S
c h u l e
....
a l s s c h ö n e M o m
e n t e >
<Die Sammlung wird fortgesetzt.>
123
In der S c h u le
fragen – wenn F r a g e n erlaubt sind
–
Oder:
Wenn
mensch sie sich erkämpfen muss
H. G. Adler:
SCHULKINDER
Griffel, Schwamm und Lesebuch:
Last der Weisheit auf dem Rücken.
Achtung, was die Mütter sagen.
Eingebeugte Hörner sind die
Gassen.
Es war einmal...
Ein Pferd steht ganz bedächtig
da.
Oft erzählt ein Kind der Stadt
Vom Sommer
Und von Duft und Heu.
Es klingelt:
Sind die Schlitten schnell!
Kaufmannsläden öffnen ihren
Mund.
Die Schule wartet.
Schon kommt der Lehrer,
Und die Knaben grüßen stumm.
(1931)
(H.G.A.: Buch der Freunde. Zum 75.
Geburtstag. Hrsg. v. W.P. Eckert und W. Unger. Köln 1975: Wienand
Verlag. S.127
*
L.P. Smith:
Stonehenge
Da sitzen sie für immer am
Horizont meines Geistes, jene Stonehenge-Runde älterer
mißbilligender Gesichter - Gesichter der Onkel, der
Schulmeister, der Hauslehrer, die über meine Jugend die Stirne
runzelten.
In
ihrer Mitte, im hellen Sonnenschein hüpfe, springe ich, tanze ich
meinen Tanz; doch wenn ich aufblicke, sehe ich, daß sie nicht darauf
hereinfallen. Denn nichts kann sie je versöhnlich stimmen,
nichts bewegt sie je zu einem beifälligen Lächeln, diese bleichen,
alten, abschätzig blickenden Gesichter rundum.
L.P. Smith: Trivia. S. 17
*
Rudolf Langer:
Das Schulkind
Vorgegeben sind Handzeichen
und Gehbewegung,
eingeübt Mimik, Sprache und
Formeln.
Zwischen Ankunft und Abgang
gibt eine menschliche Gestalt
Rätsel auf.
Auch der Mond besitzt noch
Geheimnisse.
Der Freudsche Komplex
hebt alle Irrtümer ins Zwielicht.
Die sagenhafte Qual am Schulanfang
hinterläßt bei dem lustvollen
Kind
rote Spuren im ersten Schnee.
Ihm unbegreiflich, spalten sich
Sinn und Freude am Dasein,
gehen ohne Gleichung aus,
wie Kreis und Dreieck,
im knochigen Versuch einer
Mengenlehre.
Zu Hause eine ungeduldige Mutter
in Drachengestalt.
Armer Nachmittag,
Gefühle eingekeilt im
Lernprinzip.
Das Kind verirrt sich auf der
Suche
nach einem neuen Elternhaus.
(Aus:
R.L.: Ortswechsel. Gedichte. Darmstadt 1973. S. 41
*
Rainer
Malkowski:
Dame
im Museum
Das
ist ein Tag, wie sie ihn liebt:
Stille
und ein schwacher Geruch
nach
Bohnerwachs.
In
den Akazien draußen
stoßweise
Wind.
Der
Wächter auf seinem Stuhl
ist
eingeschlafen.
Keine
Schulklasse heute.
Niemand
da, der sie stört,
wenn
sie sich von den alten Meistern
Stunde
für Stunde
dasselbe
Rätsel aufgeben läßt.
(R. M.: Was für
ein Morgen. Gedichte. 1975. ES 792: S. 38)
**
Max
Herrman-Neiße:1
Schülervorstellung
(Für
Kurt Finkenstein)
»Minna von
Barnhelm«: Pensum, Tertiaqual.
Heut dürfen,
müssen sie ins Schauspielhaus;
gelangweilt
lümmeln sie man kennt sich aus
Zitate sind
Erinnerung, fatal,
an Rüge,
Nichtversetztsein, Angst und Zank.
Man sähe lieber
den verbotnen Schwank.
Die Kellnerin im
»Lamm« war doch nicht krank?
Meist schlummert
man wie auf der Klassenbank.
Nur wenn die
angebetete Soubrette
als Kammerkätzchen
auf der Bühne steht,
kommt plötzlich
Leben in den Schülerchor.
Man reckt sich und
schielt gierig um die Wette
in ihren
Busenschacht, soweit es geht,
und klatscht zum
Schluß, trotz Lessings, sie hervor.
(M.H.N. schrieb
diese Gedicht am 24.07.1927 während einer Ferienreise in Hain im
Riesengebirge. Kurt Finkenstein und er hatten sich in Leipzig
kennengelernt. 1934 wurde K.F. zum ersten Mal von den Nazis
verhaftet; 1937 wegen Vorbereitung zum Hochverrat vom
Volksgerichtshof zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Er wurde
ermordet in Auschwitz.)
Max
Herrmann-Neiße: Gedichte. Bd. 2. Um uns die Fremde. Frankfurt/M.
1986. Verlag Zweitausendeins. S. 229; Erläuterungen S. 744)
**
Jurek
Becker:
Beschwerdebrief
über den Lehrer Simrock ]
Nicht
nur, weil B.B. wortwörtlich von den "ungeduldigen
Schulmeistern" spricht, die die Schüler um materielle
Gerechtigkeit betrügen und im Namen Gottes belügen, steht sein
Gedicht hier an herausragender Stelle, sondern auch weil es
Gelegenheit bietet, an eine besondere politische und literarische
Rolle zu erinnern, die der Text spielte. Jurek Becker ließ 1978 in
seinem Roman "Schlaflose Tage", der bis zur Wende nur in
der BRD erscheinen konnte, einen übelwollend besorgten,
vollundganz-sozialistischen Vater einen Beschwerdebrief schreiben
über den Deutschlehrer Simrock, der Brechts "Lob des Zweifels"
im Unterricht behandelt hatte. Gott sei Dank haben Brecht und Becker
mit dazu beigetragen, daß die selbstgerechten und zweifelsfreien
Kommando-Sozialisten aufgeben mußten in ihren Versuchen, Individuen
"zweifelsfrei" und staatsgetreu festzulegen. An dem
Entwicklungspunkt, an dem Becker seinerzeit den Roman politisch so
provozierend enden ließ, setzte die Schul- und Gesellschaftsreform
in der Wirklichkeit der Ex-DDR ein. Zur Erinnerung, zur Aufmunterung
im andauernden Prozeß, den das Lob des Zweifels mitträgt, hier der
stur-schematische, sozialistische Brief, einschließlich des falschen
Vornamens Berthold und der Verdrehung der revolutionären Ungeduld in
ihr Gegenteil:
Ähnliche
Spannungen, Diskrepanzen zwischen Ideal und Realität, zwischen
Individuum und Staat registrierte wiederum Helga M. Novak:
Helga
M. Novak:
Lernjahre
sind keine Herrenjahre ]
Elke
Erb:
Der
Lehrer verrät ein Geheimnis
Der
Lehrer verrät ein Geheimnis
Man
läuft nicht los aus dem Stand, neunjähriger Tom!
Wie
man geht und steht, so läuft man nicht los, Schüler Tom!
Dort
wo du anfängst zu laufen, dort an den Boden hocke dich hin!
An
die Linie eins deiner Knie stell, wo auch die Finger
Knöchel
wartend stehn sollen, Tom. Das andre Knie schwebe.
An
deine Füße vorher rück hinten Klötze, von denen du losschießt
aus der gespannten Beuge heraus.
Willst
du pfeilschnell sein wie die anderen, schneller als jemals zuvor,
An
die Erde dort, Junge, mußt du dich biegen,
An
die Linie dich hockend, warte gespannt. ]
Bertolt
Brecht:
Mein
junger Sohn fragt mich
Bertolt
Brecht:
Vom
kriegerischen Lehrer
Bertolt
Brecht:
Der
Lernende
Bertolt
Brecht: Über das Lehren ohne Schüler
Bertolt
Brecht:
Lob
des Lernens
Bertolt
Brecht
Wer
belehrt den Lehrer?
Ich
bin Lehrer
Aber
wer belehrt mich?
Wie
soll ich wissen, was sie gelehrt haben
wollen?
Ich
bin guten Willens, bereit, alles zu lehren.
Den
Schlächtern gebührt Ehre
Aber
doch nicht allen Schlächtern?
Welchen
z. B. nicht? Vielleicht
Bin
ich schon verloren: ich habe
Den
Führer nur einen Heiligen genannt.
Ich
tue alles; aber -
Ich
bin ein Mensch und kann irren.
Bertolt
Brecht
Lob
der Vergeßlichkeit
Gut
ist die Vergeßlichkeit!
Wie
sollte sonst
Der
Sohn von der Mutter gehen, die ihn gesäugt hat?
Die
ihm die Kraft seiner Glieder verlieh und
Die
ihn zurückhält, sie zu erproben.
Oder
wie sollte der Schüler den Lehrer verlassen
Der
ihm Wissen verlieh?
Wenn
das Wissen verliehen ist
Muß
der Schüler sich auf den Weg machen.
In
das alte Haus
Ziehen
die neuen Bewohner ein.
Wenn
die es gebaut haben noch da wären
Wäre
das Haus zu klein.
Der
Ofen heizt. Den Hafner
Kennt
man nicht mehr. Der Pflüger
Erkennt
den Laib Brot nicht.
Wie
erhöbe sich ohne das Vergessen der
Spurenverwischenden
Nacht der Mensch am Morgen?
Wie
sollte der sechsmal zu Boden Geschlagene
Zum
siebenten Mal aufstehen
Umzupflügen
den steinigen Boden, anzufliegen
den
gefährlichen Himmel?
Die
Schwäche des Gedächtnisses verleiht
Den
Menschen Stärke. ]
Der
materialistische Dialektiker und Gelegenheitskommunist Bertolt Brecht
(1898 -1956) hat neben seinen berühmteren Theaterstücken ein
großes, spannendes lyrisches Werk hinterlassen: vom romantischen
Frühwerk über die Politlyrik der Kampfjahre zu den
naturphilosophischen Altersweisheiten nach dem Zweiten
Weltkrieg. Die Thematik der dialektischen Vermittlung
politisch-emanzipatorischen Bewußtseins vom Lehrer zum Schüler und
vorn Vater zum Sohn findet sich in vielen Gedichten, egal aus welcher
Epoche.
Der
materialistische Lyriker und Stückscheiber, der
Gelegenheitskommunist und Archi-Dialektiker Bertolt Brecht
(1898-1956) hat neben seinen berühmteren Theaterstücken ein großes,
spannendes lyrisches Werk hinterlassen, vom romantischen Frühwerk,
über die Polit-Lyrik der Kampfjahre zu den naturphilosophischen
Altersweisheiten nach dem zweiten Weltkrieg. Die Thematik der
dialektischen Vermittlung politisch-emanzipatorischen Bewußtseins
vom Lehrer zum Schüler und vom Vater zum Sohn (die Mutter fehlt bei
ihm in dieser Rolle) findet sich in vielen Gedichten, egal aus
welcher Epoche.
Julius
Sturm:
Aus
der Schulstube ]
Ich
weiß noch, wie mich's narrte,
Daß
ich mein Vaterland
Nicht
auf der Länderkarte
In
unsrer Schule fand.
"Ei
seht den dummen Hansen!
Beim
Himmel, das ist arg!"
Er
rief es und ließ tanzen
Den
Stock, der Schulmonarch.
Dann
mußte mich ein Knabe
Belehren,
wo es sei;
Der
zeigte mit dem Stabe
Der
Länder mancherlei.
"Die
Länder kenn' ich selber,
Nur
Deutschland seh' ich nicht."
Da
war vor Zorn noch gelber
Des
Alten Angesicht.
Den
Bakel wieder ließ er
Nun
tanzen fürchterlich,
Dann
mit der Nase stieß er
Auf
seine Karte mich.
»Hier
Österreich, hier Preußen,
Hannover,
Bayerland,
Und
wie die andern heißen:
Das
ist das deutsche Land.
Nun
weißt du, wo's gelegen?"
Und
ob ich's gleich nicht sah,
Mir
graute vor den Schlägen,
Und
heulend rief ich: "Ja!"
Karl
Simrock:
Die
Schule der Stutzer
(In
solchem Staat, ihr Herren vom Rat... ) ]
Else
Lasker-Schüler:
Schulzeit
]
Unter
süßem Veilchenhimmel
Ist
unsere Liebe aufgegangen,
Und
ich suche allerwegen
Nach
dir und deinen Morgenwangen.
Und
den Ringelrangelhaaren
Rötlichblonden
Rosenlocken,
Und
den frühlingshellen Augen
Die
so frischfreifrohfrohlocken.
Zwischen
dicken Gummipflanzen
Lauern
hinter Irdentöpfen
Strickpicknadelspitze
Augen,
Tücksch
aus bitteren Frauenköpfen.
Daß
die beiden alten Damen
Hinter
unsere Liebe kamen
Und
dich in Gewahrsam nahmen,
Sind
die Dramen unserer Herzen.
(E.
Lasker Schüler. S. 125)
*
G.
B. Fuchs:
Geschichte
von der Unterrichtsstunde
auch
Helme betreffend
Der
Helm stellt eine Zierde des Kopfes dar. Der Kopf, hat er einmal
entdeckt, was ihn zu bedecken vermag, wird' auf den Helm setzen und
ihn jederzeit (vorrangig) aufsetzen.
Aufsetzen,
das Wort trifft nur zu für den ersten Vorgang, den Kopf mit
einem Helm auszustatten. Denn aufgesetzt (im Sinne von leicht
abnehmbar) können auf den Kopf immer nur Kopfbedeckungen wie u. a.:
Hüte (Strohhüte, Melonen, breit und schmalrandige
Krempenfilze, Jux und Karnevalshüte etc.), Mützen
(Schirmmützen, Schlägermützen, Feldmützen, Dekansbarette,
Pudel- und Baskenmützen).
Der
Helm dagegen (durch einen ledernen Riemen aus Schläfenhöhe umläufig
ums vorgestreckte Kinn angeschnallt zwischen Kopf und Kragen)
bestreitet seinen eingenommenen Sitz dauerhafter, fällt nicht
(etwa beim Bücken des Trägers) schlapp vom Kopf, wird nicht
von jedem Luftzug, jedem Wind, jedem Sturm davongetragen und gibt
(folglich) seinen Träger nicht der Lächerlichkeit preis.
So
stellt der Helm eine Zierde des männlichen Kopfes dar. Der männliche
Kopf, hat er sich einmal für den Helm entschieden, verleiht er ihm
auch seinen Dienst, denn Helm und Kopf, beide dienen einander, in
Würdigung.
Der
lederne Riemen des Helms ist für den männlichen Kopf das Attribut
aller Verläßlichkeit und Entschlossenheit. Von Winden und
starken Stürmen hat der lederne Riemen seinen Ehrentitel: er heißt
Sturmriemen. Energie, Sturm, Kampf, Attacke diese vier
Begriffe gehören zusammen wie männlicher Kopf und Helm.
Wenn
auf einem Helm (wie auf Diensthelmen der motorisierten Polizei) z. B.
das Wort POLIZEI in gut, weithin lesbarer Schrift angebracht ist, so
geht daraus hervor, daß allzu oft übersehen, wer sich unter dem
betreffenden Helm verbirgt. Das bloße Tragen der Polizeiuniform
garantiert im Straßenverkehr nicht immer den gewünschten Erfolg,
nämlich jedermann deutlich zu machen: Dieser Uniformierte dort auf
dem Motorrad, ist ein Polizist, der einen Helm trägt. Die
Maßnahme, den Polizisten auch vom Kopf her unmißverständlich zu
kennzeichnen durch Beschriften des Helms mit dem Wort POLIZEI in gut,
weithin lesbarer Schrift, ist ebenso ein Attribut der Verläßlichkeit,
da aufgrund dieser Maßnahme jeder Irrtum ausgeschlossen ist.
In
einer der nächsten Lektionen werden wir uns anhand historischer
Helme veranschaulichen, daß der Helm zu allen Zeiten
abwechslungsreiche Verwendung fand. ]
*
Günter Bruno Fuchs:
Der rothaarige Schüler
»Was ist«, fragte der Lehrer, »die Aufgabe der
Feuerwehr?«
Ein rothaariger Schüler, der unbedingt antworten
wollte, sagte: »Die Feuerwehr sollte in der ganzen Welt herumfahren
und sich überall erkundigen, ob irgendwo ein Feuer entstehen könnte.
Sie macht es aber nicht. Sie spielt mit ihren Wasserschläuchen,
bespritzt sich gegenseitig und holt sich eine Erkältung.
Deshalb liegen die meisten Feuerwehrmänner im Bett und trinken
Kräutertee. Eine Tüte Kräutertee kostet an die siebzig
Pfennige.«
*
G.B.Fuchs:
Vor
den Zeugnissen:
Der
Lehrer sagt: Die Blätter
Fallen
zur Erde. Wer fällt zur Erde? Wer oder was
Bedeckt
wen oder was? Ah, das gefällt euch wohl nicht,
wenn
ich frage: Wen oder was bedeckt die Blätter? Also,
die
Erde wird zugedeckt von den Blättern.. Die Erde
und
außerdem wer oder was? Und wann?
Wund
wie oft? So, nun schreibt
Euren
Aufsatz über
Den
Herbst. ]
*
Günter
Bruno Fuchs:
Untergang
Der
Regen arbeitet.
Die
Straßenfeger sind arbeitslos.
Die
arbeitslosen Straßenfeger sind heimgekehrt.
Die
Bäume dursten nicht mehr.
Die
Schulhofbäume dursten nicht mehr.
Die
überraschten Lehrer beenden die Konferenz
und
schwimmen zum Tor hinaus.
Der
Regen arbeitet
Papierne
Zeitungstürme neigen sich lautlos.
Rote
Schlagzeilen färben das Wasser rot
Das
Kind armer Eltern schläft in der Kohlenkiste.
Das
Kind reicher Eltern schläft im Himmelbett.
Die
armen und reichen Eltern
hören
den Regen nicht.
Die
überraschten Lehrer
hocken
ratlos im Geäst der Bäume.
Die
große Pause kommt unerwartet ]
*
Günter
Bruno Fuchs:
Schularbeiten
Der
Fortschritt
hat
keene Lust, sich
zu
kümmern um
mir.
Und wat mir anjeht, habick
keene
Lust, mir
um
den Fortschritt
zu
kümmern. Denn
unsereins
war
ja
als
Mensch
wohl
zuerst da.
So,
mein Kind, das
Schreibste
in
dein Schulheft
rein.
]
*
Günter
Bruno Fuchs:
Die
Antwort des Schülers
Fibel
S.
137)
*
Günter
Bruno Fuchs: Ein
Esel beschimpft eine Lehrerin
Sind
Sie eine Lehrerin? Sie sind keine Lehrerin. Sie sind eine enge
Straße. Sie sind eine Erbse. Sie sind voller Essig. Sie sind eine
Lehrerin? Sie haben ein Schimpfwort erfunden, weiter nichts, aber das
reicht schon! Sie wissen auch, was ich sagen will. Sie tun
verwundert, als wüßten Sie nicht, was ich sagen will. Ich habe mich
bei einem Kind erkundigt! Sind die Seiten eines Schulbuchs oben oder
unten angeknickt, dann nennen Sie diese angeknickten oder
umgeknickten Stellen kurzerhand Eselsohr.
Haben
wir solche Ohren? Treten Sie näher, setzen Sie Ihre Brille auf. Was
sehen Sie? Sie sehen Eselsohren. Das hier an meinem Kopf sind die
Ohren eines Esels. Wie kommt es zu dieser Verwechslung? Weshalb
entschuldigen Sie sich nicht? Was geschieht, wenn Ihr Schimpfwort von
anderen Lehrerinnen und Lehrern beliebig ausgesprochen wird in
ständiger Beleidigung meiner Ohren. Sage ich zu meinen Kindern: Du
hast Lehrerinnenohren? Ich sage das nicht. Ist das Ihre Aufgabe,
sowas zu sagen? Haben Sie nichts anderes gelernt? Geht das, was ich
hier sage, in eins Ihrer Ohren hinein und zum andern hinaus? Iiih,
sage ich, aber nicht Aaah! Nein, halten Sie sich nicht die Ohren zu!
Laufen Sie nicht zum Rektor! Wenn Sie den Rektor holen, beiße ich
den Rektor. Am besten, Sie entschuldigen sich, das wäre am besten
für die Zukunft. ]
G. B.
Fuchs: A n z e i ge
Vögel,
die heimlich
Sprachunterricht
nehmen
und
das Schweigen
erlernen
im Pausengeläut der
Baumschule,
verdanken
ihre Fähigkeit
einem
Kursus
bei
Doktor Schatzhauser vom
Grünen
Tannenwald, genannt
Glasmännlein.
(Post für
Neuanmeldungen
unter Chiffre
W.
Hauff, Das kalte Herz.) ]
Günter
Bruno Fuchs:
Unterricht
]
ünter
Bruno Fuchs: Einweihung ]
Diese
Grundschule
soll
den Namen Grundschule tragen. Der Grund, auf dem
sie
errichtet wurde, ist gleichsam ein Meilenstein in der
Geschichte
dieses Bezirks. Nämlich:
Ein
galizischer Arbeiter im Jahre 1889 stach hier zum
erstenmal
seinen Spaten in den schwarzen Graben, in ein
übelriechendes
Brackwasser, das unter Mühe trockenge-
legt
wurde von Arbeitern aus der Slowakei und aus Polen
über
geraume Zeit. So
entstand
billiger Boden. Hier schossen bald in die Höhe
jene
Ein- bis Zwei-Familienhäuse in selbstbewußten Stil.
Das
war die erste Gemeinde, und die Anzahl der Kinder
wuchs
rasch. Es kam endlich heran.
das
gute Jahr 1903. Das alte Gemeindeschulhaus wurde
errichtet,
es dürfte fortan (mit notwendigen Pausen
in
ernster Zeit) allen Kindern dieses Bezirks als eine frühe Stätte,
die
ihnen zu Grund und Boden verhalf. Manche
bekamen
ein Plätzchen bei Langemarck. andere bei Cap
Flow,
manche tief im Argonneraild. Es war noch
kein
Meister vom Himmel gefallen.
G. B.
Fuchs (1928 - 1977) war ein skurriler, liebenswerter, sanfter,
pragmatisch-politisch unnützer Poet, Daseins-Clown,
Gelegenheitsanarchist und zeitweiliger Trinker; seine
heiter-melancholische Spielwelt und Seinsmetaphorik geben brillante,
kaleidoskopartige Spiegelbilder persönlicher Sehnsucht und
familiären verantwortlichen Denkens und phantastisch und
(merkwürdigerweise) zugleich sozialer und ökologischer
Grundeinsichten.
*
Hans
Magnus Enzensberger:
ins
lesebuch für die oberstufe
]
Enzensberger
(geb. 1929), Prototyp des politisch-feuilletonistischen Autors und
Allzeit- und Allround-Talent in der deutschen Literatur- und
Medienlandschaft seit mehr als dreißig Jahren, zeigt durch recht
häufigen Wechsel seiner erkenntnistheoretischen und
(partei-)politischen oder auch parteilosen Paradigma erstaunlich
virtuose Flexibilität für Nachahmung und modellhafte Übernahme in
kulturpolitischen interessierten Kreisen. Oder ist er als Kritiker
nur dem Zeitgeist jeweils ein Interview, einen Aufsatz (vom SPIEGEL
mit 30000 Mark; umzurechnen in tagesläufige Euro, eine Diskette,
eine CD-ROM und einen Zufalls-Gesichtgenerator voraus?
Jedenfalls
auf sprachlich hohem, gleichbleibend kreativem Niveau weist seine
Lyrik Anschlußpunkte aus für eigene Untersuchungen des Lesers in
der poetischen oder medialen Landschaft der Gegenwart oder
Geschichte. Da er sich mehrfach und öffentlich entschieden entzog
und sich essayistisch beschwerte, wenn Lehrer oder Schüler ihn bei
Interpretationsdifferenzen zu seinen Texten befragen wollten, lohnt
es sich, sein Mottogedicht nach eigenem kritischen Leser-Maßstab
vorzunehmen. Um sein erklärtes Ziel, "in die lungen der macht
zu blasen / den feinen tödlichen staub", zu erreichen, ist es
auch sinnvoll, Oden zu lesen, wenn sich diese Macht hinter
klassischen Gedichtformen und Kunstattitüden verstecken und mithilfe
von musikalisch angenehm zu goutierenden Tragödien ewigkeitsgerecht
inszenieren will. In seinem raffinierten und (un)-schuldigen Aufsatz
"Ein bescheidener Vorschlag zum Schutz der Jugend vor den
Erzeugnissen der Kultur" steht eine Erkenntis, die nicht
erheitern will: "Die [...] Fähigkeit, die es erlaubt, aus einem
Gedicht eine Keule zu machen, nennt man Interpretation." Diesem
Motto will auch diesen Sammlung dienen; ihrem schulischen Mißbrauch
kann ich nicht vorbeugen; doch Enzensberger zu zitieren, kann nützen:
"Denken sie immer daran: 'Quäle nie ein Kind zum Scherz, denn
es fühlt wie du den Schmerz.'"
Nicolas
Born: Kind
Günter
Bruno FuchS: Für ein Kind
Ich
habe gebetet. So nimm von der Sonne und geh.
Die
Bäume werden belaubt sein.
Ich
habe den Blüten gesagt, sie mögen dich schmücken.
Kommst
du zum Strom, da wartet ein Fährmann.
Zur
Nacht läutet sein Herz übers Wasser.
Sein
Boot hat goldene Planken, das trägt dich.
Die
Ufer werden bewohnt sein.
Ich
habe den Menschen gesagt, sie mögen dich lieben.
Es
wird dir einer begegnen, der hat mich gehört. ]
Günter
Bruno Fuchs' Gedicht, zuerst in seinem Band "Nach der
Haussuchung" 1957 erschienen, bildet eine poetische, zauberhafte
Handlung, einen in der Literatur häufigen Topos aus: einen
Lebensweg. Eine Etappe, für die hier ein Mensch, der Verantwortung
für einen anderen übernimmt, ein leises, eindringliches Gebet
spricht. Wer hier beleidigt wegguckt, wenn er liest "Ich habe
gebetet", oder wer eine vorgeformte, ritualhafte Prägung
erwartet und in seiner Individualität erstarrt, um schnellweg
getröstet zu werden, überliest und mißversteht eines der schönsten
Gedichte der modernen deutschen Literatur. Gebet ist die
intensivierende Nominalbildung zu "bitten"; neben dem Wort
Bitte, das als Formel im Alltag emotional und kommunikativ förderlich
ist, erscheint Gebet leider nur noch als religiös konnotiert, eine
sprachliche Verarmung, die Fuchs in einem urtümlichen
Wortverständnis aufbricht.
Von
Fuchs (1928-1977), einem Menschen einer literarisch seltenen Spezies,
einem Maler und Graphiker, einem Unangepaßten, einem Zauberer und
Kinderfreund gedichtet, steht dieser Text in direkter, auch
sensibel-intimer Zwiesprache: Ein Freund kann es seinem Freund, ein
Mann seiner Frau, ein Vater seiner Tochter, eine Lehrerin ihrem
Lieblingsschüler, ein Nachbar dem Wegziehenden schenken (und wie
viele Anlässe es der eigenen Phantasie entsprechend geben mag): Es
könnte (nach meiner Vorstellung) als Kunstdruck mit einem der
Urmotive Fluß oder Blume oder Weg als Bild, als Gebet- oder
Schulbuchtext verbreitet sein wie früher die heute obsoleten
Heiligenbildchen; Anlässe könnten sein: Kommunion oder Auszug aus
der Kirche, Konfirmation, Ehe (aber auch Scheidung).
Das
lyrische Ich, ein emotionales und auch kognitives Modell und
Identifikationsangebot, möchte den Weg, den Weggang des Scheidenden
oder des sich Entwickelnden beleuchtet wissen mit der Sonne, die Welt
im Grünen, im Belaubten erhalten wissen und den Blüten den Auftrag
geben, den lieben Menschen zu schmücken.
Wie
schön lebensnah und phantastisch gleichzeitig ist diese Vorstellung,
die zwar nicht von Gott spricht, aber Gott auch nicht bewußt
ausklammert: mit der Natur verwachsen sein, sich aufgehoben fühlen,
sich paradiesisch wohlfühlen. Der Strom: ein Symbol für ein
Problem, für eine Lebensentscheidung, eine ernsthafte Prüfung. Der
Fährmann - in christlicher Sprache ein Christophorus - bietet
seinen Dienst jenseits von Tarifbedingungen an; wie liebevoll,
gutherzig trägt das Boot den Beschenkten; am neuen Lebensort werden
wieder Menschen sein, die sich getrauen, einem anderen zu sagen: Ich
liebe Dich. Einer, der zur zentralen Lebensbegegnung sich finden
wird: Er wird schon wissen von diesem Wunsch, er ist bereit, dem
Vorbereiten zu begegnen. Als eine schönere Lebensmöglichkeit, daß
es denn so sein möchte, auch aus einem progressiv-kommunikativen
Glauben heraus, läßt sich das Lebenswagnis nicht freundlicher
versichern; wenn wir denn auf äußere, formale Sicherung, Policen
und versicherungstechnische Verheißungen und Tricks verzichten: wenn
wir zu lieben und Liebe zu akzeptieren gelernt haben. Ein Gedicht,
ein kleines Glaubensbekenntnis, das mit deutlich biblischen
Sprachanklängen ("der hat mich gehört"), aber trotzdem
neu und ungewohnt ansprechend wirkt. Hier sind viele
Wahrnehmungsmöglichkeiten aktiviert: Sehen, hören, träumen.
Didaktisch läßt sich der Text, insbesondere die zentralen
Metaphern, z.B. das "läutende Herz", gemalt oder
plastiziert vorstellen. Im konventionell-trivialer Sprach- oder
Kunstgestaltung geraten Herzdarstellungen leicht in die Sphäre des
Kitsches, vgl. die noch gängigen Modelle der gipsernen
Herz-Jesu-Figuren. Sprachlich oder zeichnerisch sensibel in einem
neuen Kontext gestaltet ist es ein Symbol für eine psychosomatische
Integration von liebevoller Aufmerksamkeit und wirksamem
Zeichensetzen in dunkler Zeit. Ein geheimer Anruf des Herzens ist
auch Ausdruck der Liebessprache, jeder zärtlichen Geheimsprache.
Ob
kleines oder großes Kind, jeder, der die Sensibilität im Umgang
miteinander sich bewahrt hat oder neu sich öffnen will für einen
anderen, findet in der phantasievollen Szene dieses Lebenslaufes
Anregungen genug, über die krude Alltags- und Gewohnheitssprache
hinaus sich von der kindlich-kreativen An-Sprache fesseln zu lassen
oder den anderen, den Gemeinten, zu überraschen. Vielleicht können
ungewohnte Äußerungen, ob in spachlicher oder zeichnerischer Form,
im Umgang und im Gebet füreinander kleine Wunder bewirken. Dieses
Vertrauen spiegelt sich in Fuchs' modern-suggestiver, assoziativ
reicher Sprache als Auf-Gabe des menschlichen Gesprächs und
persönlich aktiver Fürsorge.
Reiner
Kunze: Das Kätzchen
Besuch!
Im Garten ist ein Gast!
Ein
Kätzchen sitzt auf einem Ast.
Laßt,
Kinder, alles Spielzeug stehn,
wir
wollen es bestaunen gehn!
Es
hat zwei Lichter mitgebracht,
die
sehn - und leuchten in der Nacht.
Was
will es hier? Nun - denken wir,
es
wolle sagen: Ich bin hier.
Denn
eine Katze, Kinder, ist
ein
Wunder. Was der Mensch vergißt.
Der
Mensch kann auf dem Mond erwachen,
aber
keine Katze machen.
Das
kleinste Vogelherz, das schlägt,
ist
nicht von Menschenhand bewegt.
Der
Fisch, der sich im Wasser regt,
entschlüpft
dem Ei, vom Fisch gelegt.
Das
größte Wunder selbst auf Erden
muß
aus dem Leib geboren werden:
Verwundert
steht das Menschenkind
vor
all den Wundern, die da sind.
Und
jeder Mensch und jedes Tier
ist
nur für eine Weile hier.
Drum
danken wir dem Kätzchen schön,
daß
es sich anschaun ließ, und gehn.
*
Hans
Baumann:
Wer
schreibt so?
Wer
schreibt und hat weder
Bleistift
noch Feder?
Wer
schreibt auf ein blaues Blatt,
so
groß, wie es keiner sonst hat?
Wer
schreibt mit Gebrumm
am
Himmel herum?
Reiner
Kunze:
Du
hattest ein viereck gemalt,
darüber
ein dreieck,
darauf
(an die Seite) zwei striche mit rauch -
fertig
war
DAS
HAUS.
Man
glaubt gar nicht,
was
man alles
nicht
braucht.
Albert
Cullum:
Der
Vogel hat gesungen.
Die
Glocke hat geläutet.
Die
Geranie
auf
der Fensterbank
ist
soeben gestorben.
Aber
Sie
reden
einfach weiter,
Fräulein
Schmitt. ]
` `
Heinz
Kahlau ]
Meine
Hoffnung
In
deinem Alter, Kind,
hat
jeder Mensch noch Gründe,
anzunehmen,
er
könnte
fliegen
wie laufen lernen.
Ich
werde mich hüten,
dich
aufklären.
Vielleicht
bin
doch ich es
der
sich irrt.
*
Heinz
Kahlau:
Der Mensch Lenin
Der Mensch Lenin
hat in dem großen Kreml
nicht besser
als ein Hauslehrer gewohnt.
Die Frau,
die uns durch diese Wohnung führte,
machte uns junge deutsche Dichter
besonders darauf aufmerksam,
daß Lenin ein einfacher Mensch war.
Lenin nämlich liebte, spaßte,
hatte schlechte Laune und stritt.
Daß er groß war,
meinte sie,
wissen wir selber.
Dabei sah sie,
kaum älter als wir,
auf uns
mit einem freundlich versteckten,
aber verzeihenden Lächeln.
(S. 66)
Heinz Kahlau:
Hochschule
An der Hochschule
für Ökonomie,
der jüngsten,
aus den Kämpfen der Klassen
entstandenen
Universität
des Sozialismus
kämpften die Professoren
um die Einführung
einer Grußordnung.
Heinz Kahlau:
Zensur
Als in einer Mathematikstunde
in der zweiten Klasse
der Junge
mit dem Spitznamen Pummel
aufgerufen wurde,
bekam er,
für seine schnelle und richtige
Antwort,
eine glatte Eins.
Er protestierte
und forderte für sich
eine Zwei.
Da kam Unruhe in die Klasse,
und die Lehrerin forschte
nach einer Erklärung.
Pummel sagte verlegen,
unter dem Schweigen der Klasse:
Ich möchte Gerechtigkeit.
Meine Antwort war zufällig
richtig.
Als Sie die Aufgabe stellten,
habe ich an was anderes gedacht.
]
*
Theodor
Fontane:
Laß
die Kindlein zu mir kommen!
(1843)
und
Großes Kind (1888)
Christoph
von Schmid: Ihr Kinderlein, kommet! (um 1840)
Fontanes
Kindlein-Text aus dem Jahre 1843 überschreitet von vornherein den
geschwisterlich-privaten Umkreis, trotz der schwesterlichen Anrede.
Er gibt in unauffälligem Gewand ein Stückchen Fontanescher
Weltkunde. Auch hier wie in den großen Dichtungen ist das
bürgerliche Sittengesetz Ordnungsmacht im menschlichen Leben.
Vielleicht gerichtet gegen das allbekannte,
schmalzig-biedermeierliche Weihnachtsgedicht des Domherren und
erfolgreichen Jugendschriftstellers Christoph von Schmid (1768-1854)
"Ihr Kinderlein kommet! O kommet doch all!", ist es eine
weltliche, aber auch poetologische Offenbarung, die das Religiöse
einbezieht. Dies läßt sich vermuten durch den Ort der
Erstpublikation in der Weihnachtsausgabe 1924 der "Neuen
Täglichen Rundschau". Der größte Erzähler des deutschen
Realismus (1819 -1898), der zwar nicht von der biographischen Zeit,
aber von der geistig-kritischen Intuition her in unser Jahrhundert
herüberschaute, verwebt allgemein-politische Metaphern (wie das mit
dem Volke spielende "Fürstenkind", den "eitlen
Reiter") und lebenskundliche Typik ("Duft und Schmelz"
des älteren Mannes) in die scheinbar private Szene. Den konkreten
biblischen Aufhänger scheute er nicht, um eine Einheit in der
persönlichen Beziehung und über die Generationen hinweg zu
signalisieren: Versöhnung im kleinen und im großen. Wenn er für
sich selber in einem schlichten Altersgedicht das Attribut eines
"großen Kindes" beansprucht (ob als Gnade oder
Selbstverständlichkeit?), hat er das Tolle, die große Geschichte
nicht aus seinem inneren Lebenskreis, sondern nur von außen her, aus
Polizeiberichten vernommen; was in seinen Händen durchaus auch zu
Romanstoffen geriet - darauf hätte er, scheint's, privatim eher
verzichtet, wenn es möglich gewesen wäre. Hatte nicht gerade er, im
Rückblick auf seine Kindheit und als deutliche Huldigung an seine
Mutter gesagt, er sei nicht erzogen worden, und das sei eine gute
Erziehung gewesen?
Fontanes
Blick auf das Kind ist die typische, patriarchale Perspektive der
Erwachsenen: Kinder werden gebraucht, um ihnen zu Gefallen, zu Nutz
und Frommen zu sein. Die Herrschaft signalisierende Rolle ist
unangefochten. Der männliche Sprecher, er geht über das
autobiographische Ich Fontanes produktiv hinaus, äußert sich in
geliehener Rolle: der jesuanische Imperativ "Laßt die Kindlein
zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich" (vgl. die
synoptischen Evangelien: Mt 19,14; Mk 10,14; Lk 18,16) wird in die
Lebenswelt des 19. Jahrhunderts übertragen und generalisiert. Auch
im apokryphen, teils drastischen Thomas-Evangelium findet sich diese
Weisheit noch konkreter: "Jesus sah kleine Kinder (an den
Mütterbrüsten) saugen. Er sprach zu seinen Jüngern: Diese Kleinen,
die saugen, gleichen denen, die eingehen ins Reich." (Spruch Nr.
22a).
So
mochte schon früh Fontanes seinen Lebenskreis gesichert wissen durch
die freundliche-fromme, sozial verpflichtete, das eigene
Seelenerleben erhellende Verantwortung des Erwachsenen, der nur
privat-versteckt in der politischen Gegenrolle reüssieren durfte.
Über diese vier Stationen bahnt er dem ordnend-überlegenen
Väterlichen den Weg des Verständnisses über Generationen hinweg.
Sein spätes Selbstzeugnis eines geheimen privaten und dichterischen
Ich als "großes Kind" formuliert diese Abgrenzung noch
schärfer: das Privat-Kindlich-Familiäre sei seine Geschichte, nicht
das Politisch-Weltliche.
Hugo
Ernst Käufer
Deutscher
Geschichtsaufsatz
Kaiser
Wilhelm baute viele Schiffe,
die
in der Nordsee Heringe fangen sollten,
weil
die Engländer auch schon welche hatten.
Nach
dem ersten Weltkrieg putschten Kommunisten
und
Sozialisten in den Städten des Ruhrgebietes,
weil
sie nicht gerne zur Arbeit gingen.
1933
mußten dann alle wieder
die
Wirtschaft bekam jeder Kohlen und Geld.
die
Jugend kam von de Straße, und der Krieg fing an.
Mitten
im Krieg wollten die Leute am 20. Juli
Adolf
Hitler umbringen, weil er immer schimpfte,
aber
die Vorsehung rettete ihn noch einmal.
Gestern
erzählte uns unser Lehrer vom Widerstand
unserer
tapferen Soldaten gegen die Horden aus dem Osten
und
daß sie immer Feldpostpakete bekommen hätten.
Nach
dein letzten Krieg war Deutschland kaputt,
aber
unser Lehrer sagte neulich: "Die Deutschen
waren
um Auswege noch nie verlegen."
Jetzt
haben wir einen Bundeskanzler in Bonn,
viele
Soldaten in Andernach und anderen Städten.
und
die Horden aus dem Osten drohen immer noch.
In
sechs Jahren werden wir auch Soldat,
und
der Lehrer ermahnt uns immer, wir sollen viel turnen,
damit
wir starke Muskeln und Glieder kriegen. ]
Aus
einer verhetzten, konsequent kommunismusfeindlichen, zuweilen arg
naiv-dumm wirkenden Schüler-Perspektive läßt Käufer (geb. 1927)
geschichtsklitternde Daten aufzählen, die grotesk wirken und
satirisch-kritisch verstanden werden sollen. Mit diesem Stil und
dieser Intention ist Käufers Text ein typisches Produkt aus den
Kampfzeiten zu Ende der Sechziger Jahre, als die Studentenrevolte
viele Autoren zu Protestlyrik und Agitationsliteratur animierte.
Roman
Ritter
Konfessionsschule
]
ich
bekenne
daß
eine katholische 1
und
eine evangelische 1
sich
nicht zusammenzählen lassen
daß
sich katholisches natriumchlorid
sich
in lutherischem wasser nicht löst
daß
die katholische befruchtung
gesegneter
ist als die protestantische
und
daß katholisches weiß
weißer
ist als evangelisches Weiß
ich
bekenne
daß
in katholischer luft
eine
andere fallgeschwindigkeit herrscht
als
in reformierter luft
daß
Franz von Assisi wichtiger ist
als
die französische revolution
daß
die tafel durch die kanzel
ersetzt
werden muß
und
daß nicht gelehrt
sondern
gepredigt
nicht
erklärt
sondern
gebetet werden muß
ich
bekenne
daß
mit einem bibelspruch
eine
ellipse konstruiert werden kann
daß
unter dem zeichen des kreuzes
eine
dampfmaschine besser funktioniert
daß
alle Kinder
ein
ebenbild gottes werden müssen
und
daß der glaube bergc versetzt
und
schüler
ich
glaube
an
die metaphysik eines integrals
an
das römisch-katholische element
im
schwefelwasserstoff
an
die dreifaltigkeit der tulpen
und
an die erbsünde der nilpferde
ich
glaube
an
den schlaf der gerechten
an
den heiligen ungeist
an
das kleine katholische null mal null
an
das Wort der Herren
an
die 4538 gebote
und
an die auferstehung
des
neandertalers
amen
Auch
Roman Ritter, Jahrgang 1943, veröffentlichte in den 60er und 70er
Jahre engagierte Texte, in denen er auch politisch-konservative Um-
und Zustände radikaldemokratisch reagierte. Anlaß und Thematik
seines Gedichtes "Konfessionsschule" müssen heute jüngeren
Deutschen vermittelt werden, da sie unaufhaltsam zum Schrott der
Geschichte wurden: Sein Glaubensbekenntnis propagiert in der
satirisch gemeinten Pose des Ignoranten einen Wust von glaubensmäßig
aufgepepptem Nonsens: natur- und geisteswissenschaftliche Fakten sind
unerbittlich dem Glaubensdiktat unterworfen, sie können vom Leser
als bigotte Vorurteile entlarvt werden. Produktive Phantasie wird für
eine Denkschablone freigesetzt.
Günter
Grass:
Schulpause
]
Hat
die Uhr sich verzählt?
Hat
die Pause die Angst überlebt
und
das Spiel auf den stillen Aborten?
Er
trägt eine Brille über dem Mund: pronunciation.
Er
birgt einen Zettel knapp überm Herzen:
seit
gutdekliniertes Geheimnis.
Seltsam
steht er im Hof,
mitten
im Herbst:
die
Konferenz löst sich auf.
Buchstaben
fallen und Zahlen,
kleine
vernünftige Sätze
aus
den Kastanien und Linden über der Hypothenuse.
Meine
arme kränkliche Mutter
-
Herr Studienrat, üben sie Nachsicht -
stirbt,
wenn die Pause vorbei ist.
Fettes
Papier blüht im Hof.
Langsam
nur weicht der Geruch
später
vor Tobruk, bei Kursk,
am
Volturno gefallner Primaner.
Günter
Grass (* 1927), Moralwächtern unbeliebt, Politikern und
Literaturfreunden als Lyriker verständlicher und beliebter denn als
großräumiger Prosaiker, schreib die "Schulpause" 1961;
das Gedicht gehört zu der Sammlung "Ausgefragt", in der
G.G. familiäre, kulturelle und institutionelle
Selbstverständlichkeiten der zu Ende gehenden (gegangen wordenen)
Adenauer-Zeit befragte, in einer Diktion, die gleichzeitig groteske
Phantasie und soziale Realität bindet in einer traumhaft
intensiv-sensiblen Intention, die den Leser herausfordert, seine
eigenen Erinnerungen und Gewohnheiten, sein Innenbild zu überprüfen.
*+ *+*+* +*
Rainer
Brambach: Schulhof
Zu
Ende das Pausenspiel, vergessen
Der
Ball im Winkel und
Der
Platz still, als wär im Kastaniengeäst
Gelächter
vernehmbar,
vogelschnell
flatternd -
Noch
immer Geranien vor den Fenstern,
aber
längst verwischt
sind
Herz und Schrift, verschollene Namen,
mit
einer Scherbe geritzt
in
den Verputz der Mauer. ]
Die
häufig lakonisch-knappen, auch ironisch unterkühlten, aber
insgesamt assoziativ reichen und fast privat-intimen Kurzgedichte
Brambachs - er lebte von 1917 bis 1983 - spiegeln menschliche
Erfahrungen im Alltag, in der Begegnung mit Mitmenschen, gewöhnlichen
Naturerscheinungen und in Auseinandersetzungen mit kulturellen
Forderungen. Der Autor sucht Antworten, Trost (aber nicht
vordergründigen), verständlich gemachte Freude und Trauer, z.B. aus
dem Gespräch mit den angeblich toten Dingen, denen er zum lyrischen
Weiterleben verhilft.
Dorothee
Sölle:
Als
sich eine schülerin das leben genommen hat
Ich
habe es nicht gewußt
du
hast es nicht gewußt
er es
wir ihr sie
haben
es nicht gewußt
Ich
habe es nicht wissen können
ich
habe es nicht wissen wollen
ich
habe es nicht kommen sehen
ich
habe es laufen lassen
ich
habe es nicht aufhalten können
Ich
habe auch nur zwei augen
ich
habe auch nur zwei hände
ich
habe auch nur ein telefon
ich
kann nicht überall sein
ich
bin nicht immer erreichbar
Ich
glaube an christus sagt man
er
hätte ihr helfen können sagt man
wenn
ich du er sie es wir ihr sie
christus
geworden sind
braucht
man nicht mehr
sagt
man zu sagen
Dorothee
Sölle: Die
zweifel des lehrers
In
der phase der entmutigung
gehen
die klassenkämpfe zurück
die
ängste der menschen wachsen
einige
frieden werden vermittelt
die
völker sind nicht gefragt
welche
art frieden sie wollen
die
hoffnungen der opfer
wandern
ab ins okkulte
In
der phase der entmutigung
wächst
meine sicherheit
immer
unzerstörbarer
komme
ich mir vor
daß
der arme jesus die wahrheit bedeutet
den
weg
ist
mir zur zeit
kaum
einen zweifel wert
In
der zeit der ängste
singe
ich wieder
in
der zeit des unfriedens
wächst
mein frieden
Aber
wozu
wenn
er nicht teilbar ist
wenn
er nicht sichtbar wird
wenn
man ihn nicht mit anderen essen kann
wenn
die opfer nichts von ihm haben
was
soll dieser reichtum
Wenn
man ihn nicht lehren kann
ist
es dann frieden
* *
Dorothee
Sölle:
[Von
baum lernen]
Vom
baum lernen
der
jeden tag neu
sommers
und winters
nichts
erklärt
niemanden
überzeugt
nichts
herstellt
Einmal
werden die bäume die lehrer sein
das
wasser wird trinkbar
und
das lob so leise
wie
der wind an einem septembermorgen ]
Dorothee
Sölle ( * 1929) ist eine engagierte evangelische Theologin, die ein
aktives Glaubensbekenntnis in praktizierter, sozial orientierter
Nachfolge Christi nicht nur theoretisch-ideell, sondern auch poetisch
belegen kann.
Ihre
provozierenden Texte setzen die konkrete und gesellschaftliche
Realität der Individuen in potenzierte, genau erkennbare,
dichterische Fiktionalität um. Zu Zeiten, in denen kein Politiker
mehr das Wort Klassenkampf in den Mund zu nehmen wagt, erinnert eine
Theologie an ihn und seine religiöse Entgegnung, den Frieden der
Wahrheit.
Hermann
Hesse: Bericht
des Schülers
Mein
Lehrer liegt und schweigt schon manche Tage.
Oft
weiß ich nicht, ob er mit Schmerzen ringe,
Ob
mit Gedanken. Wenn ich etwas sage,
So
hört er nicht. Doch wenn ich sitz und singe,
Lauscht
er geschlossenen Auges wie entrückt,
Vielleicht
ein Wissender des höchsten Grades,
Vielleicht
ein Kind, von etwas Klang beglückt,
Doch
stets der Regel treu des Mittlern Pfades.
Zuweilen
regt er die erstarrte Hand,
Als
hielte sie den Schreibestift und schriebe.
Dann
wieder ist der Türe zugewandt
Sein
Blick mit einer unsagbaren Liebe,
Als
hör er Boten nahn auf Engelsflügeln
Und
sähe Himmelspforten offen stehn
Oder
auf seiner fernen Heimat Hügeln
Wie
einst im Morgenhauch die Palmen wehn.
Oft
ist mir bang, als sei ich krank statt seiner,
Als
wär ich selber grau, erloschen, alt
Und
jener dünnen Blätterschatten einer,
Wie
sie der Morgen an die Mauer malt.
Doch
er, der Meister, scheint von Wirklichkeit,
Von
Sein, von Wesen ganz getränkt und trächtig.
Indes
ich schwinde, wird er weltenweit
Und
füllt die Himmel strahlend und allmächtig. ]
Hermann
Hesse (1877-1962): Hesses Werk ist über die verschiedenen
literarischen Epochen und Kunststile hinweg erstaunlich einheitlich,
ohne modische Schwankungen und für junge und alte Leser interessant
und lebensnah geblieben. Auch das hier abgedruckte Gedicht geht im
Kern von einem Lebensprozeß einem, psychologischen Verhältnis eines
Schülers zu seinem Meister, seinem Lehrer, aus, durch das eine
Reifung, eine Selbsterkenntnis möglich wird. Daß hier auf diesem
Weg nach Innen, ins eigene Ich, die politischen und
gesellschaftlichen Bedingungen der Umwelt und des Lebens unscharf
bleiben und Randerscheinungen werden, liegt an dem enormen
Konzentrationsprozeß, der die Annäherung an ein entrücktes Vorbild
in diesem quasi-religiösen Sinn mit sich bringt. Für Hesse wurde
aber ein solcher, subjektiver Weg der Innenbetrachtung und
Ego-Behandlung immer wieder vom konkreten Engagement für
gesellschaftliche Fragen oder politischen Impulsen ergänzt. So zum
Beispiel 1914, als er als "Künstler an die Krieger"
schrieb: "Nie begehr ich ein Gewehr zu tragen..." - in
einer Zeit, als so viele andere Autoren nationalistisch begeistert in
das erste kollektive Völkermorden der Neuzeit zogen und sich dann
häufig ins Religiöse zurück-zogen.
Für
das Thema Schule ist Hesses Roman "Unter dem Rad"
exemplarisch. Er verließ die Schule, die ihn zu ersticken drohte;
seine Eltern schickten ihn in eine Landesheilanstalt. Von dieser
Affäre gibt es ein Dokument, das mit hohe Achtung abnötigt. Das
Schreiben der Rektors an Vater Hesse.
Vergleichen
Sie es einmal mit dem Entlassungschreiben, das der "verworfene"
Schüler Robert Steinhäuser von der Direktorin des Erfurter
Gutenberg-Gymnasiums erhielt; und das er verschwieg:
Sehr
geehrter Robert Steinhäuser,
hiermit
beende ich das mit ihnen bestehende Schulverhältnis auf der
Grundlage des Thüringer Schulgesetzes entsprechend der durch sie zu
vertretenden Gründe mit Wirkung des heutigen Datums. (...)
Zur
Klärung dieser persönlichen Angelegenheit beurlaube ich Sie von der
Teilnahme am Unterricht bis einschließlich 09.10.2001.
Mit
freundlichen Grüßen
(Unterschrift)
Schuldirektorin
Ch. Alt
Schulleiterin
*
Kurt
Tucholsky: Die
Schule ]
Wer
die Schule hat, hat das Land.
Aber
wer hat die bei uns in der Hand!
Du
hörst schon von weitem die Schüler schnarchen.
Da
sitzen noch immer die alten Scholarchen,
die
alten Pauker mit blinden Brillen,
sie
bändigen und töten den Schülerwillen.
Und
lesen noch immer die alte Fibel
und
lehren noch immer den alten Stiebel:
Wie
in alten Zeiten die wichtigen Schlachten
die
großen Völkerentscheidungen brachten,
wie
die Fürsten und die Söldnerlanzen
den
großen blutigen Contre tanzen,
und
ohne die heilige Monarchie
sei
die Hölle auf Erden - und schließlich,
wie
die Völker nur eigentlich Statisten seien.
Man
müßte ihnen die Dumpfheit verzeihen.
Könnten
eben nichts weiter dafür ...
Und
sie lernen vom Kupfercyanür.
Und
von den braven Kohlehydraten.
Und
von den beiden Coordinaten.
Und
von der Verbindung mit dem Chrome.
Lernen
auch allerhand fremde Idiome.
Ut
regiert den Konjunktiv.
Polichinelle
ist ein Diminutiv.
Und
was so dergleichen an Stoff und an Wissen.
Himmelherrgott!
ist die Schule beschmissen!
Seelenmord
und Seelenraub!
Unter
die Kruste von grauem Staub
drang
auch kein Luftzug der neuen Zeit.
Der
alte Schulrat im alten Kleid.
Wundert
euch nicht! Was kommt aus dem Haus
schließlich
nach Oberprima heraus?
Ein
nationalistischer langer Lümmel.
Gut
genug für den Ämterschimmel.
Gut
genug für die alten Karrieren -
ls ob
die heute noch notwendig wären!
Türen
auf und Fenster auf!
Lege
deine Hand darauf,
lieber
Herr Haenisch, und zeige den Jungen,
wie
die alten Griechen sungen -
aber
ohne die Philologie
und
ohne die Kriegervereinsmelodie!
Wer
die Jugend hat, hat das Land.
Unsre
Kinder wachsen uns aus der Hand.
Und
eh wir uns recht umgesehn,
im
Handumdrehn,
sind
durch die Schulen im Süden und Norden
aus
ihnen rechte Spießbürger worden.
*
Kurt
Tucholsky:
Die
Herren Eltern ]
Ist
ein Schullehrer Pazifist und sagt,
wie
es in Wahrheit im Kriege ist -:
daß
Generale Kriegsinteressenten sind,
ganz
gleich, wer verliert; ganz gleich, wer gewinnt ...
dann
sollte man meinen - freun sich die Eltern für ihr Kind?
Jawoll!
Dann
erhebt sich ein ungeheures Elterngeschrei:
«Raus
mit dem Kerl! Das ist Giftmischerei!
Unser
Junge soll lernen, wie schön die Kriege sind!
Wir
warten schon drauf, wann wieder ein neuer beginnt -
und
dazu liefern wir gratis und franko 1 Kind!
Jawoll!»
Die
Elternbegeisterung ist ganz enorm.
Die
Mütter: aus Liebe zur Uniform.
Die
Väter, die Lieferanten für den Schützengraben,
denken:
warum sollen denn diese Knaben
es
besser als unsereiner haben?
Nicht
wahr?
Die
Fabrikation eines Kindes ist nicht sehr teuer.
Aber
erhöh mal ein bißchen die Umsatzsteuer -:
dann
kreischen die Herren Eltern, daß der Ziegel vom Dache fällt.
Man
trennt sich leicht vom Kind.
Aber
schwer vom Geld.
Bekommt
das Kind einen Bauchschuß? Das macht ihnen keine Schmerzen.
Doch
ihr Geld - das lieben die Herren Eltern von Herzen.
Jawoll!
Mitleid
mit den Opfern, die da fallen für Petroleum, für Fahnen,
für
Gold -?
Die
Herren Eltern haben es so gewollt.
*
Kurt
Tucholsky: Religionsunterricht
]
Berliner
Pastöre und Zentrumsherren
durchziehen
die Straßen und plärren Choräle.
Denn
die revolutionären Affen
wollen
die Schulreligion abschaffen.
Wer
garantiert nun der gutgläubigen Jugend
die
garantiert echte christliche Tugend?
Denn
was da geht in ein christlich Ohr,
fürs
ganze Leben hält das vor.
Wer
lehrt nun die Kleinen nach diesem Krieg
die
Sätze der praktischen Metaphysik?
Als
da sind: Du sollst nicht töten!
Außer,
wenn die Fahne in Nöten.
Diese
weisen Lehren - wie Paulus uralt ...
Und
was macht, nebenbei, das Pastorengehalt?
Das
Pastorengehalt - Herr Gott in Gnaden!
wolle
doch die Sünder zur Hölle laden!
Sieh,
der Bürger zieht ein Gesicht.
Gegen
den Priester? Er traut sich nicht.
Er
gedenkt seiner Jugend und wird wieder kindlich.
Gegen
den Priester? Er ist plötzlich empfindlich.
Kluge
Gesichter lächeln in Rom:
Deutschland
war stets ein einziger Dom.
Die
Herren von der Konkurrenzfakultät
tun
mit, weil's um dem Gelde geht.
Friede,
ihr Fakultäten, auf Erden!
Es
wird mit dem Umsturz so schlimm nicht werden.
Man
kann sich ja euer gar nicht entwöhnen!
Und
paßt mal auf: meinen Herren Söhnen
werden
im Schulunterricht wieder ertönen
Choräle!
Kurt
Tucholsky, ein Rechts-, ein Kultur- und ein Sprachfachmann seiner
Zeit - also unserer
Weimarer Zeit - hat schon seit seinen ersten Veröffentlichungen im
und direkt nach dem ersten Weltkrieg die kulturellen, religiösen,
gesellschaftlichen ud militärischen Machtmechanismen seiner Zeit
reflektiert und wollte sie in einem parteiungebundenen Sinne
demokratisch und progressiv verändernd entwickeln helfen. Dieser in
der "Weltbühne" vom 24.7.1919 zuerst erschienene Text
beurteilt das allgemeine Schulphänomen "Nicht für die Schule,
sondern fürs Leben lernen wir" mit einer speziellen, für uns
Nachgeborene erstaunlichen Diagnose: Die Schule der Weimarer Zeit
war, trotz einzelner politischer und reformpädagogischer Ansätze,
nicht in der Lage, demokratische, der eigenen Individualität und dem
freiheitlichen Staat verantwortlich verpflichtete Bürger zu
erziehen.
Anmerkungen:
Contre
oder Konter = schneller Gegenangriff
Kupfercyanür;
Zyan = Kohlenstoff- und Stickstoffverbindung
Polichinelle
= Pulcinella (Hanswurst in der italienischen Komödie)
*
Emmanuel
Geibel:
Der
Herr Professor
Es
steht auf seinem Katheder
Der
Hofrat und doziert,
Der
Meister, der mit Ruhme
Hebraika
traktiert.
Rings
lauschen die Studenten
Andächtig,
wie er spricht;
Da
stutzt er, und bedenklich
Umwölkt
sich sein Gesicht.
»Hier
steht ein Aleph«, ruft er,
»Was
will das Aleph hier?
Wo
kommt es her? Vergebens
Den
Kopf zerbrech ich mir.«
Mit
neunundzwanzig Gründen
Darauf
beweist er scharf,
Daß
hier bei Leib und Leben
Kein
Aleph stehen darf.
»Und
wer den Text verballhornt«,
Beschließt
er indigniert,
»Hätt'
besser Schafe gehütet
Als
Habakuk ediert.«
Er
schlägt aufs Buche mit Zorne,
Da
springt das Aleph weg,
Was
ihn so sehr verdrossen,
War
nur ein Fliegendreck. ]
Emmanuel
Geibel (1815-1884) hat neben rein idealistischen, auf das
zeitgebundene Schöne allgemein und gegen politische Lyrik gerichtete
Gedichte nur wenig eigene poetische Akzente gesetzt, die ihn als
epigonale Figur überlebt hätten. Sein "Herr Professor",
das ein wenig an Wilhelm- Busch-Texte erinnert, hat überdauert durch
seinen Witz. Den fleißigen, hochgelehrten Professor stört in seiner
hebräischen Ausgabe des Habakuk, des Prophetenbuches des Alten
Testaments, das vermeintlich falsch gesetzte Aleph-Zeichen, bis ihn
der Zorn, der gerechte, packt...
Adolf
Gampe:
Gewissensnöte
Der
Franzl in der Schule hört, wie in ernstem Ton
Der
Pfarrer vom Gewissen spricht im Fache Religion.
Dies
Thema packt ihn mächtig, weil es ihm sehr vertraut,
Weil
er aus Nachbars Garten mal Kirschen hat geklaut.
Herr
Pfarrer schließt die Stunde und mahnt: „Wie ihr jetzt wißt,
Ein
ruhig, rein Gewissen ein Schutz vor Unheil ist.
Beherziget
das immer und denket stets daran,
Damit
im ganzen Leben euch nichts passieren kann."
Noch
in der großen Pause denkt Franzl an dies Wort,
Begibt
sich, wie es üblich, dann auf den Schulabort.
Dort
sind die ältren Knaben grad bei der Wasserschlacht,
Die
dem Hausmeister Müller so großen Ärger macht.
"Er
kommt!" warnt jetzt die Bande ein schriller Wächterschrei.
Und
tatsächlich - Herr Müller eilt ahnungsvoll herbei.
Gekonnt
stieben die Großen vom Schauplatz ihrer Tat;
Zurück
bleibt nur der Franzl, vertraut auf Pfarrers Rat.
Herr
Müller sieht die Lachen, Zorn färbt sein Angesicht,
Doch
Franzls rein Gewissen, das sieht er leider nicht.
Er
haut ihm eine runter, schimpft ihn noch aus sogar,
Obwohl
Franz an der Sintflut gar nicht beteiligt war.
Der
heult noch herzerweichend, als sie vom Schulhof gehn,
Kann
aber seinen Freunden aufschluchzend jetzt gestehn:
"Was
heut der Pfarrer sagte, das war vielleicht ein Mist!
Weil
man mit dem Gewissen ganz schön beschissen ist." ]
Der
mir unbekannte, hier nur aus der Sekundärliteratur zitierte Autor
versucht in mühevoller, stolpriger Rhythmik und bescheidener
Reimtechnik ein Beispiel zu geben für die besonders in den 50er
Jahren von kirchlicher Gewissensver-bildung tyrannisierte Jugend und
einen kleinen Befreiungsversuch aufgrund eines Nachteils, den ein
netter, freundlicher Jungen von einem Hausmeister erfährt. Auch die
Schulfigur des strafenden und rücksichtslosen Herrn Müller dürfte
zeitgebundene Repräsentanz beanspruchen.
Erich
Kästner:
Ein
Quartaner denkt beim Anblick des Lehrers
So,
so. Sie wollen mich nachsitzen lassen.
Weil
ich in Französisch gemogelt habe.
Das
glaub ich. Das könnte Ihnen so passen.
Als
wär ich ein ganz gewöhnlicher Knabe.
Ich
möchte nur wissen, wofür Sie sich halten.
Sie
werden schon, wenn wir Sie auslachen, rot.
Sie
trauriger Mond ohne Bügelfalten!
Sie
haben ja nicht mal Wurst auf dem Brot.
Sie
sollten mal donnerstags bei uns sein.
In
Ihrem Frack, der so komisch gebaut ist.
Da
stünden Sie dann in der Villa allein,
in
der es donnerstags immer so laut ist.
Da
sind Minister bei meinen Eltern.
Und
seidne Frauen und Direktoren.
Mit
riesigen Autos und Riesengehältern.
Da
wärn Sie, samt Ihrer Bildung, verloren.
Noch
unser Schofför ist feiner als Sie.
Und
Sie, Sie wollen mir was befehlen?
In
Groß-Grünau auf der Klassenpartie
sah
ich Sie heimlich die Groschen zählen.
Sie
fahren morgens im Autobus.
Sie
wohnen in Untermiete bei Blaus.
Der
Seidelbast, der's genau wissen muß,
sagt,
es sei ein scheußliches Haus.
Glauben
Sie nicht, weil Sie Plato lesen,
daß
uns das irgendwie imponiert.
Ihre
Frau ist Stenotypistin gewesen.
Der
Onkel von Harms hat mit ihr poussiert.
Ich
sitze nicht nach! Nicht morgen, nicht heute.
Ich
sag's meinem Vater. Der sagt's Rektor Schneider.
Mein
Alter ist Herr über zwotausend Leute
Ich
huste auf Sie, Sie Hungerleider. ]
*
Erich
Kästner:
Klagen
eines Oberlehrers
Frau!
Komm herbei! Ich muß dir etwas sagen.
Mach
hurtig, Jenny! Weshalb zögerst du?
Beim
Styx! Ich kann das Warten nicht vertragen.
Nimm
Platz! Asseyez vous!
»Frau
Doktor« nennen dich die Nachbarsfraun.
Mein
Titel ehrt. Sie ehren dich durch ihn.
Doch
wisse: Budapest hat einem Clown
den
Doktorgrad verliehn.
Hat
man deshalb Descartes und Kant getrieben
und
deshalb in Examensangst geschlottert?
Hat
man vielleicht deshalb das Buch geschrieben:
»Hat
Heinrich Kleist gestottert?«
Man
hat in toten Sprachen konjugiert.
Man
mußte das Examen zweimal machen ...
Nun
wird ein dummer August promoviert!
Eheu,
es ist zum Lachen.
Zu
eines Johann Wolfgang Goethes Tagen,
da
hätte es dergleichen nicht gegeben.
Und
was wird Rektor Hartleib dazu sagen?
Wird
er das überleben?
Aus
Feldmarschällen machte man Doctores.
Wohlan,
sie hatten sich für uns geschlagen!
Doch
Dr. Grock? O tempora, o mores!
wie
wir Lateiner sagen.
Er
hat den Ruhm, der Grock. Er hat die Mittel.
Doch
uns, o Weib, ging alles in die Brüche.
Wir
haben nichts. Wir hatten einen Titel ...
Geh
wieder in die Küche!
Erich
Kästner (1899-1974)
Der
schon seit den politischen und literarischen Unglückszeiten der
Weimarer Republik bekannte satirische Autor und spätere
Kinderbuchschreiber benutzte schon früh für seine Gebrauchslyrik
Stilmittel wie die saloppe Umgangssprache, modische Schlagwörter,
Gefühle als Alltagsschablone mit dezidiert aufklärerischer Wirkung.
Die oft überraschende Perspektive, die das Gewohnte neu darstellt,
ist in diesem Fall die Sicht eines Kindes, eines Quartaners auf der
alten Standesschule; heute wäre er Schüler der Jahrgangsstufe 7.
Der
Junge stellt sich dar als Vertreter einer
politisch-gesellschaftlichen Frechheit, um den Lehrer zu düpieren
und die wirtschaftliche Macht des reichen Vaters ausspielt. Daß der
Lehrer als "Hungerleider" apostrophiert werden konnte, ist
allerdings ein entscheidender Unterschied zu heutigen Schulszenen.
Auch spielt sich heutzutage gesellschaftliche Einflußnahme
versteckter ab als in Kästners Schulbeispiel, egal ob wir sie uns
zur glorreichen Zeit Kaiser Wilhelms vorstellen oder als Gymnasium
der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. *
(Entnommen: H.-
D. Hornschuh: Humor rund um Lehrer und Schüler. München: Manz
Verlag 1986. S. 92f.)
Erich
Kästner:
Pädagogik
spaßeshalber
(Ein
altes Kinderspiel, renoviert)
Das
größte Kind muß an die Tafel schreiben.
Und
dauernd ernst sein. Und den Lehrer machen.
Die
andern Kinder dürfen Kinder bleiben.
Und
sollen nur, wenn er's verbietet, lachen.
Dann
gibt das große Kind zunächst den Kleinen
ein
schwieriges Diktat. Mit Das und Daß.
Die
Mädchen müssen, wenn sie können, weinen.
Sonst
machen sie die Hefte anders naß.
Dann
folgt ein Ausflug. Über Perserbrücken.
Rund
um den Tisch. Mit Rucksack und Gesang.
Und
in den Vasen kann man Blumen pflücken.
Und
wandert dreißigmal die Wand entlang.
Die
Teppiche sind selbstverständlich Wiesen.
Hier
wird gefrühstückt; und hier ruht man aus,
indes
im Bad die Wasserfälle fließen.
Dann
wandert man, rund um den Tisch, nach Haus.
Am
schönsten ist natürlich das Examen.
Da
hat der Lehrer einen Gehrock an
und
fragt nach Wilhelm Tell und Städtenamen.
Und
ob der Artur wohl den Handstand kann.
Dann
gibt's Zensuren. Karl und Gustav schwitzen.
Doch
Gustav blieb in diesem Jahr verschont.
Nur
Karl der Faule bleibt schon wieder sitzen.
Und
sagt ganz laut: "Das bin ich nun gewohnt."
Und
dann sind Ferien. Und alle lachen.
Das
große Kind zieht flugs den Gehrock aus
Und
hängt ihn in den Schrank, zu Vaters Sachen.
Denn:
Vater kommt um diese Zeit nach Haus. ]
Erich
Kästner:
Primaner
in Uniform
Der
Rektor trat, zum Abendbrot,
bekümmert
in den Saal.
Der
Klassenbruder Kern sei tot.
Das
war das erste Mal.
Wir
saßen bis zur Nacht im Park
und
dachten lange nach.
Kurt
Kern, gefallen bei Langemarck,
saß
zwischen uns und sprach.
Dann
lasen wir wieder Daudet und Vergil
und
wurden zu Ostern versetzt.
Dann
sagte man uns, daß Heimbold fiel.
Und
Rochlitz sei schwer verletzt.
Herr
Rektor Jobst war Theolog
für
Gott und Vaterland.
Und
jedem, der in den Weltkrieg zog,
gab
er zuvor die Hand.
Kerns
Mutter machte ihm Besuch.
Sie
ging vor Kummer krumm.
Und
weinte in ihr Taschentuch
vorm
Lehrerkollegium.
Der
Rochlitz starb im Lazarett.
Und
wir begruben ihn dann.
Im
Klassenzimmer hing ein Brett
mit
den Namen der Toten daran.
Wir
saßen oft im Park am Zaun.
Nie
wurde mehr gespaßt.
Inzwischen
fiel der kleine Braun.
Und
Koßmann wurde vergast.
Der
Rektor dankte Gott pro Sieg.
Die
Lehrer trieben Latein.
Wir
hatten Angst vor diesem Krieg.
Und
dann zog man uns ein.
Wir
hatten Angst. Und hofften gar,
es
spräche einer Halt!
Wir
waren damals achtzehn Jahr,
und
das ist nicht sehr alt.
Wir
dachten an Rochlitz, Braun und Kern.
Der
Rektor wünschte uns Glück.
Und
blieb mit Gott und den andern Herrn
gefaßt
in der Heimat zurück.
Anmerkung:
Noch heute erinnern sie sich, dabei ihre Pensionen verzehrend, gerne
der großen Zeit. ]
*
Erich
Kästner:
Klassenzusammenkunft
Sie
trafen sich, wie ehemals,
im 1.
Stock des Kneiplokals.
Und
waren zehn Jahr älter.
Sie
tranken Bier. (Und machten Hupp!)
Und
wirkten wie ein Kegelklub.
Und
nannten die Gehälter.
Sie
saßen da, die Beine breit,
und
sprachen von der Jugendzeit
wie
Wilde vom Theater.
Sie
hatten, wo man hinsah, Bauch,
und
Ehefrau'n hatten sie auch,
und
Fünfe waren Vater.
Sie
tranken rüstig Glas auf Glas
und
hatten Köpfe bloß aus Spaß
und
nur zum Hütetragen.
Sie
waren laut und waren wohl
aus
einem Guß, doch innen hohl,
und
hatten nichts zu sagen.
Sie
lobten schließlich, haargenau,
die
Körperformen ihrer Frau,
den
Busen und dergleichen ...
Erst
dreißig Jahr, und schon zu spät!
Sie
saßen breit und aufgebläht
wie
nicht ganz tote Leichen.
Da,
gegen Schluß, erhob sich wer
und
sagte kurzerhand, daß er
genug
von ihnen hätte.
Er
wünsche ihnen sehr viel Bart
und
hundert Kinder ihrer Art
und
gehe jetzt zu Bette.
Den
andern war es nicht ganz klar,
warum
der Kerl gegangen war.
Sie
strichen seinen Namen.
Und
machten einen Ausflug aus.
Für
Sonntag früh. Ins Jägerhaus.
Doch
dieses Mal mit Damen. ]
Das
Gedicht, in der Familie, auf Kinderfesten oder im Unterricht
geschickt eingesetzt, ergibt motivationsstarke, unterhaltsame
Stündchen eines pädagogischen Rollenspiels und, selten genug, eine
erfreuliche Diskussionsstunde und eine kleine Aufführung (auch z. B.
für Klassen- oder Elternabende) ab. Das vergnügliche Gedicht setzt
Kreativität bei SchülerInnen frei, so daß fast ohne Steuerung
durch den Lehrer ein Spiel sich vorbereiten und inszenieren läßt.
Denkbar
sind eine pantomimische Szene während der Vortrags durch eine/n
besonders gute Schüler/in. Noch reizvoller für eine Klasse ist das
Schreiben eines eigenen Theaterstücks nach dieser Vorlage; für die
einzelnen gezeigten Stunden können eigene Darstellungsideen und
immer wieder andere Schüler spielen, so daß sich nicht nur eine
Paraderolle wie in der Textvorgabe für das "größte Kind"
ergibt. Im Gedicht, typisch für den ernsten Humoristen Kästner,
bricht das Spiel zu dem Zeitpunkt ab, an dem der Junge als
Spielleiter die Rückkehr seines Vaters erwartet. Satire
ex negativo.
Die
soziale Realität, rollenspezifische Ausprägung in seinem
Elternhause ist noch nicht so weit entwickelt, daß die Kinder einem
Vater oder ihren Vätern vorzuspielen sich getrauen. Warum nur bleibt
die Mutter unerwähnt? Weiß sie vom Spiel?
Nein,
der Autor ist kein
Haus- und Hofschreiber, den der Ex-Ministerpräsident von
Niedersachsen zu seinem privaten Vergnügen eingestellt hätte - in
der Absicht, die faulen Säcke über Vers und Reim aufs Korn nehmen
möchte...
Nein,
Erich Kästners Kritik an den Lehrern 1930, der er eine noch
schärfere nachreichte:
Auf
geht’s’s: Der Stil-, Politik- Erziehungsschlacht, pardon: des
Schlagens erster Teil:
Erich
Kästner
Von
faulen Lehrern
Zu
lernen ist schwer. Zu lehren noch schwerer.
Mir
ist diese Thema gut bekannt.
Ich
kenne den deutschen Volksschullehrer
aus
erster Hand.
Ich
weiß, daß er sich die ersten zehn Jahre
mit
hohen Idealen balgt.
Dann
aber läßt seine Seele Haare
Und
er verkalkt.
Nun
trabt er auf tänzelnden Steckenpferden
zur
Altersgrenze und läßt sich Zeit.
(Ich
sollte selbst mal Lehrer werden
und
weiß Bescheid.)
Ein
jeder spezialisierte sich. Nämlich:
Der
erste sucht Berge, die er besteigt;
der
zweite frißt sich langsam dämlich;
der
dritte geigt.
Der
vierte betreibt Familiengeschichte.
Der
fünfte hockt ständig vorm Hühnerstalle.
Nur
in der Schule, beim Unterrichte,
da
gähnen sie alle.
Sie
wurden, das Volk zu erziehen, berufen!
Nun
stehn sie herum und marschieren am Ort.
Und
nur auf ihres Gehaltes Stufen
schreiten
sie fort.
Einst
hungerten sie nach geistiger Nahrung
und
wahren Freunde gepflegten Lateins.
Jetzt
sind sie verstopft mit Paukererfahrung
und
Einmaleins.
Sie
könnten für Deutschland Größeres leisten
als
Leute mit Namen und großem Maul.
Sie
könnten. Sie sollten! Aber die meisten
von
ihnen sind faul.
(Zuerst
in: „Jugend. Nr. 26. 1930. S. 567)
Damals
- 1930? Da wurde protestiert, Aabos abbestellt - und ein Redakteur
ließ sich erpressen, den Kästner erst mal aufs Eis zu legen...
Der
ließ eine weitere gekonnte Sottise drucken, anderswo, nachdem die
kritisierten Lehrer bei der Redaktion der „Jugend“ böse
Leserbriefe abluden und Kündigungen abließen: Die Antwort wurde
aber nicht gedruckt. Die Reaktion, äh, Redaktion hatte Angst...!!
Erich
Kästner
An
die beleidigten Lehrer
Die
Lehrerschaft hat erklärt:
„Kästner
hat uns beleidigt.“
Es
wird Zeit, daß sie erfährt,
wie
Kästner sich verteidigt.
Er
läßt euch hierdurch sagen:
ihr
brachtet den Kindern zwar bei,
nach
dem Akkusativ zu fragen
und
was eine Gleichung sei.
Aber
er hatte sich mehr erträumt!
Er
sah eure höhere Pflicht.
Diese
habt ihr versäumt.
Diese
tatet ihr nicht!
Zwölf
Jahre, behauptet er,
vergingen
seit dem Krieg.
Zwölf
Jahre sind es her,
seit
er euch liebte und schwieg.
Jetzt
steht er von euch entfernt.
Sein
herz wurde immer schwerer.
Das
Volk hat nichts gelernt.
Und
ihr wart des Volkes Lehrer!
Ihr
fandet nur dafür zeit,
das
Einmaleins zu lehren.
Nun
sind sie wieder soweit
und
spielen mit Schießgewehren.
Sie
saßen in euren Klassen.
Sie
waren in eurer Hut.
Nun
wollen sie wieder hassen.
Nun
wollen sie wieder Blut.
So
habt ihr Deutschland erzogen!
Und
da stellt ihr euch hin und sprecht:
„Kästner,
der Kerl hat gelogen.“
Nein,
der Kerl hat recht! ]
*
Mascha
Kaléko:
Interview
mit mir selbst
Anno Zwounddreißig
Ich
bin als Emigrantenkind geboren
In
einer kleinen, klatschbeflissnen Stadt,
Die
eine Kirche, zwei bis drei Doktoren
Und
eine große Irrenanstalt hat.
Mein
meistgesprochnes Wort als Kind war "Nein".
Ich
war kein einwandfreies Mutterglück.
Und
denke ich an jene Zeit zurück
Ich
möchte nicht mein Kind gewesen sein.
Im
Ersten Weltkrieg kam ich in die achte
Gemeindeschule
zu Herrn Rektor May.
Ich
war schon sechs, als ich noch immer dachte,
Daß,
wenn die Kriege aus sind, Frieden sei.
Zwei
Oberlehrer fanden mich begabt,
Weshalb
sie mich, zwecks Bildung, bald entfernten.
Doch
was wir auf der Hohen Schule lernten,
Ein
Volk "Die Arier" ham wir nicht gehabt.
Beim
Abgang sprach der Lehrer von den Nöten
Der
Jugend und vom ethischen Niveau.
Es
hieß, wir sollten jetzt ins Leben treten.
Ich
aber leider trat nur ins Büro.
Acht
Stunden bin ich dienstlich angestellt
Und
tue eine schlechtbezahlte Pflicht.
Am
Abend schreib ich manchmal ein Gedicht.
Mein
Vater meint, das habe noch gefehlt.
Bei
schönem Wetter reise ich ein Stück
Per
Bleistift auf der bunten Länderkarte.
An
stillen Regentagen aber warte
Ich
manchmal auf das sogenannte Glück.
Post
Scriptum
Anno
Fünfundvierzig
Inzwischen
bin ich viel zu viel gereist,
Zu
Bahn, zu Schiff, bis über den Atlantik.
Doch
was mich trieb, war nicht Entdeckergeist,
Und
was ich suchte, keineswegs Romantik.
Das
war einmal. In einem andern Leben.
Doch
unterdessen, wie die Zeit verrinnt,
Hat
sich auch biographisch was ergeben:
Nun
hab ich selbst ein Emigrantenkind.
Das
lernt das Wörtchen "alien" buchstabieren
Und
spricht zur Mutter: "Don't speak German, dear."
Muß
knapp acht Jahr alt Diskussionen führen,
Daß
er "allright" ist, wenn auch nicht von hier.
Grad
wie das Flüchtlingskind beim Rektor May!
Wenn
ich mir dies Dacapo so betrachte ...
Er
denkt, was ich in seinem Alter dachte.
Daß,
wenn die Kriege aus sind, Frieden sei. ]
*
Mascha
Kaléko:
Aus
einem Familien-Album
"Der
erste Schulgang"
Der
Kindheit Süße geht nun rasch zur Neige,
Und
obiges Photo ist ihr letzter Rest.
Auf
daß sich dieses hier 'symbolisch' zeige,
Hält
er die Zuckertüte bang gepreßt.
Der
erste 'Kieler' (blaugestreifte Hosen)
Wird
bald mit Tintenklecksen eingeweiht.
Der
Photograph hat für den Schul Matrosen
Saisongemäß
das schwarze Schild bereit:
'Mein
erster Schulgang'. Doch die Kindermähne
Ist
kurz gestutzt trotz mancher Tantenträne.
-
Papa war gegen solche Lockenwildnis.
Er
wählt' zum Hintergrund die Springfontäne.
Dekorativ
umrahmt sie dieses Bildnis.
Und
eingehüllt in solches Panorama
Betritt
der Knabe nun der Schulzeit Drama. ]
*
Mascha
Kaléko
Schulausflug
Des
Morgens versammelt sich aller, um acht:
Die
Kinder mit Rucksack und Milchkaffeeflaschen,
Herr
Borchardt in Loden und Wickelgamaschen,
Das
Pensum des Tags wohldurchdacht.
Vom
Bahnhof aus wandelt man stumm;
Folgt
Chorgesang: "Komm lieber Mai ..."
Nebst
Meldung, daß Wandern des Müllers Lust sei,
Ans
staunende Publikum.
Jetzt
lehrt der Herr Borchardt Natur
An
Staubfäden sämtlicher Größen und Stärken.
Das
muß man sich dann für den Schulaufsatz merken,
A
conto Zensur.
Danach
wird im Walde gespielt,
Worauf
sich die Kinder 'recht freundlich' gruppieren,
Denn
jetzt kommt der Hauptspaß: das Fotografieren
Fürs
Klassenbild.
Im
Gänsemarsch kehrt man zurück
"Wir
haben im Waldschlößchen Frühstück gegessen",
"Und
ich habe nur bei Herrn Borchardt gesessen ..."
Das
ist das Glück.
Mascha
Kaléko
In
memoriam Emmerich Krause +
Wer
hätte das gedacht vom Lehrer Krause!
Nun
hat er sich tatsächlich umgebracht.
Der
gute Kerl. Er hat so gern gelacht.
Ich
seh im Schulhof ihn zur großen Pause
Vergnügt
das dicke Käsebrot verzehren
Und
O Bein schlenkernd gehn. Sein Zeigefinger droht,
Weil
Narrenhände Tisch und Wand beschmiern. Nun ist er tot
Und
kann auch nicht mehr Kunstgeschichte lehren.
Wer
hätte es von Krause je geglaubt,
Daß
er sich, statt mit Heftekorrigieren,
Befaßt'
verderblich mit Philosophieren.
Was
ihm zuletzt auch den Verstand geraubt.
Es
sind nach ihm jetzt trauernd hinterblieben:
Ein
Gips Apoll, ein seltenes Herbarium,
Kein
Geld, sowie ein Goldfisch nebst Aquarium,
Ein
Tagebuch in Samt. Drin steht geschrieben:
"Oft
bin ich nur per Zufall aufgewacht.
Und
mußte aus Versehen weiterleben.
Mir
geht sogar das Sterben daneben.
Und
ich hatte es mir so einfach gedacht."
Wir
Schüler standen um sein Grab erschüttert.
Ergriffen
sprach sogar der Schul Dekan.
Doch
als die Pauker sich den Sarg besahn,
Da
dachte das Kollegium verbittert:
"An
Menschen solcher Art ist kein Bedarf.
Wenn
einer seinem Schicksal fristlos kündigt,
Das
heißt soviel: daß er sich schwer versündigt
Weil
man ja nur auf Raten sterben darf ... ]
*
Günter
Kunert: Nahost oder: Fern im Okzident ]
Günter
Kunert: Geschichte II ]
Georg
von der Vring:
Schule
Das
grau und rauhe Gebäude
Ist
gegen den Abend leer,
Von
Pausenlärm und Geläute
Tönt
hier kein Echo mehr.
Beregnete
Fliederbüsche,
Schon
blau im Knospenflor,
Heben
aus jeder Nische
Sich
bis zum Dachsims empor.
Schule
steht dort zu lesen;
Acht
Fenster im späten Licht
Zeigen,
die Haken in Ösen,
Einander
ihr Scheibengesicht.
Alljährlich
wird hier der Flieder
Bei
leiser, bei lärmender Zeit
Vor
der Fensterflucht wieder
Gezeigt
und wieder verstreut. ]
Herrmann
Mostar:
DIE
FABEL VON DER INTELLIGENZ
Der
Schüler sprach zum Herrn Professer:
"Die
Welt wird dummer und nicht besser;
Warum
bestimmen einst und heute
Nicht
endlich die gescheiten Leute?«
Der
Meister blickte auf vorn Skattisch:
»Beweisbar
ist rein mathematisch,
Daß
diese Welt nicht heilbar ist,
Weil
die Gescheitheit teilbar ist!«
Den
Schüler machte es nicht schlauer
So
ward der Meister denn genauer
In
dir als Individuum steckt
Ein
großes Quantum Intellekt,
Wovon
du aber, so du liebst,
Der
Trauten schon die Hälfte gibst;
Bald
kommt ein Kind, es braucht sein Drittel,
Dein
Intellekt ist nur noch mittel.
Du
trittst in irgend etwas ein,
In
Klub. Verband. Gesangverein
Und
hast, die Kurve senkt sich steil,
doch
bestenfalls ein Hundertteil.
Als
Bürger mußt du dich bequemen,
Zu
wählen und Partei zunehmen:
So
wird, dies ist die Konsequenz,
Dein
Quantum an Intelligenz,
Falls
deine Richtung triumphiert,
Durch
sechs Millionen dividiert.
Und
eines weißt du auch, mein Sohn:
Das
Heiligste ist die Nation;
Du
teilst dein Hirn, statt es zu schonen,
Durch
runde sechzig Millionen.
Doch
auch die Menschheit lechzt nach Führung
Du
bist für eine Weltregierung:
Hier
wird, und klingt's auch tragikomisch,
Dein
Klugheitsbruchteil astronomisch!"
Der
Schüler sprach als wie von Sinnen:
»Das
Weltspiel - wie ist's zu gewinnen?«
Der
Meister sprach: "Ein Mann der Tat
Spielt
halt nur mit sich selber Skat!"
Der
Schüler fand, daß dies, o wehe,
Teils
nichts verändre, teils nicht gehe;
Doch
darauf sprach der Meister schlicht.
"Es
ändert nichts, es geht auch nicht;
Ich
sagt' es ja: wir sind unheilbar
Denn
die Intelligenz ist teilbar!" ]
Herrmann
Mostar (eigentlich, d.h. bürgerlich: Gerhart Herrmann) findet man
nicht in Literaturgeschichten oder Lesebüchern, wohl aber in
Buchhandlungen, und zwar in den Ecke Humor, wo der interessierte
Leser manchmal durchaus Entdeckungen machen kann. Ist doch in
deutschen Schullesebüchern das Kapital Humor selten überzeugend
gestaltet. Seine Epistel von der Intelligenz vertritt eine
überzeugende These, ist jedoch gleichzeitig von einer
pessimistisch-einschränkenden Grundhaltung, die eine menschliche
oder politische Weiterentwicklung mit Hilfe der Vernunft aufgrund der
aufgezeigten, angeblich gesetzmäßigen Intelligenzproblematik
auszuschließen scheint: Ein Humorist als Vertreter einer
konservativen, statischen Rechtfertigungslehre; Propagandist des
eigenen besseren Selbst, des Scheinnachweises der Überlegenheit, des
angeblich intelligenten Selbstbetruges: eine komische Leistung
schriftstellerischer Vernunft; die Weltverbesserung wäre auch erst
möglich nach dem Eingeständnis der eigenen
Veränderungsbedürftigkeit. Die selbst attestierte Intelligenz
widerspricht dem aber.
Otto
Heinrich Kühner:
Probealarm
im Gymnasium ]
Klopstock
zerstäubt, das
Problem
des Ich-Romans gelöst.
Turnen
fällt aus, der
Zweite
Punische Krieg findet
nicht
statt.
Die
Viren ausgerottet und der
Verlust
der Menschenwürde.
Die
Erde eine einzige
Bildfläche,
aber keiner,
der
von ihr verschwinden kann.
Und
das alles wegen
der
unterschiedlichen
Auffassungen
über das
Glück,
über die Kurzweil!
Lieber
ein anderes Thema!
Otto
Heinrich Kühner:
Schulstunden
Nachfahre
von Fisch und
Schimpanse
mit Kiemenspalte und
Ohrhöcker,
zeigte
ich im Geräteturnen nur
unvollkommene
Leistungen.
Auch
im Springen und
Schwimmen
waren mir die
Antilopen
und Delphine überlegen.
Sie
deklassierten mich.
Das
war meine Würde. Und
meine
Hoffnung.
Laßt
die 2oo-m-Delphin
den
Delphinen! ]
*
Kurt
Drawert:
Innenmuster
Kindheit,
eine Frau,
die
durch die Träume
spaziert
und
sie vertauscht
gegen
die Träume des Lehrers.
Fernsteuerbares
Spielzeug.
Die
Bewegung von Stofftieren.
Fremdsprache
lernen im Stall,
dessen
Wände die Würmer
zerstören:
Worte, die die Worte
der
anderen sind.
Meine
Verführer hab' ich
geliebt,
sie waren gutmütige
Leute.
Aber
wenn ich heute, aus dem
Haus
gekommen, in den Dingen
meine
Bedeutungen suche:
Wege,
die Erinnerungswege,
Handlungen,
die Erinnerungshandlungen
sind,
habe
ich
ich
weiß nicht,
was
ich besitze,
was
ich verlor,
und
mir ist, als spazierte eine Frau
durch
den Traum. ]
Kurt
Drawert:
Tagebuch
2
Die
Haut viel zu weich
die
Füße, das war
damals,
als ich loslief,
in
Übermut, in Scherben
fiel.
Berührungen = Ergreifen
&
Loslassen, im Würgegriff,
der
Lehrer Friedrichs
und
Monika, Zitat:
Liebe
ist auch nur
ein
Wort ... Wie Halt
an
einer Klinge gesucht
das
Gedächtnis entlang,
hinab
... Gnade
ist
Weitermachen.
Die
Beine aufwärts
wächst
Hornhaut,
ich
werde mich wehren. ]
*
Ludwig
Thoma:
Prinzenexamen
Auch
Prinzen haben die Weisheit vonnöten,
Darum
schickt man sie auf die Universitäten,
Damit
hierorts ihr Verstand gedeiht.
So
geschah es einem vor einiger Zeit.
Aber
nach Ablauf von nur zwei Jahren,
Von
denen er das meiste auf der Eisenbahn gefahren,
War
des Prinzen Hoheit so klug,
Daß
man fand, es sei nunmehr genug.
Um
jedoch den Schein zu vermeiden,
Als
sei es anders bei den Königlichen Hoheiten,
Wie
es bei den übrigen Studiosis sei,
Ließ
er sich zu einem Examen herbei.
Die
Professoren, welche dieses sollten wagen,
Kamen
herbei mit großem Zittern und Zagen,
Sie
scharrten demütig mit dem Fuß
und
entboten dem Prinzen ihren Gruß.
Der
Herr Rektor machte den Anfang
Und
gab seiner Stimme einen sanften Klang,
Indem
er fragte mit ergebenem Ton:
»Hoheit,
was ist eine Konstitution?«
Hier
antwortete des Prinzen erlauchte
Person,
wozu er längere Zeit gebrauchte:
»Konstutition
ist, wenn das Volk stets tut,
Was
uns höchstselbst zu belieben geruht.«
Über
diese Antwort des hohen Kandidaten
Konnten
sich die Professoren der Freude nicht entraten,
Und
es herrschte große Verwundernis
Über
den filium principis.
Nun
begann ein Professor zu fragen:
»Belieben
Hoheit mir geneigtest zu sagen,
Welche
Befugnis man kennt
Als
eigentümlich dem Parlament?«
Hier
antwortete der Prinz: »Herr Professor,
je
weniger es solche gibt, desto besser,
Weil
der Untertan dadurch beirrt
Im
Betreffe seines Gehorsams wird.«
Auch
diesesmal konnten nicht unterdrücken
Die
Herren Professoren ihr helles Entzücken,
Und
sie haben sodann unverweilt
Dem
Prinzen das Reifezeugnis erteilt.
Hieraus
ist es als bewiesen erschienen:
Wenn
einer als Doktor will sein Brot verdienen,
Braucht
er zehn Semester allhier.
Für
einen König reichen schon vier. ]
*
Heinz
Ehrhardt:
In
der Schule drüben ]
"Sagt
mir, ihr lieben Jungs, geschwind,
wer
wohl die beiden Großen sind,
die
denen, die reich und bezopft,
erfolgreich
auf den Busch geklopft?
Die
man seit vorigem Jahrhundert
studiert,
versteht, liebt und bewundert?
Die
wir durch Wort und Bilder kennen?
Wie
mögen sich die beiden nennen?!"
????
????
"Ihr
wißt es nicht, ihr dummen Bengels?
Die
Beiden heißen MARX und ?!?"
Da
meldete sich Hänschen Klein:
"Das
könn'n nur Marx und Moritz sein!?!"
Heinz
Ehrhardt, ein körperlich prall bis feist und sprachspielerisch
dümmlich bis dichterisch signifikanter Inbegriff der Klamauk- und
Wortkunst der ansonsten wenig humorvollen 5oer und 6oer Jahre in der
BRD, hat in diesem Gedicht eine allgemein verbreitete Pose der 5oer
und 60er Jahre eingenommen, die es ihm erlaubte, einen Jux zu machen,
ohne eine inhaltliche, argumentative oder satirisch-kritische
Intention zustandezubringen. Immerhin ist die belächelte
Wirklichkeit als staatliche Institution verschwunden. Der Erhardt-Jux
- ein nur noch quasi historisch, anekdotenhaft interessierendes
Gedicht; von mir aus dem freundlichen Vergessen anheimgegeben.
*
Joachim
Ringelnatz:
An
meinen Lehrer
Ich
war nicht einer deiner guten Jungen.
An
meinem Jugendtrotz ist mancher Rat
Und
manches wohlgedachte Wort zersprungen.
Nun
sieht der Mann, was einst der Knabe tat.
Doch
hast du, alter Meister, nicht vergebens
An
meinem Bau geformt und dich gemüht.
Du
hast die besten Werte meines Lebens
Mit
heißen Worten mir ins Herz geglüht.
Verzeih,
wenn ich das Alte nicht bereue.
Ich
will mich heut wie einst vor dir nicht bücken.
Doch
möcht ich dir für deine Lehrertreue
Nur
einmal dankbar, stumm die Hände drücken.
Joachim
Ringelnatz:
Biegemann
Biegemann
war mein Lehrer.
Biegemann
war mal zu mir gut.
Ich
bleibe doch sein Verehrer.
Denn
was tut's, wenn, was tat, nicht mehr tut.
Biegemann
warfen schließlich
Seine
Freunde allerlei vor.
Biegemann
wurde verdrießlich,
Unverschämt.
- Bis er den letzten verlor.
Als
ich ihn weiter besuchte -
Denn
er war einst mein geistiger Halt -,
Schlug
er und wälzte und fluchte
Alles
auf mich, was den Freunden galt.
Langsam
wurde ich kühler.
Endlich
blieb ich ihm fern.
Aber
doch wer ich sein Schüler
Einstmals
und hatte ihn gern.
Was
er nun Schlechtes verbreitet
Über
mich - überall -, macht mich nicht heiß.
Denn
nur der Unsichre streitet
Und
ich weiß, was ich weiß.
Wenn
ich ihn jetzt hin und wieder
Sehe,
so wende ich mich. Das heißt
Wenn
er mich jemals wieder -
Wie
neulich, im Hofbräu - mit Kalbsknochen schmeißt,
Hau
ich ihm eins in die Fresse.
Denn
ich bin doch kein Magistrat. -
Aber
niemals vergesse
Ich,
was mir Biegemann Gutes tat.
Joachim
Ringelnatz:
Fußball
(nebst
Abart und Ausartung)
Der
Fußballwahn ist eine Krank-
Heit,
aber selten, Gott sei Dank.
Ich
kenne wen, der litt akut
An
Fußballwahn und Fußballwut.
Sowie
er einen Gegenstand
In
Kugelform und ähnlich fand,
So
trat er zu und stieß mit Kraft
Ihn
in die bunte Nachbarschaft.
Ob es
ein Schwalbennest, ein Tiegel,
Ein
Käse, Globus oder Igel,
Ein
Krug, ein Schmuckwerk am Altar,
Ein
Kegelball, ein Kissen war,
Und
wem der Gegenstand gehörte,
Das
war etwas, was ihn nicht störte.
Bald
trieb er eine Schweineblase,
Bald
steife Hüte durch die Straße.
Dann
wieder mit geübtem Schwung
Stieß
er den Fuß in Pferdedung.
Mit
Schwamm und Seife trieb er Sport.
Die
Lampenkuppel brach sofort.
Das
Nachtgeschirr flog zielbewußt
Der
Tante Berta an die Brust.
Kein
Abwehrmittel wollte nützen,
Nicht
Stacheldraht in Stiefelspitzen,
Noch
Puffer außen angebracht.
Er
siegte immer, 0 zu 8.
Und
übte weiter frisch, fromm, frei
Mit
Totenkopf und Straußenei.
Erschreckt
durch seine wilden Stöße,
Gab
man ihm nie Kartoffelklöße.
Selbst
vor dem Podex und den Brüsten
Der
Frau ergriff ihn ein Gelüsten,
Was
er jedoch als Mann von Stand
Aus
Höflichkeit meist überwand.
Dagegen
gab ein Schwartenmagen
Dem
Fleischer Anlaß zum Verklagen.
Was
beim Gemüsemarkt geschah,
Kommt
einer Schlacht bei Leipzig nah.
Da
schwirrten Äpfel, Apfelsinen
Durch
Publikum wie wilde Bienen.
Da
sah man Blutorangen, Zwetschen
An
blassen Wangen sich zerquetschen.
Das
Eigelb überzog die Leiber,
Ein
Fischkorb platzte zwischen Weiber.
Kartoffeln
spritzten und Zitronen.
Man
duckte sich vor den Melonen.
Dem
Krautkopf folgten Kürbisschüsse.
Genug!
Als alles dies getan,
Griff
unser Held zum Größenwahn.
Schon
schäkernd mit der U Bootsmine
Besann
er sich auf die Lawine.
Doch
als pompöser Fußballstößer
Fand
er die Erde noch viel größer.
Er
rang mit mancherlei Problemen.
Zunächst:
Wie soll man Anlauf nehmen?
Dann
schiffte er von dem Balkon
Sich
ein in einem Luftballon.
Und
blieb von da an in der Luft,
Verschollen.
Hat sich selbst verpufft.
Ich
warne euch, ihr Brüder Jahns,
Vor
dem Gebrauch des Fußballwahns! ]
Joachim
Ringelnatz (1883 - 1934) war ein verläßlicher, feinsinniger
Humorist und Kinderfreund, auch ein zeichnerisch begabter
Kabarettist, der seine naiv-freundliche Perspektive zeit seines
Lebens nicht aufgab, höchstens um sie aus der gesteigerten Form des
phantastisch plaudernden Trinkers fortzusetzen. Seine skurrilen
Gedichte thematisieren menschliche Schwäche, artikulieren
Sehnsüchte, besonders kindliche (z.B. in seinen Kinderbüchern).
Seine
Poesie hat eine ästhetische Widerstandskraft gegen kollektive oder
ideologische Einvernahme. Ab 1933 hatte er Auftrittsverbot.
Die
Erinnerungen, die hier J.R. in Reime faßt, sind getragen von einem
heiter melancholischen, getreuen Gedenken an einen Lehrer, dem
Ringelnatz nicht den Respekt versagen will, ungeachtet der eigenen
Schülerfrechheiten. Diese auch als Selbstzeugnisse legitimierte
Texte sind zwei der wenigen Beispiele, daß deutsche Künstler,
Literaten und andere sensible Seelen sich an ihre Schulzeit anders
als mit Grausen erinnern.
Rainer
Maria Rilke:
Kindheit
Da
rinnt der Schule lange Angst und Zeit
mit
Warten hin, mit lauter dumpfen Dingen.
O
Einsamkeit, o schweres Zeitverbringen ...
Und
dann hinaus: die Straßen sprühn und klingen
und
auf den Plätzen die Fontänen springen
und
in den Gärten wird die Welt so weit -
Und
durch das alles gehn im kleinen Kleid,
ganz
anders als die andern gehn und gingen
O
wunderliche Zeit,
O
Zeitverbringen, o Einsamkeit.
Und
in das alles fern hinauszuschauen:
Männer
und Frauen; Männer, Männer, Frauen
und
Kinder, welche anders sind und bunt;
und
da ein Haus und dann und wann ein Hund
und
Schrecken lautlos wechselnd mit Vertrauen -
O
Trauer ohne Sinn, o Traum, o Grauen,
O,
Tiefe ohne Grund.
Und
so zu spielen: Ball und Ring und Reifen
in
einem Garten, welcher sanft verblaßt,
und
manchmal die E rwachsenen zu streifen,
blind
und verwildert in des Haschens Hast,
aber
am Abend still, mit kleinen steifen
Schritten
nachhaus zu gehn, fest angefaßt-:
O
immer mehr entweichendes Begreifen,
O
Angst, O Last.
Und
stundenlang am großen grauen Teiche
mit
einem kleinen Segelschiff zu knien;
es zu
vergessen, weil noch andre, gleiche
und
schönere Segel durch die Ringe ziehn,
und
denken müssen an das kleine bleiche
Gesicht,
das sinkend aus dem Teiche schien -:
O
Kindheit, o entgleitende Vergleiche.
Wohin?
Wohin? ]
Rainer
Maria Rilke:
FRÜHLING
Nr.
XXI der Sonette an Orpheus
Frühling
ist wiedergekommen. Die Erde
ist
wie ein Kind, das Gedicht weiß;
viele,
o viele... Für die Beschwerde
langen
Lernens bekommt sie den Preis.
Streng
war ihr Lehrer. Wir mochten das Weiße
an
dem Barte des alten Manns.
Nun,
wie das Grüne, das Blaue heiße,
dürfen
wir fragen: sie kann's, sie kann's!
Erde,
die frei hat, du glückliche, spiele
nun
mit den Kindern. Wir wollen dich fangen,
fröhliche
Erde. Dem Frohsten gelingts.
O,
was der Lehrer sie lehrte, das Viele,
und
was gedruckt steht in Wurzeln und langen
schwierigen
Stämmen: sie singt, sie singts!
]
Franz
Werfel:
Schulgang
Oh,
wie sehnt er sich nach seinem Bette,
Nach
der süßen, kaum verlaßnen Wärme!
Ausgestoßen
unter Menschenschwärme
Läuft
er, rennt er durch die Gassenkette.
Uhren
schlagen grausam um die Wette,
Stürzend
sich auf ihn mit kaltem Lärme,
Und
es brennen Magen und Gedärme.
Ach,
daß er nur nicht verschlafen hätte!
Wie
er springt! Er keucht und weint beim Laufen,
Bis
im Schulhaus er, im Gange steht,
Und
im Zimmer sieht das staubige Raufen.
