Samstag, 29. Februar 2020

W o r t e zum SonnTag - E x e m p l a -


Wörter  oder   Worte zum  S o n n t a g


        
                Tastversuche ...

 
OTTO WAALKES:
Das Wort zum Montag

eine Damen und Herren!

Wir alle haben unsere Sorgen und Nöte und lassen uns nicht mit billigem Trost über die Last des Alltags hinwegtäuschen. Aber als ich neulich in meiner Musikbox blätterte, da stieß ich auf folgende kleine Zeile:
»Theo, wir fahr'n nach Lodz«.
Nun, was wollen uns diese Worte sagen? Da ist von einem Menschen die Rede. Von einem ganz bestimmten Menschen. Nicht Herbert, nicht Franz, nicht Willy, nein, Theo ist gemeint. Aber um welchen Theo handelt es sich? Ist es nicht auch jener Theo in uns allen? Jener Theo, der in so wunderba­ren Worten vorkommt, wie Theologie, Theodorant, Tee oder Kaffee. Und an diesen geheimnisvollen Theo ist eine Botschaft gerichtet:
»Theo, wir fahr'n nach Lodz«.
Vier fahr'n. Da sind also vier Menschen unterwegs. Und wer sind diese vier? Sind es die vier Jahreszeiten? Die vier Muske­tiere? Oder sind es vier alle? Schweigt Brüder. Da fällt mir in diesem Zusammenhang eine Geschichte ein. Ich besuchte neulich einen Freund. Einen Millionär. Der glaubte, der unglücklichste Mensch der Welt zu sein, weil ihm sein Rasier­pinsel ins Klo gefallen war. Da nahm ich ihn beiseite und sprach: »Freilich bist du übel dran, daß dir dein Rasierpinsel ins Klo gefallen ist. Aber es gibt Leute, die sind viel schlechter dran als du. Die haben noch nicht einmal einen Bart. « Da fiel es ihm wie Schuppen aus den Haaren. Und sollte nicht auch einer von uns, oder morgen, oder heute, oder vielleicht nicht. Wer weiß. Schönen guten Abend.

 *  *
                           .. ein  A g n u s  D e i  ...

Literarisches Stichwort Gott

Im Spannungsfeld von Literatur und Theologie

Folge ...


Alltägliche Lehren aus dem TV-"Wort zum Sonntag" (und aus Parodien auf es)

Anlaß für meine kleine Sammlung von Satiren auf die TV-Selbstverständlichkeit des kirchlich organisierten "Wort zum Sonntag" war die öffentliche Debatte in den Medien, ob ein Pastor Fliege, Moderator und Show-Star einer nachmittäglichen Talk-Show, denn ein neu gestyltes "Wort zum Sonntag" sprechen dürfe. Es war aufgefallen: Seit 40 Jahre beanspruchte diese Standard-Sendung öffentlich-rechtlicher Unterhaltung, pardon: "Belehrung", am Samstagabend seine Alibi-Funktion: Wir haben noch eine religiös geprägte Wochenkultur, mit einer Vorfeier zum Sonntag. Wir bereiten uns vor auf den Tag des Herrn vor. Wir leben nach christlichen Auffassungen und wollen sie auch im Medienbrei von Talk-Vera (sat 1) bis Show-Verona (bei rtl) verkündet sehen.
Neue, interaktive Möglichkeiten, wie bei Rundfunkübertragungen von Sonn- oder Feiertagsmessen (im DLF oder in der jeweiligen Landesrundfunkanstalt z.B.), die einen Telefondienst eingerichtet haben für Rückfragen, für religiöse Aussprache und psychosoziale Herzensangelegenheiten.
Die Fragen bleiben meist ungestellt: Wer kennt das "Wort zum Sonntag"? Wo kann ich mir dessen Texte besorgen? Wird es überhaupt gedruckt? Was sagen die Kurzinszenierungen mir und anderen? Lohnt es sich, mich privat oder im Unterricht mit ihnen auseinandersetzen?
Die 40 Jahre lang bescheiden geübte Praxis hat eine schwer zu beschreibende, unmöglich zu kontollierende Wirkung, und vielleicht ist sie fast gänzlich wirkungslos, da es bisher keine Affären, keinen Skandal gab, die den Nutzen der Übung öffentlich signalisiert oder zur Diskussion gebracht hätten. Und siehe: Die Textsorte "Wort zum Sonntag" taucht in keinem Theologie-Lexikon auf; die kirchlichen Bemühungen um Auswahl der Vortragenden und die gesprochene Lehre bleiben öffentlich unbekannt, ebenso interne Reaktionen. Zugespitzt gefragt: Wie viele Menschen sind durch es bewegt, angeregt, überrascht, gar bekehrt worden, wie viele haben sich abends, nach dem letzten geistlich inspirierten "Gute Nacht!" der theologisch fachkundig Vortragenden (männlich und weiblich) anrühren, gar bekehren lassen; wieviele ließ das geistliche Wort gleichgültig, bestärkte vielleicht die kirchlich Abstinenten, die häufig zitierten, aber nicht umworbenen Randständigen? Alles offene Fragen... Aber von Isa Vermehren, einer Samstagabend-TV-Gallionsfigur, weiß man: sie ist die katholisch lizensierte, junggebliebene Gute-Laune-Nonne, die einsatzbereit ist an der medialen Front - ohne Erregung öffentlichen Ärgernisses...
Doch in diesem verwunderlichen Sommer 98 hat es eine öffentliche Diskussion der wöchentlichen Fünf-Minuten-Religionssparte "Wort zu Sonntag" gegeben.
In einem Interview beklagt die Johanna Haberer, die Rundfunkbeauftragte der evangelische Kirche, den Grundton der üblichen TV-Verkündigung: "Wie haben einen moralinsauren Gestus gegenüber dem Fernsehen, den wir uns abgewöhnen müssen. Bis zum Ende der Achtziger hat man in der Kirche einen heiligen Schwur auf die Öffentlich-Rechtlichen geleistet oder war überhaupt ganz gegen das Fernsehen. Und plötzlich hat man gemerkt: Oje, es gibt ja schon 32 Programme und wir kommen gerade mal in den öffentlich-rechtlichen vor." (...) "Dort kommen [nur] lauter Schöne und Reiche und Begabte vor." Deshalb umreißt Frau Haberer zukünftige Aufgaben: "Wir sind Experten für Tod, Elend und allgemeines Leid. Zu dieser Rolle müssen wir stehen. Ich kann nicht sagen: Kirche ist nur Fun. Und das Leben mit den Mühseligen und Beladenen ist ja ausgesprochen spannend. Ganze Krimiserien leben davon. Es kann doch nicht angehen, dass der Bildschirm wochenlang behinderten- und arbeitslosenfrei ist. Da entfernt sich das Fernsehen von den Menschen und wird zur Volldröhne. Dieses Fernsehen ist dann kein Lebensmittel mehr, das der Mensch braucht." (Angelika Onland: Ein Christ als Serienheld? In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt. 40/1998. S.33)
Zurück in die Alltags- und Unterhaltungswelt der Medienöffentlichkeit und ihren möglichen psychologsichen und religiösen Intentionen: Was lehren uns die Medien, wenn sie zu Menschennutz und -unterhaltung, gar zur Seelenhatz aufbrechen, wenn sie einplanen, was unplanbar ist: die Begegnung mit Gott, die Verantwortung vor Gott, die Chance, seine und die eigene Identität zu befragen?
Von einer geplanten aufwendigeren, attraktiveren Aufmachung der Minisendung ist die Rede; die Zahl der Sprecherinnen und Sprecher soll reduziert werden auf sechs - nach optischen und theologischen Kriterien ausgewählt. Bunte Trailer und eine Seelsorge-Hotline sollen hinzukommen.

Für die Analyse gilt, und das ist nun die Intention ex negativo aus der vorgestellen Satire-Definition: Der intelligente, undogmatische und gerechte und helle und gute Gott! Er ist eine Fiktion aller Religionsbedürftigen! Jedenfalls nach den Vorstellungen und Leistungen seines medienbeauftragten Bodenpersonals. Man müßte es besser machen können und dürfen. Auch indem man die Parodien öffentlich zur Kenntnis nimmt, sie diskutabel macht, auch wenn im ersten Augenblick die besonders bei katholischen Würdeträgern (den sogenannten verantwortlichen Seelsorgern) die kulturspezifische Schmerzgrenze durch Kritik und Satire überschritten sein mag; sie fühlen sich so leicht beleidigt, obschon sie nur höchst irrende Vertreter eines geistig revolutionären Prinzips sind. Sind sie auf ihre Rollen im Hier und Jetzt vorbereitet - oder sind sie statusmäßig fixiert auf klerikal-vergeistigte Weltfremdheit?
Doch Satire ist per definitionem intelligentiae (seit den Tagen des klassisch-römischen Horaz, fortentwickelt in den Tagen der Urstände der deutschen Aufklärung): Satire ist eine ästhetisch sozialisierte Aggression, deren Intention ex negativo vom Leser bzw. Zuhörer zu erfassen ist.
Seien wir also mutig, es ist die aufgeklärte Öffentlichkeit, die kulturelle Wirklichkeit, die einem ständisch-klerikalen Zopf (samt zugehörigem Kopf) hinterruft: Merkt ihr nicht, daß ihr den Zopf tragt? Und: Unterm Kinn getragen, ist er nur ein um 180° gewendeter Eitelkeitspinsel, kein besenartiger Wisch, mit dem man den sichtbaren Staub des Unverständnisses und eines Hörigkeits- und Selbstseligkeitskultes aus den Kammern des Geistes fortfegen kann.
Z.B. ist die Verkündigungsprache der offiziellen, katholischen Kirche häufig autistisch-zölibatär, männlichkeitsorientiert, gar sklerotisch 1] und wirklichkeitsfremd, sie schließt kritisch fähige und historisch kundige Menschen aus und erklärt sie häufig leichtfertig oder feindlich mißgestimmt zu Querulanten und Übelwollenden. Die kirchlichen Realitäten unserer Tage bedürfen der Kritik und Diskussion, auch der (angeblich oder vermutlich) schmerzenden, überzeichnenden Satire. Ihre Denk- und Kritikmöglichkeiten karikieren den respektlosen Umgang mit den innerhalb der Kirchen selbstverständlichen Usancen, dem spezifisch-seelenvollen, religiösen Wortmaterial, dem weihevoll-sakralen Stil einer Predigt und ihrer religiös und pädagogisch aufdringlichen, zitatmäßig abgesicherten Pointierung in den Schlußsätzen.

Zur Auswahl der Texte:
Der älteste Text ist aus dem satirischen Werk Hanns Dieter Hüschs entnommen. Das zweite Beispiel bietet uns ein sehr populärer Spötter, ein Klamaukunterhalter und komischer Vogel. Es ist Unterhaltungsstar Otto der Friesenwitzgott, in pathetisch-dominanter Betonung, im Ton geistlicher Würdenträgerschaft, passend zu Orgel-Untermalung inszeniert; bürgerlich Otto Waalkes:
Von einem speziellen, gewollt anstößigen Künstler im frech-brutalen Stil stammt das letzte Parodie-Beispiel, von dem TV-Pöbler Oliver Kalkofe: das "Wort zum Wort zum Sonntag". Der radikalste TV-Satiriker spricht seine "Schäfchen" wahrheitsgerecht als Leser an, da er den Text in einem Printmedium veröffentlichte.

Andere, neuere, modernere Beispiele für die Textsorte Wort zu Sonntag, die die größte, regelmäßige, öffentlich wirksame Form der religiösen Verkündigung ist, möchte ich mit zwei aktuellen Texten bieten. Ich habe sie aus dem Jahre 1998 ausgewählt: ein konventionell gestaltetes und vorgetragenes Beispiel von Werner Thissen, Münster; und eine themenspezifisch und optisch gelungene Umsetzung eines Vortrags zuum Tag der deutschen Einheit 1998 durch die Magdeburger Pastorin Gabriele Herbst.

Aufgabenstellung zu allen Texten:
1. Erarbeite folgende strukturelle Gegebenheiten des Worts zum Sonntag: Anknüpfung beim Zuschauer/Sitz im Leben - Einstieg in die höhere Bedeutung der Rede - Steigerung der Aussage - Anrufung oder Benennung Gottes - wiederholende Intensivierung der Intention - das finale Zitat - die Verabschiedung/der Gruß als Entlassung in den Feier- oder Alltag.

2. Kläre die jeweils vorliegenden Intentionen: die getragen-geistliche, die unterhaltsam-nützliche und die provozierend-satirische. Welche Stilmittel werden zu diesen Aussagen eingesetzt? (Anspielungen, Wiederholungen, Zitate, Verfremdungen, Wortspiele, intensivierende Steigerungen)
3. Erarbeite eine persönliche Stellungnahme zu den Texten.
4. Versuche, ein eigenes oder in der Gruppe ein "Wort zum Sonntag" zu verfassen, das sich auf ein bestimmtes Datum festlegt: Ostersamstag, Frühlingsanfang, Pfingsten, Herbstbeginn, Weihnachten, Jahreswechsel o.ä.

Text 1
Hannsdieter Hüsch: Das Wort zum Sonntag
Es spricht Propst Aloysisus Knobelzieher. [Hüsch mit vollem, verbalen Gestus in der Rolle eines ungeniert Weihrauch atmenden und Geist aussprechenden Propstes:] Ich muß auf ein Zeichen des Regisseurs warten, damit wir synchron auf den Bildschirm gehen.
Wenn ich mir jetzt, meine lieben Zuschauer, eine Brille aufsetze und Sie mir freundlichst erlauben, in Ihre Stube hinein zu Ihnen zu sprechen, ja gleichsam in Ihren eigenen Bereich hineinzuschauen, so hat das ja mit der Brille gerade heute eine ganz besondere Bewandtnis.
Vor einigen Tagen sah ich, wie ein netter, junger Mann, nach Anbruch der Dunkelheit, sich eine alles noch mehr verdunkelnde Sonnenbrille aufsetzte, ein andermal hörte ich, wie jemand zu seinem Nachbarn sagte, eine rosarote Brille und alles sieht gleich ganz anders aus.
Nun - da habe ich mich gefragt: Was sieht denn gleich ganz anders aus? Und wie oft hören wir doch heute, ich habe nicht mehr den richtigen Überblick, wir sehen da nicht mehr klar, ich schaue da nicht mehr hindurch.
Sollten da vielleicht zu viele Sonenbrillen und zu viele rosarote Brillen mit ihm Spiel gewesen sein? Wer immer nur Buttercremetorte ißt, weiß eines Tages gar nicht mehr, wie Buttercremetorte schmeckt. Und wer sich eine Sonnenbrille aufsetzt oder eine rosarote Brille, der muß nicht meinen, daß Gott unseren wahren Alltag nicht sieht. Er ist unser Optiker. Er braucht keinen Kneifer und keinen Aussichtsturm. Er ist weitsichtig und kurzsichtig zugleich. Er sieht uns und durch uns hindurch, durch und durch, für und für. Lassen Sie mich schließen mit einem Wort, das uns die Augen öffnen helfen will. Mit einem Wort des böhmischen Wanderpredigers Heinrich Ignaz Mützenbecher, der da sagt: "Möge der du sein werdest [in den Beifall hin wiederholend:] möge der du sein werdest, dann siehst du, was du sein dürftest. Guten Abend.

[Porträtfoto] Hanns Dieter Hüsch (geb. 1925)
Erläuterungen zum Text Nr. :
Hüsch ist einer der bekanntesten deutschen Kabarettisten; seine kritisch-politische Phase liegt allerdings hinter ihm. Heute charakterisiert er seine öffentlichen Vorträge eher mit dem inflationären Spruch "versöhnen statt spalten". Aus seinen neueren Programmen ist der Text "Religiöse Nachricht" typisch; in: H.D.H.: Das Schwere leicht gesagt. Freiburg 1994: Herder-Spektrum Bd. 4274. S. 28f. - Der abgedruckte Text stammt aus dem Hüsch-Programm: Nachtvorstellung im deutschen Schauspielhaus. LP. Intercord 1975.



Text 2:

Otto Walkes: Liebe Brüder und Schwestern!

Liebe Brüder und Schwestern!
Es herrscht zu viel Aberglauben auf dieser Welt, allzuviel auch heute noch! Da gibt es Menschen, die stecken ihre Füße in kleine Wollsäcke, weil sie glauben, somit die Götter des Frostes milde stimmen zu können. Andere wiederum kleben kleine, bunte Läppchen auf ihre Briefumschläge, um so das Heer der Götterboten zu einem schnelleren Brieftransport zu bewegen. Ja, der Aberglaube führt einige unserer Mitmenschen sogar so weit, daß sie sich Kerben und Zickzackmuster in ihre Autoreifen schnitzen lassen, um somit die Götter des Aquaplaning zu überlisten. Andere wiederum stülpen sich kleine Gummitütchen über ihren Schniedelwutz, um somit die Götter des Familienplaning gnädig zu stimmen. Das alles ist dunkelster, dunkelster Aberglaube!
Ich selbst habe immer eine geweihte Christophorus-Plakette an meiner Orgel, und ich bin seitdem noch nie mit einer anderen Orgel zusammengestoßen. Ich könnte euch noch tausend Gründe nennen, wenn ich nur welche wüßte. Sollte uns das nicht zu denken geben? Ich glaube, nein!
[Porträtfoto des Autors] Otto Waalkes (geb. )
Erläuterungen zum Text: Der Slapstick-Künstler erzielt viele Effekte aus Klamauk und Zerstörung einer gut gemeinten oder auch kritischen Intention. Er ist in seiner langen Karriere immer wieder Signal für Unterhaltung als Konsum, just for fun, gewesen. Eindeutige Intentionen und Stellungnahmen im gesellschaftlichen Kontext mag er wohl, um niemanden zu verprellen, scheuen. So endet denn auch seine gedanklich gewollt chaotische Parodie in einer Nonsense-Pointe.

