Freitag, 12. Januar 2024

Ein notwendiges GeDicht über den 'Holocaust'

 


Als Erinnerung an den Pfarrer Hermann Josef Coenen, der den Niederrhein verließ - und in Marl/Westfalen seine letzte Lebenszeit verbrachte - und an sein - mir liebstes - GeDicht: "Holocaust" genannt: 


>Erinnerung an meinen Niederrhein>

 


 

Hermann Josef Coenen:

HOLOCAUST

 

Im dunklen Kinderzimmer stehe ich, sechs Jahre alt,

auf der Fensterbank und schaue nach draußen.

Es ist Nacht. Unten auf der Straße

Rufe, Geklirr von Glas, Leute mit Pechfackeln.

Die großen Schaufenster des Bekleidungsgeschäftes

schräg gegenüber sind zertrümmert. Schaufensterpuppen

liegen zerbrochen auf der Straße. Ich habe Angst

und frage Mutter, die hinter mir steht: Was ist das?

Sie sagt: Sei still, sonst holen sie uns auch!

Kristallnacht. 9. November 1938.

 

Drei Jahre später. Herbst 1941.

Wir sitzen im Wohnzimmer.

Früher Abend, aber schon dunkel.

Da klopft jemand hinten ans Fenster.

Rosal, die alte Jüdin von gegenüber,

muß durch das Gartentörchen gekommen sein,

damit niemand sie sieht. Unter ihrem gestrickten

Schultertuch zieht sie zwei Messingleuchter hervor,

ihre SabbatLeuchter.

»Frau Doktor, könne Se uns ebbes Geld dafür gebe?

Wir müsse weg. Morge geht der Transport. Nach Osten.«

Die beiden Leuchter stehen auf meiner Truhe.

»Höre, Israel ... «

 

Meine dritte Erinnerung, wohl im selben Jahr:

Zu drei Jungen liegen wir hinter einer Hecke

am Judenfriedhof. Der letzte Jude aus Kalkar

wird beerdigt. Sechs Männer tragen den Sarg.

Einer der sechs ist mein Vater.

Von irgendwem weiß ich: Der Rabbi

ist aus Wesel gekommen. Noch heute

hör ich im Ohr den Satz des alten Rabbiners:

»Wer wird mit meiner Leiche gehn?«

(H.J.C.: Dann stehst du am Ufer. Anstiftungen zum Glauben. S. 58)


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen