Mittwoch, 12. Juni 2019

Gaesdoncker L e h r e r -- Gedenken: Kurt A b e l s


Eine feine-kleine Ehrung:

ttps://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Abels



K u r t    A  b  e  l  s  


Ein Briefchen:


Sehr geehrter Herr Professor Abels!

Als Gaesdoncker, der sich gerne an Ihren Vertretungsunterricht (mehr gab's da leider nicht für meine Klasse) erinnert, möchte ich mich Ihnen vorstellen: Ich hatte Deutschuntericht bei Herrn Cornelius F., mit öden Kostbarkeiten wie Max Mells "Apostelspiel"; Gaisers geisterhafter Saga "Die sterbende Jagd", einem Fliegerroman, in dem Bombenkrieg, Ursachenbeschreibung des Faschismus und Widerstand gegen ihn nicht vorkamen. (Sonst hätten er - Autor und Roman - nach 1950 nicht so viel Erfolg gehabt...) Ich hoffe jedenfalls, daß ich in ignorantia mentis dem Gaiser kein Unrecht tue; ich habe den Roman aus Widerwillen gegen seinen zähflüssigen, häufig naturmagischen, einen gegenrealistischen Stil, post scholam, nicht mehr lesen können. Mit Hölderlin ging's da los nach dem Titelblatt (ich zitiere aus dem Fischer-TB-Band, im 100. Tausend damals schon; geschmückt mit dem Cover-Versprechen "Tragik des Krieges": "Darum geht schrecklich über / Der (sic!) Erde Diana, / Die Jägerin, und zornig, erhebt / Unendlicher Deutung voll, / Sein Antlitz über uns / Der Herr. Indes das Meer seufzt, wenn / Er kommt." (Ohne Quellenangabe bei Gaiser...) Und religiös-kupplerisch endet der Schmarren so: "Himmel und Wasser ein und dasselbe Blau. Nur ein dünner Streif, wo Gott bei den Menschen wohnte in seiner Gnade; eine Warft und zwei Dächer, das Land der Menschen, geborgen, verloren, ganz unerreichbar." (S. 199f.)

*

Sie erraten: Ich versuche mit dem Gedächtnis-Stand Gaesdonck fertig zu werden, indem ich Sie als Vorwand, als addressables Opfer nehme...

Doch noch eine Frage dazu:

Gab es damals in den stockstaubigen Kammern der Blumenstraße eigentlich Diskussionnen über solche und andere und zugemutete Lesestoffe? (In der OIII Cervantes' "Don Quijote"; vorher mal eben so ein demutsvoller, demütigend-unschuldsvoller "Parzifal"; eine Schmähung an einen (noch so kleinen) Geist, der sich entwicklen möchte, der Goethes "Prometheus" kennt und noch nicht verarbeitet hat und, Knaben gleich, der Disteln köpft, an Eichen dich und Bergeshöhn! Mußt mir meine ... Hütte...!) Wie stellte das Lehrer-man sich damals die Seelen von Jünglingen/Jungen vor, die nach dem Dritten Reich porös ob der Schatten des sog. 3. Reiches und dem Schweigen darüber nach historischer Erklärung wie ein Schwamm nach Netzung lechzten, nach humaner Zuversicht, ja Hoffnung - daß nicht wiederkehre der Schlamm des Unerlösten, die braune Flut, mit schwarzen U-Booten auf Tauchstation und Irrfahrt, mit Pilgern und Priestern auf romantisch inszenierten Rettungsfahrten, mit verquasten Einschlüssen im Watt, mit einem rettungslos (?) verminten Ufern, einer Brandung, hörbar im Schweigen?

Und wenn ich dann (später erst, bei der Suche nach Grund) auf die Lektüreangaben Ihrer Deutschklasse schielte, wurde mir mulmig, wurd' ich unruhig ob verlorener Jahre und des noch nicht gefundenen Ruhepols der eigenen Persönlichkeit. Da hätte ich doch bei Ihnen eine gehaltvollere Nahrung für meine Deutsch- und Literaturinteressen gefunden!

Sie sehen, derweil ich Ihnen die Zeit raube, beschäftige ich mich mit der damaligen steril-betulichen, nicht wissenden Gaesdonck als anhaltendem Phänomen - Anlaß und Grund des Briefes sind miraber Ihr Erinnerungsbuch, das ich erst vorige Woche in die Finger

ekam - und in anderthalb Tagen auslas. (Wie sehr man, pardon: ich, profitiere als Leser von einer (wohl) jahrelangen Arbeit an und in Ihren Erinnerungen und in der Teilnahme an den von Ihnen mitgeteilten Geschichtsquellen - fühle mich fast als Schmarotzer, da ich die Mühen Ihrer Erinnerung und Ihrer Zeit ja nicht aufbringen kann, nicht muß. Aber so funktioniert wohl Kultur als Pflege eines einsamen und gemeinsamen Landstrichs, hinausgesendet als Hoffnungsmarke, als Boje im Trüb-Nassen, daß einer sich hinausrette - oder mehrere - in der produktiven Nach-Lese Ihres Berichts...)

Schon nach den ersten Seiten schrieb ich Herrn van der Linde an; um ihn über Ihr Buch zu informieren; auch um zu fragen, ob Sie als Beiträger der Gaesdoncker Festschrift im Herbst (Jubiläum! Erinnerungs-Ge- oder Verbot? Zeit-Anhalt! Wahrschreibe-Gelegenheit?) angeschrieben wurden. Ich erwarte jedenfalls etwas (eine Aufsatz, eine Betrachtung) von Ihnen - denn: Das ist meine deutlichste Erinnerung an Sie: Sie pflegten einen freundlichen, nachdenklichen, erarbeitenden, nicht dozierenden Unterrichtsstil (den ich später auch versuchte); Ihre Gesten, vorsichtig formulierend zur Stirn zu fahren, um der Gedanken Geburt wie mit einer Streicheleinheit mitzubegleiten, ist mir als deutlichstes Signal Ihrer Unterrichtskunst haften geblieben. Ja, ich bin auch Deutschlehrer, bin zur Zeit beurlaubt, werde aber wieder in den Dienst gehen; zehn Jahre noch, das ist zu schaffen, bis zur Pensionierung.

Neben eigenen Aufzeichnungen schreibe ich auch Geschichten, fast alle durch den Schatz der Schulerfahrungen geprägt.

Da nutzte ich auch die von Ihnen geschilderte Mörike-Stunde für Luftwaffenhelfer zu einem Entwurf...

Wohl bin ich mir der Gefahr einer falschen Aktualisierung bewußt; stocke aber im Augenblick, den ersten, schnell-intuitven Entwurf zu verändern - so lege ich Ihnen die Story einfach mal vor. Hoffentlich kann man herauslesen, daß ich nicht den Mörike, sondern den ebenso Eduard genannten Lehrer und Schwaben treffend zeichnen will. Mich beschäftigt nämlich Mörike, seit ich als Quartaner am Paulinum in Münster eine völlig sinnlose Prüfungsstunde eines bemitleidenswerten Assesssors miterlebte, Thema der Qual: "Der Feuerreiter"; später habe ich meine erste Staatsexamensarbeit über die Frühfassung "Romanze vom wahnsinnigen Feuerreiter" geschrieben; die Ballade habe ich aber selber nur einmal in der Oberstufe, in einem LK Deutsch, behandelt. Sonst halte ich sie für Uni-Semester-Stoff.

*

Nehmen Sie bitte, nach überlanger Einleitung, den herzlichen Ausdruck meiner hellen Freunde über die rheinische und deutsche Geschichts- und Seelenerkundung Ihres Buches an! (Aufforderungssätzchen!)

Am Wochenende werde ich Ihr Buch meinem Sohn, Jura-Student in Bielefeld, mitgeben; er interessiert sich besonders für deutsche und undeutsche Geschichte, auch die Militärtechnik der Faschisten - und wußte natürlich, als ich mich einmal versprach, daß der Stuka eine Ju 87 war...

Eine Frage schlich sich da bei mir ein: Wo mögen damals V2-Rakten abgeschossen worden sein, daß Sie sie aufsteigend in Kirchhellen wahrnehmen konnten? (S. 97) Gab's östlich von Haltern auf dem Schießgelände Startbasen?

Sorry für meinen langen Hin- und Her-Brief; aber als Gaesdoncker und späterer Deutschlehrer habe ich eben mein unsichtbares Feld von Gedankenlinien und Querverindungen zu eigenen Lebensfragen vor den Augen und der Seele.

Auch meiner Mutter hätte ich gerne Ihr Buch geschenkt. Sie hatte als einfache Landarbeiter-Ehefrau - ja, auch sie war Landarbeiterin, mehr mit Vieh; Haus- und Gartenarbeit beschäftigt als mit den Bedürfnissen der Gefühlswelt ihrer acht Kinder - Sie hatte für das Geistes- und Lebensdesaster (im christlichen Deutschland!) vor 45 einen Ausrede, die mir jetzt wieder einfiel: "Hej - gemeint war Hitler - hätt de Jödde nich kapott maken dörve...." - eine niedlich-dumme Einsicht, die vertuscht, daß der Faschismus von vornherein eine inhumane, barbarische Rassenideologie betrieb - auf Kosten aller durch Versklavung, Krieg oder Tötung zu unterdrückenden anderen Religionen und Ethnien - den Deutschen ein Herren-Dasein und verquast animalisch kollektive und germanische Religionsgefühle zu ermöglichen.

Als noch 44 Geborener bin ich Gott und den Alliierten (wem mehr? Ich weiß es nicht!) dankbar, daß die Nazis so ungeduldig und frech waren, so neurotisch undiszipliniert, so grenzenlos idealistisch-heldenhaft, so geck-überstürzt waren, so eilig und frühzeitig den Krieg über ganz Europa zu treiben, daß ihre wirkliche technische Überlegenheit (wie ja ab 35 das große und neuartige Raketenprogramm in Peenemünde beweist) zu spät und nicht mehr effektiv und dann wahnwitz-sinnlos eingesetzt werden mußte - mit den irrwitzigen Menschenopfern (Hekatomben Ihrer Generation, der vor meiner) Und kein Bischof hat je deswegen protestiert! Oder sehen Sie das als Historiker anders?

