Montag, 16. März 2020

Vor zwanzig Jahren geschrieben


Yeah: Vor zwanzig Jahren geschrieben:



  • Montag, 16. März 2000



Lieber Reinhold, Meister der Lüfte: Herr Ahr! (oder ähnlich; auch Vorfahren namens Aquila müßten zu Deinem Stammbaum gehören...)


                                                                                                                      Buchleser ...                                                       

Anbei ein paar schriftliche Gaben. Der Aufsatz über die Bergarbeiter-Lyrik an Rhein und Ruhr ist gerade in der Festschrift meiner alten Schule erschienen. Ich hoffe, ich werde Dich in Erinnerung behalten als den, der die Pfarrergestalten bei Ernst Wiechert schmählich im Stich gelassen hat, um den Grundtypus selber zu realisieren. Nenn mal bitte einen Text, in dem so ein Pfarrer besonders charakterisiert wird. Ich weiß bei Wiechert nicht Bescheid.
*
Einige Kitteleien:
 
Im Bauernmuseum in Rusne/Pl.: (Erzählte ich Dir schon davon? Wenn ja, so ist’s für meine eigene Wahrnehmung von Funktionärsmentalität gut aufzuschreiben) - Da steht der Funktionär vor einer Brauttruhe. Er hört den Erläuterungen zu: Damals nähten oder webten oder strickten und häkelten die Mädchen für ihre zukünftige Rolle im Haus des Mannes. Dazu die Kittel-Frage (gefertigt auf dem immensen Hintergrund der beleidigten, deutsch-memelländischen Männlichkeit und neuzeitlich schmählicher Benachteiligung infolge der obwaltenden Emanzipation): Und was bringen heute die jungen Frauen in die Ehe mit!- als Ausruf gestellt, wenn auch mit der Frageform eingeleitet.
Eine Frau, Rosa, antwortet: Die Ausbildung. Und Irena: Oder z. B. einen Doktor-Titel.
Andere Ergänzungen, als ich von der Kittelei erzählte: „Und ihre Erfahrungen bringen sie mit.“ „Und den Führerschein.“ „Und noch viel, worüber nur Mann und Frau sich einigen müßten.“
*
In Bitthenen, auf der Paradiesstraße: Memel-Meister Kittel erzählt mir, dass Lena Grigoleit Geld hatte, sich in Sibirien eine Erdhöhle zu kaufen. Ich entgegnete: „Und ob man da überlebte, war nun ziemlich unwahr-scheinlich!“ Kittel (wirklich mit dem Ton des Rechtsbelehrenden!): „Sie wurde des Landes verwiesen.“ Ich, versuchsweise dagegen haltend: „Sie wurde deportiert. Sie wurde verschleppt!“
*
Auf dem Helden-Friedhof in Klaipeda:
Hier mit einer Art Heiligenblick, rezitierend, aber nicht ablesend: Die Inschrift der Steinplatte: Hier starben im Abwehrkampf gegen den Kommunismus in den Jahren 1944/45 20.000 junge Deutsche.
Die Inschrift lautete (etwa, ich habe vergessen, sie zu notieren; man weiß ja oft erst nachträglich, was wichtig wird.) „Hier ruhen deutsche Soldaten, die in den Jahren 1939 - 1945 hier starben.“
Ein bißchen Utopie, um der wackeren Heldenverehrung zu begegnen:
Ich würde - als Vorschlag für Gedenktafeln- zu bedenken geben: Hier ruhen deutsche Soldaten, die 1939 in dieses friedliche Land kamen, Land und Leute bedrohten und nur durch große Opfer der den Deutschen östlichen Nachbarn besiegt werden konnten. Dieser Friedhof wurde zur Mahnung angelegt, daß keiner mehr des anderen Mörder oder Herrscher werden solle: Friede den Toten und Friedfertigkeit den Lebenden!
*
Zur Zeit sitze ich an einem Beitrag für die Religions-Zeitschrift, unter dem Titel: Johannes Bobrowski - Mahner christlich-jüdischer Gemeinschaft (oder Verantwortung?). „Die Spur im Sand“ werde ich als zentrales Gedicht des Gedenkens herausstellen. Etliches von der „Spur“ habe ich im Gebiet Klaipeda gesehen. Von einem eigenen Gedichtversuch zur Reise nach Memal werde ich Dir später mal schreiben.

So, ich hoffe, ich habe die Regeln der neuen Rechtschreibung gebührend beachtet, auf dass ich ein gutes Beispiel gebe...

*  *

                                               Spuren im Himmel


Johannes Bobrowski:
Die Spur im Sand

Der blasse Alte
im verschossenen Kaftan.
Die Schläfenlocke wie voreinst. Aaron,
da kannte ich dein Haus.
Du trägst die Asche
im Schuh davon.

Der Bruder trieb
dich von der Tür. Ich ging
dir nach. Wie weht um den Fuß
der Rock! Es blieb mir eine Spur
im Sand.

Dann sah ich
manchmal abends
von der Schneise
dich kommen, flüsternd.
Mit den weißen Händen
warfst du die Schneesaat
übers Scheunendach.

