Ja,
die Poesie über Lindenbäume…(es standen schon einige hier in den
Dateien des ST; von Lehmann, von Seidel…
Ich
biete hier einen „Lendenboom“ - in Niederdeutsch, wie es im Kreis
Kleve am Niederrhein gesprochen wird - von einer persönlichen
Bekannten, die schon 1995 starb, einer Magd, einer
Gärtnereiarbeiterin, einer persönlich Bekannten unserer Familie in
Goch am Niederrhein.
Anna
Kempkes hat ihren „Lendenboom“ beschrieben, der 600 m von dem
Bauernhof „Pannofen“ entfernt steht, ja, noch immer steht und
wächst, auf dem ich geboren wurde. Auch vor unserem Haus stand eine
gleichzeitig gepflanzte Linde, die im Krieg von einer Granate
beschädigt wurde und aus Unachtsamkeit in den 80-er Jahren gefällt
wurde.
Das
plattdeutsche Gedicht kann wohl jeder verstehen.
„Vortse
Brökk“; ein lokaler Name, die Brücke an der Furt durch die Niers
östlich von Goch, in den Kalbecker Wald hinein. Ihn durchquerte dort
auch die „Bokselse Boan“, die „Boxteler Bahn“, die einmal vor
Kriegszeit von Amsterdam nach Petersburg fuhr.
Arno Holz:Die uralte KornfeldlindeAus einem Kornfeld,schräg zum See,hob sich die Linde.Auf schmalem Fußweg an ihr vorbei,jeden Nachmittag durch die Juliglut zum Baden,wir Jungens.Der blaue Himmel, die tausend gelben Blüten, das Bienengesumm!Und noch immer,wenn die andern längst unten waren,- aus dem Wasser klang ihr Lachen und Geschrei -stand ich.Und sah den Himmelund hörte die Bienenund sog den Duft.
*
Von einer LINDE, von meiner Linde -
Nicht nur im Volkslied - vor meinem Vaterhaus stand eine
alte Linde, eine wirklich dicke und hohe Linde. In deren Spitze ich
nie geklettert bin (Ich kann es auch nie mehr nachholen. Sie steht
nicht mehr, dort auf dem Pannofen, dem Baumhof, der alten,
aufgelassenen Ziegelei, deshalb: Pannenhof: Der Hof, wo Ziegel und
Dachziegel gebrannt wurden.)
Winterlinde
(Tilia cordata)
*
Der Krieg - der zweite, der Weltkrieg - hatte an ihr
genagt: ein großes Loch seitlich, von einer Granate gerissen, hatte
den Stamm in einer Tiefe von wohl 40 cm angefressen. Die Rinde wuchs
Jahr für Jahr seitlich herum wulstartig weiter, konnte aber dieses
Loch nie umwachsen. Aus diesem Loch holten wir im Auftrag der Mutter
vermodertes Baummehl als Blumenerde heraus.
Zurückblickend kann ich den Umfang nicht mehr genau
beschreiben, aber wohl vier Kinderarmpaare, ausgestreckt, konnten sie
kaum umfangen. Auch über die Höhe kann ich leider nur spekulieren,
aber sie war bestimmt höher als zwanzig Meter, also noch nicht
einmal ausgewachsen für ihre Art. Sie beschützte unser Bauernhaus
mit ihrem sommerlichen Schatten bis in die Zimmerfenster des ersten
Stockwerks, ihre Zweige reichten weit übers Dach. Im Winter heulte
der Wind im Baum so hohl, dass er die Kinder vor dem Einschlafen noch
erschaudern ließ. Vom Sturm herabgeschlagene Äste wurden regelmäßig
eingesammelt fürs Brennholz.
Bienen, Bienen - im Sommer, Mitte/Ende Juni, war für
zwei Wochen ein einziges summend-betörendes Geräusch tagelang um
unser Haus hören. Es war die süßlich duftende Blütezeit mit der
Sammeltätigkeit der Bienen, die so fleißig waren, dass wir als
Kinder kaum mal einen Bienenstich abbekamen, und nur dann, wenn wir
die Immen störten.
Ein Bild, das nach dem Krieg ein umherziehender Maler
von dem Bauernhof in Öl pinselte, zeigte die Vorderfront mit der sie
bergend überschattenden Linde. Leider weiß niemand mehr aus unserer
Familie, wo dieses Bild abgeblieben ist.
Heute denke ich, es wäre interessant gewesen, wenn mein
Vater Imker gewesen wäre; aber wir kriegten den Honig für den
Winter von einem Heideimker aus unserer Nachbarschaft. Ob jemals
dieser Imker bei uns auf dem Bauernhof Bienenkästen aufgestellt hat
- ich weiß es nicht. Wahrscheinlich lohnte es sich nicht: eine
Linde - für eine Blütezeit von etwa zwei Wochen!
Es war eine großblättrige Sommerlinde, nicht die
kleinblättrige Winterlinde, mit schwärzlich-rissiger Borke und
dunkelgrüner Blattoberseite und mit großer, runder, dichter Krone
auf recht kurzem Stamm. Für uns auf dem Bauernhof waren solche
botanischen Unterscheidungen allerdings nicht wichtig. Wir kannten
nur unsere Art Linde,
mit schiefen, herzförmigen Blättern mit der unteren, weichhaarigen
Seite.
In der Blütenzeit wurden die zungenförmigen
Blütenblätter, die eigentlich den pfefferkorngroßen Früchten als
Segelhilfe dienen, abgerupft und auf kleinen Darren getrocknet: für
die Winterzeit als Lindenblütentee aufgehoben, der uns bei
Erkältungen ins Schwitzen brachte.
Die Linde schlug jedes Jahr auch in der Griffhöhe von
uns Kindern viele, pitzige Triebe aus, die schnell verholzten und zu
kleinen Ästen sich verdickten; sie waren für unsere Kletterei die
Tritt gebenden Haltepunkte, auch wenn wir es nicht bis oben
schafften.
Ach, die Erinnerung an die Lindenschwärmer: fahlgraue,
kräftig braun und zackig gezeichnete Schmetterlinge, die sich in der
Evolution gut an die brüchige Struktur der Rinde angepaßt haben und
deren Raupen Lindenblätter brauchen. An die fingerdicken, grünen,
langsam kriechenden, 6 bis 7 cm großen Raupen erinnere ich mich auch
deshalb, weil ein Onkel für seine Schmetterlingssammlung die
kriechenden Exemplare in kleine, durch Löcher gut gelüftete
Zigarrenschachteln legte, bis die Verpuppung und die Metamorphose zum
Schmetterling abgeschossen war.
… Lindenschwärmer, der gruselig aussieht:
Neben alten, dicken Kastanien mit großen Elsternestern
in den Wipfeln war die Linde der älteste Baum auf dem Gelände einer
früheren Ziegelei; daher der Name des Hofes: Pannenhof.
Weil wir früh, ich war erst in der 7. Klasse der
Volksschule, also erst 13 Jahre, den Bauernhof verlassen haben, habe
ich nie in der Linde richtig geklettert; es war mir verboten, was die
älteren Brüder im Spiel untereinander mit den Großen schon
durften: auch beim Fangenspielen hoch in den Baum zu klettern.
Da ich später in meiner Jungenzeit richtige, schwierige
Kletterbäume gesucht habe, an die ich mich heute noch mit ein wenig
Schaudern erinnere, (denn manchmal geschah es, dass man sich
verkletterte und nach einer Pause des Mutschöpfens sich wieder an
den Abstieg wagte), denke ich ein wenig traurig an diese Hoflinde:
Ich weiß nicht, wie weit der Blick hätte schweifen können, wenn
ich sie einmal bestiegen hätte und von den noch festen Außenästen
die nähere Umgebung hätte betrachten können: Eine kleine Siedlung
mit eingeschossigen Häusern der Stadt zu und noch vier frei
stehenden Bauerngehöften in der Ferne vor dem grünen Hintergrund
des Kalbecker Waldes.
Heute kenne ich keine vergleichbar große, hohe Linde in
den Wäldern meiner jetzigen Umgebung oder vor den Bauernhäusern im
Münsterland.
Der Baum, meine
Linde, muß, ob wegen der großen Wunde im Außenholz, weiß ich
nicht, abgesägt worden sein; oder auch nur weil die ganze Gegend zum
Bauland umgewandelt wurde und heute dort Einfamilienreihenhäuser
stehen, mit einer kleinen Sandkuhle und dem
Standard-Spielplatzangebot: Schaukel, Sandkasten, Kletterbrücke,
Aufpassmädchen.