Von Galen schrieb noch Anfang 45 unter den alliierten Luftangriffen in Münster von "Heimsuchungen Gottes", statt von kriegsbeendenden Maßnahmen, von Freiheitsbedürfnissen zu sprechen - oder von christlicher Schuld! (Zu viel verlangt? Zu streng geurteilt?) Bbrr, was für eine Menschenheimsuchung, weil -täuschung der selektiven Wahrheitsverwalter! Und, ja: Gotteslästerung der geschichtsblinden Seelenhüter und Mitmacher aus Denkfaulheit und vermeintlichem Konservatismus! Bei gleichzeitig behaupteter und im Herrschaftsbereich praktizierter Unfehlbarkeit! (Ach, setze ich mal hinzu: Nur in Dogmenentscheidungen, ex cathedra und solchen Fisimatenten? Einen Menschen als Versuchsmuster, ja, nun, aller Juden, opfern zu lassen - und keine Enzyklika gegen den Faschismus schreiben, ist allerdings Fehlbarkeit! Auf der jahrhundertealten Tradition von Inquisition, Machtkämpfe und verweigerter Nächsten- und Feindesliebe - kein Wunder, nur definitive Menschlichkeit bei maßlosem Stellvertreter-Anspruch... Ich vermute: geistig-emotionale Schwäche aus Desinteresse, fehlende Empathie mit dem Nächsten...)

Nehmen Sie, bitte, meinen (nicht nur ironischen) verbalen Ausreißer nicht persönlich! Ich weiß ja z.B. auch nicht, was Sie weggehen ließ von der so scheinidylischen Gaesdonck - dem Ort und Hort zölibatärer und geistiger Unzucht! Wobei ich mich - bei Klassentreffen - gewundert habe, wie wenig diese Gefühllosigkeiten und psychologischen Unfähigkeiten, sich in junge Menschen reinzuversetzen, geschweige, sich mit ihren Bedürfnissen zu identifizieren oder auseinanderzusetzen, damals vermerkt wurden - wohl nur bei den Opfern dieses Kastens, die schwups, von einem auf den anderen Tag - ohne Erklärung, ohne Einsicht - verschwunden waren. Und ich mußte mir die dummen Witze von Geistlichen und Lehrern anhören, nachdem Dr. R. Baumeister verunglückt war - sie meinten wohl, bei mir Verständnis oder so etwas Humoriges Kurt Abels – ein Gaesdoncker Lehrer...

(über ihn werde ich noch berichten...)

 

http://www.aisthesis.de/images/cover/abels.jpg

 

http://www.aisthesis.de/index.html

 

[Jungsoldaten-Unterricht, Mörike und Heizprobleme...]

 

Endes des zweiten Weltkrieg am Rande Ruhrgebietes: Kindersoldaten erleben Luftangriff, Tod und Vergeltungswaffen, Einübung in Mörike-Sentimentalität und Heizungsprobleme

 

Kurt Abels berichtet über seine „soldatische“ Zeit als „Luftwaffenhelfer“ zwischen Januar 1944 und Juni 1945 in Düsseldorf und ihm Ruhrgebiet:

 

Bei der Rückmeldung teilte mir der Zugführer mit, daß ich zu einem anderen Zug derselben Batterie versetzt worden sei. Einen Grund für die Versetzung nannte er nicht. Die Stellung des anderen Zuges befand sich im Süden des Flugfeldes an der Straße von Kirchhellen nach Hünxe. In der Luftwaffenhelfer-Baracke erfuhr ich, daß ein anderer ebenfalls dorthin versetzter Kamerad meine Sachen, d. h. die in die graue Wolldecke ver­knoteten Habseligkeiten, in die Schulbaracke mitgenommen habe. Von dort könne ich sie am nächsten Mittag nach dem Unterricht in die andere Stellung mitnehmen. Das waren meh­rere Neuigkeiten auf einmal. Anfang Januar hatte also der Schulunterricht nach einer Unterbrechung von mehreren Mona­ten wieder begonnen. Daß es eine „Schulbaracke“ gab, wußte ich nicht. Ich sollte mit ihr bald eine unangenehme Erfahrung machen. Die Nacht verbrachte ich noch in der Stellung in den Heide-Dünen, die ich nur noch einmal, fast zwei Monate da­nach, wiedersehen sollte.

Am nächsten Morgen meldete ich mich in der Schule. Der eine der beiden Lehrer, Herr Zebisch, war wie zuletzt im Au­gust 1944 für die Mathematik zuständig, und da er uns nicht nur in den wenigen Wochen des Schuljahres unterrichtet hatte, sondern auch derselben Schule angehörte wie eine Reihe der Luftwaffenhelfer, darunter ich, war er zugleich der verantwortli­che Klassenlehrer, der dann in der zweiten Märzhälfte, als kaum jemand noch an Schule dachte, die Abgangszeugnisse schrieb. Der andere Lehrer, Dr. Schätzle, war mir unbekannt. Er kam von einer anderen Düsseldorfer Mittelschule. Obgleich er schon älter war, fuhr er Motorrad und erzählte von Fahrten, die er vor dem Krieg in Süddeutschland unternommen hatte. Er löste den älteren Lehrer, Herrn Napp, ab, der offenbar das Pensionsalter erreicht hatte. Dr. Schätzle war Schwabe und hatte eine Vorlie­be für schwäbische Dichter, die er uns im Deutschunterricht nahezubringen versuchte. Ein solcher vergeblicher Versuch bewirkte einen Zusammenstoß zwischen Lehrer und Schülern.

Eines Morgens eröffnete er nämlich den Unterricht, indem er das Gedicht „Das verlassene Mägdlein" von Eduard Mörike vorlas; vielleicht bewog ihn der dunkle, unfreundliche Morgen dazu. Dann forderte er uns au£ die Qualitäten des Gedichtes nachzuempfinden oder zu erkennen. Dazu war anscheinend kaum einer, ich jedenfalls nicht, in der Lage. Vielmehr bemüh­ten wir uns mit unseren schülerhaften, unbeholfenen Worten auszudrücken, daß uns ein Mädchen, das Feuer anmacht und dabei darüber klagt, daß es von seinem Freund verlassen wor­den sei, völlig egal sei, es gehe uns nichts an. Der Lehrer hatte wohl geglaubt, daß der trübe, nebligkalte Morgen, der triste Schulweg, der Aufenthalt in der von einem Ofen geheizten, aber sonst wenig anheimelnden Schulbaracke mit ihren häßlichen Holztischen und den Standard-Flakschemeln einen günstigen Einstieg in die .Behandlung1 oder .Durchnahme' des Gedichtes bieten würden. Die Auseinandersetzung wurde heftiger. „Mägdlein" und „Knabe" erschienen uns als abwegige Wörter; in der rein männlichen Umgebung war ein ganz anderes Voka­bular geläufig. „Der Flamme Schein" und „das Verschwinden der Sternlein" ließen das Gedicht als anachronistisch und des­halb unpassend erscheinen. Schließlich brach Dr. Schätzle die Stunde ab. Aus der Rückschau betrachtet haben wir, wenn nicht dem Lehrer, so doch Eduard Mörike und seinem Gedicht un­recht getan. Das Gedicht wirkt trotz oder vielleicht wegen der Schulstunde an diesem Morgen im Januar 1945 nach. Ich lernte seine literarische Qualität erkennen und habe es nie mehr aus dem Gedächtnis verloren.

Wie im Gedicht das Feueranzünden die traurigen Assozia­tionen des verlassenen Mädchens hervorruft, so verursachte die Notwendigkeit, in der Schulbaracke den Ofen zu heizen, einen zweiten Zusammenstoß zwischen Dr. Schätzle und Schülern, diesmal unmittelbar zwischen ihm und mir. Jeden Morgen wa­ren im Wechsel zwei der Schüler verpflichtet, eine Viertelstunde vor Beginn des Unterrichts den Ofen in der Baracke anzuheizen. In der ersten Januarhälfte nun erinnerte ich mich an die Zahn­behandlung, die im August begonnen hatte, im September fort­gesetzt, aber nicht zu Ende gerührt worden war. Ich ersuchte also um die Erlaubnis, im Militärlazarett in Dorsten zum Zahn­arzt zu gehen. Dieser behandelte mich, war aber mehr als an dem kranken Zahn daran interessiert, daß ich mich häufiger rasiere. Nach der Untersuchung entschied er, daß der Zahn gezogen werden müsse. Dazu bestellte er mich an einem der nächsten Vormittage ein. Dies war unglücklicherweise der Tag, an dem ich an der Reihe war, den Ofen im Schulraum zu bedie­nen. Ich glaubte aber trotzdem zum Zahnarzt gehen zu können, weil der andere Luftwaffenhelfer zum Heizen auch allein in der Lage war. Als dieser, Gerhard F., ein zwar großer und starker, aber nicht besonders aufgeweckter Mitschüler, hörte, daß ich zum Zahnarzt bestellt war, meinte er, er müsse auch mal wieder seine Zähne nachsehen lassen und gehe mit. Weil er sich erst spät dazu entschloß, fand sich niemand, der das Anheizen über­nehmen wollte. Deshalb blieb die Schulbaracke kalt, und als Dr. Schätzle dies wahrnahm, fing er nicht mit dem Unterricht an, sondern

schickte die Luftwaffenhelfer in die Stellungen zurück, begab sich selbst in die Dienststelle der Batterie und informierte den Hauptwachtmeister über das unerwartete und in seinen Augen unerhörte Vorkommnis.

Als Gerhard F. und ich mittags in die Stellung zurückkehr­ten, er in der Gewißheit, daß seine Zähne in Ordnung seien, ich mit einer noch steifen, gefühllosen Gesichtshälfte und ohne den Zahn, der mir gezogen worden war, lag der Befehl vor, daß wir uns umgehend beim Stab und dem Hauptwachtmeister zu mel­den hätten. Dieser verhörte uns, wütete über unsere Pflichtver­gessenheit, und es gelang mir nicht, ihm klarzumachen, daß ich doch in die Klinik bestellt gewesen sei, was angesichts des mili­tärischen Dienstrangs des Zahnarztes für mich einem Befehl gleichgekommen sei. Für ihn waren wir beide Schlawiner und Drückeberger, die für ihr Verhalten gehörig bestraft werden müßten, und zwar damit, daß wir für die nächste Zeit den Ofendienst in der Schulbaracke allein zu versehen hätten.

Diese Strafe traf mich weniger hart als die auch durch Dummheit nicht gemilderte Unkameradschaftlichkeit des Gerhard F. Am meisten aber verletzte mich das Verhalten des Leh­rers. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich Lehrer immer als Ge-

genpart zu den befehlenden, oft rohen Vertretern der nichtzivi­len Welt, vor allem der H[, aber auch des Militärs, angesehen und geschätzt und - wenn auch selten - erlebt, daß sie vernünf­tige Ansprüche gegenüber unvernünftigen Anordnungen durch­zusetzen versuchten, nicht immer ohne Erfolg. Und nun schwärzte mich ein Lehrer um seiner Bequemlichkeit willen bei den militärischen Vorgesetzten an, weil er nicht warten wollte, bis der Raum zehn Minuten nach Beginn des Unterrichts warm wäre. Ich war tief enttäuscht über das Verhalten dieses Lehrers.

Die Zugstellung an der Straße, die den Südrand des Flug­platzes Kirchhellen begrenzte, unterschied sich in mancher Hinsicht von den Stellungen, in denen ich bis dahin gewesen war. Der Umgangston zwischen dem Zugführer, den Soldaten und den Luftwaffenhelfern war offener, kooperativer, fast kame­radschaftlich, wenn auch gelegentlich durch Interventionen nicht ganz dazu gehörender Personen gestört. Die Stellung lag auf einer weiten ebenen Fläche, die einen guten Rundblick er­möglichte. Wir konnten weit nach Osten sehen und Bomben­angriffe auf Städte im nördlichen Ruhrgebiet und das Aufsteigen von V2-Raketen wahrnehmen. Von Westen, vom Niederrhein l her, war von Anfang Februar an das fast ununterbrochene Artil­leriefeuer der Front zu hören. Nach Süden zu senkte sich das Gelände etwas, und ein Birkenwäldchen unweit der Baracken wurde zu einem häufig aufgesuchten Ort, weil hier Stämme geschlagen und in Stücke von etwa 80 cm Länge zum Bau von Knüppeldämmen zersägt wurden. Der kooperative Charakter des Zusammenlebens zeigte sich in einer gleichmäßigen Bela­stung aller ohne Unterschied im Wachdienst. Jeder mußte in jeder Nacht 20 Minuten auf Wache ziehen. Der lange und schwere Wachmantel, das Gewehr und die mit wärmendem Stroh ausgefüllten Holzschuhe wechselten also in einer Nacht­stunde dreimal von Träger zu Träger. Die Gespräche zwischen Unteroffizieren, Soldaten und Luftwaffenhelfern waren offen. Nach dem Anhören der Rundfunkrede Hitlers am 30. Januar 45 setzte mich die unter den Flaksoldaten verbreitete Meinung in Erstaunen, daß die einzige geheime Waffe, die uns noch helfen könnte, das Zusammengehen der westlichen Kriegsgegner mit uns gegen die Russen sein würde.

*

KriKurt Abels: Ein Held war ich nicht. Als Kind und Jugendlicher in Hitlers eg. Köln, Weimar, Wien 1998: Böhlau Verlag. S. 94 - 98

voraussetzen zu können. Übrigens: Ich habe dort noch 65 Abitur gemacht. Nachdem mir Dr. R.-Baumeister die himmlisch-irdische Köstlichkeit "So zärtlich war Suleyken" (Siegfried Lenz!) konfisziert hatte... Vielleicht war das 61/62 mal Gesprächsthema unter Lehrern?? Würde mich interessieren, was Sie erfuhren...

Für heute - Schluß meiner Suche, meiner Versuche:

Ich wünsche, Sie einmal auf der Gaesdonck bei einer Lesung und einer Diskussion zu erleben!!

 Sehr geehrter Herr Professor Abels!

Als Gaesdoncker, der sich gerne an Ihren Vertretungsunterricht (mehr gab's da leider nicht für meine Klasse) erinnert, möchte ich mich Ihnen vorstellen: Ich hatte Deutschuntericht bei Herrn Cornelius F., mit öden Kostbarkeiten wie Max Mells "Apostelspiel"; Gaisers geisterhafter Saga "Die sterbende Jagd", einem Fliegerroman, in dem Bombenkrieg, Ursachenbeschreibung des Faschismus und Widerstand gegen ihn nicht vorkamen. (Sonst hätten er - Autor und Roman - nach 1950 nicht so viel Erfolg gehabt...) Ich hoffe jedenfalls, daß ich in ignorantia mentis dem Gaiser kein Unrecht tue; ich habe den Roman aus Widerwillen gegen seinen zähflüssigen, häufig naturmagischen, einen gegenrealistischen Stil, post scholam, nicht mehr lesen können. Mit Hölderlin ging's da los nach dem Titelblatt (ich zitiere aus dem Fischer-TB-Band, im 100. Tausend damals schon; geschmückt mit dem Cover-Versprechen "Tragik des Krieges": "Darum geht schrecklich über / Der (sic!) Erde Diana, / Die Jägerin, und zornig, erhebt / Unendlicher Deutung voll, / Sein Antlitz über uns / Der Herr. Indes das Meer seufzt, wenn / Er kommt." (Ohne Quellenangabe bei Gaiser...) Und religiös-kupplerisch endet der Schmarren so: "Himmel und Wasser ein und dasselbe Blau. Nur ein dünner Streif, wo Gott bei den Menschen wohnte in seiner Gnade; eine Warft und zwei Dächer, das Land der Menschen, geborgen, verloren, ganz unerreichbar." (S. 199f.)

*

Sie erraten: Ich versuche mit dem Gedächtnis-Stand Gaesdonck fertig zu werden, indem ich Sie als Vorwand, als addressables Opfer nehme...

Doch noch eine Frage dazu:

Gab es damals in den stockstaubigen Kammern der Blumenstraße eigentlich Diskussionnen über solche und andere und zugemutete Lesestoffe? (In der OIII Cervantes' "Don Quijote"; vorher mal eben so ein demutsvoller, demütigend-unschuldsvoller "Parzifal"; eine Schmähung an einen (noch so kleinen) Geist, der sich entwicklen möchte, der Goethes "Prometheus" kennt und noch nicht verarbeitet hat und, Knaben gleich, der Disteln köpft, an Eichen dich und Bergeshöhn! Mußt mir meine ... Hütte...!) Wie stellte das Lehrer-man sich damals die Seelen von Jünglingen/Jungen vor, die nach dem Dritten Reich porös ob der Schatten des sog. 3. Reiches und dem Schweigen darüber nach historischer Erklärung wie ein Schwamm nach Netzung lechzten, nach humaner Zuversicht, ja Hoffnung - daß nicht wiederkehre der Schlamm des Unerlösten, die braune Flut, mit schwarzen U-Booten auf Tauchstation und Irrfahrt, mit Pilgern und Priestern auf romantisch inszenierten Rettungsfahrten, mit verquasten Einschlüssen im Watt, mit einem rettungslos (?) verminten Ufern, einer Brandung, hörbar im Schweigen?

Und wenn ich dann (später erst, bei der Suche nach Grund) auf die Lektüreangaben Ihrer Deutschklasse schielte, wurde mir mulmig, wurd' ich unruhig ob verlorener Jahre und des noch nicht gefundenen Ruhepols der eigenen Persönlichkeit. Da hätte ich doch bei Ihnen eine gehaltvollere Nahrung für meine Deutsch- und Literaturinteressen gefunden!

Sie sehen, derweil ich Ihnen die Zeit raube, beschäftige ich mich mit der damaligen steril-betulichen, nicht wissenden Gaesdonck als anhaltendem Phänomen - Anlaß und Grund des Briefes sind miraber Ihr Erinnerungsbuch, das ich erst vorige Woche in die Finger

ekam - und in anderthalb Tagen auslas. (Wie sehr man, pardon: ich, profitiere als Leser von einer (wohl) jahrelangen Arbeit an und in Ihren Erinnerungen und in der Teilnahme an den von Ihnen mitgeteilten Geschichtsquellen - fühle mich fast als Schmarotzer, da ich die Mühen Ihrer Erinnerung und Ihrer Zeit ja nicht aufbringen kann, nicht muß. Aber so funktioniert wohl Kultur als Pflege eines einsamen und gemeinsamen Landstrichs, hinausgesendet als Hoffnungsmarke, als Boje im Trüb-Nassen, daß einer sich hinausrette - oder mehrere - in der produktiven Nach-Lese Ihres Berichts...)

Schon nach den ersten Seiten schrieb ich Herrn van der Linde an; um ihn über Ihr Buch zu informieren; auch um zu fragen, ob Sie als Beiträger der Gaesdoncker Festschrift im Herbst (Jubiläum! Erinnerungs-Ge- oder Verbot? Zeit-Anhalt! Wahrschreibe-Gelegenheit?) angeschrieben wurden. Ich erwarte jedenfalls etwas (eine Aufsatz, eine Betrachtung) von Ihnen - denn: Das ist meine deutlichste Erinnerung an Sie: Sie pflegten einen freundlichen, nachdenklichen, erarbeitenden, nicht dozierenden Unterrichtsstil (den ich später auch versuchte); Ihre Gesten, vorsichtig formulierend zur Stirn zu fahren, um der Gedanken Geburt wie mit einer Streicheleinheit mitzubegleiten, ist mir als deutlichstes Signal Ihrer Unterrichtskunst haften geblieben. Ja, ich bin auch Deutschlehrer, bin zur Zeit beurlaubt, werde aber wieder in den Dienst gehen; zehn Jahre noch, das ist zu schaffen, bis zur Pensionierung.

Neben eigenen Aufzeichnungen schreibe ich auch Geschichten, fast alle durch den Schatz der Schulerfahrungen geprägt.

Da nutzte ich auch die von Ihnen geschilderte Mörike-Stunde für Luftwaffenhelfer zu einem Entwurf...

Wohl bin ich mir der Gefahr einer falschen Aktualisierung bewußt; stocke aber im Augenblick, den ersten, schnell-intuitven Entwurf zu verändern - so lege ich Ihnen die Story einfach mal vor. Hoffentlich kann man herauslesen, daß ich nicht den Mörike, sondern den ebenso Eduard genannten Lehrer und Schwaben treffend zeichnen will. Mich beschäftigt nämlich Mörike, seit ich als Quartaner am Paulinum in Münster eine völlig sinnlose Prüfungsstunde eines bemitleidenswerten Assesssors miterlebte, Thema der Qual: "Der Feuerreiter"; später habe ich meine erste Staatsexamensarbeit über die Frühfassung "Romanze vom wahnsinnigen Feuerreiter" geschrieben; die Ballade habe ich aber selber nur einmal in der Oberstufe, in einem LK Deutsch, behandelt. Sonst halte ich sie für Uni-Semester-Stoff.

*

Nehmen Sie bitte, nach überlanger Einleitung, den herzlichen Ausdruck meiner hellen Freunde über die rheinische und deutsche Geschichts- und Seelenerkundung Ihres Buches an! (Aufforderungssätzchen!)

Am Wochenende werde ich Ihr Buch meinem Sohn, Jura-Student in Bielefeld, mitgeben; er interessiert sich besonders für deutsche und undeutsche Geschichte, auch die Militärtechnik der Faschisten - und wußte natürlich, als ich mich einmal versprach, daß der Stuka eine Ju 87 war...

Eine Frage schlich sich da bei mir ein: Wo mögen damals V2-Rakten abgeschossen worden sein, daß Sie sie aufsteigend in Kirchhellen wahrnehmen konnten? (S. 97) Gab's östlich von Haltern auf dem Schießgelände Startbasen?

Sorry für meinen langen Hin- und Her-Brief; aber als Gaesdoncker und späterer Deutschlehrer habe ich eben mein unsichtbares Feld von Gedankenlinien und Querverindungen zu eigenen Lebensfragen vor den Augen und der Seele.

Auch meiner Mutter hätte ich gerne Ihr Buch geschenkt. Sie hatte als einfache Landarbeiter-Ehefrau - ja, auch sie war Landarbeiterin, mehr mit Vieh; Haus- und Gartenarbeit beschäftigt als mit den Bedürfnissen der Gefühlswelt ihrer acht Kinder - Sie hatte für das Geistes- und Lebensdesaster (im christlichen Deutschland!) vor 45 einen Ausrede, die mir jetzt wieder einfiel: "Hej - gemeint war Hitler - hätt de Jödde nich kapott maken dörve...." - eine niedlich-dumme Einsicht, die vertuscht, daß der Faschismus von vornherein eine inhumane, barbarische Rassenideologie betrieb - auf Kosten aller durch Versklavung, Krieg oder Tötung zu unterdrückenden anderen Religionen und Ethnien - den Deutschen ein Herren-Dasein und verquast animalisch kollektive und germanische Religionsgefühle zu ermöglichen.

Als noch 44 Geborener bin ich Gott und den Alliierten (wem mehr? Ich weiß es nicht!) dankbar, daß die Nazis so ungeduldig und frech waren, so neurotisch undiszipliniert, so grenzenlos idealistisch-heldenhaft, so geck-überstürzt waren, so eilig und frühzeitig den Krieg über ganz Europa zu treiben, daß ihre wirkliche technische Überlegenheit (wie ja ab 35 das große und neuartige Raketenprogramm in Peenemünde beweist) zu spät und nicht mehr effektiv und dann wahnwitz-sinnlos eingesetzt werden mußte - mit den irrwitzigen Menschenopfern (Hekatomben Ihrer Generation, der vor meiner) Und kein Bischof hat je deswegen protestiert! Oder sehen Sie das als Historiker anders?

Von Galen schrieb noch Anfang 45 unter den alliierten Luftangriffen in Münster von "Heimsuchungen Gottes", statt von kriegsbeendenden Maßnahmen, von Freiheitsbedürfnissen zu sprechen - oder von christlicher Schuld! (Zu viel verlangt? Zu streng geurteilt?) Bbrr, was für eine Menschenheimsuchung, weil -täuschung der selektiven Wahrheitsverwalter! Und, ja: Gotteslästerung der geschichtsblinden Seelenhüter und Mitmacher aus Denkfaulheit und vermeintlichem Konservatismus! Bei gleichzeitig behaupteter und im Herrschaftsbereich praktizierter Unfehlbarkeit! (Ach, setze ich mal hinzu: Nur in Dogmenentscheidungen, ex cathedra und solchen Fisimatenten? Einen Menschen als Versuchsmuster, ja, nun, aller Juden, opfern zu lassen - und keine Enzyklika gegen den Faschismus schreiben, ist allerdings Fehlbarkeit! Auf der jahrhundertealten Tradition von Inquisition, Machtkämpfe und verweigerter Nächsten- und Feindesliebe - kein Wunder, nur definitive Menschlichkeit bei maßlosem Stellvertreter-Anspruch... Ich vermute: geistig-emotionale Schwäche aus Desinteresse, fehlende Empathie mit dem Nächsten...)

Nehmen Sie, bitte, meinen (nicht nur ironischen) verbalen Ausreißer nicht persönlich! Ich weiß ja z.B. auch nicht, was Sie weggehen ließ von der so scheinidylischen Gaesdonck - dem Ort und Hort zölibatärer und geistiger Unzucht! Wobei ich mich - bei Klassentreffen - gewundert habe, wie wenig diese Gefühllosigkeiten und psychologischen Unfähigkeiten, sich in junge Menschen reinzuversetzen, geschweige, sich mit ihren Bedürfnissen zu identifizieren oder auseinanderzusetzen, damals vermerkt wurden - wohl nur bei den Opfern dieses Kastens, die schwups, von einem auf den anderen Tag - ohne Erklärung, ohne Einsicht - verschwunden waren. Und ich mußte mir die dummen Witze von Geistlichen und Lehrern anhören, nachdem Dr. R. Baumeister verunglückt war - sie meinten wohl, bei mir Verständnis oder so etwas Humoriges Kurt Abels – ein Gaesdoncker Lehrer...

(über ihn werde ich noch berichten...)

 

http://www.aisthesis.de/images/cover/abels.jpg

 http://www.aisthesis.de/index.html

 [Jungsoldaten-Unterricht, Mörike und Heizprobleme...]

 Endes des zweiten Weltkrieg am Rande des Ruhrgebietes: Kindersoldaten erleben Luftangriff, Tod und Vergeltungswaffen, Einübung in Mörike-Sentimentalität und Heizungsprobleme

 Kurt Abels berichtet über seine „soldatische“ Zeit als „Luftwaffenhelfer“ zwischen Januar 1944 und Juni 1945 in Düsseldorf und ihm Ruhrgebiet:

 

Bei der Rückmeldung teilte mir der Zugführer mit, daß ich zu einem anderen Zug derselben Batterie versetzt worden sei. Einen Grund für die Versetzung nannte er nicht. Die Stellung des anderen Zuges befand sich im Süden des Flugfeldes an der Straße von Kirchhellen nach Hünxe. In der Luftwaffenhelfer-Baracke erfuhr ich, daß ein anderer ebenfalls dorthin versetzter Kamerad meine Sachen, d. h. die in die graue Wolldecke ver­knoteten Habseligkeiten, in die Schulbaracke mitgenommen habe. Von dort könne ich sie am nächsten Mittag nach dem Unterricht in die andere Stellung mitnehmen. Das waren meh­rere Neuigkeiten auf einmal. Anfang Januar hatte also der Schulunterricht nach einer Unterbrechung von mehreren Mona­ten wieder begonnen. Daß es eine „Schulbaracke“ gab, wußte ich nicht. Ich sollte mit ihr bald eine unangenehme Erfahrung machen. Die Nacht verbrachte ich noch in der Stellung in den Heide-Dünen, die ich nur noch einmal, fast zwei Monate da­nach, wiedersehen sollte.

Am nächsten Morgen meldete ich mich in der Schule. Der eine der beiden Lehrer, Herr Zebisch, war wie zuletzt im Au­gust 1944 für die Mathematik zuständig, und da er uns nicht nur in den wenigen Wochen des Schuljahres unterrichtet hatte, sondern auch derselben Schule angehörte wie eine Reihe der Luftwaffenhelfer, darunter ich, war er zugleich der verantwortli­che Klassenlehrer, der dann in der zweiten Märzhälfte, als kaum jemand noch an Schule dachte, die Abgangszeugnisse schrieb. Der andere Lehrer, Dr. Schätzle, war mir unbekannt. Er kam von einer anderen Düsseldorfer Mittelschule. Obgleich er schon älter war, fuhr er Motorrad und erzählte von Fahrten, die er vor dem Krieg in Süddeutschland unternommen hatte. Er löste den älteren Lehrer, Herrn Napp, ab, der offenbar das Pensionsalter erreicht hatte. Dr. Schätzle war Schwabe und hatte eine Vorlie­be für schwäbische Dichter, die er uns im Deutschunterricht nahezubringen versuchte. Ein solcher vergeblicher Versuch bewirkte einen Zusammenstoß zwischen Lehrer und Schülern.

Eines Morgens eröffnete er nämlich den Unterricht, indem er das Gedicht „Das verlassene Mägdlein" von Eduard Mörike vorlas; vielleicht bewog ihn der dunkle, unfreundliche Morgen dazu. Dann forderte er uns au£ die Qualitäten des Gedichtes nachzuempfinden oder zu erkennen. Dazu war anscheinend kaum einer, ich jedenfalls nicht, in der Lage. Vielmehr bemüh­ten wir uns mit unseren schülerhaften, unbeholfenen Worten auszudrücken, daß uns ein Mädchen, das Feuer anmacht und dabei darüber klagt, daß es von seinem Freund verlassen wor­den sei, völlig egal sei, es gehe uns nichts an. Der Lehrer hatte wohl geglaubt, daß der trübe, nebligkalte Morgen, der triste Schulweg, der Aufenthalt in der von einem Ofen geheizten, aber sonst wenig anheimelnden Schulbaracke mit ihren häßlichen Holztischen und den Standard-Flakschemeln einen günstigen Einstieg in die .Behandlung1 oder .Durchnahme' des Gedichtes bieten würden. Die Auseinandersetzung wurde heftiger. „Mägdlein" und „Knabe" erschienen uns als abwegige Wörter; in der rein männlichen Umgebung war ein ganz anderes Voka­bular geläufig. „Der Flamme Schein" und „das Verschwinden der Sternlein" ließen das Gedicht als anachronistisch und des­halb unpassend erscheinen. Schließlich brach Dr. Schätzle die Stunde ab. Aus der Rückschau betrachtet haben wir, wenn nicht dem Lehrer, so doch Eduard Mörike und seinem Gedicht un­recht getan. Das Gedicht wirkt trotz oder vielleicht wegen der Schulstunde an diesem Morgen im Januar 1945 nach. Ich lernte seine literarische Qualität erkennen und habe es nie mehr aus dem Gedächtnis verloren.

Wie im Gedicht das Feueranzünden die traurigen Assozia­tionen des verlassenen Mädchens hervorruft, so verursachte die Notwendigkeit, in der Schulbaracke den Ofen zu heizen, einen zweiten Zusammenstoß zwischen Dr. Schätzle und Schülern, diesmal unmittelbar zwischen ihm und mir. Jeden Morgen wa­ren im Wechsel zwei der Schüler verpflichtet, eine Viertelstunde vor Beginn des Unterrichts den Ofen in der Baracke anzuheizen. In der ersten Januarhälfte nun erinnerte ich mich an die Zahn­behandlung, die im August begonnen hatte, im September fort­gesetzt, aber nicht zu Ende gerührt worden war. Ich ersuchte also um die Erlaubnis, im Militärlazarett in Dorsten zum Zahn­arzt zu gehen. Dieser behandelte mich, war aber mehr als an dem kranken Zahn daran interessiert, daß ich mich häufiger rasiere. Nach der Untersuchung entschied er, daß der Zahn gezogen werden müsse. Dazu bestellte er mich an einem der nächsten Vormittage ein. Dies war unglücklicherweise der Tag, an dem ich an der Reihe war, den Ofen im Schulraum zu bedie­nen. Ich glaubte aber trotzdem zum Zahnarzt gehen zu können, weil der andere Luftwaffenhelfer zum Heizen auch allein in der Lage war. Als dieser, Gerhard F., ein zwar großer und starker, aber nicht besonders aufgeweckter Mitschüler, hörte, daß ich zum Zahnarzt bestellt war, meinte er, er müsse auch mal wieder seine Zähne nachsehen lassen und gehe mit. Weil er sich erst spät dazu entschloß, fand sich niemand, der das Anheizen über­nehmen wollte. Deshalb blieb die Schulbaracke kalt, und als Dr. Schätzle dies wahrnahm, fing er nicht mit dem Unterricht an, sondern schickte die Luftwaffenhelfer in die Stellungen zurück, begab sich selbst in die Dienststelle der Batterie und informierte den Hauptwachtmeister über das unerwartete und in seinen Augen unerhörte Vorkommnis.

Als Gerhard F. und ich mittags in die Stellung zurückkehr­ten, er in der Gewißheit, daß seine Zähne in Ordnung seien, ich mit einer noch steifen, gefühllosen Gesichtshälfte und ohne den Zahn, der mir gezogen worden war, lag der Befehl vor, daß wir uns umgehend beim Stab und dem Hauptwachtmeister zu mel­den hätten. Dieser verhörte uns, wütete über unsere Pflichtver­gessenheit, und es gelang mir nicht, ihm klarzumachen, daß ich doch in die Klinik bestellt gewesen sei, was angesichts des mili­tärischen Dienstrangs des Zahnarztes für mich einem Befehl gleichgekommen sei. Für ihn waren wir beide Schlawiner und Drückeberger, die für ihr Verhalten gehörig bestraft werden müßten, und zwar damit, daß wir für die nächste Zeit den Ofendienst in der Schulbaracke allein zu versehen hätten.

Diese Strafe traf mich weniger hart als die auch durch Dummheit nicht gemilderte Unkameradschaftlichkeit des Gerhard F. Am meisten aber verletzte mich das Verhalten des Leh­rers. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich Lehrer immer als Gegenpart zu den befehlenden, oft rohen Vertretern der nichtzivi­len Welt, vor allem der H[, aber auch des Militärs, angesehen und geschätzt und - wenn auch selten - erlebt, daß sie vernünf­tige Ansprüche gegenüber unvernünftigen Anordnungen durch­zusetzen versuchten, nicht immer ohne Erfolg. Und nun schwärzte mich ein Lehrer um seiner Bequemlichkeit willen bei den militärischen Vorgesetzten an, weil er nicht warten wollte, bis der Raum zehn Minuten nach Beginn des Unterrichts warm wäre. Ich war tief enttäuscht über das Verhalten dieses Lehrers.

Die Zugstellung an der Straße, die den Südrand des Flug­platzes Kirchhellen begrenzte, unterschied sich in mancher Hinsicht von den Stellungen, in denen ich bis dahin gewesen war. Der Umgangston zwischen dem Zugführer, den Soldaten und den Luftwaffenhelfern war offener, kooperativer, fast kame­radschaftlich, wenn auch gelegentlich durch Interventionen nicht ganz dazu gehörender Personen gestört. Die Stellung lag auf einer weiten ebenen Fläche, die einen guten Rundblick er­möglichte. Wir konnten weit nach Osten sehen und Bomben­angriffe auf Städte im nördlichen Ruhrgebiet und das Aufsteigen von V2-Raketen wahrnehmen. Von Westen, vom Niederrhein l her, war von Anfang Februar an das fast ununterbrochene Artil­leriefeuer der Front zu hören. Nach Süden zu senkte sich das Gelände etwas, und ein Birkenwäldchen unweit der Baracken wurde zu einem häufig aufgesuchten Ort, weil hier Stämme geschlagen und in Stücke von etwa 80 cm Länge zum Bau von Knüppeldämmen zersägt wurden. Der kooperative Charakter des Zusammenlebens zeigte sich in einer gleichmäßigen Bela­stung aller ohne Unterschied im Wachdienst. Jeder mußte in jeder Nacht 20 Minuten auf Wache ziehen. Der lange und schwere Wachmantel, das Gewehr und die mit wärmendem Stroh ausgefüllten Holzschuhe wechselten also in einer Nacht­stunde dreimal von Träger zu Träger. Die Gespräche zwischen Unteroffizieren, Soldaten und Luftwaffenhelfern waren offen. Nach dem Anhören der Rundfunkrede Hitlers am 30. Januar 45 setzte mich die unter den Flaksoldaten verbreitete Meinung in Erstaunen, daß die einzige geheime Waffe, die uns noch helfen könnte, das Zusammengehen der westlichen Kriegsgegner mit uns gegen die Russen sein würde.

*

Kurt  A b e l s: Ein Held war ich nicht. Als Kind und Jugendlicher in Hitlers eg. Köln, Weimar, Wien 1998: Böhlau Verlag. S. 94 - 98

voraussetzen zu können. Übrigens: Ich habe dort noch 65 Abitur gemacht. Nachdem mir Dr. R.-Baumeister die himmlisch-irdische Köstlichkeit "So zärtlich war Suleyken" (Siegfried Lenz!) konfisziert hatte... Vielleicht war das 61/62 mal Gesprächsthema unter Lehrern?? Würde mich interessieren, was Sie erfuhren...

Für heute - Schluß meiner Suche, meiner Versuche:

Ich wünsche, Sie einmal auf der Gaesdonck bei einer Lesung und einer Diskussion zu erleben!!

 Was für eine I-, eine I-d-i-o-n, pardon: eine gemeinschaftliche Idee, ein Ideolekt, ein ganz selbstverständlich geschäftiger. Sicherlich, wer fünf oder volle neun Jahre dort in seiner Zeit, Selbstständigkeit und EigenEntwicklung behindert wurde, der mag sich schon betroffen fühlen - ob positiv oder negativ - muß im Einzelfall entschieden werden..




                  Walther Brüx:  Joseph Beuys (Porträtbüste 1946)
                      - Stiftung Museum Schloss Moyland/Maurice Dorren-

Gedenken möchte ich - als langfristige Aufgabe meiner Erinnerungen über Schule und Erziehung und Gesellschaft - der Lehrer, die andere Schüler und mich vorbildlich und persönlich förderten, deren Weg und Markierungen, also Wegezeichen auf der Bildungsinstitution Gaesdonck (im vorigen Jahrhundert einmal als "Priesterhülfsanstalt" firmierend) bei mir also nicht spurenlos bleiben sollten...
Wichtige Namen seien verraten: Paul Reher-Baumeister, Franz Hermes, Laurenz van der Linde, Martin de Weijer (der Verlorene, der sich in den Ehestand verabschiedete), Kurt Abels und Walther Brüx - und mit ihm, dem liberalen, kunstsinnigen Exoten auf dem Kasten, der Kendel-Kaserne, pardon: im Kasten, möchte ich meine Erinnerungen des Zeitraums vor 1965 fortsetzen... Bevor der Kreideschlamm des Vergeblichen, des Vergessens  s ie  fortschwemmt...
*
Na, schön, ich zitiere den großen Pädagogen Dr. Reher-Baumeister über den Sinn der Ferienfahrten nach Randa, in die berglich gesegnete Schweiz:

Die Schönheit der Berge läßt sich nicht trennen von ihren Gefahren; wer die eine liebt, muß willens sein, den anderen zu trotzen.
Über zwanzig Viereinhalbtausender - das sagenumwobene Matterhorn, der majestätische Monte Rosa, der gewaltige Dom als höchster Gipfel der Schweiz, das wild zerklüftete und gefährliche Weißhorn gehören zu ihnen - zwingen zum Staunen, zur Bescheidenheit und verlocken zu kühnen Unternehmen.
Je tiefer man läuft, um so höher wachsen die Berge. Sie dulden keine Falschheit, sie hassen alles Heimliche. In kühner und freimütiger Entblößung, wie sie da aufrecht stehen, so wollen sie auch die Menschen haben.“ (H. Federer)
*
Aber zu Wichtigerem: Mich und meine Erinnerung täuschendes Verlangen: Ein Satz aus einer Rede - der einzigen aus Jahrestagen auf der auf-gedonckten "Gaensewiese", an die ich mich noch nach vierzig Jahren erinnern kann, sollte - in meinen Gedächtnis - so heißen: "Und das schwere nasse Tuch der Spalterflagge klatschte auf den Stein, auf das Dach des Brandenburger Tores. Das Volk jubelte..." Thema 17. Juni 1959. Ort des Geschehens: in der alten, muffig dunklen Aula unter dem aufwärts strebenden Dachgebälk des Ostflügels.

Zwar habe ich noch rudimentäre Erinnerungen an Abschiedsreden, an Abiturreden - aber nur schal und flach und gespenstisch in ihrem eintönigen, uninspirierten Verbalbrei paulinisch-puritanischer Eigenheit und der elitär-konservativen Weltflucht - zu sehr waren Thema und Wortwahl und Intention immerdar gottgegeben und gleich: Christ sein, Opfer bringen: Verzicht, Aufgabe, Ergebenheit, den Bruder Adam mit all seinen Tricks in sich bekämpfen, froh sein, sich nicht (so oft) selbst befriedigen (zugegeben, im Flüsterton, im Dunkel und ergebnen Unpersönlichen der Beichtstühle ...); da blieb schon eher das nach jeder Direktorenansprache zur Verabschiedung in die Sommerferien gebrummte Liedchen im Gedächtnis "Nehmt Abschied Brüder, ungewiss ist alle Wiederkehr"! Und diese Töne, Worte, Vokale und Zuckendes beschleichen mein Gedächtnis mit geimpfter "Wehmut" noch heute, wenn ich an Abschiede, sprich: tödlichen Verluste, auf der Gaesdonck denke: verlorene Namen: der U. auf seinem Motorrad, der G., im Auto seiner Eltern - verunglückt, tot; sie tauchen auch im Gedächtnis von Klassenkameraden nicht mehr auf. Nur Abiturienten - sie stehen für spätere Siegesparaden eingeschrieben in die Geschichte der Gaesdonck, wenigstens in ihrer Matrikel, aber nur noch in ihren Familien unvergessen...

Nun - ich fand die "Fahne" aus der Rede zum 17. Juni 1953 nicht. War es eine "Flagge", das "Fahnentuch" gewesen? War es nur das nasse schwarzrotgoldene "Tuch" gewesen - was mein Interesse an diese Rede, an den 17. Juni 59 wachgehalten hat? Hatte ich das, was mich da mahnend interessierte, im Kopf verändert, für meine Zwecke variiert, nach meinem Gusto gestaltet, mein Interesse initiiert?
Ich suchte nach. Denn, wer sucht, der darf finden, weiß der unvergessliche Volksmund:


Walther Brüx:
Was geht uns der 17. Juni wirklich an?

Diese Vorbemerkung finden wir in den Gaesdoncker Blättern (Ausgabe Juli 1960): Wir geben einen Teil der Ansprache, die Studienrat Walther Brüx in der Gedenkstunde zur Volkserhebung am 17. Juni 1953 im vorigen Sommer hielt, wieder.

Was geht uns der 17. Juni wirklich an? - Nicht nur als Deutsche, sondern als Menschen schlechthin?
Ich kann es mir ersparen, die äußeren Geschehnisse dieser Tage nochmals vor­zutragen, da dies in verschiedenen Stunden bereits geschehen ist. Wir wollen unseren Blick heute vielmehr auf die Dinge richten, für die das äußere Geschehen nur sicht­barer Ausdruck war. Der unmittelbare Anlaß der Revolte, der Protest gegen die Erhöhung der Normen bei den Bauarbeitern, läßt für uns ja zunächst gar nicht den Schluß zu, er sei Motiven entsprungen, die unser echtes Mitgefühl beanspruchen könnten. Das wäre vergleichsweise so, als ob wir die von den Gewerkschaften organisierten Streiks um Lohnerhöhung als besondere Tat feiern würden.
Was für gewichtige geistige Triebkräfte standen nun hinter der materiellen Fassade?
Es wäre sicher falsch, wollte man in den Forderungen der Arbeiter nichts anderes als den Versuch sehen, sich ein angenehmeres Leben zu erzwingen; ein Gedankengang, der bei uns allerdings naheliegt. Es war aber nach acht Jahren kommunistischer Herrschaft in der Sowjetzone offenbar ein Punkt erreicht, der nicht nur die physische Leistungskraft der Menschen überforderte, sondern ebenso die psychische. Immer mehr arbeiten, ohne sichtbaren Erfolg; ja, zu immer höherer Leistung verpflichten, um dem Versagen der Führung in wirtschaftlicher Hinsicht wenigstens nach außen hin einen Scheinerfolg zu geben; dabei den Arbeiter selbst nicht in den primitivsten Genuß dieser Leistung kommen zu lassen, das kann man auch in einem totalitären Staat und mit noch so ideologisch verbrämten schönen Reden vom heutigen Menschen auf die Dauer nicht fordern.
Hier wurde die natürliche Ordnung verkehrt, daß alle Arbeit, alle Politik letztlich dem Menschen zu dienen haben und nicht der Mensch nur dienendes Werkzeug der politischen Idee ist. Das ist, um es mit einem klaren, wenn auch nicht mehr gebräuchlichen Wort zu benennen, echte Sklaverei; das ist Unfreiheit.
Das Ringen um Freiheit war zweifellos der Antrieb, der, bewußt oder unbewußt, hinter den Vorgängen des 17. Juni stand; der sich in der Geschichte der Menschheit immer wiederholende Kampf um das Naturrecht der Freiheit.
Was ist aber Freiheit?
Je mehr sie schwindet, um so mehr wird von ihr gesprochen, und kein politisches System versäumt es, die Freiheit als wesentliches Ziel in sein Programm aufzu­nehmen. Die Freiheit hat also offenbar viele Gesichter und läßt viele Deutungen zu.
Was sie wirklich bedeutet, verspürt man erst, wenn man sie nicht mehr besitzt. Sie ist also etwas, das man verlieren kann, und auch etwas, das man erst erfahren haben muß, um den Wert voll zu ermessen. Daß die Freiheit ein hohes Gut, ja, eigentlich
eine Voraussetzung echten Menschseins ist, läßt sich aus unzählbaren Zeugnissen der Völkergeschichte aller Jahrhunderte entnehmen; keine Philosophie, die sich nicht mit dem Begriff der Freiheit beschäftigt hätte.
Wir wollen versuchen, uns vom Wesen der Freiheit, wenigstens andeutungsweise, ein Bild zu machen; sehen, welche Bedeutung sie für uns besitzt und welcher Weg zur Erhaltung der Freiheit führt.
Es liegt nahe, Freiheit im Sinne von »Nicht-gefangen-Sein« zu verstehen, aber schon das vielleicht etwas pathetische Wort Schillers: »Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und würd er in Ketten geboren« zeigt uns, daß es einen wesentlich anderen Begriff von Freiheit gibt; Freiheit, die nicht durch Gefangenschaft und äußere Versklavung beeinträchtigt werden kann, die also nicht unseren Körper, sondern unseren Geist und Willen betrifft. Das ist die Freiheit unserer Entscheidung zu allen Dingen des Daseins; Freiheit auch im Entscheid über die eigenen Wünsche und Taten, eine Freiheit, die letztlich in dem uns vom Schöpfer verliehenen freien Willen ihren Ursprung hat.
Mehr als die Freiheit des Körpers ist diese ständig und auf viel verstecktere Weise bedroht. Immer sind wir der Probe auf diese Freiheit ausgesetzt, und nur da erlangen und bewahren wir sie uns, wo wir persönliche Verantwortung und Entscheidung auf uns nehmen. In diesem Sinne gibt es vielleicht nur wenige wirklich Freie. Denn ist es nicht so, daß wir der persönlichen Entscheidung gern ausweichen und uns auf diesen und jenen berufen; auf dieses anonyme »man« hat es gesagt oder »man« hat es angeordnet, und dann hat man also gehandelt? Haben wir es nicht immer wieder gehört, daß man nur einem Befehl gehorcht habe, wenn diese unmenschlichen Greuel verübt worden sind? Hat man dort Freiheit auch nur gekannt, geschweige denn genutzt?
Aber nicht nur in diesem Grenzbereich unserer Freiheit, der wirklich von manchem gar nicht wahrgenommen wird, sind wir bedroht oder gar schon gefangen, wir spüren es ebensowenig mehr, wie uns das heutige Leben auch in alltäglichen Dingen immer mehr Freiheit entzieht. Zwar wird uns Freiheit vorgetäuscht, aber unterliegen wir nicht täglich dem Einfluß vieler Dinge, die man ganz bewußt auf uns anlegt? Wie unkritisch stehen wir meist den Ergüssen von Presse, Film, Radio usw. gegen­über. Die wahre Sintflut der Reklame ist geradezu ein Beweis dafür, wie leicht die Entschlüsse des heutigen Menschen beeinflußbar sind. Wo ist da noch echte Freiheit?
Erleben wir es nicht bei uns selbst, wie sehr wir trotz besserer Erkenntnis diesem Trommelfeuer erliegen? - Und wie viele Menschen sind heute nicht Sklaven des Zeit­geistes auf der ewigen Jagd nach dem materiellen Erfolg, nach allen möglichen Dingen, die der moderne Mensch »unbedingt« haben muß, weil man doch nicht rückständig sein darf!
Nun, die meisten von euch sind von dieser Entscheidung zum Leben noch ein Stück entfernt, aber die Entscheidung zur Freiheit in vielen anderen Dingen hat schon jetzt jeder von euch zu treffen. In erster Linie sind es natürlich Dinge, die euer persönliches Leben betreffen, das sich hier langsam formt und weitgehend seine Prägung erfährt. Formende Elemente sind aber nicht nur Heim und Schule, Erzieher und Mitschüler, sondern in höchstem Maße seid ihr sie. Einen wesentlichen, ja, den wesentlichen Teil der Erziehung habt ihr selbst zu leisten in der kritischen Betrachtung eurer Naturanlagen und in der bewußten Förderung oder Bekämpfung. Das ist nicht bequem; es erfordert viel Kraft, täglich gegen seine Trägheit, seine Eitelkeit, gegen seine Feigheit oder Gleichgültigkeit anzugehen. Aber nur dann gewinnen wir doch wirkliche Freiheit, wenn wir uns selbst überwinden in unseren Schwächen und Fehlern. Sicher hat mancher schon gedacht: wenn ich erst mal aus dem »Kasten« heraus bin, dann beginnt für mich die Freiheit. Das ist ein Trugschluß. Als ob das Erfüllen von Pflichten, das Einordnen in die Gemeinschaft Unfreiheit bedeutete!
Wenn ihr einen Teil der Freiheit, die ihr hier besitzt, ins spätere Leben hinüber­retten könnt, seid ihr zu beglückwünschen. Davon scheinen noch nicht alle ganz über­zeugt zu sein. Vielleicht ist mancher der Meinung, es gäbe in der heutigen Jugend einen Typus, der Freiheit geradezu demonstriere; in der Art der Kleidung, wie in der ganzen Form des Gebarens zeige sich Unabhängigkeit von überlieferten Formen, von Zwang und Unterordnung. Auch ohne den bekannten Namen für diesen Typ zu nennen, wißt ihr, wen ich meine, und ich darf wohl wahrheitsgemäß und erfreut feststellen, daß es diesen Typ bei uns, wenigstens in Reinkultur, nicht gibt und daß er sich bei euch nicht lange halten würde. Dennoch bewundert vielleicht der eine oder andere diese Form. Sie entspringt aber allem anderen als einer freien Wahl, sie unter­liegt vollkommen einer Modeströmung, die hier freilich auf angenehme Weise, und darum unbemerkt, ihren Willen diktiert. Also eine Unfreiheit, nicht anders als im Osten, dessen Jugend uniformiert mit Gewehr daherkommt! Die empfindet das Unnatürliche, Gewaltsame solcher Haltung auch nicht mehr, weil dort das Gefühl für die Freiheit der persönlichen Entscheidung systematisch unterdrückt, ja geradezu als schädlich für die Gemeinschaft hingestellt wird.
Wir haben es erfahren, wie schnell das Wissen um persönliche Freiheit ausgelöscht werden kann. Nicht nur bewußt als Mittel im politischen Kampf, sondern im gleichen Maße auch unbewußt, und darum noch gefährlicher, in einer Zeit der Vermassung und des Kollektivismus. Nicht nur im Osten ist die Freiheit bedroht,   die Mittel sind dort vielfach so, daß man die Bedrohung noch in breiten Schichten der Be­völkerung erkennt,   gefährdet ist ebenso der Mensch hier im Westen, der sich bequem im Strom der Masse treiben läßt.
Es bedarf schon großer Anstrengungen, seine Persönlichkeit in der Menge, in der wir Menschen des 20. Jahrhunderts zu leben gezwungen sind, zu bewahren. Viele von euch werden es erfahren haben, wie schwer es ist, sich innerhalb der Klasse gemäß seiner Veranlagung zu behaupten, ohne dabei die Gemeinschaft zu verletzen. Um­gekehrt hat jeder erfahren, wie ein einzelner der Klasse seine Anschauungen auf­drängen kann. Mit dem hohen Recht auf Persönlichkeit ist also zugleich auch eine hohe Verpflichtung zu verantwortlichem Handeln auferlegt; Freiheit kann zum Guten wie zum Bösen gebraucht oder mißbraucht werden. Echte Freiheit verlangt somit Selbstdisziplin; sie ist das Gegenteil von Willkür. Und nur dort, wo Disziplin ge­halten wird, kann die Freiheit aller gedeihen und Freiheit gewährt werden.
Die Entscheidungsfreiheit zu Gut oder Böse geschieht letztlich vor dem Gewissen und damit vor Gott. Als Christ erfährt man diese äußerste Möglichkeit der Freiheit am tiefsten und verantwortlichsten. Diesem Ruf des Gewissens, der Verantwortung vor Gott immer wieder zu folgen, ist Voraussetzung für eine volle Verwirklichung der Freiheit des Menschen.
Wir, die wir die Zeit des Nationalsozialismus noch aus eigener Anschauung kennen, wissen, wie schwer es ist, gegen die Macht eines totalitären Staates seine Freiheit zu retten. Wie wenigen Menschen war damals die Kraft gegeben, gegen die Ver­brechen aufzustehen und damit die Freiheit zu bewahren. Im materiellen Wohlleben der Zeit empfanden die meisten die Unfreiheit gar nicht, aber die wenigen anderen haben darunter unsagbar gelitten, ja oft genug den Kampf um die Freiheit mit dem Tode bezahlt. Vielleicht kann man fragen, ob sich dann der Kampf noch lohne, wenn man dabei das Leben verliert? Aber setzen wir unser Leben nicht oft für ganz andere Dinge ein, und würden wir mit der Freiheit nicht gradezu einen ganz wesentlichen Teil unseres Menschseins aufgeben? Das, wodurch wir u.a. als Menschen bevorzugt vor allen anderen Geschöpfen von Gott ausgezeichnet sind? Dürfen wir darauf ein­fach verzichten?
Es gibt genug Menschen, die diese letzten Fragen durchlitten und die Zeugnis darüber abgelegt haben. Ich möchte eines davon zitieren. Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer, der noch im April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg umgebracht worden ist, hat kurz vor seinem Tode folgende Zeilen unter dem Titel »Stationen auf dem Wege zur Freiheit« niedergeschrieben:

Wunderbare Verwandlung. Die starken, tätigen Hände
sind dir gebunden. Ohnmächtig, einsam siehst du das Ende
deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte
still und getrost in stärkere Hand und gibst dich zufrieden.
Nur einen Augenblick berührst du selig die Freiheit.
Dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende.


Solche Worte sind angesichts des Todes kein billiger Trost, sondern letzte Er­kenntnis.
Zum 17, Juni 1953 sollte ich sprechen. Ich habe mich von den Dingen scheinbar weit entfernt; aber doch wohl nur scheinbar.
Das Aufbegehren der Menschen damals richtete sich gegen Sklaverei und Fron, die das Ende einer Kette von Unfreiheit sind.
Dieses Ende ist nur zu vermeiden, wenn der Unfreiheit in ihren ersten Regungen entgegengetreten wird. Erkennen wir sie nicht, handeln wir nicht, wird uns das Schicksal der Menschen im Osten nicht erspart bleiben.
Wir haben wenigstens noch die Freiheit, uns zu bewegen und zu sagen, wo und was wir immer wollen und für richtig halten. Machen wir auch den rechten Gebrauch hiervon? Sind wir nicht meistens zu bequem zum Nachdenken und Durchdenken der Dinge, die an uns herangetragen werden? Übernehmen wir nicht gern die irgendwo vorgetragene Meinung? Entscheiden wir gemäß unserer eigenen Erkenntnis und ver­treten diese eigene Anschauung dann auch?
Haben wir nicht die Verpflichtung, in dieser uns geschenkten Freiheit Erkenntnis und Besitz echter Freiheit zu bewahren, damit ihr Licht nicht erlösche und denen leuchte, die im Schatten der Unfreiheit leben müssen, in der Hoffnung, daß ihnen eines Tages die wiedergewonnene Freiheit Glück und Frieden gewährt?
Der 17. Juni, Tag der deutschen Einheit!

Äußerlich können wir sie vielleicht noch lange nicht vollziehen, innerlich aber können und müssen wir uns den Menschen verbinden, die jenseits des Eisernen Vorhangs leben, und darüber hinaus mit allen Menschen in Unfreiheit, wo immer es auch sei.
Leider bedarf es wohl eines besonders angeordneten Gedenktages, um uns an diese eigentlich selbstverständliche Menschenpflicht zu erinnern. Sehen wir den 17. Juni in diesem Sinne."

(Aus: Gaesdoncker Blätter. Juli 1960. S. 29-32; gekürzt abgedruckt ist der Text mit dem Kürzel "Br." - also Brüx selber)

  Ich fühlte mich ernstgenommen, in der be-dürftigen Brust meines schmalen politischen Gewissen eines Obertertianers. Ich hatte, anders kann ich mir die Erinnerung nicht erklären, bei dieser Rede den Wahrnehmungseindruck von Realität, von aktueller Nähe, von verantwortlich engagierter Politik. (Die – relativische Verschränkung - einzubeziehen sei in einen geschützten Lebensbereich einer isolierten Internats-Schulaufsicht...) Aber nichts erfuhr ich über die Zusammenhänge, über konkurrierende, ideologische Propaganda, über humanistische Literatur oder Nachrichtentexte zu diesem Anlaß, diesem höllisch-irdischen Ost-West-Gegensatz; der zu dem großen psychischen Gegensatz - Ahnung seines Selbst, seiner Identität im Widerspruch zur Deformation institutionell, der institutionalisierten - trat; Konformitätszwang und Wahrhaftigkeit; systemischer Alltag und ehrenvolle Ausnahme des Eigenen. 

 

Und in den Tagen darauf ...? Kein Lehrer kam in unsere Klasse mit dem Text der Rede, keiner erwähnte sie. War sie genehmigt gewesen? War sie kritisiert worden? Zurechtgewiesen? War sie blieb nutzloses Feiertagsbeiwerk? Deplaziert in der Ordnung Amt? Invidia gloriae comes? Und dann - der evangelische Theologe Bonhoeffer muss sowieso der falsche Typ gewesen, da er einen defaitistischen Gott anrief, de dichten konnte, der politisch sich opferte... Nein, kein dringliche Verzahnung von Ideal der Rede mit der Erarbeitung ihrer Elemente und Begriffe. Für den Unterricht galt das Gebot - und es hätte aus dem Dekalog stammen können: Es standen immer nur wieder dieselben Vokabeln, Formeln, Texte wie zu Kaisers Zeiten als Aufgaben zu Gebote, die keinen Wirklichkeitsbezug zu uns begierigen Nachkriegskindern hatte; die wichtigsten Autoren und Texte der Exilzeit (1933 - 45) und der Nachkriegsliteratur blieben uns versagt, es wurde abgehampelt der olle Bildungskram in den lehren Köpfen und Deutschbüchern, bei dem man das Nationalsozialistische als offensichtliche Lücke weggeschnitten hatte aus den Lesebüchern und Köpfen... - ja, das sollte Klimax unserer Bildung sein: die nicht vorbereiteten Interpretation zu einer Hölderlins Ode ("Der Neckar") oder einem stramm-dumm-konservativen Blatt mit unvorbereiteten Thesen eines religiös verquasten Dilthey-Aufsatzes. (Abitur-Aufgaben Reifeprüfung 1965, nachzulesen in „Gaesdoncker Blätter 1965“; hier als Abschreckung nochmals zu lesen):


Reifeprüfung 1965



Unsere 13 Oberprimaner (Klassenleiter: Studienrat Dr. Hermann Volmer) unterzogen sich der schriftlichen Reifeprüfung in der Zeit vom 14.-19. 12. 1964, der mündlichen am 1. und 2. Februar 1965. Den Vorsitz führte Oberschulrat Josef Hasbach vom Schulkollegium in Düsseldorf. Alle Prüflinge bestanden.


Die Aufgaben für die schriftliche Prüfung lauteten in Deutsch:

1. Soll in der Bundesrepublik die Todesstrafe wieder eingeführt werden? - Besinnungsaufsatz -

2. Friedrich Hölderlin: Der Neckar - Gedichtinterpretation -

3. Was bedeutet die Schülerszene im ersten Teil von Goethes "Faust" im Rahmen des Gesamtwerkes?


4. Wilhelm Dilthey: Dichtung und Leben. Geben Sie den Gedankengang wieder, und erläutern Sie die Ausführungen Diltheys mit Beispielen!

                     * ~ *

Zur Person Walther Brüx' (nach der von Herrn Laurenz van der Linde liebevoll geführten Matrikel):


Er war Zeichenlehrer auf der Gaesdonck 1951 - 1953; kehrte als Studienrat (für Kunst und Erdkunde) wieder in die Mauern des Kastens auf der Kendelinsel zurück, bis 1969 und ging als Gymnasiallehrer nach Kleve, seine Heimat.


In der Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Walther_Br%C3%BCx

Ach, natürlich, ja, daran wollte ich auch erinnern: an eine wunderschöne Beuys-Skulptur, die im Jahre 1949 geschaffen wurde - eben: von Beuys, als dem Objekt, ja; aber von Walther Brüx geschaffen, der damals den jungen, verkannten, depressiven Beuys in seine Familie aufgenommen hatte. Und Brüx schuf die einzige, wichtige, schöne, prägnante Beuys-Skulptur, die je das Licht unserer Welt erblickte ... (ein Memento - auch eine Bildungsprüfungsfrage für die Unterscheidung von Genitivus subjektivus oder objektivus - als Beitrag zur dummen Spaß- und Quizkultur unserer TV-Tage; und erst recht diese Frage: Warum unterschieden die Lateiner nicht, was sie doch ausdrücken wollten, die Varietät des Genitivs; und erst recht die zehn möglichen Variationen des ablativus absolutus; wenn ihnen doch die Differenzierung am Herzen lag? Wollten sie ihre Intentionen immer so gerne offen lassen, d.h. dem Hörer als Aufgabenstellung der Interpretation? Eine Frage, die mir in keiner der öd beschränkten, uninspirierten Latein- oder Griechischstunden auf der Gaesdonck beantwortet wurde; uns blieb nur, die im Kommentar des Lehrers vorgegebene Grammatikerklärung nachzukäuen...)

Eine Sprache, die sich kein Lehrer auszudenken weiß.

(Die Beuys-Porträt-Büste ist zu besichtigen im Klever „MuseumKurhaus“; sie ist von der Stiftung Museum im Schloß Moyland ausgestellt. Ein Exemplar der Sammlung van der Grinten: Walther Brüx (1917 - 2016): Porträtkopf Joseph Beuys, 1946, Bronze, H 33 cm.


*
Und sonstige Erinnerungen? Oh, ja:

Zum ersten Abituriententreff, nach 15 Jahren von einem Außenseiter organisiert:
Imagniertes Bild der Woche

Kampf des Bösen gegen das Gute...
Seine Hände waren ein eigenes Studium, ein eigenes Porträt wert...
Und seine Sorge um den Brennofen im Keller des Primanerbaus, in dem unsere Keramiken gebrannt wurden. (Ein schmuck- und randloser Teller von mir, aus der Cendula-vanitas-simplex-Epoche, hat sich erhalten...)... Und seine - d.h. des Magistri artis Brüx - Hinweise und Fragen auf Kultur und Kunst – seine Art der Besprechungen und Bestellungen von kleinformartigen Kunstdrucken – ein erster - lebenslanger Schatz...

Und meine Ver- oder Ge-Danken?

Mein eigenes Bild - ein  Bild  der Woche (in Gasedonck, im Kreuzgang, ausgestellt, vom Lehrer  B r ü x:
Meine Gestaltung (auf Zeichenkarton): 
Zwei Hände, schwarze, negroide, wahrlich flehende Hände erstrecken sich aus einem TV-Bildschirm [in DIN A3],  w e i t  in die Ebene des betrachtenden Zuschauers hinein, weg vom Bildschirm in den Raum, in die Realität - wie ich meinte - hinein. - Wo mein Bild, in Farbe: braune Hände, im schwarzen Bildschirm, verblieb - ich weiß es nicht; irgendwo auf der Gaesdonck. Herr van der Linde wusste keinen BeScheid zu geben ...

- Ein Mitschüler erkundigte sich (auf einem Abii-Treffen nach 15 Jahren) nach meinem Bild: scheu, despektierlich  fragend zum Bild, das Walther Brüx für mich ausgemalt h ä t t e. - Sancta simplicitas memoriae!- Nein ein Zeichner war ich niemals; aber ein Schreiber, der sich auf Worte, Metaphern, Bilder und BildWenb-Deutungen, auch abstruse, verstehen lernte. - Was die Erfahrung des Bergsteigens zu einer Metapher des Lebens überhaupt werden lässt und sogar noch zum Sinnbild für die Suche nach dem ewigen Seelenheil, ist die Verbindung der kulturell positiv besetzten Vorstellung der Höhe mit der Abforderung einer körperlichen Leistung.“ (Christof Hamann u.a.: Kilimandscharo). - Nein - Bergsteigen, im Sinne des Dr. R. B., habe nie gelernt (alles, das nach Randa durfte, äh, das lief ab, ohne das man es merkte in den Klassen; Geheimsachen!); mir reichte das Baumbesteigungen, ob Kastanie, Buche, Linde, auch die geschwind-hohen Pappeln, ob auf Pannofen/Vossheide bei Goch. - wo ich einmal nicht weiter wusste beim Absteigen; erst nach stundenlangen Sehen/Suchen/VerWeilen fand wieder zum ErdBoden zurück. - Es war ein Nussbaum in Vornick, den meine Mutter zum AbHolzen/VerBringen zum Sägewerk nach Weeze bestimmt hatte; meinen Segen hatte sie diesmal nicht. Der Nussbaum hatte mir weit die Äste ausgestreckt: Spring ...! Dann lässt deine Mutter mich stehn! Op Jan of Köb hngt minne NootenTakk övere dä Döör. - Hej, spreng van dä läste Takk. Et gäv Schuure, dij Kuje sprenge in dä Wej! - Spreng met, dänn drömt gej net mähr van schwaate Handdüük voar dä Fenste in Büük of Wöört.   

Noch eine zitable Quelle: 

>>> Hic et nunc:
Hic et nunc (hier und jetzt): die räumlich-zeitliche Bestimmtheit des Einzelnen, der Individualität des Dinges (Scholastiker-Phrase; vgl. PRANTL, G. d. L. III, 115, 262). -

Aut:  H i c   a q u a   h a e r  et.
„Hier stockt das Wasser.“ – Nach der schon von Cicero als Sprichwort („ut aiunt“ – „wie man sagt“) zitierten Redewendung „aqua haeret“ („das Wasser bleibt stehen“), im Sinn von „Dabei/So geht es nicht weiter“. Cicero, de officiis 3,117.

>Bäumchen, misshandelt! (Symbolbild) <



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen