Mittwoch, 22. Februar 2023

Ein L i n d e n b a u m ... stand vor unserem Vater*Mutter-Haus:

 

> Ein feines Bildchen von Ernst Kahl: Eine Sau, wie sie auf unserem Pannofen auf Stroh liegen und die Ferkel säugen und pissen&koten konnte. - Dank Herrn Kahl für seine Cartoons.>


                         Auf der Sonntagswiese; wo Stute Alma und ihr 

Fohlen Aufstellung nahmen, und zwei Bruder darauf reiten. pardon: sitzen konnten.[Dann hatten sie und ihr Fohlen Freizeit.]  

 

 

 

>> Nee, das ist keinerlei Linde; aber anderswo, auf einem Foto, ich steh mit meinem Bruder einmal vor dem Haus, der roh-roten Backsteinwand der Fassade; hoch über und dem zweigeschossigen Haus: wölbt sich die Linde <alles vesrloren: Baum. Hof, Linde > Heimat ...>.

 

Vor meinem Vaterhaus stand eine alte Linde,


eine wirklich dicke und hohe Linde. (Aber sie steht nicht mehr. Abgebrochen  als der Bauernhof abgebrochen wurde; ohne Not!)

Der Krieg hatte an ihr genagt: ein großes Loch seitlich, von einer Granate gerissen, hatte den Stamm in einer Tiefe von 30/40 cm angefressen. Die Rinde wuchs Jahr für Jahr seitlich herum wulstartig weiter, konnte aber dieses Loch nie umwachsen. Aus diesem Loch holten wir im Auftrag der Mutter vermodertes Baummehl als Blumenerde heraus.

Zurückblickend kann ich den Umfang nicht mehr genau beschreiben, aber wohl vier Kinderarmpaare, ausgestreckt, konnten sie kaum umfangen. Auch über die Höhe kann ich leider nur spekulieren, aber sie war bestimmt höher als zwanzig Meter, also noch nicht einmal ausgewachsen für ihre Art. Sie beschützte unser Bauernhaus mit ihrem sommerlichen Schatten bis in die Zimmerfenster des ersten Stockwerks, ihre Zweige reichten weit übers Dach. Im Winter heulte der Wind im Baum so hohl, daß er die Kinder vor dem Einschlafen noch erschaudern ließ. Vom Sturm herabgeschlagene Äste wurden regelmäßig eingesammelt fürs Brennholz.

Im Sommer, Mitte/Ende Juni, war für zwei Wochen ein einziges summend-betörendes Geräusch tagelang um unser Haus hören. Es war die süßlich duftende Blütezeit mit der Sammeltätigkeit der Bienen, die so fleißig waren, daß wir als Kinder kaum mal einen Bienenstich abbekamen, und nur dann, wenn wir die Immen störten.

Ein Bild, das nach dem Krieg ein umherziehender Maler von dem Bauernhof in Öl pinselte, zeigte die Vorderfront mit der sie bergend überschattenden Linde. Leider weiß niemand mehr aus unserer Familie, wo dieses Bild abgeblieben ist.

Heute denke ich, es wäre interessant gewesen, wenn mein Vater Imker gewesen wäre; aber wir kriegten den Honig für den Winter von einem Heideimker aus unserer Nachbarschaft. Ob jemals dieser Imker bei uns auf dem Bauernhof Bienenkästen aufgestellt hat - ich weiß es nicht. Wahrscheinlich lohnte es sich nicht: eine Linde - für eine Blütezeit von zwei Wochen!

Es war eine großblättrige Sommerlinde, nicht die kleinblättrige Winterlinde, mit schwärzlich-rissiger Borke und dunkelgrüner Blattoberseite und mit großer, runder, dichter Krone auf recht kurzem Stamm. Für uns auf dem Bauernhof waren solche botanischen Unterscheidungen allerdings nicht wichtig. Wir kannten nur unsere Art Linde, mit schiefen, herzförmigen Blättern mit der unteren, weichhaarigen Seite.

In der Blütenzeit wurden die zungenförmigen Blütenblätter, die eigentlich den pfefferkorngroßen Früchten als Segelhilfe dienen, abgerupft und auf kleinen Darren getrocknet: für die Winterzeit als Lindenblütentee aufgehoben, der uns bei Erkältungen ins Schwitzen brachte.

Die Linde schlug jedes Jahr auch in der Griffhöhe von uns Kindern Triebe aus, die schnell verholzten und zu kleinen Ästen sich verdickten; sie waren für unsere Kletterei die Tritt gebenden Haltepunkte, auch wenn wir es nicht bis oben schafften.

Ach, die Erinnerung an die Lindenschwärmer: fahlgraue, kräftig braun und zackig gezeichnete Schmetterlinge, die sich in der Evolution gut an die brüchige Struktur der Rinde angepaßt haben und deren Raupen Lindenblätter brauchen. An die fingerdicken, grünen, langsam kriechenden, 6 bis 7 cm großen Raupen erinnere ich mich auch deshalb, weil ein Onkel für seine Schmetterlingssammlung die kriechenden Exemplare in kleine, durch Löcher gut gelüftete Zigarrenschachteln legte, bis die Verpuppung und die Metamorphose zum Schmetterling abgeschossen war.

Neben alten, dicken Kastanien mit großen Elsternestern in den Wipfeln war die Linde der älteste Baum auf dem Gelände einer früheren Ziegelei; daher der Name des Hofes: Pannenhof.


Weil wir früh, ich war erst in der 7. Klasse der Volksschule, also erst 13 Jahre, den Bauernhof verlassen haben, habe ich nie in der Linde richtig geklettert; es war mir verboten, was die älteren Brüder im Spiel untereinader mit den Großen schon durften: auch beim Fangenspielen hoch in den Baum zu klettern.

Da ich später in meiner Jungenzeit richtige, schwierige Kletterbäume gesucht habe, an die ich mich heute noch mit ein wenig Schaudern erinnere, (denn manchmal geschah es, daß man sich verkletterte und nach einer Pause des Mutschöpfens sich wieder an den Abstieg wagte), denke ich ein wenig traurig an diese Hoflinde: Ich weiß nicht, wie weit der Blick hätte schweifen können, wenn ich sie einmal bestiegen hätte und von den noch festen Außenästen die nähere Umgebung hätte betrachten können: Eine kleine Siedlung mit eingschossigen Häusern der Stadt zu und noch vier frei stehenden Bauerngehöften in der Ferne vor dem grünen Hintergrund des Kalbecker Waldes.

Heute kenne ich keine vergleichbar große, hohe Linde in den Wäldern meiner jetzigen Umgebung oder vor den Bauernhäusern im Münsterland.


Der Baum, meine Linde, muß, ob wegen der großen Wunde im Außenholz, weiß ich nicht, abgesägt worden sein; oder auch nur weil die ganze Gegend zum Bauland umgewandelt wurde und heute dort Einfamilienreihenhäuser stehen, mit einer kleinen Sandkuhle und dem Standard-Spielplatzangebot: Schaukel, Sandkasten und einer Kletterbrücke.

Der Ort meiner Kindheit ist nur in meinen Erinnerungen aufgehoben, als halbwilde Freizeit, gelegentlich unterbrochen von Ordnungs-, Arbeits- oder Essensrufen der Mutter und Vater, eine Zeit, in der es anscheinend nur sonnige Sommertage gab: Eltern und Kinder auf den Feldern draußen oder mit der Fuhre Getreidegarben auf dem Heimweg in die Scheune.


Als ich kürzlich meiner Mutter von meiner Linden-Beschreibung erzählte, fiel ihr spontan ein wenig erfreulicher Umstand: In der Blütezeit sei der Baum eine Quelle großer Sauerei gewesen: Der Blütenstaub, kräftig gelb, hätte immer die Scheiben der Frontfenster versaut; da hieß es kräftig putzen, um den Durchblick zu halten. Der Querschnitt des Stammes sei bestimmt größer als einszwanzig Meter gewesen.

Auf dem gesamten Gelände des früheren Bauernhofes, einschließlich der Äcker und Wiesen fand ich nur noch einen Baum aus meiner Kinderzeit wieder: eine recht stämmige, hoch aufgeschossene Zitterpappel, die früher mit zwei anderen Exemplaren unseren Ententeich überragten. Als Kind hatte ich in der Nachkriegszeit noch erlebt, wie ein Holzschuhmacher mit meinem Vater die zwei Bäume fällte, um aus dem weichen, leichten Holz "Klompen" zu schneiden.

Vom Schauplatz meiner wilden und freien Kindheit mit durchaus gefährlichen Kletterspielen ist nur diese eine Pappel stehen geblieben, in die ich nicht mehr klettern konnte, weil die ersten tragfähigen Äste in vier Meter Höhe ansetzen.

Nach meiner unfachmännischen Schätzung muß unsere Holflinde etwa 150, vielleicht 180 Jahre alt gewesen sein.

Bei diesem Besuch in meiner Heimat bin ich zu der mir bekannten, nächsten großen Linde gefahren, einem monumentalen Baum, aber bestimmt zwanzig Jahre jünger als unsere Hoflinde; zwei Erwachsene können sich heute gut ringsum die Hände reichen.

All das andere Gelände, bestimmt zehn Morgen Land: fein säuberlich abgezirkelte, gepflegte Vorgärten vor den Eigenheimen und einem größeren Terrassenbau, Zufahrten und Stichstraßen, mit dem einen erwähnten Kinderspielplatz, der keinen Geschmack mehr von meiner Kindheit aufkommen ließ.

Als kleine, ästhetische Hilfe für die Erinnerung habe ich mir Lindenbaum-Gedichte herausgesucht. Ein kleiner Ersatz, wird doch in diesen Liedern häufig von Wehmut und zart-herben Stimmungen ges prochen.


 

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Nein, einen Gingko ... gab es dort nicht. < Wäre Luxus gewesen; an natürlichen Hilfsmitteln hatten wir Kamille. Lorbeer. Heidelbeeren. Kornfliegen. Fenchel.

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