GOETHE-MEMORABILIEN #
Goethes Gartenhaus in Weimar, im Park an der Ilm
K a f k a in Weimar [... er malt Gspenster-Häuschen]:
Prof. Dr. Paul Rabe: „(…) wie sich dann alles weiter verwirrte - das ist eine eigene Geschichte, die man sich als Buch wünschte: Kafka in Weimar.“ (P.R.: Spaziergänge durch Goethes Weimar. S. 38f.)
Das Bild zeugt, pardon: zeigt:
Franz Kafka und Margarethe Kirchner im Garten des Goethehauses, 1912
Das frühere Hotel Chemnitius Geleitstraße 12
Zu Goethes Zeit hatte das Landes-Industrie-Comptoir von Friedrich Justin Bertuch bis 1802 hier seine Arbeitsräume. Später soll hier der Minister Carl Wilhelm Freiherr von Fritsch gewohnt haben. Für uns bemerkenswert aber ist das heute unscheinbare Haus dadurch,
daß hier Franz Kafka mit seinem Freund Max Brod vom 29.Juni bis 7·Juli 1912 als Gast in dem damaligen Hotel Chemnitius wohnte.
»Gang in der Nacht zum Goethehaus. Sofortiges Erkennen. Gelbbraune Farbe des Ganzen. Fühlbare Beteiligung unseres ganzen Vorlebens an dem augenblicklichen
Eindruck. Das Dunkel der Fenster der unbewohnten Zimmer. Die helle Junobüste. Anrührende Mauer. Ein wenig herabgelassene weiße Rouleaux in allen Zimmern. 14 Gassenfenster. Die vorgehängte Kette. Kein Bild gibt das Ganze wieder. Der unebene
Platz, der Brunnen, die dem ansteigenden Platz folgende gebrochene Baulinie
des Hauses. Die dunklen etwas länglichen Fenster in das Braungelbe eingelegt. Das auch an und für sich auffallendste bürgerliche Wohnhaus in Weimar.«
So notierte Kafka den ersten Eindruck. Wie es ihm in den nächsten Tagen erging, wie er sich in die Tochter des Hausmeisters des Goethehauses verliebte, die Margarethe Kirchner hieß, wie er nur noch sie im Kopfhatte, mit ihr und den Eltern nach Tiefurt spazierte, wie er sich mit ihr im Garten fotografieren ließ, wie sich dann alles weiter verwirrte - das ist eine eigene Geschichte, die man sich als Buch wünschte: Kafka in Weimar.
Das Bild zeugt, pardon: zeigt:
Franz Kafka (an seinem 29. Geburtstag) und Margarethe Kirchner im Garten des Goethehauses, 1912
http://www.kenyonreview.org/2008/07/kafka-turns-125/
http://www.surveyor.in-berlin.de/weimar/
Kafkas Besuch in Weimar 1912 – Ferienreise mit Max Brod
Kafkas eigene Skizze des Gartenhauses
(In: Klaus Wagenbach: Franz Kafka. Bilder aus seinem Leben. Berlin 1985. S. 123)
Goethes Gartenhaus als Geisterhaus, von der Schnelligkeit
der Handstriche, des Gewusels und von sehnsüchtigen
Erwartungen schief gezeichnet?
(F.K. am Montag 1. Juli 19012: „ Gartenhaus am Stern.
Im Gras davor gezeichnet.“ Und verschlossen ist das Tor.)
Vertikal verzerrt - am PC , bedrohlicher & zugespitzter, als es Kafka grafisch gelang; aber Lineatur und Schraffur werden fassbarer:
Mutig. Verwegen: Mit schiefem Schindeln, mit einer schematisiert-verwirrenden Süd- und Dachseite, die sich auflösen, von einem in die Höhe fahrende Sturm oder Sturmregen erfasst. Mit einem andern, schiefen, finsteren Gesicht, mit einigen Ranken vom Spalierrosen, das zu kranken scheint - flüchtig in Kafkas Reisetagebuch eingezeichnet.
Ich erinnere mich an Kafkas Aphorismus: „Ich werde in meine Novelle hineinspringen und wenn es mir das Gesicht zerschneiden sollte.“*] – Kafka „sprang“ gedanklich, sprachlich und literarisch in all seine Gegenüber: in Menschen, in Gegenstände, in Tiere, in Häuser.
Ob er bei seinem Besuch am vor dem Gartenhaus sich selber spiegelte, sich spiegelnd maß und was da an Erkenntnis sich schnitt – von außen betrachtet, war es das Goethes Haus selber. Zerrissen von Kafkas „Gefühlsschwefel“ samt Handschrift.
