Mittwoch, 12. Juni 2024

Literarische O s t e r -Spaziergänge < Goethe und Nachgänger >

 

Oster-Schmuck im Garten (2019)



Literarisches Stichwort 

G # t t  &  Ä h n l i c h c s - Folge XXXIII

Am Ostertage zu spazieren und zu reflektieren, ist ehrenvoll und ist Gewinn…


Osterspaziergänge –

durch Raum und Zeit, Aue und Wald, Stadt und Land, Buchregal und Internet...:


Vom Eise befreit... Goethes allbekannte Verse aus der Szene „Vor dem Tor“ im Faust-Drama sind im „Urfaust“ und im „Fragment“ von 1790 noch nicht enthalten. Sie ist wohl im Februar 1801 entstanden; sie zeigt Faust nicht mehr als einsamen Gelehrten in der Osternachtsszene im Studierzimmer, sondern als geehrten Bürger der Reichsstadt und kennzeichnet in einer Revue typisierter Figuren die gesellschaftliche Umwelt Heinrich Fausts, gleichzeitig das banale Volksgerede und die philiströse Enge Wagners. Faust wieder belebte Lebensenergie – nach der entscheidenden Osternacht – entspringt dem frühlingshaften Naturgeschehen und der religiösen Auferstehungsüberzeugung; doch führt ihn die Gedankenfülle des reflektierenden Monologs wieder in ein geistiges Außenseitertum zurück, in seine „faustische“ Versuchung. Das für den Handlungsfortgang der Szene wichtige Motiv ist das Auftauchen des Pudels, der sich als Verführer Mephisto entpuppen wird; hier wird nicht nur die Standardfassung des Lesebuch-„Osterspaziergangs“ geboten, sondern auch Wagners Antwort; auf den dialogischen und pragmatischen Kontext der gesamten Dramenszene verweise ich zusätzlich.i]

Als ein besonders beliebtes Thema ist Fausts „Osterspaziergang“ wiederholt variiert worden; die Vergleichstexte werden hier geboten, um ein klassisches Motiv hinsichtlich Religion und Naturgefühl zu diskutieren: Frühling und Auferstehung; Glaube und Naturwissenschaft; Ichbewusstsein und Verantwortungsgefühle.

Ostern ist das älteste christliche Kirchenfest, ursprünglicher als Weihnachten und Pfingsten; direkt in der Übernahme des jüdischen Passahfestes (Pessach) verständlich. In der jüdischen Bedeutung des Opfer- und Erntefestes der Israeliten liegen die Wurzeln der christlichen Gestaltung und Symbolik.ii]


> Vom un--ver-meidlich deutschen Gang des Lebens. Überrest der Goethe-Eiche genanntes Wwrzelwerk; im KZ Buchenwald <


Johann Wolfgang von Goethe: 
Vom Eise befreit...

FAUST: Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;

Im Tale grünet Hoffnungsglück;

Der alte Winter in seiner Schwäche

Zog sich in rauhe Berge zurück.

Von dorther sendet er fliehend nur

Ohnmächtige Schauer körnigen Eises

In Streifen über die grünende Flur;

Aber die Sonne duldet kein Weißes,

Überall regt sich Bildung und Streben,

Alles will sie mit Farben beleben;

Doch an Blumen fehlt's im Revier,

Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen

Nach der Stadt zurückzusehen.

Aus dem hohlen, finstern Tor

Dringt ein buntes Gewimmel hervor.

Jeder sonnt sich heute so gern.

Sie feiern die Auferstehung des Herrn;

Denn sie sind selber auferstanden:

Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,

Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,

Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,

Aus der Straßen quetschender Enge,

Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht

Sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge

Durch die Gärten und Felder zerschlägt,

Wie der Fluß in Breit und Länge

So manchen lustigen Nachen bewegt;

Und bis zum Sinken überladen

Entfernt sich dieser letzte Kahn.

Selbst von des Berges fernen Pfaden

Blinken uns farbige Kleider an.

Ich höre schon des Dorfs Getümmel;

Hier ist des Volkes wahrer Himmel,

Zufrieden jauchzet groß und klein:

Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!



WAGNER:

Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren

Ist ehrenvoll und ist Gewinn;

Doch würd ich nicht allein mich her verlieren,

Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.

Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben

Ist mir ein gar verhaßter Klang;

Sie toben wie vom bösen Geist getrieben

Und nennen's Freude, nennen's Gesang.

(Aus Goethes “Faust. Erster Teil“. Verse 903-948; bildungsbeflissen „Osterspaziergang“ genannt. Die Entgegnung Wagners, des Famulus, ist hier für den Vergleich mit dem folgenden Tucholsky-Text mit wiedergegeben)

Bild, kopfüber:



[>> Oder. würdig gesprochen: https://www.youtube.com/watch?v=zTxKVWgeWJ0

…]

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832): deutscher Klassiker par excellence; dessen Ideenfülle und dichterisches und religiöses Selbstverständnis jedoch nur selten über Bildungskonsum hinaus rezipiert werden. Vgl. die Hymne „Prometheus“ (1774) oder folgende Reflexion „Wir sind naturforschend Pantheisten, dichtend Polytheisten, sittlich Monotheisten“ (Aus:„Maximen und Reflexionen“. 807; zusammengestellt 1807 und später)


* * *

JOSEPH VON EICHENDORFF: Ostern


Vom Münster Trauerglocken klingen,

Vom Tal ein Jauchzen schallt herauf.

Zur Ruh sie dort dem Toten singen,

Die Lerchen jubeln: Wache auf!

Mit Erde sie ihn still bedecken,

Das Grün aus allen Gräbern bricht,

Die Strome hell durchs Land sich strecken,

Der Wald ernst wie in Träumen spricht,


Osterspaziergang. Geschichten und Gedichte zum Osterfest. Ausgewählt von Volker Held. Stuttgart 1998. RUB 9698. S. 105f.


Arbeitsauftrag: [Vgl.: https://www.fachportal-paedagogik.de/literatur/vollanzeige.html?FId=3021589&mstn=1&next=739&prev=&ckd=yes&mtz=20&facets=y&maxg=12&fisPlus=y&trefferFIS=3&db=fis&tab=1&searchIn%5B%5D=fis&suche=erweitert&feldname1=Schlagw%25C3%25B6rter&feldinhalt1=%2522Geibel%252C+Emanuel%2522&bool1=or&feldname2=DokumenttypFac&feldinhalt2=zsa&BoolSelect_2=AND&bool2=and&nHits=2&marker=1

>> Ein anderes Ostgedicht, das auf den Spaziergang motivlich möglicher Figuren verzichtet.

Gib die Gedankengänge wieder, die hier der Lyriker als romantischer Panoramadichter einbezieht.

*

Emanuel Geibel: Ostermorgen


Die Lerche stieg am Ostermorgen

Empor ins klarste Luftgebiet

Und schmettert', hoch im Blau verborgen,

Ein freudig Auferstehungslied,

Und wie sie schmetterte, da klangen

Es tausend Stimmen nach im Feld:

Wach auf, das Alte ist vergangen,

Wach auf, du froh verjüngte Welt!


Wacht auf und rauscht durchs Tal, ihr Bronnen,

Und lobt den Herrn mit frohem Schall!

Wacht auf im Frühlingsglanz der Sonnen,

Ihr grünen Halm' und Läuber all!

Ihr Veilchen in den Waldesgründen,

Ihr Primeln weiß, ihr Blüten rot,

Ihr sollt es alle mit verkünden:

Die Lieb' ist stärker als der Tod.


Wacht auf, ihr trägen Menschenherzen,

Die ihr im Winterschlafe säumt,

In dumpfen Lüsten, dumpfen Schmerzen

Ein gottentfremdet Dasein träumt.

Die Kraft des Herrn weht durch die Lande

Wie Jugendhauch, o laßt sie ein!

Zerreißt wie Simson eure Bande,

Und wie der Adler sollt ihr sein.


Wacht auf, ihr Geister, deren Sehnen

Gebrochen an den Gräbern steht,

Ihr trüben Augen, die vor Tränen

Ihr nicht des Frühlings Blüten seht,

Ihr Grübler, die ihr fern verloren

Traumwandelnd irrt auf wüster Bahn,

Wacht auf! Die Welt ist neugeboren,

Hier ist ein Wunder, nehmt es an!


Ihr sollt euch all des Heiles freuen,

Das über euch ergossen ward!

Es ist ein inniges Erneuen

Im Bild des Frühlings offenbart.

Was dürr war, grünt im Wehn der Lüfte,

Jung wird das Alte fern und nah,

Der Odem Gottes sprengt die Grüfte -

Wacht auf! der Ostertag ist da.

*

[Bild…]

Emanuel Geibel (1815-1884) war einer der volkstümlichen und erfolgreichsten Lyriker in der Zeit des deutschen Realismus, vor 1900.

Aufgaben: Zeige die naiv trivialen Versatzstücke des Naturempfindens und der religiösen Anschauungen und die altertümelnde Sprache des gottergebenen, volkstümlich guten, lyrischen Geschmacks. Berücksichtige besonders die imperativischen Ansprachen.

Text entnommen den erfolgreichen, vielfach aufgelegten Geibelschen „Juniusliedern“. Stuttgart 1865. Nachgedruckt in: „Osterspaziergang“. Geschichten und Gedichte zum Osterfest. Ausgewählt von Volker Held. Reclams UB 9698. S. 104f.

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< Grab in Mariefreid >

Kurt Tucholsky: OSTERSPAZIERGA(Aus einer aufgefundenen Faust-Handschrift)

Faust:

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

durch des Frühlings holden, belebenden Blick;

das deutsche Volk zahlt des Krieges Zeche,

und keiner bringt das Verlorene zurück.

Die alten Monarchen, in ihrer Schwäche,

zogen sich in die Versenkung zurück.

Von dorther senden sie, fliehend nur,

ohnmächtige Schauer körniger Reden.

Und sie beschuldigen jeder jeden,

und schütten Memoiren auf die Flur.

Überall regt sich Gärung und Streben.

Aller, will sich mit Rot beleben.

Doch an Blumen fehlt es im Revier.

Nehmt kompromittierte Führer dafür!

Kehre dich um, von diesen Höhen

auf das Land zurückzusehen.

Aus dem hohlen, finstern Tor

dringt ein buntes Gewimmel hervor.

Jeder sonnt sich heute so gern:

die Kriegsgesellschaft, der Stahlkonzern,

denn sie sind wieder auferstanden

aus Reklamierungs- und andern Banden,

aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,

aus dem Druck Von mitunter beschossenen Dächern,

aus der Straßen quietschender Enge,

aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht

sind sie wieder ans Licht gebracht.

Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge

durch die Dörfer zum Hamstern schlägt.

Mancher bezieht manchmal etwas Senge,

weil er zu wenig Geld hinlegt.

Hier fühl ich wahrhaft mich erhoben:

Was kümmert uns ein verlorener Krieg!

Amerikanisches Mehl wird verschoben -

nur der Schieber reitet den Sieg!

Hätten wir nur genug zu essen,

wär das Alte mit Gunst vergessen;

Ludendorffen entbieten wir Huld ...

Keiner ist schuld! Keiner ist schuld!

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,

hier ist des Volkes wahrer Himmel.

Zufrieden jauchzt die Reaktion:

Keine Angst! sie vergessen schon!


Wagner:

Mit euch, Herr Doktor, zu spazieren

ist ehrenvoll und ist Gewinn;

Doch würd ich nicht allein mich her verlieren,

weil ich ein Feind von allem Rohen bin.

Das Schreien und Sozialisieren

ist mir ein gar verhaßter Klang;

das will ja nur das Volk verführen -

uns Reichen wird ganz angst und bang.

Wir wollen wieder die alten Zeiten,

wir wollen wieder die Menge leiten -

Zufrieden jauchzt dann Groß und Klein:

Ich bin kein Mensch! Ich darf’s nicht sein!

*

Kurt Tucholsky (1890 – 1935): Der Jurist, Journalist und Dichter Kurt Tucholsky war neben Bert Brecht (und zumeist im Gegenspiel zu Thomas Mann) der linksliberal wichtigste Autor der Weimarer Zeit; er erkannte die Anfänge, Ursachen und Stereotypien des Faschismus, auch in ihrem opportunen Rückgriff auf die deutsche Klassik.

Textanmerkungen: Ludendorff: preußischer General und Politiker; 1916 mit Hindenburg in der „Obersten Heeresleitung“ unter Wilhelm II.

Diese satirische Spaziergangs-Kontrafaktur ist 1919 geschrieben und erschienen am 20.04.19 in der „Berliner Volkszeitung“. (Text und Anmerkung aus K. T.: Gesamtausgabe Texte und Briefe. Bd. 2. 1919. 1999. S. 124f.; )

Aufgaben: Erarbeite die Unterschiede in der Beschreibung und Argumentation zum Original-Gedicht Goethes, beschreibe die Deformation der humanistischen Ideen in den Auffassungen der Personen, die K.T. in seine aktuelle Zeit und Gesellschaft hineinstellt.

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Heinz Kahlau: Osterspaziergang

Vier Wochen vorher sah ich sie im Dorfkrug.

Sie lehnte an der Tür, trug Holzpantinen,

blies sich von Zeit zu Zeit die Locke aus der Stirne

und sah mit leerem Blick auf die Papiergirlanden,

die über dem Gestampf der Paare schwangen.

Die Blasmusik war nur zum Schweigen gut.

Sie stieß sich mit der Schulter ab vom Pfosten,

zog ihre Jacke fester, ging hinaus.

Ich fragte sie, ob wir uns sehen können.

Sie sah mich an und sagte: Ostermontag.

Ich bin um neun am ersten Luftschutzbunker.

Dann gab sie mir die Hand und lief davon.


Wir gingen schweigend zwischen Kiefernstämmen.

Der Wald war überschwemmt, an trocknen Stellen

war alles aufgewühlt von wilden Schweinen.

Die Wasserreiser an den grauen Weiden

besetzt mit großen Kätzchen - kükengelb.

Die Sonne fiel in hellen, warmen Rhomben

auf gelbe Kätzchen und auf nasses Moos.

Ich war schon neunzehn, sie war achtzehn Jahre.

Ich mager, rotblond, sie war schwarz und rund.

Ich trug zerfetzte nasse Leinenschuhe,

gefärbte Khakihosen, Drillichjacke

und einen wehrmachtsgrauen langen Schal.

Sie schwarze Holzpantinen, wollne Strümpfe

und einen weiten Rock aus einer Decke,

ein weißes Turnhemd, eine enge Jacke,

die nicht zu knöpfen ging, sie hielt sie oben zu.

Wir küßten uns und sprangen über Pfützen,

wir sprachen über Blasmusik und Essen,

wir rissen Kätzchen ab und färbten uns die Nasen

mit Blütenstaub und küßten sie uns sauber.


Wir setzten uns auf einen Eichenstubben,

wir sagten uns, daß wir uns wirklich liebten.

Ihr war es ganz egal, daß wir nicht wußten,

wie spät es war. Sie hatte keinen Hunger.

Es gab zu Mittag nur Kartoffelsuppe,

die hatte sie am Tag davor gekocht.

Mein Zug fuhr erst um fünf. Wir gingen weiter

und suchten einen trocknen Flecken Erde.

Am Rande einer überschwemmten Wiese

stand ein verbrannter Heereskübelwagen.

Wir setzten uns auf eine Panzerplatte

und legten meinen grauen Schal darunter.

Da war die Sonne weg, und es begann zu gießen.

Durchnäßt und traurig liefen wir zurück.

Ihr Vater wartete vor der Barackentür.

