Wappen von Papst Franiscus
Euthanasie?- Ein Theologe wütet gegen das Verfassungsgericht
Darf ich erinnern an das BVerfGericht mit seinem Urteil:
- BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar
2020
- 2 BvR 2347/15 -, Rn. (1-343), - a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. (…)
- https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/02/rs20200226_2bvr234715.html
- Guten Tag, Herr Lüke:
-
- Ihr Artikel als Wort zum Sonntag, über Euthanasie:
- Das BuVerfassGer hat den Beergiff Euthanasie sehr vorischtig geraucht, wenn er andere, z.B. den Bundestag in seinem Gesetz zur Euthanise erwähnt.
- Er bekräftigt aussdrücklich das Recht des Individuums: c) Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.
- Nach einer Woche kam ein Leserbrief in der RZ, abgedruckt v. 16.03.2020, der leise, zaghaft widerprach. Deshalb noch mein Brief:
- Sie schreiben aus einer Warte, eines Theologen, der den Willen Gottes weiß ... oder ihn verkündet und hochheilig hält: So sind alle Suizidanten, die dem Sprachgericht des Herrn anvertraut werden (um es gelinde zu sagen, euphemistisch) ... von der Euthanasie gepackt? Dem GeRicht unterworfen?
- Yeah. Ein Psychoanalytiker konnte zu Ihrem Worten Angstlust vermuten, und Ihre Es, Ich und Überich ... als sehr stark strukturiert analysieren, nicht an den Fällen der Lebenden, sondern nach Ihrem "Gemüt"; nicht den Gefequälten – sondern an Ihrem GeRicht als der absoluten Instanz.
- Etwa 10.000 Suizidanten, vulgo: Selbstmord, begehen in der BRD jährlich den Freitod. Darunter die vielen Sterbewilligen, die ihr Schicksal selber bestimmen wollen.
- Kathpäd diktiert: Euthanasie oder Aktive Sterbehilfe ist die schmerzlose Herbeiführung des Todes durch narkotische Mittel, um den hoffnungslos Kranken von den Schmerzen zu befreien oder, in weitem Sinne, um körperlich oder geistig "minderwertige" Personen schmerzlos zu beseitigen. Sie ist als unberechtigter Eingriff in ein Menschenleben niemals gestattet, auch wenn der Kranke selbst darum bittet.
„Von der Euthanasie führte ein direkter Weg in die Endlösung.“ (Kwiet, Konrad: Rassenpolitik und Völkermord. In: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Berlin: 1997. S. 146)Von Euthanasie zu sprechen, müsste sich historisch oder seelsorgerlich verbieten, wenn man nicht einen höheren Daseinsaufttag erfüllen muss, ja: muss. Eine Litanei für Betschwester und Bischof und .. (Ja, deren Bedürfnisse achte ich freilich!) - Nur Sie erstreben wissenschaftliche Aussagen – irgendwie! Wenn sich ein Individuum, medizinisch und qualifiziert ausspricht für Sterbehilfe, hat kein Seelsorger das Recht dies als Euthanasie zu diffamieren: Fast 10.000 Suizide im Jahr in Deutschland können Sie ohnehin nicht mehr erreichen; das dürfte ein Minus an unereichbarer, seelsorgerlicher Arbeit bedeuten ... (Ja, ich hach auch Suizdanten in der Telefonseelsorge im Gasthaus gesprochen; wobei man nicht weiss, ob ich helfen konnte.)Das ist ein guter, lyrischer Tipp:Reiner Kunze:SelbstmordDie letzte aller TürenDoch nie hat man
an alle schon geklopft.
(In: R. K.: Zimmerlautstärke. 1972. S. 21)Die formal logischen Konsequenzen in der Konstruktion sind nicht besser als Sabbereien von Hitler, Goebbels oder Paulus: Sie verwechseln alles, was menschlich-komunikativ-geschichtlich ist, mit dem GeRede, das den Inhalts- und Beziehungsanspekt der Kommunikation verwelchselt.:1.Kor 15, 14-26: Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist all unsere Predigt und euer ganzer Glaube sinnlos. (…) Inhaltloses GeSchwätz, das sich in Corona-Zeiten absolut absurd gebärdet. Wir sind alle Menschlein, die der Teilnahme, der Liebe, der Empathie bedürfen. Auferstehung heißt, das wir andere nicht gefährden.- So gebärdet sich Ideologie! Aller Prunk&Protz, alles Verstecken&Verdecken, alle mobilen& immobilen Reichtümer ... helfen nimmer: Das fehlt die Liebe, die sich als Liebe zeigen muss! - Übrigens ein Mann, wie unser Papsst Francisus kann es verkörpern, er es uns überzeugen (nach meinem Bedürfnis).Ich habe gerade Ihre Artikelsammlung Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom verliehen: Haben Sie dabei je für Suizid gesprochen? Ich glaube, Sie haben das Thema Suizid - oder vulgo: Selbstmord – noch nie angesprochen. Da befürchten Sie einen Dammbruch: Aber, Sie sagen sich wohl: Gott soll es richten!Ein anderer Beispiel, bitte, von einer naheliegenden Disziplin, den Geistes-wissenschaften: Thomas Mann an die Friederike Zweig (Zweigs erster Frau), nach dem Suizid von Lotte und Stefan Zweig (1942): Er sagte nach dem Suizid: Nie sei »mit tieferer Bescheidenheit, feinerer Scham und ungeheuchelterer Demut ein Weltruhm getragen worden … Sein Weltruhm war wohlverdient und es ist tragisch, daß die seelische Widerstandskraft dieses hochbegabten Menschen unter dem schweren Druck der Zeit zusammengebrochen ist ... Niemand weiß, in welchem Maß er seinen überall hinreichenden Einfluß, seine hohen Einkünfte, an denen ihm nichts lag, benutzt hat, zu fördern, zu retten, zu unterstützen. Sein literarischer Ruhm wird zur Sage werden wie der jenes anderen großen Pazifisten, des Rotterdamers*]. Aber Liebe wird dem Andenken dieses Sanften, Grundgütigen bleiben.«
Und wie kann man sich in unserer Gemeinschaft von einer Schuld befreien, wenn er sich an unseren Rechten wie Liebe oder Freiheit oder die individuellen Werte versündigt hat?
*] Anspielung auf Zweigs Werk über den Erasmus von Rotterdam.Anton Stephan Reyntjes, Recklinghausen
Sigmund Freud, als Montage
Sprachliches fach-sprachlich untersuchen: * Literatur; lustige, listige Wörter; WörterLISTEN, * Erzählungen * Wörterinformationen: Nomen,Adjektive und andere Worte und Wörter und * SprachFORMEN aller Art und Un-Arten *... WÖRTEREIEN und *... W O R T - M E L D U N G E N jeder Art und Un-Art
Sonntag, 12. April 2020
Wenn ein Theologe sich über Euthanasie
Donnerstag, 2. April 2020
Von der Militär-s e e l s o r g e
Von deutscher Militär-S e e l s o r g e
1. "'Unehelich' - ein Todesopfer: Fedor Baranowski" (Aus: Albrecht Goes: Unruhige Zeit; im Anhang!
2. Josef Perau als katholischer Militärseesorger: seine Beobachtungen am 15.3.1944; er hat ein Massenhaftes Verbrechen bemerkt, das er selbst später als "Verbrechen der deutschen Wehrmacht" benannt hat:
Textilfetzen, der kein Rotes Kreuz mehr ergab
Rudobelka, den 15. 3. 1944 [in den Pripjetsümpfen; Sowjetunion; eigentl. Prypjatsümpfe]
(in Peraus Erinnerungen aufgezeichnet als "Priester im Heere Hitlers". 1961. hier S. 159-161)
Ich hatte geglaubt, ich hätte schon alle Schrecken dieses Krieges gesehen, aber in den letzten Tagen rollte ein Trauerspiel vor uns ab, wie es selbst Dostojewski nicht zu malen wagte. Es werden hier in einem großen stacheldrahtumzäunten Lager unter freiem Himmel die Zivilisten der ganzen Umgebung zusammengepfercht. Die arbeitsfähigen Männer und Frauen kommen nach Deutschland, die andern werden in einen vorspringenden Frontbogen getrieben, der in einer Nacht zurückgenommen wird - und alle sind beim Russen, der dann für sie sorgen muß. So sagt man mir wenigstens. Als Grund wird angegeben, die Dörfer seien Ansteckungsherde des Fleckfiebers und Partisanennester. Wenn man in die Gegend des Lagers kommt, bietet sich ein Bild des Schreckens. Das ganze Feld ist übersät mit dem Hab und Gut dieser Menschen, das sie nicht weiter mitschleppen konnten. Ich wurde ganz unvorbereitet mit dem Furchtbaren konfrontiert. Ich kam ahnungslos von der H.K.L. zurück. Es fiel ein feiner Nieselregen. die Dunkelheit brach ein. Ich spürte die Veränderung zuerst an einem seltsamen erregenden Geräusch, welches ich nicht näher bestimmen konnte, bis ich in der Ferne das Lager entdeckte. Ein ununterbrochenes leises Wehklagen vieler Stimmen stieg daraus zum Himmel auf. Und dann sah ich, wie man gerade vor mir die Leiche eines alten Mannes abschleppte wie ein Stück Vieh. Man hatte einen Strick um sein Bein gebunden. Eine Greisin lag tot am Wege mit frischer Schußwunde in der Stirn. Ein Posten der Feldgendarmerie belehrte mich weiter. Er wies auf ein paar Bündel im Dreck hin: Tote Kinder, über die er ein Kissen gelegt hatte. Frauen haben ihre Kinder, die sie nicht mehr tragen konnten, am Wege liegen lassen. Auch sie wurden erschossen, wie überhaupt alles »umgelegt" wird, was wegen Krankheit, Alter und Schwäche nicht mehr weiter kann. Ein San.Offizier, dem ich erregt davon berichten wollte, wies mich überlegen ab: »Herr Pfarrer, das überlassen Sie nur uns. Im habe selber aus Mitleid ein paar hilflose Kinder erschossen. Deutschland ist schnell wieder ein Kulturvolk, wenn es diesen Krieg gewonnen hat." So reden aber nur sehr wenige aus der ordentlichen Wehrmacht. Die Soldaten, die diese Dinge nicht aus ethischen Gründen ablehnen, tun es wenigstens aus dem Gedanken: Was wird uns geschehen, wenn wir in Gefangenschaft geraten? Was wird Deutschland geschehen, wenn es den Krieg verliert? Man sagt, die Aktion werde vom S.D.1] durchgeführt. Aber die Truppe ist wenigstens am Rande beteiligt. Der Gottesdienst in Portschje mußte ja ausfallen, weil die Truppe zur »Evakuierung" von Zivilisten eingesetzt war. Das klang harmlos, und die Männer werden selber nicht gewußt haben, wem sie die Leute auslieferten.
Ich saß lange wie gelähmt bei meinem Mitbruder. San.Uffz. Staab, der diese Greuel schon mehrere Tage mitansehen mußte. Aus einiger Entfernung sah ich heute einen General das Feld des Elends entlangreiten. Was mag in den hohen Militärs vorgehen angesichts dieser Dinge. Einen Augenblick kam mir der Gedanke, ich müsse vor ihn hintreten und im Namen Gottes Rechenschaft fordern. Aber der Geist reichte nicht zum Propheten. Ich habe lediglich in allen Gesprächen offen meinen Abscheu kundgetan und einige Kameraden abgehalten, sich am umherliegenden Gut dieser armen Menschen zu bereichern. Sie wollten schon gestickte Decken an ihre Frauen schicken.
Dieser Krieg ist eine furchtbare Katastrophe des autonomen Humanismus. Es geschieht, was Dostojewski in den "Dämonen" prophetisch voraussah: "Zurück zu Christus und Rettung des Humanen oder Versinken in Barbarei und Untermenschentum." Es ist nur die Frage, so ungefähr schreibt er, "ob der moderne Mensch noch an Christus glauben kann". An uns ist es nun also, dem modernen Menschen Christus so zu verkünden in unserm Leben und in der Gestalt der Kirche, daß der suchende Mensch den erkennt, den er sucht. Unsere Antwort auf diese Herausforderung der Hölle kann nur vermehrte Hingabe sein.
Anm.:
1] S.D.: Von Perau selber im Buch identifiziert als “Sicherheitsdiens (SS-Truppen)“
Im Urlauberzug Richtung Heimat, den 13. 4. 1944:
Vom 15. bis 20. 3. war ich unterwegs beim I.R. 428. Es war sehr schlimmes Wetter, Schneesturm, aufgeweichte Wege. Wir fanden keine Fahrgelegenheit.
Am ersten Tag legten wir unter diesen Umständen 35 km zu Fuß zurück. Am Ziel hatte ich gleich Beerdigung. Am zweiten Tag vier Gottesdienste auf den Kompaniegefechtsständen eines Bataillons. Wieder mußten 25 km zu Fuß zurückgelegt werden. Der folgende Tag war frei. Sonntag zweimal hl. Messe in einer sehr kalten zugigen Scheune und abends noch eine in einem Bunker der Protzenstellung. Montag ging es 15 km zu Fuß und den Rest des Weges auf einem Pferdewagen zurück. Nachts hatten wir in den ersten Tagen, nur in den Übermantel gehüllt, auf einem Bretterfußboden geschlafen, da weder Stroh noch Decken vorhanden waren. Als ich in unserm Quartier ankam, spürte ich Fieber, welches bald auf 39 Grad stieg. Es hielt sich fast drei Wochen, zuletzt als erhöhte Temperatur.
Am Gründonnerstag trat eine gewisse Wendung zum Besseren ein. Ostersonntag konnte ich wieder zelebrieren und durfte Ostermontag den Urlauberzug besteigen. Die Division gab mir 4 Wochen zur Wiederherstellung der Gesundheit. Zu Beginn der Fahrt war ich noch sehr hinfällig. Jetzt bin ich schon kräftiger, da ich unterwegs viel liegen konnte. Wir fahren in den herrlichsten Frühling hinein. Hier in Pommern schon bekommen die Trauerweiden zarte grüne Schleier und der Flieder dicke Knospen. In den Gärten arbeiten zwischen blühenden Krokus die Menschen in milder Sonne. Wie wird es erst zu Hause sein!
* *
Die Novelle von Albrecht Goes ist wohl bekannt; auch als Druck in der RECLAM-Ausgabe (RUB # 8458) vorrätig in Buchhandlungen.
Die Erinnerungen vovn Josef Perau sind völlig vom Buchmarkt verschwunden und theologisch unbeachtet geblieben:
1. "'Unehelich' - ein Todesopfer: Fedor Baranowski" (Aus: Albrecht Goes: Unruhige Zeit; im Anhang!
2. Josef Perau als katholischer Militärseesorger: seine Beobachtungen am 15.3.1944; er hat ein Massenhaftes Verbrechen bemerkt, das er selbst später als "Verbrechen der deutschen Wehrmacht" benannt hat:
Textilfetzen, der kein Rotes Kreuz mehr ergab
Rudobelka, den 15. 3. 1944 [in den Pripjetsümpfen; Sowjetunion; eigentl. Prypjatsümpfe]
(in Peraus Erinnerungen aufgezeichnet als "Priester im Heere Hitlers". 1961. hier S. 159-161)
Ich hatte geglaubt, ich hätte schon alle Schrecken dieses Krieges gesehen, aber in den letzten Tagen rollte ein Trauerspiel vor uns ab, wie es selbst Dostojewski nicht zu malen wagte. Es werden hier in einem großen stacheldrahtumzäunten Lager unter freiem Himmel die Zivilisten der ganzen Umgebung zusammengepfercht. Die arbeitsfähigen Männer und Frauen kommen nach Deutschland, die andern werden in einen vorspringenden Frontbogen getrieben, der in einer Nacht zurückgenommen wird - und alle sind beim Russen, der dann für sie sorgen muß. So sagt man mir wenigstens. Als Grund wird angegeben, die Dörfer seien Ansteckungsherde des Fleckfiebers und Partisanennester. Wenn man in die Gegend des Lagers kommt, bietet sich ein Bild des Schreckens. Das ganze Feld ist übersät mit dem Hab und Gut dieser Menschen, das sie nicht weiter mitschleppen konnten. Ich wurde ganz unvorbereitet mit dem Furchtbaren konfrontiert. Ich kam ahnungslos von der H.K.L. zurück. Es fiel ein feiner Nieselregen. die Dunkelheit brach ein. Ich spürte die Veränderung zuerst an einem seltsamen erregenden Geräusch, welches ich nicht näher bestimmen konnte, bis ich in der Ferne das Lager entdeckte. Ein ununterbrochenes leises Wehklagen vieler Stimmen stieg daraus zum Himmel auf. Und dann sah ich, wie man gerade vor mir die Leiche eines alten Mannes abschleppte wie ein Stück Vieh. Man hatte einen Strick um sein Bein gebunden. Eine Greisin lag tot am Wege mit frischer Schußwunde in der Stirn. Ein Posten der Feldgendarmerie belehrte mich weiter. Er wies auf ein paar Bündel im Dreck hin: Tote Kinder, über die er ein Kissen gelegt hatte. Frauen haben ihre Kinder, die sie nicht mehr tragen konnten, am Wege liegen lassen. Auch sie wurden erschossen, wie überhaupt alles »umgelegt" wird, was wegen Krankheit, Alter und Schwäche nicht mehr weiter kann. Ein San.Offizier, dem ich erregt davon berichten wollte, wies mich überlegen ab: »Herr Pfarrer, das überlassen Sie nur uns. Im habe selber aus Mitleid ein paar hilflose Kinder erschossen. Deutschland ist schnell wieder ein Kulturvolk, wenn es diesen Krieg gewonnen hat." So reden aber nur sehr wenige aus der ordentlichen Wehrmacht. Die Soldaten, die diese Dinge nicht aus ethischen Gründen ablehnen, tun es wenigstens aus dem Gedanken: Was wird uns geschehen, wenn wir in Gefangenschaft geraten? Was wird Deutschland geschehen, wenn es den Krieg verliert? Man sagt, die Aktion werde vom S.D.1] durchgeführt. Aber die Truppe ist wenigstens am Rande beteiligt. Der Gottesdienst in Portschje mußte ja ausfallen, weil die Truppe zur »Evakuierung" von Zivilisten eingesetzt war. Das klang harmlos, und die Männer werden selber nicht gewußt haben, wem sie die Leute auslieferten.
Ich saß lange wie gelähmt bei meinem Mitbruder. San.Uffz. Staab, der diese Greuel schon mehrere Tage mitansehen mußte. Aus einiger Entfernung sah ich heute einen General das Feld des Elends entlangreiten. Was mag in den hohen Militärs vorgehen angesichts dieser Dinge. Einen Augenblick kam mir der Gedanke, ich müsse vor ihn hintreten und im Namen Gottes Rechenschaft fordern. Aber der Geist reichte nicht zum Propheten. Ich habe lediglich in allen Gesprächen offen meinen Abscheu kundgetan und einige Kameraden abgehalten, sich am umherliegenden Gut dieser armen Menschen zu bereichern. Sie wollten schon gestickte Decken an ihre Frauen schicken.
Dieser Krieg ist eine furchtbare Katastrophe des autonomen Humanismus. Es geschieht, was Dostojewski in den "Dämonen" prophetisch voraussah: "Zurück zu Christus und Rettung des Humanen oder Versinken in Barbarei und Untermenschentum." Es ist nur die Frage, so ungefähr schreibt er, "ob der moderne Mensch noch an Christus glauben kann". An uns ist es nun also, dem modernen Menschen Christus so zu verkünden in unserm Leben und in der Gestalt der Kirche, daß der suchende Mensch den erkennt, den er sucht. Unsere Antwort auf diese Herausforderung der Hölle kann nur vermehrte Hingabe sein.
Anm.:
1] S.D.: Von Perau selber im Buch identifiziert als “Sicherheitsdiens (SS-Truppen)“
Im Urlauberzug Richtung Heimat, den 13. 4. 1944:
Vom 15. bis 20. 3. war ich unterwegs beim I.R. 428. Es war sehr schlimmes Wetter, Schneesturm, aufgeweichte Wege. Wir fanden keine Fahrgelegenheit.
Am ersten Tag legten wir unter diesen Umständen 35 km zu Fuß zurück. Am Ziel hatte ich gleich Beerdigung. Am zweiten Tag vier Gottesdienste auf den Kompaniegefechtsständen eines Bataillons. Wieder mußten 25 km zu Fuß zurückgelegt werden. Der folgende Tag war frei. Sonntag zweimal hl. Messe in einer sehr kalten zugigen Scheune und abends noch eine in einem Bunker der Protzenstellung. Montag ging es 15 km zu Fuß und den Rest des Weges auf einem Pferdewagen zurück. Nachts hatten wir in den ersten Tagen, nur in den Übermantel gehüllt, auf einem Bretterfußboden geschlafen, da weder Stroh noch Decken vorhanden waren. Als ich in unserm Quartier ankam, spürte ich Fieber, welches bald auf 39 Grad stieg. Es hielt sich fast drei Wochen, zuletzt als erhöhte Temperatur.
Am Gründonnerstag trat eine gewisse Wendung zum Besseren ein. Ostersonntag konnte ich wieder zelebrieren und durfte Ostermontag den Urlauberzug besteigen. Die Division gab mir 4 Wochen zur Wiederherstellung der Gesundheit. Zu Beginn der Fahrt war ich noch sehr hinfällig. Jetzt bin ich schon kräftiger, da ich unterwegs viel liegen konnte. Wir fahren in den herrlichsten Frühling hinein. Hier in Pommern schon bekommen die Trauerweiden zarte grüne Schleier und der Flieder dicke Knospen. In den Gärten arbeiten zwischen blühenden Krokus die Menschen in milder Sonne. Wie wird es erst zu Hause sein!
* *
Die Novelle von Albrecht Goes ist wohl bekannt; auch als Druck in der RECLAM-Ausgabe (RUB # 8458) vorrätig in Buchhandlungen.
Die Erinnerungen vovn Josef Perau sind völlig vom Buchmarkt verschwunden und theologisch unbeachtet geblieben:
Albrecht Goes, in der Novelle Unruhie Nacht:
„Unehelich“? Analog zu Ihren
Beitrag in der RZ vom (letzten Juli)...
Ich erinnerte mich an einen anderen
Fall von „unehelich“; ja, ich weiß - einen fiktiven Fall,
der so viel Erfahrung hat, wie nur ein Armeepfarrer aufbieten kann:
Von Albrecht Goes, aus der Novelle „Unruhige Nacht“:
„Hier der Tatbestand“, so leitet
der Armeepfarrer als Ich-Erzähler das 7. Kapitel ein, der sich einem
Totenkandidaten lt. Kriegsgerichtsurteil gegenüber sieht, mit dem er
sich frühmorgens, vor Morgengrauen, zu befassen hat (in der Ukraine,
Dezember 1942; erzählt 1950):
Fedor Baranowski, geboren 19
November 1920 in Küstrin, als uneheliches Kind einer Kontoristin.
Der Vater ein verheirateter,
polnisch sprechender Schreiner deutscher Staatsangehörigkeit. Von
ihm fehlt jede Notiz, es gibt weder eine Anerkennung der Vaterschaft
noch Beurkundungen einer Unterhaltspflicht. Aber auch die Mutter, die
sich bald nach der Geburt dieses Kindes mit einem Textilhändler
namens Hoffmann verheiratet hat, hielt zu ihrem Kind nur eine ganz
lose Verbindung aufrecht. Fedor kam in eine Gärtnerei, dann zu einem
Altwarenhändler nach Danzig, dann wieder zurück nach Küstrin.Von
regelmäßigem Schulbesuch scheint keine Rede gewesen zu sein, auch
von Berufsausbildung war nichts zu erfahren. Bei Kriegsausbruch wird
Baranowski Soldat. Zu denken, daß ihm in irgendeiner Kaserne zum
erstenmal im Leben das zuteil wird, was für andere zur Kindheit
gehört: ein geordneter Mittags- und Abendtisch. ein eigenes Bett,
regelmäßige Nachtruhe. Die Kaserne als Heimat. Wie sehr das in
diesem Falle galt, mit allen Konsequenzen, macht eine Bemerkung
deutlich, die sich in einer übrigens ausgesprochen günstigen -
Beurteilung findet: - 'erhielt nie Post und keine
Weihnachtsgeschenke'. (Ein anscheinend besonders schneidiger
Regimentskommandeur, der diesen Bericht seines Kompaniechefs
vorzulegen hatte, sah sich veranlaßt, an dieser Stelle an den Rand
zu schreiben: Berichte sind keine Gedichte.)
Nicht weniger nachdenklich aber
stimmt die Notiz: 'geht nie zu Mädchen.' Sie steht im Zeugnis des
Truppenführers aus der Heimat.
'B.'- heißt es dort - 'ein stiller,
ordentlicher Soldat, der nirgends besonders hervortritt. Lebt mäßig,
keine auffallenden Interessen, geht nie zu Mädchen.' Es folgen
Berichte über den Fronteinsatz, über zweimalige Verwundung,
Verleihung des Eisernen Kreuzes zweiter Klasse, Beförderung zum
Gefreiten und zum Obergefreiten; nach der zweiten Verwundung, einem
Schuß durch die Kniescheibe, kommt die Versetzung ins rückwärtige
Heeresgebiet, der Einsatz in einer Bautruppe. Dort wird Baranowski
mit Rücksicht auf seine Gesundheit in der Küche beschäftigt, und
hier werden zum erstenmal die polnischen und russischen
Sprachkenntnisse erwähnt. Woher diese Sprachkenntnisse stammen ist
nicht ganz aufgehellt, vermutlich aus Baranowskis Danziger
Kinderjahren. Jedenfalls sind sie der Grund dafür, daß Baranowski
vom Zahlmeister seiner neuen Einheit dann und wann zu Einkäufen in
die Umgebung geschickt wird. Die Truppe selbst, die einen, wie es
scheint, besonders geheimen Bauauftrag durchzuführen hatte, war um
.der Geheimhaltung willen sehr streng von der Zivilbevölkerung
geschieden. Nirgends waren, wie sonst üblich, Ukrainer und
Ukrainerinnen mit eingesetzt, es gab besondere Sperrkreise und
Ausgehverbote. Baranowski aber, der Sprachkundige, geht in die Dörfer
als Eier- und Gemüseeinkäufer.
Nun Ljuba. Wenig genug war in
Erfahrung zu bringen über die Ukrainerin, die so tief mit ins Netz
verstrickt ist. Man wird sich den Vorgang etwa folgendermaßen zu
denken haben: Baranowski lernt in einem von diesen Dörfern die Ljuba
kennen, eine wahrscheinlich ganz junge, ukrainische Witwe, deren Mann
in den Julikämpfen gefallen war, Mutter eines Kindes, das zu dieser
Zeit etwa zwei Jahre alt gewesen sein muß. Es gibt Grunde für die
Vermutung, daß es zunächst mehr dieses Kind gewesen ist, das in
Baranowskis Soldatendasein eine besondere Bedeutung gewann. Der Gruß
eines Kindes, die Quelle in der Wüste: man versteht, daß er
festhalten wollte, was ihm da das Leben bereitete. Nun hing es mit
den Bauarbeiten der Truppe zusammen, daß der Standort mehr als
einmal wechselte. Von diesen Verlegungen pflegte Baranowski die Ljuba
zu unterrichten, vielleicht hatten auch Zusammenkünfte am dritten
Ort stattgefunden, genug: es gab Briefe, und die Briefe wurden ihm
zum Verhängnis. Bei einer Razzia der SS fielen eine Anzahl dieser
kleinen Briefe dem Suchkommando in die Hand, und unseligerweise war
ein Teil dieser Briefe auf die leere Rückseite von
Verpflegungsformularen geschrieben. Jede Truppeneinheit führte
solche Blocks mit sich, gut möglich, daß sie Baranowski weitgehend
überantwortet waren, genug: das Kriegsgericht hatte leichtes Spiel,
der Schreiber war bald festgestellt, und Ausflüchte gab es nicht.
