Donnerstag, 31. Oktober 2024

  


 B ö l l - S a t i r e n: 

http://www.heinrich-boell.de/forum/post.php?cat=1&fid=1&pid=4&page=1&v=0


Kurt Bartsch: Russisch Brot

Nach Heinrich Böll

Als er den Zug im katholischen Bonn verließ, wäre er gern in die kleine Kirche gegangen, in der er früher gebeichtet hatte; er wollte für S., jenen russischen Dissi­denten, den (er mochte sich nur mit Abscheu daran erinnern) das MAGAZIN als »Solches-nützt-ihm« zu diffamieren sich nicht entblödet hatte, beten, verspürte jedoch wenig Neigung, in die Gesichter all der scheinhei­ligen Katholiken zu blicken, die, Minister und Ministerialräte, Mitglieder des Wehr- und Presseausschusses, ihn mit immer größer werdender Gereiztheit erfüllten. Er mußte an Dr. Raddicki, den Literaturpapst denken, der ihn während einer Gerichtsverhandlung, in deren Verlauf ein Mann von der ZEITUNG ihn, B., obwohl es verboten war, fotografiert hatte - die Unterschrift unter dem Foto lautete: Gruppenbild mit Noböllpreisträger - seiner »altväterlichen Umstandsprosa« wegen aufs Korn genommen hatte, worauf der Generalstaatsanwalt Kugl-Bichler, ein Neffe des ehemaligen SA-Bauernschaftsführers und jetzigen Bundestagsabgeordneten Bichler-Labiche - dessen Vorfahren Hugenotten waren, ein Umstand, den seine frühere SA-Mitgliedschaft in einem noch trüberen Licht erscheinen ließ - sich nicht verkneifen konnte, in ein Gelächter auszubreiten, das sich später (B. vernahm es durch die dünne Wand der justizeigenen Toilette) zu einem Lachkrampf auszuwei­ten drohte; ging also nicht in die kleine Kirche, sondern bog., einer seinem melancholischen Naturell entsprechen­den Eingebung folgend, in eine dunkle Seitenstraße, wo er jener Borniertheit, wie man sie außer in der als Landeshauptstadt bezeichneten Kloake nur noch in Klostergemeinschaften kennt, zu entrinnen trachtete; dort, im fahlen Schein einer Laterne, traf er auf jenen Hund, den Pinscher zu nennen er (seit er selber in gleichlautender Weise verhöhnt worden war) sich nicht getraute, jedoch beherzt in die Tasche griff, um dem Vierbeiner sein letztes Stück Russisch Brot - das vor­letzte hatte er mit K., einem anderen russischen Dissidenten, geteilt - zu verabreichen. Er böllte freudig.

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(Kurt Bartsch: die Hölderlinie. Deuschdeusche Parodien. Berlin 1983. S 75f-


[b]Parodien auf oder gegen B ö l l:[/b]

Text 2 einer kleinen Sammlung


Kurt Bartsch, 1980 von Wost nach Wert - pardon: von Ost nach West in Deutschlands Nachkriegszeiten verzogen, ein fuchsmäuliger Parodiker, versuchte sich zu Lebzeiten Bölls an seiner Publizität..:

Eine bissig-beißend, geistverzagte Parodontie - pardon: Parodie - die nicht mehr Themen, Stil und Intentionen des literarischen Vorbildes wiederzugeben und ironisieren suchte, sondern Stichwörter, verbale Fetzen, mentale Bruchstücke, politische oder pseudoideelle Schlagwörter, die sich auch um den bundesrepublikanischen Fels Böll rankten, ja zunehmend wucherten, aufzukochen suchte...

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Nach mehr als zwanzig Jahren können wir ablesen, worin Bölls Bedeutung und Bartschs sekundäre Mache bestand:

[b]kämpferische Humanität gegen streitende Stillosigkeit[/b]

[b]Kurt B a r t s c h:

Russisch Brot[/b]

[i]Nach Heinrich Böll[/i]

Als er den Zug im katholischen Bonn verließ, wäre er gern in die kleine Kirche gegangen, in der er früher gebeichtet hatte; er wollte für S., jenen russischen Dissidenten, den (er mochte sich nur mit Abscheu daran erinnern) das MAGAZIN als »Solches-nützt-ihm« zu diffamieren sich nicht entblödet hatte, beten, verspürte jedoch wenig Neigung, in die Gesichter all der scheinheiligen Katholiken zu blicken, die, Minister und Ministerialräte, Mitglieder des Wehr- und Presseausschusses, ihn mit immer größer werdender Gereiztheit erfüllten.

Er mußte an Dr. Raddicki, den Literaturpapst denken, der ihn während einer Gerichtsverhandlung, in deren Verlauf ein Mann von der ZEITUNG ihn, B., obwohl es verboten war, fotografiert hatte - die Unterschrift unter dem Foto lautete: Gruppenbild mit Noböllpreisträger - seiner »altväterlichen Umstandsprosa« wegen aufs Korn genommen hatte, worauf der Generalstaatsanwalt Kugl-Bichler, ein Neffe des ehemaligen SA-Bauernschaftsführers und jetzigen Bundestagsabgeordneten Bichler-Labiche - dessen Vorfahren Hugenotten waren, ein Umstand, den seine frühere SA-Mitgliedschaft in einem noch trüberen Licht erscheinen ließ - sich nicht verkneifen konnte, in ein Gelächter auszubreiten, das sich später (B. vernahm es durch die dünne Wand der justizeigenen Toilette) zu einem Lachkrampf auszuweiten drohte; ging also nicht in die kleine Kirche, sondern bog, einer seinem melancholischen Naturell entsprechenden Eingebung folgend, in eine dunkle Seitenstraße, wo er jener Borniertheit, wie man sie außer in der als Landeshauptstadt bezeichneten Kloake nur noch in Klostergemeinschaften kennt, zu entrinnen trachtete; dort, im fahlen Schein einer Laterne, traf er auf jenen Hund, den Pinscher zu nennen er (seit er selber in gleichlautender Weise verhöhnt worden war) sich nicht getraute, jedoch beherzt in die Tasche griff, um dem Vierbeiner sein letztes Stück Russisch Brot - das vorletzte hatte er mit K., einem anderen russischen Dissidenten, geteilt - zu verabreichen. Er böllte freudig.

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(Kurt Bartsch: die Hölderlinie. Deutschdeutsche Parodien. Berlin 1983. Rotbuch Verlag. S 75f.)

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Hier erfahren wir in Andeutungen von Ereignissen, Anwürfen, wichtigen literaturpolitischen Auseinandersetzungen als [b]Querelen[/b], als komische Umstände, als Klamauk.


Geistesgeschichtliche Parodien sollten, ach, könnten mehr leisten: offenbaren, was Aufklärung und Lichterhelle und Diskussionsstoff vermag: Vertreibung der Ignoranten, der Dunkelmänner, der bestialisierenden Politiker und ihrer Machenschaften und Mitmacher.

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Text 3: -  „Die Hochzeitsreise“

Eine Parodie auf Bölls Roman „Ansichten eines Clowns“ schreibe Karl Hoche, ein vormaligen Vielschreiber in litteris saturae.

„Die Ankunft vollzog sich nach der dem Reisen innewohnenden Automatik, Waggontür auf, Waggonstufen 'runter…“ – usw.

Die Parodie auf Heinrich Bölls Roman »Ansichten eines Clowns« (1963) ist ein Beispiel aus der damals illustren Serie »Kann man heute noch Romane schreiben? Zehn bekannte Autoren schufen den Roman 'Hans und Grete'«.

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Hoche gestattet keinen unbezahlten Abdruck seines Textes; deshalb verweise ich auf die URL. für diesen Lese-Ort dieser geistentfesselten Quelle:

Karl Hoche, Schreibmaschinentypen und andere Parodien, München 1972.

http://www.phil.uni-erlangen.de/~p2gerlw/parodie/hoche1.html

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Zu: Karl Hoche (*1936): „Die Hochzeitsreise. Nach Heinrich Böll („Ansichten eines Clowns«; aus „Schreibmaschinentypen und andere Parodien“)

Heinrich Bölls erfolgreicher und viel diskutierter Roman „Ansichten eines Clowns“ erschien 1963. Aus der Perspektive des Außenseiters und ehemaligen Clowns Hans Schnier wird die Geschichte einer gescheiterten Liebesbeziehung und der persönlichen Folgen erzählt. Nachdem Schnier sechs Jahre in nicht legalisierter Ehe mit Marie gelebt hat, trennt sie sich von ihm, weil er sich weigert, die zu erwar­tenden Kinder katholisch erziehen zu lassen, und heiratet einen einflußreichen Katholiken. Eigentlicher Inhalt des Romans ist die larmoyante Kritik des zum Selbstmitleid neigenden negativen Helden an der Vereinnahmung individueller Freiheit durch institutionelle Macht.


An diesem Roman unterscheiden sich multipel-bekennerwütige Parodisten von humorvoll-ironischen Realisten, die den ideellen und erzählerischen Kern der „Ansichten eines Clowns“ auch in den Jahren nach 2000 als ein aktuelles Spiegelbild der grotesken, römisch-katholischer Machtarroganz und Liebes-Unfähigkeit erkennen.

Die Parodie-Sammler Winfred Freund und Walburg Freund-Spork wirren sich durch die Vorlage von literarischer Statisterie als verfehlter Parodiekunst mit folgender Beschreibung:


„Der Parodist präsentiert das Paar im Rahmen eines ironisch substitu­ierten Happy-Ends auf der Hochzeitsreise. Die Legalisierung der Beziehung führt den Helden jedoch groteskerweise zur Impotenz, weil er den Geschlechtsverkehr nur aus Trotz gegen die kirchlichen Bestimmungen vollziehen konnte. Seine »anti-ekklesiastische« Potenz erwacht erst wieder, als seine Frau ihn im Zuge eines abson­derlichen Liebesspiels an autoritäre Anmaßungen der katholischen Kirche wie die berüchtigte »Pillen-Enzyklika« erinnert. Die Parodie führt den Romanhelden als pennälerhaft trotzigen Kleinbürger vor, der im Grunde ohne Identität bis zur Selbstaufgabe in das institutionelle Kraftfeld der Kirche verstrickt ist. Beine schnoddrige Sprache mit ihren scheinbar weltmännisch raffenden Gesten und nonchalan­ten Unscharfen strotzt von Klischees und prüden Umschreibungen geschlechtlicher Aktivitäten. Hinter der vorgetäuschten, kritisch freizügigen Haltung regt sich überall der in Platitüden verhedderte, obrigkeitshörige Spießer, in dem der Katechismus selbst noch in intimsten Situationen über die eigene Persönlichkeit triumphiert. Im Spiegel der Parodie verrät Bölls wiederholtes Räsonnement gegen die Kirche einen gravierenden Mangel an Selbstbewußtsein, das aber im Grunde gerade reklamiert werden soll. Der Parodist macht die Oberfläche des Erzählens durchsichtig für latente Obsessionen und dekuvriert die literarische Argumentation als bloßes Tarnungsmanöver.“

[i](Winfred Freund und Walburg Freund-Spork, in: Deutsche Prosa-Parodien aus zwei Jahrhunderten. Stuttgart 1988. Reclams UB 8483. S. 228)[/i]

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