Text 3:
Oliver Kalkofe:
Das Wort zum Wort zum Sonntag

Liebe Leser. Als ich heute morgen aufstand und in mein Badezimmer fuhr, da fragte ich mich: "Wo um alles in der Welt bin ich nur - und wer waren diese drei schlafenden Blondinen?" Da plötzlich sah ich vor mir ein kleines unschuldiges Häschen über die Straßen hoppeln und mußte lächeln, denn als ich es überfuhr, dachte ich bei mir: "Hasen sind irgendwie auch Menschen - wenn man über sie drüberfährt, gehen sie tot."
Sie haben es natürlich erkannt: dies kleine Gleichnis war mein bescheidener Versuch einer Hommage an Das Wort zum Sonntag! Fernseheh, wie man es sich wünscht: Unterhaltung mit Verstand, Belehrung mit Esprit, Verstaubtheit mit Schmackes. Als Kind ließ ich mich noch ein wenig vom Titel in die Irre führen und wartete jedesmal gespannt darauf, was denn wohl diesmal das Wort zum Wochenabschluß sein würde: Barmherzigkeit? Brustwarze? Religionsverdrossenheit? oder gar Reiserücktrittsversicherung? Nein, schnell sah ich ein: Das Wort zum Sonntag ist mehr als nur ein Wort. Geschichten, die zwar kaum zum Zuhören, dafür aber zum Nachdenken anregen, vorgetragen von charismatischen Kirchen-Kleindarstellern, ästhetisch in die Filmsprahce transponiert mit oftmals bis zu einer Kameraeinstellung, aber vor allem: kein Fernsehballett!
Und seien wir mal ehrlich: wie oft hätten wir uns wohl in den letzten 40 Jahren beim Spätfilm der ARD in die Hosen gemacht, hätte uns die klerikale Stand-Up-Comedy nicht vorher die Gelegenheit zum entspannten Strullen oder gar zu schnellen Stuhlpflege gegeben.
Doch frag ich mich: wo bleibt die Wort zum Sonntag-Late Night Show? Inquisition, Kreuzzüge, Hexenverbrennung - das zeigt, daß die Kirche ja schon Ahnung hat vom Entertainment. Warum läßt sie sich gerade im Fernsehen so einfach abspeisen? Okay, sie haben uns Fliege in den Nachmittag geschmugelt, das war unfair aber pfiffig, jedoch weit unter ihren Möglichkeiten. Wenn es schon Hamster-TV gibt, warum nicht auch Zölibat oder Liebe?, die versteckte Kamera im Beichtstuhl, Ministranten-Stadl oder Abendmahlissimo? Denn eins sollte man bei all der schönen Langeweile und behaglichen Betulichkeit nie vergessen: der liebe Gott sieht alles - wir aber können abschalten!
(Aus: O.K: Kalkofes letzte Worte. Frankfurt/M. 1997.S. 46f.)
[Porträt-Foto des Autors] Oliver Kalkofe (geb. 1965)

Erläuterungen zum Text:

Oliver Kalkofe schriebt (neben den Auftritten in seinen "Mattscheibe"-Inszenierungen für den Sender premiere) wöchentlich Kolumnen in dem tv-magazin. Er verbindet intellektuell anspruchsvolle, konsumkritische Intentionen mit sprachlichem Klamauk und überbordendem Witz. Er versucht, Anspruchslosigkeit, Dummheit und Ignoranz auf den Fernsehschirmen der Nation mit aggressiver, überzeichnender Kritik zu treffen.


Text 4:
[S. beiligendes Blatt S. ]

[Porträtfoto des Autors] Werner Thissen (Daten unbekannt)

Erläuterungen zum Text:

Text des Wortes zum Sonntag am 12.9.1998. Bei den TV-Wortmeldungen zum Sonntag des Münsteraner Domkapitulars Werner Thissen kommen keine beschädigten Alltagsmenschen vor, kein Behinderter, kein Arbeitsloser, kein Stadtstreicher, pardon: Berber, kein verhaschtes, verwahrlostes, wärme- und liebebedürftiges Wohlstands- oder Armutskind. Er predigt gerne von den Feinsinnigkeiten der bildenden Kunst. Ein Beispiel übergebe ich hiermit Ihrem Verstehen-Wollen.
Hinweis: Das besprochene Bild - Salvador Dalis "Brennende Giraffe" aus dem Jahre 1936/37 - ist abgebildet in: Gott und die Welt. 9/10. Erarbeitet von Theodor Eggers. Düsseldorf 1993: Patmos Verlag. S. 15)

Text 5:
Karl-Heinrich Brinkmann, Detmold
Text des Wortes zum Sonntag vom 18.07.98

Erläuterungen zum Text:

Das konventionelle Schema der TV-Predigt geht von einer erlebten oder imaginierten Äußerlichkeit aus, um schreckhaft-bedrohliche Sentenzen von schwerwiegendem Ernst als insistierend notwendige Nachfolge oder Neuübernahme von Geboten für Gottes Wege bei den Menschen rüberzubringen. Die Symbolik des Leuchtturm mit seiner Signalgebung für die Sinnfindung des Lebens wirkt pathetisch, konservativ und überzeichnet für eine mögliche Fünf-Minuten-Wirkung: "groß und stark und hell". Für einen gewöhnlichen Samstagsabend-Einblick in die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen wirkt ein absoluter, moralversessener Hinweis auf das fünfte und sechste Gebot katechetisch überstrapaziert. Gehören Mord und Ehebruch zum sommerlichen Inventar des Bewußsteins eines interessentieren, vielleicht sogar kindlich-jugendlichen TV-Zuschauers (siehe deren Erwähnung in der Einleitung)?


Text 6:
Gabriele Herbst, Magdeburg
Ohne Titel: Wort zum Sonntag (am 3.10.98 in der ARD gesendet)

Was für ein Gefühl, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, heute, am Tag der Einheit, hier im ehemaligen Niemandsland zwischen Hötensleben und Schöningen zu stehen und ungestört ein Brot zu essen.
Kein Grenzhund faßt zu, kein Scharfschütze hat mich im Visier, keiner schreit: "Stehen bleiben, oder ich schieße!"
Ich kann hier stehen und schauen und essen. Und weil das so ist, schmeckt mein Brot nach Freiheit. Ich denke, das kennen Sie: Brot kann nach Vielerlei schmecken: nach Kindheit oder fernem Land. Es schmeckt besonders gut nach einer überstandenen Operation. Und es schmeckt süß, wenn man liebt. Manchmal hat man das Gefühl, dass eine Schnitte noch niemals so gut geschmeckt hat wie genau in diesem Moment. Und so geht es mir jetzt, hier an der ehemaligen Grenze. Ich mußte hierher fahren, weil ich zu Hause in Magdeburg häufig vergesse, wie sehr ich mir und den Menschen in Ostdeutschland vor nur neun Jahren gewünscht habe, endlich frei zu sein. Ich mußte heute hierher fahren, damit das Geschenk der Freiheit wieder einmal aufleuchtet, nicht so schrecklich alltäglich wird, mich dankbar macht und stark.
Morgen feiern wir Christen Erntedankfest. Wir danken dafür, dass die Bitte aus dem Vaterunser 'Unser tägiches Brot gib uns heute!' nicht ins Leere ging, daß genug da war für Inländer und Ausländer, um wirklich satt zu werden. Und ich persönlich möchte mich heute und morgen gerne an das Geschenk der Freiheit erinnern, nach dem so viele Menschen gehungert haben, wofür sie in die Gefängnisse gingen und die Ostsee durchschwammen.
Ich möcht Tschechen, Ungarn, den mutigen ostdeutschen Demonstranten und Menschen aus der alten Bundesrepublik danken, dass sie diese Grenze zur Ruine werden ließen. "Danken, sagen Sie? Da mach' ich nicht mit! Mir hat die Freiheit Arbeitslosigkeit gebracht. Mich hat sie jede Menge Geld gekostet. Und mir brachte sie neue Unfreiheiten. Wofür sollte ich dankbar sein?"
Vielleicht finden Sie selbst eine Antwort auf diese Fragen, indem Sie sich wieder einmal aufmachen, an einen Ort wie diesen zu fahren, und überlegen, was hier geschah, was Ihnen Freiheit bedeutet, die nach Rosa Luxemburg immer auch die Freiheit der Andersdenkenden sein muß. Und wenn Sie dann im Niemandsland Ihr Brot auspacken, dann werden Sie darüber staunen, dass es hier wirklich einen besonderen Wohlgeschmack hat. Das gibt keine Arbeitsstelle zurück und auch den alten Wohlstand nicht wieder, aber es gibt Lebenskraft zur Dankbarkeit, zum Kampf und zur Erinnerung.

[Porträtbild der Autorin] Gabriele Herbst (Daten unbekannt)
Erläuterung zum Text:

Frau Herbst ist eine häufig, individuell und originell sich äußernde, telegene Pastorin aus Magdeburg. Den gedruckten Text muß man sich von der Inszenierung her vorstellen als freien Vortrag der Autorin, die sich im ehemaligen Todesstreifen der DDR-Befestigungen auf grünem Gras zwischen spanischen Reitern und Mauerresten bewegte, in fünf ruhigen Einstellungen. Sie hielt ein Brotstück als zentrale symbolische Geste in den Händen, das sie sich abschließend schmecken ließ.


Zu dem beiliegenden Illustrationsvorschlag:
1. Cartoon ohne Titel von Waldemar Mandzel aus dem Jahr 1991. In: Löwensteiner Cartoon-Service. Folge I + II. 1991. S. 15.
2. Cartoon ohne Titel von Jan Tomaschoff. In: Löwensteiner Cartoon-Service. Folge I + II. 1991. S. 14.

Anton Stephan Reyntjes


Zusätzlich:

Literarisches Stichwort Gott
Im Spannungsfeld von Literatur und Theologie
Folge X (??)



Alltägliche Lehren aus dem TV-"Wort zum Sonntag" (und aus Parodien dazu)


Anlaß für meine kleine Sammlung von Texten und Satiren auf die TV-Selbstverständlichkeit des kirchlich organisierten "Wort zum Sonntag" war die öffentliche Debatte in den Medien, ob ein Pastor Fliege, Moderator und Show-Star einer nachmittäglichen Talk-Show, denn ein neu gestyltes "Wort zum Sonntag" in der ARD sprechen dürfe. Es war den Verantwortlichen aufgefallen: Seit 40 Jahre beanspruchte diese Standard-Sendung öffentlich-rechtlicher Unterhaltung, pardon: religiöser Belehrung, am Samstagabend eine Alibi-Funktion: Wir haben noch eine religiös geprägte Wochenkultur, mit einer einstimmenden Vorfeier zum Sonntag als dem Herrentag; wir bereiten uns vor durch Dank, Lob und Einsicht; wir leben nach christlichen Auffassungen und wollen sie auch im Medienbrei von Talk-Vera (sat 1) bis Show-Verona (bei rtl) angemessen anspruchsvoll verkündet sehen.
Neue, interaktive Möglichkeiten, reichen von bei Rundfunkübertragungen von Sonn- oder Feiertagsmessen (im DLF oder in der jeweiligen Landesrundfunkanstalt z.B.), die einen Telefondienst eingerichtet haben für Rückfragen, bis zur religiösen Aussprache Hilfsangeboten für psychosoziale Herzensangelegenheiten.
Die Fragen blieben meist ungestellt: Wer kennt das "Wort zum Sonntag"? Wo kann ich mir dessen Texte besorgen? Wird es überhaupt gedruckt? Was sagen die Kurzinszenierungen anderen und mir? Lohnt es sich, mich privat oder im Unterricht mit den Angeboten auseinandersetzen?
Die 40 Jahre lang bescheiden geübte Praxis hatte eine schwer zu beschreibende, unmöglich zu kontollierende Wirkung, und vielleicht ist sie fast gänzlich wirkungslos, da es bisher keine Affären, keinen Skandal gab, die den Nutzen der Übung öffentlich signalisiert oder zur Diskussion gebracht hätten. Und siehe: Die Textsorte "Wort zum Sonntag" taucht in keinem Theologie-Lexikon, keinem Unterrichtswerk für Religion auf; die kirchliche Auswahl der Vortragenden und die gesprochene Lehre bleiben öffentlich unbekannt, ebenso interne Reaktionen. Zugespitzt gefragt: Sind Menschen durch TV-Religions-Wort bewegt, angeregt, überrascht worden; wie viele haben sich abends, nach dem letzten geistlich inspirierten "Gute Nacht!" der theologisch fachkundig Vortragenden (männlich und weiblich) anrühren, gar belehren oder bekehren lassen; wie viele ließ das geistliche Wort gleichgültig, bestärkte vielleicht die kirchlich Abstinenten, die häufig verurteilten, aber nicht umworbenen Randständigen? Alles offene Fragen... Aber von Isa Vermehren, einer Samstagabend-TV-Gallionsfigur, weiß man: sie ist die katholisch lizensierte, junggebliebene Gute-Laune-Nonne, die einsatzbereit ist an der medialen Front - ohne Erregung kirchlichen oder öffentlichen Ärgernisses...
Doch in diesem verwunderlichen Sommer 98 hat es eine öffentliche Diskussion über die wöchentliche Fünf-Minuten-Religionssparte "Wort zu Sonntag" gegeben.
In einem Interview beklagte die Johanna Haberer, die Rundfunkbeauftragte der evangelische Kirche, den Grundton der üblichen TV-Verkündigung: "Wie haben einen moralinsauren Gestus gegenüber dem Fernsehen, den wir uns abgewöhnen müssen. Bis zum Ende der Achtziger hat man in der Kirche einen heiligen Schwur auf die Öffentlich-Rechtlichen geleistet oder war überhaupt ganz gegen das Fernsehen. Und plötzlich hat man gemerkt: Oje, es gibt ja schon 32 Programme und wir kommen gerade mal in den öffentlich-rechtlichen vor." (...) "Dort kommen [nur] lauter Schöne und Reiche und Begabte vor." Deshalb umriß Frau Haberer zukünftige Aufgaben: "Wir sind Experten für Tod, Elend und allgemeines Leid. Zu dieser Rolle müssen wir stehen. Ich kann nicht sagen: Kirche ist nur Fun. Und das Leben mit den Mühseligen und Beladenen ist ja ausgesprochen spannend. Ganze Krimiserien leben davon. Es kann doch nicht angehen, dass der Bildschirm wochenlang behinderten- und arbeitslosenfrei ist. Da entfernt sich das Fernsehen von den Menschen und wird zur Volldröhne. Dieses Fernsehen ist dann kein Lebensmittel mehr, das der Mensch braucht." 2]
Von katholische Seite aus erklärte R. Jacobi, Leiter der zentralstelle Medien bei der Deuteschen Bischofskonferenz (lt. KNA-Meldung): "Die Sendung solle weiterhin einen optischen Widerstand gegen sonstige mediale Präsentationsformen bilden. Daher werde man den Mut zum ruhigen Bild haben und sich nicht an der verbreiteten 'Clip-Kultur' orientieren." Und: "Angesprochen sollen weiterhin die mehr als 50 Jahre alten Fernsehzuschauer", sagte Jacobi zur gewünschten Zielgruppe. 3] Daß man auch religiöse Wortsendungen für Menschen unter 50 konzipieren könne, mag oder kann man innerhalb des Katholizismus nicht einsehen.

Zurück in die Alltags- und Unterhaltungswelt der Medienöffentlichkeit und ihren möglichen psychologischen und religiösen Intentionen: Was lehren uns die Medien, wenn sie zu Menschennutz und -unterhaltung, gar zur Seelentröstung aufbrechen, wenn sie einplanen, was unplanbar ist: die Begegnung mit Gott, die Verantwortung vor Gott und den Mitmenschen, die Chance, seine und die eigene Identität zu befragen?
Von einer geplanten aufwendigeren, attraktiveren Aufmachung der Minisendung ist die Rede; die Zahl der Sprecherinnen und Sprecher soll reduziert werden auf sechs als TV-Elite - nach optischen und theologischen Kriterien ausgewählte, mit der Möglichkeit zum Star aufzusteigen. Bunte, den veränderten Wahrnehmungsfähigkeiten von Zuschauern angepaßte Trailer und eine Seelsorge-Hotline sollen hinzukommen.

Zu den ausgewählten Texten:

In gedruckter Form lagen mir keine zur Auseinandersetzung brauchbaren Texte aus der Zeit vor 1998. Für die Analyse der vorgelegten Parodien gilt, und das ist nun die Intention ex negativo aus der Satire-Beispielen: Der intelligente, undogmatische und gerechte, helle und gute Gott - er ist eine Fiktion des TV-Wortes zum Sonntag für alle Religionsbedürftigen; jedenfalls nach den Vorstellungen und Leistungen seines medienbeauftragten Bodenpersonals. Man müßte Religion besser präsentieren können und dürfen; auch indem man die Parodien öffentlich zur Kenntnis nimmt, sie diskutabel und letztlich überflüssig macht, auch wenn im ersten Augenblick die besonders bei katholischen Würdeträgern (den verantwortlichen Seelsorgern) die kulturspezifische Schmerzgrenze durch Kritik und Satire überschritten sein mag; sie fühlen sich so leicht beleidigt, obschon sie nur höchst irrende Vertreter eines geistig revolutionären Prinzips sind. Sind sie auf ihre Rollen im Hier und Jetzt vorbereitet - oder sind sie statusmäßig fixiert auf klerikal-vergeistigte Weltfremdheit?
Doch Satire ist per definitionem intelligentiae (seit den Tagen des klassisch-römischen Horaz, fortentwickeltanläßlich der Urstände der deutschen Aufklärung): Satire ist eine ästhetisch sozialisierte Aggression, deren Intention ex negativo vom Leser bzw. Zuhörer zu erfassen ist.
Seien wir also mutig, es ist die aufgeklärte Öffentlichkeit, die kulturelle Wirklichkeit, die einem ständisch-klerikalen Zopf (samt zugehörigem Prediger-Kopf) hinterruft: Merkt ihr nicht, daß ihr einen Zopf tragt? Und: Unterm Kinn getragen, ist er nur ein zu lang gewordener Bart, ein um 180° gewendeter Eitelkeitspinsel, kein Besen zum Auskehren, mit dem man den fühl- und sichtbaren Staub des Unverständnisses und eines Hörigkeits- und Selbstseligkeitskultes aus den Kammern des Geistes und den Vorhöfen der Macht fortfegen kann.
Z.B. ist die Verkündigungsprache der offiziellen, katholischen Kirche häufig autistisch-zölibatär, männlichkeitsorientiert, gar sklerotisch 4] und wirklichkeitsfremd; sie schließt kritisch fähige, historisch vorurteilslose und psychologisch kundige Menschen aus und erklärt sie häufig leichtfertig oder feindlich mißgestimmt zu Querulanten und Übelwollenden. Die kirchlichen Realitäten unserer Tage bedürfen der Kritik und Diskussion, auch der (angeblich oder vermutlich) schmerzenden, überzeichnenden Satire. Ihre Denk- und Kritikmöglichkeiten karikieren den respektlosen Umgang mit den innerhalb der Kirchen selbstverständlichen Usancen, dem spezifisch-seelenvollen, religiös eingeschränkten Wortmaterial, dem weihevoll-sakralen Stil einer Gemütspredigt und ihrer pädagogisch aufdringlichen, im Bibelzitat abgesicherten, moralischen Pointierung in den Schlußsätzen.
Der älteste Text ist der satirischen Vortragskunst Hanns Dieter Hüschs entnommen. Das zweite Beispiel bietet uns ein sehr populärer Spötter an, ein Klamaukunterhalter und komischer Vogel. Es ist Unterhaltungsstar Otto der Friesenwitzgott, in pathetisch-dominanter Betonung, im Duktus geistlicher Würdenträgerschaft, passend zu Orgel-Untermalung inszeniert; bürgerlich Otto Waalkes.
Neuere, modernere Beispiele für die Textsorte "Wort zu Sonntag", die die größte, regelmäßige, öffentlich wirksame Form der religiösen Verkündigung in Deutschland ist, möchte ich mit zwei aktuellen Texten bieten. Ich habe sie aus dem Jahre 1998 ausgewählt: ein konventionell gestaltetes und vorgetragenes Beispiel von Werner Thissen, Münster; und eine themenspezifisch und optisch gelungene Umsetzung eines einstimmenden Vortrags zum Tag der deutschen Einheit 1998 und des Erntedankfestes durch die Magdeburger Pastorin Gabriele Herbst.

Aufgabenstellung zu allen Texten:
1. Erarbeite folgende strukturelle Gegebenheiten des Worts zum Sonntag: Anknüpfung beim Zuschauer/Sitz im Leben - Einstieg in die höhere Bedeutung der Rede - Steigerung der Aussage - Anrufung oder Benennung Gottes - wiederholende Intensivierung der Intention - das rhetorische Finale: das Herrenwort oder das Bibelzitat - die Verabschiedung/der Gruß als Entlassung in den Feier- oder Alltag.
2. Kläre die jeweils vorliegenden Intentionen: die getragen-geistliche, die unterhaltsam-nützliche und die provozierend-satirische. Welche Stilmittel werden zu diesen Aussagen eingesetzt? (Anspielungen, Wiederholungen, Zitate, Verfremdungen, Wortspiele, intensivierende Steigerungen)
3. Erarbeite eine persönliche Stellungnahme zu den Texten.
4. Versuche, ein eigenes oder in der Gruppe erarbeitetes "Wort zum Sonntag" zu verfassen, das sich auf ein bestimmtes Datum festlegt: Ostersamstag, Frühlingsanfang, Pfingsten, Herbstbeginn, Weihnachten, Jahreswechsel, Einschuldung, Zeugnistermin o.ä.

Text 1
Hanns Dieter Hüsch: Das Wort zum Sonntag

Es spricht Propst Aloysisus Knobelzieher. [Hüsch mit vollem, verbalen Gestus in der Rolle eines ungeniert Weihrauch atmenden und Geist ausspendenden Propstes: Ich muß auf ein Zeichen des Regisseurs warten, damit wir synchron auf den Bildschirm gehen.]
Wenn ich mir jetzt, meine lieben Zuschauer, eine Brille aufsetze und Sie mir freundlichst erlauben, in Ihre Stube hinein zu Ihnen zu sprechen, ja gleichsam in Ihren eigenen Bereich hineinzuschauen, so hat das ja mit der Brille gerade heute eine ganz besondere Bewandtnis.
Vor einigen Tagen sah ich, wie ein netter, junger Mann, nach Anbruch der Dunkelheit, sich eine alles noch mehr verdunkelnde Sonnenbrille aufsetzte. Ein andermal hörte ich, wie jemand zu seinem Nachbarn sagte, eine rosarote Brille - und alles sieht gleich ganz anders aus.
Nun - da habe ich mich gefragt: Was sieht denn gleich ganz anders aus? Und wie oft hören wir doch heute, ich habe nicht mehr den richtigen Überblick, wir sehen da nicht mehr klar, ich schaue da nicht mehr hindurch.
Sollten da vielleicht zu viele Sonnenbrillen und zu viele rosarote Brillen mit ihm Spiel gewesen sein? Wer immer nur Buttercremetorte ißt, weiß eines Tages gar nicht mehr, wie Buttercremetorte schmeckt. Und wer sich eine Sonnenbrille aufsetzt oder eine rosarote Brille, der muß nicht meinen, daß Gott unseren wahren Alltag nicht sieht. Er ist unser Optiker. Er braucht keinen Kneifer und keinen Aussichtsturm. Er ist weitsichtig und kurzsichtig zugleich. Er sieht uns und durch uns hindurch, durch und durch, für und für. Lassen Sie mich schließen mit einem Wort, das uns die Augen öffnen helfen will. Mit einem Wort des böhmischen Wanderpredigers Heinrich Ignaz Mützenbecher, der da sagt: "Möge der du sein werdest [in den Beifall hin wiederholend:] möge der du sein werdest, dann siehst du, was du sein dürftest. Guten Abend.

[Porträtfoto] Hanns Dieter Hüsch (geb. 1925)
Erläuterungen zum Text Nr. 1:

Hüsch ist einer der bekanntesten deutschen Kabarettisten; seine kritisch-politische Phase liegt allerdings wohl hinter ihm. Heute charakterisiert er seine öffentlichen Vorträge eher mit dem inflationären Spruch "versöhnen statt spalten". Aus seinen neueren Programmen ist der Text "Religiöse Nachricht" typisch; in: H.D.H.: Das Schwere leicht gesagt. Freiburg 1994: Herder-Spektrum Bd. 4274. S. 28f. - Der abgedruckte Text ist eine Transskribierung und stammt aus dem Hüsch-Programm: Nachtvorstellung im deutschen Schauspielhaus. LP. Intercord 1975.



Text 2:

Otto Walkes:
Liebe Brüder und Schwestern!
Es herrscht zu viel Aberglauben auf dieser Welt, allzuviel auch heute noch! Da gibt es Menschen, die stecken ihre Füße in kleine Wollsäcke, weil sie glauben, somit die Götter des Frostes milde stimmen zu können. Andere wiederum kleben kleine, bunte Läppchen auf ihre Briefumschläge, um so das Heer der Götterboten zu einem schnelleren Brieftransport zu bewegen. Ja, der Aberglaube führt einige unserer Mitmenschen sogar so weit, daß sie sich Kerben und Zickzackmuster in ihre Autoreifen schnitzen lassen, um somit die Götter des Aquaplaning zu überlisten. Andere wiederum stülpen sich kleine Gummitütchen über ihren Schniedelwutz, um somit die Götter des Familienplaning gnädig zu stimmen. Das alles ist dunkelster, dunkelster Aberglaube!
Ich selbst habe immer eine geweihte Christophorus-Plakette an meiner Orgel, und ich bin seitdem noch nie mit einer anderen Orgel zusammengestoßen. Ich könnte euch noch tausend Gründe nennen, wenn ich nur welche wüßte. Sollte uns das nicht zu denken geben? Ich glaube, nein!

[Porträtfoto des Autors] Otto Waalkes (geb.1947)

Erläuterungen zum Text Nr. 2:

Der Slapstick-Künstler erzielt viele Effekte aus Klamauk und Zerstörung einer gut gemeinten oder auch kritischen Intention. Er ist in seiner langen Karriere immer wieder Signal für Unterhaltung als Konsum, just for fun, gewesen. Eindeutige Intentionen und Stellungnahmen im gesellschaftlichen Kontext mag er wohl, um niemanden zu verprellen, scheuen. So endet denn auch seine gedanklich gewollt chaotische Parodie in einer Nonsense-Pointe.
(Der Text liegt mir nur in einer ungedruckten Fassung vor, ohne Quellenangabe.)

Text 3:
[S. beiliegendes Blatt S. ]


[Porträtfoto des Autors] Werner Thissen (Der Autor lebt als bischöflicher Generalvikar in Münster/Wesft.)

Erläuterungen zum Text Nr. 3:

Text des Wortes zum Sonntag am 12.9.1998. Bei den TV-Wortmeldungen zum Sonntag des Münsteraner Domkapitulars Werner Thissen kommen keine beschädigten Alltagsmenschen vor, kein Behinderter, kein Arbeitsloser, kein Stadtstreicher, pardon: Berber, kein verhaschtes, verwahrlostes, wärme- und liebebedürftiges Wohlstands- oder Armutskind. Er predigt gerne von den Feinsinnigkeiten der bildenden Kunst. Ein Beispiel übergebe ich hiermit Ihrem Verstehen-Wollen.
Hinweis: Das besprochene Bild - Salvador Dalis "Brennende Giraffe" aus dem Jahre 1936/37 - ist abgebildet in: Gott und die Welt. 9/10. Erarbeitet von Theodor Eggers. Düsseldorf 1993: Patmos Verlag. S. 15)

Text 4:
Gabriele Herbst, Magdeburg
Ohne Titel: Wort zum Sonntag (am 3.10.98 in der ARD gesendet)

Was für ein Gefühl, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, heute, am Tag der Einheit, hier im ehemaligen Niemandsland zwischen Hötensleben und Schöningen zu stehen und ungestört ein Brot zu essen.
Kein Grenzhund faßt zu, kein Scharfschütze hat mich im Visier, keiner schreit: "Stehen bleiben, oder ich schieße!"
Ich kann hier stehen und schauen und essen. Und weil das so ist, schmeckt mein Brot nach Freiheit. Ich denke, das kennen Sie: Brot kann nach Vielerlei schmecken: nach Kindheit oder fernem Land. Es schmeckt besonders gut nach einer überstandenen Operation. Und es schmeckt süß, wenn man liebt. Manchmal hat man das Gefühl, dass eine Schnitte noch niemals so gut geschmeckt hat wie genau in diesem Moment. Und so geht es mir jetzt, hier an der ehemaligen Grenze. Ich mußte hierher fahren, weil ich zu Hause in Magdeburg häufig vergesse, wie sehr ich mir und den Menschen in Ostdeutschland vor nur neun Jahren gewünscht habe, endlich frei zu sein. Ich mußte heute hierher fahren, damit das Geschenk der Freiheit wieder einmal aufleuchtet, nicht so schrecklich alltäglich wird, mich dankbar macht und stark.
Morgen feiern wir Christen Erntedankfest. Wir danken dafür, dass die Bitte aus dem Vaterunser 'Unser tägliches Brot gib uns heute!' nicht ins Leere ging, daß genug da war für Inländer und Ausländer, um wirklich satt zu werden. Und ich persönlich möchte mich heute und morgen gerne an das Geschenk der Freiheit erinnern, nach dem so viele Menschen gehungert haben, wofür sie in die Gefängnisse gingen und die Ostsee durchschwammen.
Ich möcht Tschechen, Ungarn, den mutigen ostdeutschen Demonstranten und Menschen aus der alten Bundesrepublik danken, dass sie diese Grenze zur Ruine werden ließen. "Danken, sagen Sie? Da mach' ich nicht mit! Mir hat die Freiheit Arbeitslosigkeit gebracht. Mich hat sie jede Menge Geld gekostet. Und mir brachte sie neue Unfreiheiten. Wofür sollte ich dankbar sein?"
Vielleicht finden Sie selbst eine Antwort auf diese Fragen, indem Sie sich wieder einmal aufmachen, an einen Ort wie diesen zu fahren, und überlegen, was hier geschah, was Ihnen Freiheit bedeutet, die nach Rosa Luxemburg immer auch die Freiheit der Andersdenkenden sein muß. Und wenn Sie dann im Niemandsland Ihr Brot auspacken, dann werden Sie darüber staunen, dass es hier wirklich einen besonderen Wohlgeschmack hat. Das gibt keine Arbeitsstelle zurück und auch den alten Wohlstand nicht wieder, aber es gibt Lebenskraft zur Dankbarkeit, zum Kampf und zur Erinnerung.

[Porträtbild der Autorin] Gabriele Herbst (Die Autorin lebt als Pastorin in Magdeburg)

Erläuterung zum Text Nr. 4:

Frau Herbst ist eine häufig, sich individuell und originell äußernde, telegene Pastorin aus Magdeburg. Den gedruckten Text muß man sich von der Inszenierung her vorstellen als freien Vortrag der Autorin, die sich im ehemaligen Todesstreifen der DDR-Befestigungen auf grünem Gras zwischen spanischen Reitern und Mauerresten bewegte, in fünf ruhigen Einstellungen. Sie hielt ein Brotstück als zentrale symbolische Geste in den Händen, das sie sich abschließend schmecken ließ.


Zu dem beiliegenden Illustrationsvorschlag:

1. Cartoon ohne Titel von Waldemar Mandzel (1991). In: Löwensteiner Cartoon-Service. Folge I + II. 1991. S. 15.
2. Cartoon ohne Titel von Jan Tomaschoff. In: Löwensteiner Cartoon-Service. Folge I + II. 1991. S. 14.

Anton Stephan Reyntjes



Texte zu dem Artikel:

Literarisches Stichwort Gott
Im Spannungsfeld von Literatur und Theologie

Folge X (Für das Osterheft. Nr. 39/99)

Alltägliche Lehren aus Parodien auf das TV-"Wort zum Sonntag"

Text 1:

Hannsdieter Hüsch: Das Wort zum Sonntag

Es spricht Propst Aloysisus Knobelzieher. (Hüsch, innehaltend, mit vollem, verbalen Gestus eines ungeniert Weihrauch ein- und ausatmenden Dom-Propstes:) Ich muß auf ein Zeichen des Regisseurs warten, damit wir synchron auf den Bildschirm gehen.
Wenn ich mir jetzt, meine lieben Zuschauer, eine Brille aufsetze und Sie mir freundlichst erlauben, in Ihre Stube hinein zu Ihnen zu sprechen, ja gleichsam in Ihren eigenen Bereich hineinzuschauen, so hat das ja mit der Brille gerade heute eine ganz besondere Bewandtnis.
Vor einigen Tagen sah ich, wie ein netter, junger Mann, nach Anbruch der Dunkelheit, sich eine alles noch mehr verdunkelnde Sonnenbrille aufsetzte, ein andermal hörte ich, wie jemand zu seinem Nachbarn sagte, eine rosarote Brille und alles sieht gleich ganz anders aus.
Nun - da habe ich mich gefragt: Was sieht denn gleich ganz anders aus? Und wie oft hören wir doch heute, ich haabe nicht mehr den richtigen Überblick, wir sehen da nicht mehr klar, ich schaue da nicht mehr hindurch.
Sollten da vielleicht zu viele Sonenbrillen und zu viele rosarote Brillen mit ihm Spiel gewesen sein? Wer immer nur Buttercremetorte ißt, weiß eines Tages gar nicht mehr, wie Buttercremetorte schmeckt. Und wer sich eine Sonnenbrille aufsetzt oder eine rosarote Brille, der muß nicht meinen, daß Gott unseren wahren Alltag nicht sieht. Er ist unser Optiker. Er braucht keinen Kneifer und keinen Aussichtsturm. Er ist weitsichtig und kurzsichtig zugleich. Er sieht uns und durch uns hindurch, durch und durch, für und für. Lassen Sie mich schließen mit einem Wort, das uns die Augen öffnen helfen will. Mit einem Wort des böhmischen Wanderpredigers Heinrich Ignaz Mützenbecher, der da sagt: "Möge der du sein werdest (möge der du sein werdest), dann siehst du, was du sein dürftest. Guten Abend.
(Aus dem Hüsch-Programm: Nachtvorstellung im deutschen Schauspielhaus. LP. Intercord 1975.)
*
Zu der Walkes-Parodie (Text 2):
Das nächste Beispiel respektlosen Umgangs mit den innerhalb der Kirchen selbstverständlichen Usancen, dem spezfischen Wortmaterial, dem weihevoll-sakralen Stile einer Predigt und der pädagogisch aufdringlichen Pointe als Schlußsatz, bietet uns ein sehr populärer Spötter, ein Klamaukunterhalter und komischer Vogel. Es ist Otto der Friesenwitzgott, in pathetisch-dominanter seelsorgerischer Betonung, im Ton geistlicher Würdenträgerschaft, passend zu Orgel-Untermalung inszeniert; ein erfolgreicher Spötter und Unterhalter, bürgerlich Otto Walkes:

Text 2:

Otto Walkes: Liebe Brüder und Schwestern!
Liebe Brüder und Schwestern!
Es herrscht zu viel Aberglauben auf dieser Welt, allzuviel auch heute noch! Da gibt es Menschen, die stecken ihre Füße in kleine Wollsäcke, weil sie glauben, somit die Götter des Frostes milde stimmen zu können. Andere wiederum kleben kleine, bunte Läppchen auf ihre Briefumschläge, um so das Heer der Götterboten zu einem schnelleren Brieftransport zu bewegen. Ja, der Aberglaube führt einige unserer Mitmenschen sogar so weit, daß sie sich Kerben und Zickzackmuster in ihre Autoreifen schnitzen lassen, um somit die Götter des Aquaplaning zu überlisten. Andere wiederum stülpen sich kleine Gummitütchen über ihren Schniedelwutz, um somit die Götter des Familienplaning gnädig zu stimmen. Das alles ist dunkelster, dunkelster Aberglaube!
Ich selbst habe immer eine geweihte Christophorus-Plakette an meiner Orgel, und ich bin seitdem noch nie mit einer anderen Orgel zusammengestoßen. Ich könnte euch noch tausend Gründe nennen, wenn ich nur welche wüßte. Sollte uns das nicht zu denken geben? Ich glaube, nein!


Zu Text 3:

Von einem speziellen Künstler im frech-brutalen Stil stammt das letzte Beispiel, von dem "TV-Pöbler" Oliver Kalkofe das "Wort zum Wort zum Sonntag": Er spricht seine Schäfchen wahrheitsgerecht an: "Liebe Leser", denn den Text wird er nie als Inszenierung vorlesen können, außer für seine spezielle, satiregewohnte Kult-"Gemeinde"im Privatsender Premiere.

Oliver Kalkofe: Das Wort zum Wort zum Sonntag:

"Liebe Leser. Als ich heute morgen aufstand und in mein Badezimmer fuhr, da fragte ich mich: "Wo um alles in der Welt bin ich nur - und wer waren diese drei schlafenden Blondinen?" Da plötzlich sah ich vor mir ein kleines unschuldiges Häschen über die Straßen hoppeln und mußte lächeln, denn als ich es überfuhr, dachte ich bei mir: "Hasen sind irgendwie auch Menschen - wenn man über sie drüberfährt, gehen sie tot."
Sie haben es natürlich erkannt: dies kleine Gleichnis war mein bescheidener Versuch einer Hommage an Das Wort zum Sonntag! Fernsehen, wie man es sich wünscht: Unterhaltung mit Verstand, Belehrung mit Esprit, Verstaubtheit mit Schmackes. Als Kind ließ ich mich noch ein wenig vom Titel in die Irre führen und wartete jedesmal gespannt darauf, was denn wohl diesmal das Wort zum Wochenabschluß sein würde: Barmherzigkeit? Brustwarze? Religionsverdrossenheit? oder gar Reiserücktrittsversicherung? Nein, schnell sah ich ein: Das Wort zum Sonntag ist mehr als nur ein Wort. Geschichten, die zwar kaum zum Zuhören, dafür aber zum Nachdenken anregen, vorgetragen von charismatischen Kirchen-Kleindarstellern, ästhetisch in die Filmsprache transponiert mit oftmals bis zu einer Kameraeinstellung, aber vor allem: kein Fernsehballett!
Und seien wir mal ehrlich: wie oft hätten wir uns wohl in den letzten 40 Jahren beim Spätfilm der ARD in die Hosen gemacht, hätte uns die klerikale Stand-Up-Comedy nicht vorher die Gelegenheit zum entspannten Strullen oder gar zur schnellen Stuhlpflege gegeben.
Doch frag ich mich: wo bleibt die Wort zum Sonntag-Late Night Show? Inquisition, Kreuzzüge, Hexenverbrennung - das zeigt, daß die Kirche ja schon Ahnung hat vom Entertainment. Warum läßt sie sich gerade im Fernsehen so einfach abspeisen? Okay, sie haben uns Fliege in den Nachmittag geschmuggelt, das war unfair aber pfiffig, jedoch weit unter ihren Möglichkeiten. Wenn es schon Hamster-TV gibt, warum nicht auch Zölibat oder Liebe?, die versteckte Kamera im Beichtstuhl, Ministranten-Stadl oder Abendmahlissimo? Denn eins sollte man bei all der schönen Langeweile und behaglichen Betulichkeit nie vergessen: der liebe Gott sieht alles - wir aber können abschalten!
(Aus: O.K.: Kalkofes letzte Worte. Frankfurt/M. 1997. S. 46f.)
**
Neues zum „Wort zum Sonntag“

Ergänzungen zu:

Wort zum Sonntag:

(Datei - holen!)

Einen üblicherweise kritischen, aber auch notwendigen, weil diskussionswürdigen Beitrag lieferte die Unterhaltungssendung mit Niveau und satirischen Stich „Sieben Tage -. Sieben Köpfe“:


Jochen Busse, der Moderator der Veranstaltung, beginnt den Beitrag:

Meine lieben Damen und Herren, liebe Brüder und Schwestern, samstags abends, wenn Ihnen nichts besseres einfällt und sie die Wiederholung der Lottozahlen schon zum dritten Mal gesehen haben, tritt auf Ihren Bildschirm irgendeine Damen oder ein Herr mit einem Augenaufschlag und erinnert Sie an die Worte des Herren, der über uns wohnt. Das ist eine Sendung, die leider nicht mehr so gerne gesehen wird. Jetzt hat man den Herrn angerufen und gebeten: „Schickt uns einen, der uns leitet, um die Sendung vor mehr Zuschaueraugen zu werfen.“ Und es erbot sich einer, der wie ein Engel gleich „Fliege“ heißt. Und nun haben wir ihn und können uns nicht satt sehen an ihm, und ich kann Sie nur bitten: Passen Sie auf ihn auf. Das ist das Thema - „Das Wort zum Sonntag“ will keiner mehr sehen, Fliege soll es auf Vordermann bringen. Es spricht zu Ihnen Tanja Schumann.

Tanja Schumann:

Na, ja, Fliege hat ja neulich einen Unfall gehabt, und da hat er es doch tatsächlich geschafft, gleich gegen drei christliche Gebote zu verstoßen: Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen, du sollst nicht ehebrechen, und du sollst deinen Sicherheitsgurt anlegen.

Rudi Carrell:

Also ich fände’ es schön, wenn Rudolf Scharping das Wort zum Sonntag spricht. Der braucht nur einen langen Satz zu sagen, und dann ist schon Sonntag. Kalle, stimmt das, daß du beim „Wort zum Sonntag“ vorgesehen bist als Gastprediger?

Kalle Pohl:

Ja, das ist wohl wahr, mein lieber Rudi. Ich mach’ das natürlich unter einem Pseudonym, versteht sich.

Rudi Carrell:

Ja, wie willst du dich denn nennen?

Kalle Pohl:

Bremse - Fliege gibt’s ja schon. Ich will auch mal sagen, hier kann man ja über Fliege herziehen, wie man will - für mich ist er ein ganz großes Vorbild: Fliege ist offen, Fliege ist ehrlich, Fliege ist herzergreifend und gütig und vor allem: Er glaubt an das, was er verkauft.
Und ich glaube, Fliege ist auch vielseitig religiös. Fliege könnet doch bei einem reformierten „Wort zum Sonntag“ auch die Beichte abnehmen: „Hallo, Pastor Fliege, ich bin ein schmutziges kleines Ferkel.“ Fliege: „Sind wir das nicht alle, mein Sohn?“ - „Ich, ich lege Hand an mich, jeden Samstag nach dem Baden.“ - Fliege: „Das ist wirklich schmutzig, du Ferkelchen.“ - „Was kann ich denn tun, Pastor Fliege?“ Fliege: Tu’s vor dem Baden, du Ferkelchen.“
Ich glaube, Fliege ist so vielseitig, der könnte nicht nur predigen und die Beichte abnehmen, der könnte beim „Wort zum Sonntag“ auch die Werbung einbauen: „Ding, dong. Überraschender Besuch? Und wieder kein Knabbergebäck im Haus? Das muß nicht sein - Hostien... ja, Hostien in der extragroßen Vorratspackung, für die Kommunion zwischendurch. Die gibt der Herrgott seiner Familie - Hostien!“

(Aus: Felix c. Beckermann: Das Beste aus 7 Tage - 7 Köpfe. Bd. 2. Stuttgart 1998: Dino Verlag. S. 87ff.)
*
Das Streiflicht
(Tägliche anonyme Glosse in der SZ)

(SZ) Bedenkt man; dass die Verkündi­gung „als Ereignis des Wortes Gottes zeu­gend personales, dynamisch pneumati­sches, eschatologisch präsentes Heilsge­schehen ist“, und hält man sich vor Au­gen, dass ein evangelischer Pfarrer ein­mal einen Hund ins Studio brachte, um den Stellenwert des Tieres in unserer Ge­sellschaft predigend zu erhellen   dann bekommt man vielleicht ein Gefühl da­für, in was für einem Kräftefeld sich das „Wort zum Sonntag" Woche für Woche zu bewähren hat. Wenn je die inflationär verwendete „Zerreißprobe“ auf irgend­etwas passte, dann auf diese Sendung, die sich einerseits auf den göttlichen Auf­trag stützt, andererseits auf die in unse­rer Verfassung vorgesehenen Drittsende­rechte. Wie man diesen „Spagat“ (auch so ein Wort!) bewältigt, ohne sich in der dynamisch pneumatischen Präsentation allzu stark zu blamieren, das ist seit nun­mehr fünfzig Jahren die Frage.
Am 8. Mai 1954 sprach Pastor Walter Dittmann das erste von gut 2600 „Wor­ten zum Sonntag“, und es ist durchaus er­wägenswert, was der Sendung zum Jubi­läum ins Stammbuch geschrieben wur­de. Wir denken hier weniger an das etwas knallige Statement Kardinal Karl Leh­manns, wonach Gott „kein Gottschalk“ sei. Das hatten wir bisher schon nicht ge­glaubt, auch nicht in umgekehrter Rei­henfolge, und wir hoffen, dass Thomas Gottschalk das ähnlich sieht. Spannen­der erscheint uns die Behauptung des Hamburger Erzbischofs Werner Thissen, dass Paulus, lebte er heute, im Fernsehen von Jesus sprechen würde. Dieser Paulus war ja einer, der sich das Fernsehen ge­nauso erobert hätte, wie er sich die da­mals bekannte Welt eroberte: erfüllt von seiner Mission und unbekümmert da­rum, ob ihm Drittsenderechte das erlaub­ten oder nicht. Manche Bibeln haben im Anhang eine Karte des Mittelmeerrau­mes, auf der die vier Reisen Pauli einge­zeichnet sind: Was für eine Rennerei, was für ein Stress, stets unter dem Druck, dass der Herr möglicherweise bald wie­derkäme, ohne dass er, Paulus, das Be­kehrungswerk vollendet hätte. Was wäre dem Mann nicht mit einer funktionieren­den ARD geholfen gewesen, mag es gleich nicht auszuschließen sein, dass Paulus in seinem Eifer die übrigen Predi­ger vom Bild verdrängt hätte: Bi­schof Kruse, Pfarrer Sommerauer, Jörg Zink; Isa Vermehren und wie sie sonst alle hießen, bis hin zur unersetzlichen Oda Gebbine Holze Stäblein.
Und nach dem „Wort zum Sonntag“? Bernhard von Clairvaux kannte es zwar noch nicht, rät aber generell, Predigten „in die Eingeweide deiner Seele" aufzunehmen und dortselbst nutzbringend zu verdauen. Darum, Sportsfreunde: Wenn heute Abend Stephan Wahl mit seinem Sermon zu Ende ist, nicht gleich wieder aufs ZDF umschalten und „Sportstudio“schauen! Die Eingeweide Eurer Seelen sind empfindlicher, als Ihr denkt.
(SZ. 8./9.Mai 2004)
 
*
  Und letztens:

Das Wort zum Sonntag
vom 13. Mai 2000

gesprochen von Andrea Schneider - live von der Reeperbahn

Guten Abend!
Ganz Deutschland in Partylaune - und mittendrin: die Nachricht von dem Explosionsunglück in Enschede.
Mitten in Europa. Mittendrin in diesem großen europäischen Grand-Prix-Festival.
Viele, die hier Party machen wollen auf dem Spielbudenplatz, wissen vielleicht noch gar nichts davon. Vielleicht ist das typisch für unser Leben: hier die Party, dort das schlimme Unglück. Hier Leute, die einfach nur abfeiern wollen. Dort Menschen, die starr sind vor Entsetzen.
Alles ganz nah beieinander – auch hier auf dem Kiez in St. Pauli.
Von dieser Spannung wollte ich Ihnen heute Abend erzählen. Jetzt tu' ich das unter einem ganz anderen Eindruck:
Schillernd-krasses Leben. Rotlicht und Blaulicht. Spaß hoch drei und Elend ohne Ende. Leben, wie es ist - hier auf dem Kiez in all seinen Extremen.
Und mittendrin: Jesus in St. Pauli. Jedenfalls steht's so auf dem Haus der Heilsarmee in der Talstraße um die Ecke.
Jesus in St. Pauli? Auch heute Abend unter den Grand-Prix-Partygästen? Vielleicht - ich weiß nicht. Gegen Spaß hat er nichts gehabt. Und gefeiert hat er gern, was manche Leute gar nicht gut fanden...
Doch – ich bin mir sicher: Jesus ist in St. Pauli. Mittendrin.
Auch weil es hier Leute gibt – viele engagierte Christen - wie die vom Jesus-Center, zum Beispiel. Oder die Heilsarmee, manchmal belächelt, und doch hochgeachtet.
Mittendrin. Und gerade bei Menschen, denen es nicht so gut geht. Im Schatten der glitzernden Reeperbahn. Auch jetzt - im Schatten dieser Riesenparty:
Auch wenn einer zum x-ten Mal auf dem Boden liegt, zugedröhnt, vielleicht voll bis über'n Halskragen: Wieder Mensch sein dürfen. Das kriegen, was man zum Leben braucht: Suppe, Seife, Seelenheil - das alte Motto der Heilsarmee.
Jesus in St. Pauli: das ist Zuwendung - ohne Angst, sich die Hände schmutzig zu machen. Nächstenliebe - ohne die Frage, was bringt das schon.
Viele Geschichten hab' ich hier gehört. Eine geht mir nicht mehr aus dem Kopf: Die von dem jungen Mann, der extra aus der Provinz nach St. Pauli gekommen war, um sich hier den Goldenen Schuss zu setzen. Ein Abschiedsbrief, ein billiges Hotelzimmer, eine lange Nacht in tödlicher Verzweiflung, herumirren in den Straßen...
Irgendwann läuft er – "zufällig" – den Christen hier in die Arme: Reden, zuhören, weinen, trösten.
Ein kleines Wunder: Er fährt nach Hause zurück. Ein halbes Jahr später ist er wieder da, hat einen Job und stellt freudestrahlend seine Freundin vor.
Klar, nicht alle Geschichten gehen gut aus – hier auf dem Kiez. Auch sonst nicht. Leben, wie es ist: Tolle Party - Spaß, wie heute Abend – aber manchmal auch tiefer Frust. Schmerz, wie jetzt in Enschede.
Gut, wenn dann Menschen da sind, die Hoffnung haben – für andere. Und langen Atem. Ganz unspektakulär. Siegerpunkte gibt’s dabei nicht zu gewinnen. Auch keine hohen Zuschauerquoten, aber Hilfe zum Leben.
Jesus in St. Pauli. Mittendrin. Mitten in diesem Leben.
Und: Wunder gibt’s da immer wieder... Manchmal auch ein bisschen Frieden...
Trotz aller anderen Gedanken und Gefühle - für mich ist das ein Grund, heute Abend zu feiern.
Einen schönen – spannenden - Abend noch. Und Tschüs.




1] Vgl. die wiederholte, gut fundierte Kritik, die Prof. Hans-Josef Kuschel wiederholt öffentlich niedergelegt hat, der im Grenzbereich von Literatur und Theologie Bemerkenswertes leistet. Vgl. seine grundlegenden Werke: Der Andere Jesus. München 1987. Serie Piper 625. Und: Jesus in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. München 1978. Serie Piper 627.

2] Angelika Onland: Ein Christ als Serienheld? In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt. 40/1998. S. 33.

3] Zitiert nach Kirche und Leben. Münster. Vom 18.10.98. S. 6.

4] Vgl. die wiederholte, gut fundierte Kritik, die Prof. Hans-Josef Kuschel wiederholt öffentlich niedergelegt hat, der im Grenzbereich von Literatur und Theologie Bemerkenswertes leistet. Vgl. seine grundlegenden Werke: Der Andere Jesus. München 1987. Serie Piper 625. Und: Jesus in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. München 1978. Serie Piper 627.

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