Samstag, 29. Juni 2024

Vom Trick mit dem B ä u m e n


Bild: Deutschland-Radio https://www.deutschlandfunkkultur.de/baeume-umarmen-reicht-nicht-symbolpolitik-im-bayerischen-100.html 


  S e n d - Schreiben für die Söderischen  Bayerisch-Deutschen*innen


Vom Holzweg:

Wiki fühjrt auss:

Die Redewendung Auf dem Holzweg sein beschreibt ein nicht zielführendes Vorgehen und impliziert die Aufforderung, den Irrweg zu verlassen. Das Wort „Holzweg“ steht für einen Weg, der in einem Wald angelegt wurde, um Holz zu beschaffen, und nicht der Verbindung zweier Orte dient.[1] Heute wird dies auch als Rückeweg bezeichnet. Das Wort „Holzweg“ in diesem Sinne ist seit dem 13. Jahrhundert in Gebrauch und seine sprichwörtliche Verwendung ist seit dem 15. Jahrhundert belegt.[2]Holzweg

Holzweg] "Da will immer das Fleisch den Holtzweg/ vnd vber den Geist herrschen / vnd die Finsternüß will immer vberhand haben." - Arndt, Johann: Vom wahren Christenthumb. Bd. 2. Magdeburg, 1610 - https://de.wikipedia.org/wiki/Auf_dem_Holzweg_sein

Und was sagte Wilhelm Busch zum Söderschen Reklametrick:

"Musste erst mit dem Kopf gegen die Bäume rennen, ehe er merkte, dass er auf dem Holzweg war." - Wilhelm Busch, Aphorismen


 

Freitag, 28. Juni 2024

Ettiketten-Schwindel?

 S e n d- Schreiben für die redundanten  Deutschen*innen:



Sa l v u s- Wässssssssserschen. Emdettten

Warum findet sich auf Ihren Ettttttttttttttttiketts keine Angabe der Firma, des Ortes, des Wegs, Sie zu erreichen??

Verdammtes Wasser. Wir bestellen es nimmer!




Rey- - RE-Hillerheide:

P. S.: Äh: allgemein: Ihr Firmenname "Salvus" ist eine Verballhornung des lateinischen "Salus" - äh, ja, klingt ja ähnlich vornehm-gelehrt: Äh: Rauf - äh: raus - au-f den Markt damit!

- Na, bitte auch an Flaschenpost!

*

Ähäh: Meine Frau macht mich darauf aufmerksam, dass S ie   die Innenseite des Ettikettchens gedruckt haben - und dann - kaum lesbar - aufgepappt haben. Äh: Jep: Wer liest das denn?

Donnerstag, 27. Juni 2024

Sage(n) und Gedichte zum Fontaneschen "B i r n b a u m "

 


> Der Birnbaum vor der evangelischen Kirche <


Nicht nur für Herbstfreuden, -reisen - zur immerwährenden Lektüre ...


Theodor Fontanes Jahrhundert-Coup vom "Herrn von Ribbeck":


Literatur ist (auch) deshalb so interessiert und erkenntnisfördernd, wenn und weil man hinter ihr noch andere Quellen, andere Zeiten, andere Autoren findet, d. h. Literatur und ihre Garanten und ihre Wirkungszeugnisse einsehen kann ...


So auch beim "Ribbecker" alten Herrn, samt seinem verewigten Birnbaum": Fontanes literarischer Quelle enststammt einer alten sandmärkischen Sage: In Ribbeck, da lebte einst ein Herr, der ein sehr kinderliebender Mann war. Stets (so steht es jedenfalls im kleinen, vom eifrigen und evangelischen Pfarramt in Ribbeck gedruckten Quellenheftchen) hatte er die Taschen von Birnen und Äpfeln voll, um den Kleinen damit eine Freude zu machen. Sogar nach seinem Tode sorgte er noch für die Dorfjugend: Als er starb, vergaß man, seine Taschen zu leeren, in denen sich Birnen befanden. (Mutwillige Pietät? Pietätlose Kulturleistung? Was du ererbt von deinen Vätern ... ). Nach einigen Jahren wuchs aus dem Grab neben der Kirche ein Birnbaum hervor. Wenn ein großer Baum daraus geworden ist, wird er wieder den Knaben und Mädchen von Ribbeck Birnen spenden.


Machen wir uns also auf ins Brandenburger Land, zu den berühmten Schlössern, in die Fontanesche Mark: Pessin, Begow, Lünow - nur in Briest findet sich kein Luxusbau, kein Parade- oder Lustschloss. Aber das Haus des Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland ist touristisch gut ausgeschildert und an und um sich ansehnlich. Senioren wohnen jetzt im Schloss; dahinter die Kirche. Dort ist der Ort, wo bis zu einem übermäßigen Frühjahrssturm im Jahre 1911 der welt­berühmte, strophenmäßig fruchtbare Birnbaum stand: „So spendet Segen noch im­mer die Hand des von Ribbeck in Ribbeck..."


Heute steht dort vor der Kirchenwand schon die zweite Nach­pflanzung des weltliterarischen Birnbaumes. Der jetzige sieht eher wie ein hochgeschossenes, Brechtsches Pflaumenbäumchen aus; getragen hat es noch nicht. Zum Spaß soll der kulturbeflissene Pfarrer im vorigen Herbst Plastikbirnen eingehängt haben, um lehrgedichtmäßig Erntedank zu feiern.

Auch ein Ribbecksches Original-Werkchen, von Freifrau Olga von Ribbeck in den zwanziger Jahren gereimdrechselt, findet man vor Ort:


Jahrzehnte kommen,

Jahrzehnte gehen,

alljährlich ist leise das Wunder geschehen,

daß Frühling und Herbst

in schaffender Macht

die Blütenfälle und Birnen gebracht:

der Kinder Jubel, der Alten Freud'

überdauert Lenzes- und Herbsteszeit.

Doch einmal, in finst'rer Wintersnacht

durch wilde Stürme umtost und umkracht,

da stürzte der traute Birnbaumgreis,

von Kindern und Großen betrauert so heiß:

sein stilles Segnen mit aller Kraft

hat ihm viel warme Freunde geschafft.

Doch lange nicht währet Trauer und Nacht,

da mit dem Tage die Hoffnung erwacht:

denn wieder sproßte aus Grabes Tor

ein Birnbaumsprößling zur Sonne empor.

Es wachse das Reislein an Gottes Hand

mit den Kindern des Ribbeck

im Havelland.


Und noch weitere Birnbaum-Blüten:

Verfasst von dem Pfarrherrn Karl Bölcke, der 1901 bis 1914 in Ribbeck lebte, predigte und ambitioniert humorvoll dichtete, sind die nachgerichteten Fontane-Zeilen zu lesen:


Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,

ein Birnbaum in seinem Garten stand!

So ging es viele Jahre, bis lobesam

auch des alten Birnbaums Ende kam.

Geschlecht auf Geschlecht in Ribbeck verging,

der Birnbaum wurde alt, die Birnen gering,

ja voller bitterer Bitternis,

daß kein Kind mehr gern in die Kodden* biß,

daß auch im Strumpf das größte Loch

vor ihrer Säuernis zusammen sich zog.

Doch je mehr der Jahr' gingen ins Land,

desto mehr der Birnbaum wurde bekannt.

In der Schule die Kleinen, sie buchstabieren's,

zu Hause die Großen, sie deklamieren's,

und immer noch, wer zum Birnbaum ging,

bald laut, bald leise, also anfing:

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,

in seinem Garten ein Birnbaum stand!

Kein Wunder wenn dem, der also sang,

der Birnbaum spendete seinen Dank.

Auf Fontanes Denkmal in Neuruppin,

da legt mit liebevoll dankbarem Sinn

einen blühenden Zweig eine junge Hand,

den der Birnbaum selber zur Weihe gesandt.

Und es flüstert dabei durch den

Zweig wie im Traum!

Schönen Dank, schönen Dank, sagt der Ribbecker Baum.

Doch da mahnt aus einem stillen Haus

der Alte von Ribbeck: Deine Zeit ist aus!"


*) Kodden, so heißen die wilden, säuerlichen Birnen, deren Loblied Fontane sang; also keineswegs ein süßer Genuss, die verewigten Früchte, nach der Sängers 'Höflichkeit'.




Und vom Dichter selber das unvergängliche Kunstwerk, in dem er Anschaulichkeit, Daseinsfreude und sprachlichen Zauber einzigartig zu verbinden wußte:


Theodor Fontane:

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«


So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab.«
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen »Jesus meine Zuversicht«,
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
»He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«


So klagten die Kinder. Das war nicht recht -
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der
neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der
alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn' ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.


Und die Jahre gingen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet's wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew Di'ne Birn.«


So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

(Text nach der Gedichte-Ausgabe bei Reclam; hrsg. von Karl Richter. RUB 6956. S. 85f.; wertvolle Angaben zur Entstehung, dem Erstdruck; auch Fontanes eigene Zeugnisse über das "gute Gedicht"; so der Poet 1889 in einem Brief an Freund Julius Rodenberg. )


*


Und noch eine Adaption, deren volkstümliche und naive Daseinsfreude zum Vergleich mit dem sprachlichen Vorbild verlockt; ein leichtes Werkchen einer Verwandten derer von Ribbeck; für die Fontane-Forschung gilt es als ausgemacht, dass Theodor F. diese Familiensaga nicht kannte:



Hertha von Wiedebach


Zu Ribbeck an der Kirche

ein alter Birnbaum steht,

der mit den üppigen Zweigen

der Kirche Dach umweht.

Von hohem Alter zeuget

der Stamm, so mächtig stark,

wächst schier aus dem Gemäuer,

wie aus der Kirche Mark.

Von diesem alten Birnbaum

geht eine Sage hier,

die war als Kind zu hören

stets eine Wonne mir.

Ein alter Ribbeck, heißt es,

war Kindern hold gesinnt.

Wohl hundertmal beschenkte

im Dorf er jedes Kind.

In allen Kleidertaschen

er Birnen, Äpfel hat,

gab stets mit beiden Händen,

gab gern, genug und satt.

Und als er kam zum sterben,

man in den Sarg ihn legt,

denkt nicht an seine Taschen,

darin er Birnen trägt.

Und in dem nächsten Frühjahr

wächst aus der Wand am Tor,

sproßt aus dem Erbbegräbnis

ein Bäumlein grün hervor.

Der Alte, der im Leben

die Kinder so geliebt,

nun noch aus seinem Sarge

den Kindern Freude gibt.

Im Herbst viel kleine Birnen

der Baum streut auf den Sand,

und heut' noch greift mit Jubel

danach der Kinder Hand. -

Die Abendschatten sanken

hernieder allgemach,

da ward in meiner Seele

die alte Sage wach.


*


Mitgeteilt von Peter Wruck in seiner Interpretation zu "Herr von Ribbeck...": P.W.: Eine Legende, die sich der Wirklichkeit bemächtigt. In: Gedichte von Theodor Fontane. Interpretationen Hrsg. v. Helmut Scheuer. Stuttgart 2001. RUB 17515. S. 194-217.

*

Ein gründlicher Gedanke sei noch dem Fontane Super-Text entnommen; wie eine Tiefenstruktur äußert sich der Text in religiösen Konnotationen, die man nicht mehr nur christlich nennen kann; kreatürliche Allusionen, die anfangen mit dem "Mittagsgeläut", über "Tod" und "Begräbnis", den Ritualgesang der Büdner "Jesus, meine Zuversicht" bis zur irdischen Verewigung durch die natürliche, in Dienst genommene Fruchtenfolge, einer diesseitigen Auferstehung, einer Eingehen ins das kulturelle Gedächtnis, nicht nur in die ästhetische Dimension aller Menschenliebe und -fürsorge...


Mittwoch, 26. Juni 2024

Warum Kafka den hehrsten lichten Berg der A u f k l ä r u n g nicht kannte:

 


K a f k a < - nee, nee, er kannte Lichtenberg - den prägnanesteten   A u f k l ä r e r  [in unserer deutschen Sprache]  n i c h t - den Philososphen des Aphorismus und dilettierte ein Leben lang  mit Aphorismen:


K a f k a  als juristischer Denker {aber, ich möchte ihn n i c h t  als PhilologenJens-W. nennen]: Er vertauscht viele semantische Einzelheiten [Metaphern, Metonomien, Parodien. Kontrafakturen. ...Metapher] in seinen Aphorismen: ein Eingang wird zum Ausgang; ein Gott hat keine Welt als Gegenüber; ein Anwalt wird zum Nachbarn; der Vater wird quergestellt mit seinem Sohn {aber bitte nicht als Tochter vs. Mutter} und die vielen Tiere, die sich [vielleicht] selbst darstellen wollen:

Es sind gewiß wenig Pflichten in der Welt so wichtig als die, die Fortdauer des Menschen-Geschlechts zu befördern, und sich selbst zu erhalten, denn zu keiner werden wir durch so reizende Mittel gezogen, als zu diesen beiden.“ Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799): Sudelbuch F, 1776-1779. [F 1181]

Also: zwei Pflichten, aber wohl sehr ergiebige, fort-zeitige: mit Wohltaten/und Wohltun versehenes Begehren:

  • individuelles BeGehren: Wohlfühlen beim Sex,also bei der BeGattung und dann: das langzeitige Fortdauern des Menschengeschlechts, bei dessen FortSchritt Mann&Weib dabei ist (wenn man nicht streikt im unermesslichen Begehren des Menschengeschlechts: durch Verhütung, Verwechslung, Fort-I r r-en.


Lichtenberg: Ein gutes Mittel, gesunden Menschenverstand zu erlangen, ist ein beständiges Bestreben nach deutlichen Begriffen, und zwar nicht bloß aus Beschreibungen anderer, sondern so viel möglich durch eigenes Anschauen. Man muß die Sachen oft in der Absicht ansehen, etwas daran zu finden, was andere noch nicht gesehen haben; von jedem Wort muß man sich wenigstens einmal eine Erklärung gemacht haben, und keines brauchen, das man nicht versteht. [G 206]


Das Tast-Wort in dieser Lichtenberg'schen Sudelei ist „Wort“; Und wenn mensch keine Sätze, keine Worte, keine Plakate schreibt, die nicht für den guten Gelehrten, den Mann, bei dem Nachdenken keine Krankheit ist – ist eine Demokratie&Mensch-Sein „mau“, nur ein “K ä u “, wie der Kölner ganzjährig weiß, und es zu KarnevalsZeiten gerne sagt: opulent, aber nicht widerstandskräftig, nicht


*

Wiki: In der Literaturwissenschaft zur Literatur der Moderne findet sich vielfach auch der Begriff der „absoluten Metapher, worunter dann üblicherweise eine Metapher gemeint ist, die nicht nur – wie die „dunkle Metapher“ – dem Verständnis besondere Schwierigkeit entgegensetzt oder – wie jede Metapher – nicht ohne Bedeutungs- oder Wirkungsverlust in begriffliche Rede übertragen werden kann, sondern gerade um dieser Unübertragbarkeit willen gewählt wird. Das Vorliegen einer absoluten Metapher in diesem Sinn ist darum weniger an ihren Eigenschaften als an dem poetologischen Kontext ihres Auftretens bestimmbar.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Metapher#Metaphernarten_(Auswahl) - Abruf 12.02.2024-

So ein groß-guter Aphorismus ist Kafka nie gelungen; er hat schwammig [er presst, schwemmt auf, verunklart], semantisch polyglotte Nomina&Verba wie Tod&Leben -Vater/Mutter: ge-nut-zt: „Ein Grab

ist doch immer die beste Befestigung wider die Stürme des Schicksals.“ Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799): im Sudelbuch D, 1773-1775. [D 143].

Oder, noch präziser – immer wieder Lichtenberg: Die Menschen können nicht sagen, wie sich eine Sache zugetragen, sondern nur wie sei meinen, daß sie sich zugetragen hat. [C 375]

Schöner, präziser – menschenfreundlicher - können wir alle Dinge, alle Menschendinge – oder theologische Sachverhalte nicht aus-drücken. Das ist Menschenschicksal. Alle Menschen-Meiner, die alles versprechen, alles vermuten, alles verbalisieren wollen, alles diktieren – oder, wenn sie es auch nur ver-muten – sich Diktatoren der Menschlichkeit.

*

Seien wir ehrlich: un-gläubig, un-vor-ein-genommen Mensch soll(t)e re-a-gieren, was ein pessimistisch lebensmüd-beschinwgter Literat in den 1910/20ern Jahren [für sich] aufschrieb:

„Eine beklemmende, leider zeitlose Kafka-Chiffre für Freiheitsverlust, Ausgestoßensein und Gewalt.“ In einem öffentlichen Organ, das nicht wissenschafts-geschichtlich orientiert ist: In: „Vorarlberger Nachrichten, 22.01.2015“. Aber, gucken Sie hier: Aber, wer das in der ZEIT diktiert hat, gucken Sie selbstDie-ZE:IT

Vgl. Kühne Metaphern – verknüpfen zwei Wirklichkeitsbereiche miteinander, die herkömmlich als unvereinbar angesehen werden, z. B. sexuelle Metaphorik in mystisch-religiöser Dichtung, oder computertechnische Metaphorik in moderner Liebes- oder Sterbe-Lyrik.



Herkunft:6t: Ableitung (Derivation) zum Nachnamen Kafka mit dem Derivatem (Ableitungsmorphem-esk. kafkaesque, von Cecil Day-Lewis 1938 in einer Besprechung zu Edward Upwards Roman „Journey to the Border“ geprägt. [1 =  Hartmut Binder: Kafka-Handbuch. Band 2: Das Werk und seine Wirkung. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1979,  - S. 671] https://de.wiktionary.org/wiki/kafkaesk#cite_note-1 – Abrfuf 14.02.2024 -

Neues Deutschland, 14.12.1965

Woher kommt diese Gestaltungsweise, die ideologisch im Grunde auf die These hinausläuft, daß die Selbstentfremdung und Einsamkeit des Menschen auch im Sozialismus unvermindert weiterexistiere; ja, daß der Mensch bei uns wie unter dem staatsmonopolistischen Kapitalismus einer kafkaesken All- und Übermacht unfassbarer Gewalten ausgeliefert sei?


Jens-W.] WalterJens, in der ZEIT 1962: „Pedanterie? Philologisterei? Nun, es gibt Strophen (und …)“: https://www.zeit.de/1963/49/wo-die-dunkelheit-endet/komplettansicht



Metapher] Vgl. den Metaphern-Reichtum in der Philologie: https://de.wikipedia.org/wiki/Metapher#Metaphernarten_(Auswahl)


Die-ZE:IT] „Es soll Autoren geben, die einen sofort die Treppe hinunterwerfen, wenn man im Zusammenhang mit ihrem Werk die Namen Kafka oder Joyce erwähnt, besonders dann, wenn dieser Vergleich stimmt.“ - Die Zeit, 05.08.1960.- Oder auch hier zu sehen:

https://www.dwds.de/r/?corpus=kern&q=kafkaesk

Auch hier gilt es sich zu empfehlen: https://www.lovelybooks.de/stoebern/empfehlung/kafkaesk




Montag, 24. Juni 2024

Semantische Probleme in einem Roman von Hans Keilsons: Was 'wünscht' man / wie "grüßt" man "Demonstranten"?

 



> Eine herrlich detailreiche Biografie über Hans Keilson <



Alte Geschichte [immer neu, zu erneuern bei manifestem Anlass!] - ein neues Stoff, ein alter Titel:


So geschehen in Hans Keilsons ersten und gleichzeitig letzter Veröffentlichung im 'Deutschen Reich' (1933).


Jos Versteegen: Nach dem Reichstagsbrand. für den die Nazis den Kommunisten die Verantwortung in die Schuhe schoben, war es gefährlich, offen mit dieser politischen Gesinnung Solidarität zu zeigen. Direkt nach dem Brand wurden allein in Berlin 1500 Parteimitglieder verhaftet. Die 81 Sitze, die die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) bei den Wahlen am 5.März gewann, durften nicht besetzt werden. Einen Tag später wurde die KPD verboten. Die gewählten Reichstagsmitglieder wurden verhaftet. In den folgenden Monaten gab es weitere Verhaftungen. Es wurde gefoltert und es gab Tote. Auch kritische linke, aber nicht direkt kommunistische Intellektuelle wurden verhaftet.73]

Unter diesen politischen Umständen konnten „geballte Fäuste“ Probleme bringen. Oskar Loerke und Peter Suhrkamp, der zu diesem Zeitpunkt beim Verlag S. Fischer für die literarische Zeitschrift Neue Rundschau verantwortlich war, drängten deshalb auf eine Textänderung in den Druckproben: Die geballten Fäuste mussten weg. »Sie meinten«, schrieb Keilson später, »daß die geballten Fäuste beim Demonstrationszug im letzten Kapitel die Chancen des Romans bedrohten.74] Er hatte kein Problem da-mit, die Assoziation mit dem Kommunismus zu vermeiden:

Es ging mir auch gar nicht darum, also um die [Kommunistische] Partei, es ging mir nur um den Willen zu einer politischen Entscheidung überhaupt. (...) Aber ich muß sagen, das war mehr eigentlich das Messianistische, der messianistische Impuls, der ja im Sozialismus steckte - so wie ich damals und wie wir alle damals den Sozialismus verstanden haben." 75]

Wie erwähnt, wurde in der Schlussszene dann beschrieben, dass Albrecht und sein Vater die Demonstranten „grüßen“. Das hat inzwischen zu einem Interpretations-Problem geführt. Das Wort „grüßen“ wird im Deutschen sehr allgemein gebraucht und ruft kein genaues Bild der Form des Grüßens hervor. Aber weil der Vater ideenarm [sic! Schade um diesen VerschreiberVom'Arml] zum Gruß hebt, könnte man denken, dass hier der Hitlergruß gezeigt wird und dass also nationalsozialistische Demonstranten durch die Straße ziehen. Damion Searls, der Amerikaner, der das Buch unter dem Titel Life Goes On (20l2) übersetzte, erschrak, als er die Passage las und anfänglich so interpretierte.76]

In seiner niederländischen Übersetzung Het leven gaat verder (2011) ließ Frank Schuitemaker Vater und Sohn »zwaaien«, also winken, was ein viel spezifischeres Wort ist als »grüßen«. So vermied Schuitemaker die Möglichkeit einer nazistischen Färbung der Szene. Searls wählte die wörtlichere Übersetzung „to salute“. Die mögliche Interpretation als Nazisympathie umging er nicht.

Durch das redaktionelle Eingreifen von Loerke und Suhrkamp wurde die Schlussszene doppeldeutig, und Hans Keilson gab sich damit zufrieden. In den achtziger Jahren, als das Buch bei S. Fischer neu aufgelegt wurde, hat er beim Verlag nicht auf Wiederherstellung des Urtextes gedrängt. Die geballten Fäuste kehrten nicht zurück.

Der Nutzen eines nicht originellen Titels Der Roman sollte ursprünglich Das neue Leben heißen, als Hinweis darauf, dass Albrecht am Ende eien andere Haltung gegenüber seiner Umwelt annimmt.77] Vielleicht war es Loerke, vielleicht Suhrkamp, der Keilson erinnerte, dass es bereits ein berühmtes Buch mit diesem Titel gab: Dantes Vita nuova. Der definitive Titel Das Leben geht weiter war eine Standardformulierng, und hatte seinen Nutzen.“

*

In: Jos Versteegens Biografie. „Immer wieder ein neues Leben". Biographie Hans Keilson. Frankfurt/a.M. (2024. S. 92f.):

Vom'Arml] Original heißt ed:„(...) erhebt der Vater seine Hand, tritt einen Schitt vor neben seine Sohn - doch als besäße er nicht die Kraft … der Arm fällt ihm schwer herab (...)“


Theologisch: vom F e u e r der Be- G E I S T - erung

- in  rot  vorzustllen! -
 



Yeah: S e n d - Schreiben für exaltierte Deutschen: # VI

Feuer-meta-phorik … zu … Hauf!


https://fernsehen.katholisch.de/katholische-horfunkarbeit/morgenandacht-deutschlandfunk/morgenandacht-15062024


Von burnout ist oft die Rede, wenn es um Stress und Überforderung geht, von burnin erstaunlich viel seltener. Wofür brennst du? Wohin fließt deine Energie, wann steigen dein Lustpegel und deine Leidenschaft, was beschwingt dich und macht dich an? Nicht zufällig sprechen wir da auch von Begeisterung. Denn die Sache mit dem Geist ist keineswegs nur eine gedankliche Angelegenheit, viel mehr höchst konkret und sogar körperlich spürbar, mit Ausstrahlung. Warum denn sonst die sprichwörtliche Rede von den Schmetterlingen im Bauch oder vom Strahlen der Verliebten oder dem Forschereifer der Pioniere? Sie brennen für etwas, sie sind heiß und haben wirklich noch etwas vor und im Sinn.

Offenkundig war Jesus von Nazaret solch ein Mensch. Von ihm ist der Spruch überliefert: "Wer mir nahekommt, kommt dem Feuer nahe." Und in der Bibel heißt es von ihm: "Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen, und nichts wünsche ich mehr, als dass es brenne." (Lk 12,49) In diesem Jesus war eine unbändige Gottesleidenschaft am Werk. Endlich kann und soll es wieder so werden, wie es von Anfang gemeint war: sehr gut und sehr schön. Weil er sich derart innig auf Gottes Nähe verließ, hatte er alle Hände frei zum Helfen und alle Augen offen für die Not von Mitmenschen, aber eben auf für die Schönheit der Dinge. Seine Gleichnisse verraten sein poetisches Feuer.

Neu erfahrbar wurde durch ihn, was zum Schatz schon jüdischen Glaubens gehört: Gottes Güte ist da, sonst wären wir nicht; von Gottes Güte lässt sich Gebrauch machen, sonst geht es nicht weiter im Guten. Dieses Feuer der Gottes- und Nächstenliebe möge in jedem Menschenherzen brennen. Das bekamen alle zu spüren, die mit Jesus zu tun bekamen. Wie von Feuer angesteckt gingen sie weiter: Es entsteht jene geistliche Bewegung, die man Kirche nennt, in der Nachfolge dieses Feuerkopfes aus Nazaret. Man könnte ihn einen Brandstifter nennen, wäre damit nicht Hinterlist und Zerstörungswut verbunden. Aber zum Feuern gehört ja in der Tat, dass man z.B. altes Gras und Gehölz verbrennt, damit neues wachse. Wie viele hat dieser Jesus schon angesteckt, und ständig ist damit zu rechnen, auch jetzt.

"Komm herab, o Heilger Geist, der die finstre Nacht zerreißt, strahle Licht in diese Welt." So beginnt eines der schönsten und ältesten Pfingstlieder, in dem der Geist Gottes besungen wird. Der Geist, der auch Jesus antrieb, und von dem Christinnen und Christen sich leiten lassen, und alle Menschen guten Willens. Im Lied heißt es weiter: "Komm, o du glückselig Licht, fülle Herz und Angesicht, dring bis auf der Seele Grund... Wärme du, was kalt und hart, löse, was in sich erstarrt, lenke, was den Weg verfehlt."

Klar wird hier benannt, was dieser gute und heilende Geist bewirken kann. Und klar wird ebenso benannt, wo dagegen unguter Geist herrscht, da wo Kälte herrscht und Härte und Verfehlung. Kein Zufall, dass immer wieder Bildworte mit Feuer und Lichte auftauchen. "Burn in" – biblischer Glaube hat mit der Brandstiftung Jesu zu tun, mit Gottes heiligem und heilendem Geist, mit seiner inspirierenden Schöpferkraft. Die setzt gute Energie frei, sie stiftet gleichermaßen Hoffnung und Geduld. Sie kann beunruhigen und zu neuem Nachdenken führen nach dem Motto: "Sage mir, worunter du leidest, was dir fehlt. Und sage mir, wovon du träumst und wohin deine Leidenschaft fließt. Und ich sage dir, wofür du brennst."

Auch eine andere Frage kommt mir: Wen habe ich womöglich schon zum Guten angesteckt? Wo brennt schon das Feuer der Liebe, z.B. in der Geduld mit dem anstrengenden Anderen oder im Kampf um Gerechtigkeit oder schlicht im Bestehen des Alltags? Burn in, das ist die Frage – und: "Komm, Heiliger Geist" ist das passende Gebet dazu.

* * *

Vom Aber-Glauben:

Man will das Wort lieber vermeiden. Es sagt ihnen nichts mehr - oder vielmehr: es stört sie, weil ihnen seine Verwendung von vornherein süßlich und abgeschmackt vorkommt, gar wenn dabei nicht bloß an das Herz irgendeines guten, lieben, schätzenswerten Menschen, sondern an das Herz des menschgewordenen Gottessohnes, also an das Herz Jesu gedacht wird und dieses dann vielleicht recht armselig verkitscht dargestellt wird, so dass dann die edelste, kraftvollste und erhabenste Persönlichkeit, die je über diese unsere Erde ging, völlig verzeichnet, saft- und kraftlos, etwa als "die gescheitelte Sanftmut“ erscheint, der alles wahrhaft Anziehende - etwa im Sinn des außerbiblisch überlieferten Jesuswortes: "Wer Mir nahekommt, kommt dem Feuer nahe!" völlig fehlt.

Bour-in – wer leidet daran, äh: dar-in?

Yeah: S e n d - Schreiben für die Deutschen: # V

Den Theologen Fusch, äh: Fuchs, hätte ich gerne mal eine Lesung und Detutung und dann einen V o r t a g desselben . Vom „wahnsinnigen Feuerreiter“ (äh:, ja, von Eduard Mörike geschrieiben 1824) – geschünscht:E könne ddnan den Knanl eraha´llen, en man zu viel Feueer gibt, zu viel Feuer lodern lässt: - wenn der Feuerreiter verglüht und verdirbt:„Ruhe wohl / Ruhe woh/ drunten in der Mühle.“ 

https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Feuerreiter_(M%C3%B6rike)





Samstag, 22. Juni 2024

Von und an G o e t h e - F o n t a n e sprach's:

 

Sein einsam - h e i l e n d  e s  H  a u s: 
                                     Sein  A r b e i t s z i m m e r -

Fontanes    G o e t h e g ö t z e n k u l t u s


Goethe-Goetzen-Kultus:

Im gleichen Jahr begründet Fontane gegenüber Erich Schmidt, warum er nicht zur Eröffnung des Goethe-Schiller-Archivs nach Weimar komme, vgl. den Brief vom 25.5.1896, HFA, Abt. IV, Bd. 4, S. 559. Dazu Jochen Golz, Das Goethe- und Schiller-Archiv in Geschichte und Gegenwart, in: J. G. (Hrsg.), Das Goethe- und Schiller-Archiv 1896-1996. Beiträge aus dem ältesten deutschen Literaturarchiv, Weimar u.a. 1996, S. 13-70, hier S. 29-31. Vgl. auch Peter Goldammer, Zwischen »Goethebann« und »Goethegötzenkultus«. Anmerkungen zu Fontanes Verhältnis zur Weimarer Klassik, in: Fontane-Blätter 55, 1993, S. 125-128.

Soweit solche Anmerkerei:



Freitag, 21. Juni 2024

Ein Detail zu Theodor F o n t a n e s "S t i n e"

 

Fontane, in Bronze; in seinem tollen Denkmal in Neuruppin

ANTON STEPHAN REY ...

  • 02361/25417 <

  • e-mail: Reyntjes@web.de - anton@reyntjes.de

  • Samstag, 

Herrn 

Christian Grawe

in Melbourne

c/o Verlag Reclam, Stuttgart


F o n  t a n e s   „S t i n e “

Ihr „Führer durch Fontanes Romane“


Sehr geehrter Herr Grawe,

Sie, Herr Grawe, wissen es. Sie haben es dokumentiert: „Der Zauber steckt immer im Detail.“(Th. F.) Darf ich Sie in einem D e t a i l  korrigieren:

Lauschen wir dem Sarastro im vierten Kapitel:

Darf ich die Herrschaften miteinander bekannt machen?“...“Fräulein Ernestine Rehbein,...“ (Stine. Kapitel 4; Ull-TB 4520. S. 22)

Diese präzise Angabe des Erzählers Fontane habe ich mal verglichen mit Ihrer Mitteilung in Führer durch Fontanes Romane (RUB 9439. S. 253):„Der Vorname ist Abkürzung von Justine“ (F. an J. Kürschner am 6. Juni 1883) Fontane hat also seine sehr frühe Festlegung später korrigiert; oder sie bis zum Erstabdruck 1889/90 einfach vergessen.

Meine Interpretation: „Ernestine“ ist - so kein nachweisbares Sprichwort - ehrlicher, als der hohe Anspruch der „Justine“; es ist deutlich deutscher als das Fremdwort „Justine“?Justine

Justine]

Kurz, Robert: Schwarzbuch Kapitalismus, Frankfurt a. M.: Eichborn 1999, S. 53 „Das am weitesten verbreitete Werk von de Sade, die allegorische Geschichte der Justine (Justine oder Vom Mißgeschick der Tugend), ist sowohl dem Inhalt wie der Entstehung nach eng mit der »Bienenfabel« verwandt.“ - Was das auc himmer sein tun sosllen.

mit seiner literarischen Belastung.

Na, schöne Grüße aus dem alten Deutschland...

[Eine Bestätigung [irgendwie propmt] kam aus Australien....]



D a n n :

Th. Fontane: "S t i n e"

Entstehung: 1881-1888.
Vorabdruck: "Deutschland. Wochenschrift für Kunst, Literatur, Wissenschaft u. soziales Lebens". Jg 1. [der einzige], 1889/90, Nr. 17-24, vom 25. Jan.-15. März 1890.
Erste Buchausgabe: Apr. 1890 bei Friedrich Fontane & Co., Berlin.

*

...von der leisen, zukunftslosen Liebe zwischen dem kleinbürgerlichen Mädchen Stine und dem jungen Waldemar, Neffe des Grafen Haldern, der mit Stines Schwester Pauline Pittelkow ein lockeres Verhältnis hat. Deren kokette Tochter Wanda wiederum ist Schauspielerin. Ein "Ekel", ein "Dummbart" und ein "armes, krankes Huhn" - derart abfällig äußert sich Stines Schwester über den Grafen, dessen Freund Baron Papageno und Waldemar von Haldern, nachdem jene drei Herren mit jenen drei Damen einen ausgelassenen, beinahe derben Abend verbracht haben, bei dem sich Stine und Waldemar auffallend im Hintergrund hielten. Beiden ist die frivole Art der vier anderen unangenehm. Am darauffolgenden Tag kommt Waldemar Stine besuchen, und aus der anfänglichen zarten Zuneigung entsteht eine sehr leise, aber innige Liebe, die Waldemar schließlich dazu bringt, seiner Angebeteten , trotz Widerstand bei Onkel und Eltern, einen Heiratsantrag zu machen. Er schert sich nicht um seine Verwandtschaft, sondern möchte mit Stine in der Neuen Welt ein neues Leben beginnen, jenseits aller Ständedünkel. Doch - überraschende Wende, ungeahntes Hindernis - Stine weist ihn, obwohl sie seine Liebe erwidert, zurück; sie glaubt nicht, daß er dem harten, entbehrungsreichen Leben mit ihr gewachsen wäre; sie meint zu wissen, daß er sich und das, was ihn glücklich macht, verkennt. "Dadurch, daß man anspruchslos sein will, ist man's noch nicht, und es ist ein ander Ding, sich ein armes und einfaches Leben ausmalen oder es wirklich führen." Doch gleichzeitig verkennt sie auch die Tiefe seiner Liebe zu ihr: Seines Lebensmutes beraubt, sieht Waldemar im Selbstmord die einzige Erlösung. Sein Tod indes nimmt auch Stine viel von ihrer Kraft, sie bleibt am Leben, jedoch geschwächt und voraussichtlich ohne glückliche Zukunft.


Wieder einmal zerbrechen zwei Menschen an den starren Konventionen, wieder einmal wird ihnen aufgrund von Standesunterschieden die Liebe unmöglich gemacht. Das "wieder einmal" könnte insofern gerechtfertig sein, da wir beinahe dieselbe Story schon in dem zwei Jahre zuvor erschienen Roman Irrungen, Wirrungen finden, und somit muß einem Stine auf den ersten Blick als billiger Abklatsch, als einfallsloser Aufguß von etwas längst dagewesenem erscheinen. Doch der Schein trügt, der "erste Blick" hat unrecht, wenn man einen zweiten zuläßt! Denn zum einen hat Fontane an seiner Stine bereits zu arbeiten begonnen, als von Irrungen, Wirrungen wohl noch nicht einmal die Idee existierte; schon 1881 findet der kleine Roman Erwähnung in seinem Tagebuch, erst drei Jahre später liest man von Irrungen, Wirrungen. Zum anderen: Stine hat, trotz der Ähnlichkeit was die Geschichte betrifft, ein herrliches Eigenleben - und wer möchte ernsthaft die tatsächlich gelebte und ausgelebte Beziehung zwischen Lene und Botho mit der leisen, schüchternen und dennoch konventionsbrechenden Liebe zwischen Stine und Waldemar gleichsetzen?!

Die Pittelkow nennt Waldemar ein „ausgepustetes Ei“ - Stine berzeichnet ihn als „armes, krankes Huhn“.

Spielen sie beide auf eine Genitalvelretzung des vormaligen heldenhaften Dragonerfähnrichs an??

Sowohl Stine als auch Waldemar von Haldern fühlen sich unwohl in ihrer jeweiligen Gesellschaft: Stine kommt an die laut-lustige Art ihrer Schwester Pauline, die zwei Kinder von mindesten ebensovielen Männern hat, und die unbekümmerte Frivolität ihrer Nichte Wanda nicht heran; Waldemar gesteht sie bei dessen ersten Besuch:

...und solch ein Leben, wie's meine Schwester führt, verführt mich nicht; es schreckt mich bloß ab, und ich will mich lieber mein Leben lang quälen und im Spital sterben, als jeden Tag alte Herren um mich haben, bloß um Unanständigkeiten mit anhören zu müssen oder Anzüglichkeiten und Scherze, die vielleicht noch schlimmer sind. Das kann ich nicht, das will ich nicht.

Waldemar wiederum kann weder mit den genannten Anzüglichkeiten noch mit der vom Onkel vorgelebten Lebensweise mithalten; er gibt im selben Gespräch mit Stine zu:

Ich bin krank und ohne Sinn für das, was die Glücklichen und Gesunden ihre Zerstreuung nennen.

Beide fühlen sich verstanden, wenn sie beisammen sind, ein leises Einverständnis.

Und auch in dieser Geschichte spielt die Frage nach dem Glück eine tragende Rolle. Wie erlangt man es? Wann ist man glücklich? Wer darf es sein? - Über Stine sagt der alte Graf von Haldern bei jenem gemeinsamen Abend zu sechst scherzhaft:

Ich glaube, sie hat überhaupt den Schlüssel und schließt uns jedes Glück auf, vorausgesetzt, daß sie will...

Für Waldemar will sie es scheinbar nicht - sie lehnt seinen Antrag ab -, oder kann sie es nur nicht? - Für die beiden war das Glück nicht bestimmt, sie scheitern letztlich an den Außenwelt.

Stine hat an der Außenseite des Fensters in ihrem Zimmerchen einen Spiegel, der so postiert ist, daß sich in ihm das Treiben auf der Straße spiegelt; das fasziniert alle Besucher, die sich ihr gegenüber ans Fenster setzen. Auch Waldemar ist hingerissen von jenem gespiegelten Bild, dem Spiegelbild der Wirklichkeit. So sitzen sie, für ein paar Momente glücklich, solange nur das Spiegelbild der Realität sie umgibt, an der Realität selbst zerbrechen sie.

- Stefanie Agerer, 24. August 1998

-


Aust, Hugo: Theodor Fontane: "Verklärung". Eine Untersuchung zum Ideengehalt seiner Werke. 1974, S. 161-188.



Frierich, Gerhard: Die Witwe Pittlekow. In: Fontane-Blätter 3, 1974, H. 2, S. 109-124.



Garland, Henry: The Berlin novels of Theodor Fontane. Oxford 1980, S. 128-139.



Hayern, Kenneth: Theodor Fontane. A critical study. London 1920, S. 221-234.



Hertling, G. H.: Theodor Fontanes Stine: eine entzauberte Zauberflöte? Zum

Hunanitätsgedanken am ausgang zweier Jahrhunderte. Bern, Frankfurt 1982.


Kahrmann, Cordula: Idyll im Roman: Theodor Fontane. 1973, S. 116-123.


Mittenzwei, Ingrid: Die Sprache als Thema. Untersuchungen zu Fontane Gesellschaftsromanen. 1970, S. 110-116.


Müller-Seidel, Walter: Theodor Fontane. Soziale Romankunst in Deutschland. 1975, S. 270-284.


Reuter, Hans-Heinrich: "Freifrau" oder "Froufrou". Zu einem verschleppten Lesefehler in Fs Erzählung Stine. In: Weimarer Beiträge 9, 1963, S. 156-158.


Reuter, Hans-Heinrich: Fontane. 2 Bd. 1968, S. 671-676.


Schillemeit, Jost: Theodor Fontane. Geist und Kunst seines Alterswerks. 1961, S. 47-57.


Thunecke, J.: Lebensphilosophiesche Anklänge in Fontanes "Stine". In: Formen realistischer Erzählkunst, 1979, S. 505-525.


Voss, Lieselotte: Literarische Präfiguration dargestellter Wirklichkeit bei Fontane. 1985, S. 164-177.


Wandres, Conrad: Theodor Fontane. 1919, S. 235-245.


Wessels, P.: Schein und Anstand. Zu Fontanes Roman "Stine". In: Formen realist. Erzählkunst, 1979, S. 490-504.


* * Besonders zu empfehlen sind die Ausgaben innerhalb der Gesamtausgaben (Hanser Fontane; Große Brandenburger Ausgabe), die allerdings gebunden und damit verhältnismäßig teuer sind. Die kartonierte Ausgabe mit der höchsten Qualtiät ist diejenige des Deutschen Taschenbuchverlags (dtv), aber auch die (noch billigere) Reclam-Ausgabe ist zu empfehlen. Diese Ausgaben sind unten an oberster Stelle aufgeführt.

Und, bitte anbei, die NN.s vom ersten Kurs, in dem ich Fontanes "Stine" zur Dikussion stellte (schöne Erinnerunhen beigeschlossen!):



* *

Wenn ich nochmals in die Schule  k ö  n n te - ich würde wieder Fontanes Roman "Stine" wieer Zur Lektüre emphehlen.
Anbei mein Dank für die Schülerinnen (im Abiturjahrgang Deutsch. 1990: 
Bettina.  Barbara.  Stephanie.  Astrid.  Jette.  Anne.  Darija.  Claudia.  Niklas.  Andreas. Lars.  Monika.  Claudia G.  Eva.  Nicole.  Simone.  Heike..

Was v o n R i l k e (dem priesterlichen Dichter)

 

Er - Innerung an eine Abiturklasse ..   in  D e u t s c h!


Z u   P r a g  nachgetragen:

Seine 25-jährige Herrschaft drückte nicht nur auf Prag, sondern auch auf die jüdischen Gemeinden einen positiv prägenden Stempel auf. Er hatte ein gewisses tolerantes Verhältnis zu den Juden und während seiner Regierungszeit blieb es im Prager Ghetto verhältnismäßig ruhig; Es kam zumindest zu keiner Vertreibung der Juden.

*

Auftakt zu einem Jahrhundertthema:

Es gibt ein dramatisches, ein balladeskes Frühgedicht von Rainer Maria Rilke aus den Jahren 1896 bis 1898, und das er nicht zu veröffentlichen wagte: „Judenfriedhof“, ein Bild seiner „Christus-Visionen“.

Die Schwierigkeiten mit diesen visionären Prophetien kennzeichnet er so: „Ich habe viele Ursachen, die Christus-Bilder zu verschweigen – lang-lange noch. Sie sind das Werdende, das mich begleitet leben-entlang. Darum verzeih, wenn ich Deinen Wunsch nicht nachgebe“ – schreib er auf eine Bitte einer Zeitschrift um Überlassung der Gedicht (am 9. Februar 1899 aus Berlin-Schmargendorf an Wilhelm von Scholz).

Nach Ermittlungen und vollständigem Abdruck von Ernst Zinn in der Ausgabe R.M.R.: Sämtliche Werke. Band 3. Jugendgedichte. Hrsg. v. Rilke-Archiv. 1959. S. 790).


Rainer Maria Rilke: 

Judenfriedhof

Ein Maienabend. - Und der Himmel flittert

vor lauter Lichte. Seine Marken glühn.

Die grauen Gräbersteine, moosverwittert,

deckt jetzt der Frühling mit dem besten Blühn;

so legt die Waise - und ihr Händchen zittert

auf Mutters totes Antlitz junges Grün.

Hier dringt kein Laut her von der Straße Mühn,

fernab verlieren sich die Tramwaygleise,

und auf den weißen Wegen wandelt leise

ins rote Sterben träumerisch der Tag.

Der alte Judenfriedhof ists in Prag.

Und Dämmer sinkt ins winklige Gehöf,

drin Spiro schläft, der Held im Schlachtenschlagen,

und mancher weise Mann, von dem sie sagen,

dass zu der Sonne ihn sein Flug getragen,

voran der greise hohe Rabbi Löw,

um den noch heut verwaiste Jünger klagen.


Jetzt wird ein Licht wach in des Torwarts Bude,

aus deren schlichtem Eisenschlote raucht

ein karges Mahl. - Bei Liwas Grabe taucht

jetzt langsam Jesus auf. Der arme Jude,

nicht der Erlöser, lächelnd und erlaucht.

Sein Aug ist voll von tausend Schmerzensnächten,

und seine schmale blasse Lippe haucht:

"Jehova - weh, wie hast du mich missbraucht,

hier wo der Treuste ruht von deinen Knechten,

hier will ich, greiser Gott, jetzt mit dir rechten!

Denn um mit dir zu kämpfen kam ich her..

Wer hat Dir alles denn gegeben, wer?

Der Alten Lehre hatte mancher Speer

aus Feindeshand ein blutend Mal geschlagen,

da brachte ich meinen Glauben und mein Wagen,

da ließ ich neu dein stolzes Gottbild ragen

und gab ihm neue Züge, rein und hehr.

Und in der Menschen irres Wahngewimmel

warf deinen Namen ich - das große "Er".

Und dann von tausend Erdensorgen schwer

stieg meine Seele in den Hohen Himmel,

und meine Seele fror; denn er war leer.

So warst du niemals - oder warst nicht mehr,

als ich Unsel´ger auf die Erde kam.

Was kümmerte mich auch der Menschheit Gram,

wenn du, der Gott, die Menschen nicht mehr scharst

um deinen Thron. - Wenn gläubiges Gefleh

nur Irrsinn ist, du nie dich offenbarst,

weil du nicht bist. Einst wähnt ich , ich gesteh,

ich sei die Stimme deiner Weltidee..

Mein Alles war mir, Vater, deine Näh.

Du Grausamer, und wenn du niemals warst,

so hätte meine Liebe und mein Weh

dich schaffen müssen bei Gethsemane."


Im Wärterhäuschen ist das Licht verlöscht.

Und in dem Bett von Gräbern breit umböscht

fließt schon des blauen Mondquells Wunderwelle,

verstohlen über schwarzen Giebelrand. -


Und Christus, zu des Rabbi Gruft gewandt:

"Dir auch gefiel es, Alter, manchen Spruch

zur Ehre jenes Gotts zusammzuschweißen.

Wer hat Dich, morscher Thor, auch blättern heißen

in alten Psalmen und im Bibelbuch?

Du hast so viel gewusst, stehst im Geruch,

dich gar geheimer Weisheit zu befleißen.

Heraus damit jetzt! Weißt du keinen Fluch,

dass ich des Himmels blaues Lügentuch

mit seiner Schneide kann in Stücke reißen.

Hast Du kein Feuer in den Dämmerungen

des Alchymistenherdes je entdeckt,

das fürchterlich und ewig unbezwungen

mit gierem Lecken seine Rachezungen

bis zu des Weltalls fernen Angeln streckt?

kennst du kein Gift, das süß ist wie der Kuss

der Mutter, das nach seligem Genuss

den Ahnungslosen sicher töten muss.

O Glück, die ganzen Welt so zu vergiften.

Weißt Du kein Mittel, herben Hass zu stiften,

der jeden Mann zum wilden Raubtier macht?

Kannst du nicht ziehn in diese stillen Triften

die Schauerschrecken einer Völkerschlacht.

Kannst du nicht eine neue Lehre stiften,

die Wahnsinnswut in jeder Brust entfacht.

Ins Unbegrenzte steigre ihre Triebe

und sende Pest und sende Seuchenschwärme,

dass in des Lotterbettes feiler Wärme

die ganze Welt zu Grund geht an der Liebe!"


Jach lacht der Hohn. Und in den stummen Steinen

gellts wie des wunden Wildes Sterbeschrei.

Es legt ein Reif sich auf den nächtgen Mai.

Ein schwarzer Falter zieht im Flug vorbei

und er sieht Christum einsam knien und weinen.

*

(Aus: Christus-Visionen (München, 6. Oktober 1896; wiedergeben nach: R.M. Rilke: Sämtliche Werke in sechs Bänden. Bd. III. Jugendgedichte. München 1956. S. 156ff.)

Anmerkungen:

„Waise“: Die Figur des Mädchens als Waise, als elternloses Mädchen, ist schon im ersten Gedicht des Zyklus eingeführt; für die konkrete Eröffnung des separaten Gedichts „Judenfrühstück“

„Tramway“: (schon damals um 1900) üblicher Ausdruck in Österreich-Ungarn für die in Europa damals entstehenden U-Bahn-Systeme

Spiro: sagenhafter Held in böhmischer Tradition (ungeklärte Anspielung)

Gehöf (oder „Höfchen“). Parzelle auf dem Friedhof.

Rabbi Löw: zentrale Figur diese Prager Friedhofs; sein Grab ist das größte; die Sagen um seine Person ergeben einen eigenen kulturellen Horizont; vgl. die Golem-Überlieferung. Wohl in dieser Zeit Rudolfs II. (1552-1612) fällt das Licht jüdischer Lehre auf eine Persönlichkeit, die später mit bekannten Legenden umwoben wurde: es handelt sich um den großen Rabbi Juda ben Bezalel Liwa, genannt Rabbi Löw, der zumeist lediglich mit der Golem-Saga in Zusammenhang gebracht wird.

„Liwa“: vgl. Anm. zu Rabbi Löw.

„Torwarts Bude“: Die nach unserer modernen Sportsprache klingende Wortgestaltung ist nicht Rilkes damaliges Verständnis in diesem Gedicht. Gemeint ist: Das Tor des Friedhofs wird nachts geschlossen; und ein Torwärter in einem kleinen Häuschen an der Friedhofsmauer sorgt für die Ruhe und das religiöse Ordnung.

„Alchymistenherd“/Alchemysten: Anspielung an die Alchemie (auch Alchymie oder Alchimie) als alter Form der Naturphilosophie; sie wurde ab dem 17./18. Jahrhundert von der modernen Chemie und Pharmakologie abgelöst.

„Jach“: (Adj.) jäh, aufklingend, hell schallend

*

Rainer Maria Rilke, auch der „Priester-Dichter“ genannt, setzte sich bereits in jungen Jahren intensiv mit Gott und den ihn für sich reklamierenden Religion auseinander. Seine 1896/1897 verfassten»Christus-Visionen«, eine Folge von elf epischen Gedichten, wurden erst nach seinem Tod 1959 veröffentlicht.


Der Theologe Karl-Josef Kuschel schreibt dazu unter der Überschrift „Jesus contra Gottessohn: Rilkes Blasphemien“:

„Entschiedener wird man sich kaum vom Christusglauben der Kirche entfer­nen können als Rilke in seinen Christus-Visionen. Radikaler wird man den Na­zarener kaum entdivinisieren und entkultisieren, wenn man ihn zu einer Mi­schung aus Proletarier und Narren, aus Wahnsinnigem und Besessenem macht, zu einem Täuscher und Getäuschten zugleich. Nach Jean Pauls Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei hatte man dies in der deutschen Literatur so nie gehört:"


Ein Dichter lässt seinen Christus erklären, der Himmel sei leer, Gott eine Fiktion, Gebet ein Irrsinn. Jesus Christus - nichts als die ewige Projektionsfolie des Menschen, die Sehnsuchtsphantasie nach Vergöttlichung und Erlösung - der ewige Wahn!

Diese Position hielt Rilke bis an sein Lebensende durch. Als Beispiel sei verwiesen auf den Brief des jungen Arbeiters (1922), in dem noch einmal die Grundthese von Rilkes Christentums-Kritik aufleuchtet und zugleich eine Alternative angeboten wird. Bezeichnenderweise verweist Rilke hier auf den Koran, das Grunddokument des Islam, und sieht eine Affinität von koranischem Gottesverständnis und dem Gottesverständnis Jesu.“ (Karl-Josef Kuschel und Georg Langenhorst: Jesus. In: Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Hrsg. v. Heinrich Schmidinger. Bd. 2. Personen und Figuren. Mainz 1999.S. 326 – 396; hier 327ff.

*


Rilke hat diese Christus- und Christentumsauffassungen ein Leben lang vertreten, wenn auch nicht mehr so provozierend-entlarvend, psychologisch-desillusionierend, so vaterkritisch wie in der Figur des missbrauchten Christus, der protestiert.

Rilke:

Wenn ich sage: Gott, so ist das eine große, nie erlernte Überzeugung in mir. Die ganze Kreatur, kommt mir vor, sagt dieses Wort, ohne Überlegung, wenn auch oft aus tiefer Nachdenklichkeit. Wenn dieser Christus uns dazu geholfen hat, es mit hellerer Stimme, voller, gültiger zu sagen, umso besser, aber laßt ihn doch endlich aus dem Spiel. Zwingt uns nicht immer zu dem Rückfall in die Mühe und Trübsal, die es ihn gekostet hat, uns, wie er sagt, zu „erlösen". Laßt uns endlich dieses Erlöstsein antreten. - Da wäre ja sonst das Alte Testament noch besser dran, das voller Zeigefinger ist auf Gott zu, wo man es aufschlägt, und immer fällt einer dort, wenn er schwer wird, so grade hinein in Gottes Mitte. Und einmal habe ich den Koran zu lesen versucht, ich bin nicht weit gekommen, aber soviel verstand ich, da ist wieder so ein mächtiger Zeigefinger, und Gott steht am Ende seiner Richtung, in seinem ewigen Aufgang begriffen, in einem Osten, der nie alle wird. Christus hat sicher dasselbe gewollt. Zeigen. Aber die Menschen hier sind wie die Hunde gewesen, die keinen Zeigefinger verstehen und meinen, sie sollten nach der Hand schnappen. Statt vom Kreuzweg aus, wo nun der Wegweiser hoch aufgerichtet war in die Nacht der Opferung hinein, statt von diesem Kreuzweg weiterzugehen, hat sich die Christlichkeit dort angesiedelt und behauptet, dort in Christus zu wohnen, obwohl doch in ihm kein Raum war, nicht einmal für seine Mutter, und nicht für Maria Magdalena, wie in jedem Weisenden, der eine Gebärde ist und kein Aufenthalt." (Rilke: Sämtliche Werke. Bd. 6. 1976. S. 1113f.)

*