> Buch von Sigismund von Radecki >
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Der Bischof - von Anton T s c h e c h o w
I. Auf
den Palmsonntag hin wurde im Alt-Petrowschen Kloster die Abendmesse
gefeiert. Als man die Palmzweige auszuteilen begann, ging es schon
gegen zehn Uhr, die Flammen waren trübe geworden, die Dochte hatten
Lichtschnuppen, es war alles wie im Nebel. Im Dämmer des
Kirchenraumes wogte die Menge wie ein Meer, und dem hochwürdigsten
Peter, der schon drei Tage nicht gesund gewesen, schien es, als ob
alle Gesichter - alte und junge, männliche und weibliche - eines wie
das andere aussahen, und daß alle, die zum Empfang der Zweige
herantraten, denselben Ausdruck der Augen hatten. Im Nebel konnte man
die Türen nicht erkennen, die Menge bewegte sich immerzu, und es
war, als ob sie nie ein Ende haben werde. Ein weiblicher Chor sang,
den Kanon las ein Nönnchen.
Es
war so schwül, so heiß! Wie lange die Abendmesse dauerte! Der
hochwürdigste Peter war müde geworden. Sein Atem ging schwer,
hastig, trocken, die Schultern schmerzten vor Müdigkeit, die
Beine zitterten. Und unangenehm erregte es, daß auf der Empore ein
Narr in Christo ab und zu aufschrie. Und dann schien es dem
Hochwürdigsten noch Plötzlich, als wenn zu ihm mit der Menge seine
leibliche Mutter Márja Timoféjewna herantrete, die er schon neun
Jahre nicht gesehen hatte, oder eine alte Frau, die ihr ähnlich sah
und, den Zweig von ihm entgegennehmend, zur Seite trat und die ganze
Zeit auf ihn lustig, mit einem guten, frohen Lächeln blickte, bis
sie sich wieder unter die Menge mischte. Und irgendwarum flossen ihm
Tränen übers Gesicht. Die Seele war ruhig, alles war gut und
schön, doch er blickte unbeweglich auf das linke Chor, wo man
vorbetete, Ivo im Abenddunkel bereits kein Mensch mehr zu erkennen
war, und - weinte. Tränen erblitzten auf seinem Gesicht, auf seinem
Bart. Da fing in der Nähe noch irgendwer zu weinen an, dann noch
einer und noch einer, und allmählich war die Kirche endlich von
stillem Weinen erfüllt. Doch ein wenig darauf, als nach etwa fünf
Minuten ein Mönchschor sang, wurde nicht mehr geweint, und alles war
wie früher.
Bald
war auch der Gottesdienst zu Ende. Als sich der Bischof in seine
Kutsche setzte, um nach Hause zu fahren, so überströmte den ganzen
mondbeschienenen Garten der frohe, schöne Klang schwerer,
teurer Glocken. Die weißen Mauern, die weißen Grabkreuze, die
weißen Birken, die schwarzen Schatten und der ferne Mond am Himmel,
welcher gerade über dem Kloster stand, lebten jetzt, schien es,
ihr eigenes, besonderes Leben, das dem Menschen unverständlich,
jedoch nah verwandt war. Es war Anfang April, und nach dem warmen
Frühlingstage wurde es erfrischend kühl, es begann ein wenig zu
frieren, und in der weichen, kühlen Luft fühlte man den Hauch des
Frühlings. Der Weg vorn Kloster zur Stadt war sandig, man mußte im
Schritt fahren; und auf beiden Seiten der Kutsche stiefelten im
hellen, ruhigen Mondlicht die Andächtigen aus der Kirche durch
den Sand. Und alle schwiegen nachdenkend, alles umher war freundlich,
jugendlich und so nahestehend, alles - die Bäume und der Himmel
und sogar der Mond, und man wollte glauben, daß es immer so bleiben
müsse. [...]
Es können folgende Kapitel II, III, IV (bis zur Osternacht und wie der Bischof
sie erlebt...)
(Aus:
A. Tschechow: Seelchen. Übersetzt von S. von Radecki.: Zürich 1963: Diogenes. S.
248ff.)
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Seine Eminenz Bischof Peer [Pjotr] stirbt kurz vor dem „lauten, freudigen“ Frühlingsfest Ostern. -
Anm.: Mit dem Sterben des Bischofs in der Karwoche habe Anton Tschechow den Vorabend des eigenen Todes beschrieben.[6] -
13. Oktober 1961, Ludolf Müller in der Zeit: Sophie Laffitte meint in ihrer Monographie, zwar habe Anton Tschechow die Selbstdarstellung sonst tunlichst gemieden, doch in dem späten Text „habe er sich ganz mitgeteilt“[7].Wikipedia. Abf. 19.03.2024: https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Bischof_(Tschechow)
- Den ganzen Text hier:
https://www.seniorenportal.de/community/blog/anton-tschechow-der-bischof/33090
> Ein Turm, samt Dom auf AbRuf. Wie in der Geschichte erzählt, nur auf die Person des Bischof bezogen. Welcher Bischof das ist - ...<