> Der Birnbaum vor der evangelischen Kirche <
Nicht
nur für Herbstfreuden, -reisen - zur immerwährenden Lektüre ...
Theodor Fontanes Jahrhundert-Coup vom "Herrn von Ribbeck":
Literatur ist (auch) deshalb so interessiert und erkenntnisfördernd, wenn und weil man hinter ihr noch andere Quellen, andere Zeiten, andere Autoren findet, d. h. Literatur und ihre Garanten und ihre Wirkungszeugnisse einsehen kann ...
So auch beim "Ribbecker" alten Herrn, samt seinem verewigten Birnbaum": Fontanes literarischer Quelle enststammt einer alten sandmärkischen Sage: In Ribbeck, da lebte einst ein Herr, der ein sehr kinderliebender Mann war. Stets (so steht es jedenfalls im kleinen, vom eifrigen und evangelischen Pfarramt in Ribbeck gedruckten Quellenheftchen) hatte er die Taschen von Birnen und Äpfeln voll, um den Kleinen damit eine Freude zu machen. Sogar nach seinem Tode sorgte er noch für die Dorfjugend: Als er starb, vergaß man, seine Taschen zu leeren, in denen sich Birnen befanden. (Mutwillige Pietät? Pietätlose Kulturleistung? Was du ererbt von deinen Vätern ... ). Nach einigen Jahren wuchs aus dem Grab neben der Kirche ein Birnbaum hervor. Wenn ein großer Baum daraus geworden ist, wird er wieder den Knaben und Mädchen von Ribbeck Birnen spenden.
Machen wir uns also auf ins Brandenburger Land, zu den berühmten Schlössern, in die Fontanesche Mark: Pessin, Begow, Lünow - nur in Briest findet sich kein Luxusbau, kein Parade- oder Lustschloss. Aber das Haus des Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland ist touristisch gut ausgeschildert und an und um sich ansehnlich. Senioren wohnen jetzt im Schloss; dahinter die Kirche. Dort ist der Ort, wo bis zu einem übermäßigen Frühjahrssturm im Jahre 1911 der weltberühmte, strophenmäßig fruchtbare Birnbaum stand: „So spendet Segen noch immer die Hand des von Ribbeck in Ribbeck..."
Heute steht dort vor der Kirchenwand schon die zweite Nachpflanzung des weltliterarischen Birnbaumes. Der jetzige sieht eher wie ein hochgeschossenes, Brechtsches Pflaumenbäumchen aus; getragen hat es noch nicht. Zum Spaß soll der kulturbeflissene Pfarrer im vorigen Herbst Plastikbirnen eingehängt haben, um lehrgedichtmäßig Erntedank zu feiern.
Auch ein Ribbecksches Original-Werkchen, von Freifrau Olga von Ribbeck in den zwanziger Jahren gereimdrechselt, findet man vor Ort:
Jahrzehnte kommen,
Jahrzehnte gehen,
alljährlich ist leise das Wunder geschehen,
daß Frühling und Herbst
in schaffender Macht
die Blütenfälle und Birnen gebracht:
der Kinder Jubel, der Alten Freud'
überdauert Lenzes- und Herbsteszeit.
Doch einmal, in finst'rer Wintersnacht
durch wilde Stürme umtost und umkracht,
da stürzte der traute Birnbaumgreis,
von Kindern und Großen betrauert so heiß:
sein stilles Segnen mit aller Kraft
hat ihm viel warme Freunde geschafft.
Doch lange nicht währet Trauer und Nacht,
da mit dem Tage die Hoffnung erwacht:
denn wieder sproßte aus Grabes Tor
ein Birnbaumsprößling zur Sonne empor.
Es wachse das Reislein an Gottes Hand
mit den Kindern des Ribbeck
im Havelland.
Und noch weitere Birnbaum-Blüten:
Verfasst von dem Pfarrherrn Karl Bölcke, der 1901 bis 1914 in Ribbeck lebte, predigte und ambitioniert humorvoll dichtete, sind die nachgerichteten Fontane-Zeilen zu lesen:
„Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
ein Birnbaum in seinem Garten stand!
So ging es viele Jahre, bis lobesam
auch des alten Birnbaums Ende kam.
Geschlecht auf Geschlecht in Ribbeck verging,
der Birnbaum wurde alt, die Birnen gering,
ja voller bitterer Bitternis,
daß kein Kind mehr gern in die Kodden* biß,
daß auch im Strumpf das größte Loch
vor ihrer Säuernis zusammen sich zog.
Doch je mehr der Jahr' gingen ins Land,
desto mehr der Birnbaum wurde bekannt.
In der Schule die Kleinen, sie buchstabieren's,
zu Hause die Großen, sie deklamieren's,
und immer noch, wer zum Birnbaum ging,
bald laut, bald leise, also anfing:
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
in seinem Garten ein Birnbaum stand!