Der Ort meiner Kindheit ist nur in meinen Erinnerungen
aufgehoben, als halbwilde Freizeit, gelegentlich unterbrochen von
Ordnungs-, Arbeits- oder Essensrufen der Mutter und Vater, eine Zeit,
in der es anscheinend nur sonnige Sommertage gab: Eltern und Kinder
auf den Feldern draußen oder mit der Fuhre Getreidegarben auf dem
Heimweg in die Scheune.
Als ich kürzlich meiner Mutter von meiner
Linden-Beschreibung erzählte, fiel ihr spontan ein wenig
erfreulicher Umstand: In der Blütezeit sei der Baum eine Quelle
großer Sauerei gewesen: Der Blütenstaub, kräftig gelb, hätte
immer die Scheiben der Frontfenster versaut; da hieß es kräftig
putzen, um den Durchblick zu halten. Der Querschnitt des Stammes sei
bestimmt größer als 1,80 Meter gewesen.
Auf dem gesamten Gelände des früheren Bauernhofes,
einschließlich der Äcker und Wiesen fand ich nur noch einen
Baum aus meiner Kinderzeit wieder: eine recht stämmige, hoch
aufgeschossene Zitterpappel, die früher mit zwei anderen Exemplaren
unseren Ententeich überragten.
Als Schuljunge hatte ich in der Nachkriegszeit noch
erlebt, wie ein Holzschuhmacher mit meinem Vater die zwei Bäume
fällte, um aus dem weichen, leichten Holz "Klompen" zu
schneiden; Holzschuhe.
Vom Schauplatz meiner wilden und freien Kindheit mit
durchaus gefährlichen Kletterspielen ist nur diese eine Pappel
stehen geblieben, in die ich nicht mehr klettern konnte, weil die
ersten tragfähigen Äste in vier Meter Höhe ansetzen.
Nach meiner unfachmännischen Schätzung muß unsere
Hoflinde etwa 180, vielleicht 200 Jahre alt gewesen sein.
Bei diesem Besuch in meiner Heimat bin ich zu der mir
bekannten, nächsten großen Linde gefahren, einem monumentalen Baum,
aber bestimmt zwanzig Jahre jünger als unsere Hoflinde; zwei
Erwachsene können sich heute gut ringsum die Hände reichen.
All das andere Gelände, bestimmt zehn Morgen Land: fein
säuberlich abgezirkelte, gepflegte Vorgärten vor den Eigenheimen
und einem größeren Terrassenbau, Zufahrten und Stichstraßen, mit
dem einen erwähnten Kinderspielplatz, der keinen Geschmack mehr von
meiner Kindheit
aufkommen ließ.
Als kleine, ästhetische Hilfe für die Erinnerung habe
ich mir Lindenbaum-Gedichte herausgesucht. Ein kleiner Ersatz, wird
doch in diesen Liedern häufig von Wehmut und zartherben Stimmungen
gesprochen.
*
Ernst Toller:GeschützwacheSternenhimmel.Gebändigtes UntierGlänzt mein Geschütz,Glotzt mit schwarzem RohrZum milchigen Mond.Käzchen schreit.Wimmert im Dorf ein Kind.Geschoß,Tückischer Wolf,Bricht ins schlafende Haus.Lindenblüten duftet die Nacht.(Aus dem Zyklus „Verse vom Friedhof“. In: Vormorgen. 1924. S. 278)
a, die Poesie der Lindenbäume...(es
standen schon einige hier in den Dateien des ST; von Lehmann, von Ina
Seidel…
Ich biete hier einen „Lendenboom“
(auf nd.) von einer Dichterin, die schon 1995 starb, einer Magd,
einer Gärtnereiarbeiterin, einer persönlich Bekannten unserer
Familie in Goch am Niederrhein.
Anna Kempkes hat ihren „Lendenboom“
auf der "Vossheide" beschrieben, der 600 m von dem
Bauernhof „Pannofen“ entfernt steht, ja, noch immer steht und
wächst, auf dem ich geboren wurde. Auch vor unserem Haus stand eine
gleichzeitig gepflanzte Linde, die im Krieg von einer Granate
beschädigt wurde und aus Unachtsamkeit in den 80-er Jahren gefällt
wurde.
Das plattdeutsche Gedicht kann wohl
jeder verstehen.
„Vortse Brökk“; ein lokaler Name,
die Brücke an der Furt durch die Niers östlich von Goch, in den
Kalbecker Wald hinein. Ihn durchquerte dort auch die „Bokselse
Boan“, die „Boxteler Bahn“, die einmal vor Kriegszeit von
Amsterdam nach Petersburg fuhr.
