Sonntag, 12. Februar 2023

Aus K o r t h u s e n er Tagen: ... w a s von L i e b e

Reden über einen Abituraufsatz über ein modernes Gedicht, das von der Liebe spricht



Allgemeines Gerenne auf den Fluren. In der Lehrerzimmertür staut es sich.

"Sagen Sie mal, Frau Koch, ich hab gestern nur erst in zwei Arbeiten reingeschnüffelt. Eine ganz Sensible, die Annette, die kenn ich aus der Mittelstufe, spricht vom KZ. Ein Drittel ihrer Arbeit macht das aus."

"Ja, vom 'Lager' in der Zeile 7 als einem Konzentrationslager."

"Und beschreibt, als sähe sie das Blut, gezeichnet vom Stacheldraht der Ideologie! Vertreten durch einen Gestapohenker."

"Ja, die kann solche Assoziationen ziehen, das ist ja manchmal nötig im modernen Gedicht. Wie sollen Schüler sonst durch das Gestrüpp der Metaphernquälereien durchkommen?"

"Aber das Lager ist doch das Bei-Lager des Paares: das lyrische Ich an seine Geliebte -oder das weibliche Ich an ihren Geliebten. Das Lager, von dem sie berichtet, das da unter der Linde, 'da unser zweier bette was, da mugget ir vinden'-"

"Wie? Man muß doch mal auch was Modernes geben können! Der Text ist doch schon eine Perle der klassischen Moderne. Und die Bachmann nicht nur tot, sondern sozusagen geadelt, auch von Reich-Ranicki, das weiß ich zufällig!"

"Aber wie ist so ein Schmuckstein gefaßt, gedanklich, in seinen Bezügen zum Psycho-Ich und dem Partner und erst intentional? - Ja, ein Liebesgedicht! Eine Elegie, rot wie Blut. Besser von Blut!"

"Was? Ja, ja: 'Dunkles zu sagen', zentrale Metapher! Hermeneutik der Hermetik, wie? Das wär ja nun zu viel verlangt von Schülern! Die sind ja noch nciht erwachsen. Was haben die denn schon mitgekriegt von Liebe. Die sehnsüchteln ja noch. Die Mädchen. Die Jungs helfen sich mit Alkohol. Aber die Mädchen, die schreiben noch immer schöne Gedichte und verstehen auch ein anderes weibliches Ich, das sich ihnen eröffnet."

"Aber haben Sie denn nicht mit den Schülern die Unterscheidung eines Liebes- von einem politischen Gedicht geübt? - Und die Liebesklage? Des Orpheus nach dem Tod seiner Eurydike? Und sein Gang in die Unterwelt? Nicht im Unterricht behandelt?"

"Ich hab das doch in einer Fußnote angegeben, als Mythos. Was wollen sie eigentlich?"

"Ja, das schafft man moderne PCs mit dem kleinen Finger.

Also, kein Orpheus? Was dann?"

"So zwischen Tür und Angel kann ich mich nicht über ein Lebensschicksal unterhalten!"

"Wessen Lebensschicksal? Der Bachmann? Oder der Schülerin? Muß ich Ihnen das alles schriftlich auftischen bei der Korrektur? Ich finde es übrigens von den andern Fächern her üblich, daß Sie mir den ganzen Summs, der für die Genehmigung zum RP gegangen ist, zur Kenntnis bringen."

Die Kollegin ist schon enteilt, in eine Springstunde, die sie alleine in der Bibliothek verbringen will.


Und noch ein gedachtes P.S., nachdem die Frau die Tür zuschlagen hat: Ich hab nachgekuckt: 1953 veröffentlicht. Unter biographischem Anspekt, äh, Aspekt, kann man das Gedicht als Klage auf Max Frisch lesen.


Ort und Thema des gestörten Dialogs:

Vor einer Tür in einem Gymnasium. Eine Lehrerin und ein Kollege, gelernte Germanisten, die sich über eine Abiturarbeit einer Schülerin im Leistunskurs an einem Gymnasium in Westfalen, äh:  in Korthusen, unterhalten, deren Bewertung sie gemeinsam zu erarbeiten haben.


Ingeborg Bachmann:

Dunkles zu sagen


Wie Orpheus spiel ich

auf den Saiten des Lebens den Tod

und in die Schönheit der Erde

und deiner Augen, die den Himmel verwalten,

weiß ich nur Dunkles zu sagen.


Vergiß nicht, daß auch du, plötzlich,

an jenem Morgen, als dein Lager

noch naß war von Tau und die Nelke

an deinem Herzen schlief,

den dunklen Fluß sahst,

der an dir vorbeizog.


Die Saite des Schweigens

gespannt auf die Welle von Blut,

griff in dein tönendes Herz.

Verwandelt ward deine Locke

ins Schattenhaar der Nacht,

der Finsternis schwarze Flocken

beschneiten dein Antlitz.


Und ich gehör dir nicht zu.

Beide klagen wir nun.


Aber wie Orpheus weiß ich

auf der Seite des Todes das Leben,

und mir blaut

dein für immer geschlossenes Augen.

(I.B.: Die gestundete Zeit. Zuerst 1953. S. 13)



 

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