Sonntag, 10. September 2023

Bärbel-Chen trifft ihren Lehrer - Dr. Spieker < b e i m Abi-Jux wieder >


 

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e-nEnes # 09 


- eine Fall-G e s c h i c h t e - 


Dr. Spieker und Bärbel-Chen



Da bin ich wieder, Herr Spieker!


So steht sie vor mir. Plötzlich. Strahlend. „Hesj“, sag ich nur, äh: verlegen!“ Ganz die alte Bärbel. Hat sie vor zwei Jahren -oder waren es drei? Hat die Schule noch nicht vergessen, dachte ich, zuerst. Aber ihr Lächeln, ein wenig schief. Schräg, ihr Mund - so nah ist sie ihrem Lehrer nie gewesen - entläßt den blitzenden Zähnen: „Herr Spieker. Herr Spieker! Da bin ich wieder. Mein Arzt sagt mir -“ - Sie verstummt. „Ich sollte machl wieder hin, Äh, zur Schule! (Halblaut: „Zu -Ihnen!“

*

Abifete! Das läßt den Unterricht unnötig werden. Die Cliquen der 13er Stufe sind zu Hochform aufgelaufen. Das Lehrerzimmer - ein Sandstrand vom Feinsten, von der Tür bis zu den Fenstern: Snd wie vom Nordseestrand (äh: von Königs-Kies; der Vater vom Toni König hat organsiert. Mit seinen Maurern. Dafür müssen sie die Nacht durch fleißig geschleppt und geschüppt und geschickt arrangiert haben. Wieviel Kubikmeter, Quarzsand wohl? Kein Halterner Sandberg, nein, Honolulu-Sternsand oder so etwas. Garantiert goldene Sonne, silberner Sand und süßes Strandleben als Erholung vom Dienst. Äh, wer/VERA hat sih das erträumt?

In einer Ecke eine Strandtoilette, mit Blumenkränzen behängt. Strohblumen umbunden mit Bambusstauden &/ Haferköpfen Und die Volleyball-AG als Hulamädchen! Alle in gelbblauen Bikinis, in Stadt- und Strandfarben. Das Aprilwetter bleibt draußen vor. Hier schwimmt der Bär, Und diei Robben. In Plastik. Hier sonnt sich die Bärin. Hier und heute, äh, es brummt. Die Sonnenschirme flunkern im Coca-Cola-Rot. Die Lehrer grienen, sind unsicher, geb'n sich sieges/gewiss, was mit Victoria: was sie noch erwartet.

Der Hausmeister wird von seiner Frau abgelöst, geschäftig: seine Nachtschicht hat lange gedauert. Er wurde auf den Schultern der Südsee-Sheriffs in die Wohnung hochgetragen, einen Hula-Hoop-Reifen um die Speckhüften.

Feldberg, unser Schulhofsdjango, hat einen neuen Groß-Stern und Plastiksporen überreicht bekommen, mit den besten Grüßen von Billy The Kid. Sein Pferd ist entsorgt. Er hat sich für zwölf Uhr mittags angemeldet: großes abschließendes Duell um die Lufthoheit auf dem Schulasphalt. Mit auf den aufgepinsetten lustigen Kreisen; auch sie mit Sand überstreut -

Angeschleppte Flaschen „Boentes Kiepenkerl-Korn“ werden von einer Eingreiftruppe beschlagnahmt. Alles klappt ...

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Da kommt Bärbel auf mich zu. Sie lächelt ein wenig schief. Die hat daoch mal den Feuerreiter psychoanylytisch interpretiert: mit Fetzen, äh: AusDrücken von Psychologie her: Es. Aggression. Bewusstsein. Ich. Über-Ich. Äch: auch: Unterbewusstsein. Alle waren baff! - Eine, äh: Greta, die - vorlaut, sagte: Wer hat dir da geholfen – Vorbewusstsein. Von deinem Vater her, der mit einem Pferd ->- Möcht-musste ich zurecht weisen die kleine Dame. - Sie stand auf vom Pult -weg. Unten, vom Fenser, sah ich sie davon radeln. Am Mogen meldete sie iher Mutter. Mit einem Vermerk für mich [weiß die Sekreärin: Sie hätte ihren Vadder umbringen wollen. - Äh - wie? Mit einem Anspitzer. - Wie das? Sie hatte gerade -  zufällig - das Messcerechen , ja, vom Anspitzer rausgeschraubt. Und drohte damit dem Vadder. -Wie? - Ihn zu ermorden! -Was erzählen sSe da-?] Sie hätten sie am Sonntag in die LWS-Klinik Unter-Lippe gebracht. Sie, hej, spricht mich an: spricht mit ihrer Unnerlippe: Dr. Schewening. Sie tritt weg von mir, halb hingerotzt: Jeden seine Seide! - Hej, waaaas heisst das, Bärbel-Chen? Wegggggi st sie in den Toiletten für Schülerinen (Der Rechtschreibfehler war korrigiert; wurde immer wieder unstrichen.)

Und desn Text kontte sie: Wre qutascht da, mir ins Ohr: "Stand sie bei ihrem Buhlen süß;
Auf der Türbank und im dunkeln Golf./ Ward ihnen keine Stunde zu lang ...

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Auf dem Schulhof und unter dem Pausendach läuft der Spielzirkus: Animation mit Hawaianerinnen. Frau Bauer übt Bauchtanz, tapfer. Auf der Treppe schmettert Dr. Wüllner "What a wonderful world", playback-synchron. Dann: "Don’t worry! Be -"Ob er durch die Hulamädchen stimuliert wurde, kann offen bleiben. Sie hoppst, sie tanzt, ihr Schmuck tanzt mit, ihr Busen tanzt mit, glucksend, klingelnd. Monsieur Derben grinst. Und wird fotografiert.

So nah war ich ihr noch nie, als ich Bärbel herankommen sehe. Da steht sie und öffnet ihren roten Mund.

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Der Direx sonnt sich in seiner Liberalität. Bei und unter ihm gerät jede Abifete zu einem Erlebnis für Tische, Stühle, Fußbodenboden und Kleider und Klamotten und den Flaschen in Kästchen. Der Stellvertreter läßt die Tür seines Dienstzimmers einen Spalt offen, aus Gewohnheit, aus Toleranz, aucs Kulanz. Bei dem Krach kann er seine Statistik nicht vollenden.

Frau Beißner schlürft an der Theke vor dem Kartenzimmer ihren Lieblingslikör. „Das ist ja eine Überraschung, so bewirtet zu werden! Wieviel haben Sie denn da im Vorrat?“

Der Koordinator der Erprobungsstufe hat sich von seiner Verwaltungsarbeit fortlocken lassen und läßt sich seinen Spitznamen auf den rechten Unterarm tätowieren, irgendwie. Mit Tinte? Nein, Dummkopf, Henna!. „Ich mach ja jeden Gag mit! Aber aufpassen! Das ist mein Schreibarm!“ „Sonst geht’s ab in die Pension!“

Ein ziemlich echter Elvis Presley, an den Koteletten mangelt’s, tritt vor der Aulatür auf: „Killing me softly...“. Dann darf die Bude gestürmt werden. Und Red Castle donnert ihre Hausmarke ab. Der zweite Stock ist gesperrt, dort hausen noch die Monster für einen Vulkanausbruch.

