Herbst als literarisches Sujet
Neue Folge I
Neue
Folge der
' |
im
Spannungsfeld zwischen Literatur und Theoleologie
|
Vom
H er b s t - eine beliebige, literarische
Fangfrage:
Wer
könnte denn einmal die eigenen Hände zur Verfügung stellen kann
- ob als jahreszeitlichen Triumpf mit den 'Händen Gottes' (impressionitisch zerlebriert)
- oder als familiares und berufliches, auch im mörderischen Ringen des Soldaten (als literarisches Motiv ausgestaltet, überliefert?
Rainer
Maria Rilke:
Herbst
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
(Datiert: Paris,
11. September 1902. Aus: Das Buch
der Bilder. Des ersten Buches zweiter Teil. - In:
Rilke: Gesammelte Gedichte. 1962. S. 156).
Hier
können wir sogenannte Schulfragen anschließen:
- Vergegenwartigen wir die herbstliche Szenerie.
- Kaum ein Natur-Motiv ist in der Lyrik so häufig behandelt worden wie der Herbst, anthropogen, ökologisch.
- Erkunden Sie als literarischen Topos diese Galerie https://de.wikipedia.org/wiki/Herbst#Galerie
- Auch diese Zitate geben Anregung: https://de.wikiquote.org/wiki/Herbst
- Können Sie sich für eine theologische Interpretation entschließen?
Sie
sind bereit zu einem großen Schritt, jahreszeitlich, historisch und
literarisch -.in der Erfassung nach einer umfassend
realistischen Zugriff eines Mannes, der fünf Jahre im (zweiten)
Krieg sich psychisch und in corpore misshandel fühlte,
Heinrich
Böll:
Mit
diesen Händen
Mit diesen Händen hast du die schmierigen Gläser in rumänischen Kneipen und die sauberen Gläser in flämischen Kneipen zum Munde geführt, mit diesen Händen hast du manchen Aperitif in dich hineingeschüttet und manche Flasche Wein an den Hals gehalten...
Mit diesen Händen hast du die Schuhe von einer schwarzen Russenleiche gezogen, da deine zerfetzt waren, mit diesen Händen hast du in den Taschen der Toten nach Machorka gesucht, da der Hunger dir den Bauch auftrieb...
Mit diesen Händen hast du den Stacheldraht angefaßt, dich schmerzhaft ins Fleisch schneidend, hast dir die Finger blutig gerissen, weil dein ganzer Körper vor Hunger schrie, wenn drüben die Eiersuppe mit Benzin übergossen und vernichtet wurde.
Mit diesen Händen hast du manches tiefe Loch in die dunkle russische Erde gegraben, hast du in tiefster Dunkelheit gierig und hastig das Kochgeschirr mit Suppe oder Kaffee zum Mund geführt, mit diesen Händen hast du den Leutnant ins Gesicht geschlagen, eine Minute bevor er fiel...
Diese Hände haben geschachert, du hast den Stoff der Hose oder des Mantels, die du verscheuern wolltest, damit prüfend und preisend berührt und hast die Geldscheine mit diesen Händen in Empfang genommen...
Viel, viel Geld ist durch diese Hände gegangen, Geld für die Straßenbahn und für Tabak und Schnaps. Du hast mit diesen Händen Geld zum Schwarzmarkt gebracht, alles mit diesen Händen.
Mit diesen Händen hast du nicht den, sondern die Faust in der Tasche gehalten, mit diesen Händen hast du die Portieren zu vornehmen Hotels und zu düsteren Kneipen geöffnet, du hast diese Hände im Atlantik gewaschen und in den Fluten der Schwarzmeeres. Viele haben diese Hände empfangen und wenig gegeben.
Du hast die Erde zerbröckelt damit und hast dir ein Stück deines Hemdes damit abgerissen, weil die Hose voll war. Du hast Urlaubsscheine damit gefälscht und hast falsche Namen damit geschrieben, um Butterbrote oder Zigaretten auf trostlosen Bahnhöfen zu erschleichen. Diese Hände haben unzählige Zigaretten gedreht aus russischem Tabak, deutschem Tabak, aus Kippen und aus feinstem amerikanischen Tabak. Diese Hände hast du millionenmal gewaschen und immer wieder waren sie sauber, rein und unschuldig und kein Mensch hat sich gefürchtet, sie anzufassen, obwohl du tödliche Granaten damit in den Trichter des Werfers gesteckt hast.
