Aha-anton-Logie # I V
< lllustration des Suhrkamp-Verlagsprospekts >
Dezidiert Ralf R o t h m a n n:
Ralf Rothmann: Zuspruch
Baum für Baum
entziffere die Schrift.
Äpfel duften
am schönsten nachts.
Komm zur ruhe,
sei Gebet.
Reinige den Tempel
mit einem Lächeln.
(1998; auf: Lektüre zwischen den Jahren. Träume sind wahr. Ausgewählt von Rainer Weiss. Frankfurt/M. 1998:Suhrkamp Verlag. S. 150)
Zum Autor: Geb. 1953, hat sich der junge Autor sich schon einen Namen in der deutschen Gegenwartsliteratur gemacht. Seine Gedichte, bisher in der Ausgabe „haben es mir angetan. Sie sind zärtlich, sie sind nahrhaft, sie sind Auf-Gabe.
*
Ralf Rothmann:
Beschreibung einer Rauchfahne (Kaddisch)
Vor dir liegen die Trümmer deines Glückes,
die verblichene Erinnerung an alle,
deren Herz der Tod verwundet hat.
Hinter dir der Chor der Blumen.
Komm zu mir, mein Freund,
komm aus der Asche ins Licht, in die Talkshow.
Zwischen Preisträgern und Präsidenten
erklären wir uns die geschlossenen Augen,
das gebrochene Herz deines Lieblings.
Vor dir liegen die Trümmer deines Glückes,
Reden am Sonntag, Dichter, denen Gold sagt,
was du leidest, und die den Baum des Lebens schütteln.
Jedes Wort gewogen.
Komm aus den Streifen, den Striemen,
komm ans Buffet, mein Freund, wo Sakkos klingeln
und die Lieben in seliger Verklärung weilen,
Frieden senden den Sorgenbeladenen
und den trauernden Töchtern und Söhnen Brot.
Nimm einen Wein oder zwei, nimm Austern
für Auschwitz, laß dir deinen Schmerz erklären
und unseren dazu, das Gas vor laufender Kamera.
Ein neuer Redner wettert, vermißt das Entsetzen,
und hinter ihm der Chor der Blumen, kleine weiße Kehlen
aus Licht: Geschlechter blühen und vergehen. Blühen
und vergehen. Jede Zeile trägt sich selbst.
Nur du stehst in der Asche, mein Freund, und schüttelst
den Baum des Todes. Nur du bleibst im Schatten
dieses Gedichts, und deine Hand fährt über die Stirn,
die geschlossenen Augen des Lieblings - sanft
wie Wind, wie ein Hauch
über Asche.
Für Samuel und Markéta Rothmann
(Aus: Ralf Rothmann: Gebet in Ruinen. Gedichte. Frankfurt 2000. S. 63)
Zum Autor, zum Text:
Ein Gedächtnisgebet in jüdischer Tradition. Der junge deutsche Dichter (geb. 1953) ist bekannt geworden durch sensibel Gedichte, Erzählungen und Romane. Ich vermute, dass Rothmann jüdische Verwandte oder Freunde im lyrischen Gebet - stellvertretend als Repräsentant der jungen Generation - adoptiert hat.
Für jüdische Mitbürger kontrastiert er deren Leben und Sterben (im fabrikmäßig betriebenen Mord durch die NS-Schergen) mit unseren heutigen Erlebnissen in den Medien. Rothmann bietet sein Gedicht als versöhnliche Geste an.
Doch, heute zu Neuem:
Neues, Fundmentales von Rothmann:
Thworie des Regens: (2023)
*
Text-Gabe:
Wo Rothman mit „Kollegen/s/“ zusamamensitzt, und die ihn mobben, weil er seinen (einen) Lieblingsautor Hermann H e s s e benennt.(Theorie des Rens. S. 41)
Und wenn er ihnen einen kleinen Hesse-Text entgegen gehalten hätte, passend zum Wein:
Gegengabe: Gedichtgabe:
Hermann Hesse:
Beim Wein
Zuweilen
freut es mich, still und allein
In kühler Stube ruhevoll zu
zechen,
Mit einem alten, liebgewordenen Wein
Ein gutes, treues
Freundschaftswort zu sprechen.
Dann wünsch ich hoffend mir
die Zeit herbei,
Da mir und meiner Pilgerfahrt auf Erden
Doch
noch einmal, ob's auch in Schmerzen sei,
Der reinen Reife Tage
kommen werden.
Dann aber sei ein Freund mit auch beschert
Der
meines Lebens überfüllten Becher
Mit dankbar schonendem Genusse
ehrt,
Dem reifen Wein ein ebenbürtiger Zecher. (Hermann Hesse, 1877-1962,
P.S.: Ähnlich könnte auch Lichtenbergs treusorgender Aphorismus wirken:
„Der Wein wächst nur gut unter dem Schutz eines sanften Himmels, und ähnliche Seelen müssen diejenigen haben, die ihn am besten trinken.“
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