Er
faßt langsam: Es ist nicht zu spät...
Und
er läßt sich nieder, zu verschnaufen.
Doch
sein erster Laut ist ein Gebet. ]
Franz
Werfel:
Elternlied
Kinder
laufen fort.
Lang
her kann's noch gar nicht sein,
Kamen
sie zur Tür herein,
Saßen
zwistiglich vereint
Alle
um den Tisch.
Kinder
laufen fort.
Und
es ist schon lange her.
Schlechtes
Zeugnis kommt nicht mehr.
Stunden
Ärgers, Stunden schwer:
Scharlach,
Diphtherie!
Kinder
laufen fort.
Söhne
bangen Weibern an.
Töchter
haben ihren Mann.
Briefe
kommen, dann und wann
Nur
auf einen Sprung.
Kinder
laufen fort.
Etwas
nehmen sie doch mit.
Wir
sind ärmer, sie sind quitt,
Und
die Uhr geht Schritt für Schritt
Um
den leeren Tisch. ]
Franz
Werfel (1890 - 1945) war Lyriker von jungen Jahren an, der sich für
Inneres und Äußeres, für Psychisches und Soziales interessierte;
als Expressionist schuf er eindringliche Erzählungen, später auch
große, christlich geprägte Romane. Sein menschliches Interesse für
private und soziale Parallelhandlungen sind beispielhaft in seiner
Novelle "Die blaßblaue Frauenschrift" (1941 erschienen;
als Fernsehverfilmung durch Axel Corti hervorragend bearbeitet), in
der er die Interessenverflechtung eines hohen Staatsbeamten im
österreichischen Ministerium für Kultur und Unterricht kurz vor dem
nationalsozialistischen Anschluß aufzeigt. In unserem abgedruckten
Sonett, das schon 1906 entstand, interessiert er sich fürs (eigene?)
Befinden eines Schuljungen, der sich skrupelhaft bemüht, nicht zu
spät zum Unterricht zu erscheinen. Das in der letzte Zeile
beschriebene Gebet, das den Beginn der Schulstunde markiert, bleibt
in einer eigenartig unbestimmten Form unkommentiert: ob das Gebet
freudig-herzlich mitvollzogen, ob zwanghaft-lustlos erlebt wird - der
Leser kann sich nach eigenem Gusto einklinken in die Psyche eines so
fleißig (man möchte sagen, vergeblich) bemühten Schülers.
*
Erika
Engel
Das
Wunderhaus
Die
Schule ist ein Wunderhaus:
Dumm
geht man 'rein kommt klug heraus.
Das
Wunder muß ich mir besehn
ich
darf jetzt auch zur Schule gehn.
Der
Lehrer ist ein kluger Mann,
der
uns das Wunder zeigen kann.
Er
weiß so vieles, er versteht
die
Zahlen und das Alphabet.
Daheim
der Teddy tut mir leid,
er
wird im Leben nie gescheit.
Ich
geh' zur Schule und ich weiß:
Das
ganze Wunder ist der Fleiß! ]
Helga
Müller
Gute
Vorsätze
Mit
der großen Zuckertüte
fängt
ein neues Leben an.
Und
ich werde euch beweisen,
daß
ich fleißig lernen kann.
Täglich
geh' ich in die Schule,
höre,
was der Lehrer spricht,
lerne
rechnen, lesen, schreiben,
denn
ein Faulpelz bin ich nicht.
Schreibt
der Lehrer dann Zensuren
in
die bunten Hefte ein,
werden
Einsen und auch Zweien
ganz
gewiß darunter sein. ]
Elfriede
Mund
Schulanfang
Nun
darf ich alle Tage
wie
Klaus zur Schule gehn,
bekomme
einen Ranzen
aus
Leder, braun und schön.
Ich
übe buchstabieren,
so
fängt das Lernen an,
damit
ich bald, wie Vati,
die
Zeitung lesen kann. ]
Erika
Engel
Kleiner
Hansemann
Kleiner,
kleiner Hansemann
stellt
sich auf die Zehen,
daß
er besser sehen kann,
möcht'
gern alles sehen.
Liegt
ein Buch mit vielen Seiten,
kann's
nicht lesen und nicht deuten.
Denkt
sich kleiner Hansemann:
Möcht'
so gerne,
daß
ich's lerne,
daß
ich alles lesen kann!
Kleiner,
kleiner Hansemann
fängt
schon an zu malen;
mit
'nem Kringel fängt er an,
später
werden's Zahlen.
Zwei
und drei und sechs und sieben
hat
er nun schon hingeschrieben.
Denkt
sich kleiner Hansemann:
Möcht'
so gerne,
daß
ich's lerne,
daß
ich alles rechnen kann!
Kleiner,
kleiner Hansemann,
in
die Schule geht er,
dass
er alles lernen kann
und
studieren später.
Lehrer
wie´so viele Sachen,
die
den Kindern Freude machen.
Denkt
sich kleiner Hansemann:
Bin
ich fleißig,
ja,
das weiß ich,
wird'
ich auch ein kluger Mann! ]
*
Waltraud
Singer:
Zweiundzwanzig
neue Schüler
Zweiundzwanzig
neue Schüler
Seh'n
wir heut' zur Schule geh'n.
Jedes
läßt auf seinem Rücken
Stolz
sein neues Ränzlein seh'n.
"Könnt
ihr denn schon stille sitzen?
Zappelfred
und Kippelklaus?
Werdet
ihr auch nicht vergessen,
was
ihr schreiben sollt zu Haus?"
"Macht
euch nur nicht soviel Sorgen,
mit
dem Zappeln ist es aus.
Morgen
schon, ihr werdet's sehen,
bringen
wir 'ne Eins nach Haus!" ]
F.W.
Bernstein:
Weihnachten
in der Schule
Hört
mal zu!
Auch
Du!
Wenn
das Jahr zu Ende geht
wird
es abends früher spät
alle
tragen feste Schuhe
Ruhe!
Weißer
Schnee füllt bald die Straßen
Markt
und alles ist verlassen
Will
Karlchen,
sei doch still!
Willig
kommt der Weihnachtsmann
hat
ein rotes Röckchen an
hell
wird jedes Licht
Peter,
red jetzt nicht!
Und
ein großer Kerzenschein
wollt
Ihr endlich ruhig sein!
Hüpfet
über Stock und Stein -
Karlchen,
Dich sperr ich letzt ein!
Und
zu unsern Lieben
kommt
aus Heu und Stroh
Ruhe
endlich! Wo
bin
ich steh'n geblieben? ??]
F. W.
Bernstein (geb. 1938), der durch vielerlei literarisch-satirisch
possierliche Produktion bekannte Autor, gestaltete 1981 die Komik
einer weihnachtlichen Botschaft durch einen Lehrer, der seine naive
christliche Sendung nicht anbringen kann, da seine kleine
Zuhörerschaft ihn als Prediger so ablenkt, ihn in seinem Vortrag
oder Ankündigung so strapaziert, daß sie ihn sogar gänzlich aus
dem nicht überzeugenden Konzept bringt. Weihnachten - kein Bedarf
bei den Kindern, den childs, den kids, den kiddys? Eine arge
Fehlinvestition - an Lyrik!
*
Edwin
Bormann:
Kinderszene
]
Morgen
zum Geburtstagsfeste
Lädt
sich Käthchen kleine Gäste:
Anni
Hoffmann, Suse Beyer,
Minchen
Walther, Doris Schreier,
Evchen
Müller, Elsa Strauch -
»Kommt
denn das Rebekkchen auch?« -
»Was,
Rebekka Silberstein?
Juden
lad' ich niemals ein.
Gabst
du in der Schul' nicht Acht,
Daß
sie Jesum tot gemacht? « -
»Unser
Lehrer meint das, ja;
Doch
es sagt mir die Mama
(Und
die weiß doch vielerlei):
Silbersteins
war'n nicht dabei!«
Schlichte
Kinderseele du,
All
mein Herz es lacht dir zu.
Besser
wär's um sie bestellt,
Zöge
siegreich durch die Welt
Deine
Friedensmelodei:
"Silbersteins
war'n nicht dabei!"
Edwin
Bormann (1851 - 1912) veröffentlichte 1893 sein schon aufdringlich
antisemitisches, "national" und "religiös" so
gut gemeintes pädagogisches Poem in einem Album, das Stellungnahmen
gegen den Antisemitismus versammelte. Schade, daß diese kindliche
"Friedensmelodie" in der rauhen Welt des 20. Jahrhunderts
zu wenig positive Folgen zeitigen konnte. Die politischen,
wirtschaftlichen und leider auch die dummdreist religiösen
Bedingungen brachten diese jüdische Friedensinitiative zum
Scheitern; allein mit Pädagogik gegen Gewalt, Vorurteil und dummes
Geschrei anzutreten, ist vergebliche Liebesmüh.
Paul
Klee:
Ein
armes gepreßtes Schülerherz
hat
es mir gestanden.
Ans
Fenster trieb es ihn,
weg
von seinen Heften,
weg
von der eingetauchten Feder.
Hinausspazieren
wollten seine Augen
und
drängten durch die Scheiben,
wo
die Stirn anstieß.
Glückliche
Kinder, die da unten spielten.
Glücklich
Irenens Lächeln, des reizenden Mädchens.
Glücklich
seine Augen, die ihr folgten.
Glücklich
sein armes Schülerherz, das gepreßte.
Aber
die neidischen Bäume,
Hehler
seiner einzigen Augen und Erdenlust.
Wie
lange noch wollen sie halten gefangen Irenen.
Es
tickt und tickt die Zeit,
und
die Feder ist schon eingetaucht.
Und
er gestand mir,
daß
er im Spiegel sein Gesicht sah
voll
Liebe und ohne die häßlichen Blüten.
Er
weiß, seiner harrt besseres als sein heutig Teil.
Er
weiß es, dort in der Ferne draußen.
Und
die Lokomotive pfeift. ]
*
Paul
Klee:
Wenn
die Natur nun selber ]
Wenn
die Natur nun selber
keiner
Persönlichkeit gehorcht,
keinem
zentralen Willen,
sondern
alles an ihr Gewöhnung,
Gelegenheit
und Anpassung ist,
dann
desto besser.
Wenn
es aber einen Gott gibt?
-
Bscht!!
Der
Herr Lehrer meint:
»Was
kümmert dich das Wesen Gottes,
sieh
dir eins seiner Blumenbeete an, das genügt.«
»Ich
will ja brav sein, Herr Lehrer!«
»Außerdem
ist es dir gesund,
du
lebst und webst im Freien,
da
gibt's keines Gedankens Blässe!
Du
bist unter Bienen und Schmetterlingen
eine
kleine ameisige Emse.«
»Herr
Lehrer, darf ich daneben
auch
etwas Mu-Mu-Musik machen??«
»Vielseitige
Künste?
Ja!
sollste, darfste!
Vielseitige
Künste sind gut,
wenn
se nur nicht
zu's
Jesamtkunstwerke führen.«
Paul
Klee (1879 - 1940) war nicht nur Künstler, Maler und Zeichner, er
war auch ein Poetologe, der sein Werk im Zusammenhang mit der
pantheistischen Natur verstand. Sein dialogisches Plädoyer für
einen unverfälschten Naturglauben läßt dem jungen Menschen die
Freiheit des eigenen Zugangs zu den vielen Feinheiten und
beachtenswerten Kleinheiten des erlebbaren Schöpfung. Der in der
letzten Strophe lachend-freundlich abgewehrte Begriff von einem
Gesamtkunstwerk formuliert hier im Jahre 1908 Klees Kritik von
theoretisch geforderten Versuchen, das Gesamtkunstwerk (zum Beispiel
im Wagnerschen Sinne) zu gestalten; Klee hält es für einen
Stilverstoß gegen einen vernünftigen, unstrapazierten Naturbegriff.
[Anonym:]
Auf
dem Schulweg
Aus einem
Anstandsbuch für Schüler
Begebt
euch sämtlich nun ganz still nach euren Häusern
Und
haltet ohne Not euch unterwegs nicht auf!
Auch
auf der Gasse müßt ihr Sittlichkeit stets äußern!
Beschimpft
euch also nicht durch Lärm, Zusammenlauf,
Durch
wildes Schreien noch durch andre Bubenstücke,
Die
bei der Jugend nur zu sehr im Schwange sind!
Neckt
selbst einander nicht, und übt an niemand Tücke
Der
euch vorübergeht - auch nicht am kleinsten Kind!
Besonders
tut es Not, euch dies recht einzuschärfen,
Daß
auf der Gasse ihr euch ja zu keiner Zeit
Erfrecht,
so wenig euch als andre zu bewerfen,
Denn
niemand mehr als ihr stört Straßen-Sicherheit,
Wenn
ihr des Sommers euch im Wurf mit Steinen übet,
Des
Winters eure Lust im Schneeballwerfen sucht,
Wobei
ihr öfters noch erschrecklich schwört und flucht.
Wißt,
daß Gesittete ihr dadurch sehr betrübet,
Vor
diesem Laster nehmt daher euch wohl in Acht,
Weil
großer Sünde sich ein Flucher schuldig macht.
Denn
nichts ist schändlicher als Fluchen oder Schwören,
Zumal
wenn ihr dabei den Namen Gottes nennt,
Den
ihr doch aus der Schrift als hehr und heilig kennt!
Gesetzt,
es würden euch nicht Menschen-Ohren hören,
So
hört gewiß euch der, der allenthalben wohnt,
Der
so den Frevler straft, wie er den Frommen lohnt.
Trifft
dich zur Regenzeit dein Weg durch solche Gassen,
Wo
viele Leute gehn, so mußt aus Schonung du
Das
starke Springen hier hauptsächlich unterlassen
Sonst
richtet dein Galopp die Wandler häßlich zu.
Begegnet
dir ein Mensch, der alt ist oder schwächlich,
Blind
oder lahm, auch sonst an seinem Leib gebrechlich,
So
spotte seiner nicht, auch halte ihn nicht auf!
Fühl,
welch ein Glück es sei, gesunde Glieder haben!
Des
Krüppels spottet nur der Abschaum böser Knaben,
Auch
steht der Menschheit Fluch und schwere Strafe drauf.
Wenn
auf der Straße wo ein Mensch liegt, der betrunken
Und
sinnlos ist, so sei nicht lieblos gegen ihn,
Mißhandle
ja ihn nicht, noch stoß ihn unsanft hin!
Für
ihn ist's Unglücks gnug, daß er so tief gesunken,
Die
menschliche Vernunft - das göttliche Geschenk -
Ersäuft
zu haben! Sei selbst deiner eingedenk
Und
hüte jetzt und einst dich vor dergleichem Laster!
Dem
Mäßigen bleibt stets der Söffling ein Verhaßter
Und
Unerträglicher, hat doch nicht allezeit
Ein
Trunkner die Vernunft durch Völlerei entweiht.
Urteile
darum nicht gleich streng in solchen Sachen,
Von
denen du noch nicht den Grund und Ungrund kennst,
Damit
du ein Versehn nicht flugs ein Laster nennst!
Ein
Gläschen Brannteweins kann den betrunken machen,
Der
schwaches Magens ist und nichts gegessen hat,
In
freier Luft wird leicht ein schwacher Körper matt
Doch
dem sei, wie ihm sei, du mußt dich nie gewöhnen,
Den
Menschen, weicher fehlt, zu necken und zu höhnen,
Weil
er dein Bruder ist, weil dir - sei Weib, sei Mann! -
Dergleichen
Unfall selbst dereinst begegnen kann.
Verfolg
und schilt auch nie den, welcher deiner Väter
Religion
nicht hat, nicht deiner Meinung ist!
Denn
an der Menschheit wirst du dadurch zum Verräter,
Wenn
du nicht duldsam, so wie selbst die Gottheit, bist! ]
Dieses
Lehrgedicht, ein richtig obrigkeitlich moralischer Traktat, ist einem
1802 in Altona erschienenen Anstandsbuch entnommen, verfaßt für
jedes Schulkind, das mit Recht liebenswürdig heißen will,
enthaltend alle einzelnen Pflichten desselben im Hause, in der
Schule, im Gotteshause und auf der Gasse, vom Augenblicke des
Erwachens im Bett an bis zum Schlafengehen.
Ob
wir wieder in Zeiten reinwachsen, in denen es häufiger vorkommt, daß
Schüler schon auf dem Schul- oder dem Nachhauseweg tätlich oder
gewalttätig werden? Vielleicht könnten wir z. B. im Fernsehen
weitgehend auf Gewaltszenen verzichten, deren Selbstverständlichkeit
besonders in familienfreundlicher Nachmittags- und Vorabendzeit als
nachzueifernde Vorsbildsituation einen für die Werbeindustrie
gewollten Kinder- und Kundenblickfang bietet. Ein (un)frommer Wunsch!
An
traditionalistischen Traktaten, die Jungen (und nun auch zunehmend)
Mädchen aufzufordern, zu konservativ geschönten Werten
zurückzukehren, die die Jugendlichen in der Waren- und Werbe- und
Plastik-Welt als nicht erfolgreich, eher als lächerlich erleben,
fehlt es schon nicht mehr.
Friedrich
Eberhard von Rochow:
Kinderlied
]
Kinder!
gerne wollen wir
Nun
zur Schule gehen,
Sorgt
der Lehrer doch dafür,
Daß
wir es verstehen.
Was
er lehrt, es ist nicht schwer,
Wie
man's jetzo treibet,
Leichter
wird es immer mehr,
Wer
nur fleißig bleibet.
Wenn
wir groß sind, geht's uns wohl!
Jeder
will uns haben,
Denn
wir wissen, wie man soll
Nützen
Gottes Gaben.
Wer
der Herrschaft Nutzen sucht,
Dem
nützt sie auch wieder,
Faulheit
sei von uns verflucht,
Arbeit
stärkt die Glieder.
Alles
Gute kommt von Gott.
Segne
du die Lehren,
Die
wir, o du guter Gott!
Jetzt
so reichlich hören.
Segne
du an uns dein Wort,
Daß
wirs tätig ehren,
Dann
wird sich in unserm Ort
Tugend
schnell vermehren.
F.E.
v. Rochow (1734 - 1805) verfaßte dieses Gebet für das Lesebuch "Der
Kinderfreund" und gibt mit seiner religiös-sittlichen
Gehorsamsintention zu, daß der Schulbesuch gerade in der ländlichen
Wirklichkeit nicht beliebt, wenig lehrreich und kaum von den Eltern
akzeptiert war. Er muß Werbung treiben. Wer Stoffverteilungspläne,
Stundentafeln, Prüfungsprotokolle für einzustellende Lehrer und
Visitationsberichte aus der Zeit Friedrich des Großen heute
nachliest, wer Lebensberichte von späteren Freidenkern zur Kenntnis
nimmt, weiß, wie pädagogisch jämmerlich und wie religiös
verkrüppelnd die Wirklichkeit in dumpfen Schulstuben war und wie
beschränkt die Lehrer agierten - gerade damit die religiös und
staatlich gleichermaßen verordnete Kontrollfunktion erfüllt wurde.
Wer
diese Werbung allerdings mit heutiger Werbung, ob in oder vor der
Schule, ob in den wachen, vor-sichtigen Köpfen oder schon ,
verdrängt, im Unterbewußtsein lagernd und wartend auf eine Eruption
- wer hier vergleicht, muß - pardon: müßte - zugeben, dass unsere
Kinder hoffnungslos überfordert sind mit Geplärr, Gedröhn, mit
Ikons und Botschaften, mit Star-Gerülpse und Party-Fun, mit
Gesabber, Gefotze und Milch spritzendem Getittel - wenn die Eltern
nicht massiv und ehrlich und liebevoll ihre Kinder vor dem
organisierten, steuerbegüngstigten Dreck, von den Werbeunholden und
Akustikteufeln selber Kommunikation genannt, kapitulieren wollen.
Werbung ist längst eine Ersatzreligion geworden, ein massives
Wirklichkeitsfilter. Ein hektischer, motivationsstarker
Göttlichkeitsersatz, ein Götze von Mammon und Eitelkeit und,
ICH-Egos, also Dopplungen des Ich-Einsatzes, politisch als ICH-AG
hochgelobt und gehandelt. Die ICH-AG.s sind, im ungünstigen Fall,
längst Kampf-AG.s., ausbeutbare Produkte in einer verlogenen Welt,
[Anonym:]
Gebet
bei Schulprüfungen für kleinere Kinder ]
O
Vater in dem Himmel droben,
Erhöre
Deiner Kinder Fleh'n,
Die
wir zu Deines Namens Ehre
Auch
heute hier versammelt steh'n.
Beklommen
sind die kleinen Herzen
In
dieser Stund' der Rechenschaft,
So
gib uns Deiner Güte Segen,
Leih'
unsrer Schwäche Deine Kraft!
Das
in einer Sammlung von Gelegenheitsgedichten und didaktischen Sprüchen
enthaltene Gebet preist das Abhängigkeitverhältnis von oben nach
unten, das besonders in Prüfungssituationen des erbaulichen Trostes
bedarf. Der einfache, steigende Rhythmus, die Gefälligkeit der
Worte, die direkt konkrete Benennung und das freundlich-kindliche
Verhältnis vom liebenden Vater zum gehorsamen Kind haben eine
Sicherheit verleihende Suggestion und eine beruhigende Kraft, die
heutzutage manchmal medizinisch als psychische Sedierung, als
Bewältigung des Kreativen rezeptiert werden oder Versuche mit
autogenem Training nahelegen. Wieviel Mühe, Reflexion und Versuch
und Irrtum kostet uns die früher selbstverständliche Religion!
Ludwig
Eichrodt:
Lehrsachen
Hilf
Himmel, daß die Jugend
In
Ehrfurcht oder Tugend
Auf
dieser schlimmen Erde
von
uns erzogen werde.
Durch
rührende Geschichten
Laßt
uns sie unterrichten,
Denn
lehrendes Erzählen
Wirkt
sehr auf junge Seelen.
Zum
Predigamtsgeschäfte
Gib
auch dem Pfarrer Kräfte,
Daß
er uns, wenn wir schwitzen,
Mag
eifrig unterstützen.
Seid
auf der Hut vor Kindern,
Rühmt
euch, gleich Bürstenbindern,
Nicht
eignet Übeltaten,
Sonst
müssen sie mißraten.
Ja
machet sie verehren
Des
Pfarrers fromme Lehren,
Daß
sie ihn, frei von Sünden,
Im
Himmel wiederfinden. ]
Ludwig
Eichrodt:
Das
arme Dorfschulmeisterlein
Willst
wissen du, mein lieber Christ,
Wer
das geplagtste Männlein ist?
Die
Anwort lautet allgemein:
Ein
deutsches Dorfschulmeisterlein.
Noch
eh der Hahn den Tag begrüßt
Und
alles noch der Ruh genießt,
Hängt's
schon am Morgenglöckelein,
Das
arme Dorfschulmeisterlein.
Von
diesem Frühgeschäfte matt,
Wen
wundert's, daß es Grimmen hat,
Drum
schluckt's ein Tröpfchen Branntewein,
Das
arme Dorfschulmeisterlein.
Befindet
sich's bei einem Schmaus,
So
heißt's, wenn's kaum zur Tür hinaus:
Es
ißt, es trinkt, es steckt auch ein,
Das
arme Dorfschulmeisterlein.
Oft
macht's der Pfarrer ihm zu bunt
Und
läßt ihm keine Ruhestund.
Was
will's? es muß gehorsam sein,
Das
arme Dorfschulmeisterlein. ]
Dieter
Leisegang:
Warum
Warum
weint dieses Kind?
Freilich
Die
der Grund sind
Sagen:
Grundlos
(April 1971) ]
N.N.:
Was glaubst du wohl, mein lieber Christ ]
[Anonym:]
Sprichwort
für Kinder ]
Aller
Anfang ist schwer
Dies,
Kind, sei dir zum Trost gesagt,
Wenn
heute dich das Lernen plagt.
Sogar
der Herr Lehrer, so gut er's kann,
Fing
einst das Lesen mit Seufzen an.
Solche
Sprichwörter, religiöse Sprüche, Abwandlungen von geistlichen
Sätzen mußten auswendig gelernt werden und sind häufig auch als
Fleißkärtchen gedruckt worden, die einen lernpsychologisch
wichtigen Einsatz von Belohnungen darstellten. Eigenartig, daß in
diesem Sprüchlein die dritte Verszeile eine rhythmische
Stolperstelle bietet, weil der Lehrer unbedingt als "Herr"
angeredet werden muß. Ob der Trost funktionierte, der nur in einem
kleinen Aspekt eine menschliche Gemeinsamkeit zwischen Lehrer und
Schüler aufblitzen ließ?
Theodor
Däubler:
Der
tote Lehrer ]
Vom
lieben Monde blickst du noch hernieder.
Als
Silberspinne wiegst du jedes Blatt.
Du
blinkst und fliegst, du bist das Lichtgefieder
Der
Taube, die das seltne Zartsein hat.
Du
bist die Stille vor dem Sternenfrieden,
Die
auch im Winde lebt, in Linden, oft im Licht.
Du
bläulichst sanft in leichten Perlenunterschieden,
Du
bist der sachten Andachtsherkunft Taugesicht.
So
sieh mich nicht so deutlich an, ich leide!
Von
manchem Schimmerblatte kennst du mich genau.
Ich
leide: nun bemerkt mich wohl die ganze Heide.
Ich
gipfle bald aus Scham im eignen Traumesbau.
Ich
liebe dich in jedem kleinen Tiere.
Jetzt
zitterst du mir nach. Du kennst mich immer mehr.
Wenn
ich dabei das Wittern um mich selbst verliere,
So
rette mich. Du Glanz. Dein Glanz ist mir zu schwer.
Wie
flimmerst du so nah! Du triffst mich in die Seele.
Blauäugelst
du? Wer blickt mich alt und herzlos an?
Ich
weiß ja, daß ich Tier bin, schlecht bin, mich verfehle.
Dein
Strahl ist Stahl. Du hältst mich hart im Bann.
Ich
kann nicht weg. Ich stehe zwischen hellen Flüssen.
Ich
bin ein Tier. Es hält mich eine Kette fest.
Gespenst,
laß ab, mit den gepreßten Silberküssen,
Die
du so fest, zu fest auf mein Erdulden preßt.
Ich
trachte das Geklirr mit Macht vom Leib zu reißen.
Doch
etwas hält mich fest. Vielleicht ein blauer Gaul?
Ich
wills versuchen, mich von Klammern freizubeißen,
Doch
ich verwirre mich in einem Knotenknaul.
Rudolf
Tarnow:
De
schew Globus
Rudolf
Tarnow:
Rewolutschon
in de Schaul
Johann
Wolfgang von Goethe:
Ein
Meister einer ländlichen Schule ]
Ein
Meister einer ländlichen Schule
Erhob
sich einst von seinem Stuhle,
Und
hatte fest sich vorgenommen
In
bessere Gesellschaft zu kommen;
Deswegen
er, im nahen Bad,
In
den sogenannten Salon eintrat.
Verblüfft
war er gleich an der Tür,
Als
wenn's ihm zu vornehm widerführ;
Macht
daher dem ersten Fremden rechts
Einen
tiefen Bückling, es war nichts Schlechts,
Aber
hinten hätt er nicht vorgesehn,
Daß
da auch wieder Leute stehn,
Gab
einem zur Linken in den Schoß
Mit
seinem Hintern einen derben Stoß.
Das
hätt er schnell gern abgebüßt;
Doch
wie er eilig den wieder begrüßt,
So
stößt er rechts einen andern an,
Er
hat wieder Jemand was Leids getan.
Und
wie er's diesem wieder abbittet,
Er's
wieder mit einem andern verschüttet.
Und
komplimentiert sich zu seiner Qual,
Von
hinten und vorn, so durch den Saal,
Bis
ihm endlich ein derber Geist
Ungeduldig
die Türe weist.
Möge
doch mancher, in seinen Sünden,
Hievon
die Nutzanwendung finden.
*
Friedrich
Hölderlin:
Dankgedicht
an die Lehrer ]
Uns
würdigte einst eurer Weisheit Wille,
Der
Kirche Dienst auch uns zu weihn,
Wer,
Brüder, säumt, daß er die Schuld des Danks erfülle,
Die
wir uns solcher Gnade freun?
Froh
eilt der Wanderer, durch dunkle Wälder,
Durch
Wüsten, die von Hitze glühn,
Erblickt
er nur von fern des Lands beglückte Felder,
Wo
Ruh und Friede blühn.
So
können wir die frohe Bahn durcheilen,
Weil
schon das hohe Ziel uns lacht
Und
der Bestimmung Sporn, ein Feind von trägen Weilen,
Uns
froh und emsig macht.
Ja,
dieses Glück, das, große Mäcenaten,
ihr
schenkt, soll nie ein träger Sinn
Bei
uns verdunkeln, nein! verehren Fleiß und Taten,
Und
Tugend immerhin.
Euch
aber kröne Ruhm und hohe Ehre,
Die
dem Verdienste stets gebührt,
Und
jeder künftge Tag erhöhe und vermehre
Den
Glanz, der euch schon ziert.
Und
was ist wohl für euch die schönste Krone?
Der
Kirche und des Staates Wohl,
Stets
eurer Sorgen Ziel. Wohlan, der Himmel lohne
Euch
stets mit ihrem Wohl.
*
Heinrich
Hoffmann von Fallersleben:
Der
Weg zur Schule ]
Im
Winter, wenn es frieret,
Im
Winter, wenn es schneit,
Dann
ist der Weg zur Schule
Fürwahr
noch mal so weit.
Und
wenn der Kuckuck rufet,
Dann
ist der Frühling da,
Dann
ist der Weg zur Schule
Fürwahr
noch mal so nah.
Wer
aber gerne lernet,
Dem
ist kein Weg zu fern:
Im
Frühling wie im Winter
Geh'
ich zur Schule gern.
Heinrich
Hoffmann von Fallersleben (1798 -1874) hat neben seiner dem Jungen
Deutschland nahestehenden, politischen Lyrik (vgl. sein "Lied
der Deutschen") viele Natur- und Kindergedichte zu gemüt- und
humorvollen Themen und in schlichten Tönen verfaßt, zur
Unterhaltung, zu Nutz und frommen. "Der Weg zur Schule" ist
im Zusammenhang mit liberalen und bürgerlichen Tendenzen zu sehen,
die schulische Ausbildung zu verbessern und individuell stärker zu
nutzen für die individuellen Chancen; von hier aus bis zu der These
der Arbeiterbewegung "Wissen ist Macht" ist kein weiter
Weg. Im Zusammenhang mit der durchaus politisch zu verstehenden
Jahreszeitenmetaphorik (Winter = Restauration; Frühling =
Veränderung und politischer Aufbruch) soll in diesen einfachen
Volksliedstrophen die individuelle Lernbereitschaft gefördert
werden.
Johann
Wilhelm Ludwig Gleim:
Die
Schule ]
Kinder!
habt nur Lust zum Lernen;
Seht,
es fehlt euch nicht an Lehrern:
Feuer,
Wasser, Luft und Erde,
Alles
kann Euch unterrichten.
Lernet
denn und werdet klüger:
Löwen
lehren tapfer streiten;
Adler,
kühn und mutig fliegen;
Biber
lehren sicher bauen,
Bienen
suchen Süßigkeiten,
Spinnen
lehren fein zu spinnen;
Aber
ja vor allen Dingen
Lernt
von mir und meinem Mädchen
Küsse
geben, Küsse nehmen!
Seht
nur her: wir halten Schule!
J.G.
Gleim (1719-1803), in der Aufklärungszeit fruchtbarer Lehrer,
Geistlicher und Liedautor, z. B. Freund Lessings, stellt in diesem
Lehrgedicht den Menschen in einen Zusammenhang mit natürlichen
Vorbilder: der vier Elementen und der fabelhaft auffälligen Tiere,
vom Löwen bis zur Spinne. Daß der Löwe als Herr im Tierreich
selbstverständlich mit dem (despotischen) Herrn und König des
eigenen Landes übersetzt wurde, gehört zu den pädagogischen, schon
volkstümlichen Selbstverständlichkeiten im Ausgang des 18.
Jahrhunderts. Daß auch das Küssen und Liebesspiel als vorbildliches
Verhalten eigens wie in der Schule gut geheißen und demonstriert
werden, ist ein Beispiel für die sinnenfreudige Kultur der
Aufklärung: Emanzipation auch im emotionalen und sinnlichen Bereich,
nicht nur im sozialen und politischen.
Johannes
Staub:
Die
Schule ]
Wer
geht dort in die Schul'?
Die
Knaben und die Mägdelein,
Sie
stellen sich zum Lernen ein;
Die
gehen in die Schul'.
Wann
geht man in die Schul'?
Des
Morgens, wenn man froh und frisch,
Dann
wieder nach dem Mittagstisch;
Da
geht man in die Schul'.
Wie
geht man in die Schul'?
Das
Ränzchen auf den Rücken g'schnallt,
Das
Frühstück in der Tasche halt;
So
geht man in die Schul'.
Was
braucht man in der Schul'?
Ein
Täfelchen und Stift und Buch,
Papier
und Feder, das ist g'nug;
Das
braucht man in der Schul'.
Was
lernt man in der Schul'?
Man
rechnet brav und liest und schreibt,
Damit
man nicht ein Dummkopf bleibt;
Das
lernt man in der Schul'.
Johannes
Staub (1813 - 1800) besingt frischfrommfröhlich (aber nicht frei)
die Schule, in der man sich schlau machen kann, als Ort der
Lernbereitschaft, der zufriedenen und braven Kinder, des sinnvollen
Lernens. Solche affirmativen Texte, solche Glaubensvorschriften
basieren jedoch (fast) immer auf einer Ideologie, die die
beschriebene Wirklichkeit erst hergestellt werden muß. Intention
solcher Sprüchlein, Gebete und Litaneien, egal ob im kirchlichen
oder im öffentlichen Bereich, ist die affektive Mobilisierung der
Probanden, um auf dem Umweg der Verheißung die Wirklichkeit erst
herzustellen. Die realistischen Verhältnisse schlagen nicht zu Buch;
der dogmatisch einheitliche Blick schert sich nicht um die Realität;
die Verfügbarkeit hier der Schüler (und erstmals auch der
Schülerinnen; siehe das erwähnte "Mägdelein") muß
gesichert sein für die Herrschaft; das Wissen darum steht nicht auf
der Tagesordnung; die emotionale Bereitschaft und Unterordnung ist
gewollt, sie wird verbrämt im einfachen Ton, im Volksliedvokabular.
Der Text entstammt einem Kinderbüchlein, das besonders in der
Schweiz verbreitet war, um angeordnetes Verhalten zu popularisieren.
*
Karl
Kossert:
Heide,
Gaesdonck, Klosterpforte
Heide,
Gaesdonck, Klosterpforte.
Dreimal
warme Suppe täglich
und
Latein, soviel du magst.
Später
auf den Hohen Schulen
lernst
du, Disputationen
schreiben
über Medizin.
Oder
über Kirchenväter
oder
römische Pandekten
oder
Aristoteles.
Willst
du deine Füße sicher
durch
das Kraut der Zweifel lenken,
hör
der Fraterherren Wort.
Doch
willst du die Ehrenhändel
mit
dem Satan selbst ausfechten,
lauf
den Fraterherren fort. ]
Christian
Morgenstern:
Der
Werwolf
Ein
Werwolf eines Nachts entwich
von
Weib und Kind und sich begab
an
eines Dorfschullehrers Grab
und
bat ihn: "Bitte, beuge mich!"
Der
Dorfschulmeister stieg hinauf
auf
seines Blechschilds Messingknauf
und
sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig
kreuzte vor dem Toten:
"Der
Werwolf", sprach der gute Mann,
"des
Weswolfs, Genitiv sodann,
dem
Wemwolf, Dativ, wie man's nennt,
den
Wenwolf, - damit hat's ein End."
Dem
Werwolf schmeichelten die Fälle,
er
rollte seine Augenbälle.
"Indessen",
bat er, "füge doch
zur
Einzahl auch die Mehrzahl noch!"
Der
Dorfschulmeister aber mußte gestehn,
daß
er von ihr nichts wußte.
Zwar
Wölfe gäb's in großer Schar,
doch
'Wer' gäbs nur im Singular.
Der
Wolf erhob sich tränenblind -
er
hatte ja doch Weib und Kind!!
Doch
da er kein Gelehrter eben,
so
schied er dankend und ergeben. ]
*
Albrecht
Goes:
Der
Schulweg ]
Nächtens
ist ein Schnee gefallen,
Mehr
ein Flaum als gleich ein Fuder,
Und
er liegt - nur eben leichthin
Unsren
breiten Dorfweg deckend
Unversehrt
noch zu der Stunde,
Da
sich Weiß und Nachtblau mischen
Mit
dem kargen Licht der Frühe
Morgens
um dreiviertel acht Uhr. -
Sieh,
da treten aus den Häusern
Rechts
und links, hüben und drüben,
Buben,
Mädchen, kleine, große,
Blonde,
dunkle, jeden Alters.
Da
trägt wer behäbig seinen
Sturmerprobten
Lederranzen,
Prall
gefüllt mit bunter Weisheit;
Während
dort die schwarze Gretel
Tausendeilig
ihres Wegs huscht,
Huscht
wahrhaftig in Pantoffeln,
Neben
ihr der kleine, kecke
Bruder
Wolfgang, ABC-Schütz,
Und
er hüpft und hat es wichtig.
Beide
stoßen sie am Backhaus
Auf
den ältesten und ersten Schüler
von
der achten Klasse Namens Martin.
Seht
ihn laufen Großen Schritts -
gleich
wird es schlagen -
Aber
dennoch voller Würde,
Stolz
und seiner Sache sicher,
Recht
von Herzen unbekümmert
Um
die flinken, grünen Schnäbel,
Die
sich rings um ihn her regen.
Und
nun, da der Schulberg anhebt,
Kommen
sie uns aus den Augen,
Schmächtige
und wadenfeste
Wanderer
zu Lob und Tadel.
Ja,
jetzt sind sie ganz verschwunden,
Alle
bis auf einen Spätling,
Der
noch heiß den Berg hinankeucht;
Und
es weht sein Bubenmantel,
Seine
Mütze weht desgleichen,
Das
geschnürte Weisheitsbündel
Ist
in stürmischer Bewegung. -
Halt!
er hat den Berg erklommen
Eben
mit dem achten Schlage,
Sieghaft
schöpft er neuen Atem,
Sieg
auch winkt der Tafelwischer,
Und
Triumph das Lineal.
*
Heinz
Piontek:
Erscheinung
eines Schulrats ]
(Adalbert
Stifter)
Was
er schrieb, ist mir böhmisch,
ihr
Leser, Geisterseher!
Sicher
hätte er gern am Bache gewohnt,
Haare
geschnitten, geweissagt, Diebe
gebannt,
Quellen gefunden,
Zeichen
gebrannt.
Eine
Linzer Magd trug ihm
nach
dem Schuldienst den Braten auf,
trummweise.
Er
reagierte mit der Genauigkeit
eines
hypochondrischen Thermometers.
Der
Berg Kirchschlag war ihm das liebste.
Fast
ideal hat er Wälder,
die
bis in unsere Brust sich verzweigen,
in
Blei gießen lassen:
den
grünen Augenaufschlag von Sätzen
für
immer.
An
einem Morgen dann
außer
dem Schmerz wirklich
nichts
als ein Messer.
*
Heinz
Piontek:
Schulrat
in Böotien
]
*
F.
C. Delius
Schulreform
Nach
einem Schulausflug wurde
ein
Lied vergessen im Wald.
Nun
singt es im Urtext
unter
dem Beifall der Förster:
Alle
Vögel sind
Amsel,
Drossel, Fink.
Bis
es im nächsten Frühjahr
abgeholt
und
samt
dem Tenor des Lehrers
wieder
eingestellt wird in den Schuldienst. ]
Delius'
(geb. 1943) bekanntestes und häufig nachgedrucktes Montagegedicht
zum Stichwort Schulreform bringt am ver-rückten Beispiel eines
Volksliedes die Zufälligkeit und den späteren, restaurativen
Zugriff auf die Natur und das Leben in der Schule zum widerspenstig
erstaunten Ausdruck.
Jürg
Laederach:
Andere
Mitten, andere Sitten.
Quelle
unbekannt]
Wolf
Wondratscheck:
Hotel
"Zum Deutschunterricht" ]
Dieses
Hotel gehört dem Staat.
Wer
hier ein Zimmer will, ist schon tot.
Wahnsinnige
sind unerwünscht, Staatsfeinde auch.
Das
Beste sind ruhige Dauergäste.
Hier
kommen Lebende nicht rein.
Verfolgte
finden kein Asyl.
In
diesem Staat muß Ruhe sein,
koste
es, was es will.
Gestern
wurde Goethe beerdigt.
Heute
ist Schiller dran; das ist Hauspolitik.
Büchner
bleibt draußen. Begründung: kein Zimmer.
So
geht es allen, die dem Personal nicht gefallen.
Die
Fenster bleiben geschlossen.
Im
Garten Gewächshäuser, wo man Gräber anpflanzt.
Ein
Requiem für Radikale, gesungen.
Revolutionen
werden getanzt.
Alle
Zimmer sind mit schalldichtem Elfenbein ausgestattet.
Fenster
- mit Blick nach innen.
Hier
bleibt selbst der Alkohol,
den
du saufen kannst, wirkungslos.
In
der Lobby schaukelt es wie auf einem Schiff,
mal
diese, mal jene Woge. Wenn man auf einem Riff gestrandet ist, hilft
nur noch die Droge.
Mondschein
auf Weimar, Krieg auf dem Mond.
Darüber
ein leeres Zimmer, unbewohnt.
Kafka's
Labyrinth. Kahle Wände.
Wachzustände,
die nicht zu stoppen sind.
Selbst
an der Bar bleibt Kafka unsichtbar.
Dagegen
sieht man Bertolt Brecht
auch
dann, wenn er verreist ist. Er bewohnt auf Staatskosten im Osten eine
ganze Suite und schreibt,
für
den Fall eines Feuers, seine Gesänge auf Notausgänge.
Die
Romantiker pokern ums Gefühl,
die
Realisten ums letzte Hemd.
Jagt
das ganze Hotel in die Luft!
Den
Menschen gebt Flügel, auf die Erde zu kommen.
Was
läßt sich lernen, wenn das Beil fällt
vom
Körper den Kopf zu entfernen?
Was
soll man sagen vor Gericht, wenn das Gesetz sagt: Schweigen ist
Pflicht?
Wohnt
hier Diotima?
Wer
ist noch nicht von Gottfried Benn verarztet?
Hölderlin
deutet über die Himmel
in
Abgründe.
*
Melanie
Schaefer:
Schule
Ich
sitze im Klassenzimmer
und
peile aus dem Fenster.
Der
Pauker vorn
lallt
mir ein Ohr ab.
Andauernd
fahren
Autos vorbei.
Ich
glotze auf die Uhr:
noch
zehn Minuten.
Ich
peile wieder aus dem Fenster.
Der
Lehrer nimmt mich dran.
Ich
weiß nicht,
wo
ich dran bin.
Auf
dem Parkplatz parkt ein Auto ein.
Der
Lehrer lallt immer noch.
Ich
glotze auf die Uhr:
noch
drei Minuten.
Ich
packe meine Tasche zusammen.
Jetzt
fährt eine Mühle vorbei.
Endlich.
Es
klingelt. ]
Nach
dem Muster moderner Alltagslyrik und im freien Prosarhythmus hat die
Schülerin Melanie Schaefer assoziativ Impressionen gesammelt, die
von jungen Menschen leicht und gern nachvollzogen werden können. Die
konsequente Perspektive dieser Ich-Figur führt dazu, daß sich der
junge Leser mit der eingeschränkten Wahrnehmung, einschließlich der
unangenehmen und unwillkommenen "Störung" durch den
Lehrer, identifizieren kann. Der lyrische innere Monolog spiegelt die
Situation einer unmotivierten Schülers bzw. einer solchen Schülerin,
da eine geschlechtsspezifische Wahrnehmung oder ein spezielles
Interesse nicht registriert wird. [Eine Quelle dieses Textes ist mir
nicht bekannt; es wurde mir von einer Schülerin mitgebracht, die
sich zur Situation der lyrischen Ich-Figur bekannte: "So wie im
Gefängnis ist es manchmal im Unterricht. Ich könnte das auch
schreiben." Dann haben wir im Unterricht den Text, vornehmlich
unter inhaltlichen Aspekten besprochen.]
Robert
Reinick: Deutscher Rat ]
Robert
Reinick (1805 bis 1852):
Der
Faule
Heute
nach der Schule gehen,
da so
schönes Wetter ist?
Nein,
wozu denn immer lernen,
was
man später doch vergisst?
Doch
die Zeit wird lang mir werden,
und
wie bring’ ich sie herum?
„Spitz,
komm her! Dich will ich lehren,
Hund,
du bist mir viel zu dumm!
Andre
Hund’ in deinem Alter
können
dienen, Schildwach stehn,
können
tanzen, apportieren,
auf
Befehl ins Wasser gehn.
Ja,
du denkst, es geht so weiter,
wie
du’s sonst getrieben hast.
Nein,
mein Spitz, jetzt heißt es lernen,
Hier!
Komm her! Und aufgepasst!
So,
nun steil dich in die Ecke,
hoch
den Kopf zu mir gericht't!
Pfötchen
geben! So! Noch einmal!
Sonst
gibt's Schläge! Willst du nicht?
Was?
Du knurrst? Du willst nicht lernen?
Seht
mir doch den faulen Wicht!
Wer
nichts s lernt, verdienet Strafe,
kennst
du diese Regel nicht?„
Horch,
wer kommt? Es ist der Vater.
Streng
ruft er dem Knaben zu:
„Wer
nichts lernt, verdienet Strafe!
Sprich,
und was verdienest du?"
Johannes
Staub: Die Schule
Abgesang
der Schulzeit
[Anonym]
Schule
Dieses
von einem Schüler oder Schülerin aus einer 8. Klasse verfaßte und
anonym in einer Schülerzeitschrift veröffentlichte Gedicht
kursierte durch viele Gespräche und durch das sogenannte Schulleben.
Dieses lyrische Ich zeigt sich durch eine Vielfalt von Bildungsfetzen
aus fast allen möglichen Unterrichtsfächern erschlagen und wehrt
sich mit diesem Protestgedicht in einer originellen, ja virtuosen
Montageform.
Es
lohnt sich für Lehrer und Schüler, die lyrischen Stilmittel, die
hier Fachtermini und Eigennamen verbinden, in einer Analyse zu
erarbeiten.
[Anonym:]
Die Schule, meinst du, sei nur bitt're Plage? ]
Die
Schule, meinst Du, sei nur bitt're Plage?
Mit
ihr, so glaubst Du, sind vergeudet manche Tage?
Du
haßt den Zwang, den sie Dir auferlegt?
Sie
weiß kein Echo für das, was Dich bewegt?
Bedenke
doch, was sie Dir alles geben kann
für
später, wenn Du einst ein Mann
Bildung,
Wissen und den guten Geist,
der
Dir den rechten Weg zu einer Laufbahn weist,
wie
Du oft in Gedanken sie erträumst.
Du
magst die Schule nicht? Bedenk', was Du versäumst!
Ein
kleines Gedicht, das sich recht bescheiden in die Seele eines
Schülers (aber keiner Schülerin!) zu versetzen sucht, um
Motivationsprobleme zu beheben! Manch ein/e Lehrer/in mag diesen Text
in Schüler-Poesiealben eingetragen haben. Geschadet hat's wohl
nicht; doch genutzt? Die konventionelle Benennung von "Bildung,
Wissen... guten Geist" erlauben es nicht gerade, phantasievolle
Prozesse mithilfe der Sprache in Gang zu setzen. Aber Alltagsbrot
füllt auch den hungrigen Magen.
Ernst
Jandl:
ein
schulmädchen ]
James
Krüss: Affenschule ]
Ein
Affenfelsen, irgendwo,
Ein
Fels und eine Kuhle,
Zum
Beispiel hier bei uns im Zoo,
Ist
auch die Affenschule.
Dort
lernt ein jedes Affenkind,
Sich
richtig zu verhalten.
Es
lernt dort früh, was Flöhe sind,
Und
Demut vor den Alten.
Es
lernt, wie man die Schaukel packt,
Es
lernt, wie man am besten
Die
Läuse und die Nüsse knackt,
Und
wie man turnt an Ästen.
Es
lernt, daß es nicht wichtig ist,
Wenn
Menschenaugen gaffen,
Und
daß Gehorsam richtig ist
Vor
einem Oberaffen.
Es
lernt, wie man Bananen schält,
Es
lernt von seiner Mutter,
Daß
man zum Scherz nie Menschen quält;
Denn
Menschen bringen Futter.
Willst
du ein rechter Affe sein,
Dann
brauchst du keine Schule.
Du
brauchst in unsrem Zoo allein
Den
Felsen und die Kuhle.
*
James
Krüss:
Der
Sperling und die Schulhofkinder
Ein
Sperling, der von ungefähr
Zu
einem Schulhof kam,
Erstaunte
über das, was er
Auf
diesem Hof vernahm.
Ein
Mädchen sprach zu Meiers Franz:
»Du
alter Esel du!«
Da
sprach der Franz: »Du dumme Gans
bist
eine blöde Kuh!«
Der
Walter sprach zum dicken Klaus:
»Mach
Platz, du fetter Ochs!«
Da
rief der Klaus: »Du fade Laus,
Paß
auf, daß ich nicht box!«
Zum
Peter sprach Beate nun:
»Du
Affe, geh hier weg!«
Da
rief der Peter: »Dummes Huhn,
Ich
weiche nicht vom Fleck!«
Der
Sperling meint, er hör nicht recht.
Es
tönte allenthalb:
»Du
Schaf! Du Floh! Du blöder Hecht!
Du
Hund! Du Schwein! Du Kalb!«
Der
kleine Sperling staunte sehr.
Er
sprach: »Es schien mir so,
Als
ob ich auf dem Schulhof wär;
Doch
bin ich wohl im Zoo!«
*
Oskar
Loerke
Das
Segelschiff des Knaben
Es
stand im elterlichen Birkenschranke
Hinter
Kram und Glas,
Aber
seine Planke
War
vom Räubermeere naß.
Durch
Bauernmohn und Balsaminen
Glückselig
schwebend, schnitt sein Kiel,
ihm
nachzustaunen, war im Knabenspiel
Dein
erstes ernstes Dienen.
Und
saß dein Kinderschopf gefangen
In
Staub- und Schulgeruch -
Schon
wieder: die Matrosen sangen
Durch
das Vokabelbuch.
Und
einmal waren alle tot.
So
kam das Schiff gezogen,
Als
um dein ländlich frühes Abendbrot
Septemberwespen
flogen.
Es
fuhr, wo es nicht mehr den Wal gelüstet,
Zu
schwimmen, aber da bliebst du bei ihm,
Die
Segel brausten, in den Wind gebrüstet,
Wie
Haufen weißer Cherubim.
-
Noch fliegt die Wespe. Noch bist du bereit,
Den
alten Segler heimzusteuern
In
dichte, wilde Ewigkeit:
Du
hörst dorther ganz fern Salute feuern.
Felix
Ritter:
Abgesang
der Schulzeit ]
Herr
Lehrer und Frau Lehrerin,
auf
Wiedersehn, lebt wohl!
Ihr
saht in unsren Köpfen drin
nur
Rüben, Kraut und Kohl!
Da
habt ihr uns als Gärtnersleut
beschnitten
und gestutzt.
Und
glaubt uns - wir sind ehrlich heut -
es
hat auch was genutzt!
Das
Leben wird als Gärtnersmann
uns
stutzen noch und noch.
Dann
denken wir vielleicht daran:
Wie
nützlich wart ihr doch!
*
Ralf
Rothmann:
Schulzeit
Im
Klassenzimmer der Lehrer
faßt
an das Ohr der Schülerin (Silvia)
zieht
und
dreht.
So
einfach wie du es dir machst
ist
das Leben nun doch nicht
Schlampe.
Zu
Hause im Keller
zwischen
zwei Fingern
hält
der Vater den Kopf der Taube.
Zieht
und
dreht.
So
einfach wie Entkorken.
Ralf
Rothmann:
Schulzeit
2
Mit
bunter Kreide malt
die
Lehrerin der Klasse
das
Paradies an die Tafel
(incl.
Apfel Schlange Feigenblatt).
Krüger
schießt
Papierkugeln
ins Haar der Mädchen.
Krüger,
dem die Mutter die Turnschuh
mit
Zahnpaste weißt.
Zur
Strafe muß er runter
zum
Hausmeister
noch
grüne Kreide holen.
Helga
M. Novak:
Ballade
vom twölften Schock ]
Helga
M. Novak: (geb. 1935)
Volker
Braun:
Der
sechzehnjährige Lehrer Manuel Ascunce
Volker
Braun (geb. 1939):
Erich
Fried (1921 - 1988):
Denkaufgabe
Erich
Fried (1921 - 1988):
Alter
Schulweg
Auf
dieser Straße
Wo
sie laut drohten
Jahre
bevor sie kamen
WARTE
NUR
Habe
ich nicht gewartet
Auf
dieser Straße
Droht
das vergangene lautlos
Jahre
nachdem es verging
WARTE
NUR
Und
ich warte
Gerd
Herholz:
der
lehrer
Gerd
Herholz:
nicht
Peter
Schütt:
Schulzeugnis
Peter
Schütt:
Die
Ballade von der arbeitslosen Lehrerin ]
Werner
Dürsson:
Chewing
Gum
Werner
Dürsson:
Beschwörung
Helmut
Lamprecht:
Deutschstunden
Astrid
Tümpel:
hausaufgaben
hick
hack wir
wollen
hack hack immer
nur
hick hack hick hack dein
bestes
hack hack nu gib
schon
hack waste kannst
*
Katrine
von Hutten:
Drei
Fragen als Antwort
Der
neue Lehrer will sich
lieb
Kind machen
und
fragt in der 1. Stunde
"Du
da, du mit dem gelben Hemd,
wärst
du lieber ein Kanarienvogel
oder
ein Postauto?"
Das
Mädchen steht auf und fragt zurück
"Ein
Postauto in welchem Land?
Und
welches Baujahr? Und der Vogel,
ist
der im Käfig oder frei?"
Bläck
Föös: (nach einem Volkslied):
En
d'r Kayjass Nummer Null
En
d'r Kayjass Nummer Null
steiht
en steinahl Schull
Un
do hammer dren studeet
Unsere
Lehrer, da heeß Welsch,
sproch
e unverfälschtes Kölsch
Un do
hammer bej jelihrt,
Jo un
meh han off hin un her üvverlaat
Un
han dör dä Lehrer jesaat:
Nä,
nä, dat wesse mer ni mih,
jan
bestemp nit mih.
Un
dat hammer nit studeet.
Denn
wer worre beim Lehrer Welsch en d't Klass
Do
hammer sujet nit jelihrt
Dreimol
Null es Null es Null
Denn
wer woren en d'r Kayjass en d'r Schull
Dreimol
Null es Null es Null
Denn
wer woren en d'r Kayjass en d'r Schull...
Es en
Schiev kapott, es ene Müllemer fott,
Hät
d't Hung am Stätz en Dos' -
Kütt
ene Schutzmann anjerannt
Hät
uns sechs dann usjeschant
Loriot:
Deutsch
für Ausländer ]
Hermann
Hettche:
dem
lehrer des deutschen
]
*
Klaus
Fleischer:
Irgendwo
]
*
Charlotte
Bennecke:
Sechste
Stunde ]
*
Guntram
Vesper:
Der
Schulhof ]
*
Guntram
Vesper:
Taubengeruch
]
*
Guntram
Vesper:
Sonntagsschule
*
Hans
Jörg Martin:
Klassen-Lehre
*
Hans
Jürgen Heise:
Zehn
Schritt vorwärts
]
*
Richard
Limpert:
Für
meinen Sohn
Greif
verwegen nach den Sternen
Aber
lernen, nochmals lernen
Dixie,
Folk- und Beat-Band-Weisen
Mit
dem Jugendclub verreisen
Ist
besser als der Marsch von gestern
Auch
wenn die von gestern lästern
Greif
zu Buch, und nicht zum Messer
Sei
doch klug, und mach es besser!
(als
wir Alten) ]
Josef
Reding:
Nanu?
]
Die
Kinder der Schulklasse sieben
haben
ein Zeugnis geschrieben
für
jeden im Haus.
Und
was kam heraus:
drei
Lehrer sind sitzengeblieben!
*
Marieluise
Bernhard von Luttitz:
Limerick
]
Ludwig
Fels:
Schulaufsatz
]
Ludwig
Fels:Anpassung ]
Michail
Krausnick:
Und
nichts zu suchen.]
Jürgen-Peter
Stössel:
Lektion
]
Arnfrid
Astel:
Ein
Lehrer mit Berufsverbot.
Arnfrid
Astel:
Das
Letzte
]
*
Arnfrid
Astel:
Berechtigte
Frage eines lernwilligen Schülers an seinen Lehrer
Wie
kann ich lernen, was Sie wissen,
ohne
zu werden, wie Sie sind?
Arnfried
Astel (geb. 1933), ein bekannter, eigenwillig politischer Autor unter
den deutschen Aphoristikern und Kleinschriftstellern, der mit einem
Satzbau in den Köpfen von Lesern häufig mehr bewegt als
geschwätzige Feuilletonisten. Das Thema der Wissen diktierenden,
autoritären Schule und des leidenden, zum Nachvollzug des Übels
verurteilten Schülers ist Standardbeispiel für sensible Seelen.
Michael
Augustin:
Anschauungsunterricht
*
Michael
Augustin:
Anfrage
*
Josefine
Konietzko:
Rückblende
Theodor
Weißenborn:
Geistlicher
Nachlaß
Adieu,
Gott!
Bald
gehe ich ein
in
meine Sprache.
Aufgehoben
bin
ich in der Grammatik.
Mein
Credo lautet:
Ich
werde gewesen sein. ]
*
Theodor
Weißenborn:
AUS
EINEM DEUTSCHEN LESEBUCH
(1968)
Unser
Bundeskanzler ist 1933
nicht
aus Überzeugung
und
auch nicht aus Opportunismus
in
die NSDAP
eingetreten,
sondern
auf Wunsch seiner Eltern;
und
unser Bundespräsident
hat
keine KZ Baracken gebaut,
sondern
Unterkünfte zum Schutz frierender Häftlinge.
Unser
Bundeskanzler lügt nicht,
und
unser Präsident sagt die Wahrheit.
Das
ist eine lustige Lügengeschichte. ]
Theodor
Weißenborn:
Chemie
und Sozialkunde
Eine
Säure
liebte
ihre Base,
die
ihrerseits die
Neigung
ihrer Cousine
lebhaft
erwiderte.
Beide
ergossen sich
hemmungslos
ineinander,
hoben
sich auf
und
wesen seither
im
chaotischen Grund.
Hausaufgabe
für
die nächste Stunde:
Aufsatz
über das Thema:
"Was
Gott getrennt hat,
soll
der Mensch
nicht
verbinden." ]
Theodor
Weißenborn:
Deutscher
Humor
Unser
Lehrer erzählt uns oft lustige Sachen.
Zum
Beispiel,
wie
er bei Woronesch einmal die Hose verlor
und
wie einmal zwanzig seiner Kameraden
bei
einem Angriff
in
dieselbe machten.
"Überhaupt",
sagt er,
"im
Krieg passieren oft lustige Sachen." ]
Joachim
Fuhrmann:
Busfahrt
]
]
Die
kleinen Gelegenheitsgedichte mit ihren hübschen Provokationen mögen
diese Sammlung beschließen als Hinweis auf eine anspruchsvollere
Poesie-Sammlung. Sie entstanden aufgrund einer
pädagogisch-literarischen Initiative des Verlags Rowohlt, der mit
seiner Taschenbuchreihe rotfuchs vorbildliche Kinder- und
Jugendliteratur auf den Markt brachte. Schule und Erziehung werden
hier schon als dialogischer Prozeß verstanden, der offen und
zukunftsbezogen ist. Schüler sind als Beteiligte charakterisiert,
nicht mehr als selbstverständliche Objekte von privater oder
öffentlicher Erziehung.
Peter
Schütt
Schulzeugnis
Zahl
der Lehrer: ungenügend
Fehlen
der Lehrer: unentschuldigt
Ausbildung
der Lehrer: mangelhaft
Lehrpläne:
siehe Vorjahr
Klassenurteil:
unsere Schule bleibt sitzen -
trotz
Einführung der Mengenlehre
in
der Grundschule
*
Richard
Limpert
Für
meinen Sohn
Greif
verwegen nach den Sternen
Aber
lernen, nochmals lernen
Dixie,
Folk- und Beat-Band-Weisen
Mit
dem Jugendclub verreisen
Ist
besser als der Marsch von gestern
Auch
wenn die von gestern lästern
Greif
zum Buch, und nicht zum Messer
Sei
doch klug, und mach es besser!
(als
wir Alten)
Die
Autoren Peter Schütt (geb. 1939), Richard Limpert (geb. 1922), Josef
Reding (geb. 1929) zeichnen sich durch je verschiedene politische
bzw. soziale Aspekte in ihren Werken aus. Während Schütt auch durch
politische angepaßte Propagandaliteratur bekannt wurde, gehören
Reding und Limpert durch ihre progressiv-kreativen Interessen zum
Umkreis der Industrie- und Arbeiterliteratur im Ruhrgebiet.
*
Hildegard
Wohlgemuth:
Schularbeiten
machen ]
Umstandsbestimmung
des Ortes
An
Auf
Hinter
Neben
in.
Ich
sitz in meiner Stube drin.
Muß
büffeln und schnüffeln
an
auf und in.
Muß
zischen und mischen
an
auf und zwischen
und
ging doch viel lieber
auf
hinter und über
den
Zaun und das Tor
in
zwischen und vor.
Über
Unter
Vor
und zwischen.
Ich
muß es von der Tafel wischen.
Das
Ganze noch mal: An auf im
vor
über unter. Es ist schlimm.
Viel
lieber ging ich vor, statt neben.
Ach,
welch ein Über-, Unter-, Vor- und
Innenleben.
*
Hildegard
Wohlgemuth:
Der
Kirchturm und der Kamin ]
Gestern
schrieb unsere Lehrerin folgendes auf die Tafel hin:
Der
Kirchturm und der Kamin
Sind
die größten Bauwerke in unserer Stadt.
Der
Kirchturm ist grün.
Er
hat eine Kirchturmspitze und einen Dachreiter.
De
Kamin ist rot. Er heißt auch Schlot und
Hat
oben gegen Blitze einen Blitzableiter.
Ob
die beiden auch miteinander reden?
Ich
ging ans Fenster und guckte hinauf
zum
Kirchturm und zum Kamin.
Und
ich sah Wolken und Schwaden
und
Qualm und Rauch
über
unsere Stadt hinziehn.
*
Rosemarie
Künzeler-Behncke:
Schön
]
Sei
schön brav!
Gib
die schöne Hand!
Mach
schön die Hausaufgaben!
Der
Lehrer wird sich schön wundern.
Das
sind schöne Aussichten!
Ich
werde mich schön langweilen.
Du
wirst schöne Augen machen.
Laß
die schönen Worte!
Das
ist kein schöner Zug von Dir!
Du
bist ein schöner Freund!
Von
dir hört man schöne Sachen.
Das
ist eine schöne Bescherung!
Du
hast etwas Schönes angerichtet!
Das
wird ja immer schöner!
Du
bist schön dumm!
Sei
schön lieb!
Na
schön!
SCHÖN!
*
Irmela
Wendt:
Honig
]
In
der Bärenschule
sagt
der Bärenlehrer
zu
den Bärenkindern:
"Bienen
sind nützlich.
Ein
Bienenvolk stellt Honig her.
Honig
ist gut für Bären.
Ein
Bär, der Honig holt,
muß
das Wo und Wann kennen.
Wo
sammeln Bienen Honig?
In
hohlen Baumstämmen.
Wann
holt der Bär den Honig?
Wenn
die Bienen nicht zu Hause sind."
In
der Bienenschule
sagt
der Bienenlehrer
zu
den Bienenkindern:
"Der
Bär ist unser Feind.
Er
klaut Honig.
Wir
bekämpfen Feinde.
Wer
Feinde bekämpft,
muß
das Wo und Wann kennen.
Sobald
der Feind
seine
Tatze an den Honig legt,
gehen
wir zum Angriff über.
Wir
stechen
und
sterben für den Honig. "
"Laßt
uns miteinander
den
Honigfrieden suchen!"
sagt
der Bärenkönig.
"Honigfrieden?
Für wen?"
fragt
die Bienenkönigin.
In
der Bärenschule
sammeln
Bärenkinder
Samenkörner
vom Bärenklau.
Sie
säen den Samen aus.
Junger
Bärenklau wächst.
Junger
Bärenklau blüht.
Bienen
sammeln Bärenklauhonig.
Honig
für Bienen.
Honig
für Bären.
Sie
feiern miteinander
das
Honigfriedensfest.
Drei
Wochen schulfrei
für
Bienen und Bären.
*
Rudolf
Otto Wiemer:
Zwei
Wörter
Zwei
Wörter aus dem Duden,
die
nahmen heut Reißaus.
Sie
waren weg und kamen
auch
abends nicht nach Haus.
Sie
taten sich zusammen
und
wurden ein Verbot,
das
oft von weißen Schildern
wie
Zeigefinger droht.
Denn
sieh, am Morgen standen
sie
vor dem Rasenfleck.
Und
wer sie sah, der stutzte
und
ging gleich wieder weg.
Und
alle Kinder klagten
erschrocken:
«Muß das sein?
Warum
fängt man die Wörter
nicht
endlich wieder ein?»
Doch
als sie vor der Schule
dann
standen starr und stumm,
da
riefen alle Kinder:
«Hurra!»
und kehrten um.
Und
selbst die Herren Lehrer
entfernten
sich geschwind.
Ich
wett, ihr habt erraten,
was
das für Wörter sind!
*
Julius
Becke:
Maria
schickt den Michael auf den Schulweg
]
Morgen
werd
ich dir zeigen,
wie
man den Wecker stellt.
Hier
ist der Ranzen,
dein
Brot,
dein
Mantel.
Den
Schlüssel
mußt
du dir um den Hals hängen.
Beiße
nicht auf deine Nägel, sondern argumentiere, wenn du im Recht bist.
Überhöre Kommandos und schlage dich nicht mit den Verschlagenen.
Nun
geh schon. Du darfst weinen. Dein Vater wollte das nicht lernen.
Claudia
Lehna:
Thomas
überlegt ]
Thomas
überlegt,
was
er jetzt machen will.
Holt
eine Münze.
Was
soll das, fragt seine Mutter.
Wenn
der Adler oben liegt,
gehe
ich ins Kino,
wenn
die Zahl oben ist,
gehe
ich zum Schwimmen,
und
wenn die Münze auf dem Rand stehen bleibt,
mache
ich Hausaufgaben,
erklärt
Thomas.
*
Irmela
Wendt:
Lehrerverse
Ein
Lehrer mit der Endung "in"
ist
eine Frau.
Die
war zu Anfang in der Schule
nicht
erlaubt,
hat
bloß abgestaubt,
als
Reinemachefrau.
Kanonen
gab es schon
und
auch das Telefon,
das
Auto fuhr
und
längst die Eisenbahn,
doch
in der Schule gab's
als
Lehrer nur den Mann ...
bis
er die Waffe nahm,
weil
der Weltkrieg kam.
Seitdem
dürfen allgemein
Frauen
auch Lehrer sein. Das ist mal fein.*
*
"...
ein Glück für die Lippische Volksschule, daß sie den Lehrerinnen
während des Ersten Weltkriegs die Türen öffnete...". Diesen
Satz fand ich in einem Buch: Martin Wolf "Geschichte der
Lippischen Volksschule".
*
Hanna
Hanisch:
An
einem Tag ]
Axel
und ich auf dem Schulhof
brüten
im Schwitzkasten.
Riß
in der Hose,
Dreck
im Gesicht.
Axel
heult.
Ich
pfeife vor Wut.
Zu
Hause: Wie siehst du aus?
Hast
du schon wieder ...
Daß
du mir nie mehr mit dem da,
marsch,
in die Küche!
Am
Telefon streiten sie:
Axels
Vater und meiner.
Axel
und ich auf der Mauer
tauschen
postfrisch und gestempelt
Polen
gegen Uruguay,
Max
und Moritz gegen Apollo acht.
Axel
grinst.
Ich
pfeife mir eins.
Telefonieren
die immer noch?
Volker
Ludwig:
Die
Hauptschullehrerin
Michael
Hillen:
Warum
Gorbatschow abrüstet
Jochen
Lobe:
Restbestand
Uli
Harth:
Die
Natur bewirbt sich
Nur
wenige Bäume
Schaffen
den Numerus Clausus
Um
studiert zu werden.
Das
Gras fällt schon
Durch
die Reifeprüfung
Und
die ersten Frühlingsblüten
Werden
gar nicht mehr eingeschult. ]
Volker
Ludwig:
Hetzlied
]
**
Schülertexte:
N.N.:
Schule
Erfrorene
Gedanken
zerbrechen
in meinem Kopf
Vieta
erschlägt den Pythagoras
das
endoplasmatische Retikulum
überwuchert
die Schlacht von Verdun
Ohm
verendet am Tracheensystem des Galvani
Theta
und Rho
ertrinken
in der eiskalten Beringsee
Monteverdi
singt das Requiem
von
Alexander dem Großen
frierend
sitze ich
in
meinem Eisschrank
erfrorene
Gedanken
zerbrechen
meinen Kopf
Vögel
können durch das geöffnete Fenster in die Sonne fliegen. ]
Friedrich
Güll:
Spruch
Hörst
du's schlagen halber acht?
Gleich
das Buch zurechtgemacht!
Schau,
schon rudelt's groß und klein,
dick
und dünn zur Schul' hinein.
Willst
du gar der letzte sein?
Schnell
die Mappe übern Kopf
und
die Kappe auf den Schopf.
Und
nun spring und lern recht viel.
Wer
sich tummelt, kommt ans Ziel. ]
Schülerverse,
Spottverse aus Schülermund
Wenn
man die Schule verläßt: ]
Erste
Klasse: Tafelkratzer.
Zweite
Klasse: Tintenpatzer.
Dritte
Klasse: Alte Bären.
Vierte
Klasse: Feine Herren.
Fünfte
Klasse: Engel.
Sechste
Klasse: Bengel.
Siebte
Klasse: Luftballon.
Achte
Klasse: Flieg davon.
(Aus
Österreich)
Bitte
um Hitzefrei
De
Himmel ist blau,
das
Wetter ist schön.
Wir
bitten den Herrn Lehrer,
spazierenzugehn.
Wir
wollen lieber im Freien schwitzen,
als
auf den harten Schulbänken sitzen.
(Aus
der Schweiz)
Sprüche
]
SPRUCH,
WENN EIN SCHLECHTES ZEUGNIS ERWARTET WIRD
Morgen
gibt es Ferien,
da
gehn wir nicht nach Haus!
Da
gibt es Schläg in Serien,
da
reißen wir alle aus.
Aus
Sachsen
ABSCHIED
VON DER SCHULE
Hier
in diesem Schullokal
sind
wir heut zum letzten Mal,
danken
für den Unterricht,
aber
für die Prügel nicht.
Aus
der Schweiz
*
SPRUCH
FÜR EINEN KLEINEN BÖSEWICHT
Aus
Preußen
Herr
Lehrer, ich bedanke
mich
für Ihren schönen Unterricht.
Ich
konnte wohl, ich wollte nicht,
ich
war ein kleiner Bösewicht
und
Sie ein grober Lehrer.
*
James
Krüss:
Zehntausend
große Pausen ]
Zum
Aufsagen
Herr
Lehrer und Frau Lehrerin,
auf
Wiedersehn für Wochen!
Die
allerschönste Zeit im Jahr
ist
heute angebrochen.
Jetzt
gibt es keine Algebra,
und
vier mal vier ist dreizehn.
Der
Nordpol liegt in Afrika.
Im
Ozean wächst Weizen.
Herr
Lehrer und Frau Lehrerin,
auf
Wiedersehn für lange!
Wir
machen keine Schularbeit
und
sind dabei nicht bange.
Wir
laufen beinah nackedei
und
barfuß durch die Gegend.
Jetzt
ist für uns das Drei-mal-drei
durchaus
nicht weltbewegend.
Herr
Lehrer und Frau Lehrerin,
auf
Wiedersehn! Wir reisen
nach
Sachsen oder Württemberg,
nach
Bayern oder Preußen.
Was
kümmert's uns, wo Pfeffer wächst?
Wenn
wir nur Zucker schmecken!
Sogar
der nächste Aufsatz-Text
kann
uns kein bißchen schrecken.
Herr
Lehrer und Frau Lehrerin,
es
steht ganz außer Frage,
der
nächste Aufsatz heißt bestimmt:
Die
schönsten Ferientage.
Doch
wer im warmen Sande liegt,
den
kann das gar nicht grausen.
Wir
sehn jetzt nur, was vor uns liegt:
Zehntausend
große Pausen!
*
Reflektirende
Nachträge:
Ernst
Bloch: Das Prinzip Hoffnung
Doch
die Eltern und Lehrer verstehen zuverlässig, zu betrüben. Das Leid
in der Schule kann widerlicher sein als später irgendein
anderes, das des Gefangenen ausgenommen. Daher der dem Gefangenen
verwandte Wunsch, auszubrechen [ ... ].
[...]
daher ist nichts schaler und gezwungener als das Wiedersehen früherer
Schulkameraden nach langen Jahren. Sie sind wie die Lehrer geworden
wie die Erwachsenen von damals, wie alles, wogegen man sich
verschworen hatte.
*
Daniil
Charms:
Fälle
-
Gibt es etwas auf der Erde, das Bedeutung hätte
und
sogar den Gang der Ereignisse verändern
könnte,
nicht nur auf der Erde, sondern auch in an
deren
Welten? - fragte ich meinen Lehrer.
- Das
gibt es, - antwortete mir mein Lehrer.
- Und
was ist das? - fragte ich.
- Das
ist... - hob mein Lehrer an und schwieg
plötzlich.
Ich
stand da und wartete gespannt auf seine Antwort.
Aber
er schwieg.
Und
ich stand da und schwieg.
Und
er schwieg ebenfalls.
Und
ich stand da und schwieg.
Und
er schwieg ebenfalls.
Wir
stehen beide da und schweigen.
Oh-la-la!
Wir
stehen beide da und schweigen!
Olé-olé!
Ja,
ja, wir stehen beide da und schweigen! ]
Und
heute - aus der Gegenwart nehmen wir viele Artikel, viele Foren,
Gutachten und Schlechtachten, wahr - Banker und Trust-Obere werden zu
Schulreform-Expertisen gelobt - wie die Realität aussieht, mag hier
ein lyrischer Karfunkelstein ausleuchten:
Ausländische
Beiträge:
William
Blake:
Der
Schuljunge
Ich
hab den Sommermorgen gern,
wenn
überall Vogelsang klingt,
der
Jäger stößt in sein Hifthorn fern
und
die Lerche mit mir singt.
O
welch frohe Gesellschaft mir winkt!
Doch
am Sommermorgen zur Schule gehn,
das
macht gewiß keinen Spaß;
unter
scheelen Augen, die alles erspähn,
sitzen
im finstern Gelaß,
und
seufzen ohn Unterlaß.
Dann
bin ich manchmal ganz verzagt,
und
die Stunden werden mir lang,
das
dumme Buch mir gar nicht behagt,
ich
sitze nicht recht in der Bank,
und
das trockne Zeug macht mich krank.
Der
Vogel, der in den Lüften schwirrt,
wird
er im Käfig singen?
Und
soll ein Kind, von Angst verwirrt,
nicht
hängen lassen die Schwingen,
anstatt
im Frühling zu springen?
O
Vater und Mutter, wenn Knospen man bricht
und
die Blüten der Sturm verheert,
wenn
zarten Pflanzen man das Licht
und
die Frühlingsfreude verwehrt
und
das Herz mit Kummer beschwert,
woher
soll der Sommer dann nehmen Kraft,
wie
können Früchte entstehn,
wie
sollen wir ernten, was Kummer entrafft,
wie
festlich das Jahr begehn,
wenn
Winterstürme wehn? ]
Albert
Cullum:
Die
Geranie auf der Fensterbank ist eben gestorben, aber Sie reden
einfach weiter, Fräulein Schmitt. ]
Jetzt
ist alles vorbei.
Die
Ferien
und
das Wasser wird kalt,
in
dem wir lange geschwommen sind.
Überall
stehn Astern herum
und
der letzte Schmetterling.
Der
Stundenplan an der Wand
wird
größer und größer
und
die Schulbücher auf dem Tisch.
Überall
werden die Kinder
wieder
ordentlich.
Das
ist September.
Die
Schule fängt an.
*
Jungen
und Mädchen müssen brav sein.
Brave
Mädchen und Jungen
gehen
gern in die Schule.
Brave
Mädchen und Jungen
sitzen
gern in den Bänken.
Sie
reden nicht.
Sie
flüstern nicht,
denn
brave Jungen und Mädchen
müssen
still sein,
denn
sie müssen zuhören
und
zuhören
und
zuhören
und
zuhören.
*
Jeder
hat seinen Platz
Zum
Sitzen.
Jeder
hat einen Tisch
Zum
Schreiben und Rechnen und Lesen.
Aber
in den Klassenzimmerecken
Ist
es leer.
In
den Klassenzimmerecken
Ist
viel Platz.
Dort
könnte ich
Die
Wände bemalen.
Mit
dem Regenbogen fange ich an.
Dann
male ich mir einen Hut.
Dann
male ich dir eine Maus,
vor
der Sie Angst haben,
Fräulein
Schmitt,
weil
sie so klein ist.
*
Unsere
Lehrerin hat ein neues Gesicht.
Sie
ist vom Urlaub ganz braun.
Sie
hat eine neue Haarfarbe
Und
eine neue Brille
Und
neue Ohrringe
Und
ein grüne Kleid.
Vor
dem Fenster hat sie einen neuen Wagen.
Unsere
Lehrerin hat immer sechs Falten.
Auch
wenn sie lacht.
*
Im
Sommer waren wir bei
den
Fröschen im Wasser.
Wir
haben Schlangen gesucht
Und
Käfer.
Wir
haben gelacht,
vor
allem über nichts.
Vielleicht
regnet es heute,
dann
werde ich durch eine Pfütze laufen.
Und
wer vorbeikommt,
den
spritze ich naß.
*
Wir
sind sehr klein,
die
Großen sind doppelt so groß.
Und
wenn alles lacht
über
meinen Pup,
dann
sagt der,
der
doppelt so groß ist wie ich:
Nun
hört euch das an!
Nun
seht nur,
rot
ist er geworden.
Ja
schäm dich.
Du
mußt dich ordentlich schämen.
Am
besten du gehst vor die Tür.
*
Manchmal
erzählt sie Geschichten.
Manchmal.
Vom
Hasen sonntags im Wald.
Oder
vom Jungen, der krank wird
Und
wieder gesund, in dem Film.
Oder
vom Geräusch, nachts, in der Wand.
Oder
von Knax, dem Hund, mit dem Heimweh.
Oder
von einer Seereise.
Sie
kann gut Geschichten erzählen.
Ehrlich.
Dann
hören wir zu.
*
Mein
Milchgeld rollt übern Tisch.
Mein
Bleistift ist abgebrochen.
Mein
Buch geht nicht auf.
Der
Reißverschluss sitzt fest.
Die
Hausaufgaben sind falsch.
Ich
muss schnell mal was flüstern.
Das
Hemd ist zu eng.
Die
Schuhbänder sind gerissen.
Keine
Bange, Fräulein Schmitt,
es
ist alles in Ordnung.
*
Sie
hat mich an die Wand gestellt.
Draußen
im Flur.
Da
bin ich durch die Wand gegangen.
Das
war ganz leicht.
Ich
glaube,
ich
gehe nie mehr zurück.
*
Als
der Eimer vollgepflückt war
Mit
Heidelbeeren und Erdbeeren,
fiel
der Eimer hin.
Ihr
habt nicht aufgepaßt.
Ihr
habt nur Unfug im Kopf.
Ihr
sollt vorsichtig sein.
Wollt
Ihr das auch nie wieder tun?
Nein,
Schwester.
Nein,
Schwester.
Doch.
*
Ich
sehe dich an, Fräulein Schmitt.
Es
sind schon zweiunddreißig Minuten
Vergangen.
Wo
siehst du hin?
*
Auf
einmal
Wird
es ganz dunkel im Raum.
Das
sind die Wolken,
der
Sturm,
der
bläst die offenen Fenster weit auf,
die
Blätter vom Pult
und
schlägt die Bäume
nach
rechts und nach links.
Da
kracht es im Stamm
Und
im Himmel.
Da
macht sie einfach die Fenster zu.
Das
licht geht an.
Und
alles ist wieder vorbei.
*
Pfui,
sagt, sie,
Pfui.
Und
ruft mich nach vorn.
Warum
sagt sie nicht einfach:
Knöpf
dir den Hosenschlitz zu.
Und
zu den andern:
Was
gibt's da zu lachen.
*
Ich
mag den Geruch nicht
Von
Ihrem Parfüm.
Lass
mich.
Ich
will zu den andern.
*
Kirschen
sind rot
Und
Blätter sind grün.
So
ist das und basta und Schluß.
Meine
Kirschen sind grün
Und
mein Baum ist rot.
Das
hab ich mir ausgedacht.
So
ist das und basta und Schluss.
*
Wenn
du mich ausschimpfst,
weil
ich nichts weiß,
und
wenn du sagst:
Du
weißt wieder nichts
Und
kannst wieder nichts,
hast
nicht gelernt
und
nicht aufgepaßt -
Dann
zeigen alle auf mich,
weil
du auf mich zeigst.
Und
ich schäme mich,
als
wär ich halb nackt.
*
Bevor
ich in die Schule kam,
konnte
ich alle.
Ich
war
Sheriff,
Indianer
Und
Räuber.
Aber
seitdem ich in die Schule gehe,
weiß
ich überhaupt nicht mehr.
*
Ja,
ja Herr Direktor.
Ich
sing dir was vor.
Ich
sing dir was nach,
was
du auch willst.
Recht
hast du.
Weißt
alles.
Siehst
alles.
Hörst
alles.
Der
Klügste,
der
Größte bist du.
*
Ich
sitze in der ersten Bank,
der
ersten Reihe.
Ich
passe auf und rede nie.
Meine
Hausaufgaben sind immer ordentlich.
Wenn
Sie Geburtstag haben,
bringe
ich Ihnen die größte Blume.
Ich
weiß, das haben Sie gern.
Dennoch
fürchte ich mich.
Auch
das haben Sie gern.
*
Wenn
der Direktor ins Klassenzimmer kommt
Oder
der Lehrer von nebenan
Oder
wenn Sie einer Mutter begegnen
Oder
einem Vater,
dann
machen Sie ein freundliche Gesicht.
Sie
bewegen sich schön,
und
Ihre Stimme ist weich
wie
eine Butterblume.
Nur
wenn Sie allein mit uns sind,
wenn
nur wie Sie hören und sehen,
ist
alles ganz anders.
Und
das vergessen wir nie.
*
Wissen
Sie noch am Samstag in der Stadt?
Wir
sind Ihnen begegnet, meine Mutter und ich.
Da
hatten Sie Zeit und blieben stehn
Und
fragten:
Wie
geht es Ihnen, Ihrem Mann und den Kindern?
Und
sagten noch: Danke, mir geht es sehr gut.
Sahen
mich an und lächelten süß.
Heißt
das nun,
ich
werde doch noch versetzt?
*
Glauben
Sie mir,
es
ist wirklich schwer,
im
Bogen zu pinkeln.
Ich
kann es nur manchmal,
aber
Willi kann es immer,
Und
immer meldet sich Willi als erster.
*
Bei
mir zu Haus
ist
es nicht so fein wie woanders. Wir haben nur einen Sessel
und
der ist schief.
Meine
Mutter hat keine Zeit
für
Kuchen,
mein
Bruder schmatzt
und
mein Vater rülpst,
und
meine Hosen sind niemals neu. Ich würde Sie gern einmal einladen
nach Haus.
Aber
Sie sehen ja selbst,
daß
es nicht geht.
*
Ich
glaube,
Sie
sitzen in einer Wolke
Und
verstehen überhaupt nichts.
*
Vorn
steht die Tafel
und
daneben das Pult.
Und
hier sitze ich,
mitten
zwischen den andern
und
weiß nicht warum.
Wenn
ich nun fortgehe,
ganz
leise,
auf
Zehenspitzen zum Beispiel,
und
die Tür macht keinen Krach,
wenn
sie aufgeht und zu,
wenn
ich leise die Treppen hinuntergehe
und
auch die große Tür nicht schlage
und
leise über den Hof gehe,
bis
auf die Straße
Ich
wette,
Sie
vermissen mich nicht.
*
Der
Vogel hat gesungen.
Die
Glocke hat geläutet.
Die
Geranie
Auf
der Fensterbank
Ist
eben gestorben,
aber
Sie
reden
einfach weiter, Fräulein Schmitt.
*
Ruhe!
Ruhe
dahinten!
Kein
Wort mehr.
Heute
sprechen wir über eure Zukunft.
Ruhe,
zum Donnerwetter.
Ich
möchte, daß mich keiner unterbricht.
*
Wenn
Sie wollen,
zeige
ich Ihnen was Schönes.
Wie
man schaukelt,
oder
wie gut ein Apfel schmeckt,
oder
wie die Glocke läutete,
bevor
die Stunde zu Ende ist.
Kommen
Sie, Fräulein Schmitt,
bei
mir können Sie alles neu lernen.
*
Jacques
Prévert:
Rechenstunde
Zwei
und zwei sind vier
Vier
und vier sind acht
Acht
und acht sind sechzehn
Wiederholen!
sagt der Lehrer
Zwei
und zwei sind vier
Vier
und vier sind acht
Acht
und acht sind sechzehn
Aber
da fliegt der Wundervogel
Am
Himmel vorbei
Das
Kind sieht ihn
Das
Kind hört ihn
Das
Kind ruft ihn
Rette
mich
Spiel
mit mir
Vogel!
Da
schwebt der Vogel nieder
Und
spielt mit dem Kind
Zwei
und zwei sind vier...
Wiederholen!
sagt der Lehrer
Und
das Kind spielt
Der
Vogel spielt mit ihm
Vier
und vier sind acht
Acht
und acht sind sechzehn
Und
wieviel sind sechzehn und sechzehn?
Sechzehn
und sechzehn sind nichts
Und
erst recht nicht zweiunddreißig
Denn
das gibt ja keinen Sinn
Also
schwinden sie dahin
Und
das Kind hat den Vogel in seinem Pult versteckt
Und
alle Kinder
Hören
sein Lied
Und
alle Kinder
Hören
die Musik
Und
nun verschwinden auch die acht und acht
Und
die Vier und Vier und die Zwei und Zwei
Trollen
sich
Und
eins und eins sind weder eins noch zwei
Eins
ums andre ziehn sie ab
Und
der Wundervogel spielt
Und
das Kind singt
Und
der Lehrer schreit:
Wann
hört ihr endlich mit dem Unsinn auf?
Aber
alle Kinder
Horchen
auf die Musik
Und
die Wände des Klassenzimmers
Sinken
friedlich ein
Und
die Fensterscheiben werden wieder Sand
Die
Tinte wird wieder Wasser
Die
Pulte werden wieder Bäume
Die
Kreide wird wieder Felsen
Der
Federhalter wird wieder Vogel. ]
Jacques
Prévert: Als wir aus der Schule kamen
Octavio
Paz:
Kleine
Variation über ein bekanntes Thema ]
Wie
eine auferstehende Musik
- wer
ist's, der sie erweckt aus jener Ferne,
wer
geleitet sie her durch die Spiralen
des
geistigen Gehörs? -
wie
der entschwundene
Moment,
der wiederkehrt
als
erneute und alte
verscheuchte
Bedrohung,
so
ertönen sie, tonlos,
die
dem Dunkel entstiegenen Silben:
und
in der Stunde unseres Todes, Amen.
Damals,
im Andachtsraum der Schule,
sprach
ich sie immer wieder,
teilnahmslos.
Jetzt höre ich sie
ausgesprochen
von einer Stimme
ohne
Lippen, ein Rauschen von Sand, zerrinnend,
während
die Stunden läuten in meinem Schädel
und
die Zeit eine weitere Runde macht, meiner Nacht entgegen.
Ich
bin doch nicht der erste Mensch
-
sage ich mir, nach Epiktet -,
der
zu sterben hat auf der Erde.
Und
die Welt stürzt ein für mein Fleisch und Blut,
noch
während ich es sage.
Die
Verzagtheit von Gilgamesch,
als
er zurückkam
aus
dem Land ohne Dämmerung:
meine
Verzagtheit ist's. Auf unsrer düstren
Erde
ist jeder Adam:
mit
ihm beginnt die Welt,
mit
ihm geht sie zu Ende.
Zwischen
Danach und Vorher
steinerne
Parenthese,
werd'
ich für einen Augenblick ohne Wiederkehr
der
erste Mensch sein und der letzte.
Und
indem ich es sage, tut sich der Augenblick
-
unfaßbar, unberührbar -
unter
den Füßen auf
und
schließt sich über mir, reine Zeit.
*
Besonderheiten,
Späße, Wiederkehrende Unannehmlichkeiten:
Herbert
Knebel
Boh
glaubse...
. ..
wissen Se, wo ich die Tage war? Aum Klassentreffen! Und zwar hatte
ich Post inne Post gehabt, mit eine Handschrift drauf, wo ich denk,
Moment. Und dann fiel nür ein, wo ich die Schrift zuletzt gesehen
hatte. Und zwar war dat beide letzten Deutscharbeit inne
Volksschule, mit dem Titel: Wat aus mich ma werden soll!
Ja,
da war mir seinezeit gar nix zu eingefallen. Ich konnte ja damals
nich schon "Frührentner" schreiben. Und mein Nachbar,
der Ferdi Stumpf, der wollte Lokführer werden. ja, und da wollte ich
dat in meiner Not auch.
Der
Ferdi, dat war damals für mich der erfolgreiche Weg fürn
Volksschulabschluss. Wat ich bei dem alles abgepinnt hab! Wenn ich
eine Schrift verinnerlicht hab, dann die von den Ferdi
Stumpf. Und jetz stand die da auf einma auf die Post. Ich denk, wat
will der Doofmann denn von dir? ja, dann stellte sich raus, dat der
Ferdi die Initiative ergriffen hatte zu ein Klassentreffen.
Da
wollt ich ers gar nich hin. Dann hatte die Guste dat aber
auch
mitgekricht und sachte, war da in die Klasse nich deine Große Liebe,
die Uschi Kempchen? Da gehs du nich hin! Aber wie dat so is, wat
verboten is, macht uns grade scharf! Ich komm also da rein, da saßen
schon alle da.
Und
dann ich sach so locker in die Runde rein, sach ma, wer von euch
Mumien is denn die Uschi?
Da
steht eine auf und sacht, Herbert, du siehs ja noch genauso aus
wie früher! Ich sach, Uschi, du has aber auch einiges mitgemacht,
näh?
Da
fing die drekt an mit eine Dauerbeschallung, wie se ihre ersten drei
Männer unglücklich verloren hatte, warum se beim Verkehr keine
Kinder kriegen konnte und dat sie nur noch eine Lunge und zwei
Nieren hatte. Ja, „stille Uschi" ham wir früher immer
für sie gesacht. So kann man sich irren.
Dann
erzählte se mir noch alles Mögliche, aber ich hatte mich schon
wieder zu den Ferdi gesetzt, weil, ich wollte unbedingt wissen,
wat aus seine Lokführerkarriere geworden war. Und da ließ er die
Bombe
platzen.
Er hatte sich nämlich frühzeitig von den Lokomotivführer Beruf
abgewendet, um die Wege des Herrn einzuschlagen. Und er wär
jetz Jesuitenpartner in Nashville. Ich sach, da kannze ma sehen, die
Wege des Herrn sind oft bekloppter wie man denkt. Halleluja!
Und
dann fingen alle an, von ihre Karrieren aufe Kacke zu hauen. Da hab
ich mich heimlich übert Klo vom Acker gemacht. Weil, wenn
ich eins nich haben kann, dann, wenn andere Karriere machen!
(WAZ 16.02.03)
**
Als
Epilog, als Schlußstein, der Phantasie, geschichtliche
Verantwortung, Hoffnungsnähe und -distanz aufzeigt, erlaube ich mir,
drei Texte hierherzusetzen, die, glaube ich jeder Schüler, für sich
und seine Zeit zu aktualisieren vermöchte, wenn, ja, wenn er noch so
viel Sehnsucht nach einer neuen, ganz gewiß nicht so viel anderen
denn die erlebte Schulzeit auszuträumen vermag:
Christine
Brückner
"Nicht
einer zuviel!"
Der
Studienrat Dr. K. muß damals Anfang Vierzig gewesen sein. Wir
verehrten ihn, das Wort schwärmen träfe nicht zu. Seine
Überlegenheit war augenfällig, er mußte sie nicht betonen. Er war
in den entscheidenden Jahren unserer geistigen Entwicklung der
Leiter meiner Klasse und unterrichtete uns in den wichtigsten
Fächern: Geschichte und Deutsch. Ein Deutsch-Nationaler, der zu dem
abgespaltenen volkskonservativen Flügel übergetreten war, als sich
Hugenberg mit Hitler zur 'Nationalen Einheitsfront' verband.
Geschichte
war bei ihm nicht mit Kriegsgeschichte gleichzusetzen , er
verlangte nicht, daß wir die Daten und Orte der Schlachten
auswendig lernten. Er unterrichtete uns in den möglichen
Staatsformen. Wir wußten Bescheid darüber, was Absolutismus, was
Diktatur und was Demokratie besagte, und kannten die typischen
Ausprägungen in den verschiedenen Ländern und Zeiten. Er verglich
die Französische Revolution mit der Achtundvierziger Revolution und
mit der Russischen Revolution vom Jahr 1917. Wir lasen die
amerikanische Verfassung und stellten ihr die Weimarer Verfassung und
das Parteiprogramm der NSDAP gegenüber.
Dr.
K. hatte als Infanterieoffizier am Ersten Weltkrieg teilgenommen
und war an der Einnahme der Festung Douaumont im Februar 1916, damals
zwanzigjährig, beteiligt gewesen. Es hieß, daß er im Bericht der
Obersten Heeresleitung namentlich erwähnt worden sei. Er war Träger
des Eisernen Kreuzes Erster Klasse, aber er erzählte uns nie von
seinen Erlebnissen im Krieg, nicht einmal am letzten Tag vor den
Sommerferien. Zu keinem der zahlreichen nationalen Feiertage trug er
ein Ordensbändchen im Knopfloch. 1918 war er durch einen
Lungendurchschuß schwer verwundet worden, auch davon sprach er
nicht. Wenn er die Zahl der Toten und Verwundeten des Ersten
Weltkriegs nannte, erwähnte er nie, daß er dabei mitgezählt worden
war, statt dessen unterrichtete er uns über die Höhe der Kosten für
Waffen und Munition.
Ich
erinnere mich, daß er 1934 zu uns sagte, der Nationalsozialismus
könne zum Verhängnis für das deutsche Volk werden. Er vertrat die
Ansicht, daß Aufklärung nicht allein im Biologieunterricht,
sondern auch und vor allem im Geschichtsunterricht zu erfolgen habe
und daß Geschichte kein totes Wissensgebiet sei,
sondern
daß man aus der Geschichte lernen könne und müsse. Es gab
Augenblicke, in denen leidenschaftlicher Eifer bei ihm durchbrach, im
allgemeinen blieb er ruhig, beherrscht, sachlich. Er las uns
Abschnitte aus Hitlers 'Mein Kampf' vor, ein Buch, das er für eine
unerläßliche Pflichtlektüre für alle Gymnasien ansah, da es das
ganze Programm Hitlers enthielt, das jener zu verwirklichen
trachtete. Wir sprachen über die 'Germanisierung des Ostraums', über
den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund und über die
Folgen, die die einseitige Kündigung des Versailler Vertrages würde
haben können. Wir lasen gemeinsam die Texte der Kriegserklärungen
und lasen die Texte der Friedensverträge.
Der
weitaus größte Teil unserer Klasse saß in braunen Uniformen
vor ihm. Das hinderte ihn nicht daran, über das Risiko zu sprechen,
das die deutsche Regierung mit der Einführung der Wiederbewaffnung
einging. Wir waren zwölf- und dreizehnjährig in dieser Epoche der
nationalen Erhebung und von unkontrollierten Gefühlen
mitgerissen. Er stand uns ruhig und besonnen gegenüber. "Ich
gebe zu bedenken", mit diesen Worten fingen viele seiner
Sätze an. Später konnte er seine Erwägungen nicht mehr zu bedenken
geben. Er besaß eine Familie, vier Kinder. Er las nicht mehr
'Mein Kampf' mit seinen Schülern, zitierte nicht mehr ironisch
Dietrich Eckardt, nahm nicht mehr Führerreden mit uns durch. Er
mußte die Lektüre von Heinrich Heines "Politischem Testament"
abbrechen, immerhin lasen wir Herders Schrift 'Über den
Nationalwahn'.
Eines
der Themen, die er uns für den deutschen Aufsatz gab, lautete: "'Der
Intellekt ist eine Gefahr für die Bildung des Charakters'.
Welche Wirkung übt dieser Satz Josef Goebbels' auf den Schüler
einer Obersekunda aus?"
Als
unsere jüdische Mitschülerin eines Tages fortblieb, sagte er: Sie
kann nicht länger eine deutsche Schule besuchen, da weder ihr
Aussehen noch ihr Charakter so deutsch sind wie eure und meine.
Außerdem lebt ihre Familie erst seit zweihundert Jahren in dieser
Stadt, das reicht nicht aus.
Von
da an bediente er sich nur noch der mittelbaren Äußerungen,
der Verschlüsselungen. Einige seiner Schüler verstanden ihn, die
anderen hörten die Ironie nicht heraus, wenn er Hölderlins 'Tod
fürs Vaterland' interpretierte. "O Vaterland / Und zähle nicht
die Toten! Dir ist / Liebes! nicht einer zu viel gefallen." Er
gab dann exakt die Zahl der Toten auf deutscher Seite und auch
auf
der Seite der Entente an. "Nicht einer zuviel!" Damit
schloß er den Unterricht und verließ das Klassenzimmer, bevor es
geläutet hatte.
Als
seine Oberprimaner nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs
einberufen wurden, sagte er zu ihnen: "Ich habe versucht, Sie
auf das Leben vorzubereiten. Ob meine Vorbereitungen auch -", da
brach er ab, sagte nur noch: "Das Leben ist der Ernstfall! Der
Frieden!" und ging.
Die
Angehörigen meines Jahrgangs sahen sich 1948 zum ersten Mal bei
einem Klassentreffen am Schulort wieder. Von einundzwanzig
Schülern waren noch neun am Leben. Sieben waren gefallen, drei
vermißt, eine Mitschülerin war bei einem Luftangriff ums Leben
gekommen, eine war im Konzentrationslager vergast worden, einer der
Männer trug eine Beinprothese.
Wir
hätten Studienrat Dr. K. gern zu diesem Treffen eingeladen,
aber es war uns leider nicht möglich. Es hat ihn nie gegeben. ]
*
Die
Schüler schleimen wieder um die Wette.
Oder:
Nach-Kriegs-Freuden
und -Frieden in der BeeRDe:
Konstantin
Wecker:
Frieden
im Land
Das
Land steht stolz im Feiertagsgewand.
Die
Zollbeamten sind schön aufgeputzt.
Sogar
die Penner haben Ausgang,
und
am Rand sind ein paar Unverbesserliche noch verdutzt.
Die
alten Ängste, pittoresk gepflanzt,
treiben
sehr bunte neue Blüten.
Die
Bullen beißen wieder, und der Landtag tanzt.
Endlich
geschafft: Ein Volk von Phagozyten.
Jetzt
ist es allen klar: Der Herr baut nie auf Sand.
Es
herrscht wieder Frieden im Land.
Vereinzelt
springen Terroristen über Wiesen.
Wie
chic. Die Fotoapparate sind gezückt.
Die
alten Bürgerseligkeiten sprießen,
die
Rettung, Freunde, ist geglückt.
Die
Schüler schleimen wieder um die Wette.
Die
Denker lassen Drachen steigen.
Utopia
onaniert im Seidenbette,
die
Zeiten stinken, und die Dichter schweigen.
Wie
schön, daß sich das Recht zum Rechten fand:
Es
herrscht wieder Frieden im Land.
Ich
will mich jetzt mit einem runden Weib begnügen,
drei
Kinder zeugen, Eigenheime pflanzen und
die
Menschheit einfach mal um mich betrügen.
Wohin
denn leiden schließ mir, Herr, den Mund.
Wirf
mir die Augenbinden runter und den Stirnverband:
Es
herrscht wieder Frieden im Land. ]
(1977)
*
Frage
aller Fragen:
Und
ein neuestes Schülerprodukt. Wie schätzen Sie die Authentizität
des Textes? Und die Ehrlichkeit des Kindes und seines Vaters oder
seiner Mutter....:
Kleiner König
der Ausreden
SCHULE:
"Verhör" endet mit Freispruch
Kevin
kam fast immer zu spät. Darum hatte er immer die besten
Ausreden Er wurde deshalb Ausredenkönig genannt. Am Freitagmorgen
kam Kevin wieder einmal zu spät. Herr Müller, der Lehrer, kochte
vor Wut. "Warum kommst du schon wieder zu spät?" schimpfte
er.
VON KATRIN
MEURERS, ELF JAHRE, AUS MARL
"Ich
wollte extra pünktlich kommen, aber auf einem Baum saß eine kleine
Katze und miaute kläglich. Da bin ich ohne zu zögern hinauf
geklettert und habe das Kätzchen herunter geholt. Es war
schon spät und ich musste so schnell wie möglich zur Schule.
Ich beschloss ein Taxi zu nehmen." "Hattest du denn so viel
Geld, bis zur Schule mit dem Taxi zu fahren?" "Natürlich
nicht! Ich musste es mir erst verdienen. Was tut man nicht alles um
pünktlich zur Schule zu kommen! Da hatte ich eine gute Idee. Hinter
der Mülltonne fand ich einen Haufen alter Zeitungen. Ich hob
sie auf und stellte mich mitten auf die Straße und rief so laut ich
konnte: Extrablatt so werden sie Millionär! Lesen sie
alle Tipps und Tricks!' Die Leute rissen mir die Zeitungen
regelrecht aus der Hand. Auch wenn da nur drinstand, dass demnächst
ein großes Blumengeschäft eröffnet wird. Ich hatte jetzt Geld
genug, um mir ein Taxi leisten zu können. Doch kaum hatte ich es
bestiegen, blieb es plötzlich stehen. Der Fahrer entschuldigte sich
vielmals und bedauerte, dass er kein Benzin mehr hatte."
Herr
Müller musste lachen und fragte Kevin: „Und das soll ich dir
wirklich alles glauben?" „Ich gebe zu, es ist eine sehr
ungewöhnliche Sache. Dem Taxifahrer war es furchtbar peinlich
und er sagte zu mir: 'Junge, das darf keiner wissen. Das schadet dem
Geschäft.' Dann gab er mir 20 Euro Schweigegeld."
"OK",
sagte Herr Müller, "ich glaube dir, wenn du mir die 20 Euro
zeigst." „Tut mir leid, Herr Müller aber als ich Richtung
Schule gegangen bin, packte mich das schlechte Gewissen. Ich
hatte die Leute mit der Zeitung betrogen und ich wusste, dass
sie mich in der Schule über den Taxifahrer ausfragen würden.
Dabei hatte ich ihm versprochen, nichts zu verraten. Also
hatte ich die 20 Euro Schweigegeld nicht verdient. Kurz vor der
Schule saß ein Bettler, dem ich mein gesamtes Geld übergab. Dieser
sprang vor Freude auf und rannte davon. jetzt hatte ich wenigstens
eine gute Tat vollbracht und konnte ohne schlechtes Gewissen n
die Schule gehen."
„Du
kannst dich setzen," sagte Herr Müller erschöpft. Die Klasse
jubelte, dass Kevin es wieder einmal geschafft hatte, ohne Strafe
davon zu kommen.
(Aus:
Recklinghäuser Zeitung. 15.02.03)