Antonius Stephan Reyntjes:
Voradventlich:
„Im Feuer der Pslamen des Herrn…“
Oder
Wenn dem Chorgeist die Lust ausgeht
Vorn in der funkelnd durchglühten Apsis. Ein großer
Chor stellt sich auf.
Weltberühmte Stimmen, perlende Choräle fließen von
sanften Lippen. Frauen in langen, schwarzen Röcken und weißen, bis zur Hüfte
fallenden Chorhemden mit pludrigen Rochett-Ärmeln. „Groß sind die Siege des Herrn.“
Werden vom weißhaarigen Mann dirigiert: „Und jetzt
aber besser, intonabler, so, wie, so: flammabler! Herrlich-herzlicher: Der
Bischof soll erbeben, wenn wir den Psalm intonieren!“ #Auf!
„Heil, David, Heil,
Der die Philister schlug!
Strahlender du des Herrn!
Leuchtender heller dein Stern
des strahlenden Feuers.
Tausend Saul erschlug,
Aber zehntausend David!“
Zwischen den sich rhythmisch wiegenden Sängerinnen
kriecht her und hin ein flinker Knirps. Keine Sängerin nimmt Notiz von
ihm.
Hier tut sich ihm ein Gasse auf, dort schließt sich
wieder die Reihe. Das Kerlchen ist gerade hindurchgehuscht. Unterm Gesang
findet es Platz. Es rudert mit den Armen, brummbrumm. Umkreist die Frauen, die
hehre singen und ihre Oberkörper wiegen, ihre Köpfe. „Groß sind die Siege des Herrn. Hallelluja!“
Zwei gebrochene Laiber Brot liegen auf einer Stufe,
im Leinenweiß. Milch im Becher daneben.
Da setzt es sich hin, holt Zündhölzer aus seinem
Jäckchen, schlägt ein Feuerchen, das rasch, unbemerkt vom Kantor und seinen
Frauen, hochschlägt, die Kleider und die Leiber erfaßt, alles verbrennen will.
Die Flammen ziehen hoch, als wollten sie in den
Himmel aufsteigen. Fensterscheiben platzen, Altar, Gestühl, Kanzel knacken,
knarren, stöhnen ob der Hitze.
Die Kirche wird im vorderen Teil von glühend
brünstig steigenden Flammen, einem Heer von stichelnden Zungen, niedergemacht.
Chor, Altarraum, Kanzel, die feste Burg, brennen
nieder, bevor noch die Feuerwehrhauptleute Feuer rufen können. Das Langhaus des
einschiffig himmelhohen Kirchenraumes glüht platzend und berstend aus, versinkt
in brodelnd-stiebender Funkenasche, Stunde für Stunde.
Nachbrunst vollzieht sich in Geprassel pfingstlichen
Züngelns. Stille dann.
Die nach Westen gelegene Orgelempore ist unversehrt
geblieben, schwarz verblockt; die Mauern klaffend, ungeschützt vor Wind und
Wetter und den Objektiven aller herangeschafften Kameras, der verstörte
Kirchenraum wund und bloß.
Bis fleißige Menschen aus den umliegenden Dörfern
und Bauernhöfen kommen und nehmen auf die Arbeit, die betenden Mühen. Sie
planen, zeichnen, sägen, mauern, hämmern, schütten Beton, setzen brandrote,
heimische Klinker; ziehen geborstene Stützpfeiler hoch und rüsten das Dach ein,
setzen Blitzableiter. Die erhalten gebliebene Kirche mit Portal und Orgelwerk auf
der Empore wird rekonstruiert und gereinigt; Etagen, Treppenhäuser,
Feuerlöscher mit Polyäthyl-Irgendwas ziehen ein. Menschlein steigen schweigend
in die kleine Wohnburg, die Kirchenfeste: Alte, Berber, Arbeitslose, Obdachlose
und Psychotiker - Querulanten; ein gemischtes Völkchen besiedelt den
Kirchenruine.
Doch die Menschen verstummen noch am ersten Tag,
sagen aber ihren Kindern: Wir müssen froh sein. Hier wohnen zu dürfen!
Ein Mädchen in rotstoppligem Haar begibt sich in der
sonnig-stillen Mittagsstunde eines Sommertages auf die Suche nach einem
Spielfreund. Gelangt über Treppen, Stiegen, Galerien, unverschlossene Türchen,
verschnörkelte Wendelgitter, durch einen staubig verspinnwebten Kriechgang in
einen unter dem Dach eingerichteten Kuppelraum.
Als sie am Abend, nach ruhigem Schlaf, schreiend
hier oben erwacht und sich im Dunkel nicht mehr hinuntertraut, wird sie spät
bis in den letzten Dämmerminuten gesucht.
Geduckt, aus Äuglein lauernd betritt, mutig suchend,
die Mutter des Mädchens den Raum. Sie richtet sich auf, ihr Kind stürzt ihr
entgegen, es drängen die Nachfolgenden hinauf. Sie treten ein, schauen sie sich
um und finden den Raum leer und öd.
In diesem Augenblick, erzählen sie sich später bei
Bier und Prasselgebet, fallen vom Kreuzgewölbe die an langen Sehnen hängenden
Ohrlappen herab.
Platsch!
Und Stille!
Und Stille!
Und das Wappen auf der Blechtür zur Wendeltreppe im Turmaufgang war zerschmolzen.
*
© by reyntjes
Nachdruck zu Lehr- oder Belehrungs-Zwecken freundlich genehmigt!
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