Sonntag, 1. März 2020

Von meinen L I N D E (n)

Ja, die Poesie über Lindenbäume…(es standen schon einige hier in den Dateien des ST; von Lehmann, von Seidel…

Ich biete hier einen „Lendenboom“ - in Niederdeutsch, wie es im Kreis Kleve am Niederrhein gesprochen wird - von einer persönlichen Bekannten, die schon 1995 starb, einer Magd, einer Gärtnereiarbeiterin, einer persönlich Bekannten unserer Familie in Goch am Niederrhein.

Anna Kempkes hat ihren „Lendenboom“ beschrieben, der 600 m von dem Bauernhof „Pannofen“ entfernt steht, ja, noch immer steht und wächst, auf dem ich geboren wurde. Auch vor unserem Haus stand eine gleichzeitig gepflanzte Linde, die im Krieg von einer Granate beschädigt wurde und aus Unachtsamkeit in den 80-er Jahren gefällt wurde.

Das plattdeutsche Gedicht kann wohl jeder verstehen.
Vortse Brökk“; ein lokaler Name, die Brücke an der Furt durch die Niers östlich von Goch, in den Kalbecker Wald hinein. Ihn durchquerte dort auch die „Bokselse Boan“, die „Boxteler Bahn“, die einmal vor Kriegszeit von Amsterdam nach Petersburg fuhr.

Arno Holz:
Die uralte Kornfeldlinde

Aus einem Kornfeld,
schräg zum See,
hob sich die Linde.
Auf schmalem Fußweg an ihr vorbei,
jeden Nachmittag durch die Juliglut zum Baden,
wir Jungens.
Der blaue Himmel, die tausend gelben Blüten, das Bienengesumm!
Und noch immer,
wenn die andern längst unten waren,
- aus dem Wasser klang ihr Lachen und Geschrei -
stand ich.
Und sah den Himmel
und hörte die Bienen
und sog den Duft.
*

Von einer LINDE, von meiner Linde -

Nicht nur im Volkslied - vor meinem Vaterhaus stand eine alte Linde, eine wirklich dicke und hohe Linde. In deren Spitze ich nie geklettert bin (Ich kann es auch nie mehr nachholen. Sie steht nicht mehr, dort auf dem Pannofen, dem Baumhof, der alten, aufgelassenen Ziegelei, deshalb: Pannenhof: Der Hof, wo Ziegel und Dachziegel gebrannt wurden.)

Winterlinde (Tilia cordata)
* 


Der Krieg - der zweite, der Weltkrieg - hatte an ihr genagt: ein großes Loch seitlich, von einer Granate gerissen, hatte den Stamm in einer Tiefe von wohl 40 cm angefressen. Die Rinde wuchs Jahr für Jahr seitlich herum wulstartig weiter, konnte aber dieses Loch nie umwachsen. Aus diesem Loch holten wir im Auftrag der Mutter vermodertes Baummehl als Blumenerde heraus.
Zurückblickend kann ich den Umfang nicht mehr genau beschreiben, aber wohl vier Kinderarmpaare, ausgestreckt, konnten sie kaum umfangen. Auch über die Höhe kann ich leider nur spekulieren, aber sie war bestimmt höher als zwanzig Meter, also noch nicht einmal ausgewachsen für ihre Art. Sie beschützte unser Bauernhaus mit ihrem sommerlichen Schatten bis in die Zimmerfenster des ersten Stockwerks, ihre Zweige reichten weit übers Dach. Im Winter heulte der Wind im Baum so hohl, dass er die Kinder vor dem Einschlafen noch erschaudern ließ. Vom Sturm herabgeschlagene Äste wurden regelmäßig eingesammelt fürs Brennholz.
Bienen, Bienen - im Sommer, Mitte/Ende Juni, war für zwei Wochen ein einziges summend-betörendes Geräusch tagelang um unser Haus hören. Es war die süßlich duftende Blütezeit mit der Sammeltätigkeit der Bienen, die so fleißig waren, dass wir als Kinder kaum mal einen Bienenstich abbekamen, und nur dann, wenn wir die Immen störten.

Ein Bild, das nach dem Krieg ein umherziehender Maler von dem Bauernhof in Öl pinselte, zeigte die Vorderfront mit der sie bergend überschattenden Linde. Leider weiß niemand mehr aus unserer Familie, wo dieses Bild abgeblieben ist.
Heute denke ich, es wäre interessant gewesen, wenn mein Vater Imker gewesen wäre; aber wir kriegten den Honig für den Winter von einem Heideimker aus unserer Nachbarschaft. Ob jemals dieser Imker bei uns auf dem Bauernhof Bienenkästen aufgestellt hat - ich weiß es nicht. Wahrscheinlich lohnte es sich nicht: eine Linde - für eine Blütezeit von etwa zwei Wochen!
Es war eine großblättrige Sommerlinde, nicht die kleinblättrige Winterlinde, mit schwärzlich-rissiger Borke und dunkelgrüner Blattoberseite und mit großer, runder, dichter Krone auf recht kurzem Stamm. Für uns auf dem Bauernhof waren solche botanischen Unterscheidungen allerdings nicht wichtig. Wir kannten nur unsere Art Linde, mit schiefen, herzförmigen Blättern mit der unteren, weichhaarigen Seite.
In der Blütenzeit wurden die zungenförmigen Blütenblätter, die eigentlich den pfefferkorngroßen Früchten als Segelhilfe dienen, abgerupft und auf kleinen Darren getrocknet: für die Winterzeit als Lindenblütentee aufgehoben, der uns bei Erkältungen ins Schwitzen brachte.
Die Linde schlug jedes Jahr auch in der Griffhöhe von uns Kindern viele, pitzige Triebe aus, die schnell verholzten und zu kleinen Ästen sich verdickten; sie waren für unsere Kletterei die Tritt gebenden Haltepunkte, auch wenn wir es nicht bis oben schafften.

Ach, die Erinnerung an die Lindenschwärmer: fahlgraue, kräftig braun und zackig gezeichnete Schmetterlinge, die sich in der Evolution gut an die brüchige Struktur der Rinde angepaßt haben und deren Raupen Lindenblätter brauchen. An die fingerdicken, grünen, langsam kriechenden, 6 bis 7 cm großen Raupen erinnere ich mich auch deshalb, weil ein Onkel für seine Schmetterlingssammlung die kriechenden Exemplare in kleine, durch Löcher gut gelüftete Zigarrenschachteln legte, bis die Verpuppung und die Metamorphose zum Schmetterling abgeschossen war.

Lindenschwärmer, der gruselig aussieht:



Neben alten, dicken Kastanien mit großen Elsternestern in den Wipfeln war die Linde der älteste Baum auf dem Gelände einer früheren Ziegelei; daher der Name des Hofes: Pannenhof.

Weil wir früh, ich war erst in der 7. Klasse der Volksschule, also erst 13 Jahre, den Bauernhof verlassen haben, habe ich nie in der Linde richtig geklettert; es war mir verboten, was die älteren Brüder im Spiel untereinander mit den Großen schon durften: auch beim Fangenspielen hoch in den Baum zu klettern.
Da ich später in meiner Jungenzeit richtige, schwierige Kletterbäume gesucht habe, an die ich mich heute noch mit ein wenig Schaudern erinnere, (denn manchmal geschah es, dass man sich verkletterte und nach einer Pause des Mutschöpfens sich wieder an den Abstieg wagte), denke ich ein wenig traurig an diese Hoflinde: Ich weiß nicht, wie weit der Blick hätte schweifen können, wenn ich sie einmal bestiegen hätte und von den noch festen Außenästen die nähere Umgebung hätte betrachten können: Eine kleine Siedlung mit eingeschossigen Häusern der Stadt zu und noch vier frei stehenden Bauerngehöften in der Ferne vor dem grünen Hintergrund des Kalbecker Waldes.
Heute kenne ich keine vergleichbar große, hohe Linde in den Wäldern meiner jetzigen Umgebung oder vor den Bauernhäusern im Münsterland.

Der Baum, meine Linde, muß, ob wegen der großen Wunde im Außenholz, weiß ich nicht, abgesägt worden sein; oder auch nur weil die ganze Gegend zum Bauland umgewandelt wurde und heute dort Einfamilienreihenhäuser stehen, mit einer kleinen Sandkuhle und dem Standard-Spielplatzangebot: Schaukel, Sandkasten, Kletterbrücke, Aufpassmädchen.

Der Ort meiner Kindheit ist nur in meinen Erinnerungen aufgehoben, als halbwilde Freizeit, gelegentlich unterbrochen von Ordnungs-, Arbeits- oder Essensrufen der Mutter und Vater, eine Zeit, in der es anscheinend nur sonnige Sommertage gab: Eltern und Kinder auf den Feldern draußen oder mit der Fuhre Getreidegarben auf dem Heimweg in die Scheune.

Als ich kürzlich meiner Mutter von meiner Linden-Beschreibung erzählte, fiel ihr spontan ein wenig erfreulicher Umstand: In der Blütezeit sei der Baum eine Quelle großer Sauerei gewesen: Der Blütenstaub, kräftig gelb, hätte immer die Scheiben der Frontfenster versaut; da hieß es kräftig putzen, um den Durchblick zu halten. Der Querschnitt des Stammes sei bestimmt größer als 1,80 Meter gewesen.
Auf dem gesamten Gelände des früheren Bauernhofes, einschließlich der Äcker und Wiesen fand ich nur noch einen Baum aus meiner Kinderzeit wieder: eine recht stämmige, hoch aufgeschossene Zitterpappel, die früher mit zwei anderen Exemplaren unseren Ententeich überragten.

Als Schuljunge hatte ich in der Nachkriegszeit noch erlebt, wie ein Holzschuhmacher mit meinem Vater die zwei Bäume fällte, um aus dem weichen, leichten Holz "Klompen" zu schneiden; Holzschuhe.
Vom Schauplatz meiner wilden und freien Kindheit mit durchaus gefährlichen Kletterspielen ist nur diese eine Pappel stehen geblieben, in die ich nicht mehr klettern konnte, weil die ersten tragfähigen Äste in vier Meter Höhe ansetzen.
Nach meiner unfachmännischen Schätzung muß unsere Hoflinde etwa 180, vielleicht 200 Jahre alt gewesen sein.

Bei diesem Besuch in meiner Heimat bin ich zu der mir bekannten, nächsten großen Linde gefahren, einem monumentalen Baum, aber bestimmt zwanzig Jahre jünger als unsere Hoflinde; zwei Erwachsene können sich heute gut ringsum die Hände reichen.
All das andere Gelände, bestimmt zehn Morgen Land: fein säuberlich abgezirkelte, gepflegte Vorgärten vor den Eigenheimen und einem größeren Terrassenbau, Zufahrten und Stichstraßen, mit dem einen erwähnten Kinderspielplatz, der keinen Geschmack mehr von meiner Kindheit aufkommen ließ.

Als kleine, ästhetische Hilfe für die Erinnerung habe ich mir Lindenbaum-Gedichte herausgesucht. Ein kleiner Ersatz, wird doch in diesen Liedern häufig von Wehmut und zartherben Stimmungen gesprochen.

*

Ernst Toller:
Geschützwache

Sternenhimmel.
Gebändigtes Untier
Glänzt mein Geschütz,
Glotzt mit schwarzem Rohr
Zum milchigen Mond.
Käzchen schreit.
Wimmert im Dorf ein Kind.
Geschoß,
Tückischer Wolf,
Bricht ins schlafende Haus.
Lindenblüten duftet die Nacht.
(Aus dem Zyklus „Verse vom Friedhof“. In: Vormorgen. 1924. S. 278)

a, die Poesie der Lindenbäume...(es standen schon einige hier in den Dateien des ST; von Lehmann, von Ina Seidel…

Ich biete hier einen „Lendenboom“ (auf nd.) von einer Dichterin, die schon 1995 starb, einer Magd, einer Gärtnereiarbeiterin, einer persönlich Bekannten unserer Familie in Goch am Niederrhein.
Anna Kempkes hat ihren „Lendenboom“ auf der "Vossheide" beschrieben, der 600 m von dem Bauernhof „Pannofen“ entfernt steht, ja, noch immer steht und wächst, auf dem ich geboren wurde. Auch vor unserem Haus stand eine gleichzeitig gepflanzte Linde, die im Krieg von einer Granate beschädigt wurde und aus Unachtsamkeit in den 80-er Jahren gefällt wurde.
Das plattdeutsche Gedicht kann wohl jeder verstehen.
„Vortse Brökk“; ein lokaler Name, die Brücke an der Furt durch die Niers östlich von Goch, in den Kalbecker Wald hinein. Ihn durchquerte dort auch die „Bokselse Boan“, die „Boxteler Bahn“, die einmal vor Kriegszeit von Amsterdam nach Petersburg fuhr.

Anna Kempkes:
Dänn Lendenboom

Op dä Vossenhej, korrt bej dä Vortse Brökk,
der stett enne groote Lendenboom.
Hej hät so männege Störm belävt,
merr wiegt noch stolz sinn Kroon.

In dä Sommerdag, wänn sinn Täkke blööje,
dann komme dä Bejje in Schoore.
An Oves, wänn dä Moond opgett,
kommen ok dij Liebespoore.

Sätte sich op dä Bank der onder dänn Boom,
kieke sich in örr verlievde Ooge drinn.
An ess et ok düster rondherümm,
dij Ooge stroole in dä Moondeschinn.

Dä Nachtigall sengt in dä Lendenboom,
merr, dänn Üll flog no dä Bokselse Boan,
want, wänn hej dä Nachtigall senge hört,
der kann hej nij täggen oan.

Mooj ess sönne Sommerovend,
dä Vollmoond schinnt dörr dä Lendenboom.
Merr, wij datt nii kann verstoon,
dänn mott met dänn üll merr schloope goon.
(Aus: Hans Polders: Ons Moodersprook. Kleve 1981: Boss-Verlag. S. 126f.)

*
Auch von blühenden Linden, von duftenden Bäumen als krassen Gegensatz zu den kriegerischen, tötenden Geschossen in seiner unmittelbaren Nähe, nicht in ihrem bergenden Schutz, berichtet Ernst Toller (1893 – 1939) aus dem Weltkrieg, der später der „erste“ genannt werden musste:

Ernst Toller: Geschützwache

Sternenhimmel.
Gebändigtes Untier
Glänzt mein Geschütz,
Glotzt mit schwarzem Rohr
Zum milchigen Mond.
Kätzchen schreit.
Wimmert im Dorf ein Kind.
Geschoß,
Tückischer Wolf,
Bricht ins schlafende Haus.
Lindenblüten duftet die Nacht.
(Aus dem Zyklus „Verse vom Friedhof“. In: Vormorgen. 1924. S. 278)

iustitia antwortete am 21.08.04 (11:38):

Lindenpoesie...
Ein Hinweis auf Astrid Lindgrens Märchen „Klingt meine Linde“ (übersetzt von Anne-Liese Kornitzky)
(Hier die Einleitung dieses Märchens, das eine schöne Verbindung schafft zwischen Volks-/Kinder- und Hausmärchen, als ein psychologisches Kunstmärchen…)
                              Im Winter kann man die Linden auf dem Grundstück nicht sehen, 
                            sondern nur Prof. Konrad Lorenz, eine Graugans (und Besucher aus Münster)


Astrid Lindgren:
Vor langer Zeit, in den Tagen der Armut, da gab es noch Armenhäuser im ganzen Land, in jedem Kirchspiel eins. Dort wohnten die Ärmsten der Armen, Alten und Gebrechlichen, die nicht mehr arbeiten konnten, die Hungerleider und Kranken und Bresthaften, die närrischen Tröpfe und die Waisenkinder, die niemand Pflege nehmen wollte. Sie alle brachte man zur Stätte der Seufzer, die das Spittel war.

Auch im Kirchspiel Norka gab es eins, und dorthin kam Malin, als sie acht Jahre alt war.

Vater und Mutter waren an der Schwindsucht gestorben, und da die Norkabauern fürchteten, Malin könnte ihnen die Krankheit ins Haus bringen, wollte sie keiner für Geld in Pflege nehmen, wie es sonst Brauch war, und deshalb kam sie ins Spittel.

Es war noch zeitig im Frühjahr an einem Samstagabend, und alle Armenhäusler hockten am Fenster und gafften auf die Dorfstraße hinaus. Es war dies das einzige Vergnügen der Allerärmsten am Samstagabend. Nicht, daß es so viel zu sehen gegeben hätte. Dort kam ein verspätetes Bauernfuhrwerk von einer Reise in die Stadt heim, dort kamen ein paar Häuslerbuben auf dem Web zum Angeln, und dort kam auch Malin mit ihrem Kleiderbündel unter dem Arm, und ihr starrten sie alle entgegen.

Ich Ärmste, ich muß ins Spittel, dachte Malin, als sie auf der Vortreppe stand, Ich Ärmste! (…)
(In: A.L.: Märchen. Hamburg 1978: Oetinger Verlag. S. 273 -287)

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