Briefe,
die ihre Empfänger nie erreichten
Littera
prima
- Littera desperata prima
Herrn
Prof.
Dr.
B...............
Z..............
In
der SM-Lagerbaracke Marbach
Sehr
geehrter Herr Professor,
nach
der kürzlichen Veranstaltung im heiter gestimmten Bad Boll und Ihrem
Vortrag ("........... ........") dort hab’ ich mir das
Reclamheftchen „Mörike-Gedichte“(Ihrem Mörike-Bild entsprungen)
bestellt und find’ da so einiges unterschlagen, was zu einem
stimmigen, nicht nur: modernen, sondern einfach gehörigen
Mörike-Bild passt:
Den
Text „Feuerreiter“, den Sie abdrucken, datieren Sie auf das Jahr
1824; was für ein herkömmlich philologischer Unsinn, aber in der
schwäbischen Mörike-Literatur häufiger zu finden (vgl. H.
Schlaffer in „E. M. u. W. W. Eine poetische Jugend“ und Sie, Herr
Professor, im Ausstellung-Katalog (1975; oder ist die Neuauflage
korrigiert?) Der zeitgenössische Leichtsinn steht natürlich auch in
Göpferts Ausgabe...; in Lahnsteins „Mörike“ natürlich auch)!
Eine schwäbische Verschwörung...? Dass die "Feuerreuter"
Sie packen, die Knöchelchen hacken, die Härchen bereifen, das
Särglein bereiten...
Könnten
Sie sich - wissenschaftlich gestimmt - auf beide
Texte einlassen, mit den betreffenden Entstehungszahlen: Sommer 1824
und (3. Dec.) 1841..? Es sind so stark differierende Texte -
„umgesattelt“ nannte E.M. verhüllend seinen neuen „Feuerreiter“
- daß nicht nur die christlich-archaisierende, retro(bzw. ana-)
chronistische Fassung überliefert werden sollte; Sie
könnten den Lesern und Lehrern und Mörike-Freunden dadurch auch
historisches Denken zumuten und methodisch-kritisches Interpretieren.
Und
dann fehlen mir noch mindestens diese Gedichte in Ihrer
Auswahl (1997 nachgedruckt!): „Der Petrefaktensammler“, „An
Philomele“, "An Bernhardus den Zellermeister", "Mit
Petrus dem Wettersammler" und die „Wispeliaden“. - Und erst
die nötigen Anmerkungen...?
Schade,
daß, nachdem Frau von Heydebrands Mörike-Buch seit 1972 vorliegt -
schon vergriffen ist und nicht als Taschenbuch aufgelegt wird - Sie,
als der schwäbische Literatur-Fachmann, noch immer den
„sinnig-lieb-versponnenen Mörike“ präsentieren..., mit einem
wissenverschaftlich-korrekten Nachwörtchen. - Ein personal oder
institutionell gefesselter Mitmensch hätte hier und heute gar ein’
bescheiden-höflich’ Brieflein getippt; E.M. auch, von rechter Hand
geschrieben (wohl in „tiefster Ehrfurcht...“, „alleruntertänigst,
treugehorsamst... unterzeichnet“).*
Trotzdem,
ich mein’ es ernst, philo-logisch und philo-historisch und
psilopsychologisch (es bleiben aber - mindestens - Generations-,
Mentalitäts- und Methodenfragen); es geht auch um ein "theuer
gelebtes" Stück Kultur - auch wenn der Begriff Leitkultur
verdächtiger Unsinn ist; die Damen und Herren von der christlichen
Partei könnten es ja erst mal mit unserer Normalkultur versuchen. Z.
B. Schiller: „Mich kosteten ["Die Räuber"] Familie,
Heimat und Vaterland.“ (Aus dem Gedächtnis zitiert...) Wie bequem
es sich lebt und schwatzt und vertut und treibt und dremmelt.... in
Schwaben, wenn man M. ist, und kein Sch. Und kein H. und kein R.
Mit
hochachtungsvollerfüllten Grüßen und der redundanten Bitte, über
mein Brieflein freundlich nachzudenken und aufs sorgengerechte
Alten-vergiss-es-Teil zu legen, ostpreußisch auch Abbau
genannt...
Ihr
Antoninius InPius
P.S.:
Als
Vorschlag, ein nachträglich unzeitliches Pensionierungsgesuch:
AN WILHELM I.
KÖNIG VON WÜRTTEMBERG.
NECKARKREIS. DEKANATS Neuenstadt.
Cleversulzbach,
den 3. Juni 1843
Pfarrer Mörike, auf ein Neues erkrankt,bittet unterthänigst um allergnädigsteEnthebung von dem Pfarramt undPensionirung auf unbestimmte Zeit.
KÖNIGLICHE MAJESTAET!
Durch einen Erlaß des KÖNIGLICHEN hochpreislichen
Consistoriums vom 29. November vorigen Jahrs wurde ich für den Fall,
daß ich meine Stelle noch immer nicht ohne Gehilfen sollte versehen
können, aufgefordert, um Pensionirung bis zu meiner
Wiederherstellung allerunterthänigst zu bitten. Da ich jedoch das
Amt mit heurigem Frühling allein zu übernehmen mir getraute und nur
über die Wintermonate noch einen Vikar mir erbat, so wurde diesem
Gesuch in der Voraussetzung entsprochen, daß ich mein Vorhaben
alsdann um so gewißer würde vollziehen können. Ich fuhr sonach
fort, mich neben meinem Gehilfen in allen Theilen des Amtes zu üben
und zwar, einige kleinere Anstöße meiner Gesundheit abgerechnet, im
Ganzen nicht unglücklich und guter Hoffnung voll. Allein die leztre
trübte sich, nachdem ich erst wieder allein stand, sehr bald. Ein
allgemeines Schwächegefühl, das mich seit Jahren eigentlich nie
verlassen hat und sich bei jeder Art von länger fortgesezter
Anstrengung, vornemlich bei der physisch geistigen der öffentlichen
Rede zeigte, ist kürzlich in Folge meiner neu übernommenen
ungetheilten Amtsthätigkeit, in erhöhtem Grade eingetreten.
Vermehrter Blutandrang nach dem Kopfe, Schwindel, Kopfschmerz, ein
heftiges, nicht selten die Sprache hinderndes Herzklopfen und gegen
das Ende ein auffallender Nachlaß der Kräfte waren die Anzeigen,
die meine neuesten Vorträge und kirchlichen Verrichtungen theils
begleiteten, theils ihnen folgten; besonders auch macht eine, mehr
nur im Anfang meiner Krankheit bemerklich gewesene Schwäche der
rechten Seite des Körpers, zumal im Fuße, sich neuerdings wieder
sehr fühlbar. Bei meiner lezten Katechisation und Taufhandlung,
nachdem ich für die Vormittagspredigt bereits die Hilfe eines
benachbarten Geistlichen hatte in Anspruch nehmen müssen, ward mir
so schlimm, daß die Gemeinde sowohl als ich selber jeden Augenblick
mein Umsinken erwartete. Unter solchen Umständen bin ich nun
freilich nicht nur für die nächste Zeit zu allen Geschäften
unfähig, sondern ich sehe nach den gemachten Erfahrungen ein, daß,
wenn auch, wie ich hoffe, mein gegenwärtig verschlimmerter
KrankheitsZustand ein vorübergehender ist und auf diejenige mittlere
Stufe der Besserung zurückzuführen seyn wird, auf welcher ich mich
noch bis vor wenigen Wochen erhielt, ein wiederholter Versuch, meinem
Beruf selbständig nachzukommen, bevor das Grundübel gehoben ist,
einen gleichen, wo nicht einen weit nachtheiligern Erfolg haben
würde; ich sehe ein, daß mir im leztern Fall durch ein noch
schwereres Erkranken alle Aussicht, der Kirche noch einmal zu dienen,
ja auch nur meine Existenz auf erträgliche Art zu erhalten, für
immerdar geraubt wäre.
Nachdem ich auf das Neue in mein Amt hineingegangen war,
mit ganzem und redlichem Willen, und, setze ich nicht ohne Grund
hinzu, mit einer innerlich entschiedenen Liebe zur Sache, - wie ich
mir selbst und jeder der mir näher steht, auch sicherlich meine
Gemeinde, gewissenhaft das Zeugniß geben kann -, so finde ich mich
nun in meiner anfänglichen Hoffnung zwar schmerzlich getäuscht und
kann die Nothwendigkeit einer gänzlichen Änderung meiner bisherigen
Verhältnisse, wobei nur in Einer Rücksicht, der gesundheitlichen,
etwas für mich zu gewinnen, in jeder andern aber nur zu verlieren
ist, nicht anders als beklagen. Doch eben das Bewußtseyn, mit
Aufbietung aller meiner Kräfte das Meinige gethan zu haben, macht es
mir möglich, mit größerer Ruhe, als ich sonst könnte, auf meine
derzeit sehr ungewiße Lage hinzublicken, und mich an die Großmuth
Eurer KÖNIGLICHEN MAJESTAET mit unbegränztem Vertrauen
ehrfurchtsvollst zu wenden.
Ich bin ohne Vermögen, und habe an den Opfern, die ich
meiner Familie als Sohn und als Bruder gebracht, noch jezt zu tragen.
Ob und in wie weit ich im Stande seyn werde, künftig, neben der
Sorge für meine körperliche Wiederherstellung, durch Privatarbeiten
etwas für meine Subsistenz zu thun, ist höchst zweifelhaft. In dem
nächsten Jahre habe ich mir davon entweder Nichts, oder, mit
Benützung einzelner Stunden, nur sehr wenig zu versprechen.
Nach dieser ganzen, der lautersten Wahrheit gemäßen,
Darstellung, und unter Beilegung eines ärztlichen Zeugnisses, wage
ich denn, Eurer KÖNIGLICHEN MAJESTÄT die Bitte um gnädigste
Enthebung vom PredigtAmt und huldvolle Verleihung einer Pension
unterthänigst zu Füßen zu legen.
In
tiefster Ehrfurcht verharrend EURER KÖNIGLICHEN MAJESTÄT
allerunterthänigst
treugehorsamster
Eduard
Mörike, Pfarrer.
Selbstverfaßt.
(Aus: E.M. Werke und Briefe.
Bd. 14. 1994. S. 109ff.)
Ein StadtTor, in Goch, genannt STeinTor [mir zu eigen]
*
Zur
professoralen Imitatio poetae et clerici Eduard Mörikensis
empfohlen....
*
Meine Intention, näherhin definiert? Waren Sie vielleicht
einmal in der Walhalla (ob Regensburg) und haben dort Mörike
vergeblich gesucht? Zufall? An welchen Schulen wird noch E.M.
gelesen, nachdem sich „Das verlassene Mägdlein“ und die
Neufassung des “Feuerreiters“ verschließen haben und
„Begegnung“ und „Erstes Liebeslied eines Mädchens“ nicht in
die Lesebücher gelangt sind. - Auch in Bad Boll: Mörike - ein
(Bei-)Fall für ältliche, selbstzufriedene Gemütlichkeit - statt
Ahnung schwierigsten Gemüts, existenzieller Gefährdung und
differenziert-poetologischer Diskrepanzen.- E.M. - der Kafka des 19.
Jahrhunderts...?
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