Donnerstag, 2. April 2020

Von der Militär-s e e l s o r g e

Von deutscher  Militär-S e e l s o r g e

1. "'Unehelich' - ein Todesopfer: Fedor Baranowski" (Aus: Albrecht Goes: Unruhige Zeit; im Anhang!


2. Josef Perau als katholischer Militärseesorger: seine Beobachtungen am 15.3.1944; er hat ein Massenhaftes Verbrechen bemerkt, das er selbst später als "Verbrechen der deutschen Wehrmacht" benannt hat:
                                             Textilfetzen, der kein Rotes Kreuz mehr ergab




Rudobelka, den 15. 3. 1944 [in den Pripjetsümpfen; Sowjetunion; eigentl. Prypjatsümpfe]
(in Peraus Erinnerungen aufgezeichnet als "Priester im Heere Hitlers". 1961. hier S. 159-161)
Ich hatte geglaubt, ich hätte schon alle Schrecken dieses Krieges gesehen, aber in den letzten Tagen rollte ein Trauerspiel vor uns ab, wie es selbst Dostojewski nicht zu malen wagte. Es werden hier in einem großen stacheldrahtumzäunten Lager unter freiem Himmel die Zivilisten der ganzen Umgebung zusammengepfercht. Die arbeitsfähigen Männer und Frauen kommen nach Deutschland, die andern werden in einen vorspringenden Frontbogen getrieben, der in einer Nacht zurückgenommen wird - und alle sind beim Russen, der dann für sie sorgen muß. So sagt man mir wenigstens. Als Grund wird angegeben, die Dörfer seien Ansteckungsherde des Fleckfiebers und Partisanennester. Wenn man in die Gegend des Lagers kommt, bietet sich ein Bild des Schreckens. Das ganze Feld ist übersät mit dem Hab und Gut dieser Menschen, das sie nicht weiter mitschleppen konnten. Ich wurde ganz unvorbereitet mit dem Furchtbaren konfrontiert. Ich kam ahnungslos von der H.K.L. zurück. Es fiel ein feiner Nieselregen. die Dunkelheit brach ein. Ich spürte die Veränderung zuerst an einem seltsamen erregenden Geräusch, welches ich nicht näher bestimmen konnte, bis ich in der Ferne das Lager entdeckte. Ein ununterbrochenes leises Wehklagen vieler Stimmen stieg daraus zum Himmel auf. Und dann sah ich, wie man gerade vor mir die Leiche eines alten Mannes abschleppte wie ein Stück Vieh. Man hatte einen Strick um sein Bein gebunden. Eine Greisin lag tot am Wege mit frischer Schußwunde in der Stirn. Ein Posten der Feldgendarmerie belehrte mich weiter. Er wies auf ein paar Bündel im Dreck hin: Tote Kinder, über die er ein Kissen gelegt hatte. Frauen haben ihre Kinder, die sie nicht mehr tragen konnten, am Wege liegen lassen. Auch sie wurden erschossen, wie überhaupt alles »umgelegt" wird, was wegen Krankheit, Alter und Schwäche nicht mehr weiter kann. Ein San.Offizier, dem ich erregt davon berichten wollte, wies mich überlegen ab: »Herr Pfarrer, das überlassen Sie nur uns. Im habe selber aus Mitleid ein paar hilflose Kinder erschossen. Deutschland ist schnell wieder ein Kulturvolk, wenn es diesen Krieg gewonnen hat." So reden aber nur sehr wenige aus der ordentlichen Wehrmacht. Die Soldaten, die diese Dinge nicht aus ethischen Gründen ablehnen, tun es wenigstens aus dem Gedanken: Was wird uns geschehen, wenn wir in Gefangenschaft geraten? Was wird Deutschland geschehen, wenn es den Krieg verliert? Man sagt, die Aktion werde vom S.D.1] durchgeführt. Aber die Truppe ist wenigstens am Rande beteiligt. Der Gottesdienst in Portschje mußte ja ausfallen, weil die Truppe zur »Evakuierung" von Zivilisten eingesetzt war. Das klang harmlos, und die Männer werden selber nicht gewußt haben, wem sie die Leute auslieferten.
Ich saß lange wie gelähmt bei meinem Mitbruder. San.Uffz. Staab, der diese Greuel schon mehrere Tage mitansehen mußte. Aus einiger Entfernung sah ich heute einen General das Feld des Elends entlangreiten. Was mag in den hohen Militärs vorgehen angesichts dieser Dinge. Einen Augenblick kam mir der Gedanke, ich müsse vor ihn hintreten und im Namen Gottes Rechenschaft fordern. Aber der Geist reichte nicht zum Propheten. Ich habe lediglich in allen Gesprächen offen meinen Abscheu kundgetan und einige Kameraden abgehalten, sich am umherliegenden Gut dieser armen Menschen zu bereichern. Sie wollten schon gestickte Decken an ihre Frauen schicken.
Dieser Krieg ist eine furchtbare Katastrophe des autonomen Humanismus. Es geschieht, was Dostojewski in den "Dämonen" prophetisch voraussah: "Zurück zu Christus und Rettung des Humanen oder Versinken in Barbarei und Untermenschentum." Es ist nur die Frage, so ungefähr schreibt er, "ob der moderne Mensch noch an Christus glauben kann". An uns ist es nun also, dem modernen Menschen Christus so zu verkünden in unserm Leben und in der Gestalt der Kirche, daß der suchende Mensch den erkennt, den er sucht. Unsere Antwort auf diese Herausforderung der Hölle kann nur vermehrte Hingabe sein.

Anm.:
1]  S.D.:  Von Perau selber im Buch identifiziert als “Sicherheitsdiens (SS-Truppen)“                                                                                                           

Im Urlauberzug Richtung Heimat, den 13. 4. 1944:
Vom 15. bis 20. 3. war ich unterwegs beim I.R. 428. Es war sehr schlimmes Wetter, Schneesturm, aufgeweichte Wege. Wir fanden keine Fahrgelegenheit.
Am ersten Tag legten wir unter diesen Umständen 35 km zu Fuß zurück. Am Ziel hatte ich gleich Beerdigung. Am zweiten Tag vier Gottesdienste auf den Kompaniegefechtsständen eines Bataillons. Wieder mußten 25 km zu Fuß zurückgelegt werden. Der folgende Tag war frei. Sonntag zweimal hl. Messe in einer sehr kalten zugigen Scheune und abends noch eine in einem Bunker der Protzenstellung. Montag ging es 15 km zu Fuß und den Rest des Weges auf einem Pferdewagen zurück. Nachts hatten wir in den ersten Tagen, nur in den Übermantel gehüllt, auf einem Bretterfußboden geschlafen, da weder Stroh noch Decken vorhanden waren. Als ich in unserm Quartier ankam, spürte ich Fieber, welches bald auf 39 Grad stieg. Es hielt sich fast drei Wochen, zuletzt als erhöhte Temperatur.
Am Gründonnerstag trat eine gewisse Wendung zum Besseren ein. Ostersonntag konnte ich wieder zelebrieren und durfte Ostermontag den Urlauberzug besteigen. Die Division gab mir 4 Wochen zur Wiederherstellung der Gesundheit. Zu Beginn der Fahrt war ich noch sehr hinfällig. Jetzt bin ich schon kräftiger, da ich unterwegs viel liegen konnte. Wir fahren in den herrlichsten Frühling hinein. Hier in Pommern schon bekommen die Trauerweiden zarte grüne Schleier und der Flieder dicke Knospen. In den Gärten arbeiten zwischen blühenden Krokus die Menschen in milder Sonne. Wie wird es erst zu Hause sein!

* *

Die Novelle von Albrecht Goes ist wohl bekannt; auch als Druck in der RECLAM-Ausgabe (RUB # 8458) vorrätig in Buchhandlungen.

Die Erinnerungen vovn Josef Perau  sind völlig vom Buchmarkt verschwunden und theologisch unbeachtet geblieben:

 
Albrecht Goes, in der Novelle Unruhie Nacht:

„Unehelich“? Analog zu Ihren Beitrag in der RZ vom (letzten Juli)...

Ich erinnerte mich an einen anderen Fall von „unehelich“; ja, ich weiß - einen fiktiven Fall, der so viel Erfahrung hat, wie nur ein Armeepfarrer aufbieten kann: Von Albrecht Goes, aus der Novelle „Unruhige Nacht“:
„Hier der Tatbestand“, so leitet der Armeepfarrer als Ich-Erzähler das 7. Kapitel ein, der sich einem Totenkandidaten lt. Kriegsgerichtsurteil gegenüber sieht, mit dem er sich frühmorgens, vor Morgengrauen, zu befassen hat (in der Ukraine, Dezember 1942; erzählt 1950):
Fedor Baranowski, geboren 19 November 1920 in Küstrin, als uneheliches Kind einer Kontoristin.
Der Vater ein verheirateter, polnisch sprechender Schreiner deutscher Staatsangehörigkeit. Von ihm fehlt jede Notiz, es gibt weder eine Anerkennung der Vaterschaft noch Beurkundungen einer Unterhaltspflicht. Aber auch die Mutter, die sich bald nach der Geburt dieses Kindes mit einem Textilhändler namens Hoffmann verheiratet hat, hielt zu ihrem Kind nur eine ganz lose Verbindung aufrecht. Fedor kam in eine Gärtnerei, dann zu einem Altwarenhändler nach Danzig, dann wieder zurück nach Küstrin.Von regelmäßigem Schulbesuch scheint keine Rede gewesen zu sein, auch von Berufsausbildung war nichts zu erfahren. Bei Kriegsausbruch wird Baranowski Soldat. Zu denken, daß ihm in irgendeiner Kaserne zum erstenmal im Leben das zuteil wird, was für andere zur Kindheit gehört: ein geordneter Mittags- und Abendtisch. ein eigenes Bett, regelmäßige Nachtruhe. Die Kaserne als Heimat. Wie sehr das in diesem Falle galt, mit allen Konsequenzen, macht eine Bemerkung deutlich, die sich in einer übrigens ausgesprochen günstigen - Beurteilung findet: - 'erhielt nie Post und keine Weihnachtsgeschenke'. (Ein anscheinend besonders schneidiger Regimentskommandeur, der diesen Bericht seines Kompaniechefs vorzulegen hatte, sah sich veranlaßt, an dieser Stelle an den Rand zu schreiben: Berichte sind keine Gedichte.)
Nicht weniger nachdenklich aber stimmt die Notiz: 'geht nie zu Mädchen.' Sie steht im Zeugnis des Truppenführers aus der Heimat.
'B.'- heißt es dort - 'ein stiller, ordentlicher Soldat, der nirgends besonders hervortritt. Lebt mäßig, keine auffallenden Interessen, geht nie zu Mädchen.' Es folgen Berichte über den Fronteinsatz, über zweimalige Verwundung, Verleihung des Eisernen Kreuzes zweiter Klasse, Beförderung zum Gefreiten und zum Obergefreiten; nach der zweiten Verwundung, einem Schuß durch die Kniescheibe, kommt die Versetzung ins rückwärtige Heeresgebiet, der Einsatz in einer Bautruppe. Dort wird Baranowski mit Rücksicht auf seine Gesundheit in der Küche beschäftigt, und hier werden zum erstenmal die polnischen und russischen Sprachkenntnisse erwähnt. Woher diese Sprachkenntnisse stammen ist nicht ganz aufgehellt, vermutlich aus Baranowskis Danziger Kinderjahren. Jedenfalls sind sie der Grund dafür, daß Baranowski vom Zahlmeister seiner neuen Einheit dann und wann zu Einkäufen in die Umgebung geschickt wird. Die Truppe selbst, die einen, wie es scheint, besonders geheimen Bauauftrag durchzuführen hatte, war um .der Geheimhaltung willen sehr streng von der Zivilbevölkerung geschieden. Nirgends waren, wie sonst üblich, Ukrainer und Ukrainerinnen mit eingesetzt, es gab besondere Sperrkreise und Ausgehverbote. Baranowski aber, der Sprachkundige, geht in die Dörfer als Eier- und Gemüseeinkäufer.
Nun Ljuba. Wenig genug war in Erfahrung zu bringen über die Ukrainerin, die so tief mit ins Netz verstrickt ist. Man wird sich den Vorgang etwa folgendermaßen zu denken haben: Baranowski lernt in einem von diesen Dörfern die Ljuba kennen, eine wahrscheinlich ganz junge, ukrainische Witwe, deren Mann in den Julikämpfen gefallen war, Mutter eines Kindes, das zu dieser Zeit etwa zwei Jahre alt gewesen sein muß. Es gibt Grunde für die Vermutung, daß es zunächst mehr dieses Kind gewesen ist, das in Baranowskis Soldatendasein eine besondere Bedeutung gewann. Der Gruß eines Kindes, die Quelle in der Wüste: man versteht, daß er festhalten wollte, was ihm da das Leben bereitete. Nun hing es mit den Bauarbeiten der Truppe zusammen, daß der Standort mehr als einmal wechselte. Von diesen Verlegungen pflegte Baranowski die Ljuba zu unterrichten, vielleicht hatten auch Zusammenkünfte am dritten Ort stattgefunden, genug: es gab Briefe, und die Briefe wurden ihm zum Verhängnis. Bei einer Razzia der SS fielen eine Anzahl dieser kleinen Briefe dem Suchkommando in die Hand, und unseligerweise war ein Teil dieser Briefe auf die leere Rückseite von Verpflegungsformularen geschrieben. Jede Truppeneinheit führte solche Blocks mit sich, gut möglich, daß sie Baranowski weitgehend überantwortet waren, genug: das Kriegsgericht hatte leichtes Spiel, der Schreiber war bald festgestellt, und Ausflüchte gab es nicht. Die Mitteilungen waren an sich völlig harmlos, immerhin hatten sie die Standorte einer Wehrmachteinheit Zur Kenntnis der Ukrainer gebracht; das Partisanenwesen war auch in diesem Abschnitt eine ständige Bedrohung - kurz: die Anklage lautete auf 'Verrat militärischer Geheimnisse' der Strafantrag auf fünf Jahre Zuchthaus, die Strafe selbst fiel etwas milder aus; die Bemühungen einiger Dienststellen, dem Obergefreiten Baranowski zu helfen, waren offenkundig, im Grunde freilich war ihm, so wie die Gesetze formuliert waren, auf keine Weise zu helfen.
In Rowno hatte die Hauptverhandlung stattgefunden, in Dubno befand sich zu jener Zeit das größte Wehrmachtgefängnis. Dorthin sollte der Verurteilte gebracht werden, um von dort aus wahrscheinlich in eine Strafkompanie oder em sogenanntes Bewährungsbataillon zu kommen. Die Strafe selbst durfte nach Hitlers Anordnungen erst 'nach Kriegsende' verbüßt werden; aber wer in einer Strafkompanie das Kriegsende erleben wollte, der mußte schon einen sonderlichen Engel zur Seite haben ... Auf der Fahrt nach Dubno gelang es dem Häftling, aus dem fahrenden Zug zu springen. Er blieb, ein wahres Wunder, fast unverletzt und war dann, dank seiner Sprachkenntnisse und bald genug wohl auch mit Hilfe einiger Verkleidung im ukrainischen Zivilleben untergetaucht. Man fahndete nach ihm, aber er blieb verschwunden.
Drei Wochen später ereignete sich Folgendes: ein Waldstück, in dem Partisanengruppen sich aufhalten sollten, wurde durchgekämmt und mit zahlreichen anderen Männern, Frauen und Kindern, die da im Wald gelebt hatten, wurde auch Baranowski gestellt. Man trieb sie zusammen, und der Zufall wollte es, daß gerade in dem Dorf, in dem man sie zum Verhör sammelte, Baranowskis ehemalige Truppe im Augenblick stationiert war. Die Partisanen standen mit erhobenen Händen auf einem Platz, man suchte eben nach einem Dolmetscher, um mit dem Verhör zu beginnen, da ging ein Feldwebel von Baranowskis Einheit eilig vorüber, warf einen flüchtigen Blick auf die Zivilisten, stutzte, trat näher, erkannte seinen ehemaligen Küchenchef und rief in lauter Überraschung: »Mensch, Baranowski, was tun Sie denn hier?«
Dies war das Ende. Was mit den Zusammengetriebenen (unter denen sich übrigens Ljuba und ihr Kind nicht befanden) an diesem Tage geschah, ist nicht bekannt geworden; Baranowski selbst aber wurde auf der Stelle verhaftet und in Fesseln nach Proskurow gebracht. Hier fand dann 5. September die zweite Verhandlung statt. Sie schien sehr kurz gewesen zu sein. Die Frage, ob zu allem anderen hin auch noch auf Feindbegünstigung Anklage erhoben werden solle, wurde kaum geprüft, der Tatbestand der Fahnenflucht war so eindeutig, daß nicht einmal der Offizialverteidiger den Versuch unternehmen mochte, auf 'unerlaubte Entfernung von der Truppe' zu plädieren.

Ich schloß die Akten und dachte nach. So also schreibt sich die äußere Geschichte eines solchen Lebens. Wie aber sieht die innere Geschichte aus?
*
Soweit der Ich-Erzähler im Verlauf der Akten des Kriegsgericht:

* *
Ich habe seinerzeit den Text zu einem Bericht genutzt zum schriftlichen Thema (bevor ich die ganze Novelle gelesen hatte):

Setzen Sie sich mit diesem Thema auseinander: Wie aber sieht die innere Geschichte des Todenkanditaten Fedor Baranowski - aus?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen