Literarisches Stichwort G # t t -
Im Spannungsfeld von Literatur und Theologie - Folge XXIX
Guten Tag, Herrschof:
Ja, danke für Ihr Nachfrage.
Das Recht am Text habe ich selber, da ich ihn geschrieben und unter meinem männl. Fachautoren-Namen Anton Stephan Reyntjes veröffentlich habe
Erschienen also in: „Religion heute“ Nr. 58/2004. S. 122ff.
| |
07.2004 |
|
|
*
Ihre Frage bezieht sich vielleicht aber auf die zitierten bzw. vorgelegten Texte, die aus meiner Unterrichtspraxis stammen, mit der Einleitung und den Arbeitsfragen, die einen eigenständigen fachlichen Zusammenhang wissenschaftlicher Erarbeitung darstellen(so die Rechtauskunft des Fachzeitschriftenverlags Erhard Friedrich Verlag in Seelze (Tel. 0511/4000 04-0), der diese theologische Zeitschrift - für Schüler in der Sek.-Stufe und Studenten - druckt.
Ich habe zum ersten Mal aus einem solchen Artikel eine gekürzte Fassung (hier zum Geburtstag der Astrid Lindgren) in Ihrem BLOG eingestellt.
Wie Sie den Vorgang jetzt bewerten, darüber bitte ich um Auskunft.
Ich könnte ergänzend bei meinem Beitrag auf den Pub.-Ort und den wissenschaftl. Artikel hinweisen.
Mit freundlichen Gruß – und Dank für Ihre Anfrage:
A.S. Reyntjes – Germanist, Erziehungswissenschaftler, freier Religionskundler
- 02361/25417 -
Tanja Busse
Auf nach Bullerbü
- Ein literarischer Reiseführer weist den Weg durch Astrid Lindgrens Schweden -
http://www.zeit.de/2006/10/Bullerb
Astrid Lindgren und wir - als Gottes Kinder - in Nangijala und in Nangilima
Das Gute und Schöne in der Kunst – als human-natürliche, sprachlich kreative Religiosität
Astrid Lindgren:
http://images.google.de/images?q=tbn:r_pzR0uGMnUJ:www.zweedsleren.nl/pics/astrid%2520lindgren.gif
*
http://www.astrid-lindgren.com/images/index.png
Eine Rose, die „Astrid Lindgren“ heißt..
http://www.tynningplanteskule.no/Images/Plantebilder/Roser/Klaseroser%202/Astrid%20Lindgren.jpg
ASTRID
LINDGREN
Farge: Reint rosa halvfylte store skålforma
blomster
Gjenblomstrande
Duft: Lett villroseduft
Bladverk: Glinsande
mørkegrønt bladverk
Høgde: 60-80 cm
Veksemåte: Frodig busk
med rik forgreining
Herdigheit: H4
*
Frau Lindgren, die große Kinder-Lady und -Poetin, ist hinübergegangen, sie ruht dort aus - im "Land der Lagerfeuer und Sagen", in ihrem Nangijala, wie sie die Jenseitsvorstellung in ihrem wichtigsten Roman "Die Brüder Löwenherz" nannte - das Land jenseits der menschlichen Vorstellungen, jenseits der Berechnungen, einzig erreichbar in realitätsgerechter, weltoffener, sozial und emotional phantasievoller Sprache für Kinder und junggebliebene Erwachsene. Religiös gesprochen: das Paradies.
Viele werden in diesen Tagen die berühmten Worte aus „Die Brüder Löwenherz“ zitieren : 'Wir sehen uns in Nangijala...'; zeitweise von einer beunruhigten Erwachsenenwelt als Ausdruck für eine Art schmerzhafte Todessehnsucht interpretiert. Doch alle, die Astrid Lindgren ernsthaft gelesen haben, wissen, dass es gerade die dunkle Anziehungskraft des Todes ist, die sie mit ihren Sagen in Bann halten will. Nangilima und Nangijala sind nur andere Namen für das Dämmerungsland, das Land in der Ferne. Dort werden wir uns sehen; dort werden wir und unsere Kinder immer Trost von Astrid Lindgren bekommen.
Hier und jetzt gibt es sie nicht mehr. Aber im Dämmerungsland wird sie allzeit zu finden sein.
Die beiden Brüder Löwenherz leben gemeinsam mit ihrer Mutter in einer kleinen Wohnung, in sehr bescheidenen Verhältnissen. Der Jüngere, Karl, Krümel genannt, liegt im Sterben und sein Bruder Jonathan kümmert sich um ihn. Er hat große Angst, aber Jonathan tröstet ihn und sagt: "Krümel, wir sehen uns in Nagijala wieder!" Nangiala liegt irgendwo hinter den Sternen... Implizite Fragen über den jetzigen Wissenstand über Nangijala hinaus: Hat Katla überlebt? - Was ist aus Matthias und Hubert geworden? - Werden alle wieder in Frieden leben können? - Haben die Brüder nun endlich den Kampf gewonnen? - Und wie werden wir, die Eltern, die Lehrer, die sogenannten Vorbilder, überleben, bevor wir hinüberreisen dürfen ins Land Nangijala.
Astrid Lindgren versteht es, den Leser durch ihre märchen-/traumhaften Figuren Jonathan und Krümel schon auf den ersten Seiten so zu verzaubern dass man sich sicher ist, das Buch nicht mehr aus der Hand zu legen bevor man auch den letzten Buchstaben verschlungen hat.
Als der kranke kleine Krümel eines Tages versehentlich mit
anhört, dass er bald sterben muß bekommt er furchtbare Angst und
fragt seinen großen Bruder Jonathan um Rat.
Dieser erzählt ihm
von Nagijala dem Land der Lagerfeuer und Sagen, in welches man nach
dem Tod reist.
Durch ein großes Unglück stirbt, der gesunde,
hübsche und von allen gemochte Bruder Jonathan noch vor Krümel,
weil er sich und Krümel - Karl aus dem brennenden Haus rettet.
Die
von allen darum, dass nicht der kranke Krümel sondern der hübsche
Jonathan gestorben ist, bedauerte Mutter verliert schließlich auch
ihren Krümel.
Dieser kann es kaum fassen kann als er plötzlich
im Kirschental steht und seinem geliebten Bruder Jonathan
wiederbegegnet.
Eine intensive und spannende Geschichte die durch die Abenteuer die die beiden in Nangijala erleben bis zum Ende spannend und fesselnd erzählt ist. Und man vergleicht die Mythe mit den uns in unserer Kindheit erzählten Jenseitsvorstellungen. Lindgren Land Phantasie hat die größeren Chance zu überleben, als die sogenannten christlichen, die in Jahrhunderte langen leibfeindlichen, häufig mörderischen Technik- und Männlichkeitsvorstellungen sich ausprägten.
*
Nach Frau Lindgrens Ableben am 28.01.2002 gab es rührende Nachrufe, z.B. schrieb in der ZEIT vom 31.01.02 Susanne Mayer zu diesem Ewigkeitsroman, einem „Heiligen Buch für das Kind im Menschen“:
Text 1:
Susanne Mayer:
Krümel Löwenherz und seinen Bruder Jonathan lesend zu begleiten, erfordert mehr Haltung als manchmal zur Verfügung steht. Die Geschichte ist so traurig, dass sie im Herzen weh tut, jedenfalls denen, die kein Löwenherz haben, und das sollen einige sein. Leute, die es vollkommen unerträglich finden, schon auf Seite eins vorzulesen zu müssen, dass Krümel bald sterben muss, ein nur zehnjähriger Junge, der in einem alten Holzhaus auf die Küchenbank gebettet ist und haltlos weint, weil er gehört hat, dass er bald sterben muss. Und nicht glauben kann, was sein großer Bruder Jonathan, der auch nur drei Jahre größer ist, ihm zum Trost versucht zu sagen: dass es nach dem Sterben bestimmt herrlich wird. "Herrlich?" sagte ich, "tot in der Erde liegen, das soll herrlich sein?!"
Stimme festigen, weiterlesen. Bald wissen wir, dass Krümel nicht nur einen, sondern viele Tode sterben muss, aus Angst, aus Schreck, aus Liebe, und keineswegs der Einzige ist, dem das wiederfährt, nicht mal der Erste. Als Erster stirbt Jonathan, noch vor Kapitel zwei. Und das soll ein Kinderbuch sein?!
Womit wir zur guten Nachricht kommen: Die Brüder Löwenherz leben nach dem Sterben in aufregendster Weise weiter, im Land der Sagen und Lagerfeuer, in Nangijala! Kämpfen gegen einen blutrünstigen Herrscher, besiegen einen Drachen, und wie Krümel das durchsteht, mit der Verzweiflung einer angstschlotternden Maus, es ist ein Wunder. Schon reiten sie wieder, Krümel und Jonathan, über Kirschblütenwiesen, angeln an Seen und erzählen sich Geschichten.
Im Land der Toten, dies ist die Botschaft, geht das Erzählen weiter, wir nehmen es als Versprechen, liebe Astrid Lindgren, unbedingt.“ (Susanne Mayer; mit anderen Artikeln nachzulesen unter URL: www.zeit.de\2002\06\Kultur
(Jonathan Löwenherz. A.L.: Die Brüder Lindgren. Oetinger Verlag. Hamburg)
Text 2:
Astrid Lindgren:
[Gott und Menschen]
Wäre ich Gott, dann
würde ich über die Menschen weinen,
die ich geschaffen habe
nach meinem Abbild.
Ich würde weinen über
ihre Bosheit
ihre Gemeinheit
ihre Grausamkeit
ihre Dummheit
über ihre armselige Güte
über ihre hilflose Verzweiflung
und ihre Sorgen.
Und ich würde weinen
weinen über ihrer Herzen Angst
ihre Unrast
ihre Todesfurcht
und ihre öde Einsamkeit
über ihre Schicksale
über ihre erbärmlichen Schicksale
und blindes Suchen nach jemandem ...
vielleicht nach mir!
Und ich würde weinen über die Todesschreie
und alles Blut, das vergebens fließt,
so vergebens
so völlig vergebens
und über den Hunger
und die Hilflosigkeit
und die Not
und all das wahnsinnige Plagen
und die einsamen Tode
und über die Gemarterten
die schreien und schreien
und immer mehr
über die Marterer.
Und dann all die Kinder,
die vielen vielen Kinder,
über die würde ich
am allermeisten weinen.
Ja, wenn ich Gott wäre,
dann würde ich viel über die Kinder weinen,
denn ich hatte mir nicht gedacht,
dass es ihn so ergehen wird.
Ströme, Ströme
würde ich weinen,
so dass sie ertränken in meiner Tränen
gewaltigen Fluten,
über all meine armen Menschen,
dass endlich Ruhe werde!
(Als Text in einem gedruckten Interview zuerst 1995. Aus: F. von Schönborn: Astrid Lindgren - Das Paradies der Kinder. Freiburg 1995. S. 52f.)
Fragen:
Erkläre Frau Lindgrens Gottesbild(er).
*
Text 3:
Lars Lindner:
Über Frau Lindgren - Nachruf
Diese Frau konnte so kindlich-phantasievoll sein und klettern!! So was war auch mein schönstes Freiheitserlebnis - wenn unten die Mama stand, mit der Schürzenspitze die Augen wischte - und schimpfte - und weinte und irgendwann nur noch bat: "Komm herunter! Toni!" - "Ja, wenn du in die Küche gehst!!" - Über deren Kosmos als Zeit und Gegenzeit, als moderne Welt und dahinter liegende Sprachwelt, ist in der Pädagogik, Politik und Theologie noch nicht verhandelt worden; Religionsfachleute haben diese unorthodoxen Regionen noch nicht erkundet - und doch scheint mir Lindgrens "Philosophie des Kindes" - kommunikativ recht und billig in Kraft zu sein - und für Erwachsene die einzige Perspektive für eine rettende Weltpolitik für Kinder. Viele - Päpste, Kardinäle, Politiker, (Religion-)Lehrer, Dogmatiker und Männlichkeitsvertreter und Pisa-Verfahrens-Räte (Klugscheißer!) - müssen das noch lernen...
Nach den Abenteuern und Sagen in Nangijala erfolgt der Übergang nach Nangilima... - dem Reich, von dem kein Mensch mehr erzählen kann. Schlußsatz und Einstieg in die neue Wirklichkeit des Weiterlebensdramas für Jonathan und Krümel: "Oh, Nangilima! Ja, Jonathan, ich sehe das Licht! Ich sehe das Licht!"
(Der Journalist Lars Linder schrieb dies in seinem Nachruf "Astrids Sage ist beendet"; Artikel im Dagens Nyheter. Stockholm. 28.01.2002; Übersetzung von Martin Buddrus, Hamburg):
*
Text 4:
Astrid Lindgren:
Über Fundwörter, auch über das Wörtchen Nan-gi...
Ich habe also hier eine Auswahl meiner «Einfälle» zusammengestellt und, wie es sich gehört, mit meiner Erstgeborenen, Pippi Langstrumpf, begonnen. «Pippi findet einen Spunk.»
Was ist ein Spunk? Zunächst erfindet Pippi das Wort, und erst dann versucht sie herauszubekommen, was es bedeutet. Spunk - ist das etwas, womit man Löwen erlegt, oder ist es eine Krankheit, die einem die Augen zufallen läßt, oder etwas, das einem Schluckauf beschert, wenn man Schuhkrem mit Milch ißt?
Eine Schulfreundin von mir grübelte viel darüber nach, warum Schnur wohl «Schnur» und Wanne wohl «Wanne» heißt. Wer hatte bestimmt, dass es so und nicht anders zu sein hatte? Hätte sie Pippi gefragt, dann hätte sie zur Antwort bekommen: «Wahrscheinlich ein Haufen alter Professoren.» Aber nicht nur Professoren denken sich Wörter aus, auch Kinder tun dies oft und gern. Einmal vor langer Zeit in unserer Kindheit saß mein Bruder, der, soweit bekannt, der Welt erster Sachensucher gewesen ist, vor einem Zeichenblatt und fragte mich: «Was soll ich zeichnen?» Ohne lange zu überlegen sagte ich: «Zeichne doch ein Salikon.» Und auch mein Bruder überlegte nicht lange. Er zeichnete ein Salikon, und ich sah auf den ersten Blick, dass es ein Salikon war, denn selbstverständlich erkennt man es sofort, wenn man es sieht. Deshalb war es eigentlich auch nicht recht von mir, dass ich später in einem Märchen, das «Allerliebste Schwester» heißt, das Salikon einfach in einen Rosenstrauch verwandelt habe, unerhört so etwas! Die sechsjährige Astrid wäre damit nie und nimmer einverstanden gewesen!
Nein, wahrhaftig nicht nur alte Professoren! Ein mir lieber kleiner Olle, dessen Wortschatz kaum zehn Wörter umfaßt, hat sich ein eigenes Wort ausgedacht: Nan-gi. Außer ihm weiß niemand in der ganzen weiten Welt, was es bedeutet, aber es scheint etwas sehr Lustiges zu sein, denn immer, wenn er es ausgesprochen hat, quiekt er vor Lachen. Nan gi? Was oder wer um alles in der Welt ist Nan-gi, das möchte man doch zu gern wissen. Nan-gi? O nein, halt! Bleib du nur noch im Fischkasten, mein Hechtlein! Ja, aber trotzdem ... Nan-gi! Nan-gi?
So ungefähr fängt es manchmal an.
Dies schrieb ich 1971. Zwei Jahre später erschien mein Buch «Die Brüder Löwenherz». Und dort taucht «Nan gi» auf, aber ich fügte etwas hinzu. «Nangijala» wurde der Name des Märchenreiches, wohin die beiden Brüder zuerst kommen. Und «Nangilima» das Land, das ihre endgültige Heimstatt wird.
(A.L.: Das entschwundene Land. Hamburg 1977: Oetinger Verlag. S. 102f.)
*
Das sogenannte Naherlebnis: Lichterfahrungen vor dem Tod: Goethe wußte es nicht besser, auch wenn sich die Goetheaner und Nicht-Goetheaner streiten, was sein "Mehr Licht!" heißen sollte. (Oder hieß es bei G.: "Mähr nicht?")
Für Lindgren heißt es nur: Erzählen wir uns von unserem Nangilima, solange Zeit und Gelegenheit zur Sage da ist. Schmücken wir unsere Lieben und uns für den Übergang; bereiten wir unsere Nächsten darauf vor, when (or if) the bells of Nangilima ring to us.
Die Lichterfahrungen Sterbender, nachgewiesen als Erlebnis bei Reanimierten, sind Legion, pardon, als allgemein menschliche Sinnlichkeit, als anthropologische, also auch religiöse Dimension des Wahrhaftigen, nachgewiesen; sie brauchen hier nicht diskutiert zu werden.
![]() |
Aufgabe:
Suche Informationen und diskutiere die beschriebenen Todeserfahrungen.
*
Text 5
Astrid Lindgren:
(nimmt Stellung zu der Diskussion um die zwei Jenseits-Welten:)
Jetzt schreibe ich an alle Kinder
Jetzt schreibe ich an alle Kinder, die mir zu dem Buch Die Brüder Löwenherz einen Brief geschickt haben. Ich kann nicht jedem einzeln antworten, denn dann würde ich zu nichts anderem mehr kommen. Aber natürlich habe ich mich über eure Briefe gefreut und auch darüber, dass euch das Löwenherzbuch gefallen hat; sehr gefreut habe ich mich. Ihr wünscht euch, dass ich noch ein Buch schreibe und darin erzähle, was in Nangilima geschah. Nein, ein neues Buch von Jonathan und Krümel wird es leider nicht geben. Aber ich kann euch - nur euch und nur hier in diesem Brief - erzählen, wie es den beiden auf dem Apfelhof in Nangilima erging:
Als sie gegen Abend auf Matthias' Hof geritten kamen, freute Matthias sich so sehr, dass er weinte. »Nie im Leben hätte ich geglaubt, dass ihr so bald kommt«, sagte er. »Mein lieber kleiner Junge«, sagte er zu Krümel, »nun darf ich also wieder dein Großvater sein!« Rings um den Matthiashof lag ein großer Obstgarten und dort wuchs ganz hinten in der Ecke ein riesiger alter Apfelbaum. Krümel baute sich hoch oben im Baum eine Hütte und Jonathan half ihm natürlich dabei. Es war ein feiner Kletterbaum, auf den man leicht hinaufkommen konnte. Sogar Matthias kletterte einmal hinauf, aber er kletterte bald wieder hinunter. Grim und Fialar durften in Matthias' Stall wohnen, denn einen Pferdestall hatte er natürlich. Er hatte auch ein Pferd, das Sturkas hieß. Ein komischer Name, nicht? Das Pferd war grau und lammfromm, konnte aber nicht so gut springen wie Grim und Fjalar. Aber aus dem Springen machte sich Matthias sowieso nicht allzu viel. Er hatte das Pferd nur um ins Dorf hinunter zu reiten und so.
Jonathan und Krümel ritten durch die Wälder, genauso wie Jonathan es vorhergesagt hatte, sie machten sich bald hier und bald dort ein Lagerfeuer und blieben tage- und nächtelang fort und schwammen und tauchten in den Seen, aber sie kehrten immer wieder nach Haus zu Matthias zurück. In Nangilimas Wäldern gab es keine Wölfe, aber es gab dort Wildhunde.
Eines Abends, als Jonathan und Krümel an ihrem Feuer lagerten, kam ein Wildhund angeschlichen. Anfangs wagte er sich nicht nahe heran, aber schließlich ließ er sich neben Krümel nieder und als Krümel ihn streichelte, wedelte er mit dem Schwanz. Es war ein Wildhund, den es zu den Menschen hinzog. Und er wurde Krümels Hund und bekam den Namen Mecke. Ritten Jonathan und Krümel durch die Wälder, lief er nebenher, er wollte immer bei Krümel sein.
Nein, Tengil und Katla sind nicht nach Nangilima gekommen. Tengil kam an einen Ort, der Lokrume hieß. Ich glaube nicht, dass es ihm dort besonders schlecht ging, aber nie wieder konnte er Menschen quälen und unterdrücken. jossi kam ebenfalls nach Lokrume und als er und Tengil sich trafen, blieben sie beide stehen und starrten sich nur an. Doch dann machten sie hastig kehrt und gingen ihre Wege. Wo Katla und Karm gelandet sind, das weiß niemand. Krümel fragte Jonathan danach und Jonathan sagte: »Vielleicht sind sie nach Sorokaste gekommen.« Doch er erzählte nichts von Sorokaste. Und deshalb weiß weder ich noch Krümel, was für ein Ort das ist.
So, nun wisst ihr so ungefähr, wie alles wurde. Vielen Dank, dass ihr mir geschrieben habt. Hei, Hej! Astrid Lindgren
(Zuerst 1975 veröffentlicht; aus: A.L.: Zum Donnerdrummel! Ein Werk-Porträt. S. 551ff.)
*
Astrid Lindgren zeigt hier den Weg der Menschheit - von der abrahamitischen Vorstellung, dass Kinder durch die Rute er-zogen werden müssen, dem männlich-kräftigen-lieblosen Verständnis von männlicher Anmaßung und Herrschaft - hin zu einem weiblich-positiven Einfühlung in Kinder- (ja, vorläufig und für lange Zeit auch in Männer-)Seelen. 'Schau'n wer mall' nach, was sich so gehört, in einer Männerwelt; die Wahlkampfzeiten zeigen’s uns ja allzeit:
»Wer die Rute schont, verdirbt den Sohn, wer ihn liebt, nimmt ihn früh in Zucht.« (Buch der Sprüche, 13,24; und dort ebenso: 29,15: "Rute und Rügen verleihen Weisheit, ein zügelloser Knabe macht seiner Mutter Schande.") Wieviele Männer haben .... den Müttern "Schande": alle von ihren Herren Vätern und ihren Vatergottheiten Gedemütigte, Verprügelte, die zusätzlich zu ihrer Schmach auch noch lernten, die Schmähenden, die Prügelnden, die schon von ihren Vätervätern Traktierten zu lieben, zu loben und schönfärberisch darüber zu labern; s. Buch der Sprüche, s. die Zeiten und Welten (alle Erdteile seit ihrer Entdeckung durch Weiße) voller Krieg, voller Hohn - aber mit dem Segen von Gottes Sohn - wenn Vätermänner es als ihre christliche Aufgabe (Befehl vom Herrenvater) es so für richtig hielten - und alles verrieten, was sich so an Liebesgeboten und Vorstellungen angesammelt hat: S. 3. Buch Mose Buch (Levitikus), 19,18: "Du sollst deine Nächsten nicht rächen und ihnen nichts nachtragen. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selber. Ich bin der Herr..."
Aufgabe:
Setze dich mit der Rede und den Erläuterungen auseinander.
*
Text 6:
Astrid Lindgren:
Niemals Gewalt
(Aus der Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, 1978 in Frankfurt/M.)
(...) Nun mögen sich viele Eltern beunruhigt durch diese neuen Signale fragen, ob sie bisher etwas falsch gemacht haben. Ob eine freie Erziehung, in der die Erwachsenen es nicht für selbstverständlich halten, dass sie das Recht haben zu befehlen und die Kinder die Pflicht haben, sich zu fügen, womöglich nicht doch falsch oder gefährlich sei.
Freie und unautoritäre Erziehung bedeutet nicht, dass man die Kinder sich selber überlässt, dass sie tun und lassen dürfen, was sie wollen. Es bedeutet nicht, dass sie ohne Normen aufwachsen sollen, was sie selber übrigens gar nicht wünschen. Verhaltensnormen brauchen wir alle, Kinder und Erwachsene, und durch das Beispiel ihrer Eltern lernen die Kinder mehr als durch irgendwelche anderen Methoden. Ganz gewiss sollen Kinder Achtung vor ihren Eltern haben, aber ganz gewiss sollen auch Eltern Achtung vor ihren Kindern haben, und niemals dürfen sie ihre natürliche Überlegenheit missbrauchen. Liebevolle Achtung voreinander, das möchte man allen Eltern und allen Kindern wünschen. Jenen aber, die jetzt so vernehmlich nach härterer Zucht und strafferen Zügeln rufen, möchte ich das erzählen, was mir einmal eine alte Dame berichtet hat. Sie war eine junge Mutter zu der Zeit, als man noch an diesen Bibelspruch glaubte, dieses »Wer die Rute schont, verdirbt den Knaben«. Im Grunde ihres Herzens glaubte sie wohl gar nicht daran, aber eines Tages hatte ihr kleiner Sohn etwas getan, wofür er ihrer Meinung nach eine Tracht Prügel verdient hatte, die erste in seinem Leben. Sie trug ihm auf, in den Garten zu gehen und selber nach einem Stock zu suchen, den er ihr dann bringen sollte. Der kleine junge ging und blieb lange fort. Schließlich kam er weinend zurück und sagte: »Ich habe keinen Stock finden können, aber hier hast du einen Stein, den kannst du ja nach mir werfen.« Da aber fing auch die Mutter an zu weinen, denn Plötzlich sah sie alles mit den Augen des Kindes. Das Kind muss gedacht haben, »meine Mutter will mir wirklich weh tun und das kann sie ja auch mit einem Stein«.
Sie nahm ihren kleinen Sohn in die Arme und beide weinten eine Weile gemeinsam. Dann legte sie den Stein auf ein Bord in der Küche und dort blieb er liegen als ständige Mahnung an das Versprechen, das sie sich in dieser Stunde selber gegeben hatte: »NIEMALS GEWALT!«
Ja, aber wenn wir unsere Kinder ohne Gewalt und ohne irgendwelche straffen Zügel erziehen, entsteht dadurch schon ein neues Menschengeschlecht, das in ewigem Frieden lebt? Etwas so Einfältiges kann sich wohl nur ein Kinderbuchautor erhoffen! Ich weiß, dass es eine Utopie ist. Und ganz gewiss gibt es in unserer armen, kranken Welt noch sehr viel anderes, das gleichfalls geändert werden muss, soll es Frieden geben. Aber in dieser unserer Gegenwart gibt es - selbst ohne Krieg - so unfassbar viel Grausamkeit, Gewalt und Unterdrückung auf Erden und das bleibt den Kindern keineswegs verborgen. Sie sehen und hören und lesen es täglich, und schließlich glauben sie gar, Gewalt sei ein natürlicher Zustand. Müssen wir ihnen dann nicht wenigstens daheim durch unser Beispiel zeigen, dass es eine andere Art zu leben gibt? Vielleicht wäre es gut, wenn wir alle einen kleinen Stein auf das Küchenbord legten, als Mahnung für uns und für die Kinder: NIEMALS GEWALT!
Es könnte trotz allem mit der Zeit ein winziger Beitrag sein zum Frieden in der Welt.
(Zitiert nach: A.L.: Zum Donnerdrummel! Ein Werk-Porträt. Frankfurt/M. 2001.S. 610-616)
*
Und A.L. ließ in einem bestimmten Sinne den imaginierten Gott, im Prinzip des Deus redivivus, antreten auf ihrer und unserer Erfahrungserde:
Text 7:
Astrid Lindgren:
Der liebe Gott kommt auf den Schlachthof...
(Aus einem Interview; A.L: reagierte auf den Impuls: Und dann haben Sie in einem Artikel von einem Inspektionsbesuch Gottes auf Erden geträumt ...)
In dem Traum ist der liebe Gott auf die Erde gekommen, um zu sehen, wie die Menschen die Tiere behandeln. Er erinnerte sich noch daran, wie schön er einst alles geschaffen hatte, und dass am letzten Schöpfungstag die Menschen von ihm auserkoren worden waren, um über die Tiere zu herrschen. Erst jetzt hatte der Vielbeschäftigte Zeit gefunden, sich nach dem Wohlergehen der Tiere zu erkundigen, und er meinte, er würde nur zufriedene Antworten hören. Da zeigte ich dem lieben Gott eine Schweineschlachterei, in der man versucht, möglichst viele Schweine im Eiltempo umzubringen. Als der liebe Gott sah, wie die verängstigten Schweine zum Schlachten getrieben wurden, wie sehr sie litten, bis sie zu Tode kamen, wollte er die Maschinerie anhalten lassen und rief: „Halt, stopp, aufhören, diese Tiere leiden!" Der Allmächtige war entsetzt darüber, welche Schwachköpfe und Bösewichte er zu Herrschern über die Schöpfung auserkoren hatte, und verlangte den Verantwortlichen für diese skandalösen Zustände zu sprechen.
In meinem Traum verschwand der liebe Gott dann plötzlich, und an seiner Stelle stand unser Landwirtschaftsminister Mats Hellström. jetzt konnte ich ihn so sprechen lassen, wie es mir gefiel. Da sagte er zum Beispiel: „Künftig dürfen keine Tiere mehr auf Lebenszeit eingesperrt werden. Hinaus mit ihnen in Gottes freie Natur!" und „Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit die schwedische Landwirtschaft wieder gesund wird."
(1990; aus: Felizitas von Schönborn: Astrid Lindgren - Das Paradies der Kinder. Freiburg u.a.: Herder Verlag. 1995. S. 89)
*
Text 8:
Astrid Lindgren:
Mein Sohn liegt in meinem Arm
Mein
Sohn liegt in meinem Arm. Er ist eine so zarte kleine Last, man spürt
sie fast gar nicht. Und doch wiegt sie schwerer als Erde und Himmel
und Sterne und das ganze Sonnensystem.
Wenn ich heute sterben
müsste, so könnte ich die Erinnerung an diese holde kleine Last mit
mir ins Paradies nehmen. Ich habe nicht vergebens gelebt. Mein Sohn
liegt in meinem Arm. Er hat so kleine, kleine Hände. Die eine hat
sich um meinen Zeigefinger geschlossen, und ich wage nicht, mich zu
rühren. Er könnte dann vielleicht loslassen, und das wäre
unerträglich. So ein Himmelswunder diese kleine Hand mit fünf
kleinen Fingern und fünf kleinen Nägeln. Ich wusste ja, dass Kinder
kleine Hände haben, aber ich habe wohl nicht recht begriffen, dass
mein Kind auch solche haben würde. Denn ich liege hier und blicke
auf das kleine Rosenblatt, das die Hand meines Sohnes ist, und kann
nicht aufhören zu staunen.
Er liegt mit geschlossenen Augen da
und bohrt seine Nase in meine Brust, er hat schwarzes, flaumiges
Haar, und ich kann ihn atmen hören. Er ist ein Wunderwerk.
Sein
Vater war hier und fand auch, dass er ein Wunderwerk sei. Er muss
also ein Wunderwerk sein, da wir beide es finden.
Meine Liebe zu
ihm tut fast weh.
Vorhin hat mein Sohn ein bisschen geweint.
Wie ein kläglich blökendes Zicklein gebärdet er sich, wenn er
weint, und ich ertrage es fast nicht. Wie schutzlos du bist, kleines
Zicklein. Mein kleines Vögelchen, wie soll ich dich schützen? Meine
Arme schließen sich fester um dich. Sie haben auf dich gewartet,
meine Arme, sie waren von Anfang an für dich bestimmt, ein Nest für
dich zu sein, du mein Vögelchen.
Du bist mein, du gehörst mir
jetzt. In diesem Augenblick bist du ganz mein. Aber bald wirst du
anfangen zu wachsen. Jeder Tag, der vergeht, wird dich ein kleines
Stück weiter von mir wegführen. Nie mehr wirst du mir so nahe sein
wie jetzt.
Vielleicht werde ich eines Tages mit Schmerz an diese
Stunde denken: "Wie die klagende Saite einer Geige, wie ein
Kiebitzruf auf der Heide geht die Sehnsucht der Menschen nach
Menschen durch die von Menschen bewohnte Welt. Am demütigsten und
tiefsten aber sehnen sich die Eltern nach den Kindern, die von den
Gesetzen des Lebens in andere Zusammenhänge gerufen wurden".
Das steht in einem Buch, das ich habe.
In diesem Augenblick hast
du mich, aber gewiss werden die Gesetze des Lebens auch dich in
andere Zusammenhänge rufen. Und dann werde ich vielleicht so ein
rufender Kiebitz auf der Heide sein und vergeblich nach meinem
Vögelchen rufen. Das Vogeljunge wird wachsen und groß werden. Ich
weiß, dass es so sein muss.
Aber jetzt, in diesem Augenblick,
habe ich dich. Du bist mein, mein - mit deinem flaumigen Kopf und
deinen zarten, kleinen Fingern und deinem kläglichen Weinen und
deinem Munde, der nach mir sucht. Du brauchst mich, denn du bist nur
ein armes, kleines Kind, das auf die Erde gekommen ist und gar nicht
ohne Mutter sein kann. Du weißt nicht einmal, was das für ein Ort
ist, an den du gekommen bist, und vielleicht klingt dein Weinen
deshalb so verirrt. Hast du Angst, das Leben zu beginnen? Du weißt
nicht, was dich erwartet? Soll ich es dir erzählen?
Hier gibt es
so viel Merkwürdiges. Warte nur, dann wirst du es sehen. Es gibt
blühende Apfelbäume und kleine, stille Seen und große, weite Meere
und Sterne in der Nacht und blaue Frühlingsabende und Wälder - ist
es nicht schön, dass es Wälder gibt? Manchmal liegt Raureif auf den
Bäumen, manchmal scheint der Mond, und im Sommer liegt Tau im Grase,
wenn man erwacht. Dann kannst du auf deinen kleinen, nackten Füßen
dort gehen. Du kannst auf schmalen, einsamen Skispuren in den Wald
hinein gleiten - wenn es Winter ist natürlich. Die Sonne wirst du
lieben, sie wärmt und leuchtet, und das Wasser im Meer ist kühl und
lieblich, wenn du badest. Es gibt Märchen in der Welt und Lieder. Es
gibt Bücher und Menschen, und einige von ihnen werden deine Freunde.
Es gibt Blumen, sie sind gar nicht nützlich, sondern nur schön. Ist
das nicht wunderbar und herrlich? Und auf der ganzen Erde gibt es
Wälder und Seen und Berge und Flüsse und Städte, die du nie
gesehen hast, aber vielleicht eines Tages sehen wirst. Deshalb sage
ich dir, mein Sohn, dass die Erde ein guter Ort ist, um dort zu
leben, und dass das Leben ein Geschenk ist. Glaub nie denen, die
etwas anderes zu sagen versuchen. Gewiss, das Leben kann auch schwer
sein, dass will ich dir nicht verhehlen. Du wirst Kummer haben, du
wirst weinen. Es kommen vielleicht Stunden, da du den Wunsch hast,
nicht mehr zu leben. Oh du kannst nie verstehen, was für ein Gefühl
es für mich ist, dies zu wissen. Ich könnte mein Herzblut für dich
geben, aber ich kann nicht eine einzige von den Sorgen wegnehmen, die
dich erwarten. Und doch sage ich dir, mein liebes Kind:
Die Erde
ist die Heimat der Menschen, und sie ist eine wunderbare Heimat. Möge
das Leben nie so hart gegen dich sein, dass du es nicht verstehst.
Gott schütze dich, mein Sohn!
( A.L.: „Wunder Menschenkind“; aus dem Mädchenroman „Kati in Paris“; zitiert nach: Astrid Lindgren: Steine auf dem Küchenbord. Gedanken Erinnerungen Einfälle, gesammelt von Elisabeth Hohmeister Angelika Kutsch und Margareta Strömstedt, Oetinger Hamburg 2000)
Arbeitsauftrag:
Erläutere:
inwiefern A.L. von sich
ihrer Liebe und
von der göttlichen Schutzfunktion für ihren Sohn berichtet.
Setze dich mit dieser Auffassung von Gott und den Gotteskindern und ihrer Verantwortung auseinander.
Zur Person:
[A.L.:Bild auf der Schaukel]
Literatur:
* A. L.: Das entschwundene Land.(Erinnerungen) Hamburg 1977: Oetinger Verlag. [Alle Kinderbücher von A.L. sind im Oetinger Verlag erschienen; einige liegen als Taschenbuch bei dtv vor.]
* Felizitas. von Schönborn: Astrid Lindgren - Das Paradies der Kinder. Freiburg 1995.
* Sybil Gräfin Schönfeldt: A.L. romono 50371. Hamburg/Reinbeck 2000.
* A.L.: Zum Donnerdrummel! Ein Werk-Porträt. Herausgegeben von Paul Berf und Astrid Surmatz. Frankfurt/M. 2001: Zweitausendeins.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen