Samstag, 31. Dezember 2011

Heine: "Deutschland, das sind wir selber"































Ein ehrlicher Heine, schlicht skulptiert; mensch muss ihn erklettern den „Brocken“: Heinrich Heine-Gedenkstein auf dem Brocken in Sachsen-Anhalt





Zitatsuche - I -

... gesucht und gefunden! - Wer sich rasch informiern, bitte sehr, siehe unten.

  • Ansonsten eine kleine Ablenkung vom oder zum oder im Deutschtum, am silvestrigen Tag des Jahres ...


... von Friedrich R ü c k e r t:

Grammatische Deutschheit

Neulich deutschten auf deutsch vier deutsche Deutschlinge deutschend,
Sich überdeutschend am Deutsch, welcher der deutscheste sei.
Vier deutschnamig benannt: Deutsch, Deutscherig, Deutscherling, Deutschdich:
Selbst so hatten zu deutsch sie sich die Namen gedeutscht.

Jetzt wettdeutschten sie, deutschend in grammatikalischer Deutschheit,
Deutscheren Komparativ, deutschesten Superlativ.
"Ich bin deutscher als deutsch." "Ich deutscherer." "Deutschester bin ich."
"Ich bin der Deutschereste oder der Deutschestere."

Drauf durch Komparativ und Superlativ fortdeutschend,
Deutschten sie auf bis zum - Deutschesteresteresten,
Bis sie vor komparativistisch- und superlativistischer Deutschung
Den Positiv von deutsch hatten vergessen zuletzt.



Heine: "Deutschland, das sind wir selber?" -

Vorbote einer großen Rede?



  • Es wird auf jeden Fall schon viel geschwätzt in deutschen Medien:

Heine sei zitiert worden: Heine, der gesagt habe: „Deutschland, das sind wir selbst.“

So in Vorabmeldungen zu vernehmen (akustisch oder internetal):

"Deutschland, das sind wir selber", sagte die Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache, die an diesem Sonnabend im Fernsehen ausgestrahlt wird. Die Kanzlerin zitierte mit diesem Spruch Heinrich Heine. Merkel betonte, mit mehr gemeinsamer Anstrengung in Deutschland und in Europa werde es gelingen, die große Krise zu überwinden. Europa befinde sich in seiner "schwersten Bewährungsprobe seit Jahrzehnten", räumte die Bundeskanzlerin in ihrer am Freitag aufgezeichneten Ansprache ein. (Aus einer Vorstadt-Zeitung; wie in 146 anderen Google-Nachweisen)


*

  • Ja natürlich auch schon als Ganzschrift der Merkelsche Kontext; er ist schon zu lesen:

„Der Dichter Heinrich Heine hat es auf den Punkt gebracht, als er schrieb: "Deutschland - das sind wir selber." Für viele von Ihnen ist das Mitmachen ganz selbstverständlich und wichtig. Von dieser Tatkraft lebt unser Land. Sie macht es menschlich, und sie macht es erfolgreich. Dafür bin ich dankbar. Darauf baue ich. Auch in Zukunft.“





Wozu verhilft die Suche? Ob in Gegenwart oder Zukunft? Zu Allgemeinsprüchen. Zu unbewiesenen Zitatsammlungen. - Genügt der Klang, der Schall, das kurzfristige Licht im Nebel?

So lese ich selber in der „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ (publiziert im Dezember 1934) wunderbare Sätze mit dem erschreckend präzisen reflexiv-indefiniten Pronomen „selber“

Bitte, sehr; lesen Sie es selber:


„Ich glaube es ist nicht Talentlosigkeit, was die meisten deutschen Gelehrten davon abhält, über Religion und Philosophie sich populär auszusprechen. Ich glaube, es ist Scheu vor den Resultaten ihres eigenen Denkens, die sie nicht wagen dem Volke mitzuteilen. Ich, ich habe nicht diese Scheu, denn ich bin kein Gelehrter, ich selber[AR.] bin Volk. Ich bin kein Gelehrter, ich gehöre nicht zu den 700 Weisen Deutschlands. Ich stehe mit dem großen Haufen vor den Pforten ihrer Weisheit, und ist da irgend eine Wahrheit durchgeschlüpft, und ist diese Wahrheit bis zu mir gelangt, dann ist sie weit genug: – ich schreibe sie mit hübschen Buchstaben auf Papier und gebe sie dem Setzer; der setzt sie in Blei und gibt sie dem Drucker; dieser druckt sie und sie gehört dann der ganzen Welt.“

Aber ich finde nicht den selbst-verständlichen Ausspruch „Deutschland, das sind wir selber!“ Jedenfalls – nicht – den Nachweis.

  • So bin ich selbst der Deutschland-Sucher; gewiss in anderer Form, als Frau Merkel sich äußern wollte: Deutschland, das bist du! Nimm teil an dem Schwindel, der mit dem Geld der Europäer ge- und verhandelt wird.

Ich bin gespannt, welcher Deutsche oder Europäer den Satz findet; wer ihn finden will, es wird mir verschwiegen bleiben; wer mehr Glück beim Heine-Bosseln hat als ich, ich werde es wohl erfahren..


P. S. ad „selber/selbst“ in Heines Werk


Es finden sich in der wohl dreißig starke „Selber/Selbst“-Sätze, fast alle mit dem starken, klangvollen, zweisilbigen „Selber“-Spruch; ad exemplum:


„In der Tat, welche kolossale Konsequenz in der christlichen Kunst, namentlich in der Architektur! Diese gotischen Dome, wie stehen sie im Einklang mit dem Kultus, und wie offenbart sich in ihnen die Idee der Kirche selber! Alles strebt da empor, alles transsubstanziert sich: der Stein sproßt aus in Ästen und Laubwerk und wird Baum; die Frucht des Weinstocks und die Ähre wird Blut und Fleisch; der Mensch wird Gott; Gott wird reiner Geist!“

Oh, der Sucher:

"In meinem Hirne rumort es und knackt, ich glaube da wird ein Koffer gepackt, und mein Verstand reist ab - o wehe - noch früher als ich selber gehe." (H.H.: Babylonische Sorgen, 1854)

Du – das wirst noch einflechten müssen in deine deutsch-gesinnte Heine-Orgie:

„Die schlesischen Weber“ vom Juni 1844; berichtend vom Weberaufstand, der in den schlesischen Elends-Ortschaften Peterswaldau und Langenbielau begann
Linkund niedergeschossen wurde.



Titelblatt des heilig-ehrenhaften „Vorwärts!“ mit Heines „Weberlied“, 1844

„Die schlesischen Weber"

Im düstern Auge keine Thräne,
sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne;
Deutschland, wir weben dein Leichentuch.
Wir weben hinein den dreyfachen Fluch –
Wir weben, wir weben! (…)“


Und dies ist die Realiltät, keine zitierte Zukunft als Ablenkung:
Unser aller Selbst: HARTZ-IV-ler können es schon heute: Fluchen! Fluch dem Renten-Land, das schon nach ein paar Monate, oder nach 35 Jahren – den Elendsanspruch bereit hältst: Du darfst, nee: musst die Grundsicherung beantragen. Während Macher: Politfritzen und Präsidenten die Millionen für einen Zinssatz sich gewähren lassen, der nicht mal die Bearbeitungsgebühr der auszahlenden Bank einträgt.


Non taedium vitae:

Für Briefmarken-Freunde des H.H., philatelistisch opulent:




P.S. 2]
Wunderlich: Wer gut und recht googelt, findet auch den angepriesenen Heine, der von sich und uns sagte: „Deutschland, d a s s i n d w i r “.

Aber, was sagte er?

»Den ganzen Morgen hab ich häufige, bittere Tränen der Rührung und Kränkung geweint! Oh, ich habe es nie gewußt, daß ich mein Land so liebe! Wie einer, der durch Physik den Wert des Blutes etwa nicht kennt: wenn man's ihm abzieht, wird er doch hinstürzen.«
Heine, unterwegs für das gesitige Deutschland:

"Das ist es. Deutschland, das sind wir selber. Und darum wurde ich plötzlich so matt und krank beim Anblick jener Auswandrer, jener großen Blutströme, die aus den Wunden des Vaterlands rinnen und sich in den afrikanischen Sand verlieren. Das ist es; es war wie ein leiblicher Verlust, und ich fühlte in der Seele einen fast physischen Schmerz. Vergebens beschwichtigte ich mich mit vernünftigen Gründen: Afrika ist auch ein gutes Land, und die Schlangen dort züngeln nicht viel von christlicher Liebe, und die Affen dort sind nicht so widerwärtig wie die deutschen Affen – und zur Zerstreuung summte ich mir ein Lied vor. Zufällig aber war es das alte Lied von Schubart:

» . . . . . . . . . . .
Wir sollen über Land und Meer
Ins heiße Afrika.
. . . . . . . . . . .
An Deutschlands Grenzen füllen wir
Mit Erde noch die Hand;
Und küssen sie, das sei dein Dank
Für Schirmung, Pflege, Speis und Trank,
Du liebes Vaterland.«
[...]
[Aus Schubarts bitterem Kaplied von 1787]

Original Heine, nicht nachzubeten, zu zitieren ohne Schmerz, nein:
Ein Deutschland-Bild der Schmerzen und der verlorenen Utopien, der Heimatlosigkeit!

Wunderlich? Neee - selbst- oder selber-verständlich, wie eine Kanzlerin diesen Deutschlandland-Begriff, diese Deutschland-Unermesslichkeit, dieses verlorenen Deutschland meinen konnte ... mit ihrem Zitat-Missgriff! Mit ihrer Unbelesenheit! Ihrer eingeschränkten Ideengeschichte. Ein beklauter Heine!

Da tröste ich mich für heute.
Und lese weiter in der "Vorrede" zum ersten Band des "Salon", aus der das Zitat gefitscht, gefitzt, gefinkelt ... gefälscht worden ist, von Harry Heinrich Heine geschrieben zu "Paris, den 17. Oktober 1833":

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