Samstag, 29. Februar 2020

Ein Brief zu Ehren von Eduard M ö r i k e



Briefe, die ihre Empfänger nie erreichten
Littera prima

  •   Littera desperata prima

Herrn
Prof. Dr.
B............... Z..............

In der SM-Lagerbaracke Marbach


Sehr geehrter Herr Professor,

nach der kürzlichen Veranstaltung im heiter gestimmten Bad Boll und Ihrem Vortrag ("........... ........") dort hab’ ich mir das Reclamheftchen „Mörike-Gedichte“(Ihrem Mörike-Bild entsprungen) bestellt und find’ da so einiges unterschlagen, was zu einem stimmigen, nicht nur: modernen, sondern einfach gehörigen Mörike-Bild passt:
Den Text „Feuerreiter“, den Sie abdrucken, datieren Sie auf das Jahr 1824; was für ein herkömmlich philologischer Unsinn, aber in der schwäbischen Mörike-Literatur häufiger zu finden (vgl. H. Schlaffer in „E. M. u. W. W. Eine poetische Jugend“ und Sie, Herr Professor, im Ausstellung-Katalog (1975; oder ist die Neuauflage korrigiert?) Der zeitgenössische Leichtsinn steht natürlich auch in Göpferts Ausgabe...; in Lahnsteins „Mörike“ natürlich auch)! Eine schwäbische Verschwörung...? Dass die "Feuerreuter" Sie packen, die Knöchelchen hacken, die Härchen bereifen, das Särglein bereiten...
Könnten Sie sich - wissenschaftlich gestimmt - auf beide Texte einlassen, mit den betreffenden Entstehungszahlen: Sommer 1824 und (3. Dec.) 1841..? Es sind so stark differierende Texte - „umgesattelt“ nannte E.M. verhüllend seinen neuen „Feuerreiter“ - daß nicht nur die christlich-archaisierende, retro(bzw. ana-) chronistische Fassung überliefert werden sollte; Sie könnten den Lesern und Lehrern und Mörike-Freunden dadurch auch historisches Denken zumuten und methodisch-kritisches Interpretieren.
Und dann fehlen mir noch mindestens diese Gedichte in Ihrer Auswahl (1997 nachgedruckt!): „Der Petrefaktensammler“, „An Philomele“, "An Bernhardus den Zellermeister", "Mit Petrus dem Wettersammler" und die „Wispeliaden“. - Und erst die nötigen Anmerkungen...?

Schade, daß, nachdem Frau von Heydebrands Mörike-Buch seit 1972 vorliegt - schon vergriffen ist und nicht als Taschenbuch aufgelegt wird - Sie, als der schwäbische Literatur-Fachmann, noch immer den „sinnig-lieb-versponnenen Mörike“ präsentieren..., mit einem wissenverschaftlich-korrekten Nachwörtchen. - Ein personal oder institutionell gefesselter Mitmensch hätte hier und heute gar ein’ bescheiden-höflich’ Brieflein getippt; E.M. auch, von rechter Hand geschrieben (wohl in „tiefster Ehrfurcht...“, „alleruntertänigst, treugehorsamst... unterzeichnet“).*

Trotzdem, ich mein’ es ernst, philo-logisch und philo-historisch und psilopsychologisch (es bleiben aber - mindestens - Generations-, Mentalitäts- und Methodenfragen); es geht auch um ein "theuer gelebtes" Stück Kultur - auch wenn der Begriff Leitkultur verdächtiger Unsinn ist; die Damen und Herren von der christlichen Partei könnten es ja erst mal mit unserer Normalkultur versuchen. Z. B. Schiller: „Mich kosteten ["Die Räuber"] Familie, Heimat und Vaterland.“ (Aus dem Gedächtnis zitiert...) Wie bequem es sich lebt und schwatzt und vertut und treibt und dremmelt.... in Schwaben, wenn man M. ist, und kein Sch. Und kein H. und kein R.

Mit hochachtungsvollerfüllten Grüßen und der redundanten Bitte, über mein Brieflein freundlich nachzudenken und aufs sorgengerechte Alten-vergiss-es-Teil zu legen, ostpreußisch auch Abbau genannt...

Ihr Antoninius InPius

P.S.:

Als Vorschlag, ein nachträglich unzeitliches Pensionierungsgesuch:

AN WILHELM I.
KÖNIG VON WÜRTTEMBERG.

NECKARKREIS. DEKANATS Neuenstadt.

Cleversulzbach, den 3. Juni 1843

Pfarrer Mörike, auf ein Neues erkrankt,
bittet unterthänigst um allergnädigste
Enthebung von dem Pfarramt und
Pensionirung auf unbestimmte Zeit.

KÖNIGLICHE MAJESTAET!

Durch einen Erlaß des KÖNIGLICHEN hochpreislichen Consistoriums vom 29. November vorigen Jahrs wurde ich für den Fall, daß ich meine Stelle noch immer nicht ohne Gehilfen sollte versehen können, aufgefordert, um Pensionirung bis zu meiner Wiederherstellung allerunterthänigst zu bitten. Da ich jedoch das Amt mit heurigem Frühling allein zu übernehmen mir getraute und nur über die Wintermonate noch einen Vikar mir erbat, so wurde diesem Gesuch in der Voraussetzung entsprochen, daß ich mein Vorhaben alsdann um so gewißer würde vollziehen können. Ich fuhr sonach fort, mich neben meinem Gehilfen in allen Theilen des Amtes zu üben und zwar, einige kleinere Anstöße meiner Gesundheit abgerechnet, im Ganzen nicht unglücklich und guter Hoffnung voll. Allein die leztre trübte sich, nachdem ich erst wieder allein stand, sehr bald. Ein allgemeines Schwächegefühl, das mich seit Jahren eigentlich nie verlassen hat und sich bei jeder Art von länger fortgesezter Anstrengung, vornemlich bei der physisch geistigen der öffentlichen Rede zeigte, ist kürzlich in Folge meiner neu übernommenen ungetheilten Amtsthätigkeit, in erhöhtem Grade eingetreten. Vermehrter Blutandrang nach dem Kopfe, Schwindel, Kopfschmerz, ein heftiges, nicht selten die Sprache hinderndes Herzklopfen und gegen das Ende ein auffallender Nachlaß der Kräfte waren die Anzeigen, die meine neuesten Vorträge und kirchlichen Verrichtungen theils begleiteten, theils ihnen folgten; besonders auch macht eine, mehr nur im Anfang meiner Krankheit bemerklich gewesene Schwäche der rechten Seite des Körpers, zumal im Fuße, sich neuerdings wieder sehr fühlbar. Bei meiner lezten Katechisation und Taufhandlung, nachdem ich für die Vormittagspredigt bereits die Hilfe eines benachbarten Geistlichen hatte in Anspruch nehmen müssen, ward mir so schlimm, daß die Gemeinde sowohl als ich selber jeden Augenblick mein Umsinken erwartete. Unter solchen Umständen bin ich nun freilich nicht nur für die nächste Zeit zu allen Geschäften unfähig, sondern ich sehe nach den gemachten Erfahrungen ein, daß, wenn auch, wie ich hoffe, mein gegenwärtig verschlimmerter KrankheitsZustand ein vorübergehender ist und auf diejenige mittlere Stufe der Besserung zurückzuführen seyn wird, auf welcher ich mich noch bis vor wenigen Wochen erhielt, ein wiederholter Versuch, meinem Beruf selbständig nachzukommen, bevor das Grundübel gehoben ist, einen gleichen, wo nicht einen weit nachtheiligern Erfolg haben würde; ich sehe ein, daß mir im leztern Fall durch ein noch schwereres Erkranken alle Aussicht, der Kirche noch einmal zu dienen, ja auch nur meine Existenz auf erträgliche Art zu erhalten, für immerdar geraubt wäre.
Nachdem ich auf das Neue in mein Amt hineingegangen war, mit ganzem und redlichem Willen, und, setze ich nicht ohne Grund hinzu, mit einer innerlich entschiedenen Liebe zur Sache, - wie ich mir selbst und jeder der mir näher steht, auch sicherlich meine Gemeinde, gewissenhaft das Zeugniß geben kann -, so finde ich mich nun in meiner anfänglichen Hoffnung zwar schmerzlich getäuscht und kann die Nothwendigkeit einer gänzlichen Änderung meiner bisherigen Verhältnisse, wobei nur in Einer Rücksicht, der gesundheitlichen, etwas für mich zu gewinnen, in jeder andern aber nur zu verlieren ist, nicht anders als beklagen. Doch eben das Bewußtseyn, mit Aufbietung aller meiner Kräfte das Meinige gethan zu haben, macht es mir möglich, mit größerer Ruhe, als ich sonst könnte, auf meine derzeit sehr ungewiße Lage hinzublicken, und mich an die Großmuth Eurer KÖNIGLICHEN MAJESTAET mit unbegränztem Vertrauen ehrfurchtsvollst zu wenden.
Ich bin ohne Vermögen, und habe an den Opfern, die ich meiner Familie als Sohn und als Bruder gebracht, noch jezt zu tragen. Ob und in wie weit ich im Stande seyn werde, künftig, neben der Sorge für meine körperliche Wiederherstellung, durch Privatarbeiten etwas für meine Subsistenz zu thun, ist höchst zweifelhaft. In dem nächsten Jahre habe ich mir davon entweder Nichts, oder, mit Benützung einzelner Stunden, nur sehr wenig zu versprechen.
Nach dieser ganzen, der lautersten Wahrheit gemäßen, Darstellung, und unter Beilegung eines ärztlichen Zeugnisses, wage ich denn, Eurer KÖNIGLICHEN MAJESTÄT die Bitte um gnädigste Enthebung vom PredigtAmt und huldvolle Verleihung einer Pension unterthänigst zu Füßen zu legen.

In tiefster Ehrfurcht verharrend EURER KÖNIGLICHEN MAJESTÄT
allerunterthänigst
treugehorsamster
Eduard Mörike, Pfarrer.
Selbstverfaßt.


(Aus: E.M. Werke und Briefe. Bd. 14. 1994. S. 109ff.)
                   Ein StadtTor, in Goch, genannt STeinTor [mir zu eigen]
*

Zur professoralen Imitatio poetae et clerici Eduard Mörikensis empfohlen....
* Meine Intention, näherhin definiert? Waren Sie vielleicht einmal in der Walhalla (ob Regensburg) und haben dort Mörike vergeblich gesucht? Zufall? An welchen Schulen wird noch E.M. gelesen, nachdem sich „Das verlassene Mägdlein“ und die Neufassung des “Feuerreiters“ verschließen haben und „Begegnung“ und „Erstes Liebeslied eines Mädchens“ nicht in die Lesebücher gelangt sind. - Auch in Bad Boll: Mörike - ein (Bei-)Fall für ältliche, selbstzufriedene Gemütlichkeit - statt Ahnung schwierigsten Gemüts, existenzieller Gefährdung und differenziert-poetologischer Diskrepanzen.- E.M. - der Kafka des 19. Jahrhunderts...?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen