Klassentreffen [nach 15 Jahrean]
Das
erste nach zwanzig Jahren!
"Daß
gerade du unsere Adressen ausfindig gemacht und das Treffen
organisiert hast! Hätt' ich von dir grad nicht gedacht!" "Na,
Hut ab - und mal gezeigt, ob da schon 'ne Pläte wächst, Jo!"
"Na,
ein bißchen Schreiberei In Phanstastik, als Schreibtischtäter kein
Problem. Einmal ist auch die Zeit des Wandels oder der Versteinerung
an uns. - Aber was hast du dir davon versprochen?"
"War
auch nur, um die Jungs wieder zu sehn. Ob sie sich verändert haben,
die alten Figuren und ihre, äh, ja, Charaktere! Meine gesunden
Vorurteile von damals will ich doch noch mal bestätigt bekommen!"
"Ja, was ist wohl aus uns geworden? Eine richtige Niete ist wohl
nicht dabei!" "Die sind vorher alle abgegangen. Als ich in
Untertertia kam, da waren wir noch doppelt so viele. Hab ich auf dem
Foto mit Dr. Opa nachgezählt." "Ja, da fallen mir Namen
ein, von denen man nie mehr was gehört hat." "Und erst die
Geschaßten!" "Aber wir waren ja recht friedlich."
"Keiner, der an Brett rangehen wollte.." "Ja, die
Spritzen, ein eigenes Kapitel im Ruhemsbuch!"
Blitzschnell
ging es da zu: Thomas der Flotte war schon in Pits Wagen geklettert,
hinters Steuer. Den Arm rausgelehnt, schwatzte er mit dem alten
Banknachbarn Jan: "Das will ich doch mal ausnutzen: 'n weißen
Porsche fahren! Den kann ich mir mit vier Kindern nicht leisten."
"Solltest du vorher auch mit deiner Frau absprechen, wie ihr
euer Direktorengehalt aufteilt!" - "Ach, für meine zwei
Blagen hab ich ja dreieinhalb Weiblichkeiten: Unterhalt, Unterhalt!
Hat dir das noch keiner gesteckt? Da zahlste dich auch als A 16 tot!
- Tschö, in zehn Minuten sind wir wieder da. Wir wollen nur bis auf
die Autobahn und mal bombenmäßig aufdrehen!"
Und
er gab den röhrenden Hirschen mit aufspritzendem Dreck, vor dem die
Zurückbleibenden beiseite sprangen.
"Pfui
Teufel, diese Reifen, breit wie 'ne Kirchenbank!" "Wer hat,
dem wird noch gegeben! Matthäus oder so!"
"Und
wovon kann Pit sich den Wagen leisten?"
"Der
ist in Göttingen in eine Gynäkologenpraxis eingestiegen, praktisch
für null Geld, spielt da jetzt den Dr. Mertin." - "Wer ist
denn das?" - "Kennste nicht?" - "Ist ja tv-mäßig
keine Bildungslücke für einen Vor-68er!"
Der
kleine Trupp von Ehemaligen zog durch die fein gestylte Steinbrücke
samt Torbogen über das Gelände, einige Stufen hoch. Schien es nur
so: Es war um einen halben Meter erhöht worden. Und die alten Linden
waren jetzt mit einem gemauerten Ring umgeben, aus Bruchsteinen.
Hier
warteten sie, einige setzten sich auf die Steinmauer. "Da drüben
wurden zur großen Pause die Butterbrote ausgegeben." "Ja,
wer bei der Schwester Sowieso ein Stein im Brett hatte wie Pitt!"
"Ja, die frühen Meßdiener, die konnten eine halbe Stunde
früher den Muckefuck servieren lassen." ""Weißt du
noch, der Rekord im Messelesen? Sechs Minuten!" "Der
Putti?" "Wer sonst? Der war bei schon bei der Wandlung,
wenn die Meßdiener noch das Confiteor rasselten." "Einmal
hat er sich die Opferung gespart. Da merkte er bei - wie hieß das
noch mal? - daß ihm der Wein im Kelch fehlte!" "Aber
keiner hat daraus Konsequenzen gezogen!"
