Mittwoch, 21. März 2012

... anzuzeigen: „B a h n h o f s s p i n a t“



Auf der Suche nach dem oder einem „Bahnhofsspinat“


Zur Lektüre von Tucholsky-Texten (oder -Begriffen) - Folge 1-


- Kurt Tucholsky 1928 -


Kümmelspinat? Oder Bahnhofstürke? Kümmelbahnhof oder Bahnhofsspinat? - Nein. Aber: „Kümmeltürke“ oder „Bahnhofsspinat“. In einem Atemzug gelesen bei Tucholsky:
„Ah –! Jetzt wußte ich, wo der sein Deutsch gelernt hatte. Und durch sein Deutsch erschienen wie durch einen Schleier die Lehrmeister dieser erfreulichen Grammatik: mit hohem Kragen, mit Monokel, mit leicht geröteten Gesichtern, mit den nötigen ›Harems‹-Adressen in der Brusttasche, beklunkert mit deutschen, österreichischen und türkischen Orden, mit dem ganzen Bahnhofsspinat. (…)“

Kurt Tucholsky: "Der Türke" (veröffentlicht von Ignaz Wrobel. WB v. 12.06.1924, Nr. 24, S. 828,
Da fehlt mir die Erklärung, nicht zu dem „Kümmeltürken“, aber zu dem „Bahnhofsspinat“. Oder kann ich mich nicht genug in die militärische oder militärtechnische Verwendung der Uniformierten Figuren und der degradierten Sprache hineindenken; insbesondere in die Deutsch-Militärische Besonderheit [Ja! Das Besöndere! „Kenne die Bähnhöf da unten janz genau!“ - des Besserwisserischen?
Auch hier, in diesem Abdruck bei wikisource, fehlt eine Erklärung der Bahnhofs-Metapher, weil sie auch in der historisch-kritischen Ausgabe [Bd. 6. Texte 1923 -1924. S.168f; Anm. 569] fehlt:
P.S.: Der „Kümmeltürke“ – soll man ihm noch eine verbale oder gar linguistische Ehrenerklärung, eine ent-pejorativische, schenken?
Heinz Küpper gibt eine prima, nachgewisserische Erklärung. Warten Sie!
Vorläufig, im Hinblick auf die oftmalige Literatur- und Lesebereitschaft eines solchen eingewurzelten nationalen Vorurteils, eines national ausgrenzenden Maledictums, eines Ethnovulgarismus :
Die Kümmeltürken-Kunde naht:
„Gemeint: langweiliger Mensch; Schimpfwort. Bezeichnet seit 1790 den Studenten, der im Bannkreis der Universitätsstadt Halle gebürtig war, weil man dort früher einmal Kümmel anbaute. Auch malte man früher einen Türken (Mohren) auf das Schild des Kaufladens, in dem Gewürzwaren gehandelt wurden.“
H. Küpper: dtv-Wörterbuch der deutschen Sprache. Bd. 1. 1971. S. 176)
Nachgewiesen in:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 2. Leipzig 1870, Sp. 1705. – Dort ein anderer Eintrag: „Aus der (oder: in die) Kümmeltürkei.
So heißt in der Studentensprache die Umgegend von Heidelberg.“
S. Kümmeltürke-Eintrag im Grimmschen DWB:

Die Wiki-Kümmeltürken-Kunde naht:
Aber, wie gesagt: der kluge Alltagssprachen-Wisser Heinz Küpper muss hier noch eingeschlichen werden, sonst sind "Türke" und "Bahnhof" nicht vollständig.
Wie ich Tucholsky zu verstehen suche...:
Tucholskys „Bahnhofosspinat“, als Produkt, das es zu zerlegen gilt:
Es lohnt sich unter „Spinat“ (Küpper. Bd. 2. S. 364) und unter „Bahnhof“ (Bd. 1. S. 43) nachzukucken.
Spinat:
1. „Spinat um Hals und Brust“ = Gesamtheit der Orden- und Ehrenzeichen. Die Eichenlaubverzierung u. a. wird als „Gemüse“ und „Spinat“ verhöhnt (ab 139ff)
2. „höchster Spinat“: das Entscheidende, das Höchste. Das Unübertreffliche.
3. Wie kommt Spinat aufs Dach (… auch aufs Dach des Bahnhofs). „Spinat“ steht hier euphemistisch für „Kuhscheiße“

Bahnhof (nach Küppers Worterklärungen):
2. „Großen Bahnhof haben“: mit allen diplomatischen oder militärischen Ehren am Bahnhof empfangen werden
4. „Ich verstehe (höre) immer Bahnhof“: Ausdruck der Ablehnung einer unangemessenen Mitteilung, -wahrscheinlich vom Zustand des Frontsoldaten herzuleiten, der für Dienstliches keinen Sinn mehr hat und sich nur noch für einen Antritt eines Heimaturlaubs interessiert.
„Und Bahnhof“ und „Spinat“ als die Verbindung beider Societäten, sprich: Bredouillen, sprich zeitkritischer Metaphern, lies: Tucholsky-Wörtern?

Da zeigt sich das ganz herrschaftliche Spinat-Getue und –Geschmerl, lokalisiert am Bahnhof als dem Treffpunkt vieler, vieler Heimaturlauber- oder Frontfahrer, dem Knotenpunkt der Kreigs-Logistik. (Obwohl dieses moderne Wort, der buchstäblich geschwindeste Leolo-, pardon: Neologismus deutscher Sprache und Verkehrsteilnehmer und –Impulse; ich sagte: der Neologimus für alt- und neumilitärische Bewegungen und Stockungen ein Anachronismus scheint – waren alle Verkehrslinien- und Trassen und Brücken- und Straßen (ob für Lkw- oder Autos, sprich: Militärheranführungen) nicht von privaten Nutzen (für Touris oder Handelsverteter oder Papa-Mama-Kinder-Touren…) – sondern von militärischen Optionen diktiert.
Tucholsky verwendete in seinem Texten „Bahnhofsspinat“ entweder einen ihm geläufigen oder eine von ihm komponierte Zusammensetzung der Kennzeichnung von überflüssigen oder verachteten Wert- oder Aus-Zeichnungen und dem oftmaligen „Aufgeschmissensein“ und Überwachtheiten der Infanteristen- und Munitionstransporte.

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