Montag, 16. Januar 2023

Ein wenig Kafkaeskes für einen Freund

V e r / g e b l i c h e    B      i   e   f    e      # 6

 

Gaesdonck Licht für die Kerzenkapelle in Kevelaer - 

noch immer transzendental, statt kommmunikativ gesichert -




Hej, lieber N.:

wir traffen uns mal in K.; und konnten ein bisschen den Parkplatzwärter narren (man hätte darauf eine kafkeske Parabel schreiben können; vielleicht tue ich es noch ...); die HauptBlickRichTunG(en) waren aber auf gemeinsame Jahre auf G. pfleglich gerichtet... - die richtige Bedrohung (wer ist wieder geschasst, wer wurde geext, wer hätte consilium abeundi verpasst geKriegt ...), die ich allezeit, in veritate & pro Deo et Domino Baumeisteri ... mori; es war eine tägliche Bedrohng pro tempore, die man für seine eigene, kleine Zukunft aushalten und in Vor-VorSicht behaupten musste; das hatte System, das musste man aushalten (vielleicht für die geistliche Berufe) können. Das war VorAusSetzung des täglichen ÜberLebens. Wer das nicht spürte - hatte glänzende Qualifiaktion(en) für MitLäuferTum,

Dilige fortunam: Christianos ad leonem. Aut: Christianus nullius est hostis. Aut: Christo auspice regno. -

Deine, lieber N., brutalen Erlebnisse zu Nikolaus 1958 im Juvenat waren dafür ein leuchtendes Beipiel - von heilig-leuchtender NonnenScheinHaftigkeit. -

Erinnerst Du Dich noch ein Kafka-Erlebnis, in einer Klassenarbeit  (UII), als wir die Story von FK interpretieren sollten, von einem Exempel, mit glühender Kohle (die natürlich dem Zeitgenossen fehlte, weil der eilige Kohlenhänder sie nicht verkaufen wollte: „Der Kübelreiter“ (1921); vielleicht hast Du ein anderes Thema genommen; ohne dass wir vorbereitet waren für dies modere Literatur. Ich fand meine Arbeit ganz gelungen; ich spürte der gleichhaftigen Wärme-Mataphorik im Text nach: heiß und kalt; aber die Note war nur befriegend.

aber vielleicht bist Du in Deinem Leben (… Psychologie) gar nicht mehr mit Kafka in Berührung gekommen. Für mich sind einigie Kafka-Texte protypisch berauschend (für das 20. Jh. und meine personale Bildung) geworden.

Und wenn Du ewas Spass hättest mit dem komischen Odradek hättest; würde ich mich freuen.


Kafka:

Odradek (zuerst 1917)


Die einen sagen, das Wort Odradek stamme aus dem Slawischen und sie suchen auf Grund dessen die Bildung des Wortes nachzuweisen. Andere wieder meinen, es stamme aus dem Deutschen, vom Slawischen sei es nur beeinflußt. Die Unsicherheit beider Deutungen aber läßt wohl mit Recht darauf schließen, daß keine zutrifft, zumal man auch mit keiner von ihnen einen Sinn des Wortes finden kann.

Natürlich würde sich niemand mit solchen Studien beschäftigen, wenn es nicht wirklich ein Wesen gäbe, das Odradek heißt. Es sieht zunächst aus wie eine flache sternartige Zwirnspule, und tatsächlich scheint es auch mit Zwirn bezogen; allerdings dürften es nur abgerissene, alte aneinander geknotete, aber auch ineinander verfitzte Zwirnstücke von verschiedenster Art und Farbe sein. Es ist aber nicht nur eine Spule, sondern aus der Mitte des Sternes kommt ein kleines Querstäbchen hervor und an dieses Stäbchen fügt sich dann im rechten Winkel noch eines. Mit Hilfe dieses letzteren Stäbchens auf der einen Seite, und einer der [5b] Ausstrahlungen des Sternes auf der anderen Seite, kann das Ganze wie auf zwei Beinen aufrecht stehen.

Man wäre versucht zu glauben, dieses Gebilde hätte früher irgendeine zweckmäßige Form gehabt und jetzt sei es nur zerbrochen. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein; wenigstens findet sich kein Anzeichen dafür; nirgends sind Ansätze oder Bruchstellen zu sehen, die auf etwas derartiges hinweisen würden; das Ganze erscheint zwar sinnlos, aber in seiner Art abgeschlossen. Näheres läßt sich übrigens nicht darüber sagen, da Odradek außerordentlich beweglich und nicht zu fangen ist.

Er hält sich abwechselnd auf dem Dachboden, in Treppenhaus, auf den Gängen, im Flur auf. Manchmal ist er monatelang nicht zu sehen; da ist er wohl in andere Häuser übersiedelt; doch kehrt er dann unweigerlich wieder in unser Haus zurück. Manchmal, wenn man aus der Tür tritt und er lehnt gerade unten am Treppengeländer, hat man Lust, ihn anzusprechen. Natürlich stellt man an ihn keine schwierigen Fragen, sondern behandelt ihn - schon seine Winzigkeit verführt dazu - wie ein Kind. „Wie heißt du denn?“ fragt man ihn. „Odradek“, sagt er. „Und wo wohnst du?“ „Unbestimmter Wohnsitz“, sagt er und lacht; es ist aber nur ein Lachen, wie man es ohne Lungen hervorbringen kann. Es klingt etwa so, wie das Rascheln in gefallenen Blättern. Damit ist die Unterhaltung meist zu Ende. Uebrigens sind selbst diese Antworten nicht immer zu erhalten; oft ist er lange stumm, wie das Holz, das er zu sein scheint.

Vergeblich frage ich mich, was mit ihm geschehen wird. Kann er denn sterben? Alles, was stirbt, hat vorher eine Art Ziel, eine Art Tätigkeit gehabt und daran hat es sich zerrieben; das trifft bei Odradek nicht zu. Sollte er also einstmals etwa noch vor den Füßen meiner Kinder und Kindeskinder mit nachschleifendem Zwirnsfaden die Treppe hinunterkollern? Er schadet ja offenbar niemandem; aber die Vorstellung, daß er mich auch noch überleben sollte, ist mir eine fast schmerzliche.


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Zum Odradek, dem Räselwort, gibt es Notizen in dere Wikipedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Odradek


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