Du hast damit Papierkügelchen zum Pult des Lehrers geschossen, hast sie an dem ewig lädierten Füllfederhalter beschmutzt und zu einer Zeit, die du nicht mehr kennst, hast du die Brüste deiner Mutter damit berührt, du hast die Schulmappe damit umklammert, von vielerlei Blut waren sie befleckt, schwarz von geronnenem Blut, das die Poren verstopfte, Blut von ihm, oder Blut von dir, sie waren wie Metzgerhände, diese Hände, die dein Kind abends im Spiel mit seinem unschuldigen Mund berührt, wenn du das Zeichen des Kreuzes auf seine Stirn zeichnest.
(In: H. B.: Erzählungen 1937 – 1983. Bd. I. Köln 1997. S. 164f. - Die Entstehungszeit ist gesichert: 1947. Zuerst erscheinen 1992.
*
Eine
Erleben, sein Nach-Erleben war für Böll und viele seiner
Zeitgenossen prägend über Jahre...
Ob
im Krieg, ob in der Nachkriegszeit: Heinrich Böll war am 21.7.1944
in Szentes, in einer Stadt im Südosten Ungarns;
von dort berichtete er an Annemarie Böll:
Gerade
waren wir in einem sehr schönen Konzert von einer kleinen
Frauengruppe der K. d. F. Es wurden Lieder von Beethoven gesungen und
gespielt und einige schöne Gedichte von Rilke rezitiert. Als wir
»nach Hause« kamen, erwartete uns die achricht vom
Revolutionsversuch der Offiziere und dem Anschlag auf Hitlers Leben.
Du kannst Dir denken, daß sich unser eine unheimliche Erregung
bemächtigte; wir haben die ganze acht am Radio gesessen und eifrig
diskutiert. Es wird überhaupt bei uns im Zimmer sehr heiß und
leidenschaftlich diskutiert; ich beteilige mich gegen meine
Gewohnheit sehr eifrig und lenke die Aktion ein wenig; aber es ist
erschütternd, wie wenig Christen es auf der Welt gibt, das stimmt
mich sehr traurig [... ] wir werden nach dem Krieg mit allen unseren
Kräften für das Reich Gottes arbeiten müssen … (H. B.:
Briefe aus dem Krieg 1939 . 1945. Köln 2001. Bd. II. S. 1093.
Ebenfalls in Szentes (mit
dem Brief an Annemarie Böll v. 19.7.1944):
Böll
hatte dort Zeit und Lektüren genug, um sich über fast 700 km nach
Köln auszutauschen.
Ich selbst bin wohl mit
dem Krieg noch nicht ganz fertig; es ist auch für uns schwer, weil
unsere Jugend so furchtbar zerrissen war, während doch die
Generalität des Weltkriegs eine geschlossene Jugend hinter sich
hatte. Und bei uns kommt noch hinzu dieser kalte, geistlose kleine
Zug und Geist, der im Heer sehr oft sich ausbreitet und für unsere
blutenden Seelen zu schnodderig ist. Ich hoffe, daß sich meine
unentschlossene Haltung dem Krieg gegenüber bessern wird und klären
wird [... ]. Aber die Wunden des Krieges bleiben, sie sind so absolut
und unheilbar fast wie die ewig blutenden Wunden Christi, da doch
eben alle Wunden der Menschheit die Wunden Christi sind … […]
*
Er
berichtet also – dokumentarisch und historisch - von dem
Revolutionsversuch.
Im Kommentar zum Brief # 839, S. 1473, kann jeder die nötigen Daten
zum Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg finden. Und der
Leser befindet sich im Briefwerk Bölls authentisch aufgehoben; so
wie geschrieben, so historisch wahr.
Es
ist unwahrscheinlich, dass er sich eigens mit Rilke beschäftigte,
dass er ihn kannte; so kann er wohl nicht gewusst haben: was als ein
Fragment einer Elegie im Jahrae 1920/21 niederschrieb: Laß
dir, daß Kindheit war, diese namenlose Treue der Hiimmlischen, nicht
widerrufen vom Schicksal“.
(In:
Manfred Engel (Hrsg.): Rilke-Handbuch. Stuttgart/Weimar 2004. S. 1)
Das
Heinrich Böll dieses Rilke-Gedicht gehört hat, damls in Sentes? Es
mag: warscheinlich unwahrscheinlich sein.
Dass
diese Hand da fällt - kann
jeden Tag – jede Nacht, ein Erlebnis gewesen sein für Soldaten;
dass er es
mit
diesen Händen gestaltete?
Und
mit dem Kreuzzeichen, das er als Anfang und Ende der Betrachtung
setzt, die die fünf Jahre des Soldatenseins – bis hin zum Ende der
mörderischen Zeit – als Kennzeichen eines Sohnes nutzt, benutzt.
Von
den Wunden, die er oder seine Kameraden, auch die gegnerischen,
erlitten - im Vergleich mit den Wunden Christi: ein knappe,
erzählerisch dichte Realistik, die sich keine Überhöhung, keine
Dogmatik der Theologischen erlaubt. Ich habe solch Elemenentares
weder in der Nachkriegszeit, als man viel Schwültiges von Pfarrern
oder erlaubten „Autoren“ hörte, auch nicht von Dichter, wie Gerd
Gaiser z.B., wie ich es in meiner Schulzeit (von 1958 – 1965) als
Schullektüre lesen und hören musste. - Zurück zu Böll, der sich
eindeutig und literaisch gekonnt äußert (ebenfalls im Brief v.
19.7.1944):
All diese Bücher waren
irgendwie erfüllt vom Leid am Krieg und alles von der elementaren
Lust des Mannes am Kampf, aber keiner hat doch diese absolute
leidenschaftliche Klarheit Jüngers, die alles Elementare gleich
erkennt und zu ordnen versteht. Aber keiner, auchJiinger nicht hat
das Leid des Krieges so erlebt wie Ernst Wiechert dessen Kriegsbuch
mir am meisten nahe kommt. Wiecherts Kriegserlebnis ist das des
absolut »Armen«, während Jünger das Kriegserlebnis des
»Mächtigen“ schildert. So kann ich Jünger wohl verstehen und
lieben, weil er eben den Krieg absolut erlebt, aber ich liebe
Wiechert doch mehr, der, wie alle absolut »Armen«, vom Krieg schwer
verwundet ist und überwältigt vom Elend und von den Strömen Blut,
durch die der Infanterist im Kampfbuchstäblich oft waten muß.
(In:
H.B.: Briefe aus dem Krieg. 19139 – 1945. Bd. 2. Köln 2001. H.
B.: S. 1091f.
Böll
und andere empfindsam-sensible Zeitgenossen haben sich nicht mehr von
den Gott zu sprechen gewagt; nicht das Werk der Natur, sondern
das Menschenwerk war ihnen wichtiger:
Und doch ist Einer, welcher
dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Der
Hand und dem Händler Heinrich Böll war es wichtiger dies zu
bekunden; und auch noch das Zeichen des Kreuzes war ihm
verblieben als Merkzeichen für seinen Sohn:
diese
Hände, die dein Kind abends im Spiel mit seinem unschuldigen Mund
berührt, wenn du das Zeichen des Kreuzes auf seine Stirn zeichnest.
Später
hat er der katholichen Kirche die materielle oder symbolische
Gefolgschaft verweigert. Er trat 1976, geräuschlos … - aus der
Kirche aus, der er so lange gedient hatte, mit seinen literarischen
Beiträgen.
https://www.domradio.de/radio/sendungen/autorengespraech/ralf-schnell-ueber-heinrich-boell-und-die-deutschen
– Abruf 11.06.2019 -
* *
»Was für ein Herbst!« sagte sie nach einer Pause und blickte nach dem Himmel auf. Ich tat desgleichen. Der Morgen war allerdings sehr klar und köstlich für Oktober. Plötzlich fiel mir etwas ein: »Was für ein Herbst!« rief ich und schwenkte ein wenig mit den Händen. Und die Frau Nachbarin nickte beifällig. Ich sah ihr so einen Augenblick zu. Ihr gutes gesundes Gesicht ging so lieb auf und nieder. Es war recht hell, nur um die Lippen und an den Schläfen waren kleine schattige Falten. Woher sie das haben mag? Und da fragte ich ganz unversehens: »Und Ihre kleinen Mädchen?« Die Falten in ihrem Gesicht verschwanden eine Sekunde, zogen sich aber gleich, noch dunkler, zusammen. »Gesund sind sie, Gott sei Dank, aber –«; die Frau Nachbarin setzte sich in Bewegung, und ich schritt jetzt an ihrer Linken, wie es sich gehört. »Wissen Sie, sie sind jetzt beide in dem Alter, die Kinder, wo sie den ganzen Tag fragen. Was, den ganzen Tag, bis in die gerechte Nacht hinein.« »Ja,« murmelte ich, – »es gibt eine Zeit...« Sie aber ließ sich nicht stören: »Und nicht etwa: Wohin geht diese Pferdebahn? Wieviel Sterne gibt es? Und ist zehntausend mehr als viel? Noch ganz andere Sachen! Zum Beispiel: Spricht der liebe Gott auch chinesisch? und: Wie sieht der liebe Gott aus? Immer alles vom lieben Gott! Darüber weiß man doch nicht Bescheid-.« »Nein, allerdings,« stimmte ich bei, »man hat da gewisse Vermutungen...« »Oder von den Händen vom lieben Gott, was soll man da –«
* *
Heuete morgen bin ich aufgemacht mit diesem Märchen auf den Lippen. Ich musste lange überlegen, wo ich es gelesen hatte. Also: Wo und von wem ich es geklaut hatte:
Das Märchen von den Händen Gottes
Neulich, am Morgen, begegnete mir die Frau Nachbarin. Wir begrüßten uns.»Was für ein Herbst!« sagte sie nach einer Pause und blickte nach dem Himmel auf. Ich tat desgleichen. Der Morgen war allerdings sehr klar und köstlich für Oktober. Plötzlich fiel mir etwas ein: »Was für ein Herbst!« rief ich und schwenkte ein wenig mit den Händen. Und die Frau Nachbarin nickte beifällig. Ich sah ihr so einen Augenblick zu. Ihr gutes gesundes Gesicht ging so lieb auf und nieder. Es war recht hell, nur um die Lippen und an den Schläfen waren kleine schattige Falten. Woher sie das haben mag? Und da fragte ich ganz unversehens: »Und Ihre kleinen Mädchen?« Die Falten in ihrem Gesicht verschwanden eine Sekunde, zogen sich aber gleich, noch dunkler, zusammen. »Gesund sind sie, Gott sei Dank, aber –«; die Frau Nachbarin setzte sich in Bewegung, und ich schritt jetzt an ihrer Linken, wie es sich gehört. »Wissen Sie, sie sind jetzt beide in dem Alter, die Kinder, wo sie den ganzen Tag fragen. Was, den ganzen Tag, bis in die gerechte Nacht hinein.« »Ja,« murmelte ich, – »es gibt eine Zeit...« Sie aber ließ sich nicht stören: »Und nicht etwa: Wohin geht diese Pferdebahn? Wieviel Sterne gibt es? Und ist zehntausend mehr als viel? Noch ganz andere Sachen! Zum Beispiel: Spricht der liebe Gott auch chinesisch? und: Wie sieht der liebe Gott aus? Immer alles vom lieben Gott! Darüber weiß man doch nicht Bescheid-.« »Nein, allerdings,« stimmte ich bei, »man hat da gewisse Vermutungen...« »Oder von den Händen vom lieben Gott, was soll man da –«
*
Ich fand den Text auf einer Kopie, die ich gestern ausgedruckt hatte:
Es war Rainer Maria Rilke
Märchen von den Händen Gottes.
Und hier ist es nachzulesen:
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