Thema: Sozialisation:
Beispiel für eine Klausur (äh, ja: die Klausur ist nur sinnvoll, wenn man Kafkas „Brief an den Vater“ – besonders unter sozialisations- und kommunikationstheoretischen Gesichtspunkten durchgenommen hatI.
{Fiktionaler, jep} Brief Hermann Kafkas an seinen Sohn Franz:
Lieber Franz!
Als Antwort auf deinen Brief, bezeichne ich es als Frechheit gegenüber deinem eigenen Vater mir solch einen respektlosen Brief zu schreiben. Du behauptest, ich habe dich zu stark unter Druck gesetzt, ich sei zu stark für dich, da du der erste Sohn warst und den ganzen Stoß, wie du es nennst, aushalten musstest. Auch deine Vorwürfe ich habe dir nie Aufmunterung oder Freundlichkeit geschenkt, habe dich in deinem Denken beeinflussen wollen, sind unangebracht, denn habe ich versucht dich so zu erziehen, wie es mein Vater auch mit Erfolg bei mir geschafft hat, somit wollte ich dich auch auf den richtigen Weg lenken.
Du sagst ich habe mich nie für deine Unternehmen in der Kinderzeit interessiert, aber war es nicht so, wie du es ja auch erwähnst, dass ich versucht habe mit meinen Mitteln und Wissen dir etwas beizubringen, du aber es ablehntest, wie du es sagst zu deiner tiefen Beschämung, von mir zu lernen.
So war es auch in deiner Erziehung zum Judentum. Wie ich zugeben muss, war ich nicht sehr oft im Tempel, eben nur vier Tage im Jahr, aber ich habe dir dabei versucht etwas über den Glauben beizubringen, während du damals kein besonders großes Interesse zeigtest. Erst später kam dein Interesse für das Judentum. Sowohl ich jetzt zugeben muss, dass ich doch erzürnt darüber war, dass du nicht meine Erfahrungen und mein Wissen über das Judentum annehmen wolltest. Es stimmt schon, dass ab da an mich das Judentum „anekelte“, da du nicht meinem Weg folgen wolltest.
Du behauptest außerdem, dass durch meine Erziehung du dein Selbstvertrauen verloren hättest und dafür ein Schulbewusstsein erhalten hast. Dabei ist es doch nicht meine Schuld, dass du zu „schwach“, wie du es sagst, für mich warst.
Dies war doch auch der Grund dafür, dass deine Heiratsversuche scheiterten. Deiner Meinung nach wollte ich nicht, dass du heiratest, denn dann hättest du das Höchste erreicht, was man erreichen könne und wärest mir ebenbürtig. Aber im Grunde war es doch so, dass du dich nicht trautest, du hattest, wie gesagt, dein Selbstbewusstsein verloren, um zu heiraten.
Aber ungeheuerlich finde ich die Aussage, dass ich gegenüber den Kindern völlig versagt hätte. Was habe ich nicht alles für dich und deine Geschwister getan, damit ihr ein normales Leben habt? Ich verbiete dir so etwas von mir zu behaupten. Eher solltest du noch einmal darüber nachdenken, was du zu unserem Vater-Sohn Verhältnis, ein bestes Beispiel ist deine genannte Aussage, beiträgst.
*
Information: Dieser Brief von Hermann Kafka, die unterstellt, dass der Sohn den Brief an den Vater weitergegeben hat, ist eine fiktive Erarbeitung. –In dieser Klausur ist in keiner Weise der literarische oder literarhistorische Qualität der Texte zu thematisieren, sondern lediglich der biografische und familiäre Gehalt.
Text nach:
https://e-hausaufgaben.de/Hausaufgaben/D1592-Kafka-Brief-von-Hermann-Kafka-an-Franz-Kafka.php
* [Dort wird dieser Text abgedruckt "nach unklärter Vorlage")
Aufgaben:
Stellen Sie kurz den Originalzusammenhang, nach Kafkas „Brief an den Vater” her und geben sie die wichtigsten Argumente und Vorwürfe des Sohnes Franz hervor.
Geben Sie die wichtigen Gesichtspunkte der Antwort des Vaters Kafka wieder und vergleichen Sie sie in ihrem Gehalt mit den Aussagen und Begründungen des Originalbriefes.
Nehmen Sie abschließend Stellung zu der Problematik der Vater-Sohn-Beziehung im Hause Kafka in Prag vor 1920..
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