Stephanie
D.-R.:
… Is
da noch, jau, Platz neben Sie auffa Bank da -
- ... da iss noch Platz neben
Sie - auffa Bank, junge Braut -
Saß ich da, allein. Ja, selber
schuld, ich im schwül-warmen Bus, lasse mich durch die Gegend
schaukeln, okay, von der jungen Busfahrerin mal abgesehen, die kaum
grüßte, als ich in Speckbusch eingestiegen bin. Die werde ich
gleich interviewen, kann doch sicherlich eine Rast von fünf oder
zehen Minuten machen, eben Kaffeepause. Sie fährt heute ihrem
Fahrplan ja wohl weg wie nie im Jahr; aber erst abwarten, was sich so
tut. Einmal im Jahr dabei sein, wenn keiner allein sein will.
Heute abend kommt kein
Kontrolleur, wetten? Bequem ist es hier schon, in den neuen
Schnellbussen, flottweg, und komfortabler als zu meiner Schulzeit.
Immer diese Unterführung, wenn
ich unter der durchfahre, zähle ich immer die Riesenbuchstaben
unserer Zeitung, von R
bis g;
könnten eine Modernisierung brauchen, Fraktur ist unmodern.
Imma diese Linkskurve, sich
anlehn'n können, ewig dieselbe, minutenlang, fast jedenfalls, wie
ich et bei meinem Männe gern habe.
Nur noch zwei Blocks bis dahin.
Grau, lang, öd gleiche Fensterlöcher.
Waren da eigentlich Blumen zu
sehen? Oder sonst was? In diesem Schlafzimmerfenster da?
Ob sie gesehen hat, dass ich den Arm noch hochreckte, so als Gruß,
was besonderes für heute abend? Ein Mädchen, ja, passend zur
Stunde? Wirklich? Zwischen der beatmeten Scheibe und dem dunkelgrünen
Rollo hinter ihr, auf der Fensterbank stehend?
Ließ Worte wie Hauch von ihren
Lippen aufsteigen. Wie alt? sechs, nein, eher älter, stand da im
bauschigen Nachthemdchen, allein, wie abgestellt und winkte - ja,
wie ein Christkind hinter Eisblumen; kann ich nicht schreiben, glaubt
keiner! Muß ich deleten, später!
Die Bescherung ist wohl gelaufen
für die. Ab-ins-Bett oder so! Engelchen du. Wie lange stehst du da
wohl? Und wer kommt vorbei, heute? Wer winkt schon, wenn er nach
Hause will in die Wärme des Lichts, der geplanten Gefühle! Hart ist
das Leben; gerecht bin ich, nur gerecht, hat der Vater rübergerufen!
Jetzt aber ab, du, Marsch! Sonst ist morgen kein fern. Und kein raus
auf den Spielhof! Und keine Omi!
Warum bremst die da? Ortsausgang
schon, ein Besoffener auf dem Überweg? Ist die Fahrerin verrückt
geworden? Das haut mich glatt vom Sitz. Teufel auch; wer will da
draußen mit? Wollen die alle einsteigen? Eine ganze Horde? Alles
Skins, oh Gott, sehen die stark aus, im Dress wie wenn-zum-Fußball!
Haben die sich vor den Bus gestellt? Die provozieren die Fahrerin
doch! Na, halat mal Ruhe!
Erst mal fühlen, was noch da ist
von meiner Ausrüstung: Vom Sport-Walther holte ich mir ein
Kassettengerät, das man in die Innentasche des Parkas stecken kann;
mit einem Minimikrophon unterm Reißverschluß, das sich einschaltet,
wenn man zu sprechen beginnt. Muß ich dann die Interviewten auch
noch bitten, einer Veröffentlichung zuzustimmen?
Quatsch, das anonymisiere ich
dann einfach, dass keiner sich wiedererkennen kann. Jumän Tatsch,
das macht's! sagt unser Chef, wenn er meine Texte redigiert.
So habe ich mir einen Fahrplan
geben lassen, mir eine Route zurechtgelegt, über Sinsen nach
Haltern, rüber nach Dorsten, dann über Marl-Mitte zurück, nach
RE-West, vielleicht noch nach Gelsenkirchen rein, wenn ich zu wenig
interessante Menschen treffen sollte. Ich will ja nicht auch noch auf
die Phantasie zurückgreifen müssen, für eine Reportage vom
Heiligen Abend.
"Dä Platz da, is dä noch
frei, Fräulein! - Hallo, Miss! Neben Ihnen auffa Bank, is da noch
frei? Oder wie hätt'n set gerne?"
So hat der Kerl mich doch aus dem
vorgetäuschten Dösen geholt.
Ich kuck ihn mir an - wie mein
Vati mal einen bösen Onkel anstarrte, der seinem Schatzi-Liebling
und meine Püppi streicheln wollte. Dort längs der Kiefernschonung,
dann den Bach lang, nördlich des Haard-Grenzwegs.
Hat der sich den einzigen
besetzten Platz im Bus ausgesucht, um sich neben mich zu setzen, ohne
meine Antwort abzuwarten! War der einzige, der vorne bezahlen wollte,
den die Busfahrerin noch reingelassen hat von der Horde. Hat clever
reagiert, schnell die Tür in der Mitte und hinten wieder zuzischen
lassen, als sie die Schweinerei der Truppe kapierte. Da haben die
Macker gegrölt. Und einer, der
erste, kann nicht mehr raus.
Meckert, schimpft. Knallt gegen die Scheibe. Will zurück zu den
Kumpels. Der nimmt mich auf den Kiecker. Na danke, du Rotzlöffel!
Da krieg' ich einen Skin auf meine
Bank, danke für die Überraschung!
"Ist der Platz neben Ihnen
noch frei?" Tannenzweig an seiner C&A-Mütze, angenäht; die
er genüßlich in den Nacken zurückschiebt.
Ohne abzuwarten, gleich weiter:
"Steht mir echt geil! nicht wahr, Fräulein?"
Mies der Kerl! Ja, übel wird mir:
Angst, Scheißangst! Gerate ins Schwitzen. "Bin gemütlich drauf
heut' abend. Gut drauf zum deutschen Fest." Mein Schweigen
überzeugt ihn nicht. "Gut drauf bin ich heute." Er wendet
sich nach vorne: "Aber, was die da mit uns gemacht hat, nur weil
Hannes eine Flasche auf den Asphalt knallen ließ! Das schafft Rache!
Maik hat noch einen Pappkasten mit Bierdosen vor ihren Vorderreifen
links gelegt, hat die doch sehen müssen! Zweimal acht Dosen starkes
Bier, im Pack. Gutet – very Gutet - von Aldi, wat huckelt die
dadrüber mit ihrem Bus, die Scheiß-Fotze-da! Alte! Hei - du!"
Ich schüttle den Kopf. Will ihm
die Hand auf die Schulter legen. Sieht der aber nicht.
"Soll aussteigen, die Tussi!
– Watt, Jung! – Die sollten wir ablösen und rausschmeißen!“
„Jau – und nach Hause fahren
und ihr mit Opi-Vati-Männe-im-Arm ein deutsches Weihnachtslied
singen, als Ständchen. Die gehört doch an Heim und Herd, dat Weib,
sieht doch gut aus von vorn, dat Frau!"
Da schimpfen sie nochmals los über
die Bus-Tussi,
nein, nicht druckreif! Ne, wiederhol ich nicht.
Eigentlich müßte ich den
Notstopp drücken. Können die Kerls uns noch einholen? Einer ist
langeweg hingeknallt. Wie lang die jungen Leute sind! Und der ist
nicht so bomber-fettig! Die andern sind im Dunkel verschwunden.
Bleibt der Bock in Leder und Schweiß und Aufgedunsenheit neben mir
sitzen, kuckt interessiert auf meinen Busen, beruhigt sich aber
zusehends, betatscht mich mit seinen fixen Augen, ein
Hans-Albers-Blau, klasse! Tapfer bleiben, Anne!
Aber wenn der seine Glatze unter
eine Perücke gesteckt hätte, oder meinetwegen unter ein NATO-Käppi,
ich hätt' ihn mit einem satten Lächeln ankucken können. Auf der
Wange - was hat der da? Stacheldraht, als Tatoo? Weiß nicht - oder
aufgemalt so. Der könnte doch seine Glatze mit zwei Händen glatt
und satt bedeckt halten, und grinst mich an! War ein hübscher Kerl
sonst, so irgendwie! Un kriegt der die Backe wieder sauber? Der
steilt sich und sitzt auf einer Leiter des Hasses und klopft von oben
runter auf mich!
Das fiel mir leider zu spät
ein. Wäre ja wirklich der Baustein für eine Story zum Fest gewesen
- an diesem unseren Glorien-Fest!
Will zu seinen Genossen zurück.
"Hab's nicht eher geschnallt! Dann sah ich Sie!"
Ja, hätte das ein Interview
gegeben! Den Kerl interviewen! Ausquetschen, warum und wieso denn
deutsch
und - und: welche Bildung. Elternhaus? Lehrer oder was? Alles
Scheiße?
Wie Männer sich verändern, so
ohnewasaufdemSchädel! Wie alt? So sechzehn; ich kann so was nicht
auseinanderhalten in dieser gnadenlosen Aufmachung.
"N' Abend, natürlich."
"Ja, sozusagen: Heiligen
Nabend!"
Aber ich laß mich nicht stören,
ich möchte weiterlesen. Keine Nachfrage, klar, Junge? Mach' die
Fliege! Such dir 'ne andre Tante, die stricken kann und so was
Feistes aushält! - Hab ich das wirklich gesagt?
"Ich steh' nicht auf Anmache
oder so! Nur damit Sie klarsehen! Und dass Ihre Freunde da abgehängt
wurden, tut mir leid!"
Mit diesen Glatzen komme ich
nicht klar. Was sagen die Kumpels untereinander? Freunde? Genossen
wohl nicht! Entsetzlich, wie die durch ihre Kluft wirken, männliches
Outfit, einfach stark, derbe. Scheiß-Backe!
"Ja, staunst! Das ist unser
Fieling, echt stark." Wieder nichts von mir. ich komm' nicht
dazu, den Mund aufzumachen.
"Ob ich das immer trage? Im
Bett nich, ne, nich? - Zigarette?"
"Hier ist Nichtraucher,
junger Mann."
"Lesen kann ich schon. Nich,
wie Sie denken. Kurz vor dem Abi, dat bin ICKE! Ob ich dat Reifezeugs
aber verstehn will, dat is hier die Frage. Kommt aber gut an, allein,
wie wir aussehen, damit fegen wir die Bürgersteige leer, na klar!
Mit Pauer!"
Ja, die Bürgersteige.
Da sind die meisten Zeitgenossen weg von der Bahnsteigkante. Weg
vonner Kante! Aber draußen, so wie am 20. April vor dem
Judenfriedhof in Nord: "Kennze doch, Fräulein, nur Kanickel,
Draht und Tore! Gut geschützt das! All' unsere Karten für das
Fußballländer mußten wir wieder eintauschen, mit Portoverlust, die
Kapitalisten. Berlin, ade! Dortmund ade! Wir kommen aber wieder!"
War leider noch besser abgesichert
der Friedhof, als wir gedacht hatten! Haben die da aufgepaßt da, so
eine Masse Bullerei, hundsgemein! Wohl eine Hundertschaft draußen
für uns paar Männekes! Mit Schäferhunden, die die Falschen beißen
sollten! Die haben uns abkacken lassen wie die Straßenköter!
Verräter am Volk die, pah, Säuglinge die! Und am nächsten Tag nix
von uns in der Zeitung. Keine Zeile! Keine Bild! Das hat uns am
meisten geärgert! Aber den Verräter kriegen wir."
Von dem Vorfall haben wir
nichts im Polizeibericht zu legen gekriegt. Spinnt dat Männeken
hier?
"Muß einer von Norberts
Truppe sein. Den setzen wir so was von unter Druck, dass der nur so
weinend erzählt wie auf Mamas Schößchen! Gibt wieder einen
Selbstmord mit Stromkabel um den freigelegten Hals. Rache für Rudolf
und so weiter! Rache für - Einer, der gehört ja zu uns; konnte uns
nicht mehr anpeilen, oder ein Verräter, aber das nur fürn
Polizistenbrot, 'nen Appel und Ei und Pensionsanspruch nach vierzig
Jahren? Kann der sich nicht leisten mit seinem Geländewagen, den wir
ihm bezahlt haben für unsere Fahrten inner Halterner Heide. Fressen
muß der bei uns, kacken auch!"
Hab' schon zu viel dem Kerl
zugehört - mit dem reden? denk ich. Wo der hinwill heute abend?
Gehört ans Mutterns Rockzipfel!
Richtig mal im Backteig
knatschen, alles nacherziehen, nicht so viel schleckern, Arni, vom
rohen Teig kriegst du Bauchschmerzen! Noch ein Backblech, dann sind
wir fertig, Papi wird sich freuen, wenn wir ihm das erzählen, und
erst das Christkind. Dann gibt es keinen Feuerwehrwagen und keine
Böller. Oder nochmals unter Vaters schützende Hände! Aber jetzt
keine Verschwendung mehr!
Buh! Unsympathisch, der Kerl.
Abwarten, mir bedrohlich. Muß ja nicht den ersten interviewen, ist
auch noch zu früh für die Heiligabendstimmung. Müssen erst ins
Nachdenken kommen, die Leute, in Ruhe braten lassen, und dann das
richtige Wort!
"Sind Sie immer so
schweigsam? Oder nur wegen meiner besonderen Gestaltung?"
Zusätzlich läßt er den rechten Ärmel hochrutschen, langsam, ich
sehe eine Tätowierung. Ich sehe zwei Kreuze, ineinander gezeichnet,
mit äußeren Haken, so dass sie wie Schnitzelräder vorwärtszulaufen
scheinen.
"Die Zeit, wir werden sie
nutzen. Sie arbeitet für uns, jawoll! Für die Zukunft! Für die
Starken!"
"Hab ich zu dumm gekuckt?
"Klar: Alles Schwache wird
weggehämmert. Alles Interlektelle -
Typisch dein Sprachfehler!
Hasse vom Pott hier. Woet am stärksten kochen tut! (Habe ich aber
nicht gesagt, nur gedacht.)
"Allet wird aufgeräumt.
Worte des Führers! Wie Raketen vom Urvater Thor! Wenn wir die
erst haben. Wie die Affgaaan'n die hatten gegen die Russen. Diese da,
die Dinger vonner Schulter zu schießen! Panzerfäuste, so. Aber eben
besser. Für gegen Flugzeuge! - Die -"
"Stinger-Raketen."
"Äh, hömma! Ach! Kann
reden, die Braut! - Na, all die Stubenhocker, das Gesindel, die
Erfüllungsheinis der Fremdländer! - Vastehse doch? Oder?"
Jetzt will ich die Klappe doch
nicht mehr halten? Wer bin ich denn. Jetzt geht sein Grinsen in ein
Lächeln über, mit kackbraunen Mausezähnchen vorne. Los! Sag was,
lüg was! Irgendwas!
Steht der wieder auf. Zeigt na
vorne: "Mit der da am Steuer hab' ich noch ein Hühnchen zu
rupfen; ‚n ganzen Stall voll, das Huhn! Die Kumpels haben alle
gültige Märkchen oder eine Sechserkarte! Interessiert dich nicht,
ne! Aber - schlaf weiter, Prinzessin! Bis wir dich wecken! Dass ich
nicht lache: Hotelmieze! Siehst aus wie eine Emanze! Lehrsche wohl?
Oder Tussi bei der Stadt? Meldeamt, wie, immer korrekt, hä? Hätte
was werden können mit uns drei!"
Er packt sich, gottseidank! Den
Dickarsch steif gehalten bei der Bewegung, wie das Arschleder der
Kumpels! Wo die sich hinsetzen!? Was man sich so einbrockt, mit gut
gemeint!
Und ich fühlte mich so gut
vorbereitet! Und stieg um 17,40 Uhr in den Bus, der nach Norden
abfuhr; ich war der einzige Fahrgast.
An einer Haltestelle, fast auf
freier Strecke im Wald, stieg ein junger Mann in Bomberjacke ein.
Nach dem Trabbel kam er zu meiner Sitzbank, ließ sich grinsend
nieder, in parodierter Verbeugung.
"Na, Frollein, noch keine
Verpflichtung für heute abend? Oder wartet der Gnädigste am Herd?
Mit Pasta oder son Schitt?"
Ich schwieg, lächelte
geringschätzig, aber ohne besondere Überzeugung. Er strählte seine
Glatze. "Frisch lackiert für heute abend. Öl, Sonnenöl
einfach! Für den Einsatz parfümiert! Wir fahren nach HÜHNEr-Franz!
An der Umgehungsstraße, kenn'n Sie doch, ja? Alles schön dunkel
dort jetzt. Auf dem Hof ist nämlich heut' mittag die Beleuchtung
ausgefallen, reines Wunder vom Tage. Wissen wir alles. Versteh'n Se!
Mal sehen, ob's Remmdidemmi gibt auf dem Spielplatz, den illegalen,
was die da hingeschleppt haben, die Asis und die Kanakas. Haben den
Teppichboden aussem Rathaus, wo eina draufgekackt hatte vonne
Initiative gegen Zigeunabrut; waa unsa besta Mann, hihi, allet
geplant! Haben den geschenkt g'kriegt und unta die Schaukels
ausgelegt in den Mist da. Säue!"
Wie kann ich mit dem reden? Soll
ich nach der Schule fragen? Müßte doch noch in die Schule - ob der
noch lernen will? oder nur kaputtmachen. Wie wir: Macht kaputt, was
euch kaputt macht? Was waren wir noch naiv! Und erst die 68er! Was
feiern die heute.
"Werdet wie die Kinda und
redat dat, wat iha halten können tut! Hihi! Wir spieln den eins auf!
Die Ärsche der Bürokraten als Trommel und Pauke! Hitla hat auch
genau vasprochen, was er gehalten hat! Macht uns heiß unsa Führa,
auf die Bescherung dort! Ha!"
"Darf ich Sie mal etwas
fragen?"
"'türlich, schöne Braut,
darf ich's wagen, Antwort der schönen anzutragen! Platt wie!
Klassische Bildung, hab ich von mein letzten Pauker! Der konnte sich
druchsetzen, wie ein Führa! Aba nix wie gefragt! Schönes Weib und
Gretchen! Ich kassier aber vorher", lachte de doch wie - ich
weiß nicht, Stan und Lauel und Hape und Alf zusammen, irgend so'n
Verschnitt aus BLÖD-Lache und Kampf.
"Ja, Ihr Lehrer, wie war der
so?"
"Dafst du
sagn, Mädkn! Kannst ja meine Mami sein, die Liebe, die Gute! Will
heut am'd bei mia auffa Bettkante sich ausheulen, von wegen Alten und
so. Habb ich doch geahnt, so'n Schlammassel! Da hab' ich den Beand
angerufen. Und klappt! Watt sachich imma? Wia ziehn los! Nua die
Tussi da voan. Wenn wia die nochmal aufschneiden können tun! Jau?"
Ja, ich hab' noch gefragt, ja, er
hatte die Hauptschule abgebrochen. War intelligent für Ssprachen.
Konnte sogar Russisch. Aber ich glaube, nur so nachmachen.
ichwillmich gar nicht mehr dran erinnern. Einmal, sagte der: "Dem
Schniedas wollten wia mal die Klöten ansengen!" Oder ein
anderer westfälischer Ausdruck dafür! Du verstehst, Schatz? Fragte
nochmals nach Geld, aber eher lachend! Hatte ja recht, wie die
hofiert wurden nach Hünxe oder Hoyerswerda! Hängen mir zum Hals
raus, diese Saftärsche. Ich hatte die Nase voll von einem
Skin! Weißt du, deren dickfettige Haut! Woher sind die so
aufgeblasen, so ebermäßig, affenartig feist und ungestaltet
gerundet, und ruckelnd in ihren Bewegungen, Maschinenkörper,
ausgerichtet auf den Revierkampf, gesteuert durch die
Rivalitätsaggression, den ausgespielten Futterneid, programmiert auf
Nahkampf im pubertär aufkackenden Rudel gegen was nervös und
unsicher ist, gegen die von der Politik etikettierten armen Scheißer
von draußen!
Sehe ich Gespenster? Einfach
schmierig so was von Jugend! ich hatte keine Fragen mehr drauf.
Ehrlich! Hormone allüberall, über alles in der Welt, nicht nur in
Deutschland. Muttis ganze, fetttriefende Liebe: kahl auf der
Kopfhaut, auch unter
der Hirnhaut? Vaters Prügelbock? Brut, die hochgepäppelte, verquer
und verzogen, die da aus Deutschlands Schoß kroch, dem vereinten?
Das hätten wir auch ohne das
gekriegt! Und wir Wessis stärker als die drüben, nur mal so
gedacht, wenn die Einheit nicht gekommen wäre. Darf ich doch mal
sagen!
Ich verkrampfe noch mehr, ziehe
meine Arme dicht vor den Körper und versuche das leise Laufgeräusch
des Recorders mit einem Husten zu übertönen. Kann ich das Ding auch
wieder abstellen, hätte Heiner mir erklären sollen! Da war nix
Verständliches drauf! Ich Unglücksvogel!
Am Stadtrand, zwei Haltestellen
weiter - der Bus hält für einen älteren Mann, Typ Oberbuchhalter,
der einsteigt. Da, drei Schritte neben dem Wartehäuschen eine
Telefonzelle, schnell bin ich am Ausstieg, rufe der Fahrerin zu: was
von "Tschuldigung, bitte öffnen Sie mal"; die drückt die
Tür auch prompt auf. Danke! Ich winke, mit einem Armen rudernd
zurück, sie grüßt.
Ich springe raus. Da, in die
offene Zelle, der Hörer, keine drei Groschen, also Notruf: "Hier,
die Polizeiwache, Schäpers. Oberwachtmeister."
Melden die sich immer so
gleichgültig? Der Beamte auf der Wache protokolliert ziemlich
desinteressiert meine Meldung. Ja, bei "hühner-Franz",
der verblichenen Hausinschrift, "auch Eier und Enten vorrätig".
Aber die sind noch nicht alle da, wenn die nicht mit eigenen Wagen
fahren. Was? Eine Streife ist schon dort? - Haben alles im Griff.
Trotzdem, danke schön! Na dann, schöne Weihnachten. - Nein,
Weihnachten passiert hier nichts! Können Sie sich drauf verlassen!
Ach - woher wissen Sie das denn eigentlich mit dem Bomberangriff?
Hallo?" Ich lege auf! Auch wieder falsch!
Nochmals anrufen? Ich bin wohl
nur was für den Schreibtisch wert!
Nach Plan lohnt es sich gerade,
auf den Gegenbus aus Dülmen zu warten. Wenn es wenigstens schneien
würde, da könnte ich auf meinem Handrücken Kristalle zählen,
bevor die Eissternchen verlöschen. Der letzte Schnee zu Weihnachten?
Glaube, das war, ja, als Vater Mutti den Pelz schenkte. Den ich immer
zu Weihnachten ins Auto packe, wenn ich sie besuche. Da zieh' ich ihn
für sie an. Und sie streichelt ihre schrubbigen Runzelhände, und
ich schäme mich. Ob sie den noch hat?
Upandaway. Zurück zur Sinsener
Straße, wo war das Mietshaus, hingehauen von Architekten in den
fünziger Jahren, die nie in solche Betonzeilen einziehen würden,
die sie heute abreißen, um -
Wo steckt das Kind, das mir im
Nachthemd zuwinkte?
Sie noch wartet - auf
Vorbeikommende, die ihr völlig unbekannt sind, dass sie ihnen
zuwinken kann? Ob sie müde geworden ist, weinend eingeschlafen?
Liegt sie jetzt im Bett, schwitzt und schläft?
Gegenüber der Tankstelle,
richtig, da muß doch der Tankwart von da auch das Kind gesehen
haben, mit dem blassen Gesicht, den Engelshänden hinter der Scheibe
und den gehauchten Worten: An der Tankstelle war noch Verkehr. Ob sie
sich inzwischen schlafen gelegt hat? Wie kalt hat sie es wohl in
ihrem Zimmer mit dem quäkenden Brüderchen? Ab, ins Bett, Blag!
Penz! Göre, du! (Oder was sonst?) So was von ungezogen! Weihnachten
ist für dich gelaufen! Sofort in dein Zimmer! Und nicht mehr
gemuckst! Muß der Vater erst die Zeitung weglegen und aufstehen? Mit
dem gerollten Blatt kommt er auf sie zu.
Keine Chance für
Weihnachtsmänner, keine Möglichkeit für Weihnachts-Frauen? Und
wenn ich mit dem Skin verwandt wäre? Er mein Neffe? Verrückte,
sentimental geisternde Phantasie! Hätte ich was ausrichten können
gegen deren Plan? Oder was verhindern? Was würde die Polizei schon
aus der Randale machen? Haben die für Heiligabend eigentlich eine
Reserve, eine Spezialtruppe, ein Eingreifkommando, das abrufbereit
steht für die innere Sicherheit
auch in den Hütten, in den Containern: Angepiepst: Weg von der
duftenden Gattin, von der neuen Eisenbahn weggeholt! Bethlehem
später, jetzt gilt es auf der Dortmunder Straße? Die
Alleingelassene, Kids und die Mami, verkrümmeln sich vors Fernsehen,
oder doch alle ins Ehebett, und dann wieder von früher erzählt:
Mamis viele hundertmale Weihnachten? Oder sind schon mit den
strahlend bunten Lichtpünktchen auf den Schirmen getröstet, zu
Zeilen angeordnet, die nicht gelesen werden müssen, wo es kracht:
krawumm! Später, Kindchen, der Papi repariert es wieder. Komm, setz'
dich zu mir! Einmal war es so kalt am Heiligabend, dass -
Gibt's das noch? Komm, setz
dich auf meinen Schoß. Ich leg' das Strickzeug weg? Erzähl mir' was
von deinem Teddy! Wie mach' ich das später? PC aus? Und von meinen
Heinzelmännchen erzählen, die mich als Steppke Nacht für Nacht im
Advent besuchten, die auf einmal verschwunden waren, als -?
Es ist feucht-warm, bestimmt
vierzehn Grad. Da blüht die japanische Zaubernuß schon, da nieste
ich immer furchtbar, dann die Ohrschmerzen oder die Neenhöhlen, und
noch schlimmer: Frohes Fest mit Cortison. Bevor
ich ins Träumen komme, jetzt will ich's auch wissen.
Steht das Kind noch dort hinter
der Scheibe? Ob sie beschlagen ist? Das war keine Thermopen-Scheibe!
Da zog's immer, das kann ich dir aber vertellen. Soll ich dann
klingeln, da: Parterre, links, oder draußen gegen die Scheibe
klopfen? Da kann ich doch nicht
einfach reinschneien, bei Mütters!
Das Feuerwehrauto aus dem
Kleiderschrank holen! Verdammte Neugiersnase! Der Papa wird schon mit
dir fertig!
Da, die Tankstelle schiebt sich
ins Blickfeld. Die drei Pappeln - nur noch eine, die da steht! Hat
schon dicht, Tankstelle Mütters! Klar, und? Jetzt, da, das graue
Haus, in dem wir wohnten, bis die Planer von der FANAL-Benzin
zuschlugen und alles niederlegten, bis auf die alte Fassade für die
Parkpalette neben dem Supermarkt. Dort erlöschen gerade die
Weihnachtsbäume.
Ich stehe wieder auf der kühlen
Fensterbank und zähle mit Bleistiftstrichen auf der Tapete die
vorbeifahrenden Autos, miese Weihnacht, versauter Heiligabend. Aus
dem Wohnzimmer schallt es von unserem ersten Fernseher gemütlich
her: Leise rieselt
- Was? War das Freddy, der mit den großen Augen, heiliger Freddy
Quinn, deine kurzen Locken und deine ewige Sehnsucht; den ich einmal
heiraten wollte, ich splillerig Blag, ausgestellt hinter einer kalten
Scheibe vor einer glitzernden Winterwelt. Ein hingestelltes Mädchen!
Der Vater hat dich erhöht, du
Auserwählte!
Akeda!
Wat issen dat fürrn Woat - äh?
Illustrationen
zur „Leiter des Hasses“ - und zu WEIHNACHTEN - von Ewgenia
Agarunowa (mit Dank!).
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen