Samstag, 28. Januar 2023

Im BeTreff : Thomas B e r n h a r d

 

Fragment &Arisches über Th. B e r n h a r d :

 



LITERArISCHe  S T I M M ung E N



Thomas Bernhard: Hamsun


Nahe Oslo haben wir einen etwa sechzig­jährigen Mann kennengelernt, der uns noch mehr über jenes Altersheim berich­tete, als wir schon aus Hamsuns Aufzeich­nungen über sein letztes Jahr kannten, weil er genau zu jener Zeit in dem Altersheim beschäftigt gewesen war, in welcher auch der größte norwegische Schriftsteller dort existierte. Der Mann war uns schon län­gere Zeit durch seine Schweigsamkeit in jenem am Freitagabend naturgemäß lauten Gasthaus nahe Oslo aufgefallen, in wel­chem wir mehrere Tage übernachteten. Nachdem wir an seinem Tisch Platz ge­nommen und uns vorgestellt hatten, erfuhren wir, daß der Mann ursprünglich Philo­sophiestudent und zu Studienzwecken unter anderem vier Jahre in Göttingen gewesen war. Wir hatten ihn für einen norwegischen Schiffskapitän gehalten und waren an seinen Tisch gekommen, um noch mehr über die Seefahrt zu hören, nicht über Philosophie, vor welcher wir ja aus Mitteleuropa nach Norden geflohen waren. Der Mann hatte uns aber mit Philo 

sophie in Ruhe gelassen und gesagt, daß er die Philosophie tatsächlich über Nacht aufgegeben und sich mit siebenundzwan­zig Jahren der Altersfürsorge zur Ver­fügung gestellt habe. Er bereue seinen Ent­schluß nicht. Gleich seine erste Aufgabe sei es gewesen, einem alten Mann aus dem Bett zu helf en und ihm sein Bett zu machen und wieder in sein Bett zu legen. Dieser alte Mann sei Hamsun gewesen. Er habe Hamsun viele Monate lang tagtäglich in den hinter dem Altersheim gelegenen Gar­ten geführt und ihm jene Bleistifte im Dorf gekauft, mit welchen Hamsun sein letztes Buch geschrieben habe. Er sei der erste gewesen, der den toten Hamsun ge­sehen habe. Damals sei ihm naturgemäß noch nicht klar gewesen, wer Hamsun, dem er das Leintuch über das tote Gesicht gezogen habe, gewesen sei. Aus: T. B.: Der Stimmenimitator. 1978. S. 7f.)

*  ~   *

Versus: Thomas Bernhard


Ein Schlittschuhfahrer, ein Fummler, ein zeilenschindender Nörgler, ein Verzapfer syllogistischen Platitüdensalats, ein mottenkranker Unentjungferter, ein schlüpfriger Winkeladvokat, ein Salzburger Korinthen kackender Schmähsabberer, ein Prahlhans, der alles besser kann als die anderen ... ein ungehobelter Bär, der sich selbst mit seinen Schrullen zugrunderichtet, da er stets dieselben Pfotenhiebe austeilt, mit immer derselben dicken, schwe­ren, dickköpfigen, niederländischen Bauernlümmelpfote, dieselben Hiebe nach immer denselben Hirngespinsten, dem Land seiner Geburt und dessen Patrioten, den Nazis und den Sozialisten, den Theatermachern, allen anderen Schriftstellern und mit Vorliebe den guten, genauso nach den Kritikern, die seine Bücher beweihräu­cherten oder verrissen, ja, ein armseliger, selbstverliebter Don Quichote, dieser elende, alles verratende Wiener.

Hervé Guibert (ohne Quellenangabe in: Dichter beschimpfen Dichter. Hrsg. v. Jörg Drews. Leipzig. 1994. S. 15) - Hier gibt es schemenhafte Auskünfte: https://de.wikipedia.org/wiki/Herv%C3%A9_Guibert

*  ~   *

MitteilSammLer B e n d e r ;

Hans Bender:

Eindringlich der kurze Bericht auf der ersten Seite in Thomas Bernhards Prosaband: "Der Stimmenimitator". In Oslo ist Bernhard einem sechzigjährigen ehemaligen Krankenpfleger begegnet. Früher hat er im Altersheim nahe Oslo einen Greis betreut, ihn zu Bett gebracht, in den Garten geführt.' ihm Bleistifte besorgt im nahen Dorf und zuletzt da, Leichentuch über das tote Gesicht gezogen. Erst hinterher hat er erfahren, wer dieser Greis war: Knut Hamsun.

Auch das bezeugt diese Prosa: Viele andere Schriftsteller rei­sen nach Oslo und anderswohin, aber kein alter Mann begeg­net ihnen und gibt ihnen einen so hintergründigen Bericht. Bernhard zwang solche Begegnungen herbei. Es war seine zusätzliche Begabung. Ja. er war versessen darauf, Menschen kennenzulernen, die ihm etwas mitteilten über das Leben und Sterben.

*  ~   *

Hans Bender:

Thomas Bernhard habe ich gekannt, als er noch jung, nicht so berühmt und abweisend war wie in der zweiten Lebens­hälfte. In einem Hotel-Restaurant in Regensburg saßen wir uns gegenüber beim Mittagessen. Wir löffelten eben die Suppe, als Bernhard einhielt, zur Decke und zur Stuckro­sette, die uns überspannte, aufschaute und zu schildern be­gann, was er befürchtete: Sie könne abbrechen, Brocken des Stucks in unsere Teller fallen, die Suppe werde überschülpen und uns, die Stadt, ja, die ganze Welt ertränken! War's nur ein Scherz? Eine Aufforderung.. einzugehen auf seine apoka­lyptische Schilderung? Ich versuchte es, doch meine Zweifel wollten meine Phantasie nicht so entzünden wie seine. War das Quantum der Suppe nicht viel zu gering, um eine Sint­flut, wie Bernhard sie beschwor, zu verursachen? Ich. der Realist. Er, der Visionär.

*  ~   *

>>> Da gönn ich Ihnen - und mir - eine schönere Erinnerung an Hamsum:


Noch eine schönere Erinnerung an Hamsun - von Astrid Lindgren:

Das Schlüsselerlebnis meiner Jugend war Knut Hamsun.

Ich erinnere mich noch an einen Frühlingstag in den zwanziger Jahren, als ich oben vor der Engelbrektskirche unter einem blühenden Faulbaum saß und Hunger las, ein größeres Leseerlebnis habe ich wohl nie gehabt. Ich war jung und einsam und sehr arm, ich war erst vor kurzem aus Provinz gekommen und kannte niemanden in Stockholm. Die Alltage im Büro waren ja erträglich, aber meine Sonntage waren einsam und trist. Sie konnte ich nur mit Hilfe von Büchern überstehen. [ ... ]

Alles mischte sich zu einem einzigen intensiven Glücksgefühl über das Buch und die Zusammengehörigkeit mit dem jungen Hamsun und allen anderen, die in den Städten der Welt hungerten. Wie zum Beispiel ich selber, na ja, na ja, mein Hunger war wohl nicht annähernd so bitter wie der von Hamsun, der da drüben in Kristiania an einem Holzspan kaute. Hier in Stockholm war es nur so, dass man sich nie richtig satt fühlte. Aber das, reichte, um sich mit dem jungen Narren in Kristiania zu identifizieren - und man stelle sich vor dass er ein so wahnsinnig lustiges Buch über den Hunger schreiben konnte!

(Expressens Leseextra, November 1974; aus: A. L.: Steine auf dem Küchenbord. Hamburg 2000. S. 28)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen