Freitag, 25. November 2022

Arbeitsblatt zu "H a n s, m e i n I g e l" - Grimms Märchen # 108 (ATU 441) -

Zur Symptomatik des „behinderten Kind-Mannes“ im Grimmschen Märchen - als Fallbeispiel: "Hans der Igel" (KHM 108)

                                                - < Bild von Nikolaus Heidlelbach; in: Märchen der Brüder Gimm. Betz&Gelber < 

 

Folgende Symptome lassen sich bei "Hans mein Igel" erfassen - analysieren Sie die märchen-typischen Aufstellung als psychosexelle und medizinische Erarbeitung: ** Sozialer Druck, der zu Zwangsvorstellungen führt: eigenes Kind als unbefragtes Muß: Stärkung des sozialen Ansehens ** Emolionalität: statt Liebe - funktional-zweckgebundene Zeugung eines Kindes d. d. Vater ** Hohes (?) Alter der Eltern (als Risikofaktor bei der Mutter für die Gesundheit des Kindes in der modernen Medizin erkannt) ** Hautprobleme und Verhaltensprobleme (als atavistische, starke Behaarung oder Verschuppung des Körpers; Hyperaktivität des Säuglings) ** Schwierigkeiten beim Versuch des Stillens (Störung der Mutter-Kind-Dyade in der oralen Phase) ** Fluch (zeittypische Verwünschung), Zeichen der Ablehnung und un/bewußten Tötungsabsicht: als langandauernde Stigmatisierung, die eine Entwicklungsstörung verursacht: das Kind fühlt sich völlig abgelehnt, es muß einen Überlebenskampf führen ** Versuch der Mutter, Liebe und Zuwendung zu zeigen ** Schwacher Protest der Mutter führt zu Unterordnung unter die Gewalt des Vaters Entwicklungsstillstand über sieben Jahre hinweg ** (Wahrscheinlich) späte Sprachentwicklung: erst in der Phase, die unserem Schulkindalter entspricht ** Regression in die innere Welt, die Traumwelt (? Animismus)

 ** Änderung des babyhaften "Einrollens" mit acht Jahren (zu deuten als verspäteter Eintritt und schnelles Verlassen der Entwicklungsstufe des Kleinkindes) 

** Retardation: Rückzug, Flucht vor dem (starken) Vater 

** Verhaltensstörungen: Selbst-Isolation und Manien, Zwänge, Stereotypien in Handlungen statt kreativen Spiels und altersgerechter Entwicklung 

** Fixierung, Wahrnehmungsspezialisierung auf klanglich starke Reize (Anregungspotential der Musik) ** Besondere Begabung für musikalische Phänomene (bei Autisten genial eingestufte Fähigkeiten bei äußerer Anregung neben anderen Spezialbegabungen) 

 ** Selbständige Arbeitsleistungen außerhalb des Elternhauses, die zur Zufriedenheit und zum Erfolg durch Leistung führen 

** Kontakt mit "Reisenden" (mit anderen Menschen) als Ausweis seiner Fähigkeiten: Versuch, sich zu behaupten 

** Reifungsschritt zum Erwachsenenalter (Adoleszenz) hin: Erwachen der Sehnsucht nach Liebe oder Partnerschaft 

** Machtdemonstration: Bestrafung der Prinzessin durch einen Gewaltakt 

** Erwachsenwerdung in der Suche und Liebe zur richtigen Frau 

** Überwindung der eignen Behinderung, seines Andersseins (Ablgegen und Vernichtung seiner abstoßenden "Igelhaut") in der sexuellen Begegnung 

** "Schwarzer" Zustand der Nackheit = Hilflosigkeit, als Hilfsbedürftigkeit, Notwendigkeit der Zuwendung und ärztlichen Betreuung, um nachträglich zu reifen, würdig seiner neuen sozialen Stellung zu werden 

** (Er-)Lösung/Heilung (nach Zauber-Märchen-Art:) glückliche Liebe; Mann macht Frau glücklich 

** Aussöhnung mit dem Vater als letzter Schritt der Liebenden für ihre Zukunft (in der königlichen Welt)

(Möglicher) Klausurtext:  Rudolf Meyer: [Aus] Die Weisheit der deutschen Voksmärchen. Frankfurt/M. 1981. Fi-TB 5505. S. 234f. Voraussetzungen: Kenntnis des Märchens "Hans, mein Igel", der Text müßte für die Bearbeitung vorliegen; die Krankheitssymptome für den Autismus; psychosoziale Entwicklungskrisen nach dem Identitätskonzept der PSA Erik Eriksons (z. B. in der Fassung des Pädagogik-Arbeitsbuches "Gestörte Entwicklung und Sozialisation", erarbeitet von Heribert Fischer. Frankfurt/M 1985: Hirschgraben-Verlag (Nr. 128900). S. 43 - 53). 

