasierter junger Mann in einem lan­gen schwarzen Rock trat auf uns zu.

»Hallo«, sagte er und schüttelte uns die Hand, »schön, daß ihr doch noch gekommen seid.«

Vater murmelte was, das nach 'gerade in der Nähe zu tun gehabt' klang, und steckte überstürzt die Streich­holzschachtel wieder ein, die er unter dem Jesus auf den Tisch gelegt hatte.

»Ich sehe«, sagte der junge Mann lächelnd, »daß Sie sich mit dem Objekt schon vertraut gemacht haben.«

»Mit welchem Objekt«, fragte Vater befremdet.

»Na, mit ihm hier, unserm Sorgenknaben.« Der jun­ge Mann schlug dem Jesus dröhnend gegen die Hüfte.

Ich zuckte zusammen.

»Ich habe festgestellt«, sagte Vater und richtete sich etwas auf, »daß diese Jesusfigur Holzwürmer hat; wenn Sie das meinen.«

»Ausgezeichnet«, sagte der junge Mann und rieb sich an seinem speckig glänzenden Rock das Holzwurmmehl ab von der Hand. »Dann hat Ihre Frau Mutter also nicht zuviel gesagt.«


Vater sagte mühsam, die Verbindung zwischen Groß­mutter und den Holzwürmern leuchtete ihm ohne Hil­festellung nicht ein.

»Sie meinte«, sagte der junge Mann, »daß Sie sich als Präparator nicht nur aufs Vertilgen von Motten, son­dern auch auf die Bekämpfung von Holzwürmern ver­stehen.«

Vater sah irgendwie enttäuscht aus, ich konnte es mir erst gar nicht erklären.

»Das ist alles?«

Das Lächeln im Gesicht des jungen Mannes verschwand. »Wie man es nimmt, Herr Doktor.«

»Ich bin kein Doktor«, sagte Vater.

»Aber du siehst so aus«, sagte ich schnell.

Der Junge Mann nickte. »Ich habe jedenfalls vor Natur­wissenschaftlern oft mehr Respekt als vor manchem Amtskollegen.«

Das mußte man ihm lassen, er verstand, Vater zu neh­men.

Der räusperte sich. »Zum Thema, Herr Pfarrer.«

»Es ist das«, sagte der junge Mann, den Vater unbegreif­licherweise mit »Pfarrer« titulierte, »das sich Ihnen als Präparator ebenso wie mir als Theologen stellt: die Vergänglichkeit.«

Vater holte tief Luft. »Ich bekämpfe sie. Sie leugnen sie.«

»Überwinden heißt nicht leugnen«, sagte der junge Mann lächelnd. »Im übrigen macht die Natur das ja auch. Sie kommt um den Tod nicht herum. Aber sie verwandelt ihn wieder in Leben.«

Vater dachte angestrengt nach. »Ich verbessere mich: Ich versuche, als Präparator dem Leben ein Denkmal zu setzen.«

»Mit der Darstellung dieses Jesus hier«, sagte der junge Mann, »wird nichts andres bezweckt.«

Wir sahen alle drei zu ihm rauf Mir war auf einmal schrecklich traurig zumut.

»Er stirbt, nicht wahr?«

Ja«, sagte der junge Mann. »In fünf Minuten ist er tot. Diese fünf Minuten hören allerdings seit 1647 nicht auf Da hat man ihn nämlich geschnitzt.«

Der Holzwurm klopfte wieder.

»Es klingt wie Leben«, sagte Vater. »Dabei machen ihn die Biester kaputt.«

Der junge Mann nickte. »Genau das ist das Pro­blem.«

»Und warum nehmen Sie keinen Restaurator?«

»Ein Restaurator«, sagte der junge Mann, »sieht die Figur. Mir war an jemand gelegen, der erkennt, was sie darstellen soll.«

»Hm«, machte Vater.



Hier folgt nun die praktische Lösung eines theologischen Problems, das auch heute noch nicht als Frage, geschweige denn als notwendige Klärung diskutiert werden darf: Der junge Pfarrer genehmigt eine auffallende Lösung der kunsttheoretischen und religiösen Fragen:

Fortsetzung und Abschluß der Reparatur und Neukonzeption eines kreuzmäßigen Signatur: Der Pastor fragt den Restaurator:


»Ob Sie dann wohl noch so nett sind, mir zu helfen, ihn wieder dranzukriegen, Herr Doktor?«

Vaters Blick ging durch mich hindurch. Der Jesus, den er am Oberarm hielt, schwankte ein bißchen.

»Ich fürchte, Herr Pfarrer, da muß ich passen.« Ich hielt den Atem an.

Der Pfarrer nahm eine der großen, frischgeölten Schrauben vom Tisch und wog sie unschlüssig in d, Hand.

»Sie meinen, daß die die Figur kaputtmachen könnten?«

Vaters Blick kam aus dem Wesenlosen zurück. »Gott, die Löcher sind nun mal drin.«

»Dann verstehe ich Sie nicht ganz«, sagte der Pfarrer.

Vaters Blick streifte meine geschwollene Backe, glitt dem Jesus über den Rücken und verschwand im Mützenschirmschatten.

»Sie haben meinem Sohn klargemacht, dieser Jesus hier stirbt. Ich würde daher jetzt ganz gerne glaubwürdig bleiben.«

Ich atmete aus.

Der Pfarrer lauschte einen Augenblick abwesend auf den gedämpften Autolärm draußen. »Sie dürfen bitte nur nicht vergessen, das Kreuz ist auch das Zeichen des Lebens.«

Ich war sehr verblüfft.

Vater gar nicht so sehr. »Akzeptiert.«

Er nahm den Jesus auf und lehnte ihn vorsichtig gegen die Wand. »Nur, dann sollte man vielleicht nicht gerade einen Sterbenden festschrauben dran.«

Er kam zum Tisch zurück und fing an, sein Arbeitszeug einzupacken.

»Logisch gesehn«, sagte der Pfarrer und sah konzen­triert auf seine verstaubten Schuhspitzen runter, »lo­gisch gesehn, haben Sie recht.«

Vater hielt blinzelnd ein Fläschchen ans Licht und prüfte den Stand der Flüssigkeit drin. »Ich glaube, auch im Glauben ist Logik.«

Überrascht hob der Pfarrer wieder den Kopf »Was für ein schöner Satz.«

»Aber ich bitte Sie«, sagte Vater und ließ das Aktentaschenschloß zuschnappen.

"Was würden Sie denn vorschlagen?" fragte der Pfarrer. "Tja -" Vater blickte angestrengt in die Kirchenkuppel hinauf, wo ein bärtiger älterer Herr einen jungen Mann mit dem Zeigefinger antippte. "Da muß ich erst mal den Jungen was fragen."

Ich schneuzte mich rasch, weil einem so was noch immer die unbefangenste Note verlieh; denn Vater kam jetzt rüber zu mir, und er sollte doch auch meine ge­schwollene Backe nicht sehen.

»Was meinst du«, fragte er und blieb dicht vor mir stehen. »Ob man Kurt und Theo bewegen kann, eine Kirche zu betreten?«

»Aus welchem Anlaß«, fragte ich und tupfte an meiner Nase herum. »Damit sie sich bessern oder aus prakti­schen Gründen?«

»Entschieden letzteres«, sagte Vater.

»Es müßte was bei rausspringen«, sagte ich, »dann wäre es denkbar.«

»Ausgezeichnet.« Vater rieb sich erleichtert die Hände. »Genauso sehe ich es auch. Übrigens, bei Nasenbluten sollte man den Kopf nicht nach vorn hängen lassen, sondern nach hinten beugen.« Er ging zu dem Pfarrer zurück.

Ich starrte das Taschentuch an. Es war leidlich weiß gewesen. jetzt erinnerte es an eine kommunistische Fahne.

"Es wäre eine Art Kompromiß", sagte Vater und lehnte sich gegen den Tisch.

Der Pfarrer entschuldigte sich. "Am besten, du streckst dich einen Augenblick lang."

"Geht schon wieder", sagte ich.

Vater räusperte sich. »Ich würde Ihnen also zwei unse­rer Freunde herschicken.«

Der Pfarrer sah immer noch rüber zu mir. »Fein«, sagte er.

Ein Glücksfall“, verbesserte Vater gereizt. »Denn wenn sie auch beide arbeitslos sind, so hatten sie doch recht respektable Berufe.«

Der Pfarrer murmelte, das glaubte er Vater aufs Wort.

Kurt“, sagte Vater betont, „hat das Maurerhandwerk erlernt. Theo ist Tischler gewesen.“

Der Pfarrer nahm sich zusammen. „Und was haben die beiden, wenn Sie mir die Frage erlauben, mit Ihrem Vorschlag zu tun?“

Zunächst“, sagte Vater, „möcht ich Sie bitten, ihnen das Geld zu geben, das Sie mir zahlen wollten.“

Ich hustete heftig. Doch es war schon zu spät.

Ganz wie Sie wollen“, sagte der Pfarrer. "Und was darf ich ihnen bestellen?“

Danke, nichts“, sagte Vater, »die beiden werden voll informiert sein.“

Der Pfarrer rieb sich die Schläfen. „Jetzt bin ich wirklich gespannt, was Sie meinen.“

Folgendes“, sagte Vater. Er hob ein wenig das Kinn, um unter dem tiefsitzenden Mützenschirm hervor besser zu dem Jesus rüberblicken zu können. „Theo, der Tischler, wird ihm zwei Armstützen und eine Fußstütze bauen. Kurt, der Maurer, wird sie in die Wand einlassen. Dann schwebt er in Zukunft, statt wie bisher immer zu hängen.“

Der Pfarrer versuchte ein paarmal, sich die Hände am Rock abzuwischen, von den Schrauben war ihm wohl ein bißchen Öl dran haften geblieben.

Ein einleuchtender Vorschlag“, sagte er heiser.

(W. Sch.: Als Vater sich den Bart abnahm. S. 111- 114)


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Tatsächlich, ein verblüffendes Endes des Kreuzes mit dem Kreuz. Sie ist schlichtweg und glaubensmäßig eine Sensation, auch fünfundzwanzig Jahre nach ihrem Entstehen. In unserer gegenwärtigen Christenzeit allerdings, in der die Folgen des Bundesverfassungsgerichtsurteil zum „Schulkreuz“ noch nicht verwunden, werden wir noch lange warten müssen, bis ein entideologisierter, ein friedlich und freundlicher, ein sozialpsychologisch lebensfähiger Umgang - eine wahre Kommunikation mit dem Kreuz, eine Verlebendigung -, die dem Anspruch der aktiven und passiven Religionsfreiheit verdient, sich noch entwickeln muß.

Die Geschichte wurde zuerst 1976 veröffentlicht. Frau Martina Schnurre berichtet über die ebenso erzählerisch und theologisch aufregende wie wirkungsgeschichtlich schwierige Novelle. Ein ansonsten durchaus berühmter Verleger, Herr Schifferli, im Arche Verlag, wagte es nicht, diese Story zu drucken.

(Vgl. Marina Schnurres „Nachwort“ zu: W. Sch.: Als Vater sich den Bart abnahm. [Berlin gewidmet]. Erzählungen. Berlin 1995: Berlin Verlag. S. 195 – 201)

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...  was Wolfdietrich Schnurre einmal wie folgt für die Kurzgeschichte 

proklamierte: dass sie "im Bestfall ein Stück herausgerissenes Leben ist. Anfang und Ende sind ihr gleichgültig; was sie zu sagen hat, sagt sie mit jeder Zeile. Ihre Sprache ist einfach, aber nie banal. Ihre Stärke liegt im Weglassen, ihr Kunstgriff ist die Untertreibung."


Josef Beuys, Kleve-Tiergartenstraße - bei der Arbeit an einem großen Friedhofs-Kreuz. <Fofto: Getlinger, Kleve>


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