Freitag, 10. Mai 2024

Kleine - f e i n e - D i c h t u n g e n :



Cartoon aus "Erker ..." _ von 'VerSTand'.


 Zehra Cirak und Jürgen Walter

Mit ausgesuchten Worten

Eine Rede und eine Wendung

ein sich Winden im Fehl

nichts fehlerfrei sprachspüren

erst sagen dann machen oder

nichts verraten von den Fehlern

erst falschsagen dann richtigmachen

oder nichts machen und viel sagen

Sprachrechte im Rechtsprech wie

Fehlersprech dem Sprachfehler Redeversprech

Rechtsagung

Lüge

sprichwörtlich wahr Gesagtes im Redeverbot

auch bei Sprachstörung anzuwendendes Sprachlabor

Spruchkammer im Rederaum wenn Sprücheklopfer

Sprechzellen sprengen mit

Lüge

redelustige Redekunst auch sprachgewaltig

und Sprachpfleger im Rausreden

sich Freispruch für Freispruch absagen

lügende Sprechblasen

endlich sprachlos

Opferworte Tätersprache

im Sprechzwang der Redelust der Redeschlacht

Lüge

über Gott und die Welt über Tod und Teufel

mit ausgesuchten Worten

verzeihlich auch wenn

sprachfehlerfrei

vom Gehirn zur Lippe zum Ohr

*

http://www.spielboden.at/poesie/autoren/2004/cirak_walter.html

*

Karoline von Günderrode (1780 - 1806): Schriftstellerin und Freundin

Der Luftschiffer

Gefahren bin ich im schwankenden Kahne
Auf dem blaulichen Ozeane,
Der die leuchtenden Sterne umfließt,
Habe die himmlischen Mächte begrüßt.
War in ihrer Betrachtung versunken,
Habe den ewigen Äther getrunken,
Habe dem Irdischen ganz mich entwandt,
Droben die Schriften der Sterne erkannt
Und in ihrem Kreisen und Drehen
Bildlich den heiligen Rhythmus gesehen,
Der gewaltig auch jeglichen Klang
Reißt zu des Wohllauts wogendem Drang.

Aber ach! es ziehet mich hernieder,

Nebel überschleiert meinen Blick,
Und der Erde Grenzen seh' ich wieder,
Wolken treiben mich zurück.
Wehe! Das Gesetz der Schwere
Es behauptet nur sein Recht,
Keiner darf sich ihm entziehen
Von dem irdischen Geschlecht.

Karoline von Günderrode

**

Dichtungen? Inzwischen wird ja Robert Gernhardt schon bei Gelegenheit von Marcel Reich-Ranicki gelobt, je älter und tratschiger er wird (Ei, was und wie? WER wird älter? Beide...?)

Es gibt viele kritische, kluge Humoristen in der deutschen Literatur (nicht nur H. Heine oder W. Busch; und je wichtiger sie waren, waren sie nicht nur "Humoristen", sondern auch Zeitzeugen. Heute dieses Beispiel von F.G., der die Zeit der Könige und Fürsten und Fürstbischöfe noch erlebte:

Franz Grillparzer: P o l i t i k

Ich sah ein . . . . . . Gassenbuben,

Wie kaum entschlüpft aus des ............ Stuben,

Die warfen sich mit Ballen von ...........

Und lachten, tat's einem im Fallen weh.


Sie waren mit Ekelnamen nicht .........

Und streckten die Zunge aus ihrem Maul.

"Ei", dacht ich in meinem Sinne, "ei -

Und so was duldet die Polizei?"


Da gewahrt' ich Go... in ihren Haaren

Und sah erst, daß es Kö.......... waren.

(Die Wörter sind leicht zu ergänzen; die vollständige Version setze ich morgen ins Netz.)

Franz Grillparzer: Politik

Ich sah einen Rudel Gassenbuben,

Wie kaum entschlüpft aus des Lehrers Stuben,

Die warfen sich mit Ballen von Schnee

Und lachten, tats einem im Fallen weh.

Sie waren mit Ekelnamen nicht faul

Und streckten die Zunge aus ihrem Maul.

»Ei«, dacht ich in meinem Sinne, »ei,

Und so was duldet die Polizei?«

Da gewahrt ich Gold in ihren Haaren

Und sah erst, daß es Könige waren.

[Grillparzer: Gedichte, S. 694. Die digitale Bibliothek der deutschen Lyrik, S. 23689 (vgl. Grillparzer-SW 1, S. 359)]

Poesie - Erkenntnis und Phantasie - Hier der Titel

Ein

poetischer

Mix......


Ein Sammelsurium für Assoziationen und Spaß und Nachdenken -

zusammengestellt von

ANT - STE - REY -

Vor der Theorie - ein bißchen Praxis:

Setzen Sie einmal folgende Buchstaben neu zusammen, oder schneiden Sie sie mal aus:

---------

N E S E C U K A L H I G N R


-------------------------------------------------

Na, wie heißt ein mögliches Wort aus diesen Kombinationen?

RECKLINGHAUSEN - RECKLINGHAUSEN -

Ein bißchen Theorie:

Guten Tag. Darf ich Ihnen was Besonderes anbieten? Ein Stück Deutsch - nein, eher ein Humorunterricht....(Falls man den pädagogisch verpacken kann....) Eher so: Ich biete Ihnen einen Appetizer.

Sagen wir es lieber auf Deutsch: einige Appetithappen, also kleine Kostbarkeiten, um abzulenken, um aufzutanken, um nachzudenken (auf eine abwechslungsreiche Art) - um Spaß und Erkenntnis zu erleben, auf eine neue Art:



Dichtung, die Spaß macht - und Erkennntis. Denn jedes Wort, jeden Satz, jede Strophen und erst recht den Gesamttext, den man oder frau - sagen wir einfach: mensch - sich selbst erarbeitet, konstruiert sich den Inhalt und die Struktur. Und Sie können überprüfen, ob Sie richtig lagen in Ihrem Konstruktionsversuch.

Gute Gedichte lassen fast keine andere als die richtige, vom Dichter geschaffene Form und Abfolge zu. Dies macht jede Umstell- oder Ersetzungsprobe deutlich.....


***


Von recht flatterhaften Tieren, denen wir, außer in Tierparks, nur noch im ländlichen Raum begegnen, von -eueu, da hätte ich mich fast verraten..... Und weil es ein reichlich verzwicktes, originelles Gedicht ist, sei, wenn sie es selber nicht schon gemerkt haben, der Autor verraten:

Text 1:


Theodor Fontane: Die Alten und die Jungen

Unverständlich sind uns die ............“

Wird von den Alten beständig ge...............;

.................. möchte ich’s damit halten:

..................... sind mir die Alten.“

Dieses am ..........................-Wollen

In allen Stücken und allen .............,

Dieses sich Unentbehrlich-Vermeinen

Samt ihrer „Augen stillem Weinen“,

Als wäre der Welt ein Weh getan -

Ach, ich kann es nicht versahn.

Ob unsre Jungen, in ihrem Erdreisten,

Wirklich was Besserers schaffen und leisten,

ob dem Parnasse sie näher gekommen

Oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen,

Ob sie, mit andern Neusitten-Verfechtern,

Die Menschheit bessern oder verschlechtern,

Ob sie Frieden sä’n oder Sturm entfachen,

Ob sie Himmel oder Hölle machen -

Eins läßt sie stehen auf siegreichem Grunde:

Sie haben den Tag, sie haben die Stunde;

Der Mohr kann gehen, neu Spiel hebt an,

Sie beherrschen die Szene, sie sind dran.

*

Lösung:

Theodor  F o n t a n e: 

Die Alten und die Jungen

Unverständlich sind uns die Jungen“

Wird von den Alten beständig gesungen;

Meinerseits möchte ich’s damit halten:

Unverständlich sind mir die Alten.“

Dieses am Ruderbleiben-Wollen

In allen Stücken und allen Rollen,

Dieses sich Unentbehrlich-Vermeinen

Samt ihrer „Augen stillem Weinen“,

Als wäre der Welt ein Weh getan -

Ach, ich kann es nicht versahn.

Ob unsre Jungen, in ihrem Erdreisten,

Wirklich was Besserers schaffen und leisten,

ob dem Parnasse sie näher gekommen

Oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen,

Ob sie, mit andern Neusitten-Verfechtern,

Die Menschheit bessern oder verschlechtern,

Ob sie Frieden sä’n oder Sturm entfachen,

Ob sie Himmel oder Hölle machen -

Eins läßt sie stehen auf siegreichem Grunde:

Sie haben den Tag, sie haben die Stunde;

Der Mohr kann gehen, neu Spiel hebt an,

Sie beherrschen die Szene, sie sind dran.

Text 2:

Heinz Erhardt

Eine ...... saß und stierte

auf dem Aste einer E.......

Ich stand drunter und be.........,

ob die ...... wohl entfleuche,

wenn ich itzt ein St.....chen nähme

und es ihr entgegenschleuder?

Dieses ......ich. Aber ...........,

sie saß da und flog nicht .............

Deshalb paßt auf sie die Z.........:

E................ mit W...........!

Ein Gedicht, das jeder Sprachliebhaber versteht, aber nicht ganz original abgedruckt...

Eule, ja! - Aber Weule und Zeule ? Sozusagen kleune Gemeunheuten? Nun, bei Heunz, pardon, Heinz Eulenhardt, ah, Erhardt muß man mit einigem Unsinn rechnen.

Nun gönnen Sie sich erst mal das Original. Und zwar laut. Besonders, wenn Kinder in der Nähe sind. Die haben das schnell raus: auswendig, mit Humor und gutem Gedächtnis.

Schnell noch einige Vierzeiler von Heinz Erhardt hinterhergejagt; er wird uns die Eile verzeihen. Worüber oder warum konnte er nicht so reimen, daß uns ein Lächeln sozusagen eingereimt bliebe. Diesmal noch ohne Lücke zum Nachdenken...


Text 3:

Z...........

Das Leben kommt auf alle F.....

aus einer Z...... .

Doch manchmal endet’s auch - bei St.............!-

in einer s...............

(Heinz Ehrhardt: Das große Heinz Ehrhardt-Buch. Goldmann TB6678) S. 274)


**

Das nächste Beispiel ist um einiges schwieriger. Es behandelt auch gar keinen Unsinn oder albernes Zeig, pardon, Zeug, sozusagen einiges vom Gegenteil. Auch wer das Wort „beten“ nicht mehr gerne in den Mund nimmt, mag mit dem Text einige Weilchen der Erkenntnis haben. Ich habe nämlich die Strophenabfolge verändert.... Und den Autor und den Titel weggelassen....

Text 3:

??

Ich habe gebetet. So nimm von der Sonne und geh.

Die Bäume werden belaubt sein.

Ich habe den Blüten gesagt, sie mögen dich schmücken.


Kommst du zum Strom, da wartet ein Fährmann.

Zur Nacht läutet sein Herz übers Wasser.

Sein Boot hat goldene Planken, das trägt dich.


Die Ufer werden bewohnt sein.

Ich habe den Menschen gesagt, sie mögen dich lieben.

Es wird dir einer begegnen, der hat mich gehört.


***


Text 4:


Steigern wir uns doch heute! Sie haben ja noch Zeit? Oder Lust und Zeit? Das nächste Gedicht, vom gedanklichen Inhalt her nicht leicht, betrifft Sie gar nicht, vom Alter her? Na, dann schenken sie es sich doch! Und nehmen es später vor, wenn Sie ein wenig älter und klüger geworden sind. Oder glauben sie auch, daß die grauen Zeilen, äh, Zellen, nach dem Scheitelpunkt um dreißig rapide abnehmen? Dann könnten Sie es sich doch zumuten?


Mascha Kaleko:

Träumer mittleren Alters


Wie einen doch der große Weltschmerz quälte,

Als man so etwa zwanzig Jahre zählte!

Nun wird man niemals wieder zwanzig sein.

Oft ist in mir ein seltsames Bedauern:

Daß ich nicht traurig bin, das macht mich trauern

Und hüllt mich in die alte Wolke ein.


Soll man die Wohlgeratenen beneiden,

Die kühl und praktisch nie an Weltschmerz leiden,

Weil ihre Herzen längst gestorben sind?

Ach, der Gedanke schon läßt mich verzagen...

Mein Schicksal bleibt es, Träumen nachzujagen,

Ein hoffnungslos verlornes großes Kind.


***


Ein bißchen von der Liebe, ja, hübsch und gefällig? Da Sie sich gut damit auskennen, habe ich ein wenig an den Anfangsbuchstaben und den Verben eines Textes herumgebastelt. Der PC läßt so herrlich schnell Typen verschwinden...


Text 5:


Hier sei nur der Titel verraten: Der Kuß:


Text 4


Der Kuß


Es regnet, doch sie merkt es kaum,

wie noch ihr ..erz vor ..lück erzittert:

Im Kuß versank die ..elt im Traum.

Ihr ...leid ist naß und ganz zerknittert


und so verächtlich hochgeschoben,

als wären ihr ...nie für ...lle da.

Ein ..egentropfen, der zu nichts zerstoben,

der hat gesehn, ..as niemand sonst noch sah.


So tief hat sie noch nie gefühlt -

so sinnlos selig müssen ..iere sein!

Ihr ...aar ist wie zu einem ..eiligen ...ein zerwühlt -

.. aternen spinnen sich drin ein.

**

Und vom selben Dichter noch ein Gedicht. Ja, es hat eine ganz einfache Überschrift: „Gedicht“.

Nur mit den Blumen gibt es einige Mühe...

Text 6:


Blume ..nmut blüht so rot,

Blume ..uldvoll blaut daneben.

Blume ..nmut ist das Leben,

Blume ..uldvoll ist der Tod.


Süß und herbe ist das Leben,

herb die Lust und süß die Not.

Blume ..eben blüht so rot -

Blume ..od blüht blau daneben.


Gemeinsam das „..od“? Als ob es „oder“ heißen könnte. Nein, der Dichter, der so jung starb und uns das wichtigste Drama nach dem zweiten Weltkrieg hinterließ, wußte was Leben und Tod ....


***



Etwas für den Jahresablauf - als kleine Vorbereitung auf das letzte Silvester in diesem

Jahrhundert, ja, Jahrtausend?

Sie kennen sicherlich den Autor. Er ist Meister der kleinen Form, der hübsch boshaften Gedichte - und der kritisch-politischen Abrechnungen....


Folgendes Gedicht kennen Sie sicherlich. Es läßt sich häufig zitieren, sind wir doch alle Menschen - und arren, äh: irren uns häufig, äh, zuweilen



Text 7:


Irr................


Auch ............... haben ihren ............

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach ..............fährt,

entdeckt .................



Na, was haben Sie herausbekommen?

Ein Beispiel, gefällig:


Auch Augen haben ihren Sinn.

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach Fielmann läuft,

entdeckt der Preise Parada, äh, Paradies.


Gut, das reimt sich nicht korrekt. Also, ein anderes:


Auch Ausnahmen haben ihren Sinn.

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach Sinnhausen fährt,

entdeckt die Regel da.


Also, auf ein Neues?


Auch ............... haben ihren ............

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach ..............fährt,

entdeckt .................


Noch’n Text?


Auch Austern haben ihren Wert,

jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach St. Peter fährt,

entdeckt ‘ne Perle da.



Text 8

(die zweite Ausgabe):

Dann, also das Original-Gedicht, man nennt es auch ein Epigramm (Erklärung folgt später...):


Auch irrtümer haben ihren wert.

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach indien fährt,

entdeckt amerika.

*

Und bitte, in richtiger Schreibweise wiederholen (Ach, ja, was heisst "richtig"?:


.......................................................

.......................................................

.......................................................

.......................................................

.......................................................



Text 9:



Man soll das Jahr nicht mit Programmen

beladen wie ein krankes Pferd.

Wenn man es allzu sehr beschwert,

bricht es zu guter Letzt zusammen.


Je üppiger die Pläne blühen,

um so verzwickter wird die Tat.

Man nimmt sich vor, sich zu bemühen,

und schließlich hat man den Salat!


Es nützt nicht viel, sich rotzuschämen.

Es nützt nichts, und es schadet bloß,

sich tausend Dinge vorzunehmen.

Laßt das Programm! Und bessert euch drauflos!

***

Text 10:

Von einem Autor, der mir persönlich sehr gut gefällt, aber leider gar nicht so berühmt ist, wie der gute, weltberühmte Kästner:

Von Nehm, von Günter Nehm ist die Rede. Ich werde öfter einiges vom ihm einstreuen, denn seine poetischen Blumen ergeben einen eigenen Teppich....


Günter Nehm:


Jeder neue Tag beruht

auf der Drehung unsrer Erde.

Hurtig um die Sonnenglut

reist sie, daß ein Jahr draus werde.

Ein besonders Schlauer rief:

Seht die Achse des Planeten.

Zur Ekliptik steht sie schief.

Er schien wirklich sehr betreten.

Ist kein Nachteil, aber nein,

Tut nur gut in unsren Breiten.

Es bringt uns nur Schönes ein:

Nämlich die vier............


Natürlich; da fehlt: Jahreszeiten....!

Ist noch was? Sie vermissen den Titel? Was würden Sie vorschlagen? Ein tipp: Die Überschrift ist versteckt! Lesen Sie einmal die Anfangsbuchstaben von oben nach unten. Abgesehen vom Unterschied groß/klein ergibt sich? Na, sehen Sie! Alles klar in unsren Breiten mit den vier ........!



Gleich darauf ein

Rätselhafter Steckbrief - auch von Günter Nehm. Da wissen Sie schon, wenn er ein Akrostichon macht, dann stimmt’s auch - versprochen!


Text 11:

Günter Nehm:


Als ein Quell, uns zu verwöhnen,

ruft und lockt sie zart und bang.

Sanft erschallt in hellen Tönen

circenhaft ihr Jubelsang.

Hintergründiges Agieren

garantiert ihr Namen schon.

Etwas schwierig zu goutieren

ist ihr strenger Kammerton.

Gibt sich dieses Instrument

etwa deshalb oft dezent?


*

So steht es wirklich bei G. Nehm. Ich würde ja die letzte Zeile anders gesetzt haben: etwa deshalb so indezent?


Text 12:

Etwas aus der deutschen Geschichte...

Ein Autor aus dem alten Österreich, er war mit der Politik genauso wie mit der Erziehung flegelhafter Blagen vertraut (er war Hauslehrer gewesen)


Franz Grillparzer: Politik

Ich sah ein . . . . . . Gassenbuben,

Wie kaum entschlüpft aus des .............. Stuben,

Die warfen sich mit Ballen von ...............

Und lachten, tat's einem im Fallen weh.

Sie waren mit Ekelnamen nicht .........

Und streckten die Zunge aus ihrem Maul.

"Ei", dacht ich in meinem Sinne, "ei -

Und so was duldet die Polizei?"

Da gewahrt ich ............ in ihren Haaren

Und sah erst, daß es K............. waren.


Auflösung?


Franz Grillparzer (1791-1872)

Politik


Ich sah ein Rudel Gassenbuben,

Wie kaum entschlüpft aus des Lehrers Stuben,

Die warfen sich mit Ballen von Schnee

Und lachten, tat's einem im Fallen weh.

Sie waren mit Ekelnamen nicht faul

Und streckten die Zunge aus ihrem Maul.

"Ei", dacht ich in meinem Sinne, "ei,

Und so was duldet die Polizei?"

Da gewahrt ich Gold in ihren Haaren

Und sah erst, daß es Könige waren.



Aufgabe:

1. Erkläre die Handlung und erarbeite die

Charakterisierung der Personen!

(Wer kann hier als Ich-Erzähler gemeint sein?)


2. Deute die Parabel, indem Du die Symbolik der

Handlung überträgst!

(Erkläre den Gesamtzusammenhang, den Grillparzer

als "Politik" im Titel benannte!)


3.Analysiere die zwei letzten Zeilen


3.1. hinsichtlich der Wortarten,

3.2. der grundlegenden Satzteile,

3.3. hinsichtlich des Satzbaus!

3.4. Werte abschließend die grammatische Analyse

in einer Zusammenfassung aus und erkläre den Stil!


4. Beschreibe die Intention der gesamten Parabel!

5. Erörterung: Unsere Herrscher tragen heute keine

"Goldkronen" mehr - Hältst Du es trotzdem für

möglich, daß die Parabel auf die politischen

Verhältnisse in unserer Gesellschaft übertragen werden kann?


Haben sie Lust, ein bißchen Hausaufgaben zu erledigen, sozusagen mit links...:


Erklären Sie bitte die Handlung und erarbeiten Sie die Charakterisierung der Personen!

Wer kann hier als Ich-Erzähler gemeint sein?)

Deuten Sie die Parabel, indem Sie die Symbolik der

Handlung übertragen!

Erklären Sie den Gesamtzusammenhang, den der Dichter als "Politik" im Titel benannte!

Analysieren Sie die zwei letzten Zeilen

hinsichtlich der Wortarten,

der grundlegenden Satzteile,

hinsichtlich des Satzbaus!

Werten Sie abschließend die grammatische Analyse in einer Zusammenfassung aus und erklären sie den Stil!


Ein kleines Textchen - aber alle Zeilen sich umgestellt; keine steht an ihrer richtigen Stelle... -und den Titel hab ich erst mal weggelassen.


*


Text 12:

April


Der Frühling, der mein Herz bewegt;

Ich fühle, die sich hold bezeigen,

Die Geister aus der Erde steigen.

Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.

Das Leben fließet als ein Traum -

Das ist die Drossel, die da schlägt,


Ein hübsches Gedichtchen? Es ist auch sozusagen ein Gegenteil zum Silvester. Jedenfalls denkt jeder Mensch gerne, auch wenn er im Augenblick die Ferien im Schnee genießt, an das nächste Frühjahr, wetten?


Also, so lauteten die letzten zwei Zeilen - das schon als Übergang zum nächsten Gedicht:


Das Leben fließet als ein Traum -

Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.


**


Noch mehr vom Frühjahr? Also: Text 13 :


Günter Nehm:

Die neue Alte


Ein neues Schätzchen hab ich mir

im Frühling angelächelt.

Wie Nachbars Lumpi bin ich ihr

stets hinterhergehechelt.

So kam es, daß ich mich in sie

ganz fürchterlich verknallte.

Die Neue, die verlaß ich nie,

die wird mal meine Alte.


Und ist sie auch nicht mehr ganz neu,

hält sie doch viel von Treue

und gibt mir alles ohne scheu,

die gute alte Neue.

Wenn sie mit mir zum Gipfel strebt,

Lieb ich sie stets aufs Neue.

Solang die treue Alte lebt,

lebt auch die alte Treue.


*


Also, wie versprochen, was vom Träumen, was von den inneren, häufig verdrängten Bestrebungen....

Und was Sie diesmal überwinden müssen an Stolpersteinchen und Druckfehlern? Schnüffeln Sie mal ein wenig....

Drei Strophen, drei Möglichkeiten. Aber in den Strophen, da geht es hübsch manierlich zu, wie der Autor es gewollt hat: Hermann Hesse (1877 - 1962), einer der großen deutschen Dichter der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Aber für den Titel können sie eigene Gedanken machen.

Manchmal weiß man eben, was so ein Dichter sagen will.


Text 14:


?????


Meine Seele wird ein Baum

Und ein Tier und ein Wolkenweben.

Verwandelt und fremd kehrt sie zurück

Und fragt mich. Wie soll ich Antwort geben?


Manchmal, wenn ein Vogel ruft

Oder ein Wind geht in den Zweigen

Oder ein Hund bellt im fernsten Gehöft,

Dann muß ich lange lauschen und schweigen.


Meine Seele flieht zurück,

Bis wo vor tausend vergessenen Jahren

Der Vogel und der wehende Wind

Mir ähnlich und meine Brüder waren.


Wie bitte? Sehnsucht nach Ihrer Schulzeit?

Bitte, sehr, die Originalaufgaben aus einem Deutschkurs der Stufe 11 des Gymnasiums:


Thema: Vergleiche Sie beide Gedichte!


Bestimme Sie das Thema der beiden Texte!

Legen Sie für Ihre eigene Interpretation den Hesse-Text zugrunde und analysieren sie ihn unter

inhaltlichen,

formalen und

intentionalen Gesichtspunkten! (Analysieren Sie die letzte Zeile (Z. 13) auch syntaktisch! - Ausgehend von der richtigen Strophenfolge, die Sie unten finden.)

Erläuteren sie Unterschiede zu dem Text von Th. Storm! Erklären sie das Menschen- und Weltbild der beiden Dichter!



Genug für eine dreistündige Deutscharbeit? Es ist ja nur ein Angebot? Und Sie sind selber verantwortlich für Ihre Konstruktionen, egal wie und wie lange!


***


Kommt Ihnen die erste Zeile des kleinen Gedichts bekannt vor...?

Hier sind nur in der zweiten Strophe Zeilen umgestellt worden....



Text 15:


??


Wer nie sein Brot mit Tränen aß,

Wer nie die kummervollen Nächte

Auf seinem Bette weinend saß,

Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.


Denn alle Schuld rächt sich auf Erden."

Ihr führt ins Leben uns hinein,

Dann überlaßt ihr ihn der Pein,

Ihr laßt den Armen schuldig werden,



Zur Erklärung:

Sie müssen nicht den Text interpretieren.

Sie müssen nur wissen, daß die "himmlischen Mächte" (Z. 4) eigentlich vom Menschen verlangen, daß er sich anständig, menschenfreundlich und ohne Fehl und Tadel verhalten soll; wer aber "ins Leben" hinaustreten will, d.h. etwas besonderes erreichen will, so singt in diesem Text ein Harfenspieler, der macht sich schuldig, seine "Schuld rächt sich auf Erden" schon, d.h. er sitzt mit schlechtem Gewissen da und kann seines Lebens nicht froh werden - oder er muß andere für seine Interessen einspannen, sie für sich arbeiten lassen, also sein Geld durch sie und ihrer Hände Arbeit verdienen.

Du kannst das Problem auch durch folgenden Spruch verstehen:

Wer nie sein Brot im Bette aß, der weiß auch nicht, wie Krümel pieken. (Duden Bd. 12. Redensarten. S. 497.)


**


Für heute etwas für Sie .- und - oder Ihr Kind? Versuchen Sie einmal, diesen besonders niedlichen Schmusetieren, den Pinguinen, nachzuspüren...


Joachim Ringelnatz schreib ein Gedicht über sie:


Pinguine.


Es geht hier und jetzt um Verben, viele, insgesamt zehn. Wortfeldarbeit, nennt es der Deutschlehrer, semantische Stilistik, nennt es der Germanist. An einigen stellen sind einige Buchstaben stehen geblieben - es hätte also noch schwieriger kommen können. Ich habe mich auf die erste Strophe beschränkt...


Text 16:

???

Auch die Pinguine r..........., tr.............,

Kl................, p.............., w................, l...............,

Tu................, ku.................., tau.............., fau..............

Herdenweise, grüppchenweise

Mit Gevattern,

Pladdern, schnattern

Laut und leise.

Schnabel-Babelbabel-Schnack,

Seriöses, Skandalöses, Hiebe, Stiche.


Oben: Chemisette mit Frack.

Unten: lange, enge, hinderliche

Röcke.- Edelleute, Bürger, Pack,

Alte Weiber, Professoren.


Riesenvolk, in Schnee und Eis geboren.

Sie begrüßen herdenweise

Riesenvolk, in Schnee und Eis geboren,


Lebend in verschwiegener Bucht

In noch menschenfernem Lande.

Arktis-Expedition. - Revolverschuß -:

Und das Riesenvolk, die ganze Bande

Ergreift die Flucht.


Ersten Menschen, der sich leise

Ihnen naht. Weil sie sehr neugierig sind.

Und der erstgesehne Mensch ist neu.



(Hier, lieber Leser, liebe Leserin, fehlen die zwei letzten Zeilen. Haben Sie Lust, sich einen hübschen Abschluß auszudenken?


**


Amen? Sagen Sie? Jetzt haben sie erst mal schiere Lust, nix zu tun, nix zu suchen, nix zu konstruieren?

Und die zwei Endzeilen: Waren Sie nahe dran?


Und Erfahrungslosigkeit starrt wie ein kleinstes Kind

Gierig staunend aus, jedoch nicht scheu.


Und - wie gefällt Ihnen das Pinguin-Erlebnis? Ein Stückchen Ökologie - aus der Zeit vor 1940 - Verfaßt von einem Spaßvogel, einem wahren Humoristen der deutschen Literatur: Joachim Ringelnatz, gute Humoristen sind immer gute Philosophen und haben einen Blick für Randgruppen - und seinen Tiere, die es in den Dreißiger Jahren nur sehr selten in Tierparks gab.

Und - vielleicht sind Sie meiner Meinung -. Pinguine in Zoos sind traurige Gesellen.

Im Sommer stehen sie unter einer ausgespannten Zeltplan, die mit Wasser besprengt wird - falls überhaupt eine traurig-mitleidige Seele sich Gefühle und Gedanken macht über die Temperaturen unter einem Federkleid, das für die Antarktis ausgestattet ist. Oder sie sehen im Winter vor Beton und warten auf - na, auf vorbeiziehende Fische oder den geliebten Krill, den die Pfleger leider nicht besorgen können. Oder sie (die Flugunfähigen, nicht die Zoowärter) klatschen traurig ins Wasser, als ob sie sich zu Tode stürzen wollten.

Da stehen sie trauernd in kleinen Gruppen, heben ihre Flügelchen - als hätten sie es aufgegeben, sich zu erheben und davonzufliegen aus der Gefangenschaft.....


Na, da legen wir doch mal - als Zwischenmahlzeit - einen ganz anderen Text ein, ein bißchen über Bildung, über Gedichte, ja, aber auch ein wenig über Schule, Lehrer, Schüler, inländische und ausländische.



Noch mehr von Pinguinen bietet

Text 17:


Propper auf des Eises Pack,

Immer mit Manieren,

Nur im eleganten Frack

Gehen sie spazieren.

Unnachahmlich ist ihr Gang,

Imposant die Geste.

Nobel ziert sie lebenslang

Eine weiße Weste.


Warum sind denn da alle Anfangsbuchstaben groß geschrieben? Na? Da Sie wissen, was ein Akrostichon ist, kommen Sie dem Titel selber auf die Sprünge, äh, Buchstaben...


Ein Witz nun! Einer, der elegant und flott mit klassischen Zitaten spielt, aber ein ganz aktueller...


Text 18:


Ein Lehrer verkündet an einem Düsseldorfer Gymnasium, Ende der Klasse 10: „Kinder wir nehmen heute deutsche Lyrik durch, wir müssen ja mal zu den poetischen Wurzeln unserer Sprache kommen. Also, ich mach das ganz leicht, ich zitiere immer zwei oder drei Zeilen, und ihr sagt mir dann, was das ist und wer es geschrieben hat. Okay?

Ich beginne mit einem ganz leichten Beispiel: ‘Festgemauert in der Erde, steht die Form aus Lehm gebrannt...’“

Die Kinder senken verlegen die Köpfe, nur ein kleiner japanischer Schüler namens Hashimoto meldet sich: „Das ist das Lied von der Glocke. Von Friedrich Freiherr von Schiller.“

Gut“, lobt der Lehrer ihn, „und nun ein zweites Beispiel: ‘Der Mond ist aufgegangen, die gold’nen Sternlein prangen am Himmel hell und klar -„

Wieder meldet sich Hashimoto. Er ruft: Das ist das ‘Abendlied’ von Matthias Claudius! Der war nicht adelig, Herr Hartmann!“

Hervorragend!“ sagt der Lehrer. „Und jetzt auch ihr anderen - strengt euren Grips mal an: ‘Vom Eise befreit sind Strom und Bäche...’“

Schon wieder zeigt nur Hashimoto auf: „Faust, erster Teil, von Johann Wolfgang Baron von Goethe!“

Scheiß-Japse!“ flucht da einer in der letzten Reihe.

Wer war das?“ fragt der Lehrer böse.

Da antwortet der kleine Hashimoto:„Das war der Industrielle Max Grundig, kein Adeliger, bei der Eröffnung der ersten Sony-Fabrik in Stuttgart-Fellbach“.


Ja, finden Sie auch, der Witz ist gut konstruiert?

Vielleicht ist er ja auch direkt der schulischen Wirklichkeit entsprungen - und nur ein bißchen humorvoll aufgepäppelt


*


Hegen Sie auch manchmal, sagen wir mal, Erinnerungen oder gar Rachegedanken - wenn Sie an Ihren Deutschlehrer - oder Ihre Deutschlehrerin denken?

Da möchte ich Ihnen helfen, sich abzureagieren:

Versuchen sie es mal mit folgendem, garantiert nicht veränderten Text von Karl Dall:


Text 19:


Dem bedauernswerten Deutschlehrer gewidmet, über den der anarchistische Komödiant Karl Dall (Hauptunannehmlichkeit: rtl-comedy-Spezialist) aus seiner Schulzeit plauderte:


Als ich 16 war, sollen wir in der Schule einen Aufsatz schreiben zum Thema: ‘Der Tag meines Lebens in zehn Jahren’. Der Lehrer war nur wenig älter als wir und konnte mich nicht ausstehen. Ich wußte genau, daß ich meinen Text vor der Klasse vorlesen mußte. Ich schrieb: ‘In diesem Jahr führt mich meine Hochzeitsreise nach Ostfriesland, und natürlich versäume ich nicht, das Grab meines verstorbenen Deutschlehrers zu besuchen.’ Ich bekam das Heft um die Ohren gehauen, aber die Klasse tobte. Schon damals lief ich lieber mit offenen Augen ins Verderben, als eine Pointe auszulassen.

(„Hauptsache, es macht kaputt.“ Karl Dall im Interview mit Lothar Gorris und Adriano Sack. In: DER SPIEGEL Nr. 26/1999. S. 187.)


Spüren Sie einiges von einer nachträglichen Genugtuung - ein kleines, wohltuendes Aufatmen im linken Lungenflügel. (Sie rauchen doch nicht zuviel?)


*


Wieder zurück zur Dichtung? Zu der besonders schönen Form der Gleichnisse - oder Parabeln. Es sind gedanklich durchstrukturierte Handlungen, die einen besonderen Anspruch der Bedeutung haben: Lebensbilder sozusagen:

Zuerst ein Text, den ich auch schon in Poesiealben gefunden habe, wenn sie sich anspruchsvoll, persönlich durchdacht und nicht kitschig gaben:


Text 20:


Heute wieder einmal ein kleines Rätselspiel; hier fehlen Worte in einem hübschen Gedicht, das alt und jung zugleich ist.

Versuchen Sie einmal folgende Worte in den Lücken unterzubringen:

Wirt(e) - Apfel - Bett - bescheret - Wipfel -


Ludwig Uhland

Titel: ....................


Bei einem wundermild

Da war ich jüngst zu ;

Ein goldner Apfel war sein Schild

An einem langen Aste.


Es war der gute baum,

bei dem ich eingekehret;

Mit süßer Kost und frischem Schaum

Hat er mich wohl .


Es kamen in sein Haus

Viel leichtbeschwingte Gäste;

Sie sprangen und hielten Schmaus

Und auf das beste.


Ich fand ein zu süßer Ruh

Auf weichen, grünen Matten;

Der Wirt, er selbst mich zu

Mit seinen kühlen .


Nun fragt' ich nach der ,

Da schüttelt' er den .

Gesegnet sei er allezeit

Von der bis zum Gipfel.



***


Und weiter mit den Natureinsichten:

Bertolt Brecht, immer für eine Überraschung gut, auch wenn er auf Bühnen zur Zeit wenig gespielt wird. Er versteht die Kunst, in unseren Köpfen zu arbeiten - mit lyrischen und parabelhaften Texten, mit Denkbildern:


Text 21:

Bertolt Brecht

Über die Unfruchtbarkeit


Der Obstbaum, der kein Obst bringt

Wird unfruchtbar gescholten. Wer

Untersucht den Boden?


Der Ast, der zusammenbricht

Wird faul gescholten, aber

Hat nicht Schnee auf ihm gelegen?

Text 22:

Und weiter geht es, mit Gleichnissen:

Bertolt Brecht

Über die Gewalt

Der reißende Strom wird gewalttätig genannt

Aber das Flußbett, das ihn einengt

Nennt keiner gewalttätig.


Der Sturm, der die Birken biegt

Gilt für gewalttätig

Aber wie ist es mit dem Sturm

Der die Rücken der Straßenarbeiter biegt?


Text 23:


Bertolt Brecht: Wahrnehmung


Als ich wiederkehrte

War mein Haar noch nicht grau

Da war ich froh.


Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns

Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.

**

Den nächsten Text entnahm ich einem sehr bekannten, wunderschön illustrierten Kinderbuch; es soll Ihre nächste Gelegenheit sein, sich kreativ zu betätigen, ja ein bißchen poetisch - nach Ihrem Gusto....

Es ist von dem Philosophen und Dichter, nicht nur für Kinderherzen, von dem Amerikaner Leo Lionni. Es ist aber eine besonders gute deutsche Übersetzung, die ich Ihnen anbiete, von dem Poeten Günter Bruno Fuchs.


Also, der nicht nur niedliche, sondern auch naturnahe und neugierig machende Text:

Text 24:

[Überschrift - na, die erraten Sie wohl leicht!]


Wer streut die Schneeflocken? Wer schmilzt das Eis?

Wer macht lautes Wetter? Wer macht es leis?

Wer bringt den Glücksklee im Juni heran?

Wer verdunkelt den Tag? Wer zündet die Mondlampe an?


Vier kleine Feldmäuse wie du und ich

wohnen im Himmel und denken an dich.


Die erste ist die Frühlingsmaus, die läßt den Regen lachen.

Als Maler hat die Sommermaus die Blumen bunt zu machen.

Die Herbstmaus schickt mit Nuß und Weizen schöne Grüße.

Pantoffeln braucht die Wintermaus für ihre kalten Füße.


Frühling, Sommer, Herbst und Winter sind vier Jahreszeiten.



Sie haben keine Fehler entdeckt, keine kleinen Gelegenheiten, sich poetisch oder streng logisch zu tummeln?

Ja, fast ist es ja auch vollständig. Bis auf zwei Schlußzeilen.


Haben Sie verglichen?


Die Schlußzeilen - sie passen doch wunderschön.

Und ich verrate Ihnen, ich habe das Gedicht schon mit vielen Schülern besprochen. Da gab es hübsche Vorschläge



Z. B. diese Zeile:

Eben vier Jahreszeiten. Kleine Wunderheiten!


Aber so, das hat noch keiner aus dem Ärmel geschüttelt, so wie G. B. Fuchs:


Keine weniger und keine mehr. Vier verschiedene Fröhlichkeiten.


***

Text 24:

Eugen Roth:

Ein Mensch, der recht sich überlegt,

daß Gott ihn anschaut unentwegt,

Fühlt mit der Herz in Herz und Magen

Ein ausgesprochnes Unbehagen

Und bittet schließlich ihn voll Grauen,

Nur fünf Minuten wegzuschauen.

Er wolle unbewacht, allein

Inzwischen brav und artig sein.

Doch Gott, davon nicht überzeugt,

Ihn ewig unbeirrt beäugt.

Und weiterhin: Eugen Roth? Ja, bleiben Sie mit mir ein Weilchen bei Eugen Roth? Erstens wird er in den Schulen zu wenig gelesen, zweitens wird er meist aufgeboten, um mit Sprüchen etwas festzuklopfen, was nur noch vordergründig humorvoll ist, was nach Macht und Gewalt riecht...

So, und hier sozusagen der passende Tafeltext: (Fühlen sie sich ruhig wie im Klassenzimmer -zur Zeit Ihrer besten Streiche....!)

Den Titel verrate ich Ihnen: „Je nachdem“.

Aufgaben gibt es trotzdem. Sie möchten sich ja ein bißchen zusätzlich unterhalten. Ein bißchen mehr als nur lesen, ein bißchen gescheiter werden...

Also: Dieser Eugen Roth ist nun gänzlich unkorrekt: die Zeichensetzung, die Rechtschreibung, die Anzahl der Verse - nix stimmt. Pardon: Doch, die Grammatik ist original. Aber ansonsten ist es Ihre Aufgabe mal nachzuforschen, wo und wie Sie den Text auf normale Orthografie trimmen..:


Text 25:

eugen roth:

je nachdem

ein mensch sagt bitter weiß gott wo ein anderer milde gott weiß wo durch sprachlich kleinsten unterschied getrennt man ganze welten sieht

* * Zuviel Wortsalat? Na, schön: Dann gebe ich Ihnen vier Verse vor! Nun müssen Sie aber loslegen, wenn Sie im Programm weiterhin mithalten wollen?

Oder bevorzugen Sie folgende Fassung, mit vorgegebener Versstruktur:

- Text 26 -

je nachdem

ein mensch sagt bitter weiß gott wo

ein anderer milde gott weiß wo

durch sprachlich kleinsten unterschied

getrennt man ganze welten sieht


Und eine zusätzliche Aufgabe:

Setzen Sie Begriff die folgende Tabelle ein, die den benannten Gegensatz charakterisieren.

bitter“............. | „milde“

...........................| .....................

...........................| .....................

...........................| ......................

...........................| ......................

...........................| ......................

...........................| ......................


Haben Sie schon verglichen, mit den Begriffen, die im Anhang genannt sind? Na, wie sind Sie mit Ihren Angaben zufrieden?


Text 27:

Eugen Roth

Im Regen


Kinder kommen gelaufen

Ins Grüne, ins Nasse

Heraus

In den prustenden Regen,

Ersingen sich seinen Segen,

Daß er sie wachsen lasse.


Im hölzernen Fasse

Mit dunklem Basse

Aus allen Traufen

Lärmt schon der Braus.


Die Bäume schnaufen,

Lechzen dem Feuchten entgegen,

Gern wollen sie’ leiden,

Daß der Wind sie fasse

Im wilden bewegen,

Im tanzenden Saus.


Die Eichen vorm Haus

Die beiden

Uralten Heiden

Stehen bescheiden

Und lassen sich taufen

- Achtung: die letzte Strophe ist ohne Rechtschreibung und Zeichensetzung wiedergegeben! -

Aufgaben (wenn sie sich nicht selber ransetzen wollen; laden Sie Ihre Tochter, Ihren Sohn ein; vielleicht haben sie Spaß an diesem Regenspielchen!):

1. Erklären Sie das Thema des Gedichts!

2. Beschreibe an zwei Beispielen die metaphorische Leistung; welche sprachlichen Besonderheiten fallen Dir sonst noch auf?

3. Erarbeite dir die normale Schreibweise der letzten Strophe und schreibe sie möglichst richtig ab!

4. Was meinst Du: Was wollte der Dichter Eugen Roth mit diesem Gedicht ausdrücken?


Text 28:

Eugen Roth:


Ein Mensch denkt gläubig wie ein Kind,

Daß alle Menschen Menschen sind.

***

etzt ein moderner Klassiker. Ein hübsches Gedicht, das noch keinen gelangweilt hat. Selbst das Auswendiglernen ist eine nette Angelegenheit. Es ist logisch gut gebaut. Es ist tier- und menschenfreundlich und es ist gut gereimt?

Text 29:

Reiner Kunze. Das Kätzchen

Besuch! Im Garten ist ein Gast!

Ein Kätzchen sitzt auf einem Ast.


Laßt, Kinder, alles Spielzeug stehn,

wir wollen es bestaunen gehn!


Es hat zwei Lichter mitgebracht,

die sehn - und leuchten in der Nacht.


Was will es hier? Nun - denken wir,

es wolle sagen: Ich bin hier.


Denn eine Katze, Kinder, ist

ein Wunder. Was der Mensch vergißt.


Der Mensch kann auf dem Mond erwachen,

aber keine Katze machen.


Das kleinste Vogelherz, das schlägt,

ist nicht von Menschenhand bewegt.


Der Fisch, der sich im Wasser regt,

entschlüpft dem Ei, vom Fisch gelegt.


Das größte Wunder selbst auf Erden

muß aus dem Leib geboren werden:


Verwundert steht das Menschenkind

vor all den Wundern, die da sind.


Und jeder Mensch und jedes Tier

ist nur für eine Weile hier.


Drum danken wir dem Kätzchen schön,

daß es sich anschaun ließ, und gehn.


Noch was von Katzen. Gerade in unserer Wohlstands- und Freiheitsgesellschaft gibt es seit etwa 20 Jahren massenhaft Poeme über Katzen -übrigens kaum über Hunde. Welche geheime Verwandtschaft mit den Poeten mag da der Charakter der Katze bewirken? Die Eleganz, die Unabhängigkeit, der Wagemut, der Freiheitsdrang?


Text 30:


Sarah Kirsch

Katzenleben


Aber die Dichter lieben die Katzen

Die nicht kontrollierbaren sanften

Freien die den Novemberregen

Auf seidenen Sesseln oder in Lumpen

Verschlafen verträumen stumm

Antwort geben sich schütteln und

Weiterleben hinter dem Jägerzaun

Wenn die besessenen Nachbarn

Immer noch die Autonummern notieren

Der Überwachte in seinen vier Wänden

Längst die Grenzen hinter sich ließ.


(Aus: Katzenleben. 1984.)


Von Tieren noch eins, noch zwei?


Was von Mäusen?

Bitte, sehr!


***

Ein anderes Thema: Es gibt wundersam schöne Gedichte, die das Thema Dichtung beschreiben; vielleicht haben sie sogar Ähnlichkeit mit Katzengedichten: Dichtung, Poesie, wir lassen uns gerne von ihr bezaubern...


Text 30:


windgriff


manche wörter

leicht

wie pappelsamen

steigen

vom wind gedreht

sinken

schwer zu fangen

tragen weit

wie pappelsamen

manche wörter

lockern die erde

später vielleicht

werfen sie einen schatten

einen schmalen schatten ab

vielleicht auch nicht

(e.:1964)

Kleingeschrieben? Ja, damals war es noch Markenzeichen der jungen (bundesdeutschen) Dichtung, anders zu schreiben, klein.... Später haben diese Autoren gegen die Rechtschreibreform gewettert und protestiert...

**

Etwas anders beschreibt Rose Ausländer, eine jüdische Dichterin, die ihre letzten Lebensjahrzehnte in Deutschland, in einem Düsseldorfer Altersheim, verbrachte, ihr poetisches Vermögen, ihre Lust, sich und andere mit Texten, mit Bildern und geheimen Wörtern zu bezaubern:


Text 31:

Er ist garantiert unverändert. Er zeigt die schöne, schlichte Entwicklung einer poetischen Idee:

Rose Ausländer

Mein Reich

Auf meinen Wänden

blühen Bilder


Poeten dichten

im Regal


Ich schaue lese

spreche mit den

schaffenden Gefährten


Mein kleines Zimmer

ist ein Riesenreich


Nicht herrschen will ich -

Dienen



Ein anderer, bekannter deutscher Autor ist Erich Fried, mit einfachen Wörtern konnte er variationsreiche Gelegenheiten zaubern, übe sich und die Welt nachzudenken, sich etwas zu erfinden, von dem man glaubt, man hätte es schon immer gewußt - nur man konnte es selber nicht eigenen Worten beschreiben...


Text 32:


Erich Fried

Einer singt


Einer singt

aus Angst

gegen die Angst


Einer singt

aus Not

gegen Not


Einer singt

aus der Zeit

gegen die Zeit


Einer singt

aus dem Staub

gegen den Staub


Einer singt

von den Namen

die Namen namenlos machen

(v.: 1966)


*


Text 33:


Günter Eich

Ungewohntes Wort


Eines Tages der

Fischgerechtigkeit

unterworfen:

Der Spruch der Forellen

mag hingehen.

Wie werden aber

die Aale urteilen

und die Haifische?

(v.: 1964)


**


Text 35:


Bertolt Brecht

An die Nachgeborenen


Was sind das für Zeiten, wo

Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist,

weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!

(e.: 1938)


*

Text 36:


Ulli Harth

An die Ungeborenen


Bald wird es das Verbrechen

über Bäume zu reden

nicht mehr geben.

Von Strauchdieben werden wir

uns nicht mehr fürchten.

Wenn das letzte Blatt

sich gewendet hat,

hältst du den Joker in der Hand

und bist

ohne Mitspieler.


Noch ein weiteres Gedicht von Bäumen, diesen Lebensspendern. Haben sie einmal darüber nachgedacht, wenn die Natur die Bäume, Sträucher und Pflanzen nicht hervorgebracht hätte, wäre kein Sauerstoff zu Atmen - für die Menschen - da.


*

Text 37:


Walter Helmut Fritz


Bäume

Wieder hat man in der Stadt,

um Parkplätze zu schaffen,

Platanen gefällt.

Sie wußten zu viel.

Wenn wir in ihrer Nähe waren,

begrüßten wir sie als Freunde.

Inzwischen ist es fast

zu einem Verbrechen geworden,

nicht über Bäume zu sprechen,

ihre Wurzeln,

den Wind, die Vögel,

die sich in ihnen niederlassen,

den Frieden,

an den sie uns erinnern.



Text 38

Ein ganz kleiner Text, aber er hat es in sich...


Martin Luther


Und wenn ich wüßte,

daß morgen die Welt unterginge,

pflanzte ich doch heute noch

einen Baum.


Text 39:


Ernst Stadler

Kleine Stadt


Die vielen kleinen Gassen, die die langgestreckte Hauptstraße überqueren,

laufen alle ins Grüne. Überall fängt Land an.

Überall strömt Himmel ein und Geruch von Bäumen und der starke Duft der Äcker.

Überall erlischt die Stadt in einer feuchten Herrlichkeit von Wiesen,

Und durch den grauen Ausschnitt niedrer Dächer schwankt

Gebirge, über das die Reben klettern, die mit hellen Stützen in die Sonne leuchten.

Darüber aber schließt sich Kiefernwald: der stößt

Wie eine breite dunkle Mauer an die rote Fröhlichkeit der Sandsteinkirche.


Am Abend, wenn die Fabriken schließen, ist die große Stadt mit Menschen gefüllt.

Sie gehen langsam oder bleiben mitten auf der Gasse stehn.

Sie sind geschwärzt von Arbeit und Maschinenruß.

Aber ihre Augen tragen

Noch Scholle, zähe Kraft des Bodens und das feierliche Licht der Felder.



**

Von den Bäumen, den Städten fort zu den Wesen, die vielleicht die rätselhaftesten sind, den Engeln - egal, wen oder was Sie darunter verstehen: Ihre Frau, Ihre Freundin, Ihre Kinder.....



"Ein jeder Engel ist schrecklich."

Aus R.M.Rilkes erster Duineser Elegie


Text 40:


Hans Magnus Enzensberger:

Die Visite


Als ich aufsah von meinem leeren Blatt,

stand der Engel im Zimmer.


Ein ganz gemeiner Engel,

vermutlich unterste Charge.


Sie können sich gar nicht vorstellen,

sagte er, wie entbehrlich Sie sind.


Eine einzige unter fünfzehntausend Schattierungen

der Farbe Blau, sagte er,


fällt mehr ins Gewicht der Welt

als alles, was Sie tun oder lassen,


gar nicht zu reden vom Feldspat

und von der Großen Magellanschen Wolke.


Sogar der gemeine Froschlöffel, unscheinbar wie er ist,

hinterließe eine Lücke, Sie nicht.


Ich sah es an seinen hellen Augen, er hoffte

auf Widerspruch, auf ein langes Ringen.


Ich rührte mich nicht. Ich wartete,

bis er verschwunden war, schweigend.


(Aus: Hans Magnus Enzensberger: Kiosk. Neue Gedichte. Frankfurt 1995. S. 118f.)


***


Text 41:


Heinrich Kämpchen

Potemkin


Wie hat das Herz mir im Leibe gelacht,

Als ich die Kunde vernommen,

Daß das Zarenschiff als Rebellenschiff

Ins Meer hinaus ist geschwommen.


Daß nach langem Druck der Wagemut

Die Herzen der Russen erfaßte,

Daß mit lustigem Blähen die Flagge rot

Hoch oben flattert vom Maste.


Daß der Sklave endlich die Ketten bricht

Und daß er das Schwert will schwingen -

Glück auf, 'Potemkin', Rebellenschiff,

Du warst der erste im Ringen!


(Aus: Was die Ruhr mir sang. 1909. S. 134)


Text 42:


Kämpchen:

Unglück:





Text 43


Bertolt Brecht (1898-1956)

Über das Frühjahr


Lange bevor

Wir uns stürzten auf Erdöl, Eisen und Ammoniak

Gab es in jedem Jahr

Die Zeit der unaufhaltsam und heftig grünenden Bäume.

Wir alle erinnern uns

Verlängerter Tage

Helleren Himmels

Änderung der Luft

Des gewiß kommenden Frühjahr.

Noch lesen wir in Büchern

Von dieser gefeierten Jahreszeit

Und doch sind schon lange

Nicht mehr gesichtet worden über unseren Städten

Die berühmten Schwärme der Vögel.

Am ehesten noch sitzend in Eisenbahnen

Fällt dem Volk das Frühjahr auf.

Die Ebenen zeigen es

In alter Deutlichkeit.

In großer Höhe freilich

Scheinen Stürme zu gehen:

Sie berühren nur mehr

Unsere Antennen.

[1928 verfaßt]

(Aus: Bertolt Brecht: Gesammelte Werke. Band 8. Frankfurt/M. 1967. S. 314.)


Angaben:

Ammoniak: chemisches Produkt, das als Kunstdünger in den 20er Jahren einen wesentlichen Fortschritt in der Landwirtschaft ermöglichte

Antennen: große Sendetürme, Radiostationen



***


Ist es nicht sonderbar, daß die Menschen so gerne für die Religion fechten und so ungerne nach ihren Vorschriften leben? Georg Christoph Lichtenberg (1742- 1799)


Dichter und religiöser Auftrag:


Es gibt nämlich einen Rückweg von der Phantasie zur Realität, und das ist die Kunst. Der Künstler ist im Ansatz auch ein Introvertierter, der es nicht weit zur Neurose hat. Sigmund Freud: Vorlesungen zur Psychoanalyse.

Bd. I. 1970. S. 366.



Poetisches, die Inspiration, kann, wenn man streng konform lebt und denkt, nur entweder unsinnig gleich krank oder, wenn der Inhalt, wenn die Form der künstlerischen Darstellung Akzept findet, staunenswert, übermenschlich, entsprechend göttlich sein.


***


Und noch was Schönes. Sie haben bestimmt schon darüber gestaunt, nicht nur wegen der wunderbaren Metamorphose des Tierischen: Vom Ei, zur Raupe, dann zur verpuppten Form - und schließlich zum ausgeflogenen Schmetterling. Gibt es ein schönes Beispiel für die Vielfalt zauberhafter Lebensformen??


Ein Vorspruch dazu:


Text 44:


Schmetterlinge in den Lenzen:

Ist der Schmelz auf euren Schwingen

Das, wovon die Dichter singen?

Süßer Seele leises Glänzen?

(Chinesischer Spruch)


Wie sähe der Text aus, ich meine, wie hätten wir den Sinn verstanden, bei folgender Anordnung:


Das, wovon die Dichter singen

Ist der Schmelz auf euren Schwingen,

Süßer Seele leises Glänzen!

Das, wovon die Dichter singen:

Schmetterlinge in den Lenzen!


Ja, einverstanden? Auch eine Möglichkeit?

:

Text 45:


Eduard Mörike (1804-1875)

Zitronenfalter im April


Grausame Frühlingssonne,

Du weckst mich vor der Zeit,

Dem nur in Maienwonne

Die zarte Kost gedeiht!

Ist nicht ein liebes Mädchen hier,

Das auf der Rosenlippe mir

Ein Tröpfchen Honig beut,

So muß ich jämmerlich vergehn

Und wird der Mai mich nimmer sehn

In meinem gelben Kleid.


Nicht, wahr: ein ökologisches Gleichnis, besonders hübsch gestaltet! Was Mörike von einem Zitronenfalter als einem verfrühten Produkt der österlichen sonnenreichen Natur erlebte und uns vorführte - es ist auch Gleichnis für den Autor selbst: den Uvnerstandenen, den zu früh Geborenen....


Hier nun:

Vielleicht der geheimnisvollste Text ist ein Gedicht



Text 46:


Nelly Sachs (1891-1970)

Schmetterling


Welch schönes Jenseits

ist in deinen Staub gemalt.

Durch den Flammenkern der Erde,

durch ihre steinerne Schale

wurdest du gereicht,

Abschiedsgewebe in der Vergänglichkeiten Maß.


Schmetterling

aller Wesen gute Nacht!

Die Gewichte von Leben und Tod

senken sich mit deinen Flügeln

auf die Rose nieder

die mit dem heimwärts reifenden Licht welkt.


Welch schönes Jenseits

ist in deinen Staub gemalt.

Welch Königszeichen

im Geheimnis der Luft.


*


Text 47:


(Übrigens: Die Kleinschreibung ist vom Autor gewollt, ätsch! Er schreibt nur den Satzanfang noch groß...)


Reiner Kunze (* 1933)

Raumfahrt im wagen des gastes


Noch dürfen wir nicht zurück zur erde, obwohl wir

an ihr haften


Noch ist das letzte ziel der kamera

nicht fotografiert


Die fliegende dämmerung überholen, das zielfoto

wird entscheiden


An der windschutzscheibe flügel

winziger erschlagener engel


Aufgaben: Wählen Sie zwei Texte aus und interpretieren Sie vergleichend sie!



Text 48:


Wieder ein Text zum Experimentieren: Die Zeilen sind falsch angeordnet: Die erste habe ich stehen gelassen; sie ist unnachahmlich und ist das Fundament der psychoopoetischen Aussage:




??

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren

Wenn die so singen oder küssen

Mehr als die Tiefgelehrten wissen,

Sind Schlüssel aller Kreaturen,

Wenn sich die Welt ins freie Leben

Und in die Welt wird zurückbegeben,

Und man in Märchen und Gedichten

Erkennt die ewgen Weltgeschichten,

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten

zu echter Klarheit werden gatten

Dann fliegt vor einem geheimen Wort

Das ganze verkehrte Wesen fort.


Richtig muß es - natürlich, meine ich - so lauten, Zeile für Zeile durchdacht: auf die Endaussage hingeleitet:


Novalis


Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren

Sind Schlüssel aller Kreaturen,

Wenn die so singen oder küssen

Mehr als die Tiefgelehrten wissen,

Wenn sich die Welt ins freie Leben

Und in die Welt wird zurückbegeben,

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten

zu echter Klarheit werden gatten

Und man in Märchen und Gedichten

Erkennt die ewgen Weltgeschichten,

Dann fliegt vor Einem geheimen Wort

Das ganze verkehrte Wesen fort.


Auch ohne Titel gilt: Das ist Poesie pur, Dichtung, die sich selbst thematisiert. Jeder Leser, der für sich die Intention formuliert, kann dem Text eine eigene Überschrift geben. Ich persönlich bevorzuge: Wenn ich einmal fliegen kann: Natürlich: Romantik pur! Aber wofür ist uns sonst die Sprache gegeben, das größte Wunder, weil durch es alle anderen Wunder erklärt werden können.


So sind wir, zurück über die Romantik hinweg, im klassischen Bereich gelandet. Und das begegnet uns, ob wir es wollen oder nicht, Goethe, dem diesjährigen Geburtstag....


Text 49:


Johann Wolfgang von Goethe


Gedichte sind gemalte Fensterscheiben!

Sieht man vom Markt in die Kirche hinein,

Da ist alles dunkel und düster;

Und so sieht's auch der Herr Philister:

Der mag denn wohl verdrießlich sein

Und lebenslang verdrießlich bleiben.


Kommt aber nur einmal herein!

Begrüßt die heilige Kapelle;

Da ist's auf einmal farbig helle,

Geschicht' und Zierat glänzt in Schnelle,

Bedeutend wirkt ein edler Schein;

Dies wird euch Kindern Gottes taugen,

Erbaut euch und ergetzt die Augen!

(e. um 1827)


***


Text 50:


Kahlil Gibran


Eure Kinder sind nicht eure Kinder.

Es sind die Söhne und Töchter von des Lebens Verlangen nach sich selber. Sie kommen durch euch, doch nicht von euch; und sind sie auch bei euch, so gehören sie euch doch nicht. Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, doch nicht eure Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken.

Ihr dürft ihren Leib bekleiden, doch nicht ihre Seele.

Denn ihre Seele wohnt im Hause von morgen, das ihr nicht zu betreten vermögt, selbst nicht in euren Träumen.

Ihr dürft euch bestreben, ihnen gleich zu werden, doch suchet nicht, sie euch gleich zu machen.

Denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es beim Gestern.

Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile entsandt werden.

Der Schütze sieht das Zeichen auf dem Pfade der Unendlichkeit, und er biegt euch mit seiner Macht, auf daß seine Pfeile schnell und weit fliegen. Möge das Biegen in des Schützen Hand euch zur Freude gereichen; denn gleich wie er den fliegenden Pfeil liebt, so liebt Er auch den Bogen, der standhaft bleibt.


Ein Text, der zur Diskussion auffordert - und zur Überprüfung mit der eigenen Realität - der als Elter oder als Kind, das man war...


Aufgaben:


1. Erkläre im Überblick, worum es im Text geht (Inhaltsangabe)!


2. Erkläre die bildlichen Ausdrücke des Textes! (Sind es Metaphern oder Symbole?)


3. Erarbeite die Intention (d.h. fasse den Sinn des Textes zusammen)!

4. Analysiere die unterstrichenen Zeilen nach den wichtigsten Wortarten, Satzteilen und der Syntax! Erkläre den Stil des Satzes!


Auf welchen Wegen, den berührten oder unberührten, weiter?


Nochmals ein Stückchen hinaus in die Natur? Viele Dichtung, die vordergründig von ihr und ihren Einzelheiten - Baum, Blume, Vogel, Pflanze - handelt, ist gleichzeitig Liebes- oder Sinndeutung. Na, bitte:


Text 51:


Rainer Brambach

Der Baum


Seit ich weit draußen

das Haus in der Siedlung bewohne,

wächst aus dem Keller ein Baum

durch Diele und Mansarden.

Laub hängt fahnengleich

zu allen Fenstern hinaus.

Der Wipfel wiegt sich

über dem moosgrauen Dach.


Ich hause unbesorgt nah dem Gezweig,

im Hof fault der Spaltklotz,

auf dem Speicher rostet die Säge.

Nachbarn freilich rufen sich zu:

Sein Haus ist wie unsere Häuser,

was ist der Narr fröhlich -

Hört, er singt in der Frühe, redet

und lacht, wenn es dämmert.


Der Baum wächst.



Psst! Kein Wort mehr für eine dritte Strophe! Drei in einem Satz müssen reichen - mag Baumbach, ein Schweizer Dichter, der ein Leben lang als Gärtner arbeitete. Wenn Sie eigenwillige Interpretation sehen wollen, schauen Sie mal in den Lösungsteil!


Text 52:


Günter Grass

Die Seeschlacht


Ein amerikanischer Flugzeugträger

und eine gotische Kathedrale

versenkten sich

im Stillen Ozean

gegenseitig.

Bis zum Schluß

spielte der junge Vikar auf der Orgel. -

Nun hängen Flugzeuge und Engel in der Luft

und können nicht landen.


Ein ziemlicher Happen, meinen sie? Was soll daran denn stimmen?

Darf ich Ihnen in drei Sätzen erzählen, wie ich dieses Gedicht verstanden habe? Ich habe einmal in einem Magazin eine vergrößerte Fotografie gesehen, die den hoch aufragenden Seitenturm eines Flugzeugträgers zeigte: Es war erstaunlich: das hohe Gerüst, das Antenne aufnimmt, glich einer gotischen Kathedrale, von der man nur die oberste Spitze eines Turms sieht: durchlöchert von zarten Mustern aus Gestein.....


Von daher habe ich folgendes Schema aufgemacht:

Ordnen Sie die Details diesem Schema zu:


Kirche | Flugzeugträger:


...........................................| ..............................

...........................................| ..............................

...........................................| ..............................

...........................................| ..............................




Und wenn Sie jetzt in eigenen Sätzen einen so tollen Vergleich zwischen moderner militärischer Technik und einer gotischen Kathedrale - als Inbegriff eines Gotteshauses formulieren sollten....?


***


Was zur Erinnerung:


Wahrscheinlich kennen sie das folgende Mörike-Gedicht.

Nach dem Lesen wählen Sie einen der zwei folgenden Texte aus, vergleichen Sie ihn zum Originaltext von Mörike!


Das Original, nicht ganz vollständig. Aber: Ob sie sich erinnern oder durch Tüfteln die Reimworte herausfinden - es ist ein hübsches Gedicht, das sich tief ins Gedächtnis eingräbt:


Text 53:


Eduard Mörike (1804 - 1875)

Er ist's


Frühling läßt sein blaues B.....

Wieder flattern durch die L.........,

Süße, wohlbekannte D........

Streifen ahnungsvoll das Land.

Veilchen träumen schon,

Wollen balde kommen.

- Horch, von fern ein leiser Harfen.....!

Frühling, ja du .........!

Dich habe ich ver...............

[e: 8.3.1829]


- Vielleicht macht der Reim in der vorletzten Zeile Schwierigkeiten? Er reimt sich auf die Titelzeile (das ist übrigens in einem deutscher Sprache nur einmalig).


Und weiter geht die kleine Reise zu anderen Frühlingsgedichten:


2. Bitte schön: ein Vergleichstext! Diesmal spare ich mir Manipulationen, der Text ist komplex genug. Und wenn sie ihn sich aneignen, machen Sie gleichzeitig einen Spaziergang durch moderne poetische Verfahren...



Text 54:


Karl Krolow

Neues Wesen


Blau kommt auf

wie Mörikes leiser Harfenton.

Immer wieder

wird das so sein.

Die Leute streichen

ihre Häuser an.

Auf die verschiedenen Wände

scheint die Sonne.

Jeder erwartet das.

Frühling, ja, du bist's!

Man kann das nachlesen.

Die grüne Hecke ist ein Zitat

aus einem unbekannten Dichter.

Die Leute streichen auch

ihre Familien an, die Autos,

die Boote.

Ihr neues Wesen

gefällt allgemein.


[e.: 1967]



3. Ein weiteres Beispiel; es zeigt, wie wirkungsvoll und bekannt dieses Mörike-Gedicht in Deutschland ist. - Die Reimwörter haben sie ja wohl noch im Ohr?



Text 55:


Manfred Hausin (* 1951)

Lied vom Gifttod


Gifttod läßt sein Würge.........

einfach flattern durch die L..........;

schwere, unbekannte D..........

streifen unheilvoll das L..........

Gifttod freut sich ............,

will gar balde .................

- Horch, von nah ein leiser Sensen........!

Gifttod, ja du ..........!

Dich hab ich ........................!


[e.: 1971]


Und wenn Sie noch ein bißchen weiter nachdenken wollen über Mörike und sogenannte Gegen-Gesänge:



Benutzen Sie für Ihre Überlegungen folgende Interpretation:


Aussage eines Schülers: "Aber, das ist doch ganz einfach in dem ganzen Gedicht Mörikes so: nicht mehr romantisch, noch nicht realistisch!"


Hinweise:


Biedermeier heißt die Epoche zwischen Romantik und Realismus, in der politisch resignative Autoren vorzugsweise Themen wie Natur, Liebesbeziehungen und private Werte wie Familie und Freundschaft beschrieben haben!


Textsortenbestimmungen:


Eine Parodie ist eine literarische, spöttisch-ironische Nachahmung, bei der man die Vorlage wiederkennt.

Eine Kontrafaktur ist ein Gegengedicht, das sich auf einen erkennbaren, allgemein bekannten Text bezieht; Absicht ist es, den Unterschied zwischen alt und neu, zwischen damals und heute aufzuzeigen und den Leser zu überlassen, wie er ihn bewertet.



Noch was vom Reisen. Wir hatten als Text den poetischen Bericht von Überfahrt in eine andere Welt, wo der Fährmann die Rolle des besonderen Vor-Boten spielte.


Hier noch ein kurzer Ausschnitt aus einem alten Menschheitsbuch: dem Ägyptischen Totenbuch, mit einer Überfahrtsszene. Dort finden wir hübsche Namen für diese Boote auf der Überfahrt vom diesseits ins Jenseits..:


Schließt mir die Pforten auf!

- Antworte zurst mir, oh Seele. Wer bist du? Wo gehst du hin? Bist du der Wandlungen fähig? Was sind sie?

- Gleich euch, o Götter, bin ich ein göttlicher Geist! Meines Bootes magischer Name klingt so:

Die Verknüpfung der vielfältigen Seelen.“

Haarsträubende Schrecken“ ist meines Ruders Name.

Der Wachend“ haßt de Bug.

Schlimm ist es“, heißt das Steuer.

Segle geradeaus!“ heißt das Heck.

Wahrlich, mein Boot wurde zur Eise ins Jenseits gezimmert!

(Aus: Imaginäre Reisen. Hrsg. v. Joseph Peer Strelka. it 1306. S. 9)



Und für heute als Letztes, nix Theoretisches, nix zum Konstruieren...:


Ein Gleichnis aus der Kinderwelt.

Wenn ich Ihnen später den Autor, bzw. die Dichterin verraten, werden sie sich bestimmt am viele schöne Geschichten von ihr auf Büchern oder aus dem Fernsehen erinnern...


Ein Kind wird hinaus geschickt, um eine Rute zu holen - mit der er selber, so hat es die Mutter im Zorn gedroht, geschlagen werden soll (Warum? Weil die Mutter die Nerven verloren hatte..)


***


Text 56:

Die Mutter erzählt selber:


Johan weinte, als er ging. Ich saß in der Küche und wartete. Es dauerte lange, bis er kam, und weinen tat er immer noch, als er zur Tür hereinschlich. Aber eine Rute hatte er keinen bei sich.

Mama’, sagte er schluchzend, ‘ich konnte keine Rute finden, aber hier hast du einen Stein, den du auf mich werfen kannst!’

Er reicht mir einen Steine, den größten, der in seiner kleinen Hand Platz fand. Da begann auch ich zu weinen, denn ich verstand auf einmal, was er sich gedacht hatte: Meine Mama will mir also weh tun, und das kann sie noch besser mit dem Stein.“


Astrid Lindgren hat uns diese Geschichte erzählt. Sie steht in ihren Memoiren. (Aus: Wir machen Frieden. Wien/München 1983. S. 10-12)


**


Text 57:


Werner Petrenz:


Heiß brennt die Sonne Afrikas,

da macht das Baden Riesenspaß.

Ein Gürteltier sprang in den Nil,

wobei sein Gürtel ihm entfiel.

Es tauchte danach viele Stunden,

doch blieb das gute Stück

verschwunden,.

Seitdem - berichten Großwildjäger -

trägt dieses Tier nur Hosenträger.


(Gefunden in der Süddeutschen Zeitung Nr. 174 (31.7./1.8.99)



Noch so ein Stichwort: Denken Sie gerne oder auch nur mal ab und an - über Gott nach:


So, wie es hier lautet?


Text 58:


Da hilft kein Zorn. Da hilft kein Spott.

Da hilft kein Weinen, hilft kein Beten.

Die Nachricht stimmt! Der Liebe Gott

ist aus der Kirche ausgetreten.

(Erich Kästner: Epigramme. Aus. Erich-Kästner-Buch. Hrsg. v. Rolf Hochhuth.. Gütersloh 1962. S. 147)


Text 59:


Erich Fried:

Winterliches Biwack


Und die lustigen Feuer

wohin sind sie alle gekommen?

Die Frager sitzen fröstelnd

zu zweit und zu dritt und

hell glänzt die Kälte


ich schlage die Arme zusammen übe der Brust

ich schlage die Brust zusammen über dem Herzen

ich schlage das Herz zusammen über Angst

Schale und Schale um Schale


Eine Zwiebel die mühsam überwintert

und die Kälte zerschneidet sie und muß weinen

Die Klugen kauen verbissen das scharfe Gericht

Und die lustigen Feuer

wohin sind sie alle gekommen?


Ja, Fried ist ein Wörterfreund, dem die verbale und ganz bestimmt die metaphorische Verständigung am - wo wohl? - natürlich am Herzen liegt!



Hier will ich erst einmal die poetischen Lektionen abschließen. Egal, ob Sie mit Ihrer Frau, Ihrer Freundin, mit Ihrer eigenen Mutter - oder mit Ihren eigenen Kindern über diesen Stein sprechen, den ein Kind selber heranschaffte, um sich damit weht tun zu lassen - ich glaube, es ist eine Geschichte, die man nicht so leicht vergißt, wenn man sich zankt, wenn Kinder zanken, wenn wir uns was überleben, um etwas Gut zu machen, was wir als Mißgeschick passiert ist...


Aber bevor wir sozusagen das Alphabet der Poesie schließen, will ich Sie noch auf eine Aufgabe hetzen:


Vollenden Sie einmal folgendes Gedicht:


Text 60:


ls. ..eim ..hor ..as ..dle ..is

..anz ..übsch ..rre ..äh ..repierte,

..itt ..an ..eben ..hrenriß

..einvoll ..ualen, ..esiginierte:

..tatt ..ournee ..m ..olle ..elt:

..anten, ..pern, ..ellerfeld.


Das war doch leicht - oder? Und das ist wieder ein echter Nehm, mit Vornamen Günter, gewesen: Gedanklich strukturiert, witzig durchgeführt:


(Text 60)


Als Beim Chor Das Edle Fis

Ganz Hübsch Irre Jäh Krepierte,

Litt Man Neben Ohrenriß

Peinvoll Qualen, Resiginierte:

Statt Tournee Um Volle Welt:

Xanten, Ypern, Zellerfeld.

Noch eine Kostprobe, wieder streng alphabetisch?

Dienstleistungen, bitte, sehr:

Text 61:

Auf Bequemer Couch Dient Esther

Freiern Gegen Honorar.

Ihre Junge Kegelschwester

Liebt Mit Nachdruck Offenbar

Pensionierte Quotenzähler.

Reiche Sollen Transpirieren

Und Verträumt Wechselwähler

X-fach Yoga zelebrieren.

(G. Nehm: Laura & Leopold liebte sich lüstern. Unmögliche Gedichte. Essen: Velag G. Winter. 1996. S. 46f)

Hätten Sie Lust aus folgenden ABC-Wörtern ein Gedicht zu basteln:

Text 62:

Ziehen, Yuccapalmen, Xaver, weil, verblühen, und, trauern, Sieglinde, Roggenbrot, Quäker, Preisen, oft, nehmen, Myrten, Liese, kann, Jux , im Haferschrot, gern, Fressen, Esel, der, Chrysanthemen, blühen, alljährlich.

(Text 62)

Ziehen, Yuccapalmen, Xaver, weil, verblühen, und, trauern, Sieglinde, Roggenbrot, Quäker, Preisen, oft, nehmen, Myrten, Liese, kann, Jux , im Haferschrot, gern, Fressen, Esel, der, Chrysanthemen, blühen, alljährlich.

Achtung: Die Personalendungen der Verben müssen Sie noch ein wenig konjugieren, d.h. zurechtbiegen - Und dann fehlen noch die Satzzeichen. Sie wissen: die Garanten, daß man sich nicht mißversteht. Wo die Sprache schon die Quelle aller Mißverständnisse ist. (Das hat uns Antoine de Saint-Exupéry - als Mahnung - aufgetragen.)

Wie sieht’s jetzt auf Ihrem Bildschirm aus?

Text 50, die dritte Ausgabe:

Alljährlich blühen Chrysanthemen.

Der Esel Fressen Gern Haferschrot.

Im Jux können Liese Myrten Nehmen.

Oft Preisen Quäker Roggenbrot.

Sieglinde Trauert Und Verblühen,

Weil Xaver Yuccapalmen Zieht.

Yuccapalmen, Xaver, weil, verblühen, und, trauern, Sieglinde, Roggenbrot, Quäker, Preisen, oft, nehmen, Myrten, Liese, kann, Jux , im Haferschrot, gern, Fressen, Esel, der, Chrysanthemen, blühen, alljährlich.

Na, probieren Sie es mal von hinten: Bei dem Meister Nehm sieht es so aus:

Alljährlich blühen Chrysanthemen.

Der Esel Frisst Gern Haferschrot.

Im Jux kann Liese Myrten Nehmen.

Oft Preisen Quäker Roggenbrot.

Sieglinde Trauert Und Verblüht,

Weil Xaver Yuccapalmen Zieht.


Noch eine Runde, ein neues vergnügen? Diesmal habe ich Kreuzworträtsel für Sie rausgesucht.

Also gestatten: senkrecht - waagerecht - regelrecht!

Text 63:

Rätsel Nr.: 1:

Jetzt werden Ihre Lyrik-Kenntnisse getestet:

(Aus: Rainer Madsen: Kreuzworträtsel zur Literatur. Frankfurt/M. 1989. S. 26f.)

Text 64:

Jetzt vornehmlich etwas über Rhetorik - wenn Sie sich zufällig oder berufsbedingt dort einiges als Übung verordnen wollen?

(Aus: Rainer Madsen: Kreuzworträtsel zur Literatur. Frankfurt/M. 1989. S. 32f.)

Text 65:

Und als krönender Abschluß und wessen Werk von welchem Autor ist die berühmtesten deutschen, wenn es um die Klassik geht?

Richtig: Goethes Faust soll hier Gegenstand des letzen Rätsel sein:

(Aus: Rainer Madsen: Kreuzworträtsel zur Literatur. Frankfurt/M. 1989. S. 40f.)

Pardon, da habe ich doch was vergessen, was mir selber sehr viel Spaß macht: Rätsel:

*

Wieder etwas zum Ent-Tüfteln?

Zerlegen Sie mal diesen Textsalat!

Die Punkte und die Kommas habe ich nicht entfernt...

Text 66:

derkleinebärgingzumflußundderkleinetigerbliebganzalleinzuhause.erfühltesichsehreinsam.mitdiesemgefühlimbauchkonnteernichtsanfangen.

dazukam, dasserzunichtslusthatte:

erwolltekeinezwiebelnschälen. ermochtekeinekartoffelnkochenerhatteessatt, diestubezufegen.

erkonnteauchkeinfeuerimofenmachen.

daslebenerschienihmüberhauptnichtschön!

*

Sie vermuten richtig: Der kleine Bär und sein Freund, der kleine Tiger - um die geht es in der kleinen Geschichte.

Der kleine Tiger hat diese Geschichte für den schnellen Hasen aufgeschrieben! Leider hat er alle Wörter einfach hintereinandergeschrieben! Der schnelle Hase kann die Geschichte nicht lesen. Schreiben Sie sie ihm (oder Ihrer Tochter oder Ihrem Sohnemann) richtig auf?

Wieder was zum Rätseln! Sie werden sich wundern! Das ist gar nicht so einfach!

Text 67:

Friedrich Wilhelm Güll:

Wer von euch ist klug und fleißig?

Wer von euch ist klug und fleißig?

Dreiunddreißig Rätsel weiß ich.

Spitzt das Ohr und spitzt die Feder,

Und nun schreib’ sich auf ein jeder:

Welche Uhr hat keine Räder?

Welcher Schuh ist nicht von Leder?

Welcher Stock hat keine Zwinge?

Welche Schere keine Klinge?

Welches Faß hat keinen Reif?

Welches Pferd hat keinen Schweif?

Welches Häuschen hat kein Dach?

Welche Mühle keine Bach?

Welcher Hahn hat keinen Kamm?

Welcher Fluß hat keinen Damm?

Welcher Bock hat keine Haut?

Welches Glöcklein keinen Laut?

Welcher Kamm ist nicht von Bein?

Welche Wand ist nicht von Stein?

Welche Kuh denn hat kein Horn?

Welche Rose keine Dorn?

Welcher Busch hat keinen Zweig?

Welcher König hat kein Reich?

Welcher Mann hat kein Gehör?

Welcher Schütze kein Gewehr?

Welcher Schlüssel sperrt kein Schloß?

Welchen Karren zieht kein Roß?

Welches Futter frißt kein Gaul?

Welche Katze hat kein Maul?

Welcher Bauer pflügt kein Feld?

Welcher Spieler verliert kein Geld?

Welcher Knecht hat keinen Lohn?

Welcher Baum hat keine Kron’?

Welcher Fuß hat keine Zeh’?

Welcher Streich tut keinem weh?

Welcher Wurf und Stoß und Schlag?

Rat nur, wer da kann und mag!

Und auf zu neuen Rätseln. Haben Sie noch Lust?:

*

Text 68:


Johann Peter Hebel:


Da kommt ein Knabe gegangen,

mit klingenden Glocken behangen,

sagt, Müßiggang heiße ihm Pflicht;

und was ihm die Brüder mit Darben,

mit Mühe und Sorgen erwarben,

verzehrt er im leckern Gericht.

Sonst schön wie ein Engel und heilig dazu,

mißgönnt er dem Küster und Pfarrer die Ruh!



Text 69:


Vom Klassiker Schiller:


Die besten Freunde, die wir haben,

sie kommen nur mit Schmerzen an,

und was sie uns für Weh getan,

ist fast so groß als ihre Gaben.

Und wenn sie wieder Abschied nehmen,

muß man zu Schmerzen sich bequemen.



Text 70:


Noch ein bißchen zum Rechnen, übrigens von Meister Goethe:


Ein Bruder ist’s von vielen Brüdern,

in allem ihnen völlig gleich,

ein nötig Glied von vielen gliedern

in eines großen Vaters Reich;

jedoch erblickt man ihn nur selten,

fast, wie ein eingeschobnes Kind;

die andern lassen ihn nur gelten

da, wo wie unvermögend sind.


Erraten? Denken Sie einmal an den Begriff der Zeit - und an das Kalenderjahr...



Gesucht: zwei Poeten!


Als Hausaufgabe?

Hätten Sie Lust, die beiden folgenden Dichter zu identifizieren?


Zwei lyrische Texte, die der leicht melancholischen Jahreszeit des Herbstes in besonders sprachsensibler Weise entsprechen; das erste Gedicht ist so bekannt, daß es schon in Abiturklausuren zum Schrecken lyrikungewohnter Kandidaten auftauchte. Der zweite Text ist noch recht unbekannt, jedenfalls noch nicht in Schulanthologien gesichtet.

Die Kontrafaktur über die 64 Jahre hinweg ist mir deshalb reizvoll, weil sie die Naturproblematik, die für die Zwanziger Jahre nur stimmungsvoll impressionistisch als Bild aus Bildern interessant war, fortschreibt für unsere kritische Wahrnehmung gesellschaftlicher und ökologischen Interessen. Das individuelle, aber auch allgemeinkulturelle, jahreszeitliche Gefühl des Absterbens ist nicht die einzige eidetische Möglichkeit der lyrischen Selbstvergewisserung oder ökologisch-naturnahen Reflexion.


Also, der erste Text:


Text 71:


Georg Trakl:

Verklärter Herbst


Gewaltig endet so das Jahr

Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.

Rund schweigen Wälder wunderbar

Und sind des Einsamen Gefährten.


Da sagt der Landmann: Es ist gut.

Ihr Abendglocken lang und leise

Gebt noch zum Ende frohen Mut.

Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.


Es ist der Liebe milde Zeit.

Im Kahn den blauen Fluß hinunter

Wie schön sich Bild an Bildchen reiht -

Das geht in Ruh und Schweigen unter.

(entstanden: 1913)



Der zweite Text; der Autor ist im Jahre 1999 verstorben...



Text 72:


Karl Krolow:

Es wird immer windiger


Es wird immer windiger.

Das kommt nicht nur vom Luftwirbel,

den ein Hubschrauber

in Baumkronen hinterläßt.

Manches stimmt nicht mehr wie

der gleichmäßige Wind

im stinkenden Sommer.

Das ist jetzt anders. Du mußt dich

vornüber halten. Das riecht nun

nach anderem Abfall, nassem Getreide

und verbranntem Grasboden.

Das Realitätsprinzip setzt sich durch -

ein Himmel aus feinem Ruß

wird bewegt. Man atmet

nicht besser. Am Kehlkopf

spürst du den Industrieherbst

als leichten Druck.

Wie schön sich Bild an Bildchen reiht.

[Des Dichters] Jahreszeit des Todestriebs

wurde von repressiver Ordnung abgelöst.


(entstanden: 1977)


Wie heißen die Dichter, der eine ein österreicher, früh Vollendeter, der zweite ein deutscher, ein bis 1999 produktiv Schaffender?


Text 73:


Joachim Ringelnatz

Seehund zum Robbenjäger


"Ich bin ein armer Hund.

Ich habe keine Brieftasche. Im Gegenteil:

Man macht aus mir welche; sehr wohlfeil.

Und Wohlfeil ist Schund.


Taten wir jemals Menschen beißen?!

Im Gegenteil: Jedes menschliche Kind

Wird uns, wenn wir auf dem Lande sind,

Mit Steinen totschmeißen.


Wie ihr Indianer und Neger

Nicht glücklich für sich leben ließt,

Stellt ihr uns nach und schießt

Uns nieder. Für Bettvorleger!


Wo ihr Menschen Freischönes erschaut,

Öffnet ihr, staunend, euren Rachen.

Warum erstrebt ihr es nicht, euch vertraut

mit den Tieren zu machen?


Wilde Tiere sahen allem, was neu

Und friedlich war, anfangs unsicher zu.

Wer nahm den wilden Tieren die Ruh?

Wer gab ihnen zur Angst die Wut?


Der Mensch verkaufte Instinkt und Scheu.

Das Tier ist ehrlich und deshalb gut."


(Aus: Flugzeuggedanken. 1929 erschienen.)


Aufgaben:


1. Erzähle in eigenen Worten, was der Seehund dem Robbenjäger klarmachen will!


2. Schreibe eine Antwort des Jägers! Entscheide selber über seinen Charakter!


3. Stell Dir vor, wir könnten dem Dichter, der schon 1934 starb, einen Brief (oder eine e-mail) schreiben über Deinen Eindruck von seinem Gedicht! Verfasse dieses Schreiben!



Von andern Tieren. Den lieben, ollen, gemütlichen Elefanten!



Text 74:


Joachim Ringelnatz

Stalltüren


Zwei dicke Elefanten

Wollten inkognito

Heimwandern. Doch alle Passanten

Erkannten die Elefanten

Als Flüchtlinge aus dem Zoo.


Und wenn sich auch niemand getraute,

Sie anzufassen, ward ihnen doch klar,

Daß man ihre Absicht durchschaute

Und daß nun bald was im Gange war.


Verfolgt von einem großen Heere

Von Schauvolk und Soldaten

Und Autos, Mob und Feuerwehr

Schwenkten sie links und betraten

Zwei Eingänge einer Bedürfnisanstalt -

Für Herren und für Damen -

Und äpfelten. - Schutzleute kamen

Und haben sie niedergeknallt.

(Aus: Flugzeuggedanken. 1929)


Text 75:


Michael Ende:

Drei Brüder wohnen in einem Haus,

die sehen wahrhaftig verschieden aus,

doch willst du sie unterscheiden,

gleicht jeder den andern beiden.

Der ist nicht da, er kommt erst nach Haus.

Der zweite ist nicht da, er ging schon hinaus.

Nur der dritte ist da, der Kleinste der drei,

denn ohne ihn gäb’s nicht die anderen zwei.

Und doch gibt’s den dritten, um den es sich handelt,

nur weil sich er erst’ in den zweiten verwandelt.

Denn willst du ihn anschaun, so siehst du nur wieder

immer einen der anderen Brüder!

Nun sage mir: sind die drei vielleicht einer?

Oder sind es nur zwei? Oder ist es gar .- keiner?

Und kannst du, mein Kind, ihre Namen mir nennen,

so wirst du drei mächtige Herrscher erkennen.

Sie regieren gemeinsam ein großes Reich -

und sind es auch selbst! Darin sind sie gleich.

(Aus: M. E.: Momo. Stuttgart1973: Thienemann. S. 154.

**

Weiter im Text: Folgendes Gedicht kennen Sie sicherlich. Es läßt sich häufig zitieren, sind wir doch alle Menschen - und irren uns häufig, äh, zuweilen

Text :

Auch ............... haben ihren ............

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach ..............fährt,

entdeckt .................



Na, was haben Sie herausbekommen?

Ein Beispiel gefällig:


Auch Augen haben ihren Sinn.

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach Fielmann läuft,

entdeckt der Preise Parada, äh, Paradies.


Gut, das reimt sich nicht korrekt. Also, ein anderes:


Auch Ausnahmen haben ihren Sinn.

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach Sinnhausen fährt,

entdeckt die Regel da.


Also, auf ein Neues?


Auch ............... haben ihren ............

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach ..............fährt,

entdeckt .................


Noch’n Text?


Auch Austern haben ihren Wert,

jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach St. Peter fährt,

entdeckt ‘ne Perle da.



Text 7 (die zweite Ausgabe):

Dann, also das Original-Gedicht, man nennt es auch ein Epigramm (Erklärung folgt später...):


Auch irrtümer haben ihren wert.

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach indien fährt,

entdeckt amerika.


*

Theodor Fontane:

Die Alten und die Jungen


Unverständlich sind uns die Jungen“

Wird von den Alten beständig gesungen;

Meinerseits möchte ich’s damit halten:

Unverständlich sind mir die Alten.“

Dieses am Ruderbleibenwollen

In allen Stücken und allen Rollen,

Dieses sich Unentbehrlichvermeinen

Samt ihrer „Augen stillem Weinen“,

Als wäre der Welt ein Weh getan -

Ach, ich kann es nicht versahn.

Ob unsre Jungen, in ihrem Erdreisten,

Wirklich was Besserers schaffen und leisten,

ob dem Parnasse sie näher gekommen

Oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen,

Ob sie, mit andern Neusittenverfechtern,

Die Menschheit bessern oder verschlechtern,

Ob sie Frieden sä’n oder Sturm entfachen,

Ob sie Himmel oder Hölle machen -

Eins läßt sie stehen auf siegreichem Grunde:

Sie haben den Tag, sie haben die Stunde;

Der Mohr kann gehen, neu Spiel hebt an,

Sie beherrschen die Szene, sie sind dran.

(1897; aus: Gedichte. 5., vermehrte Aufl. 1898. Nach: Th. F.: Allerlei Glück. Ein Lebensbuch. dtv 12538. S. 204f.)


*




Verfassser unbekannt:

Das Zich


Das kleine Zich ist ein Fanal,

mit zwanzig kommt’s zum ersten Mal.

Du findest das kleine Zich hochfein

und möchtest gern älter sein.


Mit dreißig macht es Dir nichts aus,

Du kennst Dich ja damit schon aus.

Bist immer fleißig, schonst Dich nicht,

bis daß zum nächsten Mal es zicht.


Mit vierzig kommst Du zur Besinnung,

gehörst ja auch schon fest zur Innung

und guckst auch mal mit stillem Blick

ein wenig achterwärts zurück.


Mit fünfzig kommt’s wie Donnerhall

Dir vor das kleine Zich-Signal.

Du findest das nicht mehr so schön

und denkst, das woll’n wir doch mal sehn!


So gehst Du weiter ganz für Dich,

da macht das doch schon wieder zich!

Du schaust erstaunt und bist perplex,

denn vor dem Zich steht jetzt ‘ne Sechs!


Das Leben wirst Du weiter lieben.

Guck an, vorm Zich steht nun ‘ne Sieben!

Du meinst, das wär ja doch gelacht,

ich schaff das Zich auch mit der Acht.


Fühlst dich gesund und darfst Dich freun

und schon steht vor dem Zich ‘ne neun.

Wirst Du erst hundert, dann - famos -

bist Du das Zich fürs erste los!





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Auflösungen:




Heinz Erhardt

Die Eule


Eine Eule saß und stierte

auf dem Aste einer Euche.

Ich stand drunter und bedachte,

ob die Eule wohl entfleuche,

wenn ich itzt ein Steunchen nähme

und es ihr entgegenschleuder?

Dieses tat ich. Aber siehe,

sie saß da und flog nicht weuter.

Deshalb paßt auf sie die Zeule:

EULE MIT WEULE!


**


mUTTERTAG? VATERTAG?


Irgendwann im Mai: Haben Sie auch keine Lust, diesen geschäftstüchtigen, auf maue Gefühle spekulierenden Kalendertrick mitzumachen? Könnte Sie eher, logisch, ein Menschentag interessieren? Statt Mutter-, Vater-, Frauen-, Kleinkind-, Babytag usw? Ein Tag (als Teil des immerwährenden Jahres) für große und kleine Menschen? Für Leute, die einen Tag (meinetwegen den 10. Mai) mal anders beginnen lassen wollen als mit den üblichen, materiellen Frühstückvorbereitungen? Statt dessen mit einer sprachlichen Überraschung? Vielleicht mit einem Lieblingsgedicht? Haben Sie eine feine, kleine Lieblingspoesie auf Lager?

Ich biete Ihnen heute an: Günter Bruno Fuchs Gedicht Für ein Kind. Einer der schönsten Texte dieses Berliner Malers, Poeten und Vaganten (1928-1977).

Und ich denke immer bei diesem Kunststück von Gedicht, das man auch in den Klassenstufen 5 - 13 interpretieren kann: ob für kleine oder große Kinder, es ist analytisch noch nicht entschieden! Wie im wahren Leben.


*


Günter Bruno Fuchs:  F ü r  e i n  K i nd 

Ich habe gebetet. So nimm von der Sonne und geh.

Die Bäume werden belaubt sein.

Ich habe den Blüten gesagt, sie mögen dich schmücken.


Kommst du zum Strom, da wartet ein Fährmann.

Zur Nacht läutet sein Herz übers Wasser.

Sein Boot hat goldene Planken, das trägt dich.


Die Ufer werden bewohnt sein.

Ich habe den Menschen gesagt, sie mögen dich lieben.

Es wird dir einer begegnen, der hat mich gehört.


***


Mascha Kaleko:

Träumer mittleren Alters


Wie einen doch der große Weltschmerz quälte,

Als man so etwa zwanzig Jahre zählte!

Nun wird man niemals wieder zwanzig sein.

Oft ist in mir ein seltsames Bedauern:

Daß ich nicht traurig bin, das macht mich trauern

Und hüllt mich in die alte Wolke ein.


Soll man die Wohlgeratenen beneiden,

Die kühl und praktisch nie an Weltschmerz leiden,

Weil ihre Herzen längst gestorben sind?

Ach, der Gedanke schon läßt mich verzagen...

Mein Schicksal bleibt es, Träumen nachzujagen,

Ein hoffnungslos verlornes großes Kind.



***


Rose Ausländer:

Czernowitz vor dem 2. Weltkrieg


Friedliche Hügelstadt

von Buchenwäldern umschlossen


Weidenentlag der Pruth

Flöße und Schwimmer


Maifliederfülle

um die Laternen

tanzten Maikäfer

ihren Tod


Vier Sprachen

verständigten sich


Viele Dichter blühten dort auf

deutsche jiddische Verse

verwöhnten die Luft


Bis Bomben fielen

atmete glücklich die Stadt.



****

Text :

Wolfgang Borchert:

Der Kuß


Es regnet, doch sie merkt es kaum,

wie noch ihr Herz vor Glück erzittert:

Im Kuß versank die Welt im Traum.

Ihr Kleid ist naß und ganz zerknittert


und so verächtlich hochgeschoben,

als wären ihr Knie für alle da.

Ein Regentropfen, der zu nichts zerstoben,

der hat gesehn, was niemand sonst noch sah.


So tief hat sie noch nie gefühlt -

so sinnlos selig müssen Tiere sein!

Ihr Haar ist wie zu einem Heiligenschein zerwühlt -

Laternen spinnen sich drin ein.


*


Text :

Gedicht


Blume Anmut blüht so rot,

Blume Huldvoll blaut daneben.

Blume Anmut ist das Leben,

Blume Huldvoll ist der Tod.


Süß und herbe ist das Leben,

herb die Lust und süß die Not.

Blume Leben blüht so rot -

Blume Tod blüht blau daneben.


3. Klausur-Text: Wolfgang Borchert (1921 - 1947): Aus den

"Lesebuchgeschichten" (1949). Anmerkung: Borchert hat diesen Text als Abfolge von kurzen, sogenannten Mini-Kurzgeschichten geschrieben.

Aufgaben:

1. Erfasse das Thema aller Texte!

2. Interpretiere die einzelnen Texte nach inhaltlichen, formalen und intentionalen Gesichtspunkten!


***


Erich Kästner

Spruch für die Silvesternacht


Man soll das Jahr nicht mit Programmen

beladen wie ein krankes Pferd.

Wenn man es allzu sehr beschwert,

bricht es zu guter Letzt zusammen.


Je üppiger die Pläne blühen,

um so verzwickter wird die Tat.

Man nimmt sich vor, sich zu bemühen,

und schließlich hat man den Salat!


Es nützt nicht viel, sich rotzuschämen.

Es nützt nichts, und es schadet bloß,

sich tausend Dinge vorzunehmen.

Laßt das Programm! Und bessert euch drauflos!


***



*

Text


Theodor Storm (1817 - 1882):

April


Das ist die Drossel, die da schlägt,

Der Frühling, der mein Herz bewegt;

Ich fühle, die sich hold bezeigen,

Die Geister aus der Erde steigen.

Das Leben fließet als ein Traum -

Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.



Text


Hermann Hesse (1877 - 1962) 


Manchmal


Manchmal, wenn ein Vogel ruft

Oder ein Wind geht in den Zweigen

Oder ein Hund bellt im fernsten Gehöft,

Dann muß ich lange lauschen und schweigen.


Meine Seele flieht zurück,

Bis wo vor tausend vergessenen Jahren

Der Vogel und der wehende Wind

Mir ähnlich und meine Brüder waren.


Meine Seele wird ein Baum

Und ein Tier und ein Wolkenweben.

Verwandelt und fremd kehrt sie zurück

Und fragt mich. Wie soll ich Antwort geben?

**



Joachim Ringelnatz:

Pinguine


Auch die Pinguine ratschen, tratschen,

Klatschen, patschen, watscheln, latschen,

Tuscheln, kuscheln, tauchen, fauchen

Herdenweise, grüppchenweise

Mit Gevattern,

Pladdern, schnattern

Laut und leise.

Schnabel-Babelbabel-Schnack,

Seriöses, Skandalöses, Hiebe, Stiche.


Oben: Chemisette mit Frack.

Unten: lange, enge, hinderliche

Röcke.- Edelleute, Bürger, Pack,

Alte Weiber, Professoren.


Riesenvolk, in Schnee und Eis geboren.

Sie begrüßen herdenweise


Ersten Menschen, der sich leise

Ihnen naht. Weil sie sehr neugierig sind.

Und der erstgesehne Mensch ist neu.

Und Erfahrungslosigkeit starrt wie ein kleinstes Kind

Gierig staunend aus, jedoch nicht scheu.


Riesenvolk, in Schnee und Eis geboren,

Lebend in verschwiegener Bucht

In noch menschenfernem Lande.

Arktis-Expedition. - Revolverschuß -:

Und das Riesenvolk, die ganze Bande

Ergreift die Flucht.


**


Rudolf Baumbach

Die Gäste der Buche


Mietgäste vier im Haus

hat die alte Buche.

Tief im Keller wohnt die Maus,

nagt am Hungertuche.


Weiter oben hat der Specht

seine Werkstatt liegen.

Hackt und zimmert kunstgerecht,

daß die Späne fliegen.


Stolz auf seinen roten Rock,

mit gesparten Samen,

sitzt ein Protz im ersten Stock,

Eichhorn ist sein Name.


Hoch im Wipfel, im Geäst,

pfeift ein winzig kleiner

Musikante froh im Nest,

Miete zahlt nicht einer.


***


Bertolt Brecht

Über die Unfruchtbarkeit


Der Obstbaum, der kein Obst bringt

Wird unfruchtbar gescholten. Wer

Untersucht den Boden?


Der Ast, der zusammenbricht

Wird faul gescholten, aber

Hat nicht Schnee auf ihm gelegen?


*


Bertolt Brecht

Über die Gewalt


Der reißende Strom wird gewalttätig genannt

Aber das Flußbett, das ihn einengt

Nennt keiner gewalttätig.


Der Sturm, der die Birken biegt

Gilt für gewalttätig

Aber wie ist es mit dem Sturm

Der die Rücken der Straßenarbeiter biegt?


*


Bertolt Brecht

Wahrnehmung


Als ich wiederkehrte

War mein Haar noch nicht grau

Da war ich froh.


Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns

Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.


***


Leo Lionni

Die vier Mäuse:


Wer streut die Schneeflocken? Wer schmilzt das Eis?

Wer macht lautes Wetter? Wer macht es leis?

Wer bringt den Glücksklee im Juni heran?

Wer verdunkelt den Tag? Wer zündet die Mondlampe an?


Vier kleine Feldmäuse wie du und ich

wohnen im Himmel und denken an dich.


Die erste ist die Frühlingsmaus, die läßt den Regen lachen.

Als Maler hat die Sommermaus die Blumen bunt zu machen.

Die Herbstmaus schickt mit Nuß und Weizen schöne Grüße.

Pantoffeln braucht die Wintermaus für ihre kalten Füße.


Frühling, Sommer, Herbst und Winter sind vier Jahreszeiten.

Keine weniger und keine mehr. Vier verschiedene Fröhlichkeiten.


***


Und noch was von Mäusen... - natürlich, auch immer eine hübsche Gelegenheit, ein Gedicht mit Kindern zu lesen und es bekakeln:

Es stammt von Günter Nehm und heißt die Kirchenmaus - ganz ohne Lücken, ohne Verdreher, ohne Rätselfragen:


Text


Günter Nehm:

Die Kirchenmaus


In einem Mauseloch verborgen

bewohnte die Familie Maus

sehr glücklich, doch nicht frei von Sorgen,

ein riesengroßes Gotteshaus.


Bekanntlich gibt’s im Kirchgehäuse

statt Mausespeck nur Seelenheil,

doch dafür nehmen Kirchenmäuse

an Gottes Segen dankbar teil.


Einst fragte mit vergnügter Miene

bei Gottesdienst und Dankgebet,

die Mausetochter Karoline

wozu hier eine Kirche steht.


Die Mutter sprach: Gott sei’s gesegnet,

es dient ein Loch uns als Quartier,

um das zu schützen, wenn es regnet,

nur darum steht die Kirche hier.


Was will die Antwort wohl besagen

Nun, sie bestätigt den Verdacht,

daß auch bei ständig leerem Magen

ein starker Glauben selig macht.


*


Eugen Roth:


Ein Mensch, der recht sich überlegt,

daß Gott ihn anschaut unentwegt,

Fühlt mit der Herz in Herz und Magen

Ein ausgesprochnes Unbehagen

Und bittet schließlich ihn voll Grauen,

Nur fünf Minuten wegzuschauen.

Er wolle unbewacht, allein

Inzwischen brav und artig sein.

Doch Gott, davon nicht überzeugt,

Ihn ewig unbeirrt beäugt.


Text


Eugen Roth:

Je nachdem


Ein Mensch sagt bitter: „Weiß Gott, wo!“

Ein anderer, milde: „Gott weiß, wo!“

Durch sprachlich kleinsten Unterschied

Getrennt man ganze Welten sieht.


(Aus: E. R.: Geburtstagsbuch. Frankfurt/M. 1995: Fitabu 12081. S. 76)


Und hier ein Lösungsschema:


Tafeltext:

bitter“ | „milde“

sich verweigernd | teilnehmend

ablehnend | freundlich

ignorant | initiativ

pessimistisch | optimistisch

.............................|.......................


Eugen Roth

Im Regen


Kinder kommen gelaufen

Ins Grüne, ins Nasse

Heraus

In den prustenden Regen,

Ersingen sich seinen Segen,

Daß er sie wachsen lasse.


Im hölzernen Fasse

Mit dunklem Basse

Aus allen Traufen

Lärmt schon der Braus.


Die Bäume schnaufen,

Lechzen dem Feuchten entgegen,

Gern wollen sie’ leiden,

Daß der Wind sie fasse

Im wilden bewegen,

Im tanzenden Saus.


Die Eichen vorm Haus

Die beiden

Uralten Heiden

Stehen bescheiden

Und lassen sich taufen


(Achtung: die letzte Strophe ist ohne Rechtschreibung und Zeichensetzung wiedergegeben!)


Aufgaben:

1. Erkläre das Thema des Gedichts!

2. Beschreibe an zwei Beispielen die metaphorische Leistung; welche sprachlichen Besonderheiten fallen Dir sonst noch auf?

3. Erarbeite dir die normale Schreibweise der letzten Strophe und schreibe sie möglichst richtig ab!

4. Was meinst Du: Was wollte der Dichter Eugen Roth mit diesem Gedicht ausdrücken?



Eugen Roth:


Ein Mensch denkt, gläubig wie ein Kind,

Daß alle Menschen Menschen sind.

(Tafeltext)


***


Reiner Kunze

Das Kätzchen


Besuch! Im Garten ist ein Gast!

Ein Kätzchen sitzt auf einem Ast.


Laßt, Kinder, alles Spielzeug stehn,

wir wollen es bestaunen gehn!


Es hat zwei Lichter mitgebracht,

die sehn - und leuchten in der Nacht.


Was will es hier? Nun - denken wir,

es wolle sagen: Ich bin hier.


Denn eine Katze, Kinder, ist

ein Wunder. Was der Mensch vergißt.


Der Mensch kann auf dem Mond erwachen,

aber keine Katze machen.


Das kleinste Vogelherz, das schlägt,

ist nicht von Menschenhand bewegt.


Der Fisch, der sich im Wasser regt,

entschlüpft dem Ei, vom Fisch gelegt.


Das größte Wunder selbst auf Erden

muß aus dem Leib geboren werden:


Verwundert steht das Menschenkind

vor all den Wundern, die da sind.


Und jeder Mensch und jedes Tier

ist nur für eine Weile hier.


Drum danken wir dem Kätzchen schön,

daß es sich anschaun ließ, und gehn.




Sarah Kirsch

Katzenleben


Aber die Dichter lieben die Katzen

Die nicht kontrollierbaren sanften

Freien die den Novemberregen

Auf seidenen Sesseln oder in Lumpen

Verschlafen verträumen stumm

Antwort geben sich schütteln und

Weiterleben hinter dem Jägerzaun

Wenn die besessenen Nachbarn

Immer noch die Autonummern notieren

Der Überwachte in seinen vier Wänden

Längst die Grenzen hinter sich ließ.

(Aus: S. K.: Katzenleben. 1984.)


*



Hans Magnus Enzensberger


windgriff


manche wörter

leicht

wie pappelsamen


steigen

vom wind gedreht

sinken


schwer zu fangen

tragen weit

wie pappelsamen


manche wörter

lockern die erde

später vielleicht


werfen sie einen schatten

einen schmalen schatten ab

vielleicht auch nicht

(e.:1964)



Rose Ausländer

Mein Reich


Auf meinen Wänden

blühen Bilder


Poeten dichten

im Regal


Ich schaue lese

spreche mit den

schaffenden Gefährten


Mein kleines Zimmer

ist ein Riesenreich


Nicht herrschen will ich -

Dienen



Erich Fried

Einer singt


Einer singt

aus Angst

gegen die Angst


Einer singt

aus Not

gegen Not


Einer singt

aus der Zeit

gegen die Zeit


Einer singt

aus dem Staub

gegen den Staub


Einer singt

von den Namen

die Namen namenlos machen

(v.: 1966)



Günter Eich

Ungewohntes Wort


Eines Tages der

Fischgerechtigkeit

unterworfen:

Der Spruch der Forellen

mag hingehen.

Wie werden aber

die Aale urteilen

und die Haifische?


(v.:1964)


Ludwig Uhland

??

Bei einem wundermild

Da war ich jüngst zu ;

Ein goldner Apfel war sein Schild

An einem langen Aste.


Es war der gute baum,

bei dem ich eingekehret;

Mit süßer Kost und frischem Schaum

Hat er mich wohl .


Es kamen in sein Haus

Viel leichtbeschwingte Gäste;

Sie sprangen und hielten Schmaus

Und auf das beste.


Ich fand ein zu süßer Ruh

Auf weichen, grünen Matten;

Der Wirt, er selbst mich zu

Mit seinen kühlen .


Nun fragt' ich nach der ,

Da schüttelt' er den .

Gesegnet sei er allezeit

Von der bis zum Gipfel.


**


Bertolt Brecht

An die Nachgeborenen


Was sind das für Zeiten, wo

Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist,

weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!

(Ausschnitt; 1938)


Text:


Ulli Harth


An die Ungeborenen


Bald wird es das Verbrechen

über Bäume zu reden

nicht mehr geben.

Von Strauchdieben werden wir

uns nicht mehr fürchten.

Wenn das letzte Blatt

sich gewendet hat,

hältst du den Joker in der Hand

und bist

ohne Mitspieler.


Text


Walter Helmut Fritz

Bäume


Wieder hat man in der Stadt,

um Parkplätze zu schaffen,

Platanen gefällt.

Sie wußten zu viel.

Wennwir in ihrer Nähe waren,

begrüßten wir sie als Freunde.

Inzwischen ist es fast

zu einem Verbrechen geworden,

nicht über Bäume zu sprechen,

ihre Wurzeln,

den Wind, die Vögel,

die sich in ihnen niederlassen,

den Frieden,

an den sie uns erinnern.



Textchen


Martin Luther


Und wenn ich wüßte,

daß morgen die Welt unterginge,

pflanzte ich doch heute noch

einen Baum.


Text


Ernst Stadler

Kleine Stadt


Die vielen kleinen Gassen, die die langgestreckte Hauptstraße überqueren,

laufen alle ins Grüne. Überall fängt Land an.

Überall strömt Himmel ein und Geruch von Bäumen und der starke Duft der Äcker.

Überall erlischt die Stadt in einer feuchten Herrlichkeit von Wiesen,

Und durch den grauen Ausschnitt niedrer Dächer schwankt

Gebirge, über das die Reben klettern, die mit hellen Stützen in die Sonne leuchten.

Darüber aber schließt sich Kiefernwald: der stößt

Wie eine breite dunkle Mauer an die rote Fröhlichkeit der Sandsteinkirche.



Am Abend, wenn die Fabriken schließen, ist die große Stadt mit Menschen gefüllt.

Sie gehen langsam oder bleiben mitten auf der Gasse stehn.

Sie sind geschwärzt von Arbeit und Maschinenruß.

Aber ihre Augen tragen

Noch Scholle, zähe Kraft des Bodens und das feierliche Licht der Felder.


**

"Ein jeder Engel ist schrecklich."

Aus Rainer Maria Rilkes erster Duineser Elegie


Hans Magnus Enzensberger:

Die Visite


Als ich aufsah von meinem leeren Blatt,

stand der Engel im Zimmer.


Ein ganz gemeiner Engel,

vermutlich unterste Charge.


Sie können sich gar nicht vorstellen,

sagte er, wie entbehrlich Sie sind.


Eine einzige unter fünfzehntausend Schattierungen

der Farbe Blau, sagte er,


fällt mehr ins Gewicht der Welt

als alles, was Sie tun oder lassen,


gar nicht zu reden vom Feldspat

und von der Großen Magellanschen Wolke.


Sogar der gemeine Froschlöffel, unscheinbar wie er ist,

hinterließe eine Lücke, Sie nicht.


Ich sah es an seinen hellen Augen, er hoffte

auf Widerspruch, auf ein langes Ringen.


Ich rührte mich nicht. Ich wartete,

bis er verschwunden war, schweigend.

(Aus: HME: Kiosk. Neue Gedichte. Frankfurt 1995. S. 118f.)


***


Heinrich Kämpchen

Potemkin


Wie hat das Herz mir im Leibe gelacht,

Als ich die Kunde vernommen,

Daß das Zarenschiff als Rebellenschiff

Ins Meer hinaus ist geschwommen.


Daß nach langem Druck der Wagemut

Die Herzen der Russen erfaßte,

Daß mit lustigem Blähen die Flagge rot

Hoch oben flattert vom Maste.


Daß der Sklave endlich die Ketten bricht

Und daß er das Schwert will schwingen -

Glück auf, 'Potemkin', Rebellenschiff,

Du warst der erste im Ringen!

(Aus: Was die Ruhr mir sang. 1909. S. 134)



Kämpchen

Unglück?



Text

Bertolt Brecht (1898-1956)

Über das Frühjahr


Lange bevor

Wir uns stürzten auf Erdöl, Eisen und Ammoniak

Gab es in jedem Jahr

Die Zeit der unaufhaltsam und heftig grünenden Bäume.

Wir alle erinnern uns

Verlängerter Tage

Helleren Himmels

Änderung der Luft

Des gewiß kommenden Frühjahr.

Noch lesen wir in Büchern

Von dieser gefeierten Jahreszeit

Und doch sind schon lange

Nicht mehr gesichtet worden über unseren Städten

Die berühmten Schwärme der Vögel.

Am ehesten noch sitzend in Eisenbahnen

Fällt dem Volk das Frühjahr auf.

Die Ebenen zeigen es

In alter Deutlichkeit.

In großer Höhe freilich

Scheinen Stürme zu gehen:

Sie berühren nur mehr

Unsere Antennen.

[1928 verfaßt]

(Aus: Bertolt Brecht: Gesammelte Werke. Band 8. Frankfurt/M. 1967. S. 314.)


***




Ist es nicht sonderbar, daß die Menschen so gerne für die Religion fechten und so ungerne nach ihren Vorschriften leben? Georg Christoph Lichtenberg (1742- 1799)


Dichter und der religiöse Auftrag:


Es gibt nämlich einen Rückweg von der

Phantasie zur Realität, und das ist - die Kunst.

Der Künstler ist im Ansatz auch ein Introvertierter,

der es nicht weit zur Neurose hat.

Sigmund Freud: Vorlesungen zur Psychoanalyse.

Bd. I. 1970. S. 366.



Poetisches, die Inspiration, kann, wenn man streng konform lebt und denkt, nur entweder unsinnig gleich krank oder, wenn der Inhalt, wenn die Form der küsntlerischen Darstellung Akzept findet, stauanenswert, übermenschlich, entsprechend göttlich sein.


Karschin: Kirschen-Blut


Eichendorff: Der Dichter


Marie Luise Kaschnitz: Ein Gedicht


Hermann Josef Coenen: Neuer Wein in neue Schläuche



***

Schmetterlinge in den Lenzen:

Ist der Schmelz auf euren Schwingen

Das, wovon die Dichter singen?

Süßer Seele leises Glänzen?

(Chinesischer Spruch)


Eduard Mörike (1804-1875)


Zitronenfalter im April


Grausame Frühlingssonne,

Du weckst mich vor der Zeit,

Dem nur in Maienwonne

Die zarte Kost gedeiht!

Ist nicht ein liebes Mädchen hier,

Das auf der Rosenlippe mir

Ein Tröpfchen Honig beut,

So muß ich jämmerlich vergehn

Und wird der Mai mich nimmer sehn

In meinem gelben Kleid.



Nelly Sachs (1891-1970)

Schmetterling


Welch schönes Jenseits

ist in deinen Staub gemalt.

Durch den Flammenkern der Erde,

durch ihre steinerne Schale

wurdest du gereicht,

Abschiedsgewebe in der Vergänglichkeiten Maß.


Schmetterling

aller Wesen gute Nacht!

Die Gewichte von Leben und Tod

senken sich mit deinen Flügeln

auf die Rose nieder

die mit dem heimwärts reifenden Licht welkt.


Welch schönes Jenseits

ist in deinen Staub gemalt.

Welch Königszeichen

im Geheimnis der Luft.

*

Reiner Kunze (* 1933)

Raumfahrt im wagen des gastes


Noch dürfen wir nicht zurück zur erde, obwohl wir

an ihr haften


Noch ist das letzte ziel der kamera

nicht fotografiert


Die fliegende dämmerung überholen, das zielfoto

wird entscheiden


An der windschutzscheibe flügel

winziger erschlagener engel



Aufgaben: Wählen Sie zwei Texte aus und interpretieren Sie vergleichend sie!



Text


Rudolf Baumbach

Die Gäste der Buche


Mietgäste vier im Haus hat die alte Buche.

Tief im Keller wohnt die Maus, nagt am Hungertuche.


Weiter oben hat der Specht seine Werkstatt liegen.

Hackt und zimmert kunstgerecht, daß die Späne fliegen.


Stolz auf seinen roten Rock, mit gesparten Samen,

sitzt ein Protz im ersten Stock, Eichhorn ist sein Name.


Hoch im Wipfel, im Geäst, pfeift ein winzig kleiner Musikante

froh im Nest, Miete zahlt nicht einer.



Novalis


Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren

Sind Schlüssel aller Kreaturen,

Wenn die so singen oder küssen

Mehr als die Tiefgelehrten wissen,

Wenn sich die Welt ins freie Leben

Und in die Welt wird zurückbegeben,

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten

zu echter Klarheit werden gatten

Und man in Märchen und Gedichten

Erkennt die ewgen Weltgeschichten,

Dann fliegt vor Einem geheimen Wort

Das ganze verkehrte Wesen fort.


**


J.W. von Goethe


Gedichte sind gemalte Fensterscheiben!

Sieht man vom Markt in die Kirche hinein,

Da ist alles dunkel und düster;

Und so sieht's auch der Herr Philister:

Der mag denn wohl verdrießlich sein

Und lebenslang verdrießlich bleiben.


Kommt aber nur einmal herein!

Begrüßt die heilige Kapelle;

Da ist's auf einmal farbig helle,

Geschicht' und Zierat glänzt in Schnelle,

Bedeutend wirkt ein edler Schein;

Dies wird euch Kindern Gottes taugen,

Erbaut euch und ergetzt die Augen!

(e. um 1827)


Hans Magnus Enzensberger


windgriff


manche wörter

leicht

wie pappelsamen


steigen

vom wind gedreht

sinken


schwer zu fangen

tragen weit

wie pappelsamen


manche wörter

lockern die erde

später vielleicht


werfen sie einen schatten

einen schmalen schatten ab

vielleicht auch nicht

(e.:1964)



Rose Ausländer


Mein Reich


Auf meinen Wänden

blühen Bilder


Poeten dichten

im Regal


Ich schaue lese

spreche mit den

schaffenden Gefährten


Mein kleines Zimmer

ist ein Riesenreich


Nicht herrschen will ich -

Dienen



Erich Fried


Einer singt


Einer singt

aus Angst

gegen die Angst


Einer singt

aus Not

gegen Not


Einer singt

aus der Zeit

gegen die Zeit


Einer singt

aus dem Staub

gegen den Staub


Einer singt

von den Namen

die Namen namenlos machen


(v.: 1966)



Günter Eich


Ungewohntes Wort


Eines Tages der

Fischgerechtigkeit

unterworfen:

Der Spruch der Forellen

mag hingehen.

Wie werden aber

die Aale urteilen

und die Haifische?


(v.:1964)


***



Nein, von Auschwitz hörten wir kein Wort; eine spezifische katholische Schuld, wie sie protestantische Priester und Bischöfe schon im Jahre 1945 als öffentliches Bekenntnis formulierten, scheint es nicht gegeben zu haben. Es war auch nicht nur bequemer, es war einfach ideologisch richtig, nach der Koketterie und der Anpassung und der Verehrung völkisch-nationaler Gesinnung, auch eines ungebrochenen Antikomunismus, sich der eigenen Verfehlung im Faschismus nicht zu besinnen. Ein dazumaliger Katholik, wie er sie in der Schulzeit kennenlernte, hätte folgende von Elie Wiesel, schon zu meiner Schulzeit, im französischen Original 1958 gedruckte Passage nicht ernstnehmen, ja nicht denken, erst recht nicht Schülern gegenüber veröffentlichen dürfen (also Fortschritt als Echternacher Dialektik, wenn man vorher verbrannt wird auf irgendeinem Altar der Dogmatik und nachher - nein, nicht heiliggesprochen, sondern so gerdet und getan wird, als wäre nichts gewesen. Irgendwelche Probleme?)

Als KZ-Häftling erlebte Wiesel die Hinrichtung eines Jungen mit. Nach mehr als einer halben Stunden lebte dieses Kind noch neben den zwei schon Strangulierten: "Aber der dritte Strick hing nichts reglos: der leichte Knabe lebte noch..." Dann, nach einer Anordnung: "Wir mußten ihm ins Gesicht sehen. Er lebte noch, als ich an ihm vorüberschritt. Seine Zunge war noch rot, seine Augen noch nicht erloschen.

Hinter Wiesel fragte ein Mann: "'Wo ist Gott?' Und ich hörte eine Stimme in mir antworten: 'Wo er ist? Dort - dort hängt er, am Galgen...'"

Einer solch radikalen, ehrlichen, der Identifikation durch Nächstenliebe ermöglichten Einsicht widerspricht der römisch-katholischen Alleinvertretungsanspruch - Folgen der Machtallüren von Unpersönlichkeiten, die ihre Ämter zu ihren Privatrollen gemacht haben und nichts mehr merken wollen. -

Trotzdem fand ich, nach mehr als dreißig Jahren dieses Auschwitz-Zitat in einer kleinen Schrift des Spirituals D. G. meiner damaligen Internatszeit; er bietet diese schreckliche Episode unter dem Kapital "Der Allmächtige" zu Nachdenken über die Grundfrage: Wie und wo stellt er sich Gott vor. Er, Dirk Grothues, kommt aber zu einer fundamental einfachen, nicht zu befragenden Antwort: "Gottes Allmacht ist anders, als wir befürchten. Sie engt weder ein, noch nimmt sie uns die Freiheit. Sie ist es ja gerade, die uns Dasein und Leben, Freiheit und Geltung verschafft." (D.G.: Gott - Geheimnis unseres Heils. Leutesdorf 1994.) Er kann in solch stereoytpem Fazit keine angemessene Reaktion auf den Holocaust, keine Vermittlung des Gebotes der Nächstenliebe, keine Einsicht in die historische Schuld von Kollektiven, auch des, gemessen am Beispiel Christi und seiner Apostel, Betrugsapparats der katholischen Kirche, ihrer bestialischen Gleichgültigkeit gegenüber den Falschen, den nicht in der Kirche Gefestigten, erkennen.





***


Kahlil Gibran


Eure Kinder sind nicht eure Kinder.

Es sind die Söhne und Töchter von des Lebens Verlangen nach sich selber. Sie kommen durch euch, doch nicht von euch; und sind sie auch bei euch, so gehören sie euch doch nicht. Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, doch nicht eure Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken.

Ihr dürft ihren Leib bekleiden, doch nicht ihre Seele.

Denn ihre Seele wohnt im Hause von morgen, das ihr nicht zu betreten vermögt, selbst nicht in euren Träumen.

Ihr dürft euch bestreben, ihnen gleich zu werden, doch suchet nicht, sie euch gleich zu machen.

Denn das Leben läuft nicht ruckwärts, noch verweilt es beim Gestern.

Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile entsandt werden.

Der Schütze sieht das Zeichen auf dem Pfade der Unendlichkeit, und er biegt euch mit seiner Macht, auf daß seine Pfeile schnell und weit fliegen. Möge das Biegen in des Schützen Hand euch zur Freude gereichen; denn gleich wie er den fliegenden Pfeil liebt, so liebt Er auch den Bogen, der standhaft bleibt.


Aufgaben:


1. Erkläre im Überblick, worum es im Text geht (Inhaltsangabe)!


2. Erkläre die bildlichen Ausdrücke des Textes! (Sind es Metaphern oder Symbole?)


3. Erarbeite die Intention (d.h. fasse den Sinn des Textes zusammen)!

4. Analysiere die unterstrichenen Zeilen nach den wichtigsten Wortarten, Satzteilen und der Syntax! Erkläre den Stil des Satzes!


***


Text 40:



Rainer Brambach


Der Baum


Seit ich weit draußen

das Haus in der Siedlung bewohne,

wächst aus dem Keller ein Baum

durch Diele und Mansarden.

Laub hängt fahnengleich

zu allen Fenstern hinaus.

Der Wipfel wiegt sich

über dem moosgrauen Dach.


Ich hause unbesorgt nah dem Gezweig,

im Hof fault der Spaltklotz,

auf dem Speicher rostet die Säge.

Nachbarn freilich rufen sich zu:

Sein Haus ist wie unsere Häuser,

was ist der Narr fröhlich -

Hört, er singt in der Frühe, redet

und lacht, wenn es dämmert.


Der Baum wächst.




Stop, Pause!


Ich habe Ihnen in de zweiten und der so kurzen dritten Strophe noch genug Platz gelassen für eigene Illustrierungen...


Aber das ganze Gedichtnis (so paßt es für ein brambachsches Gedicht) muß natürlich so gedruckt aussehen. So wollte es der Dichter.




Text 40:


Rainer Brambach


Der Baum


Seit ich weit draußen

das Haus in der Siedlung bewohne,

wächst aus dem Keller ein Baum

durch Diele und Mansarden.

Laub hängt fahnengleich

zu allen Fenstern hinaus.

Der Wipfel wiegt sich

über dem moosgrauen Dach.


Ich hause unbesorgt nah dem Gezweig,

im Hof fault der Spaltklotz,

auf dem Speicher rostet die Säge.

Nachbarn freilich rufen sich zu:

Sein Haus ist wie unsere Häuser,

was ist der Narr fröhlich -

Hört, er singt in der Frühe, redet

und lacht, wenn es dämmert.


Der Baum wächst.




Günter Grass


Die Seeschlacht


Ein amerikanischer Flugzeugträger

und eine gotische Kathedrale

versenkten sich

im Stillen Ozean

gegenseitig.

Bis zum Schluß

spielte der junge Vikar auf der Orgel. -

Nun hängen Flugzeuge und Engel in der Luft

und können nicht landen.




Interpretieren Sie das Mörike-Gedicht, wählen Sie einen der zwei folgenden Texte aus und erarbeiten Sie einen Vergleich zum Originaltext von Mörike! (Berücksichtigen Sie die abgedruckten Materialien!

Geben Sie durch eine Gliederung Ihrer Klausur einen eigenen Aufbau, einschließlich der Begründung Ihrer Auswahl!)


1. Eduard Mörike (1804 - 1875)


Er ist's

Frühling läßt sein blaues Band

Wieder flattern durch die Lüfte;

Süße, wohlbekannte Düfte

Streifen ahnungsvoll das Land.

Veilchen träumen schon,

Wollen balde kommen.

- Horch, von fern ein leiser Harfenton!

Frühling, ja du bist's!

Dich habe ich vernommen.

[e: 8.3.1829]


2. Karl  K r o l o w

Neues Wesen

Blau kommt auf

wie Mörikes leiser Harfenton.

Immer wieder

wird das so sein.

Die Leute streichen

ihre Häuser an.

Auf die verschiedenen Wände

scheint die Sonne.

Jeder erwartet das.

Frühling, ja, du bist's!

Man kann das nachlesen.

Die grüne Hecke ist ein Zitat

aus einem unbekannten Dichter.

Die Leute streichen auch

ihre Familien an, die Autos,

die Boote.

Ihr neues Wesen

gefällt allgemein.

[e.: 1967]


3. Manfred Hausin (* 1951)

Lied vom Gifttod

Gifttod läßt sein Würgeband

einfach flattern durch die Lüfte;

schwere, unbekannte Düfte

streifen unheilvoll das Land.

Gifttod freut sich schon,

will gar balde kommen.

- Horch, von nah ein leiser Sensenton!

Gifttod, ja du bist's!

Dich hab ich vernommen!


[e.: 1971]


Benutzen Sie nach eigener Wahl folgende Materialien für Ihre Interpretation:

1. Aussage eines Schülers: "Aber, das ist doch ganz einfach in dem ganzen Gedicht Mörikes so: nicht mehr romantisch, noch nicht realistisch!"

2. Biedermeier heißt die Epoche zwischen Romantik und Realismus, in der politisch resignative Autoren vorzugsweise Themen wie Natur, Liebesbeziehungen und private Werte wie Familie und Freundschaft beschrieben haben!

3. Textsortenbestimmungen:

Eine Parodie ist eine literarische, spöttisch-ironische Nachahmung, bei der man die Vorlage wiederkennt.


Eine Kontrafaktur ist ein Gegengedicht, das sich auf einen erkennbaren, allgemein bekannten Text bezieht; Absicht ist es, den Unterschied zwischen alt und neu, zwischen damals und heute aufzuzeigen und den Leser zu überlassen, wie er ihn bewertet.


Text

Werner P e t r e n z :


Heiß brennt die Sonne Afrikas,

da macht das Baden Riesenspaß.

Ein Gürteltier sprang in den Nil,

wobei sein Gürtel ihm entfiel.

Es tauchte danach viele Stunden,

doch blieb das gute Stück

verschwunden,.

Seitdem - berichten Großwildjäger -

trägt dieses Tier nur Hosenträger.


(Gefunden in der Süddeutschen Zeitung Nr. 174 (31.7./1.8.99)


Erich Fried:

Winterliches Biwack


Und die lustigen Feuer

wohin sind sie alle gekommen?

Die Frager sitzen fröstelnd

zu zweit und zu dritt und

hell glänzt die Kälte


ich schlage die Arme zusammen über der Brust

ich schlage die Brust zusammen über dem Herzen

ich schlage das Herz zusammen über Angst

Schale und Schale um Schale


Eine Zwiebel die mühsam überwintert

und die Kälte zerschneidet sie und muß weinen

Die Klugen kauen verbissen das scharfe Gericht

Und die lustigen Feuer

wohin sind sie alle gekommen?


*

Text


Der kleine Bär ging zum Fluß und der kleine Tiger blieb ganz allein zu Hause. Er fühlte sich sehr einsam. Mit diesem Gefühl im Bauch konnte er nichts anfangen. Dazu kam, dass er zu nichts Lust hatte:

Er wollte keine Zwiebeln schälen. Er mochte keine Kartoffeln kochen, er hatte es satt, die Stube zu fegen. Er konnte auch kein Feuer im Ofen machen. Das Leben erschien ihm überhaupt nicht schön!


Vielleicht hätte er lesen lernen sollen...


*



Text 56:


Lösungen des Wörterrätsels:


Sonnenuhr, Holzschuh oder Handschuh, Bienenstock, -Krebsschere, Salzfaß, Steckenpferd, Schneckenhaus, Kaffee- oder Windmühle, Wasserhahn, Rede- oder Überfluß, Holz- oder Sägebock, Maig- oder Schneeglöckchen, Wellen- oder Hahnenkamm, Leinwand, Blindekuh (oder: Seekuh), Windrose, Federbusch (auch: Wilhelm Busch), Zaunkönig, Schneemann (oder Mann im Mond), Sternzeichen Schütze oder der ABC-Schütze, Schlüsselblume (oder Notenschlüssel), Schubkarren (oder auch: Henkerskarren), Rockfutter (oder: Studentenfutter), Weidenkätzchen, Vogelbauer, Klavierspieler, Stiefelknecht, Stammbaum, Notenfuß (oder Fuß des Berges), Zapfenstreich, Überwurf, Holzstoß, Hosenschlag.


Rätsel:


Text 56: Hebel: Der Sonntag


Text 57: Schiller: Unsere Zähne


Text 58: Goethe: Der Schalttag



Text 59:


Ad ultimum? Die letzten Zwei? Die Unbekannten?


Georg Trakl: „Verklärter Herbst“ und: Karl Krolows Anti-Gedicht „Es wird immer windiger“.

Zwei wichtige Gedichte des 20. Jahrhunderts...


*


Vom Seehund, der sprechen konnte:


Joachim Ringelnatz

Seehund zum Robbenjäger


"Ich bin ein armer Hund.

Ich habe keine Brieftasche. Im Gegenteil:

Man macht aus mir welche; sehr wohlfeil.

Und Wohlfeil ist Schund.


Taten wir jemals Menschen beißen?!

Im Gegenteil: Jedes menschliche Kind

Wird uns, wenn wir auf dem Lande sind,

Mit Steinen totschmeißen.


Wie ihr Indianer und Neger

Nicht glücklich für sich leben ließt,

Stellt ihr uns nach und schießt

Uns nieder. Für Bettvorleger!


Wo ihr Menschen Freischönes erschaut,

Öffnet ihr, staunend, euren Rachen.

Warum erstrebt ihr es nicht, euch vertraut

mit den Tieren zu machen?


Wilde Tiere sahen allem, was neu

Und friedlich war, anfangs unsicher zu.

Wer nahm den wilden Tieren die Ruh?

Wer gab ihnen zur Angst die Wut?


Der Mensch verkaufte Instinkt und Scheu.

Das Tier ist ehrlich und deshalb gut."

(Aus: Flugzeuggedanken. 1929 erschienen.)



**


Joachim Ringelnatz

Stalltüren


Zwei dicke Elefanten

Wollten inkognito

Heimwandern. Doch alle Passanten

Erkannten die Elefanten

Als Flüchtlinge aus dem Zoo.


Und wenn sich auch niemand getraute,

Sie anzufassen, ward ihnen doch klar,

Daß man ihre Absicht durchschaute

Und daß nun bald was im Gange war.


Verfolgt von einem großen Heere

Von Schauvolk und Soldaten

Und Autos, Mob und Feuerwehr

Schwenkten sie links und betraten

Zwei Eingänge einer Bedürfnisanstalt -

Für Herren und für Damen -

Und äpfelten. - Schutzleute kamen

Und haben sie niedergeknallt.

(Aus: Flugzeuggedanken. 1929)


*

Text 75:


Michael Endes Gedicht:


Die Brüder teilen sich unser gedankliches Zeitsystem, das fast allen menschlichen Sprachen zu Grunde liegt: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft


*


Werner Fink:

An den Nabel


Wir treiben auf dem Sinn des Lebens

Wie Blüten auf dem Ozean.

Wer Unglück hat, sagt sich vergebens,

Was Gott tut, das ist wohlgetan.

Mein Schifflein sah schon manches Wetter,

doch blieb es heil und sank noch nicht.

Das Schwein im Leben spart den Retter,

Und Sparen ist die erste Pflicht.

Wer weiß, wo mein Schicksal mich erwischt.

Vielleicht verlaufe ich im Sande -

Na schön, dann war es eben nischt. ist


*


Jetzt aber, Achtung, Generalprobe für Heinz, den Erhard-ten, den Vollblut-Humoristen:


Ein ....horn

(Nashorn)


Der .....


Es war ein buntes Ding,

ein sogenannter Schmetter...

der war wie alle ...

recht sorglos für sein Alter.

Er nippte hier und nippte dort,

und war er satt, so flog er ...

flog zu den H.............

und guckte nicht nach hinten.

Er dachte nämlich nicht daran,

daß was von hinten kommen kann.

So kam’s, daß dieser ........

verwundert war, als man ihn ......



Der Schmetterling


Es war ein buntes Ding,

ein sogenannter Schmetterling,

der war wie alle Falter

recht sorglos für sein Alter.

Er nippte hier und nippte dort,

und war er satt, so flog er fort,

flog zu den Hyazinthen

und guckte nicht nach hinten.

Er dachte nämlich nicht daran,

daß was von hinten kommen kann.

So kam’s, daß dieser Schmetterling

verwundert war, als man ihn fing.


*


1. Fasse in eigenen Worten zusammen, worin der alte Harfenspieler, durch den auch Goethe spricht, das Problem der menschlichen Schuld

sieht! (Du mußt also gar nicht den Goethe-Text analysieren!)

2. Vergleich mit Heinrich Kämpchens Ballade "Ideal und Prosa" (entstanden 1898):

2.1. Erkläre, in welchen Situationen der Dichter die Schwierigkeit der bergmännischen Arbeit sieht (Inhalt der einzelnen Strophen)!

2.2. Benenne zusammenfassend die Widersprüche, die Kämpchen für den Bergmann gegeben sieht!

3. Analysiere die 4. Strophe sprachlich und syntaktisch; erarbeite ausführlich (auch mit Hilfe der Vergleichsproben) die stilistischen Sprachmittel!

4. Erkläre die Intention des Dichters und beschreibe einige Forderungen, die sich damals, 1898, vermutlich aus dem Anliegen des Dichters ergaben!

5. Findest Du das Gedicht heute überholt? Sollte man sich noch mit ihm beschäftigen?


*


Friedrich Wilhelm Güll:

Wer von euch ist klug und fleißig?


Wer von euch ist klug und fleißig?

Dreiunddreißig Rätsel weiß ich.

Spitzt das Ohr und spitzt die Feder,

Und nun schreib’ sich auf ein jeder:


Welche Uhr hat keine Räder?

Welcher Schuh ist nicht von Leder?

Welcher Stock hat keine Zwinge?

Welche Schere keine Klinge?


Welches Faß hat keinen Reif?

Welches Pferd hat keinen Schweif?

Welches Häuschen hat kein Dach?

Welche Mühle keine Bach?


Welcher Hahn hat keinen Kamm?

Welcher Fluß hat keinen Damm?

Welcher Bock hat keine Haut?

Welches Glöcklein keinen Laut?


Welcher Kamm ist nicht von Bein?

Welche Wand ist nicht von Stein?

Welche Kuh denn hat kein Horn?

Welche Rose keine Dorn?


Welcher Busch hat keinen Zweig?

Welcher König hat kein Reich?

Welcher Mann hat kein Gehör?

Welcher Schütze kein Gewehr?


Welcher Schlüssel sperrt kein Schloß?

Welchen Karren zieht kein Roß?

Welches Futter frißt kein Gaul?

Welche Katze hat kein Maul?


Welcher Bauer pflügt kein Feld?

Welcher Spieler verliert kein Geld?

Welcher Knecht hat keinen Lohn?

Welcher Baum hat keine Kron’?


Welcher Fuß hat keine Zeh’?

Welcher Streich tut keinem weh?

Welcher Wurf und Stoß und Schlag?

Rat nur, wer da kann und mag!



Lösungen:


Sonnenuhr - Holzschuh - Spazierstock - Seepferd - Schneckenhaus - Windmühle - Wasserhahn - Redefluß, Holzbock - Maiglöckchen - Wellenkamm - (Hahnenkamm), - Seekuh - Windrose - Wilhelm B., Zaunkönig - Mann im Mond - Sternzeichen Schütze - Schlüsselblume - Henkerskarren - Studentenfutter - Löwenmäulchen - Vogelbauer - Stiefelknecht - Stammbaum - Notenfuß - Fuß des Berges - Wurf - Stoßstange - Schlagwort

:


Neu, noch nicht....


Lehmann,Wilhelm:


DER REIM


Nicht fähig mehr, die ungereimte Welt zu tragen  

Er stört euch nur, ich weiß es   muß der Reim verzagen.

Doch kann ich es nicht anders sagen,

Als daß zu Füßen mir

Die Fördewelle freudig schluchzt,

Der Kuckuck ihr,

Oboenmund, Antwort guguchzt.


(Datierung: 23.-25.06.1960. E.: Abschiedslust 1962; Abdruck nach: Sämtliche Gedichte. 1982. S. 284)


*

Christine Zickmann: Karneval

Es ist Karnevalszeit
und die Maske befreit
dich von dir, von dem eigenen Zwang.
Es ist Jubel und Tanz,
und du drehst dich im Glanz
ohne Fesseln die närrische Straße entlang.

Was du niemandem sagst,
was du niemals sonst wagst,
heute drängt es verwegen ans Licht.
Was noch gestern tabu,
teilt das Glück dir heut' zu,
und du bist es, und bist es doch nicht.

Es ist Karnevalszeit
und dein närrisches Kleid
lässt beschwingt wie ein Vogel dich sein.
Deine Sinne verzückt,
aller Schwerkraft entrückt.
Doch am Morgen da holt dich dein Ich wieder ein.

und  v i e l e  a n d e re   A u t o  r e n 


Zehra Cirak und Jürgen Walter

Mit ausgesuchten Worten


Eine Rede und eine Wendung

ein sich Winden im Fehl

nichts fehlerfrei sprachspüren

erst sagen dann machen oder

nichts verraten von den Fehlern

erst falschsagen dann richtigmachen

oder nichts machen und viel sagen

Sprachrechte im Rechtsprech wie

Fehlersprech dem Sprachfehler Redeversprech

Rechtsagung

Lüge

sprichwörtlich wahr Gesagtes im Redeverbot

auch bei Sprachstörung anzuwendendes Sprachlabor

Spruchkammer im Rederaum wenn Sprücheklopfer

Sprechzellen sprengen mit

Lüge

redelustige Redekunst auch sprachgewaltig

und Sprachpfleger im Rausreden

sich Freispruch für Freispruch absagen

lügende Sprechblasen

endlich sprachlos

Opferworte Tätersprache

im Sprechzwang der Redelust der Redeschlacht

Lüge

über Gott und die Welt über Tod und Teufel

mit ausgesuchten Worten

verzeihlich auch wenn

sprachfehlerfrei

vom Gehirn zur Lippe zum Ohr

*

http://www.spielboden.at/poesie/autoren/2004/cirak_walter.html

*

Karoline von Günderrode (1780 - 1806): Schriftstellerin und Freundin

Der Luftschiffer

Gefahren bin ich im schwankenden Kahne
Auf dem blaulichen Ozeane,
Der die leuchtenden Sterne umfließt,
Habe die himmlischen Mächte begrüßt.
War in ihrer Betrachtung versunken,
Habe den ewigen Äther getrunken,
Habe dem Irdischen ganz mich entwandt,
Droben die Schriften der Sterne erkannt
Und in ihrem Kreisen und Drehen
Bildlich den heiligen Rhythmus gesehen,
Der gewaltig auch jeglichen Klang
Reißt zu des Wohllauts wogendem Drang.

Aber ach! es ziehet mich hernieder,
Nebel überschleiert meinen Blick,
Und der Erde Grenzen seh' ich wieder,
Wolken treiben mich zurück.
Wehe! Das Gesetz der Schwere
Es behauptet nur sein Recht,
Keiner darf sich ihm entziehen
Von dem irdischen Geschlecht.


Karoline von Günderrode

**

Inzwischen wird ja Robert Gernhardt schon bei Gelegenheit von Marcel Reich-Ranicki gelobt, je älter und tratschiger er wird (Ei, was und wie? WER wird älter? Beide...?)

Es gibt viele kritische, kluge Humoristen in der deutschen Literatur (nicht nur H. Heine oder W.Busch; und je wichtiger sie waren, waren sie nicht nur "Humoristen", sondern auch Zeitzeugen. Heute dieses Beispiel von F.G., der die Zeit der Könige und Fürsten und Fürstbischöfe noch erlebte:


Franz Grillparzer: P o l i t i k


Ich sah ein . . . . . . Gassenbuben,

Wie kaum entschlüpft aus des ............ Stuben,

Die warfen sich mit Ballen von ...........

Und lachten, tat's einem im Fallen weh.


Sie waren mit Ekelnamen nicht .........

Und streckten die Zunge aus ihrem Maul.

"Ei", dacht ich in meinem Sinne, "ei -

Und so was duldet die Polizei?"


Da gewahrt' ich Go... in ihren Haaren

Und sah erst, daß es Kö.......... waren.


(Die Wörter sind leicht zu ergänzen; die vollständige Version setze ich morgen ins Netz.)


Grillparzer:

Politik


Ich sah einen Rudel Gassenbuben,

Wie kaum entschlüpft aus des Lehrers Stuben,

Die warfen sich mit Ballen von Schnee

Und lachten, tats einem im Fallen weh.

Sie waren mit Ekelnamen nicht faul

Und streckten die Zunge aus ihrem Maul.

»Ei«, dacht ich in meinem Sinne, »ei,

Und so was duldet die Polizei?«

Da gewahrt ich Gold in ihren Haaren

Und sah erst, daß es Könige waren.

[Grillparzer: Gedichte, S. 694. Die digitale Bibliothek der deutschen Lyrik, S. 23689 (vgl. Grillparzer-SW 1, S. 359)]




Poesie - Erkenntnis und Phantasie -


Ein

poetischer


Mix......





Ein Sammelsurium für Assoziationen und Spaß und Nachdenken -


zusammengestellt von


ANTON STEPHAN REYNTJES




Vor der Theorie - ein bißchen Praxis:


Setzen Sie einmal folgende Buchstaben neu zusammen, oder schneiden Sie sie mal aus:


---------

N E S E C U K A L H I G N R


-------------------------------------------------


Na, wie heißt ein mögliches Wort aus diesen Kombinationen?


RECKLINGHAUSEN - RECKLINGHAUSEN -




Ein bißchen Theorie:


Guten Tag. Darf ich Ihnen was Besonderes anbieten? Ein Stück Deutsch - nein, eher ein Humorunterricht....(Falls man den pädagogisch verpacken kann....) Eher so: Ich biete Ihnen einen Appetizer.

Sagen wir es lieber auf Deutsch: einige Appetithappen, also kleine Kostbarkeiten, um abzulenken, um aufzutanken, um nachzudenken (auf eine abwechslungsreiche Art) - um Spaß und Erkenntnis zu erleben, auf eine neue Art:



Dichtung, die Spaß macht - und Erkennntis. Denn jedes Wort, jeden Satz, jede Strophen und erst recht den Gesamttext, den man oder frau - sagen wir einfach: mensch - sich selbst erarbeitet, konstruiert sich den Inhalt und die Struktur. Und Sie können überprüfen, ob Sie richtig lagen in Ihrem Konstruktionsversuch.

Gute Gedichte lassen fast keine andere als die richtige, vom Dichter geschaffene Form und Abfolge zu. Dies macht jede Umstell- oder Ersetzungsprobe deutlich.....


***


Von recht flatterhaften Tieren, denen wir, außer in Tierparks, nur noch im ländlichen Raum begegnen, von -eueu, da hätte ich mich fast verraten..... Und weil es ein reichlich verzwicktes, originelles Gedicht ist, sei, wenn sie es selber nicht schon gemerkt haben, der Autor verraten:


Text 1:


Theodor Fontane: Die Alten und die Jungen

Unverständlich sind uns die ............“

Wird von den Alten beständig ge...............;

.................. möchte ich’s damit halten:

..................... sind mir die Alten.“

Dieses am ..........................-Wollen

In allen Stücken und allen .............,

Dieses sich Unentbehrlich-Vermeinen

Samt ihrer „Augen stillem Weinen“,

Als wäre der Welt ein Weh getan -

Ach, ich kann es nicht versahn.

Ob unsre Jungen, in ihrem Erdreisten,

Wirklich was Besserers schaffen und leisten,

ob dem Parnasse sie näher gekommen

Oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen,

Ob sie, mit andern Neusitten-Verfechtern,

Die Menschheit bessern oder verschlechtern,

Ob sie Frieden sä’n oder Sturm entfachen,

Ob sie Himmel oder Hölle machen -

Eins läßt sie stehen auf siegreichem Grunde:

Sie haben den Tag, sie haben die Stunde;

Der Mohr kann gehen, neu Spiel hebt an,

Sie beherrschen die Szene, sie sind dran.

*

Lösung:

Theodor Fontane: Die Alten und die Jungen


Unverständlich sind uns die Jungen“

Wird von den Alten beständig gesungen;

Meinerseits möchte ich’s damit halten:

Unverständlich sind mir die Alten.“

Dieses am Ruderbleiben-Wollen

In allen Stücken und allen Rollen,

Dieses sich Unentbehrlich-Vermeinen

Samt ihrer „Augen stillem Weinen“,

Als wäre der Welt ein Weh getan -

Ach, ich kann es nicht versahn.

Ob unsre Jungen, in ihrem Erdreisten,

Wirklich was Besserers schaffen und leisten,

ob dem Parnasse sie näher gekommen

Oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen,

Ob sie, mit andern Neusitten-Verfechtern,

Die Menschheit bessern oder verschlechtern,

Ob sie Frieden sä’n oder Sturm entfachen,

Ob sie Himmel oder Hölle machen -

Eins läßt sie stehen auf siegreichem Grunde:

Sie haben den Tag, sie haben die Stunde;

Der Mohr kann gehen, neu Spiel hebt an,

Sie beherrschen die Szene, sie sind dran.


Text 2:


Heinz Erhardt



Eine ...... saß und stierte

auf dem Aste einer E.......

Ich stand drunter und be.........,

ob die ...... wohl entfleuche,

wenn ich itzt ein St.....chen nähme

und es ihr entgegenschleuder?

Dieses ......ich. Aber ...........,

sie saß da und flog nicht .............

Deshalb paßt auf sie die Z.........:


E................ mit W...........!


Ein Gedicht, das jeder Sprachliebhaber versteht, aber nicht ganz original abgedruckt...


Eule, ja! - Aber Weule und Zeule ? Sozusagen kleune Gemeunheuten? Nun, bei Heunz, pardon, Heinz Eulenhardt, ah, Erhardt muß man mit einigem Unsinn rechnen.

Nun gönnen Sie sich erst mal das Original. Und zwar laut. Besonders, wenn Kinder in der Nähe sind. Die haben das schnell raus: auswendig, mit Humor und gutem Gedächtnis.

Schnell noch einige Vierzeiler von Heinz Erhardt hinterhergejagt; er wird uns die Eile verzeihen. Worüber oder warum konnte er nicht so reimen, daß uns ein Lächeln sozusagen eingereimt bliebe. Diesmal noch ohne Lücke zum Nachdenken...




Text 3:



Z...........


Das Leben kommt auf alle F.....

aus einer Z...... .

Doch manchmal endet’s auch - bei St.............!-

in einer s...............

(Heinz Ehrhardt: Das große Heinz Ehrhardt-Buch. Goldmann TB6678) S. 274)


**


Das nächste Beispiel ist um einiges schwieriger. Es behandelt auch gar keinen Unsinn oder albernes Zeig, pardon, Zeug, sozusagen einiges vom Gegenteil. Auch wer das Wort „beten“ nicht mehr gerne in den Mund nimmt, mag mit dem Text einige Weilchen der Erkenntnis haben. Ich habe nämlich die Strophenabfolge verändert.... Und den Autor und den Titel weggelassen....


Text 3:


??

Ich habe gebetet. So nimm von der Sonne und geh.

Die Bäume werden belaubt sein.

Ich habe den Blüten gesagt, sie mögen dich schmücken.


Kommst du zum Strom, da wartet ein Fährmann.

Zur Nacht läutet sein Herz übers Wasser.

Sein Boot hat goldene Planken, das trägt dich.


Die Ufer werden bewohnt sein.

Ich habe den Menschen gesagt, sie mögen dich lieben.

Es wird dir einer begegnen, der hat mich gehört.



***


Text 4:


Steigern wir uns doch heute! Sie haben ja noch Zeit? Oder Lust und Zeit? Das nächste Gedicht, vom gedanklichen Inhalt her nicht leicht, betrifft Sie gar nicht, vom Alter her? Na, dann schenken sie es sich doch! Und nehmen es später vor, wenn Sie ein wenig älter und klüger geworden sind. Oder glauben sie auch, daß die grauen Zeilen, äh, Zellen, nach dem Scheitelpunkt um dreißig rapide abnehmen? Dann könnten Sie es sich doch zumuten?


Mascha Kaleko:

Träumer mittleren Alters


Wie einen doch der große Weltschmerz quälte,

Als man so etwa zwanzig Jahre zählte!

Nun wird man niemals wieder zwanzig sein.

Oft ist in mir ein seltsames Bedauern:

Daß ich nicht traurig bin, das macht mich trauern

Und hüllt mich in die alte Wolke ein.


Soll man die Wohlgeratenen beneiden,

Die kühl und praktisch nie an Weltschmerz leiden,

Weil ihre Herzen längst gestorben sind?

Ach, der Gedanke schon läßt mich verzagen...

Mein Schicksal bleibt es, Träumen nachzujagen,

Ein hoffnungslos verlornes großes Kind.


***


Ein bißchen von der Liebe, ja, hübsch und gefällig? Da Sie sich gut damit auskennen, habe ich ein wenig an den Anfangsbuchstaben und den Verben eines Textes herumgebastelt. Der PC läßt so herrlich schnell Typen verschwinden...


Text 5:


Hier sei nur der Titel verraten: Der Kuß:


Text 4


Der Kuß


Es regnet, doch sie merkt es kaum,

wie noch ihr ..erz vor ..lück erzittert:

Im Kuß versank die ..elt im Traum.

Ihr ...leid ist naß und ganz zerknittert


und so verächtlich hochgeschoben,

als wären ihr ...nie für ...lle da.

Ein ..egentropfen, der zu nichts zerstoben,

der hat gesehn, ..as niemand sonst noch sah.


So tief hat sie noch nie gefühlt -

so sinnlos selig müssen ..iere sein!

Ihr ...aar ist wie zu einem ..eiligen ...ein zerwühlt -

.. aternen spinnen sich drin ein.


**


Und vom selben Dichter noch ein Gedicht. Ja, es hat eine ganz einfache Überschrift: „Gedicht“.

Nur mit den Blumen gibt es einige Mühe...


Text 6:


Blume ..nmut blüht so rot,

Blume ..uldvoll blaut daneben.

Blume ..nmut ist das Leben,

Blume ..uldvoll ist der Tod.


Süß und herbe ist das Leben,

herb die Lust und süß die Not.

Blume ..eben blüht so rot -

Blume ..od blüht blau daneben.


Gemeinsam das „..od“? Als ob es „oder“ heißen könnte. Nein, der Dichter, der so jung starb und uns das wichtigste Drama nach dem zweiten Weltkrieg hinterließ, wußte was Leben und Tod ....


***



Etwas für den Jahresablauf - als kleine Vorbereitung auf das letzte Silvester in diesem

Jahrhundert, ja, Jahrtausend?

Sie kennen sicherlich den Autor. Er ist Meister der kleinen Form, der hübsch boshaften Gedichte - und der kritisch-politischen Abrechnungen....


Folgendes Gedicht kennen Sie sicherlich. Es läßt sich häufig zitieren, sind wir doch alle Menschen - und arren, äh: irren uns häufig, äh, zuweilen



Text 7:


Irr................


Auch ............... haben ihren ............

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach ..............fährt,

entdeckt .................



Na, was haben Sie herausbekommen?

Ein Beispiel, gefällig:


Auch Augen haben ihren Sinn.

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach Fielmann läuft,

entdeckt der Preise Parada, äh, Paradies.


Gut, das reimt sich nicht korrekt. Also, ein anderes:


Auch Ausnahmen haben ihren Sinn.

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach Sinnhausen fährt,

entdeckt die Regel da.


Also, auf ein Neues?


Auch ............... haben ihren ............

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach ..............fährt,

entdeckt .................


Noch’n Text?


Auch Austern haben ihren Wert,

jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach St. Peter fährt,

entdeckt ‘ne Perle da.



Text 8

(die zweite Ausgabe):

Dann, also das Original-Gedicht, man nennt es auch ein Epigramm (Erklärung folgt später...):


Auch irrtümer haben ihren wert.

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach indien fährt,

entdeckt amerika.

*

Und bitte, in richtiger Schreibweise wiederholen (Ach, ja, was heisst "richtig"?:


.......................................................

.......................................................

.......................................................

.......................................................

.......................................................



Text 9:



Man soll das Jahr nicht mit Programmen

beladen wie ein krankes Pferd.

Wenn man es allzu sehr beschwert,

bricht es zu guter Letzt zusammen.


Je üppiger die Pläne blühen,

um so verzwickter wird die Tat.

Man nimmt sich vor, sich zu bemühen,

und schließlich hat man den Salat!


Es nützt nicht viel, sich rotzuschämen.

Es nützt nichts, und es schadet bloß,

sich tausend Dinge vorzunehmen.

Laßt das Programm! Und bessert euch drauflos!


***

Text 10:


Von einem Autor, der mir persönlich sehr gut gefällt, aber leider gar nicht so berühmt ist, wie der gute, weltberühmte Kästner:

Von Nehm, von Günter Nehm ist die Rede. Ich werde öfter einiges vom ihm einstreuen, denn seine poetischen Blumen ergeben einen eigenen Teppich....


Günter Nehm:


Jeder neue Tag beruht

auf der Drehung unsrer Erde.

Hurtig um die Sonnenglut

reist sie, daß ein Jahr draus werde.

Ein besonders Schlauer rief:

Seht die Achse des Planeten.

Zur Ekliptik steht sie schief.

Er schien wirklich sehr betreten.

Ist kein Nachteil, aber nein,

Tut nur gut in unsren Breiten.

Es bringt uns nur Schönes ein:

Nämlich die vier............


Natürlich; da fehlt: Jahreszeiten....!

Ist noch was? Sie vermissen den Titel? Was würden Sie vorschlagen? Ein tipp: Die Überschrift ist versteckt! Lesen Sie einmal die Anfangsbuchstaben von oben nach unten. Abgesehen vom Unterschied groß/klein ergibt sich? Na, sehen Sie! Alles klar in unsren Breiten mit den vier ........!



Gleich darauf ein

Rätselhafter Steckbrief - auch von Günter Nehm. Da wissen Sie schon, wenn er ein Akrostichon macht, dann stimmt’s auch - versprochen!


Text 11:

Günter Nehm:


Als ein Quell, uns zu verwöhnen,

ruft und lockt sie zart und bang.

Sanft erschallt in hellen Tönen

circenhaft ihr Jubelsang.

Hintergründiges Agieren

garantiert ihr Namen schon.

Etwas schwierig zu goutieren

ist ihr strenger Kammerton.

Gibt sich dieses Instrument

etwa deshalb oft dezent?


*

So steht es wirklich bei G. Nehm. Ich würde ja die letzte Zeile anders gesetzt haben: etwa deshalb so indezent?


Text 12:

Etwas aus der deutschen Geschichte...

Ein Autor aus dem alten Österreich, er war mit der Politik genauso wie mit der Erziehung flegelhafter Blagen vertraut (er war Hauslehrer gewesen)


Franz Grillparzer: Politik

Ich sah ein . . . . . . Gassenbuben,

Wie kaum entschlüpft aus des .............. Stuben,

Die warfen sich mit Ballen von ...............

Und lachten, tat's einem im Fallen weh.

Sie waren mit Ekelnamen nicht .........

Und streckten die Zunge aus ihrem Maul.

"Ei", dacht ich in meinem Sinne, "ei -

Und so was duldet die Polizei?"

Da gewahrt ich ............ in ihren Haaren

Und sah erst, daß es K............. waren.


Auflösung?


Franz Grillparzer (1791-1872)

Politik


Ich sah ein Rudel Gassenbuben,

Wie kaum entschlüpft aus des Lehrers Stuben,

Die warfen sich mit Ballen von Schnee

Und lachten, tat's einem im Fallen weh.

Sie waren mit Ekelnamen nicht faul

Und streckten die Zunge aus ihrem Maul.

"Ei", dacht ich in meinem Sinne, "ei,

Und so was duldet die Polizei?"

Da gewahrt ich Gold in ihren Haaren

Und sah erst, daß es Könige waren.



Aufgabe:

1. Erkläre die Handlung und erarbeite die

Charakterisierung der Personen!

(Wer kann hier als Ich-Erzähler gemeint sein?)


2. Deute die Parabel, indem Du die Symbolik der

Handlung überträgst!

(Erkläre den Gesamtzusammenhang, den Grillparzer

als "Politik" im Titel benannte!)


3.Analysiere die zwei letzten Zeilen


3.1. hinsichtlich der Wortarten,

3.2. der grundlegenden Satzteile,

3.3. hinsichtlich des Satzbaus!

3.4. Werte abschließend die grammatische Analyse

in einer Zusammenfassung aus und erkläre den Stil!


4. Beschreibe die Intention der gesamten Parabel!

5. Erörterung: Unsere Herrscher tragen heute keine

"Goldkronen" mehr - Hältst Du es trotzdem für

möglich, daß die Parabel auf die politischen

Verhältnisse in unserer Gesellschaft übertragen werden kann?


Haben sie Lust, ein bißchen Hausaufgaben zu erledigen, sozusagen mit links...:


Erklären Sie bitte die Handlung und erarbeiten Sie die Charakterisierung der Personen!

Wer kann hier als Ich-Erzähler gemeint sein?)

Deuten Sie die Parabel, indem Sie die Symbolik der

Handlung übertragen!

Erklären Sie den Gesamtzusammenhang, den der Dichter als "Politik" im Titel benannte!

Analysieren Sie die zwei letzten Zeilen

hinsichtlich der Wortarten,

der grundlegenden Satzteile,

hinsichtlich des Satzbaus!

Werten Sie abschließend die grammatische Analyse in einer Zusammenfassung aus und erklären sie den Stil!


Ein kleines Textchen - aber alle Zeilen sich umgestellt; keine steht an ihrer richtigen Stelle... -und den Titel hab ich erst mal weggelassen.


*


Text 12:

April


Der Frühling, der mein Herz bewegt;

Ich fühle, die sich hold bezeigen,

Die Geister aus der Erde steigen.

Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.

Das Leben fließet als ein Traum -

Das ist die Drossel, die da schlägt,


Ein hübsches Gedichtchen? Es ist auch sozusagen ein Gegenteil zum Silvester. Jedenfalls denkt jeder Mensch gerne, auch wenn er im Augenblick die Ferien im Schnee genießt, an das nächste Frühjahr, wetten?


Also, so lauteten die letzten zwei Zeilen - das schon als Übergang zum nächsten Gedicht:


Das Leben fließet als ein Traum -

Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.


**


Noch mehr vom Frühjahr? Also: Text 13 :


Günter Nehm:

Die neue Alte


Ein neues Schätzchen hab ich mir

im Frühling angelächelt.

Wie Nachbars Lumpi bin ich ihr

stets hinterhergehechelt.

So kam es, daß ich mich in sie

ganz fürchterlich verknallte.

Die Neue, die verlaß ich nie,

die wird mal meine Alte.


Und ist sie auch nicht mehr ganz neu,

hält sie doch viel von Treue

und gibt mir alles ohne scheu,

die gute alte Neue.

Wenn sie mit mir zum Gipfel strebt,

Lieb ich sie stets aufs Neue.

Solang die treue Alte lebt,

lebt auch die alte Treue.


*


Also, wie versprochen, was vom Träumen, was von den inneren, häufig verdrängten Bestrebungen....

Und was Sie diesmal überwinden müssen an Stolpersteinchen und Druckfehlern? Schnüffeln Sie mal ein wenig....

Drei Strophen, drei Möglichkeiten. Aber in den Strophen, da geht es hübsch manierlich zu, wie der Autor es gewollt hat: Hermann Hesse (1877 - 1962), einer der großen deutschen Dichter der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Aber für den Titel können sie eigene Gedanken machen.

Manchmal weiß man eben, was so ein Dichter sagen will.


Text 14:

?????

Meine Seele wird ein Baum

Und ein Tier und ein Wolkenweben.

Verwandelt und fremd kehrt sie zurück

Und fragt mich. Wie soll ich Antwort geben?

Manchmal, wenn ein Vogel ruft

Oder ein Wind geht in den Zweigen

Oder ein Hund bellt im fernsten Gehöft,

Dann muß ich lange lauschen und schweigen.

Meine Seele flieht zurück,

Bis wo vor tausend vergessenen Jahren

Der Vogel und der wehende Wind

Mir ähnlich und meine Brüder waren.

Wie bitte? Sehnsucht nach Ihrer Schulzeit?

Bitte, sehr, die Originalaufgaben aus einem Deutschkurs der Stufe 11 des Gymnasiums:

Thema: Vergleiche Sie beide Gedichte!

Bestimme Sie das Thema der beiden Texte!

Legen Sie für Ihre eigene Interpretation den Hesse-Text zugrunde und analysieren sie ihn unter

inhaltlichen,

formalen und

intentionalen Gesichtspunkten! (Analysieren Sie die letzte Zeile (Z. 13) auch syntaktisch! - Ausgehend von der richtigen Strophenfolge, die Sie unten finden.)

Erläuteren Sie Unterschiede zu dem Text von Th. Storm! Erklären sie das Menschen- und Weltbild der beiden Dichter!

Genug für eine dreistündige Deutscharbeit? Es ist ja nur ein Angebot? Und Sie sind selber verantwortlich für Ihre Konstruktionen, egal wie und wie lange!

***

Kommt Ihnen die erste Zeile des kleinen Gedichts bekannt vor...?

Hier sind nur in der zweiten Strophe Zeilen umgestellt worden....


Text 15:


??


Wer nie sein Brot mit Tränen aß,

Wer nie die kummervollen Nächte

Auf seinem Bette weinend saß,

Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.


Denn alle Schuld rächt sich auf Erden."

Ihr führt ins Leben uns hinein,

Dann überlaßt ihr ihn der Pein,

Ihr laßt den Armen schuldig werden,



Zur Erklärung:

Sie müssen nicht den Text interpretieren.

Sie müssen nur wissen, daß die "himmlischen Mächte" (Z. 4) eigentlich vom Menschen verlangen, daß er sich anständig, menschenfreundlich und ohne Fehl und Tadel verhalten soll; wer aber "ins Leben" hinaustreten will, d.h. etwas besonderes erreichen will, so singt in diesem Text ein Harfenspieler, der macht sich schuldig, seine "Schuld rächt sich auf Erden" schon, d.h. er sitzt mit schlechtem Gewissen da und kann seines Lebens nicht froh werden - oder er muß andere für seine Interessen einspannen, sie für sich arbeiten lassen, also sein Geld durch sie und ihrer Hände Arbeit verdienen.

Du kannst das Problem auch durch folgenden Spruch verstehen:

Wer nie sein Brot im Bette aß, der weiß auch nicht, wie Krümel pieken. (Duden Bd. 12. Redensarten. S. 497.)


**


Für heute etwas für Sie .- und - oder Ihr Kind? Versuchen Sie einmal, diesen besonders niedlichen Schmusetieren, den Pinguinen, nachzuspüren...


Joachim Ringelnatz schreib ein Gedicht über sie:


Pinguine.


Es geht hier und jetzt um Verben, viele, insgesamt zehn. Wortfeldarbeit, nennt es der Deutschlehrer, semantische Stilistik, nennt es der Germanist. An einigen stellen sind einige Buchstaben stehen geblieben - es hätte also noch schwieriger kommen können. Ich habe mich auf die erste Strophe beschränkt...


Text 16:

???

Auch die Pinguine r..........., tr.............,

Kl................, p.............., w................, l...............,

Tu................, ku.................., tau.............., fau..............

Herdenweise, grüppchenweise

Mit Gevattern,

Pladdern, schnattern

Laut und leise.

Schnabel-Babelbabel-Schnack,

Seriöses, Skandalöses, Hiebe, Stiche.


Oben: Chemisette mit Frack.

Unten: lange, enge, hinderliche

Röcke.- Edelleute, Bürger, Pack,

Alte Weiber, Professoren.


Riesenvolk, in Schnee und Eis geboren.

Sie begrüßen herdenweise

Riesenvolk, in Schnee und Eis geboren,


Lebend in verschwiegener Bucht

In noch menschenfernem Lande.

Arktis-Expedition. - Revolverschuß -:

Und das Riesenvolk, die ganze Bande

Ergreift die Flucht.


Ersten Menschen, der sich leise

Ihnen naht. Weil sie sehr neugierig sind.

Und der erstgesehne Mensch ist neu.



(Hier, lieber Leser, liebe Leserin, fehlen die zwei letzten Zeilen. Haben Sie Lust, sich einen hübschen Abschluß auszudenken?


**


Amen? Sagen Sie? Jetzt haben sie erst mal schiere Lust, nix zu tun, nix zu suchen, nix zu konstruieren?

Und die zwei Endzeilen: Waren Sie nahe dran?


Und Erfahrungslosigkeit starrt wie ein kleinstes Kind

Gierig staunend aus, jedoch nicht scheu.


Und - wie gefällt Ihnen das Pinguin-Erlebnis? Ein Stückchen Ökologie - aus der Zeit vor 1940 - Verfaßt von einem Spaßvogel, einem wahren Humoristen der deutschen Literatur: Joachim Ringelnatz, gute Humoristen sind immer gute Philosophen und haben einen Blick für Randgruppen - und seinen Tiere, die es in den Dreißiger Jahren nur sehr selten in Tierparks gab.

Und - vielleicht sind Sie meiner Meinung -. Pinguine in Zoos sind traurige Gesellen.

Im Sommer stehen sie unter einer ausgespannten Zeltplan, die mit Wasser besprengt wird - falls überhaupt eine traurig-mitleidige Seele sich Gefühle und Gedanken macht über die Temperaturen unter einem Federkleid, das für die Antarktis ausgestattet ist. Oder sie sehen im Winter vor Beton und warten auf - na, auf vorbeiziehende Fische oder den geliebten Krill, den die Pfleger leider nicht besorgen können. Oder sie (die Flugunfähigen, nicht die Zoowärter) klatschen traurig ins Wasser, als ob sie sich zu Tode stürzen wollten.

Da stehen sie trauernd in kleinen Gruppen, heben ihre Flügelchen - als hätten sie es aufgegeben, sich zu erheben und davonzufliegen aus der Gefangenschaft.....


Na, da legen wir doch mal - als Zwischenmahlzeit - einen ganz anderen Text ein, ein bißchen über Bildung, über Gedichte, ja, aber auch ein wenig über Schule, Lehrer, Schüler, inländische und ausländische.



Noch mehr von Pinguinen bietet

Text 17:


Propper auf des Eises Pack,

Immer mit Manieren,

Nur im eleganten Frack

Gehen sie spazieren.

Unnachahmlich ist ihr Gang,

Imposant die Geste.

Nobel ziert sie lebenslang

Eine weiße Weste.


Warum sind denn da alle Anfangsbuchstaben groß geschrieben? Na? Da Sie wissen, was ein Akrostichon ist, kommen Sie dem Titel selber auf die Sprünge, äh, Buchstaben...


Ein Witz nun! Einer, der elegant und flott mit klassischen Zitaten spielt, aber ein ganz aktueller...


Text 18:


Ein Lehrer verkündet an einem Düsseldorfer Gymnasium, Ende der Klasse 10: „Kinder wir nehmen heute deutsche Lyrik durch, wir müssen ja mal zu den poetischen Wurzeln unserer Sprache kommen. Also, ich mach das ganz leicht, ich zitiere immer zwei oder drei Zeilen, und ihr sagt mir dann, was das ist und wer es geschrieben hat. Okay?

Ich beginne mit einem ganz leichten Beispiel: ‘Festgemauert in der Erde, steht die Form aus Lehm gebrannt...’“

Die Kinder senken verlegen die Köpfe, nur ein kleiner japanischer Schüler namens Hashimoto meldet sich: „Das ist das Lied von der Glocke. Von Friedrich Freiherr von Schiller.“

Gut“, lobt der Lehrer ihn, „und nun ein zweites Beispiel: ‘Der Mond ist aufgegangen, die gold’nen Sternlein prangen am Himmel hell und klar -„

Wieder meldet sich Hashimoto. Er ruft: Das ist das ‘Abendlied’ von Matthias Claudius! Der war nicht adelig, Herr Hartmann!“

Hervorragend!“ sagt der Lehrer. „Und jetzt auch ihr anderen - strengt euren Grips mal an: ‘Vom Eise befreit sind Strom und Bäche...’“

Schon wieder zeigt nur Hashimoto auf: „Faust, erster Teil, von Johann Wolfgang Baron von Goethe!“

Scheiß-Japse!“ flucht da einer in der letzten Reihe.

Wer war das?“ fragt der Lehrer böse.

Da antwortet der kleine Hashimoto:„Das war der Industrielle Max Grundig, kein Adeliger, bei der Eröffnung der ersten Sony-Fabrik in Stuttgart-Fellbach“.


Ja, finden Sie auch, der Witz ist gut konstruiert?

Vielleicht ist er ja auch direkt der schulischen Wirklichkeit entsprungen - und nur ein bißchen humorvoll aufgepäppelt


*


Hegen Sie auch manchmal, sagen wir mal, Erinnerungen oder gar Rachegedanken - wenn Sie an Ihren Deutschlehrer - oder Ihre Deutschlehrerin denken?

Da möchte ich Ihnen helfen, sich abzureagieren:

Versuchen sie es mal mit folgendem, garantiert nicht veränderten Text von Karl Dall:


Text 19:


Dem bedauernswerten Deutschlehrer gewidmet, über den der anarchistische Komödiant Karl Dall (Hauptunannehmlichkeit: rtl-comedy-Spezialist) aus seiner Schulzeit plauderte:


Als ich 16 war, sollen wir in der Schule einen Aufsatz schreiben zum Thema: ‘Der Tag meines Lebens in zehn Jahren’. Der Lehrer war nur wenig älter als wir und konnte mich nicht ausstehen. Ich wußte genau, daß ich meinen Text vor der Klasse vorlesen mußte. Ich schrieb: ‘In diesem Jahr führt mich meine Hochzeitsreise nach Ostfriesland, und natürlich versäume ich nicht, das Grab meines verstorbenen Deutschlehrers zu besuchen.’ Ich bekam das Heft um die Ohren gehauen, aber die Klasse tobte. Schon damals lief ich lieber mit offenen Augen ins Verderben, als eine Pointe auszulassen.

(„Hauptsache, es macht kaputt.“ Karl Dall im Interview mit Lothar Gorris und Adriano Sack. In: DER SPIEGEL Nr. 26/1999. S. 187.)


Spüren Sie einiges von einer nachträglichen Genugtuung - ein kleines, wohltuendes Aufatmen im linken Lungenflügel. (Sie rauchen doch nicht zuviel?)


*


Wieder zurück zur Dichtung? Zu der besonders schönen Form der Gleichnisse - oder Parabeln. Es sind gedanklich durchstrukturierte Handlungen, die einen besonderen Anspruch der Bedeutung haben: Lebensbilder sozusagen:

Zuerst ein Text, den ich auch schon in Poesiealben gefunden habe, wenn sie sich anspruchsvoll, persönlich durchdacht und nicht kitschig gaben:


Text 20:


Heute wieder einmal ein kleines Rätselspiel; hier fehlen Worte in einem hübschen Gedicht, das alt und jung zugleich ist.

Versuchen Sie einmal folgende Worte in den Lücken unterzubringen:

Wirt(e) - Apfel - Bett - bescheret - Wipfel -


Ludwig Uhland

Titel: ....................


Bei einem wundermild

Da war ich jüngst zu ;

Ein goldner Apfel war sein Schild

An einem langen Aste.


Es war der gute baum,

bei dem ich eingekehret;

Mit süßer Kost und frischem Schaum

Hat er mich wohl .


Es kamen in sein Haus

Viel leichtbeschwingte Gäste;

Sie sprangen und hielten Schmaus

Und auf das beste.


Ich fand ein zu süßer Ruh

Auf weichen, grünen Matten;

Der Wirt, er selbst mich zu

Mit seinen kühlen .


Nun fragt' ich nach der ,

Da schüttelt' er den .

Gesegnet sei er allezeit

Von der bis zum Gipfel.



***


Und weiter mit den Natureinsichten:


Bertolt Brecht, immer für eine Überraschung gut, auch wenn er auf Bühnen zur Zeit wenig gespielt wird. Er versteht die Kunst, in unseren Köpfen zu arbeiten - mit lyrischen und parabelhaften Texten, mit Denkbildern:



Text 21:


Bertolt Brecht

Über die Unfruchtbarkeit


Der Obstbaum, der kein Obst bringt

Wird unfruchtbar gescholten. Wer

Untersucht den Boden?


Der Ast, der zusammenbricht

Wird faul gescholten, aber

Hat nicht Schnee auf ihm gelegen?


Text 22:


Und weiter geht es, mit Gleichnissen:


Bertolt Brecht

Über die Gewalt


Der reißende Strom wird gewalttätig genannt

Aber das Flußbett, das ihn einengt

Nennt keiner gewalttätig.


Der Sturm, der die Birken biegt

Gilt für gewalttätig

Aber wie ist es mit dem Sturm

Der die Rücken der Straßenarbeiter biegt?


Text 23:


Bertolt Brecht

Wahrnehmung


Als ich wiederkehrte

War mein Haar noch nicht grau

Da war ich froh.


Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns

Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.


**


Den nächsten Text entnahm ich einem sehr bekannten, wunderschön illustrierten Kinderbuch; es soll Ihre nächste Gelegenheit sein, sich kreativ zu betätigen, ja ein bißchen poetisch - nach Ihrem Gusto....

Es ist von dem Philosophen und Dichter, nicht nur für Kinderherzen, von dem Amerikaner Leo Lionni. Es ist aber eine besonders gute deutsche Übersetzung, die ich Ihnen anbiete, von dem Poeten Günter Bruno Fuchs.


Also, der nicht nur niedliche, sondern auch naturnahe und neugierig machende Text:


Text 24:


Überschrift - na, die erraten Sie wohl leicht!



Wer streut die Schneeflocken? Wer schmilzt das Eis?

Wer macht lautes Wetter? Wer macht es leis?

Wer bringt den Glücksklee im Juni heran?

Wer verdunkelt den Tag? Wer zündet die Mondlampe an?


Vier kleine Feldmäuse wie du und ich

wohnen im Himmel und denken an dich.


Die erste ist die Frühlingsmaus, die läßt den Regen lachen.

Als Maler hat die Sommermaus die Blumen bunt zu machen.

Die Herbstmaus schickt mit Nuß und Weizen schöne Grüße.

Pantoffeln braucht die Wintermaus für ihre kalten Füße.


Frühling, Sommer, Herbst und Winter sind vier Jahreszeiten.



Sie haben keine Fehler entdeckt, keine kleinen Gelegenheiten, sich poetisch oder streng logisch zu tummeln?

Ja, fast ist es ja auch vollständig. Bis auf zwei Schlußzeilen.


Haben Sie verglichen?


Die Schlußzeilen - sie passen doch wunderschön.

Und ich verrate Ihnen, ich habe das Gedicht schon mit vielen Schülern besprochen. Da gab es hübsche Vorschläge



Z. B. diese Zeile:

Eben vier Jahreszeiten. Kleine Wunderheiten!


Aber so, das hat noch keiner aus dem Ärmel geschüttelt, so wie G. B. Fuchs:


Keine weniger und keine mehr. Vier verschiedene Fröhlichkeiten.



***


Text 24:


Eugen Roth:


Ein Mensch, der recht sich überlegt,

daß Gott ihn anschaut unentwegt,

Fühlt mit der Herz in Herz und Magen

Ein ausgesprochnes Unbehagen

Und bittet schließlich ihn voll Grauen,

Nur fünf Minuten wegzuschauen.

Er wolle unbewacht, allein

Inzwischen brav und artig sein.

Doch Gott, davon nicht überzeugt,

Ihn ewig unbeirrt beäugt.


Und weiterhin: Eugen Roth? Ja, bleiben Sie mit mir ein Weilchen bei Eugen Roth? Erstens wird er in den Schulen zu wenig gelesen, zweitens wird er meist aufgeboten, um mit Sprüchen etwas festzuklopfen, was nur noch vordergründig humorvoll ist, was nach Macht und Gewalt riecht...

So, und hier sozusagen der passende Tafeltext: (Fühlen sie sich ruhig wie im Klassenzimmer -zur Zeit Ihrer besten Streiche....!)

Den Titel verrate ich Ihnen: „Je nachdem“.

Aufgaben gibt es trotzdem. Sie möchten sich ja ein bißchen zusätzlich unterhalten. Ein bißchen mehr als nur lesen, ein bißchen gescheiter werden...

Also: Dieser Eugen Roth ist nun gänzlich unkorrekt: die Zeichensetzung, die Rechtschreibung, die Anzahl der Verse - nix stimmt. Pardon: Doch, die Grammatik ist original. Aber ansonsten ist es Ihre Aufgabe mal nachzuforschen, wo und wie Sie den Text auf normale Orthografie trimmen..:


Text 25:


eugen roth:

je nachdem


ein mensch sagt bitter weiß gott wo ein anderer milde gott weiß wo durch sprachlich kleinsten unterschied getrennt man ganze welten sieht



Zuviel Wortsalat? Na, schön: Dann gebe ich Ihnen vier Verse vor! Nun müssen Sie aber loslegen, wenn Sie im Programm weiterhin mithalten wollen?


Oder bevorzugen Sie folgende Fassung, mit vorgegebener Versstruktur:


- Text 26 -


je nachdem


ein mensch sagt bitter weiß gott wo

ein anderer milde gott weiß wo

durch sprachlich kleinsten unterschied

getrennt man ganze welten sieht



Und eine zusätzliche Aufgabe:

Setzen Sie Begriff die folgende Tabelle ein, die den benannten Gegensatz charakterisieren.


bitter“............. | „milde“

...........................| .....................

...........................| .....................

...........................| ......................

...........................| ......................

...........................| ......................

...........................| ......................



Haben Sie schon verglichen, mit den Begriffen, die im Anhang genannt sind? Na, wie sind Sie mit Ihren Angaben zufrieden?


Text 27:


Eugen Roth

Im Regen


Kinder kommen gelaufen

Ins Grüne, ins Nasse

Heraus

In den prustenden Regen,

Ersingen sich seinen Segen,

Daß er sie wachsen lasse.


Im hölzernen Fasse

Mit dunklem Basse

Aus allen Traufen

Lärmt schon der Braus.


Die Bäume schnaufen,

Lechzen dem Feuchten entgegen,

Gern wollen sie’ leiden,

Daß der Wind sie fasse

Im wilden bewegen,

Im tanzenden Saus.


Die Eichen vorm Haus

Die beiden

Uralten Heiden

Stehen bescheiden

Und lassen sich taufen

- Achtung: die letzte Strophe ist ohne Rechtschreibung und Zeichensetzung wiedergegeben! -


Aufgaben (wenn sie sich nicht selber ransetzen wollen; laden Sie Ihre Tochter, Ihren Sohn ein; vielleicht haben sie Spaß an diesem Regenspielchen!):


1. Erklären Sie das Thema des Gedichts!

2. Beschreibe an zwei Beispielen die metaphorische Leistung; welche sprachlichen Besonderheiten fallen Dir sonst noch auf?

3. Erarbeite dir die normale Schreibweise der letzten Strophe und schreibe sie möglichst richtig ab!

4. Was meinst Du: Was wollte der Dichter Eugen Roth mit diesem Gedicht ausdrücken?


Text 28:

Eugen Roth:


Ein Mensch denkt gläubig wie ein Kind,

Daß alle Menschen Menschen sind.



***


Jetzt ein moderner Klassiker. Ein hübsches Gedicht, das noch keinen gelangweilt hat. Selbst das Auswendiglernen ist eine nette Angelegenheit. Es ist logisch gut gebaut. Es ist tier- und menschenfreundlich und es ist gut gereimt?


Text 29:


Reiner Kunze

Das Kätzchen


Besuch! Im Garten ist ein Gast!

Ein Kätzchen sitzt auf einem Ast.


Laßt, Kinder, alles Spielzeug stehn,

wir wollen es bestaunen gehn!


Es hat zwei Lichter mitgebracht,

die sehn - und leuchten in der Nacht.


Was will es hier? Nun - denken wir,

es wolle sagen: Ich bin hier.


Denn eine Katze, Kinder, ist

ein Wunder. Was der Mensch vergißt.


Der Mensch kann auf dem Mond erwachen,

aber keine Katze machen.


Das kleinste Vogelherz, das schlägt,

ist nicht von Menschenhand bewegt.


Der Fisch, der sich im Wasser regt,

entschlüpft dem Ei, vom Fisch gelegt.


Das größte Wunder selbst auf Erden

muß aus dem Leib geboren werden:


Verwundert steht das Menschenkind

vor all den Wundern, die da sind.


Und jeder Mensch und jedes Tier

ist nur für eine Weile hier.

Drum danken wir dem Kätzchen schön,

daß es sich anschaun ließ, und gehn.

Noch was von Katzen. Gerade in unserer Wohlstands- und Freiheitsgesellschaft gibt es seit etwa 20 Jahren massenhaft Poeme über Katzen -übrigens kaum über Hunde. Welche geheime Verwandtschaft mit den Poeten mag da der Charakter der Katze bewirken? Die Eleganz, die Unabhängigkeit, der Wagemut, der Freiheitsdrang?

Text 30:

Sarah K i r s c h

Katzenleben


Aber die Dichter lieben die Katzen

Die nicht kontrollierbaren sanften

Freien die den Novemberregen

Auf seidenen Sesseln oder in Lumpen

Verschlafen verträumen stumm

Antwort geben sich schütteln und

Weiterleben hinter dem Jägerzaun

Wenn die besessenen Nachbarn

Immer noch die Autonummern notieren

Der Überwachte in seinen vier Wänden

Längst die Grenzen hinter sich ließ.


(Aus: Katzenleben. 1984.)


Von Tieren noch eins, noch zwei?


Was von Mäusen?

Bitte, sehr!


***

Ein anderes Thema: Es gibt wundersam schöne Gedichte, die das Thema Dichtung beschreiben; vielleicht haben sie sogar Ähnlichkeit mit Katzengedichten: Dichtung, Poesie, wir lassen uns gerne von ihr bezaubern...


Text 30:


Hans Magnus Enzensberger

windgriff


manche wörter

leicht

wie pappelsamen


steigen

vom wind gedreht

sinken


schwer zu fangen

tragen weit

wie pappelsamen


manche wörter

lockern die erde

später vielleicht


werfen sie einen schatten

einen schmalen schatten ab

vielleicht auch nicht

(e.:1964)


Kleingeschrieben? Ja, damals war es noch Markenzeichen der jungen (bundesdeutschen) Dichtung, anders zu schreiben, klein.... Später haben diese Autoren gegen die Rechtschreibreform gewettert und protestiert...


**


Etwas anders beschreibt Rose Ausländer, eine jüdische Dichterin, die ihre letzten Lebensjahrzehnte in Deutschland, in einem Düsseldorfer Altersheim, verbrachte, ihr poetisches Vermögen, ihre Lust, sich und andere mit Texten, mit Bildern und geheimen Wörtern zu bezaubern:



Text 31:

Er ist garantiert unverändert. Er zeigt die schöne, schlichte Entwicklung einer poetischen Idee:



Rose Ausländer

Mein Reich


Auf meinen Wänden

blühen Bilder


Poeten dichten

im Regal


Ich schaue lese

spreche mit den

schaffenden Gefährten


Mein kleines Zimmer

ist ein Riesenreich


Nicht herrschen will ich -

Dienen



Ein anderer, bekannter deutscher Autor ist Erich Fried, mit einfachen Wörtern konnte er variationsreiche Gelegenheiten zaubern, übe sich und die Welt nachzudenken, sich etwas zu erfinden, von dem man glaubt, man hätte es schon immer gewußt - nur man konnte es selber nicht eigenen Worten beschreiben...


Text 32:


Erich Fried

Einer singt

Einer singt

aus Angst

gegen die Angst

Einer singt

aus Not

gegen Not

Einer singt

aus der Zeit

gegen die Zeit

Einer singt

aus dem Staub

gegen den Staub

Einer singt

von den Namen

die Namen namenlos machen

(v.: 1966)


*


Text 33:


Günter Eich

Ungewohntes Wort


Eines Tages der

Fischgerechtigkeit

unterworfen:

Der Spruch der Forellen

mag hingehen.

Wie werden aber

die Aale urteilen

und die Haifische?

(v.: 1964)


**


Text 35:


Bertolt Brecht

An die Nachgeborenen


Was sind das für Zeiten, wo

Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist,

weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!

(e.: 1938)


*

Text 36:


Ulli Harth

An die Ungeborenen


Bald wird es das Verbrechen

über Bäume zu reden

nicht mehr geben.

Von Strauchdieben werden wir

uns nicht mehr fürchten.

Wenn das letzte Blatt

sich gewendet hat,

hältst du den Joker in der Hand

und bist

ohne Mitspieler.


Noch ein weiteres Gedicht von Bäumen, diesen Lebensspendern. Haben sie einmal darüber nachgedacht, wenn die Natur die Bäume, Sträucher und Pflanzen nicht hervorgebracht hätte, wäre kein Sauerstoff zu Atmen - für die Menschen - da.


*

Text 37:


Walter Helmut Fritz


Bäume

Wieder hat man in der Stadt,

um Parkplätze zu schaffen,

Platanen gefällt.

Sie wußten zu viel.

Wenn wir in ihrer Nähe waren,

begrüßten wir sie als Freunde.

Inzwischen ist es fast

zu einem Verbrechen geworden,

nicht über Bäume zu sprechen,

ihre Wurzeln,

den Wind, die Vögel,

die sich in ihnen niederlassen,

den Frieden,

an den sie uns erinnern.



Text 38

Ein ganz kleiner Text, aber er hat es in sich...


Martin Luther


Und wenn ich wüßte,

daß morgen die Welt unterginge,

pflanzte ich doch heute noch

einen Baum.


Text 39:


Ernst Stadler

Kleine Stadt


Die vielen kleinen Gassen, die die langgestreckte Hauptstraße überqueren,

laufen alle ins Grüne. Überall fängt Land an.

Überall strömt Himmel ein und Geruch von Bäumen und der starke Duft der Äcker.

Überall erlischt die Stadt in einer feuchten Herrlichkeit von Wiesen,

Und durch den grauen Ausschnitt niedrer Dächer schwankt

Gebirge, über das die Reben klettern, die mit hellen Stützen in die Sonne leuchten.

Darüber aber schließt sich Kiefernwald: der stößt

Wie eine breite dunkle Mauer an die rote Fröhlichkeit der Sandsteinkirche.


Am Abend, wenn die Fabriken schließen, ist die große Stadt mit Menschen gefüllt.

Sie gehen langsam oder bleiben mitten auf der Gasse stehn.

Sie sind geschwärzt von Arbeit und Maschinenruß.

Aber ihre Augen tragen

Noch Scholle, zähe Kraft des Bodens und das feierliche Licht der Felder.



**

Von den Bäumen, den Städten fort zu den Wesen, die vielleicht die rätselhaftesten sind, den Engeln - egal, wen oder was Sie darunter verstehen: Ihre Frau, Ihre Freundin, Ihre Kinder.....



"Ein jeder Engel ist schrecklich."

Aus R.M.Rilkes erster Duineser Elegie


Text 40:


Hans Magnus Enzensberger:

Die Visite


Als ich aufsah von meinem leeren Blatt,

stand der Engel im Zimmer.


Ein ganz gemeiner Engel,

vermutlich unterste Charge.


Sie können sich gar nicht vorstellen,

sagte er, wie entbehrlich Sie sind.


Eine einzige unter fünfzehntausend Schattierungen

der Farbe Blau, sagte er,


fällt mehr ins Gewicht der Welt

als alles, was Sie tun oder lassen,


gar nicht zu reden vom Feldspat

und von der Großen Magellanschen Wolke.


Sogar der gemeine Froschlöffel, unscheinbar wie er ist,

hinterließe eine Lücke, Sie nicht.


Ich sah es an seinen hellen Augen, er hoffte

auf Widerspruch, auf ein langes Ringen.


Ich rührte mich nicht. Ich wartete,

bis er verschwunden war, schweigend.


(Aus: Hans Magnus Enzensberger: Kiosk. Neue Gedichte. Frankfurt 1995. S. 118f.)


***


Text 41:


Heinrich Kämpchen

Potemkin


Wie hat das Herz mir im Leibe gelacht,

Als ich die Kunde vernommen,

Daß das Zarenschiff als Rebellenschiff

Ins Meer hinaus ist geschwommen.


Daß nach langem Druck der Wagemut

Die Herzen der Russen erfaßte,

Daß mit lustigem Blähen die Flagge rot

Hoch oben flattert vom Maste.


Daß der Sklave endlich die Ketten bricht

Und daß er das Schwert will schwingen -

Glück auf, 'Potemkin', Rebellenschiff,

Du warst der erste im Ringen!


(Aus: Was die Ruhr mir sang. 1909. S. 134)


Text 42:


Kämpchen:

Unglück:





Text 43


Bertolt Brecht (1898-1956)

Über das Frühjahr


Lange bevor

Wir uns stürzten auf Erdöl, Eisen und Ammoniak

Gab es in jedem Jahr

Die Zeit der unaufhaltsam und heftig grünenden Bäume.

Wir alle erinnern uns

Verlängerter Tage

Helleren Himmels

Änderung der Luft

Des gewiß kommenden Frühjahr.

Noch lesen wir in Büchern

Von dieser gefeierten Jahreszeit

Und doch sind schon lange

Nicht mehr gesichtet worden über unseren Städten

Die berühmten Schwärme der Vögel.

Am ehesten noch sitzend in Eisenbahnen

Fällt dem Volk das Frühjahr auf.

Die Ebenen zeigen es

In alter Deutlichkeit.

In großer Höhe freilich

Scheinen Stürme zu gehen:

Sie berühren nur mehr

Unsere Antennen.

[1928 verfaßt]


(Aus: Bertolt Brecht: Gesammelte Werke. Band 8. Frankfurt/M. 1967. S. 314.)


Angaben:

Ammoniak: chemisches Produkt, das als Kunstdünger in den 20er Jahren einen wesentlichen Fortschritt in der Landwirtschaft ermöglichte

Antennen: große Sendetürme, Radiostationen



***


Ist es nicht sonderbar, daß die Menschen so gerne für die Religion fechten und so ungerne nach ihren Vorschriften leben? Georg Christoph Lichtenberg (1742- 1799)


Dichter und religiöser Auftrag:


Es gibt nämlich einen Rückweg von der Phantasie zur Realität, und das ist die Kunst. Der Künstler ist im Ansatz auch ein Introvertierter, der es nicht weit zur Neurose hat. Sigmund Freud: Vorlesungen zur Psychoanalyse.

Bd. I. 1970. S. 366.



Poetisches, die Inspiration, kann, wenn man streng konform lebt und denkt, nur entweder unsinnig gleich krank oder, wenn der Inhalt, wenn die Form der künstlerischen Darstellung Akzept findet, staunenswert, übermenschlich, entsprechend göttlich sein.


***


Und noch was Schönes. Sie haben bestimmt schon darüber gestaunt, nicht nur wegen der wunderbaren Metamorphose des Tierischen: Vom Ei, zur Raupe, dann zur verpuppten Form - und schließlich zum ausgeflogenen Schmetterling. Gibt es ein schönes Beispiel für die Vielfalt zauberhafter Lebensformen??


Ein Vorspruch dazu:


Text 44:


Schmetterlinge in den Lenzen:

Ist der Schmelz auf euren Schwingen

Das, wovon die Dichter singen?

Süßer Seele leises Glänzen?

(Chinesischer Spruch)


Wie sähe der Text aus, ich meine, wie hätten wir den Sinn verstanden, bei folgender Anordnung:


Das, wovon die Dichter singen

Ist der Schmelz auf euren Schwingen,

Süßer Seele leises Glänzen!

Das, wovon die Dichter singen:

Schmetterlinge in den Lenzen!


Ja, einverstanden? Auch eine Möglichkeit?

:

Text 45:


Eduard Mörike (1804-1875)

Zitronenfalter im April


Grausame Frühlingssonne,

Du weckst mich vor der Zeit,

Dem nur in Maienwonne

Die zarte Kost gedeiht!

Ist nicht ein liebes Mädchen hier,

Das auf der Rosenlippe mir

Ein Tröpfchen Honig beut,

So muß ich jämmerlich vergehn

Und wird der Mai mich nimmer sehn

In meinem gelben Kleid.


Nicht, wahr: ein ökologisches Gleichnis, besonders hübsch gestaltet! Was Mörike von einem Zitronenfalter als einem verfrühten Produkt der österlichen sonnenreichen Natur erlebte und uns vorführte - es ist auch Gleichnis für den Autor selbst: den Uvnerstandenen, den zu früh Geborenen....


Hier nun:

Vielleicht der geheimnisvollste Text ist ein Gedicht



Text 46:


Nelly Sachs (1891-1970)

Schmetterling


Welch schönes Jenseits

ist in deinen Staub gemalt.

Durch den Flammenkern der Erde,

durch ihre steinerne Schale

wurdest du gereicht,

Abschiedsgewebe in der Vergänglichkeiten Maß.


Schmetterling

aller Wesen gute Nacht!

Die Gewichte von Leben und Tod

senken sich mit deinen Flügeln

auf die Rose nieder

die mit dem heimwärts reifenden Licht welkt.


Welch schönes Jenseits

ist in deinen Staub gemalt.

Welch Königszeichen

im Geheimnis der Luft.


*


Text 47:


(Übrigens: Die Kleinschreibung ist vom Autor gewollt, ätsch! Er schreibt nur den Satzanfang noch groß...)


Reiner Kunze (* 1933)

Raumfahrt im wagen des gastes


Noch dürfen wir nicht zurück zur erde, obwohl wir

an ihr haften


Noch ist das letzte ziel der kamera

nicht fotografiert


Die fliegende dämmerung überholen, das zielfoto

wird entscheiden


An der windschutzscheibe flügel

winziger erschlagener engel


Aufgaben: Wählen Sie zwei Texte aus und interpretieren Sie vergleichend sie!



Text 48:


Wieder ein Text zum Experimentieren: Die Zeilen sind falsch angeordnet: Die erste habe ich stehen gelassen; sie ist unnachahmlich und ist das Fundament der psychoopoetischen Aussage:




??

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren

Wenn die so singen oder küssen

Mehr als die Tiefgelehrten wissen,

Sind Schlüssel aller Kreaturen,

Wenn sich die Welt ins freie Leben

Und in die Welt wird zurückbegeben,

Und man in Märchen und Gedichten

Erkennt die ewgen Weltgeschichten,

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten

zu echter Klarheit werden gatten

Dann fliegt vor einem geheimen Wort

Das ganze verkehrte Wesen fort.


Richtig muß es - natürlich, meine ich - so lauten, Zeile für Zeile durchdacht: auf die Endaussage hingeleitet:


Novalis


Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren

Sind Schlüssel aller Kreaturen,

Wenn die so singen oder küssen

Mehr als die Tiefgelehrten wissen,

Wenn sich die Welt ins freie Leben

Und in die Welt wird zurückbegeben,

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten

zu echter Klarheit werden gatten

Und man in Märchen und Gedichten

Erkennt die ewgen Weltgeschichten,

Dann fliegt vor Einem geheimen Wort

Das ganze verkehrte Wesen fort.


Auch ohne Titel gilt: Das ist Poesie pur, Dichtung, die sich selbst thematisiert. Jeder Leser, der für sich die Intention formuliert, kann dem Text eine eigene Überschrift geben. Ich persönlich bevorzuge: Wenn ich einmal fliegen kann: Natürlich: Romantik pur! Aber wofür ist uns sonst die Sprache gegeben, das größte Wunder, weil durch es alle anderen Wunder erklärt werden können.


So sind wir, zurück über die Romantik hinweg, im klassischen Bereich gelandet. Und das begegnet uns, ob wir es wollen oder nicht, Goethe, dem diesjährigen Geburtstag....


Text 49:


Johann Wolfgang von Goethe


Gedichte sind gemalte Fensterscheiben!

Sieht man vom Markt in die Kirche hinein,

Da ist alles dunkel und düster;

Und so sieht's auch der Herr Philister:

Der mag denn wohl verdrießlich sein

Und lebenslang verdrießlich bleiben.


Kommt aber nur einmal herein!

Begrüßt die heilige Kapelle;

Da ist's auf einmal farbig helle,

Geschicht' und Zierat glänzt in Schnelle,

Bedeutend wirkt ein edler Schein;

Dies wird euch Kindern Gottes taugen,

Erbaut euch und ergetzt die Augen!

(e. um 1827)


***


Text 50:


Kahlil Gibran


Eure Kinder sind nicht eure Kinder.

Es sind die Söhne und Töchter von des Lebens Verlangen nach sich selber. Sie kommen durch euch, doch nicht von euch; und sind sie auch bei euch, so gehören sie euch doch nicht. Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, doch nicht eure Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken.

Ihr dürft ihren Leib bekleiden, doch nicht ihre Seele.

Denn ihre Seele wohnt im Hause von morgen, das ihr nicht zu betreten vermögt, selbst nicht in euren Träumen.

Ihr dürft euch bestreben, ihnen gleich zu werden, doch suchet nicht, sie euch gleich zu machen.

Denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es beim Gestern.

Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile entsandt werden.

Der Schütze sieht das Zeichen auf dem Pfade der Unendlichkeit, und er biegt euch mit seiner Macht, auf daß seine Pfeile schnell und weit fliegen. Möge das Biegen in des Schützen Hand euch zur Freude gereichen; denn gleich wie er den fliegenden Pfeil liebt, so liebt Er auch den Bogen, der standhaft bleibt.


Ein Text, der zur Diskussion auffordert - und zur Überprüfung mit der eigenen Realität - der als Elter oder als Kind, das man war...


Aufgaben:


1. Erkläre im Überblick, worum es im Text geht (Inhaltsangabe)!


2. Erkläre die bildlichen Ausdrücke des Textes! (Sind es Metaphern oder Symbole?)


3. Erarbeite die Intention (d.h. fasse den Sinn des Textes zusammen)!

4. Analysiere die unterstrichenen Zeilen nach den wichtigsten Wortarten, Satzteilen und der Syntax! Erkläre den Stil des Satzes!


Auf welchen Wegen, den berührten oder unberührten, weiter?


Nochmals ein Stückchen hinaus in die Natur? Viele Dichtung, die vordergründig von ihr und ihren Einzelheiten - Baum, Blume, Vogel, Pflanze - handelt, ist gleichzeitig Liebes- oder Sinndeutung. Na, bitte:


Text 51:


Rainer Brambach

Der Baum


Seit ich weit draußen

das Haus in der Siedlung bewohne,

wächst aus dem Keller ein Baum

durch Diele und Mansarden.

Laub hängt fahnengleich

zu allen Fenstern hinaus.

Der Wipfel wiegt sich

über dem moosgrauen Dach.


Ich hause unbesorgt nah dem Gezweig,

im Hof fault der Spaltklotz,

auf dem Speicher rostet die Säge.

Nachbarn freilich rufen sich zu:

Sein Haus ist wie unsere Häuser,

was ist der Narr fröhlich -

Hört, er singt in der Frühe, redet

und lacht, wenn es dämmert.


Der Baum wächst.



Psst! Kein Wort mehr für eine dritte Strophe! Drei in einem Satz müssen reichen - mag Baumbach, ein Schweizer Dichter, der ein Leben lang als Gärtner arbeitete. Wenn Sie eigenwillige Interpretation sehen wollen, schauen Sie mal in den Lösungsteil!


Text 52:


Günter Grass

Die Seeschlacht


Ein amerikanischer Flugzeugträger

und eine gotische Kathedrale

versenkten sich

im Stillen Ozean

gegenseitig.

Bis zum Schluß

spielte der junge Vikar auf der Orgel. -

Nun hängen Flugzeuge und Engel in der Luft

und können nicht landen.


Ein ziemlicher Happen, meinen sie? Was soll daran denn stimmen?

Darf ich Ihnen in drei Sätzen erzählen, wie ich dieses Gedicht verstanden habe? Ich habe einmal in einem Magazin eine vergrößerte Fotografie gesehen, die den hoch aufragenden Seitenturm eines Flugzeugträgers zeigte: Es war erstaunlich: das hohe Gerüst, das Antenne aufnimmt, glich einer gotischen Kathedrale, von der man nur die oberste Spitze eines Turms sieht: durchlöchert von zarten Mustern aus Gestein.....


Von daher habe ich folgendes Schema aufgemacht:

Ordnen Sie die Details diesem Schema zu:


Kirche | Flugzeugträger:


...........................................| ..............................

...........................................| ..............................

...........................................| ..............................

...........................................| ..............................




Und wenn Sie jetzt in eigenen Sätzen einen so tollen Vergleich zwischen moderner militärischer Technik und einer gotischen Kathedrale - als Inbegriff eines Gotteshauses formulieren sollten....?


***


Was zur Erinnerung:


Wahrscheinlich kennen sie das folgende Mörike-Gedicht.

Nach dem Lesen wählen Sie einen der zwei folgenden Texte aus, vergleichen Sie ihn zum Originaltext von Mörike!


Das Original, nicht ganz vollständig. Aber: Ob sie sich erinnern oder durch Tüfteln die Reimworte herausfinden - es ist ein hübsches Gedicht, das sich tief ins Gedächtnis eingräbt:


Text 53:


Eduard Mörike (1804 - 1875)

Er ist's


Frühling läßt sein blaues B.....

Wieder flattern durch die L.........,

Süße, wohlbekannte D........

Streifen ahnungsvoll das Land.

Veilchen träumen schon,

Wollen balde kommen.

- Horch, von fern ein leiser Harfen.....!

Frühling, ja du .........!

Dich habe ich ver...............

[e: 8.3.1829]


- Vielleicht macht der Reim in der vorletzten Zeile Schwierigkeiten? Er reimt sich auf die Titelzeile (das ist übrigens in einem deutscher Sprache nur einmalig).


Und weiter geht die kleine Reise zu anderen Frühlingsgedichten:


2. Bitte schön: ein Vergleichstext! Diesmal spare ich mir Manipulationen, der Text ist komplex genug. Und wenn sie ihn sich aneignen, machen Sie gleichzeitig einen Spaziergang durch moderne poetische Verfahren...



Text 54:


Karl Krolow

Neues Wesen


Blau kommt auf

wie Mörikes leiser Harfenton.

Immer wieder

wird das so sein.

Die Leute streichen

ihre Häuser an.

Auf die verschiedenen Wände

scheint die Sonne.

Jeder erwartet das.

Frühling, ja, du bist's!

Man kann das nachlesen.

Die grüne Hecke ist ein Zitat

aus einem unbekannten Dichter.

Die Leute streichen auch

ihre Familien an, die Autos,

die Boote.

Ihr neues Wesen

gefällt allgemein.


[e.: 1967]



3. Ein weiteres Beispiel; es zeigt, wie wirkungsvoll und bekannt dieses Mörike-Gedicht in Deutschland ist. - Die Reimwörter haben sie ja wohl noch im Ohr?



Text 55:


Manfred Hausin (* 1951)

Lied vom Gifttod


Gifttod läßt sein Würge.........

einfach flattern durch die L..........;

schwere, unbekannte D..........

streifen unheilvoll das L..........

Gifttod freut sich ............,

will gar balde .................

- Horch, von nah ein leiser Sensen........!

Gifttod, ja du ..........!

Dich hab ich ........................!


[e.: 1971]


Und wenn Sie noch ein bißchen weiter nachdenken wollen über Mörike und sogenannte Gegen-Gesänge:



Benutzen Sie für Ihre Überlegungen folgende Interpretation:


Aussage eines Schülers: "Aber, das ist doch ganz einfach in dem ganzen Gedicht Mörikes so: nicht mehr romantisch, noch nicht realistisch!"


Hinweise:


Biedermeier heißt die Epoche zwischen Romantik und Realismus, in der politisch resignative Autoren vorzugsweise Themen wie Natur, Liebesbeziehungen und private Werte wie Familie und Freundschaft beschrieben haben!


Textsortenbestimmungen:


Eine Parodie ist eine literarische, spöttisch-ironische Nachahmung, bei der man die Vorlage wiederkennt.

Eine Kontrafaktur ist ein Gegengedicht, das sich auf einen erkennbaren, allgemein bekannten Text bezieht; Absicht ist es, den Unterschied zwischen alt und neu, zwischen damals und heute aufzuzeigen und den Leser zu überlassen, wie er ihn bewertet.



Noch was vom Reisen. Wir hatten als Text den poetischen Bericht von Überfahrt in eine andere Welt, wo der Fährmann die Rolle des besonderen Vor-Boten spielte.


Hier noch ein kurzer Ausschnitt aus einem alten Menschheitsbuch: dem Ägyptischen Totenbuch, mit einer Überfahrtsszene. Dort finden wir hübsche Namen für diese Boote auf der Überfahrt vom diesseits ins Jenseits..:


Schließt mir die Pforten auf!

- Antworte zurst mir, oh Seele. Wer bist du? Wo gehst du hin? Bist du der Wandlungen fähig? Was sind sie?

- Gleich euch, o Götter, bin ich ein göttlicher Geist! Meines Bootes magischer Name klingt so:

Die Verknüpfung der vielfältigen Seelen.“

Haarsträubende Schrecken“ ist meines Ruders Name.

Der Wachend“ haßt de Bug.

Schlimm ist es“, heißt das Steuer.

Segle geradeaus!“ heißt das Heck.

Wahrlich, mein Boot wurde zur Eise ins Jenseits gezimmert!

(Aus: Imaginäre Reisen. Hrsg. v. Joseph Peer Strelka. it 1306. S. 9)



Und für heute als Letztes, nix Theoretisches, nix zum Konstruieren...:


Ein Gleichnis aus der Kinderwelt.

Wenn ich Ihnen später den Autor, bzw. die Dichterin verraten, werden sie sich bestimmt am viele schöne Geschichten von ihr auf Büchern oder aus dem Fernsehen erinnern...


Ein Kind wird hinaus geschickt, um eine Rute zu holen - mit der er selber, so hat es die Mutter im Zorn gedroht, geschlagen werden soll (Warum? Weil die Mutter die Nerven verloren hatte..)


***


Text 56:

Die Mutter erzählt selber:


Johan weinte, als er ging. Ich saß in der Küche und wartete. Es dauerte lange, bis er kam, und weinen tat er immer noch, als er zur Tür hereinschlich. Aber eine Rute hatte er keinen bei sich.

Mama’, sagte er schluchzend, ‘ich konnte keine Rute finden, aber hier hast du einen Stein, den du auf mich werfen kannst!’

Er reicht mir einen Steine, den größten, der in seiner kleinen Hand Platz fand. Da begann auch ich zu weinen, denn ich verstand auf einmal, was er sich gedacht hatte: Meine Mama will mir also weh tun, und das kann sie noch besser mit dem Stein.“


Astrid Lindgren hat uns diese Geschichte erzählt. Sie steht in ihren Memoiren. (Aus: Wir machen Frieden. Wien/München 1983. S. 10-12)


**


Text 57:


Werner Petrenz:


Heiß brennt die Sonne Afrikas,

da macht das Baden Riesenspaß.

Ein Gürteltier sprang in den Nil,

wobei sein Gürtel ihm entfiel.

Es tauchte danach viele Stunden,

doch blieb das gute Stück

verschwunden,.

Seitdem - berichten Großwildjäger -

trägt dieses Tier nur Hosenträger.


(Gefunden in der Süddeutschen Zeitung Nr. 174 (31.7./1.8.99)



Noch so ein Stichwort: Denken Sie gerne oder auch nur mal ab und an - über Gott nach:


So, wie es hier lautet?


Text 58:


Da hilft kein Zorn. Da hilft kein Spott.

Da hilft kein Weinen, hilft kein Beten.

Die Nachricht stimmt! Der Liebe Gott

ist aus der Kirche ausgetreten.

(Erich Kästner: Epigramme. Aus. Erich-Kästner-Buch. Hrsg. v. Rolf Hochhuth.. Gütersloh 1962. S. 147)


Text 59:


Erich Fried:

Winterliches Biwack


Und die lustigen Feuer

wohin sind sie alle gekommen?

Die Frager sitzen fröstelnd

zu zweit und zu dritt und

hell glänzt die Kälte


ich schlage die Arme zusammen übe der Brust

ich schlage die Brust zusammen über dem Herzen

ich schlage das Herz zusammen über Angst

Schale und Schale um Schale


Eine Zwiebel die mühsam überwintert

und die Kälte zerschneidet sie und muß weinen

Die Klugen kauen verbissen das scharfe Gericht

Und die lustigen Feuer

wohin sind sie alle gekommen?


Ja, Fried ist ein Wörterfreund, dem die verbale und ganz bestimmt die metaphorische Verständigung am - wo wohl? - natürlich am Herzen liegt!



Hier will ich erst einmal die poetischen Lektionen abschließen. Egal, ob Sie mit Ihrer Frau, Ihrer Freundin, mit Ihrer eigenen Mutter - oder mit Ihren eigenen Kindern über diesen Stein sprechen, den ein Kind selber heranschaffte, um sich damit weht tun zu lassen - ich glaube, es ist eine Geschichte, die man nicht so leicht vergißt, wenn man sich zankt, wenn Kinder zanken, wenn wir uns was überleben, um etwas Gut zu machen, was wir als Mißgeschick passiert ist...


Aber bevor wir sozusagen das Alphabet der Poesie schließen, will ich Sie noch auf eine Aufgabe hetzen:


Vollenden Sie einmal folgendes Gedicht:


Text 60:


ls. ..eim ..hor ..as ..dle ..is

..anz ..übsch ..rre ..äh ..repierte,

..itt ..an ..eben ..hrenriß

..einvoll ..ualen, ..esiginierte:

..tatt ..ournee ..m ..olle ..elt:

..anten, ..pern, ..ellerfeld.


Das war doch leicht - oder? Und das ist wieder ein echter Nehm, mit Vornamen Günter, gewesen: Gedanklich strukturiert, witzig durchgeführt:


(Text 60)


Als Beim Chor Das Edle Fis

Ganz Hübsch Irre Jäh Krepierte,

Litt Man Neben Ohrenriß

Peinvoll Qualen, Resiginierte:

Statt Tournee Um Volle Welt:

Xanten, Ypern, Zellerfeld.



Noch eine Kostprobe, wieder streng alphabetisch?

Dienstleistungen, bitte, sehr:


Text 61:


Auf Bequemer Couch Dient Esther

Freiern Gegen Honorar.

Ihre Junge Kegelschwester

Liebt Mit Nachdruck Offenbar

Pensionierte Quotenzähler.

Reiche Sollen Transpirieren

Und Verträumt Wechselwähler

X-fach Yoga zelebrieren.

(G. Nehm: Laura & Leopold liebte sich lüstern. Unmögliche Gedichte. Essen: Velag G. Winter. 1996. S. 46f)



Hätten Sie Lust aus folgenden ABC-Wörtern ein Gedicht zu basteln:


Text 62:


Ziehen, Yuccapalmen, Xaver, weil, verblühen, und, trauern, Sieglinde, Roggenbrot, Quäker, Preisen, oft, nehmen, Myrten, Liese, kann, Jux , im Haferschrot, gern, Fressen, Esel, der, Chrysanthemen, blühen, alljährlich.


(Text 62)


Ziehen, Yuccapalmen, Xaver, weil, verblühen, und, trauern, Sieglinde, Roggenbrot, Quäker, Preisen, oft, nehmen, Myrten, Liese, kann, Jux , im Haferschrot, gern, Fressen, Esel, der, Chrysanthemen, blühen, alljährlich.


Achtung: Die Personalendungen der Verben müssen Sie noch ein wenig konjugieren, d.h. zurechtbiegen - Und dann fehlen noch die Satzzeichen. Sie wissen: die Garanten, daß man sich nicht mißversteht. Wo die Sprache schon die Quelle aller Mißverständnisse ist. (Das hat uns Antoine de Saint-Exupéry - als Mahnung - aufgetragen.)



Wie sieht’s jetzt auf Ihrem Bildschirm aus?

Text 50, die dritte Ausgabe:


Alljährlich blühen Chrysanthemen.

Der Esel Fressen Gern Haferschrot.

Im Jux können Liese Myrten Nehmen.

Oft Preisen Quäker Roggenbrot.

Sieglinde Trauert Und Verblühen,

Weil Xaver Yuccapalmen Zieht.



Yuccapalmen, Xaver, weil, verblühen, und, trauern, Sieglinde, Roggenbrot, Quäker, Preisen, oft, nehmen, Myrten, Liese, kann, Jux , im Haferschrot, gern, Fressen, Esel, der, Chrysanthemen, blühen, alljährlich.



Na, probieren Sie es mal von hinten: Bei dem Meister Nehm sieht es so aus:


Alljährlich blühen Chrysanthemen.

Der Esel Frisst Gern Haferschrot.

Im Jux kann Liese Myrten Nehmen.

Oft Preisen Quäker Roggenbrot.

Sieglinde Trauert Und Verblüht,

Weil Xaver Yuccapalmen Zieht.



Noch eine Runde, ein neues vergnügen? Diesmal habe ich Kreuzworträtsel für Sie rausgesucht.

Also gestatten: senkrecht - waagerecht - regelrecht!


Text 63:


Rätsel Nr.: 1:

Jetzt werden Ihre Lyrik-Kenntnisse getestet:


(Aus: Rainer Madsen: Kreuzworträtsel zur Literatur. Frankfurt/M. 1989. S. 26f.)



Text 64:


Jetzt vornehmlich etwas über Rhetorik - wenn Sie sich zufällig oder berufsbedingt dort einiges als Übung verordnen wollen?


(Aus: Rainer Madsen: Kreuzworträtsel zur Literatur. Frankfurt/M. 1989. S. 32f.)



Text 65:


Und als krönender Abschluß und wessen Werk von welchem Autor ist die berühmtesten deutschen, wenn es um die Klassik geht?

Richtig: Goethes Faust soll hier Gegenstand des letzen Rätsel sein:


(Aus: Rainer Madsen: Kreuzworträtsel zur Literatur. Frankfurt/M. 1989. S. 40f.)


Pardon, da habe ich doch was vergessen, was mir selber sehr viel Spaß macht: Rätsel:


*

Wieder etwas zum Ent-Tüfteln?

Zerlegen Sie mal diesen Textsalat!

Die Punkte und die Kommas habe ich nicht entfernt...


Text 66:

derkleinebärgingzumflußundderkleinetigerbliebganzalleinzuhause.erfühltesichsehreinsam.mitdiesemgefühlimbauchkonnteernichtsanfangen.

dazukam, dasserzunichtslusthatte:

erwolltekeinezwiebelnschälen. ermochtekeinekartoffelnkochenerhatteessatt, diestubezufegen.

erkonnteauchkeinfeuerimofenmachen.

daslebenerschienihmüberhauptnichtschön!


*


Sie vermuten richtig: Der kleine Bär und sein Freund, der kleine Tiger - um die geht es in der kleinen Geschichte.

Der kleine Tiger hat diese Geschichte für den schnellen Hasen aufgeschrieben! Leider hat er alle Wörter einfach hintereinandergeschrieben! Der schnelle Hase kann die Geschichte nicht lesen. Schreiben Sie sie ihm (oder Ihrer Tochter oder Ihrem Sohnemann) richtig auf?


Wieder was zum Rätseln! Sie werden sich wundern! Das ist gar nicht so einfach!


Text 67:


Friedrich Wilhelm Güll:

Wer von euch ist klug und fleißig?


Wer von euch ist klug und fleißig?

Dreiunddreißig Rätsel weiß ich.

Spitzt das Ohr und spitzt die Feder,

Und nun schreib’ sich auf ein jeder:


Welche Uhr hat keine Räder?

Welcher Schuh ist nicht von Leder?

Welcher Stock hat keine Zwinge?

Welche Schere keine Klinge?


Welches Faß hat keinen Reif?

Welches Pferd hat keinen Schweif?

Welches Häuschen hat kein Dach?

Welche Mühle keine Bach?


Welcher Hahn hat keinen Kamm?

Welcher Fluß hat keinen Damm?

Welcher Bock hat keine Haut?

Welches Glöcklein keinen Laut?


Welcher Kamm ist nicht von Bein?

Welche Wand ist nicht von Stein?

Welche Kuh denn hat kein Horn?

Welche Rose keine Dorn?


Welcher Busch hat keinen Zweig?

Welcher König hat kein Reich?

Welcher Mann hat kein Gehör?

Welcher Schütze kein Gewehr?


Welcher Schlüssel sperrt kein Schloß?

Welchen Karren zieht kein Roß?

Welches Futter frißt kein Gaul?

Welche Katze hat kein Maul?


Welcher Bauer pflügt kein Feld?

Welcher Spieler verliert kein Geld?

Welcher Knecht hat keinen Lohn?

Welcher Baum hat keine Kron’?


Welcher Fuß hat keine Zeh’?

Welcher Streich tut keinem weh?

Welcher Wurf und Stoß und Schlag?

Rat nur, wer da kann und mag!

Und auf zu neuen Rätseln. Haben Sie noch Lust?:

*


Text 68:


Johann Peter Hebel:


Da kommt ein Knabe gegangen,

mit klingenden Glocken behangen,

sagt, Müßiggang heiße ihm Pflicht;

und was ihm die Brüder mit Darben,

mit Mühe und Sorgen erwarben,

verzehrt er im leckern Gericht.

Sonst schön wie ein Engel und heilig dazu,

mißgönnt er dem Küster und Pfarrer die Ruh!



Text 69:


Vom Klassiker Schiller:


Die besten Freunde, die wir haben,

sie kommen nur mit Schmerzen an,

und was sie uns für Weh getan,

ist fast so groß als ihre Gaben.

Und wenn sie wieder Abschied nehmen,

muß man zu Schmerzen sich bequemen.



Text 70:


Noch ein bißchen zum Rechnen, übrigens von Meister Goethe:


Ein Bruder ist’s von vielen Brüdern,

in allem ihnen völlig gleich,

ein nötig Glied von vielen gliedern

in eines großen Vaters Reich;

jedoch erblickt man ihn nur selten,

fast, wie ein eingeschobnes Kind;

die andern lassen ihn nur gelten

da, wo wie unvermögend sind.


Erraten? Denken Sie einmal an den Begriff der Zeit - und an das Kalenderjahr...



Gesucht: zwei Poeten!


Als Hausaufgabe?

Hätten Sie Lust, die beiden folgenden Dichter zu identifizieren?


Zwei lyrische Texte, die der leicht melancholischen Jahreszeit des Herbstes in besonders sprachsensibler Weise entsprechen; das erste Gedicht ist so bekannt, daß es schon in Abiturklausuren zum Schrecken lyrikungewohnter Kandidaten auftauchte. Der zweite Text ist noch recht unbekannt, jedenfalls noch nicht in Schulanthologien gesichtet.

Die Kontrafaktur über die 64 Jahre hinweg ist mir deshalb reizvoll, weil sie die Naturproblematik, die für die Zwanziger Jahre nur stimmungsvoll impressionistisch als Bild aus Bildern interessant war, fortschreibt für unsere kritische Wahrnehmung gesellschaftlicher und ökologischen Interessen. Das individuelle, aber auch allgemeinkulturelle, jahreszeitliche Gefühl des Absterbens ist nicht die einzige eidetische Möglichkeit der lyrischen Selbstvergewisserung oder ökologisch-naturnahen Reflexion.


Also, der erste Text:


Text 71:


Georg Trakl:

Verklärter Herbst


Gewaltig endet so das Jahr

Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.

Rund schweigen Wälder wunderbar

Und sind des Einsamen Gefährten.


Da sagt der Landmann: Es ist gut.

Ihr Abendglocken lang und leise

Gebt noch zum Ende frohen Mut.

Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.


Es ist der Liebe milde Zeit.

Im Kahn den blauen Fluß hinunter

Wie schön sich Bild an Bildchen reiht -

Das geht in Ruh und Schweigen unter.

(entstanden: 1913)



Der zweite Text; der Autor ist im Jahre 1999 verstorben...



Text 72:


Karl Krolow:

Es wird immer windiger


Es wird immer windiger.

Das kommt nicht nur vom Luftwirbel,

den ein Hubschrauber

in Baumkronen hinterläßt.

Manches stimmt nicht mehr wie

der gleichmäßige Wind

im stinkenden Sommer.

Das ist jetzt anders. Du mußt dich

vornüber halten. Das riecht nun

nach anderem Abfall, nassem Getreide

und verbranntem Grasboden.

Das Realitätsprinzip setzt sich durch -

ein Himmel aus feinem Ruß

wird bewegt. Man atmet

nicht besser. Am Kehlkopf

spürst du den Industrieherbst

als leichten Druck.

Wie schön sich Bild an Bildchen reiht.

[Des Dichters] Jahreszeit des Todestriebs

wurde von repressiver Ordnung abgelöst.


(entstanden: 1977)


Wie heißen die Dichter, der eine ein österreicher, früh Vollendeter, der zweite ein deutscher, ein bis 1999 produktiv Schaffender?


Text 73:


Joachim Ringelnatz

Seehund zum Robbenjäger

"Ich bin ein armer Hund.

Ich habe keine Brieftasche. Im Gegenteil:

Man macht aus mir welche; sehr wohlfeil.

Und Wohlfeil ist Schund.

Taten wir jemals Menschen beißen?!

Im Gegenteil: Jedes menschliche Kind

Wird uns, wenn wir auf dem Lande sind,

Mit Steinen totschmeißen.

Wie ihr Indianer und Neger

Nicht glücklich für sich leben ließt,

Stellt ihr uns nach und schießt

Uns nieder. Für Bettvorleger!

Wo ihr Menschen Freischönes erschaut,

Öffnet ihr, staunend, euren Rachen.

Warum erstrebt ihr es nicht, euch vertraut

mit den Tieren zu machen?

Wilde Tiere sahen allem, was neu

Und friedlich war, anfangs unsicher zu.

Wer nahm den wilden Tieren die Ruh?

Wer gab ihnen zur Angst die Wut?

Der Mensch verkaufte Instinkt und Scheu.

Das Tier ist ehrlich und deshalb gut."

(Aus: Flugzeuggedanken. 1929 erschienen.)


Aufgaben:


1. Erzähle in eigenen Worten, was der Seehund dem Robbenjäger klarmachen will!


2. Schreibe eine Antwort des Jägers! Entscheide selber über seinen Charakter!


3. Stell Dir vor, wir könnten dem Dichter, der schon 1934 starb, einen Brief (oder eine e-mail) schreiben über Deinen Eindruck von seinem Gedicht! Verfasse dieses Schreiben!



Von andern Tieren. Den lieben, ollen, gemütlichen Elefanten!



Text 74:


Joachim Ringelnatz

Stalltüren


Zwei dicke Elefanten

Wollten inkognito

Heimwandern. Doch alle Passanten

Erkannten die Elefanten

Als Flüchtlinge aus dem Zoo.


Und wenn sich auch niemand getraute,

Sie anzufassen, ward ihnen doch klar,

Daß man ihre Absicht durchschaute

Und daß nun bald was im Gange war.


Verfolgt von einem großen Heere

Von Schauvolk und Soldaten

Und Autos, Mob und Feuerwehr

Schwenkten sie links und betraten

Zwei Eingänge einer Bedürfnisanstalt -

Für Herren und für Damen -

Und äpfelten. - Schutzleute kamen

Und haben sie niedergeknallt.

(Aus: Flugzeuggedanken. 1929)


Text 75:


Michael Ende:


Drei Brüder wohnen in einem Haus,

die sehen wahrhaftig verschieden aus,

doch willst du sie unterscheiden,

gleicht jeder den andern beiden.

Der ist nicht da, er kommt erst nach Haus.

Der zweite ist nicht da, er ging schon hinaus.

Nur der dritte ist da, der Kleinste der drei,

denn ohne ihn gäb’s nicht die anderen zwei.

Und doch gibt’s den dritten, um den es sich handelt,

nur weil sich er erst’ in den zweiten verwandelt.

Denn willst du ihn anschaun, so siehst du nur wieder

immer einen der anderen Brüder!

Nun sage mir: sind die drei vielleicht einer?

Oder sind es nur zwei? Oder ist es gar .- keiner?

Und kannst du, mein Kind, ihre Namen mir nennen,

so wirst du drei mächtige Herrscher erkennen.

Sie regieren gemeinsam ein großes Reich -

und sind es auch selbst! Darin sind sie gleich.

(Aus: M. E.: Momo. Stuttgart1973: Thienemann. S. 154.


**


Weiter im Text


Folgendes Gedicht kennen Sie sicherlich. Es läßt sich häufig zitieren, sind wir doch alle Menschen - und irren uns häufig, äh, zuweilen


Text :


Auch ............... haben ihren ............

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach ..............fährt,

entdeckt .................



Na, was haben Sie herausbekommen?

Ein Beispiel gefällig:


Auch Augen haben ihren Sinn.

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach Fielmann läuft,

entdeckt der Preise Parada, äh, Paradies.


Gut, das reimt sich nicht korrekt. Also, ein anderes:


Auch Ausnahmen haben ihren Sinn.

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach Sinnhausen fährt,

entdeckt die Regel da.


Also, auf ein Neues?


Auch ............... haben ihren ............

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach ..............fährt,

entdeckt .................


Noch’n Text?


Auch Austern haben ihren Wert,

jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach St. Peter fährt,

entdeckt ‘ne Perle da.



Text 7 (die zweite Ausgabe):

Dann, also das Original-Gedicht, man nennt es auch ein Epigramm (Erklärung folgt später...):


Auch irrtümer haben ihren wert.

Jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach indien fährt,

entdeckt amerika.


*

Theodor Fontane:

Die Alten und die Jungen


Unverständlich sind uns die Jungen“

Wird von den Alten beständig gesungen;

Meinerseits möchte ich’s damit halten:

Unverständlich sind mir die Alten.“

Dieses am Ruderbleibenwollen

In allen Stücken und allen Rollen,

Dieses sich Unentbehrlichvermeinen

Samt ihrer „Augen stillem Weinen“,

Als wäre der Welt ein Weh getan -

Ach, ich kann es nicht versahn.

Ob unsre Jungen, in ihrem Erdreisten,

Wirklich was Besserers schaffen und leisten,

ob dem Parnasse sie näher gekommen

Oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen,

Ob sie, mit andern Neusittenverfechtern,

Die Menschheit bessern oder verschlechtern,

Ob sie Frieden sä’n oder Sturm entfachen,

Ob sie Himmel oder Hölle machen -

Eins läßt sie stehen auf siegreichem Grunde:

Sie haben den Tag, sie haben die Stunde;

Der Mohr kann gehen, neu Spiel hebt an,

Sie beherrschen die Szene, sie sind dran.

(1897; aus: Gedichte. 5., vermehrte Aufl. 1898. Nach: Th. F.: Allerlei Glück. Ein Lebensbuch. dtv 12538. S. 204f.)


*




Verfassser unbekannt:

Das Zich


Das kleine Zich ist ein Fanal,

mit zwanzig kommt’s zum ersten Mal.

Du findest das kleine Zich hochfein

und möchtest gern älter sein.


Mit dreißig macht es Dir nichts aus,

Du kennst Dich ja damit schon aus.

Bist immer fleißig, schonst Dich nicht,

bis daß zum nächsten Mal es zicht.


Mit vierzig kommst Du zur Besinnung,

gehörst ja auch schon fest zur Innung

und guckst auch mal mit stillem Blick

ein wenig achterwärts zurück.


Mit fünfzig kommt’s wie Donnerhall

Dir vor das kleine Zich-Signal.

Du findest das nicht mehr so schön

und denkst, das woll’n wir doch mal sehn!


So gehst Du weiter ganz für Dich,

da macht das doch schon wieder zich!

Du schaust erstaunt und bist perplex,

denn vor dem Zich steht jetzt ‘ne Sechs!


Das Leben wirst Du weiter lieben.

Guck an, vorm Zich steht nun ‘ne Sieben!

Du meinst, das wär ja doch gelacht,

ich schaff das Zich auch mit der Acht.


Fühlst dich gesund und darfst Dich freun

und schon steht vor dem Zich ‘ne neun.

Wirst Du erst hundert, dann - famos -

bist Du das Zich fürs erste los!





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Auflösungen:




Heinz Erhardt

Die Eule


Eine Eule saß und stierte

auf dem Aste einer Euche.

Ich stand drunter und bedachte,

ob die Eule wohl entfleuche,

wenn ich itzt ein Steunchen nähme

und es ihr entgegenschleuder?

Dieses tat ich. Aber siehe,

sie saß da und flog nicht weuter.

Deshalb paßt auf sie die Zeule:

EULE MIT WEULE!


**


mUTTERTAG? VATERTAG?


Irgendwann im Mai: Haben Sie auch keine Lust, diesen geschäftstüchtigen, auf maue Gefühle spekulierenden Kalendertrick mitzumachen? Könnte Sie eher, logisch, ein Menschentag interessieren? Statt Mutter-, Vater-, Frauen-, Kleinkind-, Babytag usw? Ein Tag (als Teil des immerwährenden Jahres) für große und kleine Menschen? Für Leute, die einen Tag (meinetwegen den 10. Mai) mal anders beginnen lassen wollen als mit den üblichen, materiellen Frühstückvorbereitungen? Statt dessen mit einer sprachlichen Überraschung? Vielleicht mit einem Lieblingsgedicht? Haben Sie eine feine, kleine Lieblingspoesie auf Lager?

Ich biete Ihnen heute an: Günter Bruno Fuchs Gedicht Für ein Kind. Einer der schönsten Texte dieses Berliner Malers, Poeten und Vaganten (1928-1977).

Und ich denke immer bei diesem Kunststück von Gedicht, das man auch in den Klassenstufen 5 - 13 interpretieren kann: ob für kleine oder große Kinder, es ist analytisch noch nicht entschieden! Wie im wahren Leben.


*


Günter Bruno FuchS

Für ein Kind


Ich habe gebetet. So nimm von der Sonne und geh.

Die Bäume werden belaubt sein.

Ich habe den Blüten gesagt, sie mögen dich schmücken.


Kommst du zum Strom, da wartet ein Fährmann.

Zur Nacht läutet sein Herz übers Wasser.

Sein Boot hat goldene Planken, das trägt dich.


Die Ufer werden bewohnt sein.

Ich habe den Menschen gesagt, sie mögen dich lieben.

Es wird dir einer begegnen, der hat mich gehört.


***


Mascha Kaleko:

Träumer mittleren Alters


Wie einen doch der große Weltschmerz quälte,

Als man so etwa zwanzig Jahre zählte!

Nun wird man niemals wieder zwanzig sein.

Oft ist in mir ein seltsames Bedauern:

Daß ich nicht traurig bin, das macht mich trauern

Und hüllt mich in die alte Wolke ein.


Soll man die Wohlgeratenen beneiden,

Die kühl und praktisch nie an Weltschmerz leiden,

Weil ihre Herzen längst gestorben sind?

Ach, der Gedanke schon läßt mich verzagen...

Mein Schicksal bleibt es, Träumen nachzujagen,

Ein hoffnungslos verlornes großes Kind.



***


Rose Ausländer:

Czernowitz vor dem 2. Weltkrieg


Friedliche Hügelstadt

von Buchenwäldern umschlossen


Weidenentlag der Pruth

Flöße und Schwimmer


Maifliederfülle

um die Laternen

tanzten Maikäfer

ihren Tod


Vier Sprachen

verständigten sich


Viele Dichter blühten dort auf

deutsche jiddische Verse

verwöhnten die Luft


Bis Bomben fielen

atmete glücklich die Stadt.



****

Text :

Wolfgang Borchert:

Der Kuß


Es regnet, doch sie merkt es kaum,

wie noch ihr Herz vor Glück erzittert:

Im Kuß versank die Welt im Traum.

Ihr Kleid ist naß und ganz zerknittert


und so verächtlich hochgeschoben,

als wären ihr Knie für alle da.

Ein Regentropfen, der zu nichts zerstoben,

der hat gesehn, was niemand sonst noch sah.


So tief hat sie noch nie gefühlt -

so sinnlos selig müssen Tiere sein!

Ihr Haar ist wie zu einem Heiligenschein zerwühlt -

Laternen spinnen sich drin ein.


*


Text :

Gedicht


Blume Anmut blüht so rot,

Blume Huldvoll blaut daneben.

Blume Anmut ist das Leben,

Blume Huldvoll ist der Tod.


Süß und herbe ist das Leben,

herb die Lust und süß die Not.

Blume Leben blüht so rot -

Blume Tod blüht blau daneben.


3. Klausur-Text: Wolfgang Borchert (1921 - 1947): Aus den

"Lesebuchgeschichten" (1949). Anmerkung: Borchert hat diesen Text als Abfolge von kurzen, sogenannten Mini-Kurzgeschichten geschrieben.

Aufgaben:

1. Erfasse das Thema aller Texte!

2. Interpretiere die einzelnen Texte nach inhaltlichen, formalen und intentionalen Gesichtspunkten!


***


Erich Kästner

Spruch für die Silvesternacht


Man soll das Jahr nicht mit Programmen

beladen wie ein krankes Pferd.

Wenn man es allzu sehr beschwert,

bricht es zu guter Letzt zusammen.


Je üppiger die Pläne blühen,

um so verzwickter wird die Tat.

Man nimmt sich vor, sich zu bemühen,

und schließlich hat man den Salat!


Es nützt nicht viel, sich rotzuschämen.

Es nützt nichts, und es schadet bloß,

sich tausend Dinge vorzunehmen.

Laßt das Programm! Und bessert euch drauflos!


***



*

Text


Theodor Storm (1817 - 1882):

April


Das ist die Drossel, die da schlägt,

Der Frühling, der mein Herz bewegt;

Ich fühle, die sich hold bezeigen,

Die Geister aus der Erde steigen.

Das Leben fließet als ein Traum -

Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.



Text


Hermann Hesse (1877 - 1962)

Manchmal


Manchmal, wenn ein Vogel ruft

Oder ein Wind geht in den Zweigen

Oder ein Hund bellt im fernsten Gehöft,

Dann muß ich lange lauschen und schweigen.


Meine Seele flieht zurück,

Bis wo vor tausend vergessenen Jahren

Der Vogel und der wehende Wind

Mir ähnlich und meine Brüder waren.


Meine Seele wird ein Baum

Und ein Tier und ein Wolkenweben.

Verwandelt und fremd kehrt sie zurück

Und fragt mich. Wie soll ich Antwort geben?



**


**


Joachim Ringelnatz:

Pinguine


Auch die Pinguine ratschen, tratschen,

Klatschen, patschen, watscheln, latschen,

Tuscheln, kuscheln, tauchen, fauchen

Herdenweise, grüppchenweise

Mit Gevattern,

Pladdern, schnattern

Laut und leise.

Schnabel-Babelbabel-Schnack,

Seriöses, Skandalöses, Hiebe, Stiche.


Oben: Chemisette mit Frack.

Unten: lange, enge, hinderliche

Röcke.- Edelleute, Bürger, Pack,

Alte Weiber, Professoren.


Riesenvolk, in Schnee und Eis geboren.

Sie begrüßen herdenweise


Ersten Menschen, der sich leise

Ihnen naht. Weil sie sehr neugierig sind.

Und der erstgesehne Mensch ist neu.

Und Erfahrungslosigkeit starrt wie ein kleinstes Kind

Gierig staunend aus, jedoch nicht scheu.


Riesenvolk, in Schnee und Eis geboren,

Lebend in verschwiegener Bucht

In noch menschenfernem Lande.

Arktis-Expedition. - Revolverschuß -:

Und das Riesenvolk, die ganze Bande

Ergreift die Flucht.


**


Rudolf Baumbach

Die Gäste der Buche


Mietgäste vier im Haus

hat die alte Buche.

Tief im Keller wohnt die Maus,

nagt am Hungertuche.


Weiter oben hat der Specht

seine Werkstatt liegen.

Hackt und zimmert kunstgerecht,

daß die Späne fliegen.


Stolz auf seinen roten Rock,

mit gesparten Samen,

sitzt ein Protz im ersten Stock,

Eichhorn ist sein Name.


Hoch im Wipfel, im Geäst,

pfeift ein winzig kleiner

Musikante froh im Nest,

Miete zahlt nicht einer.


***


Bertolt Brecht

Über die Unfruchtbarkeit


Der Obstbaum, der kein Obst bringt

Wird unfruchtbar gescholten. Wer

Untersucht den Boden?


Der Ast, der zusammenbricht

Wird faul gescholten, aber

Hat nicht Schnee auf ihm gelegen?


*


Bertolt Brecht

Über die Gewalt


Der reißende Strom wird gewalttätig genannt

Aber das Flußbett, das ihn einengt

Nennt keiner gewalttätig.


Der Sturm, der die Birken biegt

Gilt für gewalttätig

Aber wie ist es mit dem Sturm

Der die Rücken der Straßenarbeiter biegt?


*


Bertolt Brecht

Wahrnehmung


Als ich wiederkehrte

War mein Haar noch nicht grau

Da war ich froh.


Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns

Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.


***


Leo Lionni

Die vier Mäuse:


Wer streut die Schneeflocken? Wer schmilzt das Eis?

Wer macht lautes Wetter? Wer macht es leis?

Wer bringt den Glücksklee im Juni heran?

Wer verdunkelt den Tag? Wer zündet die Mondlampe an?


Vier kleine Feldmäuse wie du und ich

wohnen im Himmel und denken an dich.


Die erste ist die Frühlingsmaus, die läßt den Regen lachen.

Als Maler hat die Sommermaus die Blumen bunt zu machen.

Die Herbstmaus schickt mit Nuß und Weizen schöne Grüße.

Pantoffeln braucht die Wintermaus für ihre kalten Füße.


Frühling, Sommer, Herbst und Winter sind vier Jahreszeiten.

Keine weniger und keine mehr. Vier verschiedene Fröhlichkeiten.


***


Und noch was von Mäusen... - natürlich, auch immer eine hübsche Gelegenheit, ein Gedicht mit Kindern zu lesen und es bekakeln:

Es stammt von Günter Nehm und heißt die Kirchenmaus - ganz ohne Lücken, ohne Verdreher, ohne Rätselfragen:


Text


Günter Nehm:

Die Kirchenmaus


In einem Mauseloch verborgen

bewohnte die Familie Maus

sehr glücklich, doch nicht frei von Sorgen,

ein riesengroßes Gotteshaus.


Bekanntlich gibt’s im Kirchgehäuse

statt Mausespeck nur Seelenheil,

doch dafür nehmen Kirchenmäuse

an Gottes Segen dankbar teil.


Einst fragte mit vergnügter Miene

bei Gottesdienst und Dankgebet,

die Mausetochter Karoline

wozu hier eine Kirche steht.


Die Mutter sprach: Gott sei’s gesegnet,

es dient ein Loch uns als Quartier,

um das zu schützen, wenn es regnet,

nur darum steht die Kirche hier.


Was will die Antwort wohl besagen

Nun, sie bestätigt den Verdacht,

daß auch bei ständig leerem Magen

ein starker Glauben selig macht.


*


Eugen Roth:


Ein Mensch, der recht sich überlegt,

daß Gott ihn anschaut unentwegt,

Fühlt mit der Herz in Herz und Magen

Ein ausgesprochnes Unbehagen

Und bittet schließlich ihn voll Grauen,

Nur fünf Minuten wegzuschauen.

Er wolle unbewacht, allein

Inzwischen brav und artig sein.

Doch Gott, davon nicht überzeugt,

Ihn ewig unbeirrt beäugt.


Text


Eugen Roth:

Je nachdem


Ein Mensch sagt bitter: „Weiß Gott, wo!“

Ein anderer, milde: „Gott weiß, wo!“

Durch sprachlich kleinsten Unterschied

Getrennt man ganze Welten sieht.


(Aus: E. R.: Geburtstagsbuch. Frankfurt/M. 1995: Fitabu 12081. S. 76)


Und hier ein Lösungsschema:


Tafeltext:

bitter“ | „milde“

sich verweigernd | teilnehmend

ablehnend | freundlich

ignorant | initiativ

pessimistisch | optimistisch

.............................|.......................


Eugen Roth

Im Regen


Kinder kommen gelaufen

Ins Grüne, ins Nasse

Heraus

In den prustenden Regen,

Ersingen sich seinen Segen,

Daß er sie wachsen lasse.


Im hölzernen Fasse

Mit dunklem Basse

Aus allen Traufen

Lärmt schon der Braus.


Die Bäume schnaufen,

Lechzen dem Feuchten entgegen,

Gern wollen sie’ leiden,

Daß der Wind sie fasse

Im wilden bewegen,

Im tanzenden Saus.


Die Eichen vorm Haus

Die beiden

Uralten Heiden

Stehen bescheiden

Und lassen sich taufen


(Achtung: die letzte Strophe ist ohne Rechtschreibung und Zeichensetzung wiedergegeben!)


Aufgaben:

1. Erkläre das Thema des Gedichts!

2. Beschreibe an zwei Beispielen die metaphorische Leistung; welche sprachlichen Besonderheiten fallen Dir sonst noch auf?

3. Erarbeite dir die normale Schreibweise der letzten Strophe und schreibe sie möglichst richtig ab!

4. Was meinst Du: Was wollte der Dichter Eugen Roth mit diesem Gedicht ausdrücken?



Eugen Roth:


Ein Mensch denkt, gläubig wie ein Kind,

Daß alle Menschen Menschen sind.

(Tafeltext)


***


Reiner Kunze

Das Kätzchen


Besuch! Im Garten ist ein Gast!

Ein Kätzchen sitzt auf einem Ast.


Laßt, Kinder, alles Spielzeug stehn,

wir wollen es bestaunen gehn!


Es hat zwei Lichter mitgebracht,

die sehn - und leuchten in der Nacht.


Was will es hier? Nun - denken wir,

es wolle sagen: Ich bin hier.


Denn eine Katze, Kinder, ist

ein Wunder. Was der Mensch vergißt.


Der Mensch kann auf dem Mond erwachen,

aber keine Katze machen.


Das kleinste Vogelherz, das schlägt,

ist nicht von Menschenhand bewegt.


Der Fisch, der sich im Wasser regt,

entschlüpft dem Ei, vom Fisch gelegt.


Das größte Wunder selbst auf Erden

muß aus dem Leib geboren werden:


Verwundert steht das Menschenkind

vor all den Wundern, die da sind.


Und jeder Mensch und jedes Tier

ist nur für eine Weile hier.


Drum danken wir dem Kätzchen schön,

daß es sich anschaun ließ, und gehn.




Sarah Kirsch

Katzenleben


Aber die Dichter lieben die Katzen

Die nicht kontrollierbaren sanften

Freien die den Novemberregen

Auf seidenen Sesseln oder in Lumpen

Verschlafen verträumen stumm

Antwort geben sich schütteln und

Weiterleben hinter dem Jägerzaun

Wenn die besessenen Nachbarn

Immer noch die Autonummern notieren

Der Überwachte in seinen vier Wänden

Längst die Grenzen hinter sich ließ.

(Aus: S. K.: Katzenleben. 1984.)


*



Hans Magnus Enzensberger


windgriff


manche wörter

leicht

wie pappelsamen


steigen

vom wind gedreht

sinken


schwer zu fangen

tragen weit

wie pappelsamen


manche wörter

lockern die erde

später vielleicht


werfen sie einen schatten

einen schmalen schatten ab

vielleicht auch nicht

(e.:1964)



Rose Ausländer

Mein Reich


Auf meinen Wänden

blühen Bilder


Poeten dichten

im Regal


Ich schaue lese

spreche mit den

schaffenden Gefährten


Mein kleines Zimmer

ist ein Riesenreich


Nicht herrschen will ich -

Dienen



Erich Fried

Einer singt


Einer singt

aus Angst

gegen die Angst


Einer singt

aus Not

gegen Not


Einer singt

aus der Zeit

gegen die Zeit


Einer singt

aus dem Staub

gegen den Staub


Einer singt

von den Namen

die Namen namenlos machen

(v.: 1966)



Günter Eich

Ungewohntes Wort


Eines Tages der

Fischgerechtigkeit

unterworfen:

Der Spruch der Forellen

mag hingehen.

Wie werden aber

die Aale urteilen

und die Haifische?


(v.:1964)


Ludwig Uhland

??

Bei einem wundermild

Da war ich jüngst zu ;

Ein goldner Apfel war sein Schild

An einem langen Aste.


Es war der gute baum,

bei dem ich eingekehret;

Mit süßer Kost und frischem Schaum

Hat er mich wohl .


Es kamen in sein Haus

Viel leichtbeschwingte Gäste;

Sie sprangen und hielten Schmaus

Und auf das beste.


Ich fand ein zu süßer Ruh

Auf weichen, grünen Matten;

Der Wirt, er selbst mich zu

Mit seinen kühlen .


Nun fragt' ich nach der ,

Da schüttelt' er den .

Gesegnet sei er allezeit

Von der bis zum Gipfel.


**


Bertolt Brecht

An die Nachgeborenen


Was sind das für Zeiten, wo

Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist,

weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!

(Ausschnitt; 1938)


Text:


Ulli Harth


An die Ungeborenen


Bald wird es das Verbrechen

über Bäume zu reden

nicht mehr geben.

Von Strauchdieben werden wir

uns nicht mehr fürchten.

Wenn das letzte Blatt

sich gewendet hat,

hältst du den Joker in der Hand

und bist

ohne Mitspieler.


Text


Walter Helmut Fritz

Bäume


Wieder hat man in der Stadt,

um Parkplätze zu schaffen,

Platanen gefällt.

Sie wußten zu viel.

Wennwir in ihrer Nähe waren,

begrüßten wir sie als Freunde.

Inzwischen ist es fast

zu einem Verbrechen geworden,

nicht über Bäume zu sprechen,

ihre Wurzeln,

den Wind, die Vögel,

die sich in ihnen niederlassen,

den Frieden,

an den sie uns erinnern.



Textchen


Martin Luther


Und wenn ich wüßte,

daß morgen die Welt unterginge,

pflanzte ich doch heute noch

einen Baum.


Text


Ernst Stadler

Kleine Stadt


Die vielen kleinen Gassen, die die langgestreckte Hauptstraße überqueren,

laufen alle ins Grüne. Überall fängt Land an.

Überall strömt Himmel ein und Geruch von Bäumen und der starke Duft der Äcker.

Überall erlischt die Stadt in einer feuchten Herrlichkeit von Wiesen,

Und durch den grauen Ausschnitt niedrer Dächer schwankt

Gebirge, über das die Reben klettern, die mit hellen Stützen in die Sonne leuchten.

Darüber aber schließt sich Kiefernwald: der stößt

Wie eine breite dunkle Mauer an die rote Fröhlichkeit der Sandsteinkirche.



Am Abend, wenn die Fabriken schließen, ist die große Stadt mit Menschen gefüllt.

Sie gehen langsam oder bleiben mitten auf der Gasse stehn.

Sie sind geschwärzt von Arbeit und Maschinenruß.

Aber ihre Augen tragen

Noch Scholle, zähe Kraft des Bodens und das feierliche Licht der Felder.


**

"Ein jeder Engel ist schrecklich."

Aus Rainer Maria Rilkes erster Duineser Elegie


Hans Magnus Enzensberger:

Die Visite


Als ich aufsah von meinem leeren Blatt,

stand der Engel im Zimmer.


Ein ganz gemeiner Engel,

vermutlich unterste Charge.


Sie können sich gar nicht vorstellen,

sagte er, wie entbehrlich Sie sind.


Eine einzige unter fünfzehntausend Schattierungen

der Farbe Blau, sagte er,


fällt mehr ins Gewicht der Welt

als alles, was Sie tun oder lassen,


gar nicht zu reden vom Feldspat

und von der Großen Magellanschen Wolke.


Sogar der gemeine Froschlöffel, unscheinbar wie er ist,

hinterließe eine Lücke, Sie nicht.


Ich sah es an seinen hellen Augen, er hoffte

auf Widerspruch, auf ein langes Ringen.


Ich rührte mich nicht. Ich wartete,

bis er verschwunden war, schweigend.

(Aus: HME: Kiosk. Neue Gedichte. Frankfurt 1995. S. 118f.)


***


Heinrich Kämpchen

Potemkin


Wie hat das Herz mir im Leibe gelacht,

Als ich die Kunde vernommen,

Daß das Zarenschiff als Rebellenschiff

Ins Meer hinaus ist geschwommen.


Daß nach langem Druck der Wagemut

Die Herzen der Russen erfaßte,

Daß mit lustigem Blähen die Flagge rot

Hoch oben flattert vom Maste.


Daß der Sklave endlich die Ketten bricht

Und daß er das Schwert will schwingen -

Glück auf, 'Potemkin', Rebellenschiff,

Du warst der erste im Ringen!

(Aus: Was die Ruhr mir sang. 1909. S. 134)



Kämpchen

Unglück?



Text

Bertolt Brecht (1898-1956)

Über das Frühjahr


Lange bevor

Wir uns stürzten auf Erdöl, Eisen und Ammoniak

Gab es in jedem Jahr

Die Zeit der unaufhaltsam und heftig grünenden Bäume.

Wir alle erinnern uns

Verlängerter Tage

Helleren Himmels

Änderung der Luft

Des gewiß kommenden Frühjahr.

Noch lesen wir in Büchern

Von dieser gefeierten Jahreszeit

Und doch sind schon lange

Nicht mehr gesichtet worden über unseren Städten

Die berühmten Schwärme der Vögel.

Am ehesten noch sitzend in Eisenbahnen

Fällt dem Volk das Frühjahr auf.

Die Ebenen zeigen es

In alter Deutlichkeit.

In großer Höhe freilich

Scheinen Stürme zu gehen:

Sie berühren nur mehr

Unsere Antennen.

[1928 verfaßt]

(Aus: Bertolt Brecht: Gesammelte Werke. Band 8. Frankfurt/M. 1967. S. 314.)


***




Ist es nicht sonderbar, daß die Menschen so gerne für die Religion fechten und so ungerne nach ihren Vorschriften leben? Georg Christoph Lichtenberg (1742- 1799)


Dichter und der religiöse Auftrag:


Es gibt nämlich einen Rückweg von der

Phantasie zur Realität, und das ist - die Kunst.

Der Künstler ist im Ansatz auch ein Introvertierter,

der es nicht weit zur Neurose hat.

Sigmund Freud: Vorlesungen zur Psychoanalyse.

Bd. I. 1970. S. 366.



Poetisches, die Inspiration, kann, wenn man streng konform lebt und denkt, nur entweder unsinnig gleich krank oder, wenn der Inhalt, wenn die Form der küsntlerischen Darstellung Akzept findet, stauanenswert, übermenschlich, entsprechend göttlich sein.


Karschin: Kirschen-Blut


Eichendorff: Der Dichter


Marie Luise Kaschnitz: Ein Gedicht


Hermann Josef Coenen: Neuer Wein in neue Schläuche



***

Schmetterlinge in den Lenzen:

Ist der Schmelz auf euren Schwingen

Das, wovon die Dichter singen?

Süßer Seele leises Glänzen?

(Chinesischer Spruch)


Eduard Mörike (1804-1875)


Zitronenfalter im April


Grausame Frühlingssonne,

Du weckst mich vor der Zeit,

Dem nur in Maienwonne

Die zarte Kost gedeiht!

Ist nicht ein liebes Mädchen hier,

Das auf der Rosenlippe mir

Ein Tröpfchen Honig beut,

So muß ich jämmerlich vergehn

Und wird der Mai mich nimmer sehn

In meinem gelben Kleid.



Nelly Sachs (1891-1970)

Schmetterling


Welch schönes Jenseits

ist in deinen Staub gemalt.

Durch den Flammenkern der Erde,

durch ihre steinerne Schale

wurdest du gereicht,

Abschiedsgewebe in der Vergänglichkeiten Maß.


Schmetterling

aller Wesen gute Nacht!

Die Gewichte von Leben und Tod

senken sich mit deinen Flügeln

auf die Rose nieder

die mit dem heimwärts reifenden Licht welkt.


Welch schönes Jenseits

ist in deinen Staub gemalt.

Welch Königszeichen

im Geheimnis der Luft.

*

Reiner Kunze (* 1933)

Raumfahrt im wagen des gastes


Noch dürfen wir nicht zurück zur erde, obwohl wir

an ihr haften


Noch ist das letzte ziel der kamera

nicht fotografiert


Die fliegende dämmerung überholen, das zielfoto

wird entscheiden


An der windschutzscheibe flügel

winziger erschlagener engel



Aufgaben: Wählen Sie zwei Texte aus und interpretieren Sie vergleichend sie!



Text


Rudolf Baumbach

Die Gäste der Buche


Mietgäste vier im Haus hat die alte Buche.

Tief im Keller wohnt die Maus, nagt am Hungertuche.


Weiter oben hat der Specht seine Werkstatt liegen.

Hackt und zimmert kunstgerecht, daß die Späne fliegen.


Stolz auf seinen roten Rock, mit gesparten Samen,

sitzt ein Protz im ersten Stock, Eichhorn ist sein Name.


Hoch im Wipfel, im Geäst, pfeift ein winzig kleiner Musikante

froh im Nest, Miete zahlt nicht einer.



Novalis


Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren

Sind Schlüssel aller Kreaturen,

Wenn die so singen oder küssen

Mehr als die Tiefgelehrten wissen,

Wenn sich die Welt ins freie Leben

Und in die Welt wird zurückbegeben,

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten

zu echter Klarheit werden gatten

Und man in Märchen und Gedichten

Erkennt die ewgen Weltgeschichten,

Dann fliegt vor Einem geheimen Wort

Das ganze verkehrte Wesen fort.


**


J.W. von Goethe


Gedichte sind gemalte Fensterscheiben!

Sieht man vom Markt in die Kirche hinein,

Da ist alles dunkel und düster;

Und so sieht's auch der Herr Philister:

Der mag denn wohl verdrießlich sein

Und lebenslang verdrießlich bleiben.


Kommt aber nur einmal herein!

Begrüßt die heilige Kapelle;

Da ist's auf einmal farbig helle,

Geschicht' und Zierat glänzt in Schnelle,

Bedeutend wirkt ein edler Schein;

Dies wird euch Kindern Gottes taugen,

Erbaut euch und ergetzt die Augen!

(e. um 1827)


Hans Magnus Enzensberger


windgriff


manche wörter

leicht

wie pappelsamen


steigen

vom wind gedreht

sinken


schwer zu fangen

tragen weit

wie pappelsamen


manche wörter

lockern die erde

später vielleicht


werfen sie einen schatten

einen schmalen schatten ab

vielleicht auch nicht

(e.:1964)



Rose Ausländer


Mein Reich


Auf meinen Wänden

blühen Bilder


Poeten dichten

im Regal


Ich schaue lese

spreche mit den

schaffenden Gefährten


Mein kleines Zimmer

ist ein Riesenreich


Nicht herrschen will ich -

Dienen



Erich Fried


Einer singt


Einer singt

aus Angst

gegen die Angst


Einer singt

aus Not

gegen Not


Einer singt

aus der Zeit

gegen die Zeit


Einer singt

aus dem Staub

gegen den Staub


Einer singt

von den Namen

die Namen namenlos machen


(v.: 1966)



Günter Eich


Ungewohntes Wort


Eines Tages der

Fischgerechtigkeit

unterworfen:

Der Spruch der Forellen

mag hingehen.

Wie werden aber

die Aale urteilen

und die Haifische?


(v.:1964)


***



Nein, von Auschwitz hörten wir kein Wort; eine spezifische katholische Schuld, wie sie protestantische Priester und Bischöfe schon im Jahre 1945 als öffentliches Bekenntnis formulierten, scheint es nicht gegeben zu haben. Es war auch nicht nur bequemer, es war einfach ideologisch richtig, nach der Koketterie und der Anpassung und der Verehrung völkisch-nationaler Gesinnung, auch eines ungebrochenen Antikomunismus, sich der eigenen Verfehlung im Faschismus nicht zu besinnen. Ein dazumaliger Katholik, wie er sie in der Schulzeit kennenlernte, hätte folgende von Elie Wiesel, schon zu meiner Schulzeit, im französischen Original 1958 gedruckte Passage nicht ernstnehmen, ja nicht denken, erst recht nicht Schülern gegenüber veröffentlichen dürfen (also Fortschritt als Echternacher Dialektik, wenn man vorher verbrannt wird auf irgendeinem Altar der Dogmatik und nachher - nein, nicht heiliggesprochen, sondern so gerdet und getan wird, als wäre nichts gewesen. Irgendwelche Probleme?)

Als KZ-Häftling erlebte Wiesel die Hinrichtung eines Jungen mit. Nach mehr als einer halben Stunden lebte dieses Kind noch neben den zwei schon Strangulierten: "Aber der dritte Strick hing nichts reglos: der leichte Knabe lebte noch..." Dann, nach einer Anordnung: "Wir mußten ihm ins Gesicht sehen. Er lebte noch, als ich an ihm vorüberschritt. Seine Zunge war noch rot, seine Augen noch nicht erloschen.

Hinter Wiesel fragte ein Mann: "'Wo ist Gott?' Und ich hörte eine Stimme in mir antworten: 'Wo er ist? Dort - dort hängt er, am Galgen...'"

Einer solch radikalen, ehrlichen, der Identifikation durch Nächstenliebe ermöglichten Einsicht widerspricht der römisch-katholischen Alleinvertretungsanspruch - Folgen der Machtallüren von Unpersönlichkeiten, die ihre Ämter zu ihren Privatrollen gemacht haben und nichts mehr merken wollen. -

Trotzdem fand ich, nach mehr als dreißig Jahren dieses Auschwitz-Zitat in einer kleinen Schrift des Spirituals D. G. meiner damaligen Internatszeit; er bietet diese schreckliche Episode unter dem Kapital "Der Allmächtige" zu Nachdenken über die Grundfrage: Wie und wo stellt er sich Gott vor. Er, Dirk Grothues, kommt aber zu einer fundamental einfachen, nicht zu befragenden Antwort: "Gottes Allmacht ist anders, als wir befürchten. Sie engt weder ein, noch nimmt sie uns die Freiheit. Sie ist es ja gerade, die uns Dasein und Leben, Freiheit und Geltung verschafft." (D.G.: Gott - Geheimnis unseres Heils. Leutesdorf 1994.) Er kann in solch stereoytpem Fazit keine angemessene Reaktion auf den Holocaust, keine Vermittlung des Gebotes der Nächstenliebe, keine Einsicht in die historische Schuld von Kollektiven, auch des, gemessen am Beispiel Christi und seiner Apostel, Betrugsapparats der katholischen Kirche, ihrer bestialischen Gleichgültigkeit gegenüber den Falschen, den nicht in der Kirche Gefestigten, erkennen.





***


Kahlil Gibran


Eure Kinder sind nicht eure Kinder.

Es sind die Söhne und Töchter von des Lebens Verlangen nach sich selber. Sie kommen durch euch, doch nicht von euch; und sind sie auch bei euch, so gehören sie euch doch nicht. Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, doch nicht eure Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken.

Ihr dürft ihren Leib bekleiden, doch nicht ihre Seele.

Denn ihre Seele wohnt im Hause von morgen, das ihr nicht zu betreten vermögt, selbst nicht in euren Träumen.

Ihr dürft euch bestreben, ihnen gleich zu werden, doch suchet nicht, sie euch gleich zu machen.

Denn das Leben läuft nicht ruckwärts, noch verweilt es beim Gestern.

Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile entsandt werden.

Der Schütze sieht das Zeichen auf dem Pfade der Unendlichkeit, und er biegt euch mit seiner Macht, auf daß seine Pfeile schnell und weit fliegen. Möge das Biegen in des Schützen Hand euch zur Freude gereichen; denn gleich wie er den fliegenden Pfeil liebt, so liebt Er auch den Bogen, der standhaft bleibt.


Aufgaben:


1. Erkläre im Überblick, worum es im Text geht (Inhaltsangabe)!


2. Erkläre die bildlichen Ausdrücke des Textes! (Sind es Metaphern oder Symbole?)


3. Erarbeite die Intention (d.h. fasse den Sinn des Textes zusammen)!

4. Analysiere die unterstrichenen Zeilen nach den wichtigsten Wortarten, Satzteilen und der Syntax! Erkläre den Stil des Satzes!


***


Text 40:



Rainer Brambach


Der Baum


Seit ich weit draußen

das Haus in der Siedlung bewohne,

wächst aus dem Keller ein Baum

durch Diele und Mansarden.

Laub hängt fahnengleich

zu allen Fenstern hinaus.

Der Wipfel wiegt sich

über dem moosgrauen Dach.


Ich hause unbesorgt nah dem Gezweig,

im Hof fault der Spaltklotz,

auf dem Speicher rostet die Säge.

Nachbarn freilich rufen sich zu:

Sein Haus ist wie unsere Häuser,

was ist der Narr fröhlich -

Hört, er singt in der Frühe, redet

und lacht, wenn es dämmert.


Der Baum wächst.




Stop, Pause!


Ich habe Ihnen in de zweiten und der so kurzen dritten Strophe noch genug Platz gelassen für eigene Illustrierungen...


Aber das ganze Gedichtnis (so paßt es für ein brambachsches Gedicht) muß natürlich so gedruckt aussehen. So wollte es der Dichter.




Text 40:


Rainer Brambach


Der Baum


Seit ich weit draußen

das Haus in der Siedlung bewohne,

wächst aus dem Keller ein Baum

durch Diele und Mansarden.

Laub hängt fahnengleich

zu allen Fenstern hinaus.

Der Wipfel wiegt sich

über dem moosgrauen Dach.


Ich hause unbesorgt nah dem Gezweig,

im Hof fault der Spaltklotz,

auf dem Speicher rostet die Säge.

Nachbarn freilich rufen sich zu:

Sein Haus ist wie unsere Häuser,

was ist der Narr fröhlich -

Hört, er singt in der Frühe, redet

und lacht, wenn es dämmert.


Der Baum wächst.




Günter Grass


Die Seeschlacht


Ein amerikanischer Flugzeugträger

und eine gotische Kathedrale

versenkten sich

im Stillen Ozean

gegenseitig.

Bis zum Schluß

spielte der junge Vikar auf der Orgel. -

Nun hängen Flugzeuge und Engel in der Luft

und können nicht landen.




Interpretieren Sie das Mörike-Gedicht, wählen Sie einen der zwei folgenden Texte aus und erarbeiten Sie einen Vergleich zum Originaltext von Mörike! (Berücksichtigen Sie die abgedruckten Materialien!

Geben Sie durch eine Gliederung Ihrer Klausur einen eigenen Aufbau, einschließlich der Begründung Ihrer Auswahl!)


1. Eduard Mörike (1804 - 1875)


Er ist's


Frühling läßt sein blaues Band

Wieder flattern durch die Lüfte;

Süße, wohlbekannte Düfte

Streifen ahnungsvoll das Land.

Veilchen träumen schon,

Wollen balde kommen.

- Horch, von fern ein leiser Harfenton!

Frühling, ja du bist's!

Dich habe ich vernommen.

[e: 8.3.1829]





2. Karl Krolow


Neues Wesen


Blau kommt auf

wie Mörikes leiser Harfenton.

Immer wieder

wird das so sein.

Die Leute streichen

ihre Häuser an.

Auf die verschiedenen Wände

scheint die Sonne.

Jeder erwartet das.

Frühling, ja, du bist's!

Man kann das nachlesen.

Die grüne Hecke ist ein Zitat

aus einem unbekannten Dichter.

Die Leute streichen auch

ihre Familien an, die Autos,

die Boote.

Ihr neues Wesen

gefällt allgemein.


[e.: 1967]






3. Manfred Hausin (* 1951)




Lied vom Gifttod


Gifttod läßt sein Würgeband

einfach flattern durch die Lüfte;

schwere, unbekannte Düfte

streifen unheilvoll das Land.

Gifttod freut sich schon,

will gar balde kommen.

- Horch, von nah ein leiser Sensenton!

Gifttod, ja du bist's!

Dich hab ich vernommen!


[e.: 1971]



Benutzen Sie nach eigener Wahl folgende Materialien für Ihre Interpretation:


1. Aussage eines Schülers: "Aber, das ist doch ganz einfach in dem ganzen Gedicht Mörikes so: nicht mehr romantisch, noch nicht realistisch!"


2. Biedermeier heißt die Epoche zwischen Romantik und Realismus, in der politisch resignative Autoren vorzugsweise Themen wie Natur, Liebesbeziehungen und private Werte wie Familie und Freundschaft beschrieben haben!


3. Textsortenbestimmungen:


Eine Parodie ist eine literarische, spöttisch-ironische Nachahmung, bei der man die Vorlage wiederkennt.


Eine Kontrafaktur ist ein Gegengedicht, das sich auf einen erkennbaren, allgemein bekannten Text bezieht; Absicht ist es, den Unterschied zwischen alt und neu, zwischen damals und heute aufzuzeigen und den Leser zu überlassen, wie er ihn bewertet.



Text


Werner Petrenz:


Heiß brennt die Sonne Afrikas,

da macht das Baden Riesenspaß.

Ein Gürteltier sprang in den Nil,

wobei sein Gürtel ihm entfiel.

Es tauchte danach viele Stunden,

doch blieb das gute Stück

verschwunden,.

Seitdem - berichten Großwildjäger -

trägt dieses Tier nur Hosenträger.


(Gefunden in der Süddeutschen Zeitung Nr. 174 (31.7./1.8.99)


Erich Fried:

Winterliches Biwack


Und die lustigen Feuer

wohin sind sie alle gekommen?

Die Frager sitzen fröstelnd

zu zweit und zu dritt und

hell glänzt die Kälte


ich schlage die Arme zusammen über der Brust

ich schlage die Brust zusammen über dem Herzen

ich schlage das Herz zusammen über Angst

Schale und Schale um Schale


Eine Zwiebel die mühsam überwintert

und die Kälte zerschneidet sie und muß weinen

Die Klugen kauen verbissen das scharfe Gericht

Und die lustigen Feuer

wohin sind sie alle gekommen?


*

Text


Der kleine Bär ging zum Fluß und der kleine Tiger blieb ganz allein zu Hause. Er fühlte sich sehr einsam. Mit diesem Gefühl im Bauch konnte er nichts anfangen. Dazu kam, dass er zu nichts Lust hatte:

Er wollte keine Zwiebeln schälen. Er mochte keine Kartoffeln kochen, er hatte es satt, die Stube zu fegen. Er konnte auch kein Feuer im Ofen machen. Das Leben erschien ihm überhaupt nicht schön!


Vielleicht hätte er lesen lernen sollen...


*



Text 56:


Lösungen des Wörterrätsels:


Sonnenuhr, Holzschuh oder Handschuh, Bienenstock, -Krebsschere, Salzfaß, Steckenpferd, Schneckenhaus, Kaffee- oder Windmühle, Wasserhahn, Rede- oder Überfluß, Holz- oder Sägebock, Maig- oder Schneeglöckchen, Wellen- oder Hahnenkamm, Leinwand, Blindekuh (oder: Seekuh), Windrose, Federbusch (auch: Wilhelm Busch), Zaunkönig, Schneemann (oder Mann im Mond), Sternzeichen Schütze oder der ABC-Schütze, Schlüsselblume (oder Notenschlüssel), Schubkarren (oder auch: Henkerskarren), Rockfutter (oder: Studentenfutter), Weidenkätzchen, Vogelbauer, Klavierspieler, Stiefelknecht, Stammbaum, Notenfuß (oder Fuß des Berges), Zapfenstreich, Überwurf, Holzstoß, Hosenschlag.


Rätsel:


Text 56: Hebel: Der Sonntag


Text 57: Schiller: Unsere Zähne


Text 58: Goethe: Der Schalttag



Text 59:


Ad ultimum? Die letzten Zwei? Die Unbekannten?


Georg Trakl: „Verklärter Herbst“ und: Karl Krolows Anti-Gedicht „Es wird immer windiger“.

Zwei wichtige Gedichte des 20. Jahrhunderts...


*


Vom Seehund, der sprechen konnte:


Joachim Ringelnatz

Seehund zum Robbenjäger


"Ich bin ein armer Hund.

Ich habe keine Brieftasche. Im Gegenteil:

Man macht aus mir welche; sehr wohlfeil.

Und Wohlfeil ist Schund.


Taten wir jemals Menschen beißen?!

Im Gegenteil: Jedes menschliche Kind

Wird uns, wenn wir auf dem Lande sind,

Mit Steinen totschmeißen.


Wie ihr Indianer und Neger

Nicht glücklich für sich leben ließt,

Stellt ihr uns nach und schießt

Uns nieder. Für Bettvorleger!


Wo ihr Menschen Freischönes erschaut,

Öffnet ihr, staunend, euren Rachen.

Warum erstrebt ihr es nicht, euch vertraut

mit den Tieren zu machen?


Wilde Tiere sahen allem, was neu

Und friedlich war, anfangs unsicher zu.

Wer nahm den wilden Tieren die Ruh?

Wer gab ihnen zur Angst die Wut?


Der Mensch verkaufte Instinkt und Scheu.

Das Tier ist ehrlich und deshalb gut."

(Aus: Flugzeuggedanken. 1929 erschienen.)



**


Joachim Ringelnatz

Stalltüren


Zwei dicke Elefanten

Wollten inkognito

Heimwandern. Doch alle Passanten

Erkannten die Elefanten

Als Flüchtlinge aus dem Zoo.


Und wenn sich auch niemand getraute,

Sie anzufassen, ward ihnen doch klar,

Daß man ihre Absicht durchschaute

Und daß nun bald was im Gange war.


Verfolgt von einem großen Heere

Von Schauvolk und Soldaten

Und Autos, Mob und Feuerwehr

Schwenkten sie links und betraten

Zwei Eingänge einer Bedürfnisanstalt -

Für Herren und für Damen -

Und äpfelten. - Schutzleute kamen

Und haben sie niedergeknallt.

(Aus: Flugzeuggedanken. 1929)


*

Text 75:


Michael Endes Gedicht:


Die Brüder teilen sich unser gedankliches Zeitsystem, das fast allen menschlichen Sprachen zu Grunde liegt: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft


*


Werner Fink:

An den Nabel


Wir treiben auf dem Sinn des Lebens

Wie Blüten auf dem Ozean.

Wer Unglück hat, sagt sich vergebens,

Was Gott tut, das ist wohlgetan.

Mein Schifflein sah schon manches Wetter,

doch blieb es heil und sank noch nicht.

Das Schwein im Leben spart den Retter,

Und Sparen ist die erste Pflicht.

Wer weiß, wo mein Schicksal mich erwischt.

Vielleicht verlaufe ich im Sande -

Na schön, dann war es eben nischt. ist


*


Jetzt aber, Achtung, Generalprobe für Heinz, den Erhard-ten, den Vollblut-Humoristen:


Ein ....horn

(Nashorn)


Der .....


Es war ein buntes Ding,

ein sogenannter Schmetter...

der war wie alle ...

recht sorglos für sein Alter.

Er nippte hier und nippte dort,

und war er satt, so flog er ...

flog zu den H.............

und guckte nicht nach hinten.

Er dachte nämlich nicht daran,

daß was von hinten kommen kann.

So kam’s, daß dieser ........

verwundert war, als man ihn ......



D e r  S c h m e t t e r l i n g


Es war ein buntes Ding,

ein sogenannter Schmetterling,

der war wie alle Falter

recht sorglos für sein Alter.

Er nippte hier und nippte dort,

und war er satt, so flog er fort,

flog zu den Hyazinthen

und guckte nicht nach hinten.

Er dachte nämlich nicht daran,

daß was von hinten kommen kann.

So kam’s, daß dieser Schmetterling

verwundert war, als man ihn fing.

*

. Fasse in eigenen Worten zusammen, worin der alte Harfenspieler, durch den auch Goethe spricht, das Problem der menschlichen Schuld

sieht! (Du mußt also gar nicht den Goethe-Text analysieren!)

2. Vergleich mit Heinrich Kämpchens Ballade "Ideal und Prosa" (entstanden 1898):

2.1. Erkläre, in welchen Situationen der Dichter die Schwierigkeit der bergmännischen Arbeit sieht (Inhalt der einzelnen Strophen)!

2.2. Benenne zusammenfassend die Widersprüche, die Kämpchen für den Bergmann gegeben sieht!

3. Analysiere die 4. Strophe sprachlich und syntaktisch; erarbeite ausführlich (auch mit Hilfe der Vergleichsproben) die stilistischen Sprachmittel!

4. Erkläre die Intention des Dichters und beschreibe einige Forderungen, die sich damals, 1898, vermutlich aus dem Anliegen des Dichters ergaben!

5. Findest Du das Gedicht heute überholt? Sollte man sich noch mit ihm beschäftigen?

*

Friedrich Wilhelm  G ü l l :

Wer von euch ist klug und fleißig?

Wer von euch ist klug und fleißig?

Dreiunddreißig Rätsel weiß ich.

Spitzt das Ohr und spitzt die Feder,

Und nun schreib’ sich auf ein jeder

Welche Uhr hat keine Räder?

Welcher Schuh ist nicht von Leder?

Welcher Stock hat keine Zwinge?

Welche Schere keine Klinge?

Welches Faß hat keinen Reif?

Welches Pferd hat keinen Schweif?

Welches Häuschen hat kein Dach?

Welche Mühle keine Bach?

Welcher Hahn hat keinen Kamm?

Welcher Fluß hat keinen Damm?

Welcher Bock hat keine Haut?

Welches Glöcklein keinen Laut?

Welcher Kamm ist nicht von Bein?

Welche Wand ist nicht von Stein?

Welche Kuh denn hat kein Horn?

Welche Rose keine Dorn?

Welcher Busch hat keinen Zweig?

Welcher König hat kein Reich?

Welcher Mann hat kein Gehör?

Welcher Schütze kein Gewehr?

Welcher Schlüssel sperrt kein Schloß?

Welchen Karren zieht kein Roß?

Welches Futter frißt kein Gaul?

Welche Katze hat kein Maul?

Welcher Bauer pflügt kein Feld?

Welcher Spieler verliert kein Geld?

Welcher Knecht hat keinen Lohn?

Welcher Baum hat keine Kron’?

Welcher Fuß hat keine Zeh’?

Welcher Streich tut keinem weh?

Welcher Wurf und Stoß und Schlag?

Rat nur, wer da kann und mag!

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Lösungen:

Sonnenuhr - Holzschuh - Spazierstock - Seepferd - Schneckenhaus - Windmühle - Wasserhahn - Redefluß, Holzbock - Maiglöckchen - Wellenkamm - (Hahnenkamm), - Seekuh - Windrose - Wilhelm B., Zaunkönig - Mann im Mond - Sternzeichen Schütze - Schlüsselblume - Henkerskarren - Studentenfutter - Löwenmäulchen - Vogelbauer - Stiefelknecht - Stammbaum - Notenfuß - Fuß des Berges - Wurf - Stoßstange - Schlagwort

:

Neu, noch nicht....

Lehmann, Wilhelm:

D E R  R E I M

Nicht fähig mehr, die ungereimte Welt zu tragen  

Er stört euch nur, ich weiß es   muß der Reim verzagen.

Doch kann ich es nicht anders sagen,

Als daß zu Füßen mir

Die Fördewelle freudig schluchzt,

Der Kuckuck ihr,

Oboenmund, Antwort guguchzt.

(Datierung: 23.-25.06.1960. E.: Abschiedslust 1962; Abdruck nach: Sämtliche Gedichte. 1982. S. 284)

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Christine Zickmann: Karneval

Es ist Karnevalszeit
und die Maske befreit
dich von dir, von dem eigenen Zwang.
Es ist Jubel und Tanz,
und du drehst dich im Glanz
ohne Fesseln die närrische Straße entlang.

Was du niemandem sagst,
was du niemals sonst wagst,
heute drängt es verwegen ans Licht.
Was noch gestern tabu,
teilt das Glück dir heut' zu,
und du bist es, und bist es doch nicht.

Es ist Karnevalszeit
und dein närrisches Kleid
lässt beschwingt wie ein Vogel dich sein.
Deine Sinne verzückt,
aller Schwerkraft entrückt.
Doch am Morgen da holt dich dein Ich wieder ein.

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