Dienstag, 6. Juni 2023

Über R a l f R o t h m a n n

 Aha-anton-Logie  # I V

 

  < lllustration des Suhrkamp-Verlagsprospekts >

 

Dezidiert Ralf   R o t h m a n n:


Ralf Rothmann:  Zuspruch

Baum für Baum

entziffere die Schrift.

Äpfel duften

am schönsten nachts.

Komm zur ruhe,

sei Gebet.

Reinige den Tempel

mit einem Lächeln.

(1998; auf: Lektüre zwischen den Jahren. Träume sind wahr. Ausgewählt von Rainer Weiss. Frankfurt/M. 1998:Suhrkamp Verlag. S. 150)

Zum Autor: Geb. 1953, hat sich der junge Autor sich schon einen Namen in der deutschen Gegenwartsliteratur gemacht. Seine Gedichte, bisher in der Ausgabe „haben es mir angetan. Sie sind zärtlich, sie sind nahrhaft, sie sind Auf-Gabe.

*

Ralf Rothmann:

Beschreibung einer Rauchfahne (Kaddisch)


Vor dir liegen die Trümmer deines Glückes,

die verblichene Erinnerung an alle,

deren Herz der Tod verwundet hat.

Hinter dir der Chor der Blumen.

Komm zu mir, mein Freund,

komm aus der Asche ins Licht, in die Talkshow.

Zwischen Preisträgern und Präsidenten

erklären wir uns die geschlossenen Augen,

das gebrochene Herz deines Lieblings.

Vor dir liegen die Trümmer deines Glückes,

Reden am Sonntag, Dichter, denen Gold sagt,

was du leidest, und die den Baum des Lebens schütteln.

Jedes Wort gewogen.

Komm aus den Streifen, den Striemen,

komm ans Buffet, mein Freund, wo Sakkos klingeln

und die Lieben in seliger Verklärung weilen,

Frieden senden den Sorgenbeladenen

und den trauernden Töchtern und Söhnen Brot.

Nimm einen Wein oder zwei, nimm Austern

für Auschwitz, laß dir deinen Schmerz erklären

und unseren dazu, das Gas vor laufender Kamera.

Ein neuer Redner wettert, vermißt das Entsetzen,

und hinter ihm der Chor der Blumen, kleine weiße Kehlen

aus Licht: Geschlechter blühen und vergehen. Blühen

und vergehen. Jede Zeile trägt sich selbst.

Nur du stehst in der Asche, mein Freund, und schüttelst

den Baum des Todes. Nur du bleibst im Schatten

dieses Gedichts, und deine Hand fährt über die Stirn,

die geschlossenen Augen des Lieblings - sanft

wie Wind, wie ein Hauch

über Asche.

 Für Samuel und Markéta Rothmann

(Aus: Ralf Rothmann: Gebet in Ruinen. Gedichte. Frankfurt 2000. S. 63)


Zum Autor, zum Text:

Ein Gedächtnisgebet in jüdischer Tradition. Der junge deutsche Dichter (geb. 1953) ist bekannt geworden durch sensibel Gedichte, Erzählungen und Romane. Ich vermute, dass Rothmann jüdische Verwandte oder Freunde im lyrischen Gebet - stellvertretend als Repräsentant der jungen Generation - adoptiert hat.

Für jüdische Mitbürger kontrastiert er deren Leben und Sterben (im fabrikmäßig betriebenen Mord durch die NS-Schergen) mit unseren heutigen Erlebnissen in den Medien. Rothmann bietet sein Gedicht als versöhnliche Geste an.


Doch, heute zu Neuem:

Neues, Fundmentales von Rothmann: 

 Thworie des Regens: (2023)

 

*

Text-Gabe:

Wo Rothman mit „Kollegen/s/“ zusamamensitzt, und die ihn mobben, weil er seinen (einen) Lieblingsautor Hermann H e s s e benennt.(Theorie des Rens. S. 41)



Und wenn er ihnen einen kleinen Hesse-Text entgegen gehalten hätte, passend zum Wein:


Gegengabe: Gedichtgabe:


Hermann Hesse:

Beim Wein



Zuweilen freut es mich, still und allein
In kühler Stube ruhevoll zu zechen,
Mit einem alten, liebgewordenen Wein
Ein gutes, treues Freundschaftswort zu sprechen.

Dann wünsch ich hoffend mir die Zeit herbei,
Da mir und meiner Pilgerfahrt auf Erden
Doch noch einmal, ob's auch in Schmerzen sei,
Der reinen Reife Tage kommen werden.

Dann aber sei ein Freund mit auch beschert
Der meines Lebens überfüllten Becher
Mit dankbar schonendem Genusse ehrt,
Dem reifen Wein ein ebenbürtiger Zecher.
(Hermann Hesse, 1877-1962,

P.S.: Ähnlich könnte auch Lichtenbergs treusorgender Aphorismus wirken:

Der Wein wächst nur gut unter dem Schutz eines sanften Himmels, und ähnliche Seelen müssen diejenigen haben, die ihn am besten trinken.“




 

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