Er durfte mich nicht sehn, wir trennten uns

und fragten nicht, wann wir uns wieder sehn.

Ich stand im Wald und sah den Vater schimpfen,

sie ging an ihm vorbei durch ihre Tür.

Ich weiß nicht, wie sie hieß. Ich sah sie nie mehr.

Doch an den Wald, die Kätzchen und den Regen

kann ich mich noch, so oft ich will, erinnern.

*

[Bild…]

Heinz Kahlau (geb. 1931 bei Potsdam; er lebt seit 1949 in Berlin)

Als in beiden Teilen Deutschland geachteter Lyriker vermochte er schon vor 1991 die literarischen und politischen Grenzen zu überwinden. Seine Themen sind Alltag, Natur, Liebe – Verantwortung im Nachbarschaftlichen.

Textangabe: Aus: H. K.: Du. Liebesgedichte. Berlin/Weimar: Aufbau Verlag. 1980. S. 8ff.)

Arbeitsfragen: Wie begehen diese beiden jungen Menschen in ihrem Erleben das Fest Ostern? Welche Rolle spielen für sie die Natur und der religiöse Hintergrund des Festes?

Mascha Kaléko: Osterspaziergang


Ganz unter uns: Noch ist es nicht so weit.

Noch blüht kein Flieder hinterm Heckenzaune.

Doch immerhin: Ich hab ein neues Kleid,

Bürofrei und ein bißchen Frühlingslaune.


Was hilft uns schon das ganze Trübsalblasen  

Da weiß ich mir ein bessres Instrument.

Ich pfeife drauf ... Mich freut selbst kahler Rasen,

Und auf das Frohsein gibt es kein Patent.


Mich fährt die Stadtbahn auch ins freie Feld,

Mir weht der Märzwind gleich den Weitgereisten.

Ich hab mein' Sach' diesmal auf nichts gestellt.

- Das kann man sich noch leisten.


Blau ist der Himmel wie im Bilderbuch.

Die Vögel zwitschern wie in Frühlingsträumen.

Herb mischt die Waldluft sich mit Erdgeruch

Und frühem Duft von knospig reifen Bäumen.


Die Sonne blickt schon ziemlich intressiert.

Und wärmt beinah. - Doch, während ich sie lobe,

Verschwindet sie, von Wolken wegradiert.

Es scheint, sie scheint nur Probe.


Ganz unter uns: Noch kam der Lenz nicht an,

Obgleich schon Dichter Frühlingslieder schrieben.

- Erst wenn man frei auf Bänken sitzen kann,

Dann wird es Zeit, sich ernstlich zu verlieben ...

(M.K.: Das lyrische Stenogammheft. Rororo 1784. S. 35. Neu in: Werke. 2012: Bd. 1. S. 37f.)


Erläuterungen zum Text:

S. Mascha Kaléko S. 37 „Osterspaziergang“

Vorabdruck: „Die Welt am Montag“, Nr. 13 v. 29.3.1932, S.4, u. d. Titel "Osterspaziergang

1932“ (vgl. S. 10)

Neben dem Herbst war der Frühling eine in MKs Gedichten häufig thematisierte Jahreszeit; vgl. z. B. die Gedichte "Frühling über Berlin« (W S. 39), "Auf einer Bank im .Central Park“ (W S. 187), »Frühlingslied für Zugereiste« (W S. 188), "Sozusagen ein Mailied« (W S. 178), »Souvenir á Kladow« (W S. 229), »Nachdenkliches Lenzgedicht« (W S. 231), »Verspätetes Mailied« (W S.305), »Nennen wir es ,Frühlingslied,« (W S. 382), »Frühlingslied, hinterm Ofen zu singen« (W S.580), »Frühlingsanfang« (W S. 721), »New Yorker Frühling« (W S. 773). Aus MKs Gedichten wird deutlich, dass sie im amerikanischen Exil gerade zur Frühlingszeit ihre alte deutsche Heimat besonders vermisste. Bei ihrem ersten Deutschlandbesuch nach der Emigration schrieb MK ihrem Mann am 4.3.1956 aus Hamburg: "Der Frost ist weg, und gestern war schon eine Art Vorahnung auf den Frühling, der

Himmel ein Märzhimmel von vor 30 Jahren, und dem dazugehoerigen inneren

Zubehör.« Und zwei Monate später, am 25.5.1956, berichtete sie aus Berlin:

»Wenn etwas hier .Kastanienallee. heisst, so sind da auch Kastanien, und im Mai

BLUEHEN SIE- - - wie in der Sehnsucht meiner Gedichte.«


Ich hab mein' Sach' diesmal auf nichts gestellt. - MK variiert die Anfangszeile "Ich hab' mein Sach' auf Nichts gestellt« aus dem Gedicht »Vanitas! Vanitatum Vonitas!« von Johann Wolfgang von Goethe.

Obgleich schon Dichter Frühlingslieder schrieben. - im Vorabdruck: Wenngleich

schon Dichter Frühlingslieder schrieben.

*

Wilhelm Lehmann: OSTERSPAZIERGANG

In der schönen Widmung der Kinder- und Hausmärchen vom jähre 1843 erinnert sich Wilhelm Grimm, wie er gesehen hat, daß die alte Bettina vor einer einfachen Blume still stand und mit der Lust der ersten Jugend in ihren Kelch schaute.

