Sonntag, 27. August 2023

Klassentreffen. Ich war wirklich dar interessert, wie die INdIVIduEN sich gewandelt hätten ...

 



Klassentreffen [nach 15 Jahrean]

Das erste nach zwanzig Jahren!


"Daß gerade du unsere Adressen ausfindig gemacht und das Treffen organisiert hast! Hätt' ich von dir grad nicht gedacht!" "Na, Hut ab - und mal gezeigt, ob da schon 'ne Pläte wächst, Jo!"

"Na, ein bißchen Schreiberei In Phanstastik, als Schreibtischtäter kein Problem. Einmal ist auch die Zeit des Wandels oder der Versteinerung an uns. - Aber was hast du dir davon versprochen?"

"War auch nur, um die Jungs wieder zu sehn. Ob sie sich verändert haben, die alten Figuren und ihre, äh, ja, Charaktere! Meine gesunden Vorurteile von damals will ich doch noch mal bestätigt bekommen!" "Ja, was ist wohl aus uns geworden? Eine richtige Niete ist wohl nicht dabei!" "Die sind vorher alle abgegangen. Als ich in Untertertia kam, da waren wir noch doppelt so viele. Hab ich auf dem Foto mit Dr. Opa nachgezählt." "Ja, da fallen mir Namen ein, von denen man nie mehr was gehört hat." "Und erst die Geschaßten!" "Aber wir waren ja recht friedlich." "Keiner, der an Brett rangehen wollte.." "Ja, die Spritzen, ein eigenes Kapitel im Ruhemsbuch!"

Blitzschnell ging es da zu: Thomas der Flotte war schon in Pits Wagen geklettert, hinters Steuer. Den Arm rausgelehnt, schwatzte er mit dem alten Banknachbarn Jan: "Das will ich doch mal ausnutzen: 'n weißen Porsche fahren! Den kann ich mir mit vier Kindern nicht leisten." "Solltest du vorher auch mit deiner Frau absprechen, wie ihr euer Direktorengehalt aufteilt!" - "Ach, für meine zwei Blagen hab ich ja dreieinhalb Weiblichkeiten: Unterhalt, Unterhalt! Hat dir das noch keiner gesteckt? Da zahlste dich auch als A 16 tot! - Tschö, in zehn Minuten sind wir wieder da. Wir wollen nur bis auf die Autobahn und mal bombenmäßig aufdrehen!"

Und er gab den röhrenden Hirschen mit aufspritzendem Dreck, vor dem die Zurückbleibenden beiseite sprangen.

"Pfui Teufel, diese Reifen, breit wie 'ne Kirchenbank!" "Wer hat, dem wird noch gegeben! Matthäus oder so!"

"Und wovon kann Pit sich den Wagen leisten?"

"Der ist in Göttingen in eine Gynäkologenpraxis eingestiegen, praktisch für null Geld, spielt da jetzt den Dr. Mertin." - "Wer ist denn das?" - "Kennste nicht?" - "Ist ja tv-mäßig keine Bildungslücke für einen Vor-68er!"

Der kleine Trupp von Ehemaligen zog durch die fein gestylte Steinbrücke samt Torbogen über das Gelände, einige Stufen hoch. Schien es nur so: Es war um einen halben Meter erhöht worden. Und die alten Linden waren jetzt mit einem gemauerten Ring umgeben, aus Bruchsteinen.

Hier warteten sie, einige setzten sich auf die Steinmauer. "Da drüben wurden zur großen Pause die Butterbrote ausgegeben." "Ja, wer bei der Schwester Sowieso ein Stein im Brett hatte wie Pitt!" "Ja, die frühen Meßdiener, die konnten eine halbe Stunde früher den Muckefuck servieren lassen." ""Weißt du noch, der Rekord im Messelesen? Sechs Minuten!" "Der Putti?" "Wer sonst? Der war bei schon bei der Wandlung, wenn die Meßdiener noch das Confiteor rasselten." "Einmal hat er sich die Opferung gespart. Da merkte er bei - wie hieß das noch mal? - daß ihm der Wein im Kelch fehlte!" "Aber keiner hat daraus Konsequenzen gezogen!"

"Wie hat Pitt das mit dem Aitur gedreht? Dir wird er es doch nachher gebeichtet haben!" "Das weißt du noch nicht?" "Nein, nicht aus erster Hand!" "Wartet, bis Pitt von der Autobahn zurück ist." "Weißt du noch, der Heini, der ist bis Rees gefahren, und da auf die Hollandlinie, ab nach Haus! Alles mit dem Fahrrad! Und ist nicht erwischt worden von der Polizei." "Au, ja, am nächsten Tag standen er und sein Papa mittags auf dem Hof, im DKWuppdich! Und seine Siebensachen wurden verpackt! Und ab ging's mit Heini nach Haus!"

Sie warteten und schwatzten: "Und was ist aus Jörg geworden?" "Den B. meinst du?" "Und weiß jemand, wo Fischkopp stecken könnte?" "Irgendwo im südlichen MÜnsterland, auf dem Bauernhof seiner Väter!" "Und unser Lapis ist gar nicht mehr auffindbar?" "Wieso?" "Chris hat bei seiner Mutter in Keeken angerufen und nix rausgekriecht." "Und Wolfi, aus Kalkar, der in der Untertertia auftauchte, und eine Woche später heimwärts segelte? Der Döskopp hatte Hasch mitgebracht." "Und wollte hier den Macker spielen!" "Und Hermann, unser Mittelläufer! Der aus Düsseldorf kam, in der Nähe des Reinstadions, von einem Bauernhof. Da haben wir Rast gemacht, als wir Carl-Jürgen in Neuss beerdigen waren, da auf dem Rückweg." "Seit dem kenn ich Fortuna Düsseldorf!" "Mein Gott, was für ein Quatsch, das alles!" "Alle Typen sind weg, wie verloren in unserem Gedächtnis, wenn sie abgehen mußten." "hat dennkeiner mehr Kontakt gehalten mit den Abgängern?" "Doch, ich mit dem Siggi! Aber dann ist die Familie nach Holland fortgezogen. Futsch!" "alles abgegangen wegen Leistungsprobleme?" Nein, hier gab es keine individuelle Nachhilfe." "Warum eigentlich nicht?" "Tja, wer irgendwo in einem Fach, vielleicht bei dem Biomöschen stecken blieb, war er gleich am Verrecken." "Der konnte sich ja schlau beten!" - "Weißt du warum das, Theo?" "Da müssen wir später mal den Direx fragen. Der neue Präsens, ob er sich bei uns sehen läßt?" "Unsere Theologenlocke kommt auf jeden Fall nicht." "Das war ja der einzige, der als Pope durchgehalten hat!" "Und grad dem hätt ich's nicht zugetraut!" "Der hat abgesagt. Kann samstags seine Gemeinde nicht sitzenlassen!" "Bei dem Priestermangel!" "Selber schuld, die Zölibatären! Verwechseln eine psychisch komische Eigenart des Klerikal-Selektiv-Ignoranten mit Gottes Willen!"

Aus einem offenen Fenster eines Klassenraums des Neubaus drang was blockmäßig Skandiertes:

"Der Mann, dem Mann, den Mann."

"Und weiter, weiblich!"

"Die Frau, der Frau, die Frau." Alles im Chor von etwa 12 bis 14 Jungenstimmen.

"Und was noch, Gregori?"

"Sachlich, Herr Dr. Martin!"

"Ja, sächlich? Also du?"

"Das Kind, dem Kind, das Kind."


Pony kuckt sich um: "Was ist denn das für ein Deutsch, das ist ja keine Sprache mehr? Drei Fälle nur? Was! Haben wir nicht sechs im Griechischen gelernt! Und fürs heräische - ach, ich weiß nicht mehr, wieviele!" "Und eine neue, uns unbekannte Tempusstufe: Aorist!" "Ja, ich glaube, wir mußten als ideal dressierte Humanistenzöglinge das ganze aus den Fugen geratene Abendland retten. Mit dem Höhlengleichnis, das uns nicht vollständig erklärt wurde, und Caesars Winterlagern.

Einer wußte bescheid: "Die haben jetzt Aussiedler- und Ausländerkinder hier, eine kleine Klasse voll. Kriegen die gut bezahlt! Die lernen erst mal Deutsch, die Deutschblütigen. Damit sie sich mit ihrem Schäferhund zu Hause bei der Oma unterhalten können." "Du, der Witz ist so abgestanden wie da im Graben die Brühe! Der muß anstandshalbe aus dem Lachverkehr gezogen werden." "Weißt du nicht: Polen- und Blondinenwitze sind in, ja fast shcon wieder rut."

"Ach, was: Und zwar schlabbern die Jungs auf Geheiß des Lehrers beim Deutsch für Ausländer einfach den Genitiv. Soll kommunikativer sein. Hörst du?"

"Andrej, bitte, ein eigenes Beispiel!"

Jetzt drang eine breit artikulierende Jungenstimme nach draußen: "Der Ball, dem Ball, den Ball."

"Und den Plural, hast du die Formen auch schon drauf?"

"Die Balle, den Ballen, die Balle."

"Na, gut für heute! - Petar, jetzt du!"


"Und für den Genitiv lernen die wohl die umgangssprachliche Konstruktion, mit dem fatalen von? Da bist du deutschmäßig aber von die Socken, was? Das ist jetzt Standard-Deutsch! "Für Ausländer, Asylanten und solche Nomaden." "Wenn du das hier hörst und an deine öde Grammatikpaukerei denkst! Stundenlang, jahrelang! Und wie chnell die Deutsch sprechen können mit so einer Methode. Und wir haben nie Lateinisch denken gelernt."

"Und da drüben", er zeigt zum Primanerbau, "da drin haben wir geschwitzt und gelernt: agricola -" Einige brummeln mit: "agricolae, agricolae, agricolam, agricola."

Günter, erstaunt: "Weiß ich alles nicht mehr. Ich glaub, ich hab nix 'behalten!" "Aber hier hast du lernen gelernt, mit gewaltigem Aufwand den größten Blödsinn: Caesar ließ mal wieder eine Brücke tran Rhenum transiecere. Und das castra für den Winter war schon aufgeschlagen." "Diese Glorifizierungstraktate, die Caesar Romam schickte, was ist daran pädagogisch so wertvoll gewesen? Caesar hat sich doch eden günstigten Auftritt für Rom verschaffen wollen. Man hatte nix Gescheiteres, was ungefähr in die Grammatik paßt. Und das war historisch festgelegt: Krieg, Sklaven, Siege, Glorifizierung! Asterix als sein Gegenspieler ist heute anspruchswoller im Wortwitz, in Andeutungen, in den ranning gags, den Überraschungen."

"Erinnerst dich noch an den Felix, der mit seinem Moped übers Steuer ging. Kettenfirma und Motoren aller Art zu Hause. Immer wenn ich an den denken, wird mir ganz komisch, so hübsch war der, mit seinen blonden Locken. Gut, daß mir das vor seinem Tod nicht aufgefallen ist."


Heinz-Peter: "Hättest deine Kinder auch ab der Fünf Latein lernen lassen sollen! Da hättest du alles aufgefrischen können! Zweitausend Vokabeln! Und erst die im Griechischen!" "Läuft doch bei euch am Paulinum - oder heißt es Johanneum? - auch noch so, hab ich gehört, oder? Und noch eigene Mädchenklassen! Piekfein separiert! Die haben eine Epoche überschlafen. Und sind in den Zeiten des Feminismus wieder topaktuell und mächtig fit!"

"Die? Nein, die brauchen sich nicht so quälen mit den Nomen und was sonst: Stußus, Staußa, Stußum! Oder: Ganz familiär: Domina vituperat ancillam. Könnte ja auch mal andersherum richtig lauten: Ancilla vituperat dominam." "Meine Kröten, die lernen bei den Waldörfern!" "Mußte mir beim Kaffee gleich was von erzählen! Sind ja eigenartige Pädagogen da, mit vierzig Kindern wie nix in einer Klasse. Viele Rudolf-Steiner-Anhänger, die ihre psychologischen Kuriositäten und ihre Goethe-Plattheiten den Blagen anhängen wollen: drei heiße Entwicklungsstufen, vierzig Blagen unter einer Fuchtel! Und der ökologische Landbau, eine Kostbarkeit: Vor dem ersten Frühlingsvollmond darf der Bauer nicht pinkeln gehen, wo er seine Möhrensäen will. Gelehrige Schüler des Meisters der Schwätzerei! Beuys war auch so ein Witzbild!"

"So, Leutchen! Wenn Hein und Pit wieder da sind, dann - Ah, da hör ich sie schon heranbrummen! Dann ab in den kleinen Speiseraum hinter der Krypta." "Wie hieß das da noch?" "Elternrast!" "Nein, das war unten Im Primanerbau." "Stimmt!" "Und da durften wir sogar rauchen!" "Aber erst ab Unterprima!" "ja, aber das war oben im primaerbau. Da haben wir Deutschland gegen Chile gekuckt. 62? Weltmeisterschaft! Das war da oben verqualmt. Nur mit einer Lüftung durch ein Dachfenster. Da mußte ich wegen eines Asthmaanfalles raus..."

"Du Pitt? Wie bist du an die Latein- und Griechischarbeiten gekommen?" "Weiß doch jeder hier!" "Und wieso wußte der Präses das kurze Zeit drauf? Habt ihr beide das denen verklickert, als ihr die Abilappen in der Tasche hattet?"

"An einem Elterntag hab ich vier Stunden lang gekellnert und, blöd wie ich war, alles Geld abgeliefert, auch das viele Trinkgeld, und ich hatte gut kassiert!"

"Und was wurde aus Siegfried?" "Und Gerda, wo bist du geblieben?" "Und weißt du, der Gerd aus Materborn? Als der nach den Sommerferien beim Biolehrer von Regenwürmern sprach und das Wort "geschlechtsreif" in den Mund nahm, war der drei Tage später zu Hause!" "Wie viele sind eigentlich pro Jahrgang gescheitert?" "Wie meinst du das?" "Die haben ja jeden genommen, der ein Versetzungszeugnis hatte und einen prima Sittenbrief vom Pastor zu Hause mitbrachte. Und da sind doch jährlich mehr rausgesflogen als reinkamen in die Klassen." "Ich hab mal ausgerechnet: Auf uns dreizehn Abi-Männekes kommen zweimal so viele, die irgendwann mal dazu gehört haben. Für eine kurze Zeit der Hoffnung." "Die wurden wieder rausgeschleudert. Fusch, mein Junge. War wohl ein Irrtum!" "Elitärer Darwinismus im Namen Gottes!" "Nein, konservativer Darwinismus!" "Als Eliteerziehung deklariert!" "Und die Eltern haben doch auch ihre ganze Hoffnung dareingesteckt, in ihre Söhnchen meine ich." "Ja, mein Junge soll einmal am Altar Gottes stehen!" "Hoffnung der trostbedürtigen Mamis!" "Futsch, weg waren Hebbi, Gunni, Jenny, Kalle, Schäfchen! Und wer noch?" "Felix!" "Der ist über Steuer gegeangen!" "Hübscher Bursche! - Den Fotos nach!"


Nein, diesmal kein Streuselkuchen. Heute Creme-Schnitten: Aprikosen, Pfirsich, Kirsch und noch so was Blaues! Heidelbeeren?

Der neue Direktor tritt ein. Gibt jedem die Hand. Nennt jeden beim Vornamen. Hatte keiner anders erwartet! Der einzige, der pädagogisch und wissenschaftlich was drauf hatte! Zuckt es einigen durch den Kopf!

Begrüßungsworte. Dreieinhalb Anekdoten. Besonders die Eintragungen in der Spalte Krankheiten und Gebrechen im Klassenbuch der Untertertia. "Das war stark! Unser einziger Knaller!" Das gab aber ein Donnerwetter! (Da läuft bei allen ein Filmchen ab: Bei Locke stand Seelisches Wrack. Jan war dabei mit Beinamputation. Franz: Kastration. Jo: nikotinsüchtig. Pit: Begnadeter Beter vor dem Herrn. Hein: Ex-Legionär. Toni: spät pubertierender Poet, Werther-Typ. Und Lapis? Sportdauerattest wegen multipler Symptome. Chris: leidet an konvergierender Blindheit. Füchschen: Frühdemenz, vorsorgliche Einlieferung nach Bedburg empfohlen. Hännes: Krebsverdacht (Kehlkopf oder Hoden, nach diffus.)

"Was ist damals eigentlich mit dem Klassenbuchführer passiert? War das der Claussche?" "Strenger Tadel: des Amtes enthoben, wegen Feigheit vor den Freunden!"

Dann die fällige Erinnerung an den Abiturspruch: "Du meinst: 'Quos Gaesdonck iunxit...?"- "Ach, was, unser 65er Spruch!"- "War der nicht von Camus?"- "Nein, nein Bernanos, glaub ich. Das war doch noch verseucht mit le Fort, Schneider, Bernanos und den Altkatholiken der Nazizeit und so!" - "Aus dem Deutschlesebuch waren doch nur die dicksten völkischen Sauereien gestrichen, und der Rest taugte noch wie zu Kaisers Zeiten für echtes Deutschtum! Kein Exilautor! Keiner, der gelitten hatte unter den Nazis! Kein junger Deutscher nach 45! Nix Brecht, nix Frisch,nix Dürrenmatt. Das war doch damals schon alles auf den Bühnen und in den Regalen!"


"Weiß das jemand noch?" "Was mit Leben und Liebe und so! Total blaß und vergeistigt!"

Das Gemurmel wird wieder individueller.

"Und du, wie betreibst du deine Kunst?"

"Ach, gestern las ich grade vom Kästner wieder mal was -" "Ach der mit dem Roman 'Fabian', mit dem biste doch schon in der Obersekunda aufgefallen."

"Also: Da schreibt ein Selbstmörder, ein universitär angeblich gescheiterter Freund des Fabian, in seinem Abschiedsbrief: 'Lehrer hätte ich werden sollen, nur die Kinder sind für die Ideale reif'."

Lothar hat zugehört: "Nein, das Ideal sind die heute auch nicht mehr, nur noch eine Minderheit. Ein Drittel kannste gleich in die Förderung schicken und von denen die Hälfte in die Therapie stecken. Und eingesperrt mit ihren Eltern. Jedenfalls dem Elternteil, der dem Kind die größten Schwierigkeiten machte."

"Deren Eltern aber voran! Da haben doch viele die Verantwortung für mit Kindergeld finanzierten Blagen an den Staat delegieren wollen." - "Auch das! Und noch ein paar scharfe Sätzchen, dann machen wir einen Laberkurs in der Volkshochschule auf! Ihr Winkelpädagogen!" "He, Hein? Warum bist du heute so geladen?" "Ja, mir kommt alles wieder hoch hier! Beim Bund hat ich erst gelernt, was so auf der Welt los ist!" - "Auf eigene Kinder hab ich gleich ganz verzichtet, nach der schwarzen Muster-Pädagogik, hier!"

"Und so lange in die Grundschulen nicht die doppelte Besatzung kommt, an Lehrerinnen und Lehrern, psychologischen Hilfskräften und Ergotherapeuten -" "Solange, weißt du, wie die führende Schicht in dieser unserer Republik nur für die eigene Klientel und deren Kinder sorgt-" "Den Rest der Jugend, immerhin unsere Zukunft, kannste vorm Fernseher geparkt finden." "Amen! Vater Rhein, äh: Antonius - hast aber fein zelebriert, alter Obermeßdiener, du!"

"Ja, der Kästner-Band ist mir dann bis zum Abi konsfisziert worden. 'Moderner Schund! Sexueller Schweinkram!' Ja, großer Aufstand der Sancta Moralitas! 'Unerhört so was, Schülern in die Hände zu spielen! Man füllt auch keine Jauche in schöne Vasen, Stephan, merk dir das fürs Leben! Es gibt so viele moderne Schmutzfinken, die nur ihr Geld machen wollen. Da kann man als Erzieher und Präses gar nicht alles kennen, was da zu eurer Verderbnis ausgebrütet wird!'" "Und täglich und in der Relistunde dreifach: die Warnung vor dem alten, schwachen Adam in uns! Da war die Pädagogik schon mit sich zufrieden, wenn wir schwiegen."

"Jetzt spaß aber mal auf! Das hast du dir gemerkt? Is' ja gut, daß du es mir zu sagen wagst! Aber als Primus mußt du überlebensgroß das Vorbild abgeben. Aber im Ernst. Der Walther Brüx - Friede seinem Staube - hat meinen Zeichenentwurf da mal entdeckt: Nackte, abgemagerte Händchen an Stielärmchen, die eine kleine Schlüssel aus einem TV-Bildschirm rausstrecken. Das war meine Idee. Malen konnte ich ja nie und nimmer. Da warst du und der Franz viel besser, mit deinen tollen Sachen. Und dann er, äh, der gute Brüx, hat ein paar Striche dazugemacht. Das war's. Und dann steckte er das Bild in den Rahmen 'Bild der Woche', hat mich selber gewundert. Aber meine Idee hab ich bis heute nicht realisiert gefunden, in Karikaturen z.B. Die sammle ich zu bestimmten Themen und verwende sie gerne im Unterricht. Das macht Denklaune! Und das mit meinem Bild der Woche ist so lange bei dir hängen geblieben?" "Ja! Komisch!" "Ob so was noch existiert?" "Was?" "Ja, diese Zeichnungen und so Sachen von uns? Klassenarbeiten und die Gutachen vor dem Abi?" "Fragen wir mal. Und weißt du: Es gibt heute Künstler, Professoren, die arbeiten nur noch in Skizzen und lassen dann malen oder häkeln oder in Fett auspressen oder in Stein hauen. Gedankenkünstler eben, Überlegenheit der Theorie!" "Und du bist du zufrieden mit deinen Wörtern und bildchen?"

"Hört mal zu. Wir können unsere Abiarbeiten einsehen. Die sind alle in einer Schwarte gebunden. Und noch für den Ablauf: Für heute abend schlage ich vor, daß wir uns in Goch noch treffen. Da am Markt. Wo früher Köpi war. Oder ist es da heute noch?"

"Was sich hier alles verändert hat!" "Und wir mit dem!" "O tempora, o -" "Oh Gott! Aber verändert? Hat sich denn einer wirklich verändert? Füchschen ist das Füchschen geblieben. Und der damals das schickste Rennrad hatte, hat uns ja gerade seinen Porsche vorgeführt." "Und Locke, unser Mini-Bischof, der einzige Theologe, der durchgehalten hat bis jetzt?" "Ja, warum konnte der Flock denn nicht anreisen?" "Wer weiß da was?" "Der muß am Samstagabend natürlich seine Gemeindekinder versorgen mit seinem Predigtfutter. Sonst eht ja die Welt unter für die Mütterchen. Vertretung könne er sich nicht leisten, sagte er!" "Früher hat er auch nie was abgegeben..." "Haben wir uns denn seit 65 um keinen Deut verändert?"

"Chris, was ist aus deinem Sport geworden?" "Du, erinnerst du dich noch an meinen Jugendrekord? Im Weitsprung. Füchschen hat ja gefuscht, mir einfach einen halben m dazugerechnet. Wie war ich sauer, als ich das erfuhr! Das hab ich dem aber gesteckt!" "Und jetzt, was machst du?" "Die Archäologie hat mich so fasziniert, daß ich durch ganz Europa gezogen bin nach musealen Resten von Reisewagen.Dem römischen vierrädrigen Kasten. Und in Köln im Römisch-Germanischen Museum, der Wagen ist nach meinen Forschungen rekonstruiert worden."

"Hört mal, her! Ich geb in Goch einen aus, wer mir unseren Abispruch noch aufsagen kann!"

"Keine Kunst, Hein: Wir alle müssen das Leben meistern, die einzige Art, es zu meistern - besteht darin -"

"Textschwierigkeiten, was? Wie bei den Verben auf -li, -la oder -le, oder auf -mi?"

"Camus oder Sartre kann das nicht gewesen sein."

"Die standen noch offiziell auf dem Index!" "Das war wohl Bernanos oder so ein Max Mell oder ein Dilthey, wer weiß!" "Und einer von uns hat noch gebeichtet, daß er Camus "Pest" heimlich gelesen hat." "Wer kann das wohl gewesen sein?" (Grinsend) - "Der es bis heute noch nicht vergessen hat! So demütigen mußte ich mich!"

Jetzt ist es zu hören (aus welcher Ecke denn? Unser Dr. phil!): "- besteht darin, es zu lieben."



Zu Hause angekommen, setzte er sich am nächsten Tag wieder über seinen Aufsatz "Die inoffizielle Pädagogik oder der heimliche Lehrplan unserer Schulen".

Und er nahm sich das zuletzt getankte Zitat vor, bevor er zum Klassentreffen gefahren war:


Aus Ernst Blochs "Prinzip der Hoffnung": "Doch die Eltern und Lehrer verstehen zuverlässig, zu betrüben. Das Leid in der Schule kann widerlicher sein als später irgendein anderes, das des Gefangenen ausgenommen. Daher der dem Gefangenen verwandte Wunsch, auszubrechen (...)

Daher ist nichts schaler und gezwungener als das Widersehen früherer Schulkameraden nach langean Jahren. Sie sind wie die Lehrer geworden, wie die Erwachsenen von damals, wie alles, wogegen man sich verschworen hatte."

Nein, so schlimm war es nicht gewesen. Von einem Mitschüler war er positiv überrascht. Da hatte sich jemand vom Sportler zum kulturkundigen Archäologen gemausert und hatte seine Lateinkenntnissse, etliche tausend Einzelteile, auf diverse Museen verstreut, und eine Idee von Fortbewegung vor 2000 Jahren verbunden und das Modell eines Reisewagens rekonstruiert. Hut ab! Dafür lohnt sich schon ein Wiedersehen!

Und bei Hartmut von Hentig hatt er zuletzt angeklopft und war auf Eisen, statt auf Holz gstoßen:

Die bloß menschliche Welt human zu machen, ist schwerer als die von Gott oder Göttern verantwortete. Wer über die Inhumanität der Schule klagt, muß wissen, daß er auch darüber klagt und daß daran nicht zu ändern ist.

H.v.H. Sozialpathologie der Schule. In: Was ist eine humane Schule? (1976)


Was von Hentig da entschuldigend über die die Herrschaft von Ideen sagt, gilt in einem grotesken Sinn von der Schule, besonders zu Zeiten einer kapitalistischen Produkterwirtschaftung. Alle Lehrer, Priester, Herrscher, Könige, Präsidenten und Direktoren - letztere egal ob mit oder gegeneinander -, die an dieser so zweihundertjährigen Schule mitgebaut haben, indem sie Menschliches im Not kündenden Einzelfall leugneten, verurteilten, verketzerten, diffamierten; sie haben Menschen verrecken lassen um ihre Chancen betrogen, sie links (oder rechts) liegen lassen. Sie haben eine selektive, friedlose Eigeninstitution herangezüchtet, bzw. aus der Welt hinausverwaltet - immer und allzeit im Namen der Pädagogik, meist gar im signum des Humanen. Seitdem sie diese Mächtigkeit und Lieblosigkeit nur noch zu den äußeren, formalen Bedingungen von Aufklärung und Demokratie und Menschenrechten tun können, hat die Schule sich als ein terroristisches Potential von Sprengkraft herangezüchtet, weiterentwickelt, ohne Lebendigkeit, ohne Fähigkeit, sich dem gepriesenen und angebeteten Vorbild Menschlichkeit und seinem Liebes- und Toleranzgebot anzuverwandeln. Der redefleißige, entrückt sich bewegende Präsident ist Symbol einer staatsfinanzpolitischen Macht, ein Spiegel seiner Menschenleere, eine Fratze der pädagogischen Beziehung, die man, nach dem letzten Krieg, so kühn war Liebe, pädagogischen Eros zu nennen.

Und ein Drittes war ihm, auch in Hinblick auf seinen eigenen Stil, seine Schreibbemühungen, in einer aktuellen Datei offen geblieben: Peter Altenbergs bös erfahrene Worte über den

"Der 'Deutsche Aufsatz' des Gymnasiums ist das Unglück des späteren Lebens. Es ist eine "geistige Schwäche", das Wesentliche und Wertvolle einer Sache nur in einem verdünnten Brei von Überflüssigem genießen zu können. (Aus: P.A. Prodromos)

Ja, Widerstände hatte er, gerade auch im Deutschunterricht erlebt und erlitten, einige nötige, andere phantasielos-kleinkariert-dumme; aber er hatte es so verarbeitet: Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. (Von wem ist denn diesse Spruchweisheit? Ach, ja, Nietzsche? Ich schlage lieber nach: "Aus der Kriegsschule des Lebens..."; in "Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert"; 1888)

Und ein letztes, kleines Postscriptum:

"Was bleibet aber, stiften die Dichter." ( Aus: Hölderlins Gedicht "Andenken") Und Dichter und dichtung habe ich im Kasten an mich gezogen wie eine Ersatznahrung, weil die offizielle so blutleer war.

>>> Klassenspruch zur Abiturkarte: 

Camus: "Wir alle müssen das Leben meistern. Die einzige Art, es zu meistern, besteht darin, es zu lieben.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen