Donnerstag, 22. Juni 2023

Mein B e G r ü b - nis

AStR 

M e i n  B e g r ü b n i s - etiam   A u f e r s t e h u n g  - 'Den Reinen ist alles rein.' – Titus 1,15. Griechisch: «Πάντα μὲν καθαρὰ τοῖς καθαροῖς»



Dreimal tot

 


 


Hinter der Hand – mit allen Lichtern, äh: Büchern


Nee, geweint – richtig feste, hab ich nicht!

Aber ein dreimaliger Tod? Den Angehörigen das erzählen? Da denke ich doch wieder nur an mich.

Dreimal gestorben. Nein, nicht mich umgebracht. Ich war immer an der Grenze da im Nirgendwo. Nein, keine Kübler-Ross-Brimborium. Einfach, still, leise, warm,

Ja, dreimal tot! Ganz einfach, so. In zwei Stunden… -Nein, keine Absicht, kein Suizid. Kein Freitod. Nix davon. Nix davor mit Schlimmheit, mit Entsetzen, mit Nachdenken. Einfach nur voll zufrieden: Ja, es ist richtig: tot. Ich verabschiede mich nicht. Ich bin einfach eben mal weg. – Ja, blöd, wie! Und das dreimal!

Ja, in der Herz-Klinik war alles okay gewesen. Der Operateur und das Team hatten alles richtig gemacht

Den Zimmerbezug, das „Einrichten“ (worauf? Wofür?) Auf der Station sich umsehen. Den Koffer aber gepackt lassen. Nur das für eine Nacht. Wo man am Ende der Nacht, irgendwie da am neuen Tag. Vielleicht erst gegen Mittag. Als zweite Operation in einem der fünf OP.s. Is' egal. Das hat sein eigenes Tempo! Also noch auf der Station. Sich wundern über den Riesenbildschirm vor meinem Bett. Auf einem Einzelzimmer. Was ich ganich wollte. Na, eben als Privatpatient.

Alles wie auf Wolken, der Morgen, ein bisschen Besuch. Sich wundern übers Bad. War ich da gestern gar nicht drin? (Doch, sagt die Schwester. Aber Sie waren schon ruhig gestellt. Und wir haben auf Sie aufgepasst. Alles klar.)


Irgendein stundenlanges Rollen auf den Fluren, dann „Ab!“ mit dem Fahrstuhl. Der Steiger nur mit dem Rücken mir zugewandt. Kein Flüstern. Wir kommen an. Ich werde umgebetet. Ich bin schon high gespritzt. Ich winke. Da, die Tür zum OP. Ob das stimmt? Nix weiß ich mehr!


Erstes Aufwachen. Dämmerig, alles hier. Ich fühl eine Wärmdecke im Bücken, äh: Rücken. Ich wird betatscht, bewacht, da wird abgelesen. Alles. Ich erklär mir das später: Automatisches ablesen von Blutdruck, EKG, EEG. Is da noch was an mir – was auf einen Bildschirm übertragen wird? Ach, ja, ein Blasenkatheter. – Aber, alles, alles nur … von später.

Wo ich jetzt bin, das weiß ich wohl, Aber, so klein, so komisches Laufen vor mir, rechts an meinem Ablageort vorbei? Ach: Wachstation. Aufwachstation! Flüstern. Da wird ein, wer nur – neben mir, der sitzt da stundenlang. Nicht mir zugewandt. Der antwortete manchmal. Manchmal frage er nach. Ob er da nicht verstanden hat.

Das dauert. Ich ärgere mich. Warum redet keiner mit mir. Warum ist das so dunkel. Wollen die nix von mir wissen? Ich bin doch wach. Aber darf ich das gar nicht sein? Wo tut’s denn weh. Im Kopp. Nein, im Herzen. Da is keiner für mich. Ich bin wohlig. Meine Sinne schwinden. Ich verabschiede mich: Ich stell mir das vor (das habe ich geübt. Bevor ich hierher gefahren. Gestern Abend, ich, ich, ich hab allen meinem Lieben „Gute Nacht!“ zugeflüstert. Alles vorbereitet! Und der Typ neben mir. Ich erkenn noch was Komisches in seinem Nacken. Egal!): Ja, ich kann alle in ovalen leuchtend hellen Spiegeln erkennen: Frau. Nein, zuerst die Kinder: T. 38 J.; Kathrin 40 J. – Dann die Enkelkinder – und die Schwiegerkinder? Habe ich die vergessen? – Ja, aber meine Frau (im Bild, auf dem sie am jüngsten aussieht; sie weiß, was ich meine). – Dann erlosch das Licht in den Porträts. Und ich fühlte mich tot werden. Schluss. Nix mehr!


