Dienstag, 12. Mai 2020

Siegfried von Vegesack als mutiger GRÜNERer

Balten-Porträts
Siegfried von Vegesack

Porträt - Folge vier


Siegfried Von Vegesack, ein ökologischer Vor-Läufer und seine Bemühungen um sein Waldgrab in Weissenstein


S.v.V.s Brief und seine letzte Verfügung:


An das Landratsamt Regen
Nr. II/7 - 554.

Burg Weissenstein, 18. Mai 1964.


Gegen die Entschließung der Regierung von Niederbayern vom 22. April 1964 erhebe ich hiermit Einspruch.

Die dargelegten Ablehnungsgründe widersprechen den Tatsachen:

1) Die geplante Begräbnisstätte soll keineswegs auf dem Pfahl, sondern neben dem Pfahl auf meinem Grund und Boden errichtet werden.
2) Für die vorschriftsmässige Tiefe ist keineswegs irgend eine Spren­gung erforderlich, da das Erdreich hier genügend tief ist und bereits bis zu 1.50 Meter ausgehoben wurde und ohne jede Schwierigkeit auch noch tiefer ausgehoben werden kann.
3) Durch Gutachten von Prof, Dr. Georg Priehäusser, der auf dem Gebiet des Naturschutzes als Geologe eine Autorität ist und im Auf­trage des Landratsamtes Regen die geplante Grabstätte eingehend besichtigt und geprüft hat, bestehen weder aus Gründen des Natur­schutzes, noch aus denen der Wasserversorgung irgend welche Be­denken gegen die Errichtung der Grabstätte. Alle diesbezüglichen Einwände der Regierung sind deshalb hinfällig.
4) Meine Begräbnisstätte würde in keiner Weise einen Eingriff in die freie, schöne und schutzwürdige Landschaft" bedeuten, da dieses Landschaftsbild durch einen bescheidenen Grabhügel nicht im Geringsten verändert werden würde. Weder ein Gedenkstein, noch irgend ein Denkmal, sondern nur ein einfaches Totenbrett an einer Kiefer, - wie es hier üblich ist, - wird die Begräbnisstätte bezeich­nen.

Es ist geradezu grotesk, wenn die Regierung bei ihrer Entschließung sich auf den Naturschutz beruft: denn die Regierung von Nieder­bayern hat Jahre und Jahrzehnte untätig zugesehen, wie der Quarz des Pfahles als Straßen-Schotter ausgebeutet wurde! Wenn ich den Bund für Naturschutz in Bayern nicht alarmiert und mich für den Schutz des Pfahles eingesetzt und durch mein persönliches Eingreifen eine weitere Ausbeutung verhindert hätte, wäre auch der letzte Rest des Quarzfelsens oberhalb des Dorfes Weissenstein spurlos verschwunden.
Auf meine Verdienste als Schriftsteller bilde ich mir nicht allzu viel ein: sie sind vergänglich. Doch mein bleibender Verdienst, dass ich den Quarzfelsen vor dem gänzlichen Untergang bewahrt habe, kann mir niemand abstreiten. Und so glaube ich doch ein gewisses Anrecht auf ein bescheidenes Grab am Fuße des Pfahls zu besitzen, dessen letzter Quarzfelsen oberhalb des Dorfes ohne mein Einschreiten längst vom Erdboden verschwunden wäre.
Da bisher kein einziger Vertreter der Regierung von Niederbayern sich ein Bild von der tatsächlichen Lage der geplanten Grabstätte ge­macht hat, schlage ich vor, dass ein Sachverständiger der Regierung auf meine Kosten herkommt und sich unvoreingenommen durch persönlichen Augenschein davon überzeugt, dass der hier darge­stellte Tatbestand der vollen Wahrheit entspricht.
Sollte die Regierung von Niederbayern trotzdem auf ihrer Entschließung bestehen und mir die Grabstätte verweigern, werde ich gegen diese Entschließung Berufung einlegen und den Rechtsweg beschreiten. Da ich mich bereits dem 80. Lebensjahr nähere, werde ich die endgültige Entscheidung der höchsten Instanz kaum noch selbst erleben. Deshalb bestimme ich schon heute als meinen letz­ten, unumstösslichen Willen:
dass mein Leichnam eingeäschert, und meine Asche auf meinem Grund und Boden, an der bezeichneten Stelle am Pfahl beigesetzt wird.
Als gläubiger Christ bin ich kein Freund der Feuerbestattung, - eine christliche Beisetzung in der Erde würde meinen Anschauungen als Christ besser entsprechen, 'von Erde bist du, und zur Erde sollst du werden!' - da aber hier in Weissenstein kein Dorffriedhof besteht, und ich auch auf dem überfüllten Friedhof von Regen nicht neben meinen Brüdern liegen könnte, bleibt mir als einziger Ausweg die Feuerbestattung.
Ich habe auf dem Lande gelebt, und möchte deshalb auch auf dem Lande begraben sein, - und zwar in dieser Erde, die mir im Lauf ei­nes halben Jahrhunderts zur zweiten Heimat wurde.
Die Urkunde meines letzten Willens werde ich im Notariat Regen hinterlegen.
Eine Abschrift füge ich zur Kenntnisnahme bei.

Gez. Siegfried von Vegesack
Weissenstein, Pfingstmontag,
den 18. Mai 1964.

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Siegfried von Vegesack:

MEIN LETZTER WILLE

Für den Fall, dass die Regierung von Niederbayern auch nach mei­nem Tode mir ein Begräbnis auf meinem Grund und Boden am Pfahl verweigern sollte, bestimme ich hiermit als meinen letzten Willen, dass mein Leichnam eingeäschert und meine Asche auf der von mir bezeichneten Stelle am Pfahl beigesetzt wird.
Ferner bestimme ich, dass weder ein Gedenkstein, noch ein Denk­mal, sondern nur ein einfaches Totenbrett, wie das hier im Wald der Brauch ist, die Stätte bezeichnen soll. Der Grabhügel soll so unaufällig wie möglich sein, und sich in keiner Weise von der von Heide­kraut bewachsenen Umgebung unterscheiden.
Als gläubiger Christ bin ich zwar kein Freund der Feuerbestattung, - eine christliche Beisetzung in der Erde würde meinen Anschauungen besser entsprechen. Da aber hier in Weißenstein kein Dorfriedhof besteht, und ich auch auf dem überfüllten Friedhof von Regen nicht neben meinen Brüdern liegen könnte, bleibt mir als einziger Ausweg die Feuerbestattung.

Weißenstein, am Pfingstmontag, den 18.Mai 1964.


Siegfreid von Vegesack, als Miniatur in einer Tabakflasche


Von Vegesacks Grabstätte
(Montage aus drei Fotos: Wegweiser, Betonsockel der Windturbine, Grabbrett der Grabstelle) - © Reyntjes


Der Text der selbst gefertigten Grabbrettes lautet:


Hier, wo ich einst gehütet meine Ziegen,
Will ich vereint mit meinen Hunden liegen.
Hier auf dem Pfahle saß ich oft und gern.
O Wandrer schau dich um, und lobe Gott den Herrn.

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So hat von Vegesack sein Waldgrab erhalten; es ist in fünf Fußminuten von der Burg und dem Museum aus zu erreichen.
Es ist wohl für jeden Besucher an dieser Stätte ein eigentümliches Gefühl; und in jedem Jahr, wenn ich Weißenstein und Regen besuche, setze ich mich hier zwischen Heidekraut, Birken und Lärchen, zwischen dem silberschlierigen Quarzgesteins und dem immer spürbaren Herrn der Lüfte, den heraufstreichenden Winden, der Lebenserfahrung dieses Weltenbürgers von Vegesack sinnlich und intensiv aus. Dann lese ich immer wieder gerne die Geschichte vom Bau der Windturbine, deren Betonfundament man noch in unmittelbarer Nähe des Grabes erkennen kann. (Vgl. Folge fünf "Licht der Lüfte" des Vegesacks-Porträts.)

(Quelle: Brief Nr. 209. Abgedruckt nach der Briefausgabe. Hrsg. von Marianne Hagengruber: Briefe 1914 - 1971. Grafenau 1988)

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