Anna Kempkes:Dänn Lendenboom
Op dä Vossenhej, korrt bej dä Vortse Brökk,der stett enne groote Lendenboom.Hej hät so männege Störm belävt,merr wiegt noch stolz sinn Kroon.
In dä Sommerdag, wänn sinn Täkke blööje,dann komme dä Bejje in Schoore.An Oves, wänn dä Moond opgett,kommen ok dij Liebespoore.
Sätte sich op dä Bank der onder dänn Boom,kieke sich in örr verlievde Ooge drinn.An ess et ok düster rondherümm,dij Ooge stroole in dä Moondeschinn.
Dä Nachtigall sengt in dä Lendenboom,merr, dänn Üll flog no dä Bokselse Boan,want, wänn hej dä Nachtigall senge hört,der kann hej nij täggen oan.
Mooj ess sönne Sommerovend,dä Vollmoond schinnt dörr dä Lendenboom.Merr, wij datt nii kann verstoon,dänn mott met dänn üll merr schloope goon.(Aus: Hans Polders: Ons Moodersprook. Kleve 1981: Boss-Verlag. S. 126f.)
*
Auch von blühenden Linden, von
duftenden Bäumen als krassen Gegensatz zu den kriegerischen,
tötenden Geschossen in seiner unmittelbaren Nähe, nicht in ihrem
bergenden Schutz, berichtet Ernst Toller (1893 – 1939) aus dem
Weltkrieg, der später der „erste“ genannt werden musste:
Ernst Toller: Geschützwache
Sternenhimmel.
Gebändigtes Untier
Glänzt mein Geschütz,
Glotzt mit schwarzem Rohr
Zum milchigen Mond.
Kätzchen schreit.
Wimmert im Dorf ein Kind.
Geschoß,
Tückischer Wolf,
Bricht ins schlafende Haus.
Lindenblüten duftet die Nacht.
(Aus dem Zyklus „Verse vom Friedhof“.
In: Vormorgen. 1924. S. 278)
iustitia antwortete am 21.08.04
(11:38):
Lindenpoesie...
Ein Hinweis auf Astrid Lindgrens
Märchen „Klingt meine Linde“ (übersetzt von Anne-Liese
Kornitzky)
(Hier die Einleitung dieses Märchens,
das eine schöne Verbindung schafft zwischen Volks-/Kinder- und
Hausmärchen, als ein psychologisches Kunstmärchen…)
Im Winter kann man die Linden auf dem Grundstück nicht sehen,
sondern nur Prof. Konrad Lorenz, eine Graugans (und Besucher aus Münster)
sondern nur Prof. Konrad Lorenz, eine Graugans (und Besucher aus Münster)
Astrid Lindgren:
Vor langer Zeit, in den Tagen der
Armut, da gab es noch Armenhäuser im ganzen Land, in jedem
Kirchspiel eins. Dort wohnten die Ärmsten der Armen, Alten und
Gebrechlichen, die nicht mehr arbeiten konnten, die Hungerleider und
Kranken und Bresthaften, die närrischen Tröpfe und die
Waisenkinder, die niemand Pflege nehmen wollte. Sie alle brachte man
zur Stätte der Seufzer, die das Spittel war.
Auch im Kirchspiel Norka gab es eins,
und dorthin kam Malin, als sie acht Jahre alt war.
Vater und Mutter waren an der
Schwindsucht gestorben, und da die Norkabauern fürchteten, Malin
könnte ihnen die Krankheit ins Haus bringen, wollte sie keiner für
Geld in Pflege nehmen, wie es sonst Brauch war, und deshalb kam sie
ins Spittel.
Es war noch zeitig im Frühjahr an
einem Samstagabend, und alle Armenhäusler hockten am Fenster und
gafften auf die Dorfstraße hinaus. Es war dies das einzige Vergnügen
der Allerärmsten am Samstagabend. Nicht, daß es so viel zu sehen
gegeben hätte. Dort kam ein verspätetes Bauernfuhrwerk von einer
Reise in die Stadt heim, dort kamen ein paar Häuslerbuben auf dem
Web zum Angeln, und dort kam auch Malin mit ihrem Kleiderbündel
unter dem Arm, und ihr starrten sie alle entgegen.
Ich Ärmste, ich muß ins Spittel,
dachte Malin, als sie auf der Vortreppe stand, Ich Ärmste! (…)
(In: A.L.: Märchen. Hamburg 1978:
Oetinger Verlag. S. 273 -287)
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