Aufgabenstellung: 

 1. Erarbeiten Sie die Darstellung Meyers und kennzeichnen Sie seinen Ansatz! 

2. Welche Symptome für Autismus werden von Meyer erfaßt? Gibt es darüber hinaus im Märchentext noch definitive oder hypothetische Krankheitsmerkmale? Welche gehen über das Krankheitsbild Autismus hinaus? 

3. Welche psychosozialen Krisen (nach Erikson) durchläuft der Junge Hans? Welche Anforderungen kann er nicht integrieren in seine Identität? 

4. Meyer spricht in seiner Deutung von "zurückgehaltenen Kräften" des Lebenslaufs des Märchenhelden und von einer "imaginativ gehaltenen Biographie" <der Zauberei>. 

Erwartete Leistung(en): 

Setzen Sie sich auf dem Hintergrund der Ihnen bekannten Ursachen-Hypothesen mit diesen Deutungen auseinander! Eine katalogmäßige Typologie der Krankheitssymptome, der überlieferten physischen oder psychischen Krankheitsbilder von Märchenfiguren, gibt es nicht; lediglich in der Reifungs- und Ablösungs-Psychologie, in der Analyse der Verdrängungs- und in der Identifikationsproblematik ist eine Übertragung des modernen, realitätsgerechten, medizinischen Blicks auf althergebrachte Vorbilder und Symptome, als Fälle früheren normalen oder unnormalen Verhaltens, kranker oder wieder gesundeter Zustände, fassbar.  

Literatur: 

W.. Scherf. Bd, 1/2, 1995. S. 1513) Märchenausgaben mit dem vergleichbaren Typus ’Mensch/Igel': „Hans mein Igel“ (KHM 108) „Das Borstenkind“ In: Haltrich, Josef: Sächsische Volksmärchen aus Siebenbürgen. Hrsg. von Hanni Markel. Bukarest: Kriterion Verlag 1973. Hans Meschendörfer. München 6. Aufl. 1956. „Sohn Igel“ In: Else Byhan: Wunderbaum und goldener Vogel. Slowenische Volksmärchen. Kassel 1958: Röth. (Das Gesicht der Völker) „Von einem Igel und den Herrentöchtern“. In: Boehm, Max und Specht, Franz [Hrsg.]: Lettisch-litauische Volksmärchen. Jena: Diederichs 1924 (Deutsche Volksmärchen)  

 

Sekundärliteratur: 

Rudolf Meyer: [Aus] Die Weisheit der deutschen Volksmärchen. Frankfurt/M. 1981. Fi-TB 5505. S. 234f. Ingrid Riedel: Hans mein Igel. Wie ein abgelehntes Kind sein Glück findet. Zürich 1984: Kreuz-Verlag. R. Geiger: Hans mein Igel. In: R.G.: Märchenkunde. Stuttgart 1982. S. 450 - 463. I. Köhler. Hans mein Igel. In: Enzyklopädie des Märchens. 6, 494 - 498. (Krüger S. 46-48.) Liungman, Waldemar [Hrsg.]: Weißbär am See. Schwedische Volksmärchen von Böhuslän bis Gotland. Kassel 1965: Röth (Das Gesicht der Völker) S. 103; 361. Schmidt. Hans mein Igel. In: Brüder Grimm Gedenken. Hrsg. von Ludwig Denecke. (1963 ff.) S. 319-320. Uther, Hans-Jörg: Handbuch zu den „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm. Berlin/Bosten 2013. S. 232-235. XXX  

Vgl. bei Wiki den Artikel: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_mein_Igel

                                                             > Differenz: Mensch/tierisches Wesen <

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen