Er - Innerung an eine Abiturklasse .. in D e u t s c h!
Z u P r a g nachgetragen:
Seine 25-jährige
Herrschaft drückte nicht nur auf Prag, sondern auch auf die
jüdischen Gemeinden einen positiv prägenden Stempel auf. Er hatte
ein gewisses tolerantes Verhältnis zu den Juden und während seiner
Regierungszeit blieb es im Prager Ghetto verhältnismäßig ruhig; Es
kam zumindest zu keiner Vertreibung der Juden.
*
Auftakt zu einem
Jahrhundertthema:
Es gibt ein
dramatisches, ein balladeskes Frühgedicht von Rainer Maria Rilke aus
den Jahren 1896 bis 1898, und das er nicht zu veröffentlichen wagte:
„Judenfriedhof“, ein Bild seiner „Christus-Visionen“.
Die
Schwierigkeiten mit diesen visionären Prophetien kennzeichnet er so:
„Ich habe viele Ursachen, die Christus-Bilder zu verschweigen –
lang-lange noch. Sie sind das Werdende, das mich begleitet
leben-entlang. Darum verzeih, wenn ich Deinen Wunsch nicht nachgebe“
– schreib er auf eine Bitte einer Zeitschrift um Überlassung der
Gedicht (am 9. Februar 1899 aus Berlin-Schmargendorf an Wilhelm von
Scholz).
Nach
Ermittlungen und vollständigem Abdruck von Ernst Zinn in der Ausgabe
R.M.R.: Sämtliche Werke. Band 3. Jugendgedichte. Hrsg. v.
Rilke-Archiv. 1959. S. 790).
Rainer Maria Rilke:
Judenfriedhof
Ein Maienabend. - Und der Himmel flittert
vor lauter Lichte. Seine Marken glühn.
Die grauen Gräbersteine, moosverwittert,
deckt jetzt der Frühling mit dem besten Blühn;
so legt die Waise - und ihr Händchen zittert
auf Mutters totes Antlitz junges Grün.
Hier dringt kein Laut her von der Straße Mühn,
fernab verlieren sich die Tramwaygleise,
und auf den weißen Wegen wandelt leise
ins rote Sterben träumerisch der Tag.
Der alte Judenfriedhof ists in Prag.
Und Dämmer sinkt ins winklige Gehöf,
drin Spiro schläft, der Held im Schlachtenschlagen,
und mancher weise Mann, von dem sie sagen,
dass zu der Sonne ihn sein Flug getragen,
voran der greise hohe Rabbi Löw,
um den noch heut verwaiste Jünger klagen.
Jetzt wird ein Licht wach in des Torwarts Bude,
aus deren schlichtem Eisenschlote raucht
ein karges Mahl. - Bei Liwas Grabe taucht
jetzt langsam Jesus auf. Der arme Jude,
nicht der Erlöser, lächelnd und erlaucht.
Sein Aug ist voll von tausend Schmerzensnächten,
und seine schmale blasse Lippe haucht:
"Jehova - weh, wie hast du mich missbraucht,
hier wo der Treuste ruht von deinen Knechten,
hier will ich, greiser Gott, jetzt mit dir rechten!
Denn um mit dir zu kämpfen kam ich her..
Wer hat Dir alles denn gegeben, wer?
Der Alten Lehre hatte mancher Speer
aus Feindeshand ein blutend Mal geschlagen,
da brachte ich meinen Glauben und mein Wagen,
da ließ ich neu dein stolzes Gottbild ragen
und gab ihm neue Züge, rein und hehr.
Und in der Menschen irres Wahngewimmel
warf deinen Namen ich - das große "Er".
Und dann von tausend Erdensorgen schwer
stieg meine Seele in den Hohen Himmel,
und meine Seele fror; denn er war leer.
So warst du niemals - oder warst nicht mehr,
als ich Unsel´ger auf die Erde kam.
Was kümmerte mich auch der Menschheit Gram,
wenn du, der Gott, die Menschen nicht mehr scharst
um deinen Thron. - Wenn gläubiges Gefleh
nur Irrsinn ist, du nie dich offenbarst,
weil du nicht bist. Einst wähnt ich , ich gesteh,
ich sei die Stimme deiner Weltidee..
Mein Alles war mir, Vater, deine Näh.
Du Grausamer, und wenn du niemals warst,
so hätte meine Liebe und mein Weh
dich schaffen müssen bei Gethsemane."
Im Wärterhäuschen ist das Licht verlöscht.
Und in dem Bett von Gräbern breit umböscht
fließt schon des blauen Mondquells Wunderwelle,
verstohlen über schwarzen Giebelrand. -
Und Christus, zu des Rabbi Gruft gewandt:
"Dir auch gefiel es, Alter, manchen Spruch
zur Ehre jenes Gotts zusammzuschweißen.
Wer hat Dich, morscher Thor, auch blättern heißen
in alten Psalmen und im Bibelbuch?
Du hast so viel gewusst, stehst im Geruch,
dich gar geheimer Weisheit zu befleißen.
Heraus damit jetzt! Weißt du keinen Fluch,
dass ich des Himmels blaues Lügentuch
mit seiner Schneide kann in Stücke reißen.
Hast Du kein Feuer in den Dämmerungen
des Alchymistenherdes je entdeckt,
das fürchterlich und ewig unbezwungen
mit gierem Lecken seine Rachezungen
bis zu des Weltalls fernen Angeln streckt?
kennst du kein Gift, das süß ist wie der Kuss
der Mutter, das nach seligem Genuss
den Ahnungslosen sicher töten muss.
O Glück, die ganzen Welt so zu vergiften.
Weißt Du kein Mittel, herben Hass zu stiften,
der jeden Mann zum wilden Raubtier macht?
Kannst du nicht ziehn in diese stillen Triften
die Schauerschrecken einer Völkerschlacht.
Kannst du nicht eine neue Lehre stiften,
die Wahnsinnswut in jeder Brust entfacht.
Ins Unbegrenzte steigre ihre Triebe
und sende Pest und sende Seuchenschwärme,
dass in des Lotterbettes feiler Wärme
die ganze Welt zu Grund geht an der Liebe!"
Jach lacht der Hohn. Und in den stummen Steinen
gellts wie des wunden Wildes Sterbeschrei.
Es legt ein Reif sich auf den nächtgen Mai.
Ein schwarzer Falter zieht im Flug vorbei
und er sieht Christum einsam knien und weinen.
*
(Aus: Christus-Visionen (München, 6. Oktober 1896; wiedergeben
nach: R.M. Rilke: Sämtliche Werke in sechs Bänden. Bd. III.
Jugendgedichte. München 1956. S. 156ff.)
Anmerkungen:
„Waise“: Die Figur des Mädchens als Waise, als elternloses
Mädchen, ist schon im ersten Gedicht des Zyklus eingeführt; für
die konkrete Eröffnung des separaten Gedichts „Judenfrühstück“
„Tramway“: (schon damals um 1900) üblicher Ausdruck in
Österreich-Ungarn für die in Europa damals entstehenden
U-Bahn-Systeme
Spiro: sagenhafter Held in böhmischer Tradition (ungeklärte
Anspielung)
Gehöf (oder „Höfchen“). Parzelle auf dem Friedhof.
Rabbi Löw:
zentrale Figur diese Prager Friedhofs; sein Grab ist das größte;
die Sagen um seine Person ergeben einen eigenen kulturellen Horizont;
vgl. die Golem-Überlieferung. Wohl in dieser Zeit Rudolfs II.
(1552-1612) fällt das Licht jüdischer Lehre auf eine
Persönlichkeit, die später mit bekannten Legenden umwoben wurde: es
handelt sich um den großen Rabbi Juda ben Bezalel Liwa,
genannt Rabbi Löw, der zumeist lediglich mit der Golem-Saga in
Zusammenhang gebracht wird.
„Liwa“: vgl. Anm. zu Rabbi Löw.
„Torwarts Bude“: Die nach unserer modernen Sportsprache klingende
Wortgestaltung ist nicht Rilkes damaliges Verständnis in diesem
Gedicht. Gemeint ist: Das Tor des Friedhofs wird nachts geschlossen;
und ein Torwärter in einem kleinen Häuschen an der Friedhofsmauer
sorgt für die Ruhe und das religiöse Ordnung.
„Alchymistenherd“/Alchemysten: Anspielung an die Alchemie
(auch Alchymie oder Alchimie) als alter Form der
Naturphilosophie;
sie wurde ab dem 17./18. Jahrhundert von der modernen Chemie
und Pharmakologie
abgelöst.
„Jach“: (Adj.) jäh, aufklingend, hell schallend
*
Rainer Maria
Rilke, auch der „Priester-Dichter“ genannt, setzte sich bereits
in jungen Jahren intensiv mit Gott und den ihn für sich
reklamierenden Religion auseinander. Seine 1896/1897
verfassten»Christus-Visionen«, eine Folge von elf epischen
Gedichten, wurden erst nach seinem Tod 1959 veröffentlicht.
Der Theologe
Karl-Josef Kuschel schreibt dazu unter der Überschrift „Jesus
contra Gottessohn: Rilkes Blasphemien“:
„Entschiedener
wird man sich kaum vom Christusglauben der Kirche entfernen
können als Rilke in seinen Christus-Visionen. Radikaler wird
man den Nazarener kaum entdivinisieren und entkultisieren, wenn
man ihn zu einer Mischung aus Proletarier und Narren, aus
Wahnsinnigem und Besessenem macht, zu einem Täuscher und Getäuschten
zugleich. Nach Jean Pauls Rede des toten Christus vom Weltgebäude
herab, daß kein Gott sei hatte man dies in der deutschen
Literatur so nie gehört:"
Ein Dichter lässt
seinen Christus erklären, der Himmel sei leer, Gott eine Fiktion,
Gebet ein Irrsinn. Jesus Christus - nichts als die ewige
Projektionsfolie des Menschen, die Sehnsuchtsphantasie nach
Vergöttlichung und Erlösung - der ewige Wahn!
Diese Position
hielt Rilke bis an sein Lebensende durch. Als Beispiel sei verwiesen
auf den Brief des jungen Arbeiters (1922), in dem noch einmal
die Grundthese von Rilkes Christentums-Kritik aufleuchtet und
zugleich eine Alternative angeboten wird. Bezeichnenderweise verweist
Rilke hier auf den Koran, das Grunddokument des Islam, und sieht eine
Affinität von koranischem Gottesverständnis und dem
Gottesverständnis Jesu.“ (Karl-Josef Kuschel und Georg
Langenhorst: Jesus. In: Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur
des 20. Jahrhunderts. Hrsg. v. Heinrich Schmidinger. Bd. 2. Personen
und Figuren. Mainz 1999.S. 326 – 396; hier 327ff.
*
Rilke hat diese
Christus- und Christentumsauffassungen ein Leben lang vertreten, wenn
auch nicht mehr so provozierend-entlarvend,
psychologisch-desillusionierend, so vaterkritisch wie in der Figur
des missbrauchten Christus, der protestiert.
Rilke:
Wenn ich sage:
Gott, so ist das eine große, nie erlernte Überzeugung in mir. Die
ganze Kreatur, kommt mir vor, sagt dieses Wort, ohne Überlegung,
wenn auch oft aus tiefer Nachdenklichkeit. Wenn dieser Christus uns
dazu geholfen hat, es mit hellerer Stimme, voller, gültiger zu
sagen, umso besser, aber laßt ihn doch endlich aus dem Spiel. Zwingt
uns nicht immer zu dem Rückfall in die Mühe und Trübsal, die es
ihn gekostet hat, uns, wie er sagt, zu „erlösen". Laßt uns
endlich dieses Erlöstsein antreten. - Da wäre ja sonst das Alte
Testament noch besser dran, das voller Zeigefinger ist auf Gott zu,
wo man es aufschlägt, und immer fällt einer dort, wenn er schwer
wird, so grade hinein in Gottes Mitte. Und einmal habe ich den Koran
zu lesen versucht, ich bin nicht weit gekommen, aber soviel verstand
ich, da ist wieder so ein mächtiger Zeigefinger, und Gott steht am
Ende seiner Richtung, in seinem ewigen Aufgang begriffen, in einem
Osten, der nie alle wird. Christus hat sicher dasselbe gewollt.
Zeigen. Aber die Menschen hier sind wie die Hunde gewesen, die keinen
Zeigefinger verstehen und meinen, sie sollten nach der Hand
schnappen. Statt vom Kreuzweg aus, wo nun der Wegweiser hoch
aufgerichtet war in die Nacht der Opferung hinein, statt von diesem
Kreuzweg weiterzugehen, hat sich die Christlichkeit dort angesiedelt
und behauptet, dort in Christus zu wohnen, obwohl doch in ihm kein
Raum war, nicht einmal für seine Mutter, und nicht für Maria
Magdalena, wie in jedem Weisenden, der eine Gebärde ist und kein
Aufenthalt." (Rilke: Sämtliche Werke. Bd. 6. 1976. S. 1113f.)
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