"Wie
hat Pitt das mit dem Aitur gedreht? Dir wird er es doch nachher
gebeichtet haben!" "Das weißt du noch nicht?" "Nein,
nicht aus erster Hand!" "Wartet, bis Pitt von der Autobahn
zurück ist." "Weißt du noch, der Heini, der ist bis Rees
gefahren, und da auf die Hollandlinie, ab nach Haus! Alles mit dem
Fahrrad! Und ist nicht erwischt worden von der Polizei." "Au,
ja, am nächsten Tag standen er und sein Papa mittags auf dem Hof, im
DKWuppdich! Und seine Siebensachen wurden verpackt! Und ab ging's mit
Heini nach Haus!"
Sie
warteten und schwatzten: "Und was ist aus Jörg geworden?"
"Den B. meinst du?" "Und weiß jemand, wo Fischkopp
stecken könnte?" "Irgendwo im südlichen MÜnsterland, auf
dem Bauernhof seiner Väter!" "Und unser Lapis ist gar
nicht mehr auffindbar?" "Wieso?" "Chris hat bei
seiner Mutter in Keeken angerufen und nix rausgekriecht." "Und
Wolfi, aus Kalkar, der in der Untertertia auftauchte, und eine Woche
später heimwärts segelte? Der Döskopp hatte Hasch mitgebracht."
"Und wollte hier den Macker spielen!" "Und Hermann,
unser Mittelläufer! Der aus Düsseldorf kam, in der Nähe des
Reinstadions, von einem Bauernhof. Da haben wir Rast gemacht, als wir
Carl-Jürgen in Neuss beerdigen waren, da auf dem Rückweg."
"Seit dem kenn ich Fortuna Düsseldorf!" "Mein Gott,
was für ein Quatsch, das alles!" "Alle Typen sind weg, wie
verloren in unserem Gedächtnis, wenn sie abgehen mußten." "hat
dennkeiner mehr Kontakt gehalten mit den Abgängern?" "Doch,
ich mit dem Siggi! Aber dann ist die Familie nach Holland
fortgezogen. Futsch!" "alles abgegangen wegen
Leistungsprobleme?" Nein, hier gab es keine individuelle
Nachhilfe." "Warum eigentlich nicht?" "Tja, wer
irgendwo in einem Fach, vielleicht bei dem Biomöschen stecken blieb,
war er gleich am Verrecken." "Der konnte sich ja schlau
beten!" - "Weißt du warum das, Theo?" "Da müssen
wir später mal den Direx fragen. Der neue Präsens, ob er sich bei
uns sehen läßt?" "Unsere Theologenlocke kommt auf jeden
Fall nicht." "Das war ja der einzige, der als Pope
durchgehalten hat!" "Und grad dem hätt ich's nicht
zugetraut!" "Der hat abgesagt. Kann samstags seine Gemeinde
nicht sitzenlassen!" "Bei dem Priestermangel!" "Selber
schuld, die Zölibatären! Verwechseln eine psychisch komische
Eigenart des Klerikal-Selektiv-Ignoranten mit Gottes Willen!"
Aus
einem offenen Fenster eines Klassenraums des Neubaus drang was
blockmäßig Skandiertes:
"Der
Mann, dem Mann, den Mann."
"Und
weiter, weiblich!"
"Die
Frau, der Frau, die Frau." Alles im Chor von etwa 12 bis 14
Jungenstimmen.
"Und
was noch, Gregori?"
"Sachlich,
Herr Dr. Martin!"
"Ja,
sächlich? Also du?"
"Das
Kind, dem Kind, das Kind."
Pony
kuckt sich um: "Was ist denn das für ein Deutsch, das ist ja
keine Sprache mehr? Drei Fälle nur? Was! Haben wir nicht sechs im
Griechischen gelernt! Und fürs heräische - ach, ich weiß nicht
mehr, wieviele!" "Und eine neue, uns unbekannte
Tempusstufe: Aorist!" "Ja, ich glaube, wir mußten als
ideal dressierte Humanistenzöglinge das ganze aus den Fugen geratene
Abendland retten. Mit dem Höhlengleichnis, das uns nicht vollständig
erklärt wurde, und Caesars Winterlagern.
Einer
wußte bescheid: "Die haben jetzt Aussiedler- und
Ausländerkinder hier, eine kleine Klasse voll. Kriegen die gut
bezahlt! Die lernen erst mal Deutsch, die Deutschblütigen. Damit sie
sich mit ihrem Schäferhund zu Hause bei der Oma unterhalten können."
"Du, der Witz ist so abgestanden wie da im Graben die Brühe!
Der muß anstandshalbe aus dem Lachverkehr gezogen werden."
"Weißt du nicht: Polen- und Blondinenwitze sind in, ja fast
shcon wieder rut."
"Ach,
was: Und zwar schlabbern die Jungs auf Geheiß des Lehrers beim
Deutsch für Ausländer einfach den Genitiv. Soll kommunikativer
sein. Hörst du?"
"Andrej,
bitte, ein eigenes Beispiel!"
Jetzt
drang eine breit artikulierende Jungenstimme nach draußen: "Der
Ball, dem Ball, den Ball."
"Und
den Plural, hast du die Formen auch schon drauf?"
"Die
Balle, den Ballen, die Balle."
"Na,
gut für heute! - Petar, jetzt du!"
"Und
für den Genitiv lernen die wohl die umgangssprachliche Konstruktion,
mit dem fatalen von? Da bist du deutschmäßig aber von die Socken,
was? Das ist jetzt Standard-Deutsch! "Für Ausländer, Asylanten
und solche Nomaden." "Wenn du das hier hörst und an deine
öde Grammatikpaukerei denkst! Stundenlang, jahrelang! Und wie chnell
die Deutsch sprechen können mit so einer Methode. Und wir haben nie
Lateinisch denken gelernt."
"Und
da drüben", er zeigt zum Primanerbau, "da drin haben wir
geschwitzt und gelernt: agricola -" Einige brummeln mit:
"agricolae, agricolae, agricolam, agricola."
Günter,
erstaunt: "Weiß ich alles nicht mehr. Ich glaub, ich hab nix
'behalten!" "Aber hier hast du lernen gelernt, mit
gewaltigem Aufwand den größten Blödsinn: Caesar ließ mal wieder
eine Brücke tran Rhenum transiecere. Und das castra für den Winter
war schon aufgeschlagen." "Diese Glorifizierungstraktate,
die Caesar Romam schickte, was ist daran pädagogisch so wertvoll
gewesen? Caesar hat sich doch eden günstigten Auftritt für Rom
verschaffen wollen. Man hatte nix Gescheiteres, was ungefähr in die
Grammatik paßt. Und das war historisch festgelegt: Krieg, Sklaven,
Siege, Glorifizierung! Asterix als sein Gegenspieler ist heute
anspruchswoller im Wortwitz, in Andeutungen, in den ranning gags, den
Überraschungen."
"Erinnerst
dich noch an den Felix, der mit seinem Moped übers Steuer ging.
Kettenfirma und Motoren aller Art zu Hause. Immer wenn ich an den
denken, wird mir ganz komisch, so hübsch war der, mit seinen blonden
Locken. Gut, daß mir das vor seinem Tod nicht aufgefallen ist."
Heinz-Peter:
"Hättest deine Kinder auch ab der Fünf Latein lernen lassen
sollen! Da hättest du alles aufgefrischen können! Zweitausend
Vokabeln! Und erst die im Griechischen!" "Läuft doch bei
euch am Paulinum - oder heißt es Johanneum? - auch noch so, hab ich
gehört, oder? Und noch eigene Mädchenklassen! Piekfein separiert!
Die haben eine Epoche überschlafen. Und sind in den Zeiten des
Feminismus wieder topaktuell und mächtig fit!"
"Die?
Nein, die brauchen sich nicht so quälen mit den Nomen und was sonst:
Stußus, Staußa, Stußum! Oder: Ganz familiär: Domina vituperat
ancillam. Könnte ja auch mal andersherum richtig lauten: Ancilla
vituperat dominam." "Meine Kröten, die lernen bei den
Waldörfern!" "Mußte mir beim Kaffee gleich was von
erzählen! Sind ja eigenartige Pädagogen da, mit vierzig Kindern wie
nix in einer Klasse. Viele Rudolf-Steiner-Anhänger, die ihre
psychologischen Kuriositäten und ihre Goethe-Plattheiten den Blagen
anhängen wollen: drei heiße Entwicklungsstufen, vierzig Blagen
unter einer Fuchtel! Und der ökologische Landbau, eine Kostbarkeit:
Vor dem ersten Frühlingsvollmond darf der Bauer nicht pinkeln gehen,
wo er seine Möhrensäen will. Gelehrige Schüler des Meisters der
Schwätzerei! Beuys war auch so ein Witzbild!"
"So,
Leutchen! Wenn Hein und Pit wieder da sind, dann - Ah, da hör ich
sie schon heranbrummen! Dann ab in den kleinen Speiseraum hinter der
Krypta." "Wie hieß das da noch?" "Elternrast!"
"Nein, das war unten Im Primanerbau." "Stimmt!"
"Und da durften wir sogar rauchen!" "Aber erst ab
Unterprima!" "ja, aber das war oben im primaerbau. Da haben
wir Deutschland gegen Chile gekuckt. 62? Weltmeisterschaft! Das war
da oben verqualmt. Nur mit einer Lüftung durch ein Dachfenster. Da
mußte ich wegen eines Asthmaanfalles raus..."
"Du
Pitt? Wie bist du an die Latein- und Griechischarbeiten gekommen?"
"Weiß doch jeder hier!" "Und wieso wußte der Präses
das kurze Zeit drauf? Habt ihr beide das denen verklickert, als ihr
die Abilappen in der Tasche hattet?"
"An
einem Elterntag hab ich vier Stunden lang gekellnert und, blöd wie
ich war, alles Geld abgeliefert, auch das viele Trinkgeld, und ich
hatte gut kassiert!"
"Und
was wurde aus Siegfried?" "Und Gerda, wo bist du
geblieben?" "Und weißt du, der Gerd aus Materborn? Als der
nach den Sommerferien beim Biolehrer von Regenwürmern sprach und das
Wort "geschlechtsreif" in den Mund nahm, war der drei Tage
später zu Hause!" "Wie viele sind eigentlich pro Jahrgang
gescheitert?" "Wie meinst du das?" "Die haben ja
jeden genommen, der ein Versetzungszeugnis hatte und einen prima
Sittenbrief vom Pastor zu Hause mitbrachte. Und da sind doch jährlich
mehr rausgesflogen als reinkamen in die Klassen." "Ich hab
mal ausgerechnet: Auf uns dreizehn Abi-Männekes kommen zweimal so
viele, die irgendwann mal dazu gehört haben. Für eine kurze Zeit
der Hoffnung." "Die wurden wieder rausgeschleudert. Fusch,
mein Junge. War wohl ein Irrtum!" "Elitärer Darwinismus im
Namen Gottes!" "Nein, konservativer Darwinismus!" "Als
Eliteerziehung deklariert!" "Und die Eltern haben doch auch
ihre ganze Hoffnung dareingesteckt, in ihre Söhnchen meine ich."
"Ja, mein Junge soll einmal am Altar Gottes stehen!"
"Hoffnung der trostbedürtigen Mamis!" "Futsch, weg
waren Hebbi, Gunni, Jenny, Kalle, Schäfchen! Und wer noch?"
"Felix!" "Der ist über Steuer gegeangen!"
"Hübscher Bursche! - Den Fotos nach!"
Nein,
diesmal kein Streuselkuchen. Heute Creme-Schnitten: Aprikosen,
Pfirsich, Kirsch und noch so was Blaues! Heidelbeeren?
Der
neue Direktor tritt ein. Gibt jedem die Hand. Nennt jeden beim
Vornamen. Hatte keiner anders erwartet! Der einzige, der pädagogisch
und wissenschaftlich was drauf hatte! Zuckt es einigen durch den
Kopf!
Begrüßungsworte.
Dreieinhalb Anekdoten. Besonders die Eintragungen in der Spalte
Krankheiten und Gebrechen im Klassenbuch der Untertertia. "Das
war stark! Unser einziger Knaller!" Das gab aber ein
Donnerwetter! (Da läuft bei allen ein Filmchen ab: Bei Locke stand
Seelisches Wrack. Jan war dabei mit Beinamputation. Franz:
Kastration. Jo: nikotinsüchtig. Pit: Begnadeter Beter vor dem Herrn.
Hein: Ex-Legionär. Toni: spät pubertierender Poet, Werther-Typ. Und
Lapis? Sportdauerattest wegen multipler Symptome. Chris: leidet an
konvergierender Blindheit. Füchschen: Frühdemenz, vorsorgliche
Einlieferung nach Bedburg empfohlen. Hännes: Krebsverdacht (Kehlkopf
oder Hoden, nach diffus.)
"Was
ist damals eigentlich mit dem Klassenbuchführer passiert? War das
der Claussche?" "Strenger Tadel: des Amtes enthoben, wegen
Feigheit vor den Freunden!"
Dann
die fällige Erinnerung an den Abiturspruch: "Du meinst: 'Quos
Gaesdonck iunxit...?"- "Ach, was, unser 65er Spruch!"-
"War der nicht von Camus?"- "Nein, nein Bernanos,
glaub ich. Das war doch noch verseucht mit le Fort, Schneider,
Bernanos und den Altkatholiken der Nazizeit und so!" - "Aus
dem Deutschlesebuch waren doch nur die dicksten völkischen Sauereien
gestrichen, und der Rest taugte noch wie zu Kaisers Zeiten für
echtes Deutschtum! Kein Exilautor! Keiner, der gelitten hatte unter
den Nazis! Kein junger Deutscher nach 45! Nix Brecht, nix Frisch,nix
Dürrenmatt. Das war doch damals schon alles auf den Bühnen und in
den Regalen!"
"Weiß
das jemand noch?" "Was mit Leben und Liebe und so! Total
blaß und vergeistigt!"
Das
Gemurmel wird wieder individueller.
"Und
du, wie betreibst du deine Kunst?"
"Ach,
gestern las ich grade vom Kästner wieder mal was -" "Ach
der mit dem Roman 'Fabian', mit dem biste doch schon in der
Obersekunda aufgefallen."
"Also:
Da schreibt ein Selbstmörder, ein universitär angeblich
gescheiterter Freund des Fabian, in seinem Abschiedsbrief: 'Lehrer
hätte ich werden sollen, nur die Kinder sind für die Ideale reif'."
Lothar
hat zugehört: "Nein, das Ideal sind die heute auch nicht mehr,
nur noch eine Minderheit. Ein Drittel kannste gleich in die Förderung
schicken und von denen die Hälfte in die Therapie stecken. Und
eingesperrt mit ihren Eltern. Jedenfalls dem Elternteil, der dem Kind
die größten Schwierigkeiten machte."
"Deren
Eltern aber voran! Da haben doch viele die Verantwortung für mit
Kindergeld finanzierten Blagen an den Staat delegieren wollen."
- "Auch das! Und noch ein paar scharfe Sätzchen, dann machen
wir einen Laberkurs in der Volkshochschule auf! Ihr Winkelpädagogen!"
"He, Hein? Warum bist du heute so geladen?" "Ja, mir
kommt alles wieder hoch hier! Beim Bund hat ich erst gelernt, was so
auf der Welt los ist!" - "Auf eigene Kinder hab ich gleich
ganz verzichtet, nach der schwarzen Muster-Pädagogik, hier!"
"Und
so lange in die Grundschulen nicht die doppelte Besatzung kommt, an
Lehrerinnen und Lehrern, psychologischen Hilfskräften und
Ergotherapeuten -" "Solange, weißt du, wie die führende
Schicht in dieser unserer Republik nur für die eigene Klientel und
deren Kinder sorgt-" "Den Rest der Jugend, immerhin unsere
Zukunft, kannste vorm Fernseher geparkt finden." "Amen!
Vater Rhein, äh: Antonius - hast aber fein zelebriert, alter Obermeßdiener, du!"
"Ja,
der Kästner-Band ist mir dann bis zum Abi konsfisziert worden.
'Moderner Schund! Sexueller Schweinkram!' Ja, großer Aufstand der
Sancta Moralitas! 'Unerhört so was, Schülern in die Hände zu
spielen! Man füllt auch keine Jauche in schöne Vasen, Stephan, merk
dir das fürs Leben! Es gibt so viele moderne Schmutzfinken, die nur
ihr Geld machen wollen. Da kann man als Erzieher und Präses gar
nicht alles kennen, was da zu eurer Verderbnis ausgebrütet wird!'"
"Und täglich und in der Relistunde dreifach: die Warnung vor
dem alten, schwachen Adam in uns! Da war die Pädagogik schon mit
sich zufrieden, wenn wir schwiegen."
"Jetzt
spaß aber mal auf! Das hast du dir gemerkt? Is' ja gut, daß du es
mir zu sagen wagst! Aber als Primus mußt du überlebensgroß das
Vorbild abgeben. Aber im Ernst. Der Walther Brüx - Friede seinem
Staube - hat meinen Zeichenentwurf da mal entdeckt: Nackte,
abgemagerte Händchen an Stielärmchen, die eine kleine Schlüssel
aus einem TV-Bildschirm rausstrecken. Das war meine Idee. Malen
konnte ich ja nie und nimmer. Da warst du und der Franz viel besser,
mit deinen tollen Sachen. Und dann er, äh, der gute Brüx, hat ein
paar Striche dazugemacht. Das war's. Und dann steckte er das Bild in
den Rahmen 'Bild der Woche', hat mich selber gewundert. Aber meine
Idee hab ich bis heute nicht realisiert gefunden, in Karikaturen z.B.
Die sammle ich zu bestimmten Themen und verwende sie gerne im
Unterricht. Das macht Denklaune! Und das mit meinem Bild der Woche
ist so lange bei dir hängen geblieben?" "Ja! Komisch!"
"Ob so was noch existiert?" "Was?" "Ja,
diese Zeichnungen und so Sachen von uns? Klassenarbeiten und die
Gutachen vor dem Abi?" "Fragen wir mal. Und weißt du: Es
gibt heute Künstler, Professoren, die arbeiten nur noch in Skizzen
und lassen dann malen oder häkeln oder in Fett auspressen oder in
Stein hauen. Gedankenkünstler eben, Überlegenheit der Theorie!"
"Und du bist du zufrieden mit deinen Wörtern und bildchen?"
"Hört
mal zu. Wir können unsere Abiarbeiten einsehen. Die sind alle in
einer Schwarte gebunden. Und noch für den Ablauf: Für heute abend
schlage ich vor, daß wir uns in Goch noch treffen. Da am Markt. Wo
früher Köpi war. Oder ist es da heute noch?"
"Was
sich hier alles verändert hat!" "Und wir mit dem!" "O
tempora, o -" "Oh Gott! Aber verändert? Hat sich denn
einer wirklich verändert? Füchschen ist das Füchschen geblieben.
Und der damals das schickste Rennrad hatte, hat uns ja gerade seinen
Porsche vorgeführt." "Und Locke, unser Mini-Bischof, der
einzige Theologe, der durchgehalten hat bis jetzt?" "Ja,
warum konnte der Flock denn nicht anreisen?" "Wer weiß da
was?" "Der muß am Samstagabend natürlich seine
Gemeindekinder versorgen mit seinem Predigtfutter. Sonst eht ja die
Welt unter für die Mütterchen. Vertretung könne er sich nicht
leisten, sagte er!" "Früher hat er auch nie was
abgegeben..." "Haben wir uns denn seit 65 um keinen Deut
verändert?"
"Chris,
was ist aus deinem Sport geworden?" "Du, erinnerst du dich
noch an meinen Jugendrekord? Im Weitsprung. Füchschen hat ja
gefuscht, mir einfach einen halben m dazugerechnet. Wie war ich
sauer, als ich das erfuhr! Das hab ich dem aber gesteckt!" "Und
jetzt, was machst du?" "Die Archäologie hat mich so
fasziniert, daß ich durch ganz Europa gezogen bin nach musealen
Resten von Reisewagen.Dem römischen vierrädrigen Kasten. Und in
Köln im Römisch-Germanischen Museum, der Wagen ist nach meinen
Forschungen rekonstruiert worden."
"Hört
mal, her! Ich geb in Goch einen aus, wer mir unseren Abispruch noch
aufsagen kann!"
"Keine
Kunst, Hein: Wir alle müssen das Leben meistern, die einzige Art, es
zu meistern - besteht darin -"
"Textschwierigkeiten,
was? Wie bei den Verben auf -li, -la oder -le, oder auf -mi?"
"Camus
oder Sartre kann das nicht gewesen sein."
"Die
standen noch offiziell auf dem Index!" "Das war wohl
Bernanos oder so ein Max Mell oder ein Dilthey, wer weiß!" "Und
einer von uns hat noch gebeichtet, daß er Camus "Pest"
heimlich gelesen hat." "Wer kann das wohl gewesen sein?"
(Grinsend) - "Der es bis heute noch nicht vergessen hat! So
demütigen mußte ich mich!"
Jetzt
ist es zu hören (aus welcher Ecke denn? Unser Dr. phil!): "-
besteht darin, es zu lieben."
Zu
Hause angekommen, setzte er sich am nächsten Tag wieder über seinen
Aufsatz "Die inoffizielle Pädagogik oder der heimliche Lehrplan
unserer Schulen".
Und
er nahm sich das zuletzt getankte Zitat vor, bevor er zum
Klassentreffen gefahren war:
Aus
Ernst Blochs "Prinzip der Hoffnung": "Doch
die Eltern und Lehrer verstehen zuverlässig, zu betrüben. Das Leid
in der Schule kann widerlicher sein als später irgendein anderes,
das des Gefangenen ausgenommen. Daher der dem Gefangenen verwandte
Wunsch, auszubrechen (...)
Daher
ist nichts schaler und gezwungener als das Widersehen früherer
Schulkameraden nach langean Jahren. Sie sind wie die Lehrer geworden,
wie die Erwachsenen von damals, wie alles, wogegen man sich
verschworen hatte."
Nein,
so schlimm war es nicht gewesen. Von einem Mitschüler war er positiv
überrascht. Da hatte sich jemand vom Sportler zum kulturkundigen
Archäologen gemausert und hatte seine Lateinkenntnissse, etliche
tausend Einzelteile, auf diverse Museen verstreut, und eine Idee von
Fortbewegung vor 2000 Jahren verbunden und das Modell eines
Reisewagens rekonstruiert. Hut ab! Dafür lohnt sich schon ein
Wiedersehen!
Und
bei Hartmut von Hentig hatt er zuletzt angeklopft und war auf Eisen,
statt auf Holz gstoßen:
Die
bloß menschliche Welt human zu machen, ist schwerer als die von Gott
oder Göttern verantwortete. Wer über die Inhumanität der Schule
klagt, muß wissen, daß er auch darüber klagt und daß daran nicht
zu ändern ist.
H.v.H.
Sozialpathologie der Schule. In: Was ist eine humane Schule? (1976)
Was
von Hentig da entschuldigend über die die Herrschaft von Ideen sagt,
gilt in einem grotesken Sinn von der Schule, besonders zu Zeiten
einer kapitalistischen Produkterwirtschaftung. Alle Lehrer, Priester,
Herrscher, Könige, Präsidenten und Direktoren - letztere egal ob
mit oder gegeneinander -, die an dieser so zweihundertjährigen
Schule mitgebaut haben, indem sie Menschliches im Not kündenden
Einzelfall leugneten, verurteilten, verketzerten, diffamierten; sie
haben Menschen verrecken lassen um ihre Chancen betrogen, sie links
(oder rechts) liegen lassen. Sie haben eine selektive, friedlose
Eigeninstitution herangezüchtet, bzw. aus der Welt hinausverwaltet -
immer und allzeit im Namen der Pädagogik, meist gar im signum des
Humanen. Seitdem sie diese Mächtigkeit und Lieblosigkeit nur noch zu
den äußeren, formalen Bedingungen von Aufklärung und Demokratie
und Menschenrechten tun können, hat die Schule sich als ein
terroristisches Potential von Sprengkraft herangezüchtet,
weiterentwickelt, ohne Lebendigkeit, ohne Fähigkeit, sich dem
gepriesenen und angebeteten Vorbild Menschlichkeit und seinem Liebes-
und Toleranzgebot anzuverwandeln. Der redefleißige, entrückt sich
bewegende Präsident ist Symbol einer staatsfinanzpolitischen Macht,
ein Spiegel seiner Menschenleere, eine Fratze der pädagogischen
Beziehung, die man, nach dem letzten Krieg, so kühn war Liebe,
pädagogischen Eros zu nennen.
Und
ein Drittes war ihm, auch in Hinblick auf seinen eigenen Stil, seine
Schreibbemühungen, in einer aktuellen Datei offen geblieben: Peter
Altenbergs bös erfahrene Worte über den
"Der
'Deutsche Aufsatz' des Gymnasiums ist das Unglück des späteren
Lebens. Es ist eine "geistige Schwäche", das Wesentliche
und Wertvolle einer Sache nur in einem verdünnten Brei von
Überflüssigem genießen zu können. (Aus: P.A. Prodromos)
Ja,
Widerstände hatte er, gerade auch im Deutschunterricht erlebt und
erlitten, einige nötige, andere phantasielos-kleinkariert-dumme;
aber er hatte es so verarbeitet: Was mich nicht umbringt, macht mich
stärker. (Von wem ist denn diesse Spruchweisheit? Ach, ja,
Nietzsche? Ich schlage lieber nach: "Aus der Kriegsschule des
Lebens..."; in "Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem
Hammer philosophiert"; 1888)
Und
ein letztes, kleines Postscriptum:
"Was
bleibet aber, stiften die Dichter." ( Aus: Hölderlins Gedicht
"Andenken") Und Dichter und dichtung habe ich im Kasten an
mich gezogen wie eine Ersatznahrung, weil die offizielle so blutleer
war.
>>> Klassenspruch zur Abiturkarte:
Camus:
"Wir alle müssen das Leben meistern. Die einzige Art, es zu
meistern, besteht darin, es zu lieben.