Montag, 20. Februar 2017

... ein blaues B a n d

Um die Kugel war ein blaues Band geschlungen - in der Farbe jenem ähnlich, welches der Frühling wieder flattern läßt durch die Lüfte - und an das Band eine Schnur geknüpft, die das aus der Gleichgewichtslage gehobene Pendel an einem Eisenständer verankerte. -
Warum entbietet Alfred Polgar hier dem Dichter Eduard Mörike eine Referenz?


Fragen wir nach.
                                        ... hier wächs-, pardon: wächst nimmermehr ein blaues Band. -

Hier beschreibt Alfred Polgar sein mehroderweniger privates naturwissenschaftliches Erkenntnis & Vergnügen: im Einklang von Physik und Poesie:


Dass an diesem Band in einem naturwissenschaftlichen Versuchsraum ein Versuch mit dem Foucault-Pendel gelingen sollte, muss irgendwo festgehalten sein.
(das blaue Band...) welches der Frühling wieder flattern läßt durch die Lüfte – und an das Band eine Schnur


Pendelversuch


Im Jahre 1850 erbrachte der französische Physiker Foucault durch seinen Pendelversuch einen neuen experimentellen Beweis für die Achsendrehung der Erde.
Es gehört zu den wesentlichen Charakterzügen eines Pendels, daß es seine Schwingungsebene im Raum unverändert beibehält. Befindet sich die Aufhängevorrichtung in fester Verbindung mit einem Objekt auf der Erde, so dreht sich diese gleichsam unter dem Pendel, welche Drehung von West nach Ost der Beobachter (wenn das Pendel genügend lang ist) als eine scheinbare Verschiebung der Pendel-Schwingungsebene von Ost nach West wahrnimmt. Also das ist der Foucaultsche Pendelversuch.
In Wien, wo man gegen die kosmischen Gesetze mit Recht einigermaßen mißtrauisch ist, wurde der Foucaultsche Pendelversuch schon einmal nachgeprüft, zu Anfang dieses Jahrhunderts in der sogenannten Rotunde im Prater. Es fanden damals gerade auf dem neben der Rotunde befindlichen Trabrennplatz Rennen statt, und natürlich gingen die Praterbesucher lieber zu diesen spannenden Wettläufen als zu einem kampflosen Walkover der Erde um sich selbst. Das Pendel hatte also wenig Zulauf und, wie ich glaube, auch keine gute Presse. Ich entsinne mich noch als eines sonderbaren Details, daß der Herr, der damals den Versuch leitete und erklärte, ein ganz kleines Pendel im Arm trug, ein junges von dem Riesen, der aus der Kuppel herunterhing, ein süßes Pendel-Baby. Wozu er es brauchte, weiß ich nicht mehr. 
Jetzt ist abermals das Experiment in Wien gemacht worden, vermutlich im Sinn der augenblicklich hier herrschenden Bestrebungen, den erschütterten Glauben an die Weltordnung wieder etwas zu befestigen; und da ich keinen Foucaultschen Pendelversuch auslasse, war ich auch wieder dabei. Das Experiment fand im Naturhistorischen Museum statt. Leider gab es wieder nur ein karges Häufchen von Zuschauern, das mit Augen sehen wollte, wie die Erde sich um ihre Achse drehe. Entweder glauben es ihr die Leute ohnehin, oder sie wollen das gar nicht wissen. 
Genau in der Mitte der Museumsvorhalle war ein Stück des Bodens mit Zeichenpapier belegt. Darüber schwang das Pendel. Eine rote Linie auf dem Papier zeigte den Anfangsweg des Pendels an, eine blaue, die rote im Winkel von 15 Graden schneidend, den Weg, den das Pendel nach einer Stunde nehmen müsse. Es hing an einem Draht von 41 1/2 Meter Länge und hatte als Schwungmasse eine mit Blei ausgegossene eiserne Kugel, weiland eine Bombe, die 100 Pfund wog. Die Aufhängevorrichtung höchst oben im Kuppel-Zenit möchte ich gern erklären, wenn man sie mir erklären möchte. Sie war jedenfalls sinnreich. Zu sinnreich für einen schlichten Zaungast der Physik. Am 28. Mai 1930, 10 Uhr vormittags, startete in Anwesenheit von zwölf Zuschauern, darunter einem Mittelschullehrer und einer Dame in Trauer, das Pendel. Um die Kugel war ein blaues Band geschlungen - in der Farbe jenem ähnlich, welches der Frühling wieder flattern läßt durch die Lüfte - und an das Band eine Schnur geknüpft, die das aus der Gleichgewichtslage gehobene Pendel an einem Eisenständer verankerte. Der Start ging so vor sich, daß die amtierende Museumsperson, beschattet von einem Hofrat der Naturwissenschaften, die dünne Schnur mittels eines Zündhölzchens durchbrannte. Zweimal mißlang der Ablauf. Erst das dritte Mal hielt sich das Pendel halbwegs an die vorge-zeichnete rote Linie. Zwölf Menschen sahen ihm, das weich und lautlos in seiner luftigen Box hin und wider ging, andächtig pendeln zu und sprachen nur mit gedämpfter Stimme, um es nicht zu irritieren. Nach wenigen Minuten schon wich es ab! Alle, sogar der Hofrat, atmeten mit leichterem Atem. Es mußte ja abweichen, selbstverständlich. Wenn es nun aber - lieber Himmel, es gibt Dinge zwischen diesem und der Erde, die auch das exakteste Pendel verwirren könnten - wenn es nun aber doch nicht abgewichen wäre? Welche Verlegenheit und Bestürzung! Heutzutage geschieht ja so viel Unbegreifliches in der Welt, und warum sollten zu den positiven Überraschungen, die wir erleben, wie etwa, daß Schattenbilder plaudern oder daß man mit freiem Auge von hier nach Kalkutta sieht, warum sollten nicht auch verblüffende negative Überraschungen uns beschieden sein, wie etwa, daß die Schwerkraft plötzlich aussetzt oder auf einmal die Liebe keine Himmelsmacht ist, daß man mit gesundem Ohr die Stimme des Menschen nebenan nicht hört, daß man am hellen Tag den Nächsten, ja sogar die Nächste nicht sieht?

... Die ganze Skizze ist lesbar, formvollendet, in der Werkausgabe der Kleinen Schriften...

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Alfred Polgar, in seiner Skizze „Pendelversuch“ (1930). Aus: Bei dieser Gelegenheit. Berlin 1930. S. 231-234. - Text nach Alfred Polgar: Kleine Schriften. Bd. 3. 1984 (Büchergilde Gutenberg); © by Rowohlt. Reinbek/Hamburg.

Im Mai, textlich genau belegt, am 28. Mai 1930: eine gute, frühlingshafte Zeit für meteorologische Blau-Erkdungen ... von einem Sonntagsnachmittags-Erleben: Dass der Erzähler Polgar ob des Bänderflugs sich seiner ihm eigenen Bildlichkeit vom „flatternden Bande“ erinnerte – Zufall kann es nicht gewesen sein - es muss seiner Imagination geschuldet sein; wollte er doch zwischen Himmel und Erde vermitteln...


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Walkover (eigentlich: Spaziergang), vgl.: Walkover
Wisent: In den 1920ern verloren Wisente in Eruopa und dem Kakausus ihre letzten Landschaftsräume. Wiki weiß: „Alle heute lebenden Wisente stammen von nur zwölf in Zoos und Tiergehegen gepflegten Wisenten ab." - Vgl.: Von den Wisenten in Europa:
Affiche: Plakat

Ein blaues Band, das die Voraussetzungen erfüllen mag:

Mörikes ... blaues Band 

Mörikes im Blauen: "Er ist's"

Nota bene: 
Warum Wisente und eigenartige, technische Pendelversuche und blaue Bänder á la Eduard Mörike im europäischen Raum - sprich Wien -  sich verbanden, by Alfred Polgar werden sie
imaginativüberzeugend, weil poetisch.

Mittwoch, 15. Februar 2017

V e r - Sachen

Ver -  suche




Versuche



Verschuche

Ver-Menschen-Verschenke:

Man muss nicht, um eine (ver-meintlich: weibliche) Körperoberfläche zu bedenk-, pardon: bedecken - den Georg-Büchner-Preis für Literatur an Sybille Lewitscharoff vergeben. (Ja: ver-geben). Wie 2013 ver-schehen.

*

https://www.deutscheakademie.de/de/auszeichnungen/georg-buechner-preis/sibylle-lewitscharoff


Es werden ver-weitere 
                               
                                    Ver- Suche 

ver-folgt - und versendet: zu ver-geben
am verschiedenen VerTagen ...



Ver-sendet am 15. Februar 20117:
 

Man könnte die deutsche Literaturgeschichte des 20. Jhs. Auf Tucholsky und Dürrenmatt be-schränken, ja: ver-schränken. (Äh- und zwei Texte von Böll: 1. „Wanderer kommst du nach Spa...“ - und 2. „Ansichten eines Clowns“ .. und natürlich 3. … „vom höheren Wesen, das wir verehren...“ (Genau: „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“; am schönsten in der VerFilmung mit Dieter Hildebrandt – 1963/64) und frau auch.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/21/Heinrich_B%C3%B6ll_%28signature%29.jpg

Samstag, 11. Februar 2017

E c o s letzte Kolumnen

Vom "Pape Satàn" - zum KirmesTrubel ...

Ein Buch als echter Nachlass:

Der letzte, echte Umberto Eco, den es geben wird:






Ja, auch die höchsten Worte für ihn als Mensch, als Autor, als Denker sind noch keine Übertreibung. - In deuschen Landen gibt, ach: gab es keinen solchen! -
Diese Kolumne zeichnet sich aus vor einigen anderen: „Es gibt zwei große Brüder“ (S. 89ff.) - dort wird eine „Deformation der Tonnenweiber“ behauptet, angezeigt, bewahrheitet, jedenfalls erscheint die Ungetümerei in der deutschen Übersetzung so. Und ich glaube, ich weiß, ohne als Sprecher des Italienischen mehr als ungenügend ausgewiesen zu sein: Ja, es gibt sie, äh: es gab sie, diese "Damen .. ohne Unterleib" z. B. - es muss auch eine Sprachform geben, von ihr, von ihnen zu berichten. 


Wie, was? Was sind „Tonnenweiber“? Weiber in Tonnen? Weiber als Tonnen? Weiber montiert, deformiert ob Tonnen oder Pötten? Illusioniert? Da musste der Übersetzer Burkhart Kroeber wohl raten und rätseln …


Es gab auf Jahrmärkten, auch als Nachkriegstingeltangel in Deutschland: die „Frauen – oder Damen - ohne Unterleib“, wo den Sensationslüsternen, zumeist den wenig ehrenhaften Herren, vorgegaukelt wurde - mit Hilfe trickreicher Spiegel und Drapierungen aus Stoff. So wurden sie präsentiert: vor allem der weibliche Körper oftmals nur in Teilen oder wie bei obiger Dame mit dem „Schlangenleib“ seltsam entfremdet. Auch gab's „Marsweiber“ mit vier Brüsten, Flügeln und einem extrem langen Hals. So wurden zwei Illusions-Klassiker miteinander kombiniert, die „Frau ohne Kopf“ und der „Sprechende Kopf“: Wie hätte Kroeber diesen Bluff präzise-einfach übersetzen sollen, auf den Eco abzielte – von den deformierten Damen und Dämchen auf Jahrmarktsplätzen?

Ach, ja: natürlich: nein, ich durfte nicht rein in die bekloppten Buden, wenn ich mit meinen Brüder auf dem Tingeltangel durfte.

Ein echter Eco - mit Kolumnen

Vom "Pape Satàn" - zum KirmesTrubel ...

Ein Buch als echter Nachlass:

Der letzte, echte Umberto Eco, den es geben wird:






Ja, auch die höchsten Worte für ihn als Mensch, als Autor, als Denker sind noch keine Übertreibung. - In deuschen Landen gibt, ach: gab es keinen solchen! -
Diese Kolumne zeichnet sich aus vor einigen anderen: „Es gibt zwei große Brüder“ (S. 89ff.) - dort wird eine „Deformation der Tonnenweiber“ behauptet, angezeigt, bewahrheitet, jedenfalls erscheint die Ungetümerei in der deutschen Übersetzung so. Und ich glaube, ich weiß, ohne als Sprecher des Italienischen mehr als ungenügend ausgewiesen zu sein: Ja, es gibt sie, äh: es gab sie, diese "Damen .. ohne Unterleib" z. B. - es muss auch eine Sprachform geben, von ihr, von ihnen zu berichten. 


Wie, was? Was sind „Tonnenweiber“? Weiber in Tonnen? Weiber als Tonnen? Weiber montiert, deformiert ob Tonnen oder Pötten? Illusioniert? Da musste der Übersetzer Burkhart Kroeber wohl raten und rätseln …


Es gab auf Jahrmärkten, auch als Nachkriegstingeltangel in Deutschland: die „Frauen – oder Damen - ohne Unterleib“, wo den Sensationslüsternen, zumeist den wenig ehrenhaften Herren, vorgegaukelt wurde - mit Hilfe trickreicher Spiegel und Drapierungen aus Stoff. So wurden sie präsentiert: vor allem der weibliche Körper oftmals nur in Teilen oder wie bei obiger Dame mit dem „Schlangenleib“ seltsam entfremdet. Auch gab's „Marsweiber“ mit vier Brüsten, Flügeln und einem extrem langen Hals. So wurden zwei Illusions-Klassiker miteinander kombiniert, die „Frau ohne Kopf“ und der „Sprechende Kopf“: Wie hätte Kroeber diesen Bluff, diese Täuschung, diese 'Deformation' ...  präzise-einfach übersetzen sollen, auf den Eco abzielte – von den deformierten Damen und Dämchen auf Jahrmarktsplätzen?

Ach, ja: natürlich: nein, ich durfte nicht rein in die bekloppten Buden, wenn ich mit meinen Brüdern auf den Tingeltangel durfte, bis "sechs Uhr" (so war unsere elterliche Maßregel). Dann war Abendbrotzeit, zu Hause.