Um
die Kugel war ein blaues Band geschlungen - in der Farbe jenem
ähnlich, welches der Frühling wieder flattern lässt durch die
Lüfte - und am Band eine Schnur geknüpft, die das aus der
Gleichgewichtslage gehobene Pendel an einem Eisenständer verankerte.
-
Warum
entbietet Alfred Polgar hier dem Dichter Eduard Mörike eine
Referenz?
Fragen
wir nach.
... hier wächs-, pardon: wächst nimmermehr ein blaues Band. -
Hier beschreibt
Alfred Polgar sein mehroderweniger privates naturwissenschaftliches
Erkenntnis & Vergnügen: im Einklang von Physik und Poesie:
Dass an diesem Band
in einem naturwissenschaftlichen Versuchsraum ein Versuch mit dem
Foucault-Pendel gelingen sollte, muss irgendwo festgehalten sein.
(das blaue Band...) welches der
Frühling wieder flattern läßt durch die Lüfte – und an das Band
eine Schnur
Pendelversuch
Es gehört zu den wesentlichen Charakterzügen
eines Pendels, daß es seine Schwingungsebene im Raum unverändert
beibehält. Befindet sich die Aufhängevorrichtung in fester
Verbindung mit einem Objekt auf der Erde, so dreht sich diese
gleichsam unter dem Pendel, welche Drehung von West nach Ost der
Beobachter (wenn das Pendel genügend lang ist) als eine scheinbare
Verschiebung der Pendel-Schwingungsebene von Ost nach West wahrnimmt.
Also das ist der Foucaultsche Pendelversuch.
In Wien, wo man gegen
die kosmischen Gesetze mit Recht einigermaßen mißtrauisch ist,
wurde der Foucaultsche Pendelversuch schon einmal nachgeprüft, zu
Anfang dieses Jahrhunderts in der sogenannten Rotunde im Prater. Es
fanden damals gerade auf dem neben der Rotunde befindlichen
Trabrennplatz Rennen statt, und natürlich gingen die Praterbesucher
lieber zu diesen spannenden Wettläufen als zu einem kampflosen
Walkover der Erde um sich selbst. Das Pendel hatte also wenig Zulauf
und, wie ich glaube, auch keine gute Presse. Ich entsinne mich noch
als eines sonderbaren Details, daß der Herr, der damals den Versuch
leitete und erklärte, ein ganz kleines Pendel im Arm trug, ein
junges von dem Riesen, der aus der Kuppel herunterhing, ein süßes
Pendel-Baby. Wozu er es brauchte, weiß ich nicht mehr.
Jetzt ist
abermals das Experiment in Wien gemacht worden, vermutlich im Sinn
der augenblicklich hier herrschenden Bestrebungen, den erschütterten
Glauben an die Weltordnung wieder etwas zu befestigen; und da ich
keinen Foucaultschen Pendelversuch auslasse, war ich auch wieder
dabei. Das Experiment fand im Naturhistorischen Museum statt. Leider
gab es wieder nur ein karges Häufchen von Zuschauern, das mit Augen
sehen wollte, wie die Erde sich um ihre Achse drehe. Entweder glauben
es ihr die Leute ohnehin, oder sie wollen das gar nicht wissen.
Genau
in der Mitte der Museumsvorhalle war ein Stück des Bodens mit
Zeichenpapier belegt. Darüber schwang das Pendel. Eine rote Linie
auf dem Papier zeigte den Anfangsweg des Pendels an, eine blaue, die
rote im Winkel von 15 Graden schneidend, den Weg, den das Pendel nach
einer Stunde nehmen müsse. Es hing an einem Draht von 41 1/2 Meter
Länge und hatte als Schwungmasse eine mit Blei ausgegossene eiserne
Kugel, weiland eine Bombe, die 100 Pfund wog. Die Aufhängevorrichtung
höchst oben im Kuppel-Zenit möchte ich gern erklären, wenn man sie
mir erklären möchte. Sie war jedenfalls sinnreich. Zu sinnreich für
einen schlichten Zaungast der Physik. Am 28. Mai 1930, 10 Uhr
vormittags, startete in Anwesenheit von zwölf Zuschauern, darunter
einem Mittelschullehrer und einer Dame in Trauer, das Pendel. Um die
Kugel war ein blaues Band geschlungen - in der Farbe jenem ähnlich,
welches der Frühling wieder flattern läßt durch die Lüfte - und
an das Band eine Schnur geknüpft, die das aus der Gleichgewichtslage
gehobene Pendel an einem Eisenständer verankerte. Der Start ging so
vor sich, daß die amtierende Museumsperson, beschattet von einem
Hofrat der Naturwissenschaften, die dünne Schnur mittels eines
Zündhölzchens durchbrannte. Zweimal mißlang der Ablauf. Erst das
dritte Mal hielt sich das Pendel halbwegs an die vorge-zeichnete rote
Linie. Zwölf Menschen sahen ihm, das weich und lautlos in seiner
luftigen Box hin und wider ging, andächtig pendeln zu und sprachen
nur mit gedämpfter Stimme, um es nicht zu irritieren. Nach wenigen
Minuten schon wich es ab! Alle, sogar der Hofrat, atmeten mit
leichterem Atem. Es mußte ja abweichen, selbstverständlich. Wenn es
nun aber - lieber Himmel, es gibt Dinge zwischen diesem und der Erde,
die auch das exakteste Pendel verwirren könnten - wenn es nun aber
doch nicht abgewichen wäre? Welche Verlegenheit und Bestürzung!
Heutzutage geschieht ja so viel Unbegreifliches in der Welt, und
warum sollten zu den positiven Überraschungen, die wir erleben, wie
etwa, daß Schattenbilder plaudern oder daß man mit freiem Auge von
hier nach Kalkutta sieht, warum sollten nicht auch verblüffende
negative Überraschungen uns beschieden sein, wie etwa, daß die
Schwerkraft plötzlich aussetzt oder auf einmal die Liebe keine
Himmelsmacht ist, daß man mit gesundem Ohr die Stimme des Menschen
nebenan nicht hört, daß man am hellen Tag den Nächsten, ja sogar
die Nächste nicht sieht?
... Die ganze Skizze ist lesbar, formvollendet, in der Werkausgabe der Kleinen Schriften...
*
Alfred Polgar, in seiner Skizze „Pendelversuch“ (1930). Aus: Bei dieser Gelegenheit. Berlin 1930. S. 231-234. - Text nach Alfred Polgar: Kleine Schriften. Bd. 3. 1984 (Büchergilde Gutenberg); © by Rowohlt. Reinbek/Hamburg.
Im Mai, textlich genau
belegt, am 28. Mai 1930: eine gute, frühlingshafte Zeit für meteorologische Blau-Erkdungen ... von einem Sonntagsnachmittags-Erleben: Dass
der Erzähler Polgar ob des Bänderflugs sich seiner ihm eigenen
Bildlichkeit vom „flatternden Bande“ erinnerte – Zufall kann es nicht gewesen sein - es muss
seiner Imagination geschuldet sein; wollte er doch zwischen Himmel
und Erde vermitteln...
*
Walkover
(eigentlich: Spaziergang), vgl.: Walkover
Wisent: In den 1920ern verloren Wisente in Europa und dem Kakausus ihre letzten Landschaftsräume. Wiki weiß:
„Alle heute lebenden Wisente stammen von nur zwölf in Zoos und
Tiergehegen gepflegten Wisenten ab." - Vgl.: Von den Wisenten in Europa:
Affiche: Plakat
Affiche: Plakat
Ein blaues Band, das die Voraussetzungen erfüllen mag:
Mörikes ... blaues Band
Mörikes im Blauen: "Er ist's"
Nota bene:
Warum Wisente und eigenartige, technische Pendelversuche und blaue Bänder á la Eduard Mörike im europäischen Raum - sprich Wien - sich verbanden, by Alfred Polgar werden sie
imaginativüberzeugend, weil poetisch.
Mörikes im Blauen: "Er ist's"
Nota bene:
Warum Wisente und eigenartige, technische Pendelversuche und blaue Bänder á la Eduard Mörike im europäischen Raum - sprich Wien - sich verbanden, by Alfred Polgar werden sie
imaginativüberzeugend, weil poetisch.
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