Die Dinge so zu sehen, wie sie sind, war Goethes Ideal. Können wir es je? Sind sie nicht alle längst gedeutet, erklärt, mit Deutungen und Wertungen beladen, fast darunter ver­schwunden? Es gehört eine eigene Geisteswendung dazu, um das gestaltlose Wirkliche in seiner eigensten Art zu fassen und es von Hirngespinsten zu unterscheiden, die sich denn doch auch mit einer gewissen Wirklichkeit lebhaft aufdrängen.

Vor dem schneidenden Nordostwind, der mich vor sich hertreibt, daß mich fröstelt, fliehe ich in den Wald. Hier kau­ern, an den Boden gedrückt, im morschen, braungrauen Vorjahrslaub, Anemonen, weiße Flämmchen. Geburten der Kälte, einem alten, geheimnisvoll sich offenbarenden Drange gehorsam, existieren sie mit mir zusammen und ziehen neben sich die roten Stränge des Sauerklees, unbegreiflich zart, schütter wie der Mulm, in den sie ihre leichten Fadenwurzeln tauchen; meine Hand braucht keine Kraft, sie herauszuhe­ben. Kühler Hauch und Leichtigkeit. In Wahrheit sind sie der ganzen Landschaft verschwistert, strömen ihren eigentüm­lichen Duft aus, ohne zu verschwenden: sie teilen keine Trun­kenheit aus, und doch ist auch ihr Dasein ein zarter schwe­bender Rausch. Der Ruhm des harmlosen Daseins strahlt von ihnen aus. Hier ist kein Gift gelegt, hier gehen Perdita und Florizel. Hier dürfen auch die Häher laut werden. Harsch rasselt ihre Stimme.

Laut aber sind sie nur in der Einsamkeit des Innern. Im Vorraum zur Welt, wo der Wald sich lichtet, sind sie listig schweigsam im Wissen, wie gern man ihnen nachstellt. Das weinhefenfarbige Gefieder des Leibes, das Sammetschwarz von Schwingen und Schwanz und der azurblaue, schwarz-gebänderte Flügelfleck, welch surrealistisches Zusammen! Aber wie Nietzsche mit Fistelstimme dein Übermenschen rief, womit er den Menschen meinte, so bedeutet »surreali­stisch« nichts als wirklich. Warum heben wir die Stimme? Weil wir, sowohl am Objekt ermattet wie von seiner Über­macht gepeinigt, glauben, es erschöpft zu haben, und eines schneidenden Tones, einer schreienden Farbe zur Sensation bedürfen.

Das kalte, graue Äuge des Hähers bedeutet mir nicht Freundschaft, gewiß auch keine Feindschaft. Aber es deutet auf eine Qualität der Natur, die keine Vertraulichkeit duldet. Vieles hatten wir mit einer falschen Lieblichkeit behängt, so wie die Bezeichnung »Kinder- und Hausmärchen« den alten Mythen ihre Unerbittlichkeit nehmen sollte. Die große Poe­sie lebt aus dem Urgrund und duldet keime Abschwächung. Wir sind ihr heute wieder nahe, wie ihr das 18. Jahrhundert fern war, wenn es das notwendige Ende dies »Königs Lear« zu einem frohen Beisammensein umfälschte und den Taxus beschnitt, um dem wilden Wachstum zu entgehen. Alle Kon­ventionen brachen, neue entstanden. Unter dem Herge­brachten leiden alle Künste. Es glaubt jeder, richtig zu sehen, wenn er das Alte, scheinbar Wohlbekannte in den Bildern findet. Aber jener Schauer desorganisiert; erst, um zu orga­nisieren. »Niemand mag lesen als das, woran er schon eini­germaßen gewöhnt ist.« Gegen diese Gewöhnlichkeit des Gewohnten richtet sich die immer junge Kunst. Hier muß jeder sich wagen und entscheiden, ob er neu lese, neu sehe, welche Bereicherung an Wirklichkeit, das heißt an Wirk­samkeit, er erfahre. Niemand darf sich bequem auf »Natur« berufen.

Als der französische Maler Dufy einem General seine Bilder erläuterte, überzeugte er diesen so wenig, daß sein Besucher sich immer wieder auf die Frage zurückzog, wo bei sol­chen Bildern eigentlich die Natur bleibe. „Die Natur, mein General“, erwiderte Dufy im liebenswürdigsten Ton, „die Natur, das ist einfach eine Hypothese“. Dufy hätte sich auf Kant berufen können, »daß die Natur an sich nichts ist als ein Inbegriff von Erscheinungen, mithin kein Ding an sich, son­dern bloß eine Menge von Vorstellungen des Gemüts«. Und so begnüge oder vergnüge sich das Modell, dem Künstler als Hypothese zu dienen. Sind wir abgeirrt von Goethes Ideal? Aber jetzt handelt es sich um den Gehalt, und »den findet nur der, der etwas dazu zu tun hat«.

