Mittwoch, 1. November 2023

Sigmund Freuds Bedeutung - bei Alfred. Anderschs "Sansibar oder der letzte Grund" - für Helanders Träume -

 

 

Cover-Zeichung zu: 365 x Freud. Ein Lesebuch für jeden Tag. Hrsg.: T. Nolte und K. Rugenstein. Stuttgart 2022.

## Alfred Andersch: Sansibar oder der letze Grund. Roman -

 

Stichwort: Sigmund  F r e u d:

Des Pfarrers Helander psychische und theologische  N ö t e:

(Tabu. Diogenes. Zürich 1970.  # 20055. S. 149f.):

Diese wiederkehrenden Träume, dachte Helander, sind immer meine stärksten Gottesbeweise gewesen, denn immer, wenn ich aus ihnen aufwachte, war mein erster Gedanke, noch im Halbschlaf: ich habe in einer Welt gelebt, die erlöst werden muß. Einmal hatte er monatelang die Schriften Freuds studiert, um eine Erklärung für seine Träume zu finden, und er hatte festgestellt, daß dieser Mann, den er von da an bewunderte und liebte, in der Tat die Geheimnisse im Vorhof der Seele gelöst hatte: Helanders Träume waren Symbole unterdrückter Triebe, Bilder von Liebe und Tod. Aber Freud lieferte ihm keine Erklärung für die Stimmung seiner Träume; denn ihre Handlung war nicht so wichtig wie ihre Stimmung, die ihn in eine Welt aus Ödnis, Schmutz, Dämmerung, Kälte und Hoffnungslosigkeit einschloß und zuletzt in eine furchtbare Leere, so daß er sogar noch im Traum selbst den Gedanken vollzog: wenn es eine Hölle gibt, so muß dies die Hölle sein. Die Hölle, das war nicht ein Raum aus Hitze und Feuer, ein Raum, in dem man brannte, - die Hölle war der Raum, in dem man fror, sie war die absolute Leere. Die Hölle war der Raum, in dem Gott nicht war.

Helander dachte: ich möchte nicht in die Hölle kommen, während er im Dunkel auf dem Sofa seines Studierzimmers lag. Sein Beinstumpf schmerzte jetzt fast gar nicht, er spürte, seitdem er sich von der Prothese befreit und auf das Sofa gelegt hatte, nur einen kleinen dumpfen Druck, der leicht zu ertragen war. Er hatte sich langsam, fast zentimeterweise aus der Kirche zum Pfarrhaus hinübergeschleppt, im Flur war die Haushälterin angstvoll aus ihrem Zimmer gekommen und hatte ihn gefragt, ob sie ihm helfen solle, aber er hatte sie abgewiesen und war allein nach oben gegangen, er hatte sie noch eine Weile unten rumoren gehört, ehe es still wurde, es war spät gewesen, gegen ein Uhr, und er hatte beschlossen, das Morgengrauen in den Kleidern zu erwarten. Nur die Prothese hatte er abglegt, und er hatte gedacht: ich werde sie nie mehr anlegen.

Die Tabletten (...)

*

Die Bemerkung zu "Freud" empfiehlt im weiteren Verlauf der Szene sich zur Kennzeichung oder Interpretation für Helander, den tapferen Pfarrer, oder für den Autor A.A.: Für und bei A. Andersch hat Freud eine traumatologische Bedeutung, in klarer verbaler Diktion: aber keine persönliche Genugtuung, keinen Trost - den hätte er sich selbst - von seinem Selbstbild - her geben müsssen; aber so vereinsamt ein Pfarrer ist, der sich trotz allem zur Rettung für seine Barlach-Figur entschließt < die nach Dänemark verschifft wird > - so sehr weiss er, dass er sich selbst nicht retten kann ... - eine bedeutendes Figur, er Helander, in bitterer Zeit.; aufgeschrieben, mitgeteit von einem starken Erzähler, von Alfred Anderscher, in seinem bedeutesten Roman.

Aber Freud lieferte ihm (...) - ein persönliches Reflexionsbeispiel in seiner beispielhaften Existenz.


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