Zu den äußeren Fakten des Besuchs in Weimar:
Das Gartenhaus als biedermeierlich-farbige Idylle :
Das Gartenhaus am Stern:
So, genau so hatte es Kafkas formuliert, nach dieser Vorlage:
Wilhelm Bode: Goethes Leben im Garten am Stern. Berlin: Mittler & Sohn 7. Aufl. 1915.
Goethes Gartenhaus:
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=2577
Zur Information:
Das Gartenhaus, von der Rückseite:
http://www.allemandsansconte.fr/IMAGES1/wohindiereise/GoethesGartenhaus.jpg
Zur Geschichte des Gartenhauses:
http://de.wikipedia.org/wiki/Goethes_Gartenhaus
Franz Kafka (im Tagebuch „Reise Weimar-Jungborn“. In: Tagebücher 1910 – 1923. Hrsg. v. Max Brod.1967. S. 473): „Montag 1. Juli Gartenhaus am Stern. Im Gras davor gezeichnet. Den Vers auf dem Ruhesitz gelernt. Kofferbett. Schlaf. Papagei im Hof, der “Grete“ ruft.“(Anderes bezieht sich wieder auf die „Grete“ (…).
Erläuterung:
Goethe selbst dichtet für den Ruhesitz der Frau von Stein in seinem Gartenhaus:
Hier gedacht still ein Lebendiger:
Jedem Felsen der Flur, die mich, den glücklichen nährt, / jedem Baume des Walds, um den ich wandernd mich schlinge, / Rufe ich weihend und froh: Bleibe mir Denkmal des Glücks.
Ach, ,wenn Goethe, dann vollständig:
Hier gedachte
still ein Liebender seiner Geliebten,
Heiter sprach er zu mir:
Werde Zeuge, Du Stein!
Doch erhebe Dich nicht, Du hast noch viele
Gesellen.
Jedem Felsen der Flur, die mich, den Glücklichen,
nährt,
Jedem Baume des Waldes, um den ich wandernd mich
schlinge,
Ruf ich weihend u. froh: Werde mir Denkmal des
Glücks!
Dir allein verleih' ich die Stimme, wie unter der
Menge
Einen die Muse sich wählt, freundlich die Lippen ihm
küsst.
Frau von Stein gewidmete Inschrift
Goethe
*
Das von Eckermann kurz zitierte "bekannte Gedicht" Goethes (erstmals zugänglich gemacht am 5. Mai 1782, Erstdruck 1789) hat folgenden Wortlaut:
Erwählter Fels |
Eckermanns Äußerungen legen die Vermutung nahe, dass er die Unterschiede im Wortlaut zwischen dem Epigramm in Goethes Garten im Park an der Ilm (Goethe: dem "untern Garten") und der gedruckten Version des Gedichts "Erwählter Fels" bei seinem Besuch am 22. März 1824 nicht bemerkte.
Noch mehr Privates:
Ein Kafka-Fundstück: Post für Kafka von Margarethe Kirchner
Kafka fälscht eine Unterschrift (I) [recte: F.K. ahmt eine Unterschrift nach]
Im Goethehaus zu Weimar, das er Anfang Juli 1912 gemeinsam mit Max Brod besichtigte, verliebte sich Kafka in Margarethe Kirchner, die 16jährige Tochter des Hausmeisters. Obwohl mehrere Rendezvous mit ihr nicht eben erfolgversprechend verlaufen waren, kam es nach Kafkas Abreise noch zum Austausch von Postkarten.
Aus Jungborn im Harz, wo Kafka sich anschließend zur Kur aufhielt, schrieb er am 13. Juli an Max Brod:
Du hast das Fräulein Kirchner für dumm gehalten. Nun schreibt sie mir aber 2 Karten, die mindestens aus einem unteren Himmel der deutschen Sprache kommen. Ich schreibe sie wörtlich ab:
Sehr geehrter Herr Dr. Kafka!
Für die liebenswürdige Sendung der Karten und freundliches Gedenken, erlaube mir Ihnen besten Dank zu sagen. Auf dem Ball habe ich mich gut amüsiert, bin erst mit meinen Eltern morgens 1/2 5 Uhr nach Hause gekommen. Auch war der Sonntag in Tiefurt ganz nett. Sie fragen, ob es mir Vergnügen macht, Karten von Ihnen zu erhalten; darauf kann ich nur erwidern, dass es mir und meinen Eltern eine große Freude sein wird, von Ihnen zu hören. Sitze so gern im Garten am Pavillon und gedenke Ihrer. Wie geht es Ihnen? Hoffentlich gut. Ein herzliches Lebewohl und freundliche Grüße von mir und meinen Eltern sendet
Es ist bis auf die Unterschrift nachgebildet. Nun? Bedenke vor allem, dass diese Zeilen von Anfang bis zu Ende Litteratur sind. Denn wenn ich ihr nicht unangenehm bin, wie es mir sehr vorkam, so bin ich ihr doch gleichgültig wie ein Topf. Aber warum schreibt sie dann so, wie ich es wünsche? Wenn es wahr wäre, dass man Mädchen mit der Schrift binden kann!
Die
Unterschrift »Margarethe Kirchner« versuchte Kafka in der fremden
Handschrift nachzuahmen (siehe Abbildung). — Obwohl er ihre Karte
für »Litteratur« hielt (und das heißt in diesem Kontext: Lüge,
Verstellung, Maske), scheint er ihr nochmals geantwortet zu haben,
denn noch vor seiner Abreise aus Jungborn sandte sie ihm einen Brief
mit drei Fotografien (die leider nicht mehr auffindbar sind). Dennoch
vermied es Kafka, auf der Rückreise nach Prag den Weg über Weimar
zu nehmen: offenbar, um sich nicht der Versuchung auszusetzen, dort
auszusteigen.
Quelle: Franz Kafka, Briefe 1900–1912, hrsg. von Hans-Gerd Koch, Frankfurt am Main (S. Fischer) 1999, Seite 159f und 514.
So präsentiert bei:
http://www.franzkafka.de/franzkafka/fundstueck_archiv/fundstueck/804724
Und, als Zugabe:
Kafka ahmt „Thomas Mann“ nach:
http://www.franzkafka.de/franzkafka/fundstueck_archiv/fundstueck/1127952
*
Im Jahr 1912 unternahm Kafka, der seine Heimatstadt Prag nur selten verlassen hat, zusammen mit seinem Freund Max Brod eine Deutschlandreise. Vom 29. Juni bis 7. Juli weilten sie in Weimar. Einlogiert waren sie im Hotel „Chemnitius" in der Geleitstraße. Tief beeindruckt zeigte sich der damals 29-jährige vom Goethehaus am Frauenplan und auch von dessen Beschließers 17-jähriger Tochter Margaretha. Vielleicht war es deren Name, der ihm Hoffnung machte, in ihr sein „Gretchen" zu finden. Doch blieb die kurze Beziehung ohne Erfüllung. Seinen Weimar-Aufenthalt nutzte Kafka zu Besuchen im Goethe-Schiller-Archiv, im, Schillerhaus und Liszthaus, in Goethes Gartenhaus, der Fürstengruft und dem Park an der Ilm und Belvedere. Auch traf er sich mit damals in Weimar lebenden Schriftstellern
Kafkas Werke fanden zu dessen Lebzeiten nur mäßige Beachtung. Hätte sich nicht Max Brod (geboren 1884 in Prag und 1968 in Tel Aviv gestorben) intensiv um dessen Nachlass gekümmert, wäre Kafka wohl in Vergessenheit geraten.
In dem Buch „Kennst du Franz Kafka?" von Karlheinz Fingerhut (Bertuch Verlag Weimar 2007) finden wir die Passage „Was man über Kafka wissen sollte":
Kafka lebte in Prag, der Stadt, die um die Jahrhundertwende als Hauptstadt Böhmens zum österreichischen Kaiserreich gehörte. Neben der tschechischen Bevölkerungsmehrheit gab es eine einflussreiche deutsch-österreichische Minderheit. Die Mehrzahl der Zeitungen, Theater, Gymnasien, auch die Universität waren deutsch. Kafkas Familie gehörte zu den »Westjuden«, die sich als Geschäftsleute, Beamte und Intellektuelle erfolgreich in die Lebensumgebung der österreichisch-ungarischen Monarchie eingepasst hatten und im Kaiser den Garanten ihrer relativen Freizügigkeit in k.u.k.-Österreich sahen.
Kafka erlebte den Zusammenbruch dieses Kaiserreichs im ersten Weltkrieg und die Gründung der tschechisch-slowakischen Republik, er erlebte die Anfänge des tschechischen Nationalismus und des Antisemitismus. Zeitweise war er fasziniert von der Haltung der aus Russland und Polen nach Österreich geflohenen oder eingewanderten Ostjuden, die weniger assimilationsbereit und um religiöse Eigenständigkeit bemüht waren. Während der Vater Hermann Kafka sein Galanteriewarengeschäft in der Zeltnergasse am Rande des Prager Ghettos eröffnete, seine Familie später sowohl als tschechisch als auch deutsch deklarierte, nur noch gelegentlich in die Synagoge ging, besuchte der Sohn Franz die Vorstellungen ostjüdischer Schauspieler, interessierte sich für die jiddische Sprache, die Märchenhaftigkeit ihrer Stücke und für die chassidischen Legenden. Zahlreiche seiner Erzählungen können als Auseinandersetzung eines modern denkenden, deutsch sprechenden und schreibenden Westjuden mit dieser Konfliktlage gelesen werden.
Kafka hat - anders als sein durch das Schreiben berühmt
gewordener Landsmann Rainer Maria Rilke - Prag nie für längere Zeit
verlassen. Er hat in seiner Jugend zwar überlegt, ob er nach Amerika
auswandern könnte (und diese Frage in einem Romanfragment mit dem
Titel »Amerika« durchdacht), aber einige Urlaubsreisen nach Paris
und nach Italien, das war alles, was er realisierte. Erst in seinem
letzten Lebensjahr zog er für einige Monate nach Berlin. Die
Atmosphäre der Stadt Prag, die mittelalterlichen Gassen der
Altstadt, die Vorstädte mit ihren Mietshäusern, der Veitsdom, die
Karlsbrücke, die Alchimistengasse hinauf zum Hradschin bilden den
wieder erkennbaren Hintergrund seiner Geschichten und seines
berühmtesten Romans Der Proceß.
In das
literarische Leben Prags wurde Kafka von Max Brod eingeführt. Brod
studierte wie er Jura, arbeitete - wie Kafka in der
Arbeiter-Unfallversicherung - bei der Post, und zwar lediglich
halbtags. So blieben ihm (und auch Kafka) Zeit für ihre
literarischen Pläne.
*] (Am 15.11.1910 geschrieben; bezogen auf sein Ms. „Beschreibung eines Kampfes“)
**] Genauer noch:
HIER GEDACHTE STILL EIN LIEBENDER SEINER GELIEBTEN
HEITER SPRACH ER ZU MIR: WERDE MIR ZEUGE DU STEIN
DOCH ERHEBE DICH NICHT DU HAST NOCH VIELE GESELLEN
IEDEM FELSEN DER FLUR DIE MICH DEN GLYKLICHEN NAEHRT
IEDEM BAUME DES WALDS UM DEN ICH WANDERND MICH SCHLINGE
RUF ICH WEIHEND UND FROH: BLEIBE MIR DENKMAL DES GLYKS
DIR ALLEIN VERLEIH ICH DIE STIMME WIE UNTER DER MENGE
EINEN DIE MUSE SICH WAEHLT FREUNDLICH DIE LIPPEN IHM KYSST
Die in Bruchstücken erhaltene Kopie von 1886 und die letzte Tafel von 1955 lassen nicht nur den abweichenden Schriftaufbau erkennen, sondern gar fehlende Worte und auch die Scheu vor der nachgewiesenen Goetheschen Schreibweise »GLYK« und »KYSST«.
Vgl.: Bernd Mende: In steinerne Tafeln eingegraben. Parkinschriften in Tiefurt und Weimar aus denkmalpflegerischer Sicht. (Download am 8.10.2014)
http://www.klassik-stiftung.de/uploads/tx_lombkswdigitaldocs/Jahrbuch_2007_Mende.pdf
Folgender Beitrag lässt den Kafka-Besuch unerwähnt:
Johanna Geiger: Goethes Gartenhaus und sein Garten am Stern.
http://www.ku.de/fileadmin/130204/SoSe2013_Weimar/8.__Beitrag__Johanna_Garten.pdf
Und was bleibt nach diesem Schnorren & Clicken in der doppelten Klassik: Erst Goethe, dann Kafka – im Bewußtsein?
Kafka kannte viele Texte von Goethe. Aber er suchte ihn durch seine psychologische Methode zu durchleuchten. Das Bild hintern seinen Bildern, Texten, Versen und Reimen zu erfassen, seine röntgenmäßige InSchauNahme; und hatte oft Splitter in seinen Händen, den Blick seiner Freunde oder Briefpartner lenkte er auf sie Ebenso der Leser. Kafka nannte dieses Verfahren „Gefühlsschwefel“.
Als er eine Woche in Weimar war, lief er drei Tage lang einem fidel-lustigen Fräulein nach, das seinem Blick und seinem Gehör gefallen hatte.
Und was er ihr und sie ihm schrieb – es waren Schmatzfetzen der Sehnsucht. (Nach drei Wochen vergessen; aber die Asche, papierern, blieben erhalten.
Goethes Gartenhaus aber ist ihm so grotesk geraten, wie er es in seinem unruhigen Blick und seinem immerwütigen Verlangen festhalten wollte: als Zerrbild.
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