Kein Wunder wenn dem, der also sang,
der Birnbaum spendete seinen Dank.
Auf Fontanes Denkmal in Neuruppin,
da legt mit liebevoll dankbarem Sinn
einen blühenden Zweig eine junge Hand,
den der Birnbaum selber zur Weihe gesandt.
Und es flüstert dabei durch den
Zweig wie im Traum!
Schönen Dank, schönen Dank, sagt der Ribbecker Baum.
Doch da mahnt aus einem stillen Haus
der Alte von Ribbeck: Deine Zeit ist aus!"
*) Kodden, so heißen die wilden, säuerlichen Birnen, deren Loblied Fontane sang; also keineswegs ein süßer Genuss, die verewigten Früchte, nach der Sängers 'Höflichkeit'.
Und vom Dichter selber das unvergängliche Kunstwerk, in dem er Anschaulichkeit, Daseinsfreude und sprachlichen Zauber einzigartig zu verbinden wußte:
Theodor Fontane:
Herr
von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
Herr
von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem
Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen
leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme
scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in
Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste 'ne
Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man
röwer, ick hebb 'ne Birn.«
So
ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu
sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
Wieder
lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: »Ich
scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab.«
Und drei
Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie
hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen »Jesus
meine Zuversicht«,
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
»He
is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«
So
klagten die Kinder. Das war nicht recht -
Ach, sie kannten den
alten Ribbeck schlecht;
Der neue
freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge
verwahrt.
Aber der alte,
vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der
wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn' ins Grab er
bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein
Birnbaumsprößling sproßt heraus.
Und
die Jahre gingen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum
über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet's
wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So
flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so
flüstert's: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew Di'ne Birn.«
So
spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im
Havelland.
(Text nach der Gedichte-Ausgabe bei Reclam; hrsg. von Karl Richter. RUB 6956. S. 85f.; wertvolle Angaben zur Entstehung, dem Erstdruck; auch Fontanes eigene Zeugnisse über das "gute Gedicht"; so der Poet 1889 in einem Brief an Freund Julius Rodenberg. )
*
Und noch eine Adaption, deren volkstümliche und naive Daseinsfreude zum Vergleich mit dem sprachlichen Vorbild verlockt; ein leichtes Werkchen einer Verwandten derer von Ribbeck; für die Fontane-Forschung gilt es als ausgemacht, dass Theodor F. diese Familiensaga nicht kannte:
Hertha von Wiedebach
Zu Ribbeck an der Kirche
ein alter Birnbaum steht,
der mit den üppigen Zweigen
der Kirche Dach umweht.
Von hohem Alter zeuget
der Stamm, so mächtig stark,
wächst schier aus dem Gemäuer,
wie aus der Kirche Mark.
Von diesem alten Birnbaum
geht eine Sage hier,
die war als Kind zu hören
stets eine Wonne mir.
Ein alter Ribbeck, heißt es,
war Kindern hold gesinnt.
Wohl hundertmal beschenkte
im Dorf er jedes Kind.
In allen Kleidertaschen
er Birnen, Äpfel hat,
gab stets mit beiden Händen,
gab gern, genug und satt.
Und als er kam zum sterben,
man in den Sarg ihn legt,
denkt nicht an seine Taschen,
darin er Birnen trägt.
Und in dem nächsten Frühjahr
wächst aus der Wand am Tor,
sproßt aus dem Erbbegräbnis
ein Bäumlein grün hervor.
Der Alte, der im Leben
die Kinder so geliebt,
nun noch aus seinem Sarge
den Kindern Freude gibt.
Im Herbst viel kleine Birnen
der Baum streut auf den Sand,
und heut' noch greift mit Jubel
danach der Kinder Hand. -
Die Abendschatten sanken
hernieder allgemach,
da ward in meiner Seele
die alte Sage wach.
*
Mitgeteilt von Peter Wruck in seiner Interpretation zu "Herr von Ribbeck...": P.W.: Eine Legende, die sich der Wirklichkeit bemächtigt. In: Gedichte von Theodor Fontane. Interpretationen Hrsg. v. Helmut Scheuer. Stuttgart 2001. RUB 17515. S. 194-217.
*
Ein gründlicher Gedanke sei noch dem Fontane Super-Text entnommen; wie eine Tiefenstruktur äußert sich der Text in religiösen Konnotationen, die man nicht mehr nur christlich nennen kann; kreatürliche Allusionen, die anfangen mit dem "Mittagsgeläut", über "Tod" und "Begräbnis", den Ritualgesang der Büdner "Jesus, meine Zuversicht" bis zur irdischen Verewigung durch die natürliche, in Dienst genommene Fruchtenfolge, einer diesseitigen Auferstehung, einer Eingehen ins das kulturelle Gedächtnis, nicht nur in die ästhetische Dimension aller Menschenliebe und -fürsorge...
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