Dieses Etwas können wir nicht besser bezeichnen, als eine intensive Parteilichkeit der Empfindung. Ob Goethe ein Picasso erschreckt hätte, wie ihn Beethoven und Kleist erschreckten? Auf jeden Fall würde er sich ihm in der In­tensität des Wachstums, des Aneignens vereint empfunden haben. In einem reizenden Aufsatz im »Lanzelot« sagt Duché von Picasso: »Wenn der Gott zu seinem Vergnügen sich in einen Stier, einen Schwan oder in einen Goldregen zu verwandeln vermochte, so braucht er keineswegs auf ewig in den Formen dieser Figuren seiner eigenen Zauberei gefan­gen zu bleiben. Er schafft sein Werk, ohne jemals zuzulassen, daß in der Darstellung eines Gegenstandes dessen ganze Realität enthalten sei.«

Die ganze Realität? Auch ich vernahm nur einen Teil, da ich, Ostern entgegen, durch die Wälder strich, an dem Hain­buchengebüsch, den Dornhecken entlang, die mit grünen Spitzen aufbruchbereit standen, durch die Anemonen, weiße Flocken, vom Rotkehlchen umsungen, wo der Wind schwieg, am Kanal entlang, wo die Brassen sich zum Laichen schick­ten. Ewiges Paradox, daß wir, das Ganze zu erfahren, an das einzelne gebunden sind, daß wir nur gefesselt frei zu sein ver­mögen.

*

Lehmann war ein Dichter und Berichter in einem eigenartigen Auftrag: Er beschrieb die Welt – Erde, Luft, Gewächse, Tiere – in einem ökologisch umfassenden Sinn. W.L. war nach Goethe der Dichter, der sich im poetisch vollständigen Sinne der Welt und ihren Geschöpfen widmete.

Wilhelm Lehmann: Osterspaziergang. (zuerst 1949). In: W.L.: Werke. Bd. 8. Autobiographische und vermischte Schriften. Stuttgart 1999.S. 329-331

Arbeitsauftrag:

Beschrieben Sie den eigenständigen Aufbau und die sprachlichen Elemente des Textes.

*

Ostern

kURT-H. WEBER

Von Karl Gottlob Schelle: Die Spaziergänge oder Die Kunst, spazieren zu gehen. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1802.

In: Ordner OSTERN


*

Wolf Wondratscheck: Osterspaziergang


*

Ingrid Bosch:

Österlicher Inspizier-Gang
nach Johann Wolfgang von Goethe »Osterspaziergang«

Vom Unkraut befreit ist unser Garten
durch der fleißigen Hände Geschick.
Rundherum schweift der strenge Blick.
Giersch, Quecke und ähnliche Arten
zogen sich hinter Nachbars Zaun zurück.

All’ unsere Sinne sich wieder beleben,
weil Frühlingsboten ihr Bestes geben:
Für die Ohren sind’s die Vogelstimmen –
und die Motormusik beim Rasentrimmen.
Für die Nase der würzige Jaucheduft,
wenn der Bauer das Feld düngt und schwängert die Luft.

Fürs Auge die blühenden Sträucher und Hecken,
Kahlfraß im Beet – dank fleißiger Schnecken.
Fürs Gefühl die Sonne warm auf der Haut,
auf der eine Wespe die Stimmung versaut.
Ein Radieschen für den guten Geschmack,
besonders, wenn es ein Innenleben hat.
Nicht jedoch in unserem Sinne es liegt,
wenn die Wühlmaus Beet und Rasen pflügt,
wenn die Kraft der Natur am Unkraut sich zeigt,
das vielfältig sich aneinanderreiht,
und wenn die Ungezieferwelt
sich den Pflanzen zugesellt,
Dann stimme ich in des Gärtners Lied mit ein:
Hier entscheide ich, was darf gedeih’n.

*

(Gedicht von Ingrid Bosch, Hennstedt, Schleswig-Holstein; es wurde veröffentlicht in der ZEIT vom 0.04.2013)

*

Vgl. die Textsammlung:

http://www.klassikerforum.de/index.php?topic=1287.0


Die leichte Lernbarkeit der Goetheschen Strophen hat wohl sehr zum vermeintlichen Verständnis des religiösen Denkens des klassischen Dichters beigetragen. Peripheres steht somit neben existenziell und zeitbezogen Wichtigem. Die religiösen Aspekte werden in diesem klassisch zentrierten Kitsch kaum zur Kenntnis genommen.

Tucholsky jedoch ordnet schon 1919 den entscheidenden Lebenskräften die Impulse zu, die den Vorgang fast so darstellen, als sei der genannte Krieg der zweite, der möglicherweise vermeidbare Weltkrieg gewesen, wenn man solche Kritik der Verhältnisse des „gemeinen“ Mannes zur Kenntnis genommen hätte.

Weitere, benutze Literatur:http://de.wikipedia.org/wiki/Faust._Eine_Trag%C3%B6die.#Vor_dem_Tor_.E2.80.93_Osterspaziergang


i] Vgl. die erste Folge dieser Artikelreihe des „Lyrisches Stichworts Gott“ im Heft 13/März 1993, S. 54-57; dort wurden Goethes „Osterspaziergang“, Theodor Storms „Ostern 1884“ und Mascha Kalékos „Osterspaziergang“ zur Betrachtung angeboten. Hier nun sollen ergänzende motivähnliche Texte stehen, die den jahreszeitlichen Frühlings- und den christlichen Ostergedanken in Beziehung stellen. - Weitere Texte zu diesem Thema findet man z.B. in: „Das Frühlingsbuch“ von Hans Bender. Insel-TB 914; oder in „Osterspaziergang“. Geschichten und Gedichte zum Osterfest. Ausgewählt von Volker Held. Reclams UB 9698.

ii] Ich biete hier – als Einstieg, der über eine Osterbesinnung hinaus fortzusetzen wäre - einen interkonfessionellen Überblick zur Bedeutung von „Pessach“ aus dem „Neuen Lexikon des Judentums“. Hrsg. von Julius H. Schoeps. Gütersloh 2000. S. 648:

[Lexikon-Artikel:] Pessach

(Bedeutung des Wortes unbekannt; eventuelle Bezeichnung eines Opferrituals für eine bestimmte Schlachtart), erstes der drei Wallfahrts- bzw. Erntefeste (Beginn der Gerstenernte).

Biblisch sieben Tage lang vom 14.-21. Nissan, in der Diaspora einen Tag länger. Der erste und siebte Tag sind Vollfeiertage, dazwischen liegen fünf Halbfeiertage (Chol ha-Moed). In Erinnerung an die Verschonung der israelitischen Erstgeborenen in Ägyp­ten ist am Vorabend von Pessach, am sog. Rüsttag, ein Fasten der Erstgeborenen Sitte. Am zweiten Abend von Pessach be­ginnt das Omer-Zählen. Für diejenigen, die an Pessach das Opfer versäumten, gab es die Einrichtung eines zweiten Pessach einen Monat später am 14. Ijar. Während des Pessach-Festes soll sich kein Gesäuer­tes (»Chamez«) mehr im Haus befinden. Deshalb wird am Abend zuvor das Gesäu­erte zusammengesucht und am darauffol­genden Tag zur Mittagszeit in einem spe­ziellen Ritus verbrannt. Auch das Geschirr ist koscher für Pessach. Die biblischen Na­men »Chag ha-Pessach« und »Chag ha-Mazzot« kennzeichnen zwei ursprünglich getrennte Feste: das nomadische Pessach-Fest und das bäuerliche Mazzot-Fest anläß­lich der ersten Getreideernte. Beide sind in der Tradition zusammengewachsen und als Pessach-Fest mit dem Auszug aus Ägypten verbunden worden. Seither gilt Pessach als das Fest der Befreiung. So ist das Lamm Hinweis dafür, daß Gottes Würgeengel an den Israeliten vorüberging, das ungesäuerte Brot (Mazza) als »Brot des Elends« ist Zeichen für die Befreiung aus Ägypten, und das Bitterkraut (Maror) Zeichen für die Unterdrückung durch die Ägypter. Die Opferung des Pessach-Lamms wird seit der Zerstörung des Zweiten Tempels in Jerusa­lem 70 n. Z. nur noch von den Samaritanern auf dem Garizim (heiliger Berg der Samaritaner) vollzogen. Neben der synagogalen Liturgie ist für das Pessach-Fest der häusliche »Seder« (»Ordnung«) am ersten Abend (in der Diaspora an den ersten beiden Abenden) des Festes charakteristisch, an dem des Auszugs gedacht wird. So lie­gen auf dem Seder-Tisch drei Mazzen, ein gekochtes Ei, ein gebratener Knochen mit wenig Fleisch, hinzu kommen ein Napf mit Salzwasser, Bitterkräuter und süßer Brei aus gehackten Nüssen, geriebenen Äpfeln, Rosinen, Zucker, Zimt und Wein (Charosset). Außerdem werden vier Becher Wein getrunken. Ein fünfter gefüllter Becher, der sog. Elia-Becher, weist auf die erhoffte letzte Erlösung hin. Mit diesen Elementen symbolisiert der Seder den Opferkult. Der Pessach-Teller ist ein Symbol für Tier-, Brot- bzw. Mehl- und Grün- bzw. Gemüse­opfer, die Segnung des Weins steht für die Libation (Trankopfer), das Anzünden der Kerzen entspricht der Verwendung von Weihrauch im Tempel. Die festgelegte fünfzehnteilige Ordnung ist mit wenigen Änderungen wahrscheinlich aus dem Tem­peldienst übernommen. Zum Seder gehört u.a. das Lesen der Pessach-Haggada und der Verzehr des Afikoman (Nachtisch), einer Hälfte der mittleren Mazze, die nach aschkenasischem Brauch von den Kindern versteckt und vom Leiter des Seders durch ein Geschenk ausgelöst wird. Der Afikoman stellt nach der Zerstörung des Zweiten Tempels eine symbolische Erinnerung an das Pessach-Opfer dar und bildet den Ab­schluß des Mahls. Die Anordnungen zum Pessach-Fest finden sich in dem Traktat »Pessachim« in der „Mischna“ (Sammlung von Lehrsätzen).

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(Die konkrete Bedeutung, der Umgang mit allen Formen, Lebensmitteln, Utensilien und Gebeten finden sich gut beschrieben in: A.J. Kolatch: Jüdische Welt verstehen. Wiesbaden 1999. Fourier Verlag. 9. Kapitel; ab S. 206)

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Über Abgrenzungen und Ähnlichkeiten:

Stichwort: Pesach/Ostern

(Aus: J.J. Petuchowski und C. Thoma: Lexikon der jüdisch-christlichen Begegnung. Freiburg u.a. 1994: Herder Verlag. Sp. 291ff.)

 Vergleich christlichen und jüdischen Festverständnisses

Pesach und Ostern

 Auf die Verbindungsstränge des christlichen Osterfests zum Pesach ist - bei aller Neuheit, auf der christlicher Glaube beruht - zu insistieren. An­dernfalls wird das christliche Osterfest der Bodenlosigkeit preisgegeben. Der Pharisäerschüler Paulus stellte sie in der Urzeit des Christentums her und wurde dadurch zum entscheidenden christlichen (Auferstehungs-)Theologen. Er ging von der pharisäischen Lehre von der Auferstehung der Toten (Antiquitates Judaicae 18,14; 2. Berakha des Achtzehn­gebets; vermutlich ist bereits 2 Makk 7 pharisäisch) aus. Im betonten Gegen­satz zu den Sadduzäern verstanden die Pharisäer diesen Glauben als unvergängliche, leidlose postmortale Exi­stenz (Mt 22,23-33) und als Distinctivum wahrer Gläubigkeit (Mischna Sanhedrin (Talmudtraktat) 10, l; Apg 23,6-9). Paulus setzte diesem Glauben das „Christologische Plus“ voran, d.h., er verstand Christus als Erstling der Entschlafenen und Auferstandenen (l Kor 15,20-28). In 11 Kor 15, 13-15 wandte er seinen mitge­brachten pharisäischen Glauben für den Glauben an den auferstandenen Christus an: „Wenn es keine Auferste­hung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos. Wir werden dann auch als falsche Zeugen Gottes entlarvt..." Paulus stellt die Verbindung mit dem Pesach u.a. dadurch her, daß er Christus als „unser Osterlamm“ und die Gläubigen als „unge­säuerte Brote“ bezeichnet (l Kor. 5,7). Der an Ostern und durch Ostern be­zeugte Glaube ist demnach das Grunddatum des christlichen Glaubens, ähnlich wie der Glaube an die Auferstehung der Toten ein pharisäisches Grunddogma und das Pesach­fest ein jüdisches Hauptfest ist. Da der auferstandene Christus aber historischer Greifbarkeit und Beschrän­kung entzogen ist, sich vielmehr durch seinen alle Räume und Konfessionen sprengenden Heiligen Geist verwirk­licht, kann er nach christlichem Ver­ständnis nicht als exklusiver Besitz der Christusgläubigen bezeichne! werden. Vielmehr wirkt er auch unabhängig vom Christentum in alle Menschen, vor allem aber ins jüdische Volk mit seiner biblischen Bindung hinein. Denn: „Innerhalb des Neuen Testa­ments sind sowohl die alttestamentlichen Vorstellungen, wie die alttestamentlichen Begriffe, als auch der ge­schichtliche Rückbezug auf das Alte Testament in Gestalt des Schriftbewei­ses die Mittel, durch die die Tat Gottes in Jesus Christus; in den Zusammen­hang der Geschichte Israels - und durch die die ‚eschatologische’ Gottes­gemeinde in den Zusammenhang des Volkes Israel gestellt werden“ (…)

 Vermeidung von Missbräuchen

Die vielen Verbindungsfäden des christlichen Osterfestes mit dem Pe­sach dürfen christlich nicht miß­braucht werden. In jüdischer Optik ist Ostern keine Überhöhung, sondern eine Abbiegung des Pesachs. Es ging dem Judentum im der Spätantike und im Mittelalter darum, bei der weiteren Ausgestaltung des Pesachs alles zu vermeiden, was bei den jüdischen Gläubigen den Eindruck naher Ver­wandtschaft der beiden Feste machen könnte. Kein jüdischer Glaubender sollte sagen können, Pesachtraditionen seien christlichen Ostertraditionen ähnlich, und man könne daher zur Abwechslung in der Pesachzeit auch einmal eine Kirchenfeier besuchen. In der Dualität Pesach/Ostern zeigt sich neben vielen Ähnlichkeiten die größte Unähnlichkeit zwischen jüdischem und christlichem Glauben. Auch heute muß allen christlich-naiven Vor­stellungen entgegengewirkt werden, als ob Gottes „Übergang“ beim Aus­zug aus Ägypten sich mit dem „Über­gang“ Christi vom Tod zum Leben vermischen ließe. An Ostern sind höchste christliche Diskretion und sensible Hochachtung für jüdische Pesachtraditionen am den Tag zu legen sowie ein spezifisch-christliches Ste­hen allein in christlichem Glauben. Alle Besserwisserei ist dem christli­chen Osterfest zuwider.

[Verweise und Literaturangaben hier weggelassen; „Pesach“ [recte], so wird der Begriff in diesem Lexikon geschrieben.]


< eine Osterkugel, angeschnitten; 
                                                    spiegelbildlich <
Vgl.: https://www.fachportal-paedagogik.de/literatur/vollanzeige.html?FId=3021589&mstn=1&next=739&prev=&ckd=yes&mtz=20&facets=y&maxg=12&fisPlus=y&trefferFIS=3&db=fis&tab=1&searchIn%5B%5D=fis&suche=erweitert&feldname1=Schlagw%25C3%25B6rter&feldinhalt1=%2522Geibel%252C+Emanuel%2522&bool1=or&feldname2=DokumenttypFac&feldinhalt2=zsa&BoolSelect_2=AND&bool2=and&nHits=2&marker=1



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