Jung,
Auf dem Sprung,
Nicht bös,
Graziös
Auch ein
weibliches Wesen ist um mich her, das in meinem Haushalt die Ergänzung zu
Rasumofsky bildet. Es ist, um mich in Rückertschen Anklängen zu bewegen, eine
feine Reine, schlanke Kleine, die ich mit Rücksicht auf ihre Erscheinung Blanche getauft habe. Sie ist ganz weiß
und nur auf der Stirn, als Zeichen edelster Abstammung, hat sie einen braunen
und schwarzen Tigerstreifen. Sie ist noch ganz Kind, ganz unbefangen, faßt das Leben
von der heiteren und Vergnügungs-Seite auf und betrachtet sich selbst als
bloßes Ornament des Daseins. Sie kennt keine andere Pflicht als die, sich zu
putzen und sich streicheln zu lassen; sie könnte nach allem eine Engländerin
sein. Nur ihrer Grazie nach ist sie Französin.
Ich engagierte
sie zunächst aus bloßer Nützlichkeitsrücksichten und erwartete von ihr, wie
jetzt das Modewort lautet, einen guerre
d´extermination gegen den Erbfeind; aber niemals ist eine Erwartung
gründlicher getäuscht worden. Sie scheint kaum zu wissen, dass es Feinde gibt,
geschweige Erbfeinde; sie führt ihren Exterminations-Krieg
gegen Gardinenkanten, gegen alles, was Puschel oder Quaste heißt; über Nacht
aber, wenn der Feind seine Vorposten schickt, horcht sie auf, spinnt dann einen
Augenblick vergnüglich und schläft wieder ein. Dennoch - dies Anerkenntnis bin
ich ihr schuldig - übt sie einen gewissen Einfluß, aber freilich ohne die
geringste Ahnung davon; sie wirkt wie das Bild des Tigers, das die Chinesen,
zum Schrecken für den Feind, an die Außenwand des Hauses stellen.
Sie ist ganz
Spielzeug, und ich habe es längst aufgegeben, Ernsteres von ihr zu erwarten. Es
liegt nicht in ihr. Sie ist mir Schauspiel, Augenweide, Zirkus-Schönheit, im
Hoch- und Weitsprung gleich ausgezeichnet, und den Tag über an der
Klingelschnur zu Hause. Sie behandelt dieselbe als Trapez, was sie ungehindert
kann, da die betreffende, aus Bast geflochtene Cordel das Schicksal der meisten
ihrer Schwestern teilt, eine bloße höchst fragwürdige Stubendekoration zu sein.
Blanche, wie
gesagt, ist die Ergänzung zu Rasumofsky; was jener meinem Geiste ist, ist dies
meinen Sinnen. Wenn ich mit dem Erstern, in jener Simplizität, die alles Große
begleitet, die Tagesangelegenheiten behandle, also in rascher Reihenfolge die
Fragen stelle: Wie ist das Wetter? Was macht Paris? Nichts von Frieden? - so
gehört mein Auge ganz der kleinen Weißen, die wie ein alabasterner
Briefbeschwerer auf meinem Schreibtisch neben mir liegt. Nun erhebt sie sich,
um zwischen Uhr, Teetasse und Tintenfaß jene Spaziergänge auszuführen, die eben
nur jenem Geschlechte möglich sind, dem Blanche angehört. Werde ich endlich
ungeduldig, so weiß sie diese Ungeduld zu sänftigen. Der Tisch hat einen
Aufsatz von sechs Fächern, jedes nur so groß, um eine Hand hineinzulegen. In
alle sechs Fächern duckt sie sich der Reihe nach hinein und blickt mich aus
dieser Umrahmung schelmisch an. Das sind die letzten Mittel, denen nicht zu
widerstehen ist.
Um acht Uhr,
nachdem wir unsern Tee genommen, für den sie eine distinguierte Vorliebe zeigt,
gehen wir zu Bett; sie ist aber noch nicht müde und unterhält mich eine
Viertelstunde lang durch die wunderbarsten Kapriolen. Um halb neun endlich, wo
abwechselnd ein Trompeter von den Schleswiger Husaren und den Garde-Ulanen auf
den Kasernenhof tritt, um die preußischen Kavallerie-Signale zu blasen, wird
Blanche stiller und schiebt sich wie zu einer letzten Liebkosung, an meinen
Hals zwischen Kopf und Schulter. So vergehen Minuten. Eine Viertelstunde später
tritt aus dem Kasernenflügel gegenüber ein französischer Trompeter auf den Hof
hinaus und antwortet dem Preußen oder besiegelt den Appell.
Nun weiß
Blanche, dass es Zeit ist. Sie erhebt sich summend und spinnend und legt sich
am Fußende des Bettes auf die vierfach zusammengefaltete Reisedecke.
Das Feuer im
Kamin erlischt. So schlafen wir, bis die Reveille
uns weckt.
* ~ *
Das
kriegstechnische Vokabular ist verräterisch; einiges muss man heute sogar und
Gott sei Dank erklären ich bitte, selbsttätig zu werden.]:
guerre d´extermination,
Reveille…
Ein meisterliches
Feuilleton…
In: Th. F.:
Kriegsgefangen. Erlebtes 1870. Berlin 1871.
(Aus der
Ausgabe des Verlags der Nation. Berlin 1984. S. 148ff. Wanderungen durch
Frankreich. Bd. 1.)
*
Max Rasumofsky
war ihm, dem der Status eines „höheren Offiziers“ zuerkannt wurde, der zugeteilte
Bursche; ein fixer Kerl, ein „schwarzer preußischer Husar“, ein deutscher
Kriegsgefangener in der Festung auf der Insel Oléron/Westfankreich, wo die
Loire und die Gironde in den Atlantik münden..
Oléron: Fontane befand sich 1871 auf dieser Festungsinsel:
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