Mittwoch, 23. April 2025

Gogols "N e w s k i - P r o s p e k t"





 Vom Newski - dem Boulevard:

Yeah: ein seltener Text, als Büchlein - bein, pardon: beinahe ein Broschüre - erhalten seit 70 Jahren!

               # Die Erzählung Der Newski-Prospekt (russisch Невский Проспект) von Nikolai Wassiljewitsch Gogol schildert eingangs den Newski-Prospekt, eine Straße in Sankt Petersburg, in glanzvoller Weise, am Schluss wird diese Darstellung wieder zurückgenommen. Die Erzählung gehört zu Gogols Petersburger Novellen.


Nicolai Gogols: Der Newskij Prospekt

Übersetzung von Korfiz Holm [1924; 1962]

Nichts Schöneres gibt es als den Newskij Prospekt, in Petersburg einmal gewiß nicht – hier bedeutet er ganz einfach alles! Kein Glanz, den diese schönste Straße unserer Residenz entbehren müßte! Ich bin mir sicher, daß nicht einer von den bleichgesichtigen Beamten, die die Stadt bevölkern, den Newskij Prospekt um alle Güter dieser Welt vertauschen möchte. Nicht Leute nur, die fünfundzwanzig Jahre zählen und im Besitze eines flotten Schnurrbartes und fabelhaft geschnittener Kleider sind, begeistern sich so lebhaft für den Newskij Prospekt, nein, auch bejahrte Leute, deren Kinn schon weiße Stoppeln trägt und deren Kopf so blank ist wie ein silbernes Tablett. (…)

Siegfried von Vegesack übersetzte die narrative Exposition anders:

    Nikolai Wassiljewitsch Gogol: Der Njewskij Prospekt. [1947]. In: Rütten & Loening. Potsdam . [Bevor die DDR einregrichtet wurde als russische Satrapie: gekennzeichnet: als Veröffentlichung unter der Sowjetischen Militärverwaltung. Lizenz 120) - {Ein schönes Bündchen, Papier, das für mich die Zeit überdauerte!}

Und nun die Damen erst! Die Damen sind vom Newskij Prospekt womöglich noch entzückter. Und wer ist nicht entzückt von ihm? Wenn man den Prospekt betritt, spürt man sogleich diesen gewissen Duft von frohem Müßiggang. Und bist du auch in dringenden und wichtigen Geschäften unterwegs, betrittst du ihn, so hast du jegliches Geschäft vergessen. Das ist der einzige Ort der Stadt, den man nicht aufsucht, weil man muß, nach dem uns nicht nur die Notwendigkeit und das Geschäftsinteresse lenken, die doch sonst ganz Petersburg regieren. Und triffst du einen auf dem Newskij Prospekt, dann sieht er nicht so egoistisch aus, wie wenn du ihm zum Beispiel in der Morskaja, der Gorochowaja, Meschtschanskaja oder auf dem Litejnij Prospekt begegnest, kurzum, in einer von den Straßen, wo die nackte Gier und Habsucht und der Kampf ums Dasein aus den Zügen jedes Menschen sprechen, der vorübergeht oder -fährt, sei es im eigenen Wagen, sei es in der Droschke. Und jedermann passiert den Newskij Prospekt, die Hauptverkehrsader der Residenz. Hier dürfen Leute aus dem Wyborger und Petersburger Viertel überzeugt sein, ihren Freunden zu begegnen, die sie seit manchem Jahr nicht mehr gesehen haben, weil sie weit draußen an der Moskauer Chaussee und in der Sandberggegend wohnen. Und kein Adreßbuch und kein Meldeamt kann besser Auskunft geben als der Newskij Prospekt. Allmächtiger Newskij Prospekt! Du einzig richtige Promenade der in dieser Hinsicht armen Residenz! Wie fein gekehrt sind deine Bürgersteige, und, du lieber Gott, wie viele Füße lassen ihre Spur darauf! Hier trappt der abgemusterte Soldat mit plumpen schmutzigen Stiefeln, deren Wucht schier den Granit zersprengt; hier huscht der winzige, hauchleichte Schuh der jungen Maid, die ihren Kopf nach jedem eleganten Ladenfenster wendet, wie sich die Sonnenblume stets zum Lichte dreht; hier klirrt der Säbel des von großen Hoffnungen erfüllten Fähnrichs und ritzt scharfe Kratzer ins Trottoir – hier führt ein jeder seine Kraft spazieren oder seine Schwäche, die deswegen ja nicht weniger Eindruck machen muß. Und wie geschwind und wie phantastisch wechseln hier die Bilder an einem einzigen Tag! Wie groß die Zahl der Wandlungen in kurzen vierundzwanzig Stunden! Beginnen wir mit jener frühen Zeit des Morgens, da Petersburg nach heißem, frischgebackenem Brote riecht und von betagten Weibern in zerlumpten Kleidern wimmelt, die ihre Plätze vor den Kirchentüren zu erreichen trachten und heftige Attacken auf das Mitleid der Passanten machen. Um diese Stunde ist kein Leben auf dem Newskij Prospekt. Die ehrenfesten Kaufleute und ihre Ladendiener schlafen noch in ihren Nachthemden aus holländischer Leinwand oder seifen sich die schönen, glatten Backen ab oder sitzen auch beim ersten Frühstück. Hungrige Bettler lungern vor den Kaffeehäusern; ein sehr verschlafener Ganymed, der gestern abend, flink wie eine Fliege, mit den Schokoladentassen das Lokal durchflitzte, erscheint, den Besen in der Hand und ohne Schlips, und steckt den armen Teufeln altbackene Pasteten und kümmerliche Kuchenreste zu. Werktätiges Volk eilt durch die Straßen, und zuweilen kreuzt den Prospekt ein Zug von Arbeitern in hohen Stiefeln, so bespritzt mit Kalk, daß selbst der Katherinenkanal, der für sein reines Wasser doch bekannt ist, kaum genügen würde, sie zu säubern. Um diese Zeit ist es für Damen wenig ratsam, auszugehen, denn unser Volk bedient sich gern so derber Redensarten, wie sie die Damen höchstwahrscheinlich nicht einmal in unsern Schauspielhäusern von der Bühne hören. Zuweilen trottet ein verschlafener Beamter, der auf dem Weg in die Kanzlei den Prospekt passieren muß, mit seiner Mappe unterm Arm vorüber. Man kann entschieden sagen, daß um die Zeit, das heißt vor zwölf Uhr mittags, der Prospekt für jeden nur ein Mittel und für niemand einen Zweck bedeutet – er füllt sich immer mehr mit Menschen an, von denen aber keiner etwas anderes als seine Arbeit, seine Sorgen und Enttäuschungen im Kopfe hat, von denen keiner an die Straße denkt, durch die er geht. Der Arbeiter spricht bloß von einem Silberzehner oder sieben Groschen Kupfer, die alten Männer und die alten Weiber fuchteln mit den Händen und reden laut mit ihrem Bruder Innerlich, wobei sie sich sehr lebhaft zu gebärden pflegen; doch niemand hört darauf, und niemand lacht darüber als allenfalls die buntbejackten kleinen Jungen, die, leere Milchkannen und frisch besohlte Stiefel in den Händen, schnell den Prospekt hinunterrennen. Um diese Zeit kannst du dich kleiden, wie du magst, du kannst – stell dir das vor – statt eines Hutes eine Mütze auf dem Kopfe tragen, der Kragen kann dir viel zu weit aus der Krawatte schlüpfen, kein Mensch wird es auch nur bemerken. [...]

*

Gogol:

(Korfiz Holm:)

Allmächtiger Newskij Prospekt! Du einzig richtige Promenade der in
dieser Hinsicht armen Residenz! Wie fein gekehrt sind deine
Bürgersteige, und, du lieber Gott, wie viele Füße lassen ihre Spur
darauf! Hier trappt der abgemusterte Soldat mit plumpen schmutzigen
Stiefeln, deren Wucht schier den Granit zersprengt; hier huscht der
winzige, hauchleichte Schuh der jungen Maid, die ihren Kopf nach jedem
eleganten Ladenfenster wendet, wie sich die Sonnenblume stets zum Lichte
dreht; hier klirrt der Säbel des von großen Hoffnungen erfüllten
Fähnrichs und ritzt scharfe Kratzer ins Trottoir – hier führt ein jeder
seine Kraft spazieren oder seine Schwäche, die deswegen ja nicht weniger
Eindruck machen muß. Und wie geschwind und wie phantastisch wechseln
hier die Bilder an einem einzigen Tag!  


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