Aber ich wurde wach. Wie, weiß ich nicht. So wie ich tot war, war ich wach. Nur anders! Da musste aufpassen. Ja, der Typ neben mir. Ich erkannte ihn an seinem hochgebundenen Schwänzchen im Nacken. Der hat alles richtig gemacht. Aber das wusste ich noch nicht.

Da wird es hell. Eine Fackel? Ein Licht? Ja, ein Strahl: punktgenau auf ein Gesicht gerichtet. Der fragt mich mit einem Mund, den ich nicht sehe: Erkennen Sie mich?“ „Ja!“, sag ich, habe was zu sagen. „Sie sind der Chirurg. Herr Hasik!“ „Und Sie sind-?“ Ja, der erwartet was von mir. Den Namen, den kann ich immer sagen – solange ich nicht tot bin: Anton R…“ „Und welches Datum haben wir heute?“ „Den 23. Juli!“ „Ja, ich werde jetzt Ihre Frau anrufen. Alles in Ordnung. Alles gut!“ (Ja, die Nummer nach RE - das war vorbereitet worden. Und sie war in einem Hotel. Und wartete auf den Anruf. Amen! Und würde in einer Stunde am Krankenbett sein. Ewigamen!)

Jetzt ist das Tränen in meinen Augen gestillt. Jetzt. Beim Schreiben. Gestillte Tränen? Getrocknete! Die bleiben lang spürbar.


Nein, ich habe nicht an diesen Rilke gedacht. Ich kannte ihn immer. Ich kann ihn auswendig. Aber an das Gedichtchen gedacht, nein, nicht bei der Vorbereitung auf den Operationstermin, auf mein mögliches Ende; nein, ich habe nicht in dieser Nacht von 11 bis halb vier, nein, nicht an diesen Text gedacht:


Das zweite Erwachen. Mir ging es blöd. Mir wurde übel. An mir wurde rumgefummelt. Da lief alles ab. Die Schwester vor mir huschte auch mal zu links nebenan, ein Vorhang der Zelle. „Und da habt ihr jetzt das Brüderchen auf dem Hals?“ „Meine Schwester – der kann ich das doch nicht ab - mit dem Köter – schlagen.“

Aha. Da brauche ich nicht mehr hinhören. Privates. Rechts, in einem dunklen Gang, da läuft es beständig hin und her. Da huscht es! Als müssten da laufend Notfälle bearbeitet werden. Oder die Vorhölle. Mein Aufauf!-Wachpersonal lässt sich da nicht erschüttern.

Wo ich die Hände hatte, beim Beten? Und wie? Weiß nicht. Wohl wie als Kind. Da beteten wir noch auf den Stühlen aufgestützt, in der Küche. Wenn am Tisch, am Herd, am Schrank alles klar gemacht war von Mutter und den drei Schwestern. Kniend, betend, den Rosenkranz, im Rosenkranzmonat. Ja, dass hab ich einmal mitgemacht. Dann wurde es aufgegeben. Da wurde gemeutert! Und keiner zwang uns. Jedenfalls Mutter nicht. Und da war Rosenkranzbeten durch.

Beten? Ja, das hatte ich mir auch vorgenommen, sozusagen zum letzten Stündlein. Also: Wie früher am Tisch, mittags und abends: 1x „Vaterunser“, 1 x „Gegrüßet seiest du, Maria“. Volles Programm. Und ich scheiterte schon frühzeitig: „Gebenedeit unter den Weibern“. Mensch, kannste das nicht umstellen. Im Kopp! Das heißt schon lange was mit Frauen …. – ich schlafe wieder ein.


Und die dritte Wand im Dunkel, im Weichen. – Nein, Goldiges gab es nicht. Ich war bereit. Ich betete, ich bettete mich ins Drüben.

Wie hab ich’s gemacht. Hab ich’s vergessen? Ich will es nicht mehr nachmachen. Wenn nötig. Warum muss ich da solang überlegen?

Es war so kalt. Und mein Körper rebellierte, da wo Bauch und sonstwas sein muss. Hilfe! Ich muss ko- -brechen!

Da wird mir eine Schale gereicht, blinkendes Weißnicht mehr. Alles, was flüssig ist im Körper. Hinaus. Jemand sagt. Okay. Kein Blut im Auswurf. Is gut! Bringt ihn! Das klang beruhigend. Säubern. Ich wache auf: sauber. Mit einem Engelshemdchen. Es ist hell geworden. Bi ich mein, gott, drüber? Ja, ich bin wieder oben. Irgenzwo zwischen Dunkel und Kälte und Du-hast-nix-zu-sagen. Jetzt will ich auch nicht mehr sprechen. Irgenzwo brummt es. Im Kopp. Noch!

Aber, ich hab mich doch drei Mal verschenkt! Was, wie, wo war das?

Na, erinnere dich. Es kann ja kein Albtraum sein!

Also mein Totenbüchlein, dritter Teil. Ich ging, irgenzwie, stapfte War da ein Stock. Nein, ich verwechsele was. Was ist mein liebstes Totenbild. Nu, ein Totenkreuz für einen Soldaten, einen jüdischen, auf dem riesigen Totenfeld der Kriegsgräberei. Im Klever Grenzgebiet. Mit den zweimonatigen irren Kämpfen im Reichswald. Ja, da stand auch SS. Sitzend, stehend, brüllend, verbrennend , sterbend, skelett-gegrippig geröstet in den –gewaltigen Stahltigern, den Kolossen, die so schwer waren, dass sie dort im Matschgebiet versanken, sich drehend und knarrend reinbuddelten in die schwer-schwarze Heimaterde:


Ja, den Rilke, das GeDicht wusste ich nicht mehr, keiner fragte mich, ich mich auch nicht. Alles lebte und wollte sterben.

Alles leuchtete mir auf der Ebene des Selbstverständlich-Existenziellen auf.


Später eingefügt:

Rainer Maria Rilke:

Schlussstück

Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.

(1906 geschrieben. Vor den Massentötungen im 1. Weltkrieg.)


Dreimal tot – und drei Mal wieder aufgewacht. Wer hat mich aufgeweckt?

Okay. Ein Begräbnis ist kein Begrübnis. So lebe ich noch, lebe - während ich tippe, mich erinnere, weiter tippe. Amen!

Ja, fünf Mal irgendwie wahn-tot, für Sekunden, als ich nicht mehr wusste, wo ich war. Z.B. im Zimmer, nachdem ich den Unsinn in der unterirdischen Aufwachstation überstanden hatte.


D r e i M a l tot, betroffen von postoperativen Wahnvorstellungen. Schon gleich das erste Mal, Ich schaffte es gerade, mit Hilfe einer Rechnereingabe über einen optimal-übergroßen Bildschirm die Vorhänge verschieben zu lassen. Sogar das Fenster zu öffnen. Die Raumtemperatur rauf- oder runterzubihmen (na schön: -beamen) schaffte ich noch nicht. Immer zurück auf MENÜ, wenn was klemmt. Da erfasste mich, bei geöffnetem Fenster ein irres Knirschen, ein rostig-eiserner Kreischen. Ich erschrak. Ich wusste nicht mehr, wo ich war,. Ich rotierte. Ich war nicht mehr bei mir.

Da setzte die Vernunft wieder ein: Das Schreiknirschen kennst du. Denk doch nach. Nein. Da seh ich es draußen, es dämmert schon, Viertel nach Neun. Da fährt das fürchterliche Geräusch. Ein altes Moped. Wie ich es kenne vom Nachbarn. Das Moped hemmt ein wenig. Da muss einer wieder langsam Gas geben. Das war in den Fünfzigern. Okay, ein altes, ganz altes Zündapp-Mopedchen. Der Mann hat Mühe, weiterzufahren. Jetzt klingt es vertrauter. Opa Jansen auf seinem Renner! Ich kenne es. Ich kannte es. Es hat mich umgehauen. Weil ich es Jahrzehnte nicht mehr gehört hatte. Aber ich war einen Moment wie tot.

Und das hab ich mir geschworen. Das erzähl ich weiter.


Der dritte Tod? Please wait a minute, Mr. Grim Reaper!


Das muss noch her: Erinnerte ich mich an meinen dritten Tod. Aber jetzt - beim Tippen -ich muss vorerst von Mascha Kaléko erzählen, die mit einem Todes-, ja, sogar einem Sterbegedicht bei mir war, das ich Wochen vor meiner Operation las und jeden Abend bedachte:


Mascha Kaléko - "Letztes Lied".

Ich werde fortgehn, Kind. Doch du sollst leben

und heiter sein. In meinem jungen Herzen

brannte das goldne Licht. Das hab ich dir gegeben,

und nun verlöschen meine Abendkerzen."


Das Fest ist aus, der Geigenton verklungen,

Gesprochen ist das allerletzte Wort.

Bald schweigt auch sie, die dieses Lied gesungen.

Sing du es weiter, Kind, denn ich muß fort.


Den Becher trank ich leer, in raschem Zug

Und weiß, wer davon kostete, muß sterben ...

Du aber, Kind, sollst nur das Leuchten erben

Und all den Segen, den es in sich trug:


Mir war das Leben wie ein Wunderbaum,

Von dem in Sommernächten Psalmen tönen.

- Nun sind die Tage wie geträumter Traum;

Und alle meine Nächte, alle - Tränen.


Ich war so froh. Mein Herz war so bereit.

Und Gott war gut. Nun nimmt er alle Gaben.

In deiner Seele, Kind, kommt einst die Zeit,

Soll, was ich nicht gelebt, Erfüllung haben.


Ich werde still sein; doch mein Lied geht weiter.

Gib du ihm deinen klaren, reinen Ton.

Du sei ein großer Mann, mein kleiner Sohn.

Ich bin so müde - aber du sei heiter.

Mascha Kalékos "Letztes Lied". In: M. K: Die paar leuchtenden Jahre. Hrsg. Gisela Zoch-Westphal. München: dtv 13149, Seite 123f.- In: M.K.: Sämtliche Werke und Briefe. 2012. S. 654f.)

Aber wahr ist, dass ich keinen Sterbebegleiter hatte: Ich habe mich selber dazu erhoben: mich als Sprecher, als Sterbebegleiter – und als Kind und als Zu-VerSterbender imaginiert. Voll alle Perspektiven.

Also, ich ging in einen schwarzen, leeren, leichten Raum. Ich konnte ihn lange nicht ausmachen in meiner Realität. Aber es war der Zugang zum Wohnraum in meinem Elternhaus, ja, dem wenig luxuriösen Bauernhaus. Es war, dass ich vor dem Wohnzimmer stand, dessen Tür alltags immer offen stand – nur nicht zur Weihnachtszeit, wenn dort was angerichtet wurde, was glänzen und aufleuchten sollte. Vor der Tür stand ich nun – und betrat den Raum nicht. Nein, ich wollte da stehn bleiben. Nichweiter! – Ich erwachte, ob dass mein Kopf die Zeitdauer nicht beschreiben könnte.


Ich war wach. Und die behandelnde Ärztin wollte bei mir einen Schlaganfall diagnostiziert haben…

Aber ich wusste, ich bin fit. Lasst mich raus aus der Hölle!


Hallo?

Hallo, Leser?

Wie gesagt: Dreimal tot. Und dreimal aufgewacht!

Gezz bist du dran!

Erzähl mal.

?? Nein! Nein, Angst habe ich nicht gehabt. Das war so beruhigend, dass es mich (später) beunruhigte.

Von meiner Enkelin gehört: „Das darfst du nicht vergessen. Sonst läufst du bald so verschusselt rum wie Oma Bodden.“

Aber beim dritten Mal , da ich im dunklen Gang stand. Vielleicht war ich da schon zu Hause. Wo ich meist das Licht im Flürchen nicht anknipse und mich in den Gang nach rechts ins Schlafzimmer begebe. Schrittweis.

Ich werde schrittweis gehn. Als Leich’. (Woher habe ich die Zeile?)

Zum Schlafen.

Und Aufwachen.

nd keine Zweifel. Dass ich Abschied nehmen … durfte. Und konnte.

fast ganz dunkel, ein paar Lichtfetzen (Sonnenstrahlen am Abend?) Aber viel weiß ich ja nicht.

Ja, ich hab mit-geweint. Mit dem Bauch, mit der Brust, aber da tat’s wieder weh. Da zieht’s furchtbar im Brustkasten. Ja, okay, das Sternum, das noch nicht angewachsen ist. Das braucht fünf Monate. (Da weiß ich von „nachher“!) Und ich musste erst aufpassen, bei jedem Lachen, bei jedem Hüsterchen. Jeder unmittelbaren Bewegung – ja, ich l e b e -


 

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