Die Mitteilungen waren an sich völlig harmlos, immerhin hatten sie
die Standorte einer Wehrmachteinheit Zur Kenntnis der Ukrainer
gebracht; das Partisanenwesen war auch in diesem Abschnitt eine
ständige Bedrohung - kurz: die Anklage lautete auf 'Verrat
militärischer Geheimnisse' der Strafantrag auf fünf Jahre
Zuchthaus, die Strafe selbst fiel etwas milder aus; die Bemühungen
einiger Dienststellen, dem Obergefreiten Baranowski zu helfen, waren
offenkundig, im Grunde freilich war ihm, so wie die Gesetze
formuliert waren, auf keine Weise zu helfen.
In Rowno hatte die Hauptverhandlung
stattgefunden, in Dubno befand sich zu jener Zeit das größte
Wehrmachtgefängnis. Dorthin sollte der Verurteilte gebracht werden,
um von dort aus wahrscheinlich in eine Strafkompanie oder em
sogenanntes Bewährungsbataillon zu kommen. Die Strafe selbst durfte
nach Hitlers Anordnungen erst 'nach Kriegsende' verbüßt werden;
aber wer in einer Strafkompanie das Kriegsende erleben wollte, der
mußte schon einen sonderlichen Engel zur Seite haben ... Auf der
Fahrt nach Dubno gelang es dem Häftling, aus dem fahrenden Zug zu
springen. Er blieb, ein wahres Wunder, fast unverletzt und war dann,
dank seiner Sprachkenntnisse und bald genug wohl auch mit Hilfe
einiger Verkleidung im ukrainischen Zivilleben untergetaucht. Man
fahndete nach ihm, aber er blieb verschwunden.
Drei Wochen später ereignete sich
Folgendes: ein Waldstück, in dem Partisanengruppen sich aufhalten
sollten, wurde durchgekämmt und mit zahlreichen anderen Männern,
Frauen und Kindern, die da im Wald gelebt hatten, wurde auch
Baranowski gestellt. Man trieb sie zusammen, und der Zufall wollte
es, daß gerade in dem Dorf, in dem man sie zum Verhör sammelte,
Baranowskis ehemalige Truppe im Augenblick stationiert war. Die
Partisanen standen mit erhobenen Händen auf einem Platz, man suchte
eben nach einem Dolmetscher, um mit dem Verhör zu beginnen, da ging
ein Feldwebel von Baranowskis Einheit eilig vorüber, warf einen
flüchtigen Blick auf die Zivilisten, stutzte, trat näher, erkannte
seinen ehemaligen Küchenchef und rief in lauter Überraschung:
»Mensch, Baranowski, was tun Sie denn hier?«
Dies war das Ende. Was mit den
Zusammengetriebenen (unter denen sich übrigens Ljuba und ihr Kind
nicht befanden) an diesem Tage geschah, ist nicht bekannt geworden;
Baranowski selbst aber wurde auf der Stelle verhaftet und in Fesseln
nach Proskurow gebracht. Hier fand dann 5. September die zweite
Verhandlung statt. Sie schien sehr kurz gewesen zu sein. Die Frage,
ob zu allem anderen hin auch noch auf Feindbegünstigung Anklage
erhoben werden solle, wurde kaum geprüft, der Tatbestand der
Fahnenflucht war so eindeutig, daß nicht einmal der
Offizialverteidiger den Versuch unternehmen mochte, auf 'unerlaubte
Entfernung von der Truppe' zu plädieren.
Ich schloß die Akten und dachte
nach. So also schreibt sich die äußere Geschichte eines solchen
Lebens. Wie aber sieht die innere Geschichte aus?
*
Soweit der Ich-Erzähler im Verlauf der
Akten des Kriegsgericht:
* *
Ich habe seinerzeit den Text zu einem
Bericht genutzt zum schriftlichen Thema (bevor ich die ganze
Novelle gelesen hatte):
Setzen Sie sich mit diesem Thema
auseinander: Wie aber sieht die innere Geschichte des Todenkanditaten
Fedor Baranowski - aus?
Aus Petter Moens T a g e b u c h
Petter
Moen (14.02.1901 - 8.09.1944): Sein differenziertes Credo
Aus
Moens Gefängnistagebuch, 1944, in der Gestapohaft in Oslo
geschrieben
Von
der Menschenfeindlichkeit des Faschismus
Ein
fortwährend lebendiges Tagebuch: Die Gefängnisaufzeichnungen des
Norwegers Petter Moen
Die
Umstände, die dieses
Gefängnistagebuch gebaren, sind - auch ungefähr 60 Jahr nach seiner
Entstehung - schockierend und beispielhaft für die
Schulbuchverwendung:
Im
Jahre 1944 wurde ein norwegischer Widerstandskämpfer, der
Versicherung-smathematiker Petter Moen, der die widerständige, von
den siegreichen Nazis „illegal“ genannte Presse zu organisieren
suchte, verhaftet, verhört, gequält und gefangengesetzt.
Er
unterlag - unter großen Gewissenskonflikten - der Folter der
Gestapo, verriet Kameraden. Darüber legte er Rechenschaft ab, indem
sich in seiner Einzelzelle eine Gelegenheit verschaffte, auf
Toilettenpapierseiten ein fortlaufendes Tagebuch zu verfertigen, das
er in einem Belüftungsschacht unter dem Fußboden verstecken konnte,
ohne dass er selber je eine dieser in Papierrollen geschützten
Seiten wieder einsehen konnte.
Von
diesem geheimen Versteck berichtete er - auf einem
Gefangenentransport auf der Überfahrt nach Deutschland - einem
Mithäftling. Das Schiff ging unter, bis auf fünf Norweger, darunter
der Mitwisser, ertranken alle; die Nachricht von diesem
Gefängnistagebuch wurde nach der Befreiung Norwegens gesichert, das
Tagebuch gerettet, die Umstände geklärt.
Neben
dem Tagebuch der Anne Frank und vielen wichtigen Holocaust-Berichten,
ist dieses „Über-Lebenswerk“ des Petter Moen eine
Menschheitsquelle - von biblischem Range, ein Bericht von
prophetischen Dimensionen, ein hochqualifiziertes „Buch Hiob“ in
unseren Zeiten; ein Werk, in dem ein Mensch mit seinen Mitgefangenen,
mit den deutschen Besatzern (Folterern und Gestapobeamten) - und mit
Gott spricht, rechtet, ihn - in der sprachlich-mentalen Gewissheit
der erlebbaren Hoffnung - anruft, seiner Mit- oder Gegen-Menschen
Taten und Untaten anklagt - und einen - leider nur für Minuten und
Stunden erreichbaren – Frieden erreicht, eine äußerst - von den
deutschen NS-Gewalttätern immer wieder bedrängte - innere Freiheit
des Geistes und Willens erlebt. Und Reflexionen auf politischem,
psychologischem und theologischen Niveau des gesamten 20.
Jahrhunderts niederschreibt.
In
unseren Tagen, wo Neonazis ähnliche Untaten wie von 1933 bis 45
begehen - und in großem Maßstab wieder Mißhandlungen,
Verfolgungen, Völkermord begehen würden, sind des Märtyrers und
Philosophen Moens Einsichten - Fragen, Hoffnungen, Gewissheiten -
über Menschenmögliches und politisch Aktuelles und
Immerwiederkehrendes.
Mit
einem Vorwort, in dem er die Umstände und die - für die
Nachkriegszeit schockierenden, theologisch-freizügigen Reflexionen
darstellt, hat der baltendeutsche Dichter Edzard Schaper den Text -
nach dem norwegischen Original - für deutschsprachige Länder
übersetzt und herausgegeben.
Zu
Moens Biografie: Infolge der pietistisch-frömmelnd-ungerechten
Erziehung der Eltern hat sich Petter Moen als Erwachsener nicht mehr
mit Gott, schon gar nicht mehr mit Kirche (oder Kirchen)
auseinandergesetzt. So bleibt in den gesamten Aufzeichnungen die
konfessionelle Frage ausgeklammert.
Auszüge:
Textauszug
vom 10.08.1944:
Donnerstag
nachmittag
Ich
muß in der Erinnerung besonders häufig zur Einzelzelle und der Zeit
der Victoria Terrasse zurückkehren. Mit unbeschreiblicher Wehmut
gedenke ich der Angst und der Tränen und der beinahe wilden
Entschlossenheit, zu einer geistlichen Wiedergeburt zu gelangen. Von
dieser Wiedergeburt - oder Bekehrung, wenn man so will - träumte
ich, und nach ihr sehnte ich mich als nach einer großen Erneuerung
meiner seelischen und leiblichen Kräfte zu Wachstum und Wohlergehen.
»Jetzt oder nie! « sagte ich und schrieb ich und betete ich. »Der
große Gewinn« glitt mir aus den Händen. Was dieser Spannung
folgte, wirkt unheimlich banal und niederschmetternd. Ich sage zu mir
selber: Du hast Fiasko gemacht. Was ich damit meine, ist wohl nichts
anderes, als dass ich enttäuscht bin. Diese Enttäuschung betrifft
am stärksten mich selbst und meine Eigenschaften und Fähigkeiten.
Aus Schlacken wird kein Gold geschmolzen. Alles endet in diesem
alten, verbrauchten, menschlichen »man muß sich durchschlagen, so
gut man kann«. Pfui Teufel! Man gebe mir ein echtes Strindbergsches
Inferno!
Ich
habe hier im Gefängnis häufig in Rede und »Schrift« darauf
hingewiesen, der ganze psychologische und historische Hintergrund
zeige, dass Religion Menschenwerk und nichts anderes ist. Ihre
»Wahrheiten« entbehren aller Kennzeichen der Objektivität:
Kausalität, Meßbarkeit und Wiederholungsfreiheit.
Genau
so verhält es sich mit der »Wahrheit« in dem eigentlichen
religiösen Grundphänomen: Gottes Wirken im Menschen. Das vollzieht
sich nicht nach einem Gesetz, dessen Wirkungen können nicht
gemessen, und es kann nicht zum Gegenstand verifizierender
Experimente gemacht werden.
Die
Behauptung der Religion: es existiere ein »Gott« außerhalb des
Menschen, und dieser Gott sei mächtig, ja allmächtig, in
seinem Wirken im Menschen und in der Natur - diese Behauptung kann
also mit keiner der uns bekannten Beweismethoden bewiesen werden. Der
Intellekt hat hier eine ungeheuer starke Ausgangsposition. Er
legt seine Grundregel vor: der Beweis obliegt dem, der die Behauptung
aufstellt. Bis jetzt ist der Beweis ausgeblieben.
Den
Gegenbeweis erbringt unsere ganze Natur- und Menschenkenntnis. Klarer
als irgendeine Zeit vor uns sehen wir, dass der alte Jehovah nicht
der Meister des großen Werkes ist, und ebensowenig irgendeiner
seiner Nachfolger.
Die
Geschichte Gottes zeigt uns vielmehr, dass er in vielen Formen vom
Menschen erschaffen worden ist. Er hat viele Namen, aber nur eine
Aufgabe: Träger des menschlichen Schuldbewußtseins, der Angst und
der Wünsche zu sein.
Er
gehört der magischen Welt an. Noch einmal: Gott ist ein Produkt der
Wunschträume des Menschen. Das ist die ultima ratio in den
Diskussionen um Gottes Existenz und Wesen.
Warum
beschäftige ich mich hier so weitläufig mit dieser abgenutzten
Frage? Ich habe sehr gute Gründe dafür. Ich muß mit der
Möglichkeit rechnen, dass mein Leben auf dem Spiel steht. Auf jeden
Fall gehen mir viele bange Ahnungen durch den Sinn, wenn ich an die
Unbarmherzigkeit des Gegners und die Raserei denke, welche die letzte
Phase des Krieges prägt. Da muß auch ich »mein Haus bestellen«.
Aber wenn auch das Exekutionskommando auf mich wartet - ich kann mir
kein „Credo“ abzwingen. Ich versuchte das in der äußersten Not
in der Einzelzelle.
Es war vergebens!
190.
Tag Freitag, den 11. August
Nichts
Böses wird mir widerfahren!
Dieses
Wort hat Macht!!
Wenn
über Religion diskutiert wird, kehrt beständig dieses »Argument«
wieder: Es ist klar, dass derjenige, der an Gott glaubt, es gut hat.
- Von den Einfältigen wird dieser Es-gut-haben-Zustand als Beweis
für die Wahrheit der Religion genommen. Der »klügere Kopf« stellt
die Sache häufig so dar. Wir können die Behauptungen von der
Existenz Gottes weder beweisen, noch den Gegenbeweis führen. Für
den Gläubigen existiert er. Wir können die Behauptung des
Gläubigen, dass Gott ihn tröstet und ihm hilft, nicht
bezweifeln.
(Aus: P.M.:
Tagebuch. Übersetzt und herausgegeben von Edzard Schaper. (Deutsch
zuerst 1950); Fi-TB Nr. 306; 1959., S. 104f.)
Was der
einsame Held erreichte, war individuell eine psychische Leistung,
eine Errungenschaft in barbarischen Zeiten.
Für die
Leser der 50er Jahre war als Information und für Bildungszwecke
eine Sensation, die sich aber in den allgemeinen politischen Bereich
nicht fortsetzte.1959 publizierte der Fischer-Taschenbuchverlag eine
Ausgabe (Fi-Tabu 306). Das Wissen dun die damaligen Bücher sind
verschwunden.
In der
Wikipedia-Auflistung zu Edzard Schapers Leben und Werk findet sich
die Angabe zu der „Peter Moen“, ohne weitere Würdigung:
Peter
Moen selber hatte, als Abschluss seines Gefängnisleben in der Manier
eines auktorialen Erzählers notiert:
„Petter
Moen fuhr heute nach Deutschland. Um 3 Uhr kamen sie und holten ihn,
es war traurig, jetzt dorthin geschickt zu werden. Heute ist der 6.9.
O.B.R.“
Moen
verstarb bei dem Untergang des Dampfers „Westfalen“, der in der
Nacht vom 7. zum 8. September im Skagerrak auf eine Mine lief; ein
Schiff, das 423 Norweger als Zwangsarbeiter in die Rüstungsindustrie
des Deutsche Reiches in Hitlerscher Montur verbringen sollte.
1959
hieß es in der Taschenbuch-Werbung: „Die erschütternden
Aufzeichnungen sind nicht nur ein Dokument der Vergangenheit, sondern
auch ein Zeugnis der immerwährenden Frage des Menschen nach Gott.“
Von der politischen Dimension des Schicksals eines Individuum namens
Petter Moen kein Wort!
Angekommen
in Deutschland ist er nicht.
[Angabe
für eine Publikation: Sechs Bilder - in der Taschenbuch-Ausgabe
zwischen 96 und 97 – geben einen Eindruck der Zelle des
Gefängnisses MØllergate in
Oslo, des Autors Petter Moen, der räumlichen Situationen, der
Papierrollen und einer Tagbuchseite.
Lesenswert:
Gisela Schneemann hat das Tagebuch in einer neuen Übersetzung als pdf-Datei eingestellt:
Gisela Schneemann hat das Tagebuch in einer neuen Übersetzung als pdf-Datei eingestellt:
Dort
findet sich der erste Eintrag vom 10. Februar 1944:
DER
7. TAG MEINES GEFÄNGNISAUF ENTHALTS IN DER MØLLERGATE 19
(Donnerstag,
10. Februar)
Bin
zweimal verhört worden. Wurde ausgepeitscht. Verriet Vic*. Bin
schwach. Verdiene Verachtung. Habe furchtbare Angst vor Schmerzen.
Aber keine Angst vor dem Sterben.
Ich
denke heute abend an Bella. Weinen, weil ich Bella so viel Böses
getan habe. Wenn ich am Leben bleibe, müssen Bella und ich ein Kind
haben.
(Der
Name „Vic“ war nicht mehr zu rekonstuieren.)
Aus:
Petter Moens Tagebuch. Hrsg. v. Edzad Schaper. Frankfurt/M. 1959.
Hier das
Fischer-Tagebuch im Bild:
Ergänzung.
Ich habe
für eine religionskundliche Fachzeitschrift einen Artikel über
Petter Moen publiziert:
Reyntjes, Anton
Stephan: Petter Moens Aufzeichnungen aus der Haft.
- In: Religion
heute, (2001) 48, S. 266-269 - Illustrationen - ISSN: 0722-9151 -
deutsch
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