Ich begegntge ihr, der Schwester Johanna, in Dorsten, als ich meinen Dienst aufnahm innerhalb meines Referendariats zum Lehram für Gymnasium: Ich fühlte mich gleich wohl:
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>>> meine Briefe an Schweste J o h a n n a:
AR-- Dienstag, 3. Dezember 2011
An: Frau Johanna Eichmann
Thema: Arnon Grünberg - diskutabel - ja!! Bitte!!
Liebe, verehrte Schwester Johanna!
Zwei Motive, aus der Lesung vom Dienstag herausgegriffen:
* "Gaskammersuppe" - als Protest gegen die leidende, quengelnde Mutter? Mamme?
* Der Urvater "Abraham"; mit dem Messer bedroht er den auf dem blauen Laken im Puffsalon liegenden "Arnon" - warum soll der geopfert werden? Fühlt er sich schuldig, ohnmächtig, auch wegen seiner Respektlosigkeit dem Vater gegenüber? Ist er der unschuldige Isaak (was heißt: Er wird lachen), ist er der schuldig gewordene, die Mutter im Stich lassende reale (?) jüdische Sohn heutiger - nur noch Vertreter einer versicherungs-, wiedergutmachungs- oder gedenktechnisch jüdischer Lebenswelten...!
So sah ich keinen Anlass, mir Grünbergs Buch einzuhandeln. Slapstick allein ist mir zu dumm - weil es so witzig sein will...
Werden solche privaten (?), ethnischen, religionsgeschichtlichen, kulturellen Motive im Roman "Blauer Montag" durchgespielt? Wohin führen sie in der Handlung? Zu welchem Finale? Gibt es solche Strukturen bei Grünbergs Prosa? Sind sie erkennbar, z.B. für die, die die Einladungen mit-gemacht hat, Herrn Herholz und Herrn...(?)
Sie sehen, ich habe Fragen; hätte sie gerne gestellt, bin aber - aus dummem Gefühlstrotz! - gestern, nach dem dritten Klarinetten-Gerangel des erschöpften Musikers - aus Protest gegangen. Und siehe, als ich die Garderobe verließ: Es löste sich alles, ohne Diskussion auf....!
Darf man/mensch so jüdische Literatur der neuesten Generation im schönen "Raume" stehen lassen?
Ich sehe die Aufgabe von Literaturvermittlerin, dass sie in der Diskussion von provokanten Texten zur Verfügung stehen. Als Stellverteter des Publikums müßte eine/einer - der Vorsteller z.B. - den Autor zur Diskussion stellen...
Auch bei Frau Dischereit sah ich eigenartig unverarbeitete An-Sätze, die verbalisiert hätten werden können...
Auch Herrn Vonhoff habe ich von diesem Briefchen mitgeteilt...
Mit freundliche, herzlichen Grüßen und besten Wünschen für die Sache aller Religionsvermittler und/oder -kritiker!
Ihr AStRey-
>>> Dann meine Untertichts-Dokumente: Ausschnitte aus ihren Büchern:
Johanna Eichmann:
Die rote Johanna. Erinnerungen 1952 -. 2012 . Essen 2013. 102f.
Reise nach A u s c h w i t z
Vierzig Jahre zuvor, Anfang August, war mein Großvater in einem dieser Züge unterwegs. Nun folgt die Enkelin seinen Spuren. Wroclaw - Opole - Gliwice - Kattovice. Wir buchstabieren die fremden polnischen Namen. Kattowitz ist die Endstation, der polnische Ruhrpott. Hustenreiz überfällt uns beim Aussteigen. Die Luftistschwer und übel riechend, als läge über dem Land noch immer der Brandgeruch von Auschwitz. Vor dem Bahnhof wartet der Orbis-Bus mit Kasimir, unserem Reiseleiter in Polen. Der Bus ist ungeheizt und unbequem. Die Dämmerung bricht herein, das Land verdunkelt sich. Bei unserer Ankunft in Auschwitz-Oswiecim ist es finster. Wir halten vor dem Stammlager, bei der ehemaligen Kommandantur. Eine trübe Lampe erhellt notdürftig den Eingang. Die Gruppe ist angemeldet, aber die Zimmer sind zum Teil noch belegt. Man bietet uns Ausweichquartiere drinnen im Lager an, in einem Haus der SS-Mannschaften. Kein Zögern. Wir nehmen an, ohne nach den weiteren Umständen zu fragen. Wir sind nicht als Touristen in Auschwitz. Die außerhalb der Ortschaft gelegenen leer stehenden Reiterkasernen des späteren Stammlagers waren zunächst für die Polen hergerichtet worden, um ihren Widerstand zu brechen. Aber schon bald entstand die Idee, Auschwitz zum zentralen Vernichtungslager für die Juden Europas zu machen. 1942 erhielt Rudolf Höß den Befehl, in Auschwitz »Ausrottungserleichterungen« zu schaffen. Zu diesem Zweckwurde das benachbarte Lager Birkenau ausgebaut mit Gaskammern, die 2000 Menschen auf einmal fassten. 1942 begannen die Züge nach Auschwitz zu rollen. Sie kamen aus allen Gegenden Europas. aus dem Norden, dem Süden, aus Osten und Westen: aus Deutschland, Polen, Frankreich, Belgien, Holland und Norwegen, aus der Tschechoslowakei, aus der Sowjetunion, aus Jugoslawien, Rumänien, Ungarn, Griechenland und Italien, aus allen Ländern, die die deutschen Truppen im Laufe des Krieges besetzten zur Vorbereitung auf ein »Großdeutsches Reich«, das ganz Europa zu beherrschen dachte. Auschwitz besteht aus einem Komplex mehrerer Lager. Das Vernichtungslager Birkenau - polnisch Brzezinka - liegt etwa zwei Kilometer vom Sammellager entfernt. Auf dem Weg dorthin überquert man eine Eisenbahnbrücke, unter der ein Gewirr von Schienensträngen liegt. Wie eine Spinne im Netz, so erscheint Auschwitz auf der Schienenkarte Europas, verfügbar für den Vernichtungsplan, noch ehe der Ausrottungsplan geboren war. Einer dieser Stränge löst sich aus dem Netz und läuft schnurgerade auf ein Tor innerhalb eines turmartigen Mittelbaus mit flachen Seitengebäuden zu. Eine Höllenarchitektur: ein riesiges, aufgerissenes Maul, dessen gieriger Schlund Waggon um
Ziegelstein der alten Reiterkasernen zum Glühen bringt: trügerische Herbstidylle, Laubteppiche auf den schnurgeraden Lagerwegen, an deren Knotenpunkt der Galgen steht. Absichtslos verwandeln sich hier Gedanken in Sprache, die diesem Augenblick Dauer geben wollen. Auschwitz, »Brzezinka«, wird mir für den Rest des Lebens in Erinnerung bleiben:
Wenn auch der Stein
sich zu blühen bequemt,
die Birken
ihr Licht auf die Asche streun -
Licht,
Blendlicht. Verwirrlicht.
Brzezinka -
hier, Mensch,
lass alle Hoffnung fahren,
hier
endet
der Weg.
Am Tor des Stammlagers Auschwitz wartet Marta auf uns. Die Deutschen haben einen Teil ihrer Familie umgebracht. Marta führt die deutschen Gruppen. Sie begleitet uns, erklärt, wartet ab, schweigt,lässt uns selber finden, nachdenken, erschrecken. Wir beginnen beim Tor: »Arbeit macht frei.« Schon oft habe ich Bilder von diesem Eingangstor gesehen. Jetzt holt der Ort mich ein. Hier stand das Lagerorchester, spielte mit dem Leben der Häftlinge und um das eigene Leben. Wer hier aus dem Gleichschritt geriet, war verloren. Marta ist behutsam. Sie führt nicht, sie geht mit, erklärt, wartet ab, schweigt, gibt Raum zum Nachdenken ... Wir stehen stumm vor den gläsernen Wänden, hinter denen sich häuft, was von den Menschen übrig blieb, das Verwertbare: Prothesen, Schuhe, Brillengestelle, Haare, stumpfes, verfilztes Menschenhaar, Koffer mit dem Namen der Deportierten. Auf einem dieser Koffer entdecken wir die Aufschrift: Eva Pan der, Recklinghausen. Wir stehen davor, sehen hin, sehen verknäulte Gegenstände, die verrotten; denken: Millionen, während der Blicksich festsaugt an dem einen Namen: Eva Pander, ein Mensch aus unserer Nähe, die Daten aufspürbar vielleicht bei der Rückkehr. Die andern, sie bleiben hinter der Wand, die Ungeheuerlichkeit der Zahl macht sie gesichtslos. Stumm verlassen wir die Räume ...
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