Weil deiner Väter Gott
uns noch die Jahre
wird heller färben, Aaron,
liegt die Spur
im Staub der Straßen,
find ich dich.
Und gehe.
Und deine Ferne
trag ich, dein Erwarten
auf meiner Schulter.
(Zuerst in „Sarmatische Zeit“, 1961; aus Gesammelte Werke. Bd. I. S. 28; Erläuterungen. Bd. V. S. 35)

Reflexion und Erläuterungen zum Gedicht:

Kaftan: langer, vorn offener Überrock; mit langen Ärmeln
In einer frühen Fassung: hieß es „Vater“, statt „Bruder“.
Schneesaat“: Die Saat der zwischenmenschlichen, irdisch-natürlichen Kälte, d.h. den Anfang des Judenhasses, wirft Aaron über das Dach der Höfe, in die er nicht mehr einzutraten wagt.
Eine Möglichkeit des Verständnisses: Das lyrische Ich repräsentiert den christlichen Bruder des Juden, dessen Existenz nur noch in Spuren zu finden ist; dessen (und unser) Gott uns „noch die Jahre wird heller färben“ - wenn wir das Erwarten des jüdischen Mitbruders aufzunehmen bereit sind, an dieser Schuld zu tragen gewillt sind. Aaron, von Gott berufener Sprecher des jüngeren Bruders Moses; erster Priester.
Bobrowskis Gedicht ist ein komplexes Prisma unterschiedlicher, auch zeitlich diachroner Spurenfindungen, die zwar unterschiedlich sind, aber einander ergänzen.
Die drei Lebens- und Zeitkreise der Spurenfindungen in Bobrowskis Parabel sollen den Leser, den Beter, den Interpreten, den Finder ermuntern, seine Suche nach Brüdern, nach raren Spuren, nach Intentionen aufzunehmen - und davon zu berichten.
Ein gegenwärtiger Merksatz zu dem Problem der religiösen Identitätsfindung: „Denn wie will man anders entdecken, dass Religion nichts anderes ist als erfahrene Heimatkunde der Seele, wenn man nie die konkrete Heimat (...) von innen sah?“ (Jürgen Fliege: Auch ein Lindenbaum kann ein heiliger Ort sein. In: DS 39/1999. S. 38)

*   ~  *

 

Im Übrigen gilt was Isaac Newton sagte: 

"Selbst wenn es sonst überhaupt keinen Beweis gäbe, würde alleine der Daumen mich von der Existenz Gottes überzeugen".

Freitag, 6. März 2020

Im Feuer der Psalmen des Herrn

                                                 - Kirche, leicht verrückt -  


Im Feuer der Pslamen des Herrn

Oder
Wenn dem Chorgeist die Lust ausgeht


Vorn in der funkelnd durchglühten Apsis. Ein großer Chor stellt sich auf.

Weltberühmte Stimmen, perlende Choräle fließen von sanften Lippen. Frauen in langen, schwarzen Röcken und weißen, bis zur Hüfte fallenden Chorhemden mit pludrigen Rochett-Ärmeln. „Groß sind die Siege des Herrn.“

Werden vom weißhaarigen Mann dirigiert: „Und jetzt aber besser, intonabler, so, wie, so: flammabler! Herrlich-herzlicher: Der Bischof soll erbeben, wenn wir den Psalm intonieren!“

     „Heil, David, Heil,

Der die Philister schlug!
Strahlender du des Herrn!
Leuchtender heller dein Stern
des strahlenden Feuers.
Tausend Saul erschlug,
Aber zehntausend David!“

Zwischen den sich rhythmisch wiegenden Sängerinnen kriecht her und hin ein flinker Knirps. Keiner der Sänger*innen nimmt Notiz von ihm.

Hier tut sich ihm ein Gasse auf, dort schließt sich wieder die Reihe. Das Kerlchen ist gerade hindurchgehuscht. Unterm Gesang findet es Platz. Es rudert mit den Armen, brummbrumm. Umkreist die Frauen, die hehre singen und ihre Oberkörper wiegen, ihre Köpfe. „Groß sind die Siege des Herrn. Hallelluja!“


Zwei gebrochene Laiber Brot liegen auf einer Stufe, im Leinenweiß. Milch im Becher daneben.

Da setzt es sich hin, holt Zündhölzer aus seinem Jäckchen, schlägt ein Feuerchen, das rasch, unbemerkt vom Kantor und seinen Frauen, hochschlägt, die Kleider und die Leiber erfaßt, alles verbrennen will.

Die Flammen ziehen hoch, als wollten sie in den Himmel aufsteigen. Fensterscheiben platzen, Altar, Gestühl, Kanzel knacken, knarren, stöhnen ob der Hitze.

Die Kirche wird im vorderen Teil von glühend brünstig steigenden Flammen, einem Heer von stichelnden Zungen, niedergemacht.

Chor, Altarraum, Kanzel, die feste Burg, brennen nieder, bevor noch die Feuerwehrhauptleute Feuer rufen können. Das Langhaus des einschiffig himmelhohen Kirchenraumes glüht platzend und berstend aus, versinkt in brodelnd-stiebender Funkenasche, Stunde für Stunde.

Nachbrunst vollzieht sich in Geprassel pfingstlichen Züngelns. Stille dann.


Die nach Westen gelegene Orgelempore ist unversehrt geblieben, schwarz verblockt; die Mauern klaffend, ungeschützt vor Wind und Wetter und den Objektiven aller herangeschafften Kameras, der verstörte Kirchenraum wund und bloß.

Bis fleißige Menschen aus den umliegenden Dörfern und Bauernhöfen kommen und nehmen auf die Arbeit, die betenden Mühen. Sie planen, zeichnen, sägen, mauern, hämmern, schütten Beton, setzen brandrote, heimische Klinker; ziehen geborstene Stützpfeiler hoch und rüsten das Dach ein, setzen Blitzableiter. Die erhalten gebliebene Kirche mit Portal und Orgelwerk auf der Empore wird rekonstruiert und gereinigt; Etagen, Treppenhäuser, Feuerlöscher mit Polyäthyl-Irgendwas ziehen ein. Menschlein steigen schweigend in die kleine Wohnburg, die Kirchenfeste: Alte, Berber, Arbeitslose, Obdachlose und Psychotiker - Querulanten; ein gemischtes Völkchen besiedelt den Kirchenruine.

Doch die Menschen verstummen noch am ersten Tag, sagen aber ihren Kindern: Wir müssen froh sein. Hier wohnen zu dürfen!

Ein Mädchen in rotstoppeligem Haar begibt sich in der sonnig-stillen Mittagsstunde eines Sommertages auf die Suche nach einem Spielfreund. Gelangt über Treppen, Stiegen, Galerien, unverschlossene Türchen, verschnörkelte Wendelgitter, durch einen staubig verspinnwebten Kriechgang in einen unter dem Dach eingerichteten Kuppelraum.

Als sie am Abend, nach ruhigem Schlaf, schreiend hier oben erwacht und sich im Dunkel nicht mehr hinuntertraut, wird sie spät bis in den letzten Dämmerminuten gesucht.

Geduckt, aus Äuglein lauernd betritt, mutig suchend, die Mutter des Mädchens den Raum. Sie richtet sich auf, ihr Kind stürzt ihr entgegen, es drängen die Nachfolgenden hinauf. Sie treten ein, schauen sie sich um und finden den Raum leer und öd.

In diesem Augenblick, erzählen sie sich später bei Bier und Prasselgebet, fallen vom Kreuzgewölbe die an langen Sehnen hängenden Ohrlappen herab. 

Platsch! 

Und Stille!


Mittwoch, 4. März 2020

In memoriam Hans S t e i n b e r g

... eigentlich wollte ich gestern Abend von Hermann Hesses Schulerinnerungen - Aus meiner Schülerzeit (1927) - schreiben - aber die Erinnerung überraschte mich mit meinen eigenen Schulerlebnissen:

 

Was einstens ein bischöflicher Förderkursus war ... -

 

Da gab es einen Förderkursus – eingerichtet im Jahre 1965 vom Bistum Münster, im Coll. Ludgerianum, Münster.

Davon findet man Netz nichts mehr – alles vergeben, vergessen  - und vergebens:

Das Collegium Ludgerianum taucht in Netz aus, ohne den Föderkursus zu erwähnen:

 

In der Wikipedia, # Collegium Ludgerianum: Neubau am Ring

Später bezog das Ludgerianum einen Neubau am Kardinal-von-Galen-Ring 45. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde es vereinfacht wieder aufgebaut und 1952 als Konvikt wieder eröffnet. Zwischen 1960 und 1964 war dort zusätzlich das Overberg-Kolleg untergebracht. Ab 1969 teilte sich das Collegium das Gebäude mit der neu gegründeten Friedensschule, einer bischöflichen Gesamt- und Ganztagsschule. Das Collegium Ludgerianum wurde 1971 aufgelöst. Heute residiert dort der Caritasverband in der Diözese Münster.
Am 03.03.2020, wiedergegeben ohne Quellengaben. Donwload: https://de.wikipedia.org/wiki/Collegium_Ludgerianum#Neubau_am_Ring
*

Der Begriff Förderkursus taucht nicht mehr auf ... in den bischöflichnen Daten:
Ein schütteres Zeugnis gibt es vom Coll. Ludgerianum, auch ohne den Förderkusus zu erwähnen.
Für die Jahre zeigen einige Abiturienten, die nach den Anfangsjahren 1950/60, in den Gymynasien in Münster erwähnt wurden:
In: Peter Löffler: Collegium Lugerianum in Münster. 1849 – 1971. Geschchte einer bischöflichen Bildungsansalt. Münster 1979: Nur in den Namenlisten (S. 137) tauchen einige Förderkursler auf, die aber nicht so geannnt werden; von ihnen sind mir nur vier bekannt: Hans Steinberg (Abitur 1965). Und dann im Abitur 66: H. Beumer, F. J. Pail, W. Wieneke (hie abgekürzt zitiert).

Ich erinnere an Hans Steinberg, Coesfeld:

Opfer eines Förderkurs, der die Jungen, die Kindern von bereilligen Elrern überforderte (und sang-und-klanglos beendet wurde):



Johanns Lapismons:

- mein Freund, den ich verlor - 


Ich habe von seinem Bruder, der das Elternhaus sehr schön renovierte und noch von seinem älteren Bruder zu berichten weiß: 

Er war ein Einzelgänger. 


Ein liebenswerter, der von keinem Priester, keinem Freund gehalten wurde – und mir meinen letzten Briefe, die ich ihm von Gaesddonck aus (in den Jahren 1963/64) nicht beantwortete...

Ich habe ihn 1958 verraten, als ich einmal, an einem Sommermorgen, einem anderen – Mitschüler - erzählt hatte, Hans habe mich nachts geweckt, er hatte Angst beim Gewitter. Ere hatae Angst und wandt sich an mich, der ich im Bett # 23 schlief.. - Er wurde nicht nur als Lapismons schikaniert. Auch als Furo fulgurisö – So hässlich kann man lateinischen Fetzen missbrauchen. 40 Jahre später nennt man „Triezen“, also mobben. Der Effekt ist derselbe. Er kann tödlich sein.

Er hat schon früh, im Jahre 1967, ds Tehologie gschmissen, wurde noch O-Bus-Fahrer, ja, in Münster – und vergiftete sich mit E 605 – einen bösen, wirksamen Insenktenvernichtungsmittel: Für seinen Eltern und sein Bruder ein vernichentendes Urteil: unsagbar, shclcimm: Als ich in bsuchen wollte in Coesfeld im Sommer des Jahres 1967, verseuchte mich dder Vater von der Tür des kleine Kottens – ich ging zum Autor zurück: baff erschrocken.

Da gab mir die Muter, vom Garten her – ein Zeichen – und frage mich, warum ich so früh daher komme.

Sie erzählte mir von den Strapanzen ihrer Sohnes – in Münster, im Ludgeranum – in der Weltstadt.


Er hatte sich das Klavierspiel selber beigebracht – und war ein frommer Jüngling Mariens.

                                           Das Coll. Ludgerianum, Teilaspekt mit der Kapelle

                                    


Nach Hause kam er nur noch - um sich zu vergiften...

Von Hans Bruder habe ich an einem Sonntag des Jahres 2019 erfahren, dass das Grab von Hans Steinberg noch in der Familiengruft zu besuchen ist: Coesfeld St. Lamberti...



Dienstag, 3. März 2020

Von einem B ü c h l e in .. als L e r n h i l f e


Garantiert autobiografisch: Von einigen Lebenstationen:
Von einem wunderlichen Gedeknstesin ... 

Stationen: Goch: Pannofen; Weeze: Vornick; Münster: Ludgerianum, Gaesdonck. Kleve: Buchandel …

         ... in den Buchhandel von Helmut Fingerhut, vorm F(riedrich) Char. Kleve

                                    ... so sieht das gut gehütete Buch noch heute aus (S. 3)


So kam ich 1967 mit einem schmalspurig-aberwitzig-intellektuellen Buch in Berührung; so die Titelei:

Geschichte
des
Herzogthums Cleve,
seit der
ersten historischen Kenntniss bis auf
unsere Zeit.
Mit besonderer Rücksicht
auf die
Haupstadt Cleve.
In volkstümlicher Darstellung
von
Fr. Char.

Cleve und Leipzig.
Verlag von Fr. Char.
1845.

Vor der Titelei - sozusagen als geschäftsmäßiges Frontispiz - ist ein Zettel, überdimensioniert, in meinem Exemplar eingedruckt (samt der 500  anderen Explre.:

Vor 725 Jahren erhielt Kleve
Stadtrechte.
Vor 550 Jahren erhob
Kaiser Sigismund
den Grafen Adolf von Cleve
in den Herzogstand
und rief die Grafschaft Cleve
als Herzogtum aus.
Vor 150 Jahren
gründete Friedrich Char in Cleve
seine Buchhandlung.
Im Jubiläumsjahr 1967 ließen wir
500 Exemplare dieses Buches
fotomechanisch nachdrucken.
Buchhandlung Fingerhut
vorm. F. Char
Dieses Exemplar hat die Nr. 123


Wieviel ich bezahlen musste für das Büchlein als Buchhändlerlehling, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass diese Buchhandlung, die ich sofort nach Abschluss der Lehre 1967 verließ, so viele nachgedruckte Historica vertrieb, die man auch in den antiquarischen Suchlisten im Internet verifizieren kann.

Daraus mag ich zitieren, also aus dem Büchlein:

So schildert Julius Caesar die ältesten Bewohner dieser Länder, als er nach der Eroberung Galliens (des heutigen Frankreichs), um die Einfalle der jenHitrheinischen Stämme zu hemmen, seine Legionen an den Rhein führte, und die diesseitigen Stämme eich unterwürfig machte. In dem Landstriche, der:das lIerzocthum Cleve umfasst, wohnten damals diesseits Rheins die Menapier, ein Volk germanischen Ursprungs.  Auf jener Rheinseite hatten ßructerer und Sirrambcr ihre oft wechselnden Wohnsitze. Ihnen zunächst, im nördlichen Theil desselben, und über das jetzige holländische Gelderland verhreitet, wohnten die Bataver, vortreffliche Reiter und Schwimmer. 
Sowohl um die Einwohner der eroberten Länder zu zügeln, als die jenseitigen Sigamber zu schrecken , verlegte Caesar die 5. Legion an den Niederrhein, legte 55 vor Christo in der Nähe von Xanten einen Waffenplatz an, und gründete auch das Schloss zu Cleve, wie ein daselhst als gegrabener, aber jetzt zerstörter Stein mit nachfolgender Inschrift es beurkundete.
ANNO AB VRBE DCXCVIII
                                            C. JVLIVS DICTATOR
HISCE PARTlBVS SVBACTIS
    ARCEM CLIVENSEM
             FVNDAVIT

Gallische und römische Sitte verbreiteten sich nun allmählig; die besiegten Völker lernten gehorchen; ordentliche Rechtspflege wurde eingeführt, und von Dörfern und Höfen wurden ordentliche Steuern erhoben. Erst von dieser Zeit an erhalten die Länder am Niederrhein einiges historische Interesse.
Aber mit der steigenden Kultur wuchs auch der Druck der römiscben Zwingherren. Die jenseitrheiPitchen Völker vermehrten ihn durch wiederholte Einfalle in die diesseitrheinischen Länder; sogar schlug ein teutscher Haufe, die Sigamber an der Spitze, den römischen Feldherrn Marcus Lollius bei Xanten, eroberte und verbrannte den Adler der 5. Legion. Dies geschah 18 J. v, Christo,
Diesen Einfallen zu begegnen, übertrug der damalige Kaiser Octavianus Augustius Nachfolger, der selbst am Rhein herabgenommen war, …

... und so weiter dem Lateinischen nachempfundenen Deutsch, mit profunden Wissenslücken und sonstigem Quatsch - in amentia pura -, der daraus verzichtet, den behaupteten Tatsachen von nachzuforschen ...
Dass dieses Büchlein, ein Klein-Oktav in schnödem Kunststoff, die Ehre zuteil wurde, für eine Buchchandlung, für die Kreis Kleve und die große Vergangenheit zu werben ...

Von Cleve [mit dem Grabstein aus Caesars Zeiten] retro Gaesdonck, wo uns, hinauf zum Abitur 1965 (mit 13 Männlein): Vorzugsbeamte von kaierlichen, pardon: bischöflichen Gnaden ... sich ermannten, uns, die Schäflein, zur MATURA zu führen, nachdem sie uns mit den für den Zweiten Weltrieg wehrhaft ertüchtigten Prinzipien, uns vorangetrieben hätten ...


Zur Gaedonck bei Goch: Einem solchen Vollzugsbeamten, Studienrat z. A., oblag der Lateinunterricht, mit allen Schikanen. Wen es dem Füchschen gefile, machte der aus jeden Text (Caear, Ciero...) einen Kriegsgeschichte – und babbelten den Alten, OPA genannt, an: Wie das so war in seinem Betonbunker am Westwall, als er die Alliierten aufhalten musste. Und dann quasselte er … - Und wenn das die Lateinarbeit anstand, musste Füchschen sich immer mit seinem PONS zu retten, irgendwo zu glänzen. Einmal vergass er das herausgerissene Blatt auf dem Sitzplatz – und wurde zitiert. (Aber es geschah nix. Da wurde kein Krieg geführt! Ob die Eltern angerufen wurden? )

Ihm zu Ehren vollziehe ich ein Zitat der Elegie auf einen Lateinlehrer (nein, nicht auf meinen Klassenlehrer, aber eines Geistesverwandten zum Abitur 1965, das wir feiern mussten mit einem Zitat von Bernanos: „Wir alle müssen das Leben meistern. Aber die einzige Art, das Leben zu meistern, besteht darin, es zu lieben.“ Georges Bernanos (1888 -1948); dazu schrieb ich später in meinem Tagebuch: Wer oder was wurde das für uns diskutiert? Wurde es verordnet .. aus den Tagen, als Priester oder Präfekten oder Präfakten-Nachahmer den Georges Bernanos verehren mussten wg.seines Katholizissimus: Tagebuch eines Landpfarrers?(Ich gesteh, ich hab's zu lesen versucht; es war erbärmlich in seiner Weltflucht; stilitisch langweilig; in den Fakten unerheblich. Eine Dressurübung!

Jan Wagner:
Elegie auf eine Lateinlehrer

vielleicht nur eine frage der grammatik,
daß sie stets älter wirkten als sie waren;
nur tote sprachen tote sprachen, lateinisch
und griechisch, sie hingegen rückten mutig
morgen für morgen vor, von den barbaren
durch nichts getrennt als den hölzernen rhein der tische.

man alterte ja selbst um jahrhunderte, primus
wie klassenletzter, über ablativus
und vocativus, terra, terrae, terram -
letzter botschafter eines imperiums,
der die vokabeltests wie gültige visa
verteilte für jenen unerreichbaren raum,

der nur von seneca, catull und taci-
tus zehrte, von schwarzbrot und mintpastille,
die cordhosen und die strickpullis um die taille
so weit, daß alles immer hin zur toga
zu streben schien, das land, die erde: still
liegt gallien da, zerfallen in drei teile.
>> Jan Wagner: Elegie auf einen Lateinlehrer: Die Live Butterfly Show. Gedichte
Hanser Berlin: 2018,

P. S.:
Als historische Reminiszenz füge ich an:
Als Clades Lolliana (lateinisch: „Niederlage des Lollius“) wird ein Gefecht zwischen römischen Truppen und den germanischen Stämmen der Sugambrer, Tenkterer und Usipeter bezeichnet, das 17. oder 16.v. Chr. stattfand und mit einer römischen Niederlage endete.

Ja, auch der Aufenhalt von Augustus in Gallien ist verbürgt:

Jedoch siegten die germanischen Stämme über Lollius und waren sogar in der Lage, den Adler der 5. Legion zu erbeuten. Dieser Verlust bedeutete einen hohen Prestigeverlust für den Kaiser Augustus, der die Bedeutung des Legionsadlers in der römischen Öffentlichkeit gerade herausgestellt hatte, um das Ende des Konfliktes mit den Parthern, die drei erbeutete Legionsadler an das römische Reich zurückgegeben hatten, in besserem Licht darzustellen. Augustus brach noch im Jahr 16 v. Chr. nach Gallien auf, wo er drei Jahre blieb. Die Lollius-Niederlage wird oft als auslösender Faktor für seinen mit den Drusus-Feldzügen (12 bis 8 v. Chr.) beginnenden Versuch gesehen, Germanien zu erobern.

Wikpedia-Abruf am 02.03.2020: https://de.wikipedia.org/wiki/Clades_Lolliana

Schola … oder so...! - Für uns galt: Gelobt sei, was hart macht!
                                           REIFE im Gehorsam  und Zwangvollzug ...

Die schöne Erinnerung Aus meiner Schülerzeit, die Hermann Hesse schrieb (und 1927 veröffentlichte) stimmt in vielen Tatsachen (in den Fächern, in den Lehrern und ihren Erziehungsmethoden) mit einer Schulzeit in den 50- und 60er Jahre überein. Ein Unterschied bestand aber allerdings: Die Lehrer - im humanistischen Dreck ihrer Fächer in der Penne - leisteten sich keinen indiviuellen Jähzorn, keine groben Verstöße gegen den Anstand; auch über sie schwebten die Laren (der Geistlichen) des Hauses: katholisch-klerikal und bischöflich; zwangsverwaltet. 


                                           ... die S c h u l e  laubbeblättert ... 

Hesse: Aus: Unterbrochene Schulstunde:
Die Kunst des Lügens und der Diplomatie verdanke ich dem zweiten Schuljahre, wo ein Präzeptor und ein Kollaborator mich in den Besitz dieser Fähigkeiten brachten, nachdem ich vorher in meiner kindlichen Offenheit und Vertrauensseligkeit ein Unglück ums andere über mich gebracht hatte. Diese beiden Erzieher klärten mich erfolgreich darüber auf, daß Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe Eigenschaften waren, welche sie bei den Schülern nicht suchten. Sie schrieben mir eine Untat zu, eine recht unbedeutende, die in der Klasse passiert war und an der ich völlig unschuldig war, und da sie mich nicht dazu bringen konnten, mich als Täter zu bekennen, wurde aus der Kleinigkeit ein Staatsprozeß, und die beiden folterten und prügelten mir zwar nicht das erhoffte Geständnis, wohl aber jeden Glauben an die Anständigkeit der Lehrerkaste aus“ (Hesse 1987; 393).

Hier aber widerspreche ich:
Man, als Männlein, musste nicht die Lügen und die schulische Diplomatie in oboedientia - im willfährigen Gehorsam - nachahmen als Erwachsener ...


 

Sonntag, 1. März 2020

Von meinen L I N D E (n)

Ja, die Poesie über Lindenbäume…(es standen schon einige hier in den Dateien des ST; von Lehmann, von Seidel…

Ich biete hier einen „Lendenboom“ - in Niederdeutsch, wie es im Kreis Kleve am Niederrhein gesprochen wird - von einer persönlichen Bekannten, die schon 1995 starb, einer Magd, einer Gärtnereiarbeiterin, einer persönlich Bekannten unserer Familie in Goch am Niederrhein.

Anna Kempkes hat ihren „Lendenboom“ beschrieben, der 600 m von dem Bauernhof „Pannofen“ entfernt steht, ja, noch immer steht und wächst, auf dem ich geboren wurde. Auch vor unserem Haus stand eine gleichzeitig gepflanzte Linde, die im Krieg von einer Granate beschädigt wurde und aus Unachtsamkeit in den 80-er Jahren gefällt wurde.

Das plattdeutsche Gedicht kann wohl jeder verstehen.
Vortse Brökk“; ein lokaler Name, die Brücke an der Furt durch die Niers östlich von Goch, in den Kalbecker Wald hinein. Ihn durchquerte dort auch die „Bokselse Boan“, die „Boxteler Bahn“, die einmal vor Kriegszeit von Amsterdam nach Petersburg fuhr.

Arno Holz:
Die uralte Kornfeldlinde

Aus einem Kornfeld,
schräg zum See,
hob sich die Linde.
Auf schmalem Fußweg an ihr vorbei,
jeden Nachmittag durch die Juliglut zum Baden,
wir Jungens.
Der blaue Himmel, die tausend gelben Blüten, das Bienengesumm!
Und noch immer,
wenn die andern längst unten waren,
- aus dem Wasser klang ihr Lachen und Geschrei -
stand ich.
Und sah den Himmel
und hörte die Bienen
und sog den Duft.
*

Von einer LINDE, von meiner Linde -

Nicht nur im Volkslied - vor meinem Vaterhaus stand eine alte Linde, eine wirklich dicke und hohe Linde. In deren Spitze ich nie geklettert bin (Ich kann es auch nie mehr nachholen. Sie steht nicht mehr, dort auf dem Pannofen, dem Baumhof, der alten, aufgelassenen Ziegelei, deshalb: Pannenhof: Der Hof, wo Ziegel und Dachziegel gebrannt wurden.)

Winterlinde (Tilia cordata)
* 


Der Krieg - der zweite, der Weltkrieg - hatte an ihr genagt: ein großes Loch seitlich, von einer Granate gerissen, hatte den Stamm in einer Tiefe von wohl 40 cm angefressen. Die Rinde wuchs Jahr für Jahr seitlich herum wulstartig weiter, konnte aber dieses Loch nie umwachsen. Aus diesem Loch holten wir im Auftrag der Mutter vermodertes Baummehl als Blumenerde heraus.
Zurückblickend kann ich den Umfang nicht mehr genau beschreiben, aber wohl vier Kinderarmpaare, ausgestreckt, konnten sie kaum umfangen. Auch über die Höhe kann ich leider nur spekulieren, aber sie war bestimmt höher als zwanzig Meter, also noch nicht einmal ausgewachsen für ihre Art. Sie beschützte unser Bauernhaus mit ihrem sommerlichen Schatten bis in die Zimmerfenster des ersten Stockwerks, ihre Zweige reichten weit übers Dach. Im Winter heulte der Wind im Baum so hohl, dass er die Kinder vor dem Einschlafen noch erschaudern ließ. Vom Sturm herabgeschlagene Äste wurden regelmäßig eingesammelt fürs Brennholz.
Bienen, Bienen - im Sommer, Mitte/Ende Juni, war für zwei Wochen ein einziges summend-betörendes Geräusch tagelang um unser Haus hören. Es war die süßlich duftende Blütezeit mit der Sammeltätigkeit der Bienen, die so fleißig waren, dass wir als Kinder kaum mal einen Bienenstich abbekamen, und nur dann, wenn wir die Immen störten.

Ein Bild, das nach dem Krieg ein umherziehender Maler von dem Bauernhof in Öl pinselte, zeigte die Vorderfront mit der sie bergend überschattenden Linde. Leider weiß niemand mehr aus unserer Familie, wo dieses Bild abgeblieben ist.
Heute denke ich, es wäre interessant gewesen, wenn mein Vater Imker gewesen wäre; aber wir kriegten den Honig für den Winter von einem Heideimker aus unserer Nachbarschaft. Ob jemals dieser Imker bei uns auf dem Bauernhof Bienenkästen aufgestellt hat - ich weiß es nicht. Wahrscheinlich lohnte es sich nicht: eine Linde - für eine Blütezeit von etwa zwei Wochen!
Es war eine großblättrige Sommerlinde, nicht die kleinblättrige Winterlinde, mit schwärzlich-rissiger Borke und dunkelgrüner Blattoberseite und mit großer, runder, dichter Krone auf recht kurzem Stamm. Für uns auf dem Bauernhof waren solche botanischen Unterscheidungen allerdings nicht wichtig. Wir kannten nur unsere Art Linde, mit schiefen, herzförmigen Blättern mit der unteren, weichhaarigen Seite.
In der Blütenzeit wurden die zungenförmigen Blütenblätter, die eigentlich den pfefferkorngroßen Früchten als Segelhilfe dienen, abgerupft und auf kleinen Darren getrocknet: für die Winterzeit als Lindenblütentee aufgehoben, der uns bei Erkältungen ins Schwitzen brachte.
Die Linde schlug jedes Jahr auch in der Griffhöhe von uns Kindern viele, pitzige Triebe aus, die schnell verholzten und zu kleinen Ästen sich verdickten; sie waren für unsere Kletterei die Tritt gebenden Haltepunkte, auch wenn wir es nicht bis oben schafften.

Ach, die Erinnerung an die Lindenschwärmer: fahlgraue, kräftig braun und zackig gezeichnete Schmetterlinge, die sich in der Evolution gut an die brüchige Struktur der Rinde angepaßt haben und deren Raupen Lindenblätter brauchen. An die fingerdicken, grünen, langsam kriechenden, 6 bis 7 cm großen Raupen erinnere ich mich auch deshalb, weil ein Onkel für seine Schmetterlingssammlung die kriechenden Exemplare in kleine, durch Löcher gut gelüftete Zigarrenschachteln legte, bis die Verpuppung und die Metamorphose zum Schmetterling abgeschossen war.

Lindenschwärmer, der gruselig aussieht:



Neben alten, dicken Kastanien mit großen Elsternestern in den Wipfeln war die Linde der älteste Baum auf dem Gelände einer früheren Ziegelei; daher der Name des Hofes: Pannenhof.

Weil wir früh, ich war erst in der 7. Klasse der Volksschule, also erst 13 Jahre, den Bauernhof verlassen haben, habe ich nie in der Linde richtig geklettert; es war mir verboten, was die älteren Brüder im Spiel untereinander mit den Großen schon durften: auch beim Fangenspielen hoch in den Baum zu klettern.
Da ich später in meiner Jungenzeit richtige, schwierige Kletterbäume gesucht habe, an die ich mich heute noch mit ein wenig Schaudern erinnere, (denn manchmal geschah es, dass man sich verkletterte und nach einer Pause des Mutschöpfens sich wieder an den Abstieg wagte), denke ich ein wenig traurig an diese Hoflinde: Ich weiß nicht, wie weit der Blick hätte schweifen können, wenn ich sie einmal bestiegen hätte und von den noch festen Außenästen die nähere Umgebung hätte betrachten können: Eine kleine Siedlung mit eingeschossigen Häusern der Stadt zu und noch vier frei stehenden Bauerngehöften in der Ferne vor dem grünen Hintergrund des Kalbecker Waldes.
Heute kenne ich keine vergleichbar große, hohe Linde in den Wäldern meiner jetzigen Umgebung oder vor den Bauernhäusern im Münsterland.

Der Baum, meine Linde, muß, ob wegen der großen Wunde im Außenholz, weiß ich nicht, abgesägt worden sein; oder auch nur weil die ganze Gegend zum Bauland umgewandelt wurde und heute dort Einfamilienreihenhäuser stehen, mit einer kleinen Sandkuhle und dem Standard-Spielplatzangebot: Schaukel, Sandkasten, Kletterbrücke, Aufpassmädchen.

Der Ort meiner Kindheit ist nur in meinen Erinnerungen aufgehoben, als halbwilde Freizeit, gelegentlich unterbrochen von Ordnungs-, Arbeits- oder Essensrufen der Mutter und Vater, eine Zeit, in der es anscheinend nur sonnige Sommertage gab: Eltern und Kinder auf den Feldern draußen oder mit der Fuhre Getreidegarben auf dem Heimweg in die Scheune.

Als ich kürzlich meiner Mutter von meiner Linden-Beschreibung erzählte, fiel ihr spontan ein wenig erfreulicher Umstand: In der Blütezeit sei der Baum eine Quelle großer Sauerei gewesen: Der Blütenstaub, kräftig gelb, hätte immer die Scheiben der Frontfenster versaut; da hieß es kräftig putzen, um den Durchblick zu halten. Der Querschnitt des Stammes sei bestimmt größer als 1,80 Meter gewesen.
Auf dem gesamten Gelände des früheren Bauernhofes, einschließlich der Äcker und Wiesen fand ich nur noch einen Baum aus meiner Kinderzeit wieder: eine recht stämmige, hoch aufgeschossene Zitterpappel, die früher mit zwei anderen Exemplaren unseren Ententeich überragten.

Als Schuljunge hatte ich in der Nachkriegszeit noch erlebt, wie ein Holzschuhmacher mit meinem Vater die zwei Bäume fällte, um aus dem weichen, leichten Holz "Klompen" zu schneiden; Holzschuhe.
Vom Schauplatz meiner wilden und freien Kindheit mit durchaus gefährlichen Kletterspielen ist nur diese eine Pappel stehen geblieben, in die ich nicht mehr klettern konnte, weil die ersten tragfähigen Äste in vier Meter Höhe ansetzen.
Nach meiner unfachmännischen Schätzung muß unsere Hoflinde etwa 180, vielleicht 200 Jahre alt gewesen sein.

Bei diesem Besuch in meiner Heimat bin ich zu der mir bekannten, nächsten großen Linde gefahren, einem monumentalen Baum, aber bestimmt zwanzig Jahre jünger als unsere Hoflinde; zwei Erwachsene können sich heute gut ringsum die Hände reichen.
All das andere Gelände, bestimmt zehn Morgen Land: fein säuberlich abgezirkelte, gepflegte Vorgärten vor den Eigenheimen und einem größeren Terrassenbau, Zufahrten und Stichstraßen, mit dem einen erwähnten Kinderspielplatz, der keinen Geschmack mehr von meiner Kindheit aufkommen ließ.

Als kleine, ästhetische Hilfe für die Erinnerung habe ich mir Lindenbaum-Gedichte herausgesucht. Ein kleiner Ersatz, wird doch in diesen Liedern häufig von Wehmut und zartherben Stimmungen gesprochen.

*

Ernst Toller:
Geschützwache

Sternenhimmel.
Gebändigtes Untier
Glänzt mein Geschütz,
Glotzt mit schwarzem Rohr
Zum milchigen Mond.
Käzchen schreit.
Wimmert im Dorf ein Kind.
Geschoß,
Tückischer Wolf,
Bricht ins schlafende Haus.
Lindenblüten duftet die Nacht.
(Aus dem Zyklus „Verse vom Friedhof“. In: Vormorgen. 1924. S. 278)

a, die Poesie der Lindenbäume...(es standen schon einige hier in den Dateien des ST; von Lehmann, von Ina Seidel…

Ich biete hier einen „Lendenboom“ (auf nd.) von einer Dichterin, die schon 1995 starb, einer Magd, einer Gärtnereiarbeiterin, einer persönlich Bekannten unserer Familie in Goch am Niederrhein.
Anna Kempkes hat ihren „Lendenboom“ auf der "Vossheide" beschrieben, der 600 m von dem Bauernhof „Pannofen“ entfernt steht, ja, noch immer steht und wächst, auf dem ich geboren wurde. Auch vor unserem Haus stand eine gleichzeitig gepflanzte Linde, die im Krieg von einer Granate beschädigt wurde und aus Unachtsamkeit in den 80-er Jahren gefällt wurde.
Das plattdeutsche Gedicht kann wohl jeder verstehen.
„Vortse Brökk“; ein lokaler Name, die Brücke an der Furt durch die Niers östlich von Goch, in den Kalbecker Wald hinein. Ihn durchquerte dort auch die „Bokselse Boan“, die „Boxteler Bahn“, die einmal vor Kriegszeit von Amsterdam nach Petersburg fuhr.

Anna Kempkes:
Dänn Lendenboom

Op dä Vossenhej, korrt bej dä Vortse Brökk,
der stett enne groote Lendenboom.
Hej hät so männege Störm belävt,
merr wiegt noch stolz sinn Kroon.

In dä Sommerdag, wänn sinn Täkke blööje,
dann komme dä Bejje in Schoore.
An Oves, wänn dä Moond opgett,
kommen ok dij Liebespoore.

Sätte sich op dä Bank der onder dänn Boom,
kieke sich in örr verlievde Ooge drinn.
An ess et ok düster rondherümm,
dij Ooge stroole in dä Moondeschinn.

Dä Nachtigall sengt in dä Lendenboom,
merr, dänn Üll flog no dä Bokselse Boan,
want, wänn hej dä Nachtigall senge hört,
der kann hej nij täggen oan.

Mooj ess sönne Sommerovend,
dä Vollmoond schinnt dörr dä Lendenboom.
Merr, wij datt nii kann verstoon,
dänn mott met dänn üll merr schloope goon.
(Aus: Hans Polders: Ons Moodersprook. Kleve 1981: Boss-Verlag. S. 126f.)

*
Auch von blühenden Linden, von duftenden Bäumen als krassen Gegensatz zu den kriegerischen, tötenden Geschossen in seiner unmittelbaren Nähe, nicht in ihrem bergenden Schutz, berichtet Ernst Toller (1893 – 1939) aus dem Weltkrieg, der später der „erste“ genannt werden musste:

Ernst Toller: Geschützwache

Sternenhimmel.
Gebändigtes Untier
Glänzt mein Geschütz,
Glotzt mit schwarzem Rohr
Zum milchigen Mond.
Kätzchen schreit.
Wimmert im Dorf ein Kind.
Geschoß,
Tückischer Wolf,
Bricht ins schlafende Haus.
Lindenblüten duftet die Nacht.
(Aus dem Zyklus „Verse vom Friedhof“. In: Vormorgen. 1924. S. 278)

iustitia antwortete am 21.08.04 (11:38):

Lindenpoesie...
Ein Hinweis auf Astrid Lindgrens Märchen „Klingt meine Linde“ (übersetzt von Anne-Liese Kornitzky)
(Hier die Einleitung dieses Märchens, das eine schöne Verbindung schafft zwischen Volks-/Kinder- und Hausmärchen, als ein psychologisches Kunstmärchen…)
                              Im Winter kann man die Linden auf dem Grundstück nicht sehen, 
                            sondern nur Prof. Konrad Lorenz, eine Graugans (und Besucher aus Münster)


Astrid Lindgren:
Vor langer Zeit, in den Tagen der Armut, da gab es noch Armenhäuser im ganzen Land, in jedem Kirchspiel eins. Dort wohnten die Ärmsten der Armen, Alten und Gebrechlichen, die nicht mehr arbeiten konnten, die Hungerleider und Kranken und Bresthaften, die närrischen Tröpfe und die Waisenkinder, die niemand Pflege nehmen wollte. Sie alle brachte man zur Stätte der Seufzer, die das Spittel war.

Auch im Kirchspiel Norka gab es eins, und dorthin kam Malin, als sie acht Jahre alt war.

Vater und Mutter waren an der Schwindsucht gestorben, und da die Norkabauern fürchteten, Malin könnte ihnen die Krankheit ins Haus bringen, wollte sie keiner für Geld in Pflege nehmen, wie es sonst Brauch war, und deshalb kam sie ins Spittel.

Es war noch zeitig im Frühjahr an einem Samstagabend, und alle Armenhäusler hockten am Fenster und gafften auf die Dorfstraße hinaus. Es war dies das einzige Vergnügen der Allerärmsten am Samstagabend. Nicht, daß es so viel zu sehen gegeben hätte. Dort kam ein verspätetes Bauernfuhrwerk von einer Reise in die Stadt heim, dort kamen ein paar Häuslerbuben auf dem Web zum Angeln, und dort kam auch Malin mit ihrem Kleiderbündel unter dem Arm, und ihr starrten sie alle entgegen.

Ich Ärmste, ich muß ins Spittel, dachte Malin, als sie auf der Vortreppe stand, Ich Ärmste! (…)
(In: A.L.: Märchen. Hamburg 1978: Oetinger Verlag. S. 273 -287)