Bernd freut sich, auch seine Haut lacht. Er vergißt seine Neurodermitis. Man sieht den Terminator sich unterhalten mit Fräulein Bungert (Bio und Chemie; pensionsgefährdeter Jahrgang. Ihr Alt verstärkt, lustbetont, jede Chorübung). „Fehlt noch der Gladiator!“ höre ich im Vorübergehn. “Der ist schon wieder in irgendeinem Amphitheater!“ „Wo?“ „Im Zirkus Maximus!“ Frau Steinhardt, die Referendarin, gibt sich butterweich. Läßt sich verführen von Cäsar. Herr Kempkes ist zu Hause geblieben. Er hat wohl zu korrigieren und sich um acht Uhr anrufen lassen vom Sekretariat: „Hier tobt die 13! Sie können zu Hause bleiben!“

Dr. Wollny erzählt seiner Lieblingsschülerin zum dritten Mal vom “Brunnen der Erde“, vom „Haus des Wassermannes“, vom „Grausamen“ und vom „Heiligen Meer“. Vom See, der keinen Fehler verzeiht. „Ja, der Baikal! Östlich Irkutsk, da - Wo das ist? In Sibirien, du Neugiersnase!“ „Ja, Geo abgewählt!“ „Solange dort die Süßwasserrobben gut drauf sind, geht es dem Baikal auch gut!“

Minka wird seit halb acht gestreichelt, herumgeschleppt und gestreßt, bis sie sich freikratzt. Häppy Meyer trägt heute seinen Beuys-Hut nicht. Er könnte zweckentfremdet werden. Und renovieren, das wär ja umkrempeln, das darf man ihn nicht. Die Klingel versucht, gegen die gute Laune anzustimmen. Des Hausmeisters Lumpi, offiziell Einstein gerufen, bekommt Babypuschen angezogen. Da hat er was zu zerreißen.

Die Sonne hat Frau Beißner und Herrn Kösters an ein Gangfenster gelockt. „Die Schüler bringen ja auch von Jahr zu Jahr weniger!“ „Ja, von Tag zu Tag, kann man da nur sagen! Ideenlos!“

Kempkes ist stehengeblieben und hat zugehört. „Was haben denn die von Ihrem Jahrgang, Frau, äh, Beißner, vor sechs Jahren auf die Beine gestellt? Äh? Wissen Sie noch? Nix, gar nix! Damals gab’s nur Umzüge, durch alle Klassen. Der Unterricht wird gestört! Das hier haben sich die Schüler selber erarbeitet, die haben eine Tradition an der Schule begründet. Und die leisten mehr, als Sie wahrnehmen!“

Die versteinerten Lehrmeister der schola senex erstarren nochmals, drehen sich dann um und halten ihr Netz des Klatsches in den Sonnenschein.

*

Birgit flüstert mir zu: „Meine Schwester, die Bärbel, kennen Sie doch noch? Die wollte heute auch kommen. Manchmal geht es ihr aber nicht gut.“

Herr Spieker: Da bin ich! Bin ich psychotisch? Die Ärzte halten mich für psychotisch. Was ist das bloß?“

Ich weiß nichts zu entgegnen. Darf ich sagen: Das glaub’ ich nicht?

Einer in Herne behandelt mich mit seiner ‘erprobten’ Aversionstherapie -„

Mich macht er das?“

Anschreien, rumfuchteln, beleidigen. Einfach blöd! Und er droht immer, mir ins Gesicht zu schlagen! Manche Frauen verlangten danach? Das ist doch Unsinn, Herr Spieker, oder?“

Sie steht so nahe vor mir, Ich nehme sie in den Arm. „Bärbel! Was ist denn aus dir geworden!“

Lachend sagt sie: Ich mußte die Assistentenausbildung aufgeben! - Ich weiß nicht mehr!“ Sie senkt ihren rabenschwarzen, schulterlangen Schopf. Sie weint, ihre Schultern schluchzen mit. Sie kann mir nicht ins Gesicht kucken.

Stimmt das, was ich von Hertha gehört hab?“

Sie pustet ihre Haare vom Mund, lächelt wieder schief. „Sie wissen es? - Mit dem Zeugs? -„

Ich lass sie warten.

Ja, verdammt, die Reisen nach Amsterdam.“

Nicht nur zum van-Gogh-Museum.“

"Wohin denn sonst? - He?"

Was hej? - Klär mich doch auf!“







> L e h r e r, verzeifelt >

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