Freitag, 10. Januar 2025

Eine Preziose: Mörikes Übertragung von "Unter den Linden" (von Walther von der Vogelweise - äh: pardon: -weide)

  

 



 > Bild: Internet-Fund <

  

Äh: Ich will nicht stören 

beim Poetisieren, beim Liedeln, beim Spiel und den (meist weiblichen) Liedelverbesserinnen:

Aber ich schenk Euch - wenn's denn nötig oder auch nur gefällig - einen weltbekannten Walther-von-Vogelweide-Text, von Eduard Mörike ins Neuhochdeutsche übertragen:

              Das Geheimniß

Nach Walter von der Vogelweide.

Unter den Linden

An der Haide,

Wo beim Ritter ich mein vergaß,

Möget ihr finden

Für uns Beide

Hingebettet Blumen und Gras,

Vor dem Wäldchen im stillen Thal -

Tandaradei!

Flötete die Nachtigall.


Glühend die Wangen,

Sanft gedrungen

Naht' ich jenem Bezirk der Lust,

Küßend empfangen,

Froh umschlungen

Sank ich an des Liebsten Brust,

Und wir küßten die Lippen wund.

Tandaradei!

Noch ist brennend roth der Mund.


Siehe! mein Lieber

Schaffte sinnig

Uns von Blumen ein Lager dort;

Geht wer vorüber,

Lacht er innig

Ob dem kunstbereiteten Ort;

An den Rosen er merken mag -

Tandaradei!

Wo mein Haupt umduftet lag.


Kennte mich Jemand

Die da lagen,

Und ihr Buhlen, ich schämte mich;

Doch es weiß Niemand

Weß wir pflagen,1

Als mein Vielgetreuer und ich,

Und ein singendes Vögelein:

Tadaradei! 

Das wird kein Verrather seyn! 2


*
Der Vergleich mit dem Original WvV. macht deutlich: Die Frau, die Liebende, die sich den (ritterlichen) Mann ausgewählt ist, ist sprachlich selbstbewußter, realistischer orientiert, rollenspezifischer aktiver; sie ist als weiblicher Part erfindungsreicher und gewitzter (als in anderen Walther-Übersetzungen) und dem männlichen Part gleichgewichtig und (fast) gleichberechtigt.

Sprachlich ist die Fassung vorsichtig konservativ, in einiger Wortwahl anachronistisch, aber in verantwortlichem Gestus: „Ritter“ ist so gezielt gewählt von der Frau, die sich einem „Ritter“ liebend anvertraut. Der „Vielgetreue“ ist ein Neologismus, der die leiblich-intimen Ansprüche der Liebenden repräsentiert.

Es spricht nichts dagegen, daß E. Mörike hier eine Liebeserfüllung beschreibt, die sich in der Realität abspielte - oder die er in seiner Projektion und Erwartung von seiner Braut, seiner Verlobten, erwartete. Daß Luise selber den Text abschriebe, übrigens für die Hartlaubs, zeigt, daß sie mit diesen erotischen-sexuellen Ansprüchen offen, in herzlicher Freundschaft gestützt, umzugehen vermochte.

Hinreißendere, sensibel-freundlichere Erotica sind in deutscher Sprache nicht geschrieben worden, wohl obszönere, derb oder lustig pornographische, satirisch-groteske und frechere. Bei dem jungen Mörike ist die künstlerische Spontaneität der sexuell anzüglichen Liedchen ist herzlich. Ihre erotische Direktheit in einer intimen Nähe gebunden, die Lust machen auf ihr Nachempfinden, ihre kommunikative Verwendung, ihr Auswendiglernen.

Hier - bei Mörike, mhm, ja, dem Pastor - spüren wir eine an Motive, Melodien und Intentionen der vielfältig rezipierten und lebendigen Volkslieder erinnernde Freundlichkeit und Herzlichkeit - L i e b e!

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Der Vergleich macht deutlich: Die Frau, die Liebende, die sich den „ritterlichen“ Mann ausgewählt ist, ist sprachlich selbstbewußter, realistischer orientiert, rollenspezifisch aktiver; sie ist gewitzter und dem männlichen Part gleichgewichtig und (fast) gleichberechtigt.

Sprachlich ist die Fassung vorsichtig konservativ, in einiger Wortwahl anachronistisch, aber in verantwortlichem Gestus: „Ritter“ ist so gezielt gewählt von der Frau, die sich einem „Ritter“ liebend anvertraut. Der “Vielgetreue“ ist ein Neologismus, der die intimen Ansprüche der Liebenden repräsentiert.

Es spricht nichts dagegen, daß E.M. hier eine Liebeserfüllung beschreibt, die sich in der Realität abspielte - oder die er in seiner Projektion und Erwartung von seiner Braut, seiner Verlobten, erwartete. Daß Luise selber den Text abschriebe, übrigens für die Hartlaubs, zeigt, daß sie mit diesen erotischen-sexuellen Ansprüchen offen, in herzlicher Freundschaft gestützt, umzugehen vermochte.

Hinreißendere, sensibel-freundlichere Erotica sind in deutscher Sprache nicht geschrieben worden, wohl obszönere, derb pornographische, satirisch-groteskere, frechere. Bei dem jungen Mörike ist die künstlerische Spontaneität des sexuell anzüglichen Liedchens herzlich; ihre erotische Direktheit in einer intimen Nähe gebunden, die Lust macht auf ihr Nachempfinden, ihre kommunikative Verwendung, ihren Reifeprozess durch Lernen in Text oder Tat: Lust als 'Spaß an der Freud', auch ästhetisch - im Formulieren und Mitteilen des Angedeuteten.

Hier spüren wir eine an Motive, Melodien und Intentionen der vielfältig rezipierten und lebendigen (auch leidvoll erlebten) Volkslieder erinnernde Freundlichkeit und Herzlichkeit; und Anspruch des rollenspezifisch Gemeinten: einer Auffordeurng an die beschenkte! In Luise Rau hat EM, der Verlobten, die diesen Anspruch (wohl nicht!) erfühlen und nicht erfüllen kann. Von Bernhausen, am 8.08.1933, schreibt EM einen Abschriedsbrief, der ästhetisch-formal so überhöht ist, dass man überrascht ist, ob er verstanden wird; aber die Fakten der Auflösung der Verlobung sind ge- und belegt.

*

Dennoch: Mir bliebt ein unbestimmtes Gefühl:

Warum hat Mörike diesen Text seiner Verlobten vorgelegt, in der fraulichen Spiegelung? Welche Praxis, welche Erwartungen, welche Erinnerungen knüpfen sich daran?

Wie hat sich Luise Rau gegen die recht freizügigen Projektionen (sich wund küssen ...) verhalten? Sich geschämt? Sich gefreut, ob nachgelebter Freuden/Schmerzen?

Wir wissen es nicht.

Vergleichen wir einmal: Mit dem Peregrina-Zyklus ist EM ein Mythos geglückt, der nicht nur von den Freunden, sondern auch von Lesern, Nachgestaltern und Literaturwissenschaftlern hoch eingeschätzt und emotional tief betroffen nachgesprochen wird. Doch wissen wir: Mythen sind ästhetische Organisationsformen emotionaler und sozialer Aporien.3 D.h.  mythische Überformungen nehmen Themen, Leiden und Glückszustände auf, die sie, ohne nach realen oder therapeutischen Fakten zu fragen, weitergeben - auf das Risiko hin, daß sie aufgenommen, tradiert und abgewandelt, überformt werden. Für Mörikes Frauenbild gibt es nur mehrere Fassungen: Favorisierte er - wie im „Geheimniß“ - das ritterliche, mittelalterliche Modell mit der Maid oder der "Frouwe" und ihrem Ritter, dem sie sich ergibt? Das Minne-Konzept - als Ersatz für eine christlich (katholische? verpönte?) Marienverehrung?

Nein, eines suchte E.M. nicht zu realisieren: einen außerehelichen „Code des amour passion“ Davor, also vor dem freien Zugriff nach Freudischen {Sigmund Freud ist gemeint!}Vorgriff im sexuellen Rollenbild - entzog sich Mörike , für immer.

Nach dem romantischen-mystischen Verschmelzungsideal der Liebe als freiwillig-freizügig-emanzipiertem Band zwischen Mann und Frau - gleichzeitig dem materiellen Bund für Kinder, Sexus und bürgerlichen Eigentum - sterbtevorzeitig - pardon: hier muß stehen: strebte - also fügte sich ihm Mörike nach einem unreflektierten Wunschbild?

Ein aufklärerischer Diskurs - so dürfen wir vermuten, weil er auch heute noch schwer ist - hat zwischen Jugendlichen, zwischen Studenten, zwischen Sohn und Schwester und oder Mutter nicht stattgefunden, zwar fiktiv gesungen. Aber - wer kann ihn einlösen ...?

1 Das Präteritum ist nachgewiesen im Grimmschem Wörterbuch: „Im nhd. hat sich die starke neben der schwachen form nur im prät. (pflag und pflog, pflagen und pflogen) und partic. Behauptet ...“ http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GP04052#XGP04052

2 Der Text ist in einer Handschrift von (oder: bai Luise Rau überliefert, zu terminieren vor 23. Juli 1930. - Vgl. Ulrich Hötzer in: HKG. Bd. 8,2. S. 409. - In anderen Mörike-Gedichtsausgaben und in der Mörike-Literatur wird der Text geschlabbert. Unverständlich.

3 In freier Formulierung nach Claude Lévi-Strauss’: „Die Struktur der Mythen“. Vgl. Christine Lubkoll: Interpretation zu Peregrina I-V. - In: Gedichte von Eduard Mörike. Hrsg. v. Mathias Mayer. Stuttgart 1999: RUB 17508. S. 78f.

vorzeitig] -vorzeitiges Sterben; als AufGeben des Lebens in vitaler BeReitschaft; als kummervolles Funktionieren in Leiden und Schmerzen; Der Literaturwissenschaftler Ulrich Kittstein hat diese Mörikes Vita nach Freudschen Angaben so beschrieben: E.M: "Jenseits der Idylle". Darmstadt 2013; besonders S. 345-359, im Kap. 13. „An den Grenzen der sichtbaren Welt“ (Untertitel).

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