Böll I I
Heinrich Böll mit Helmut Griem (als Clown Hans Schnier) Foto: Agentur Aurora)
Ei konischer heiliger....
Pardon:
Ein komischer H e i l i g e r … der H a n s S c h n i e r -
Oderoder:
Bölls poetische Intelligenz
(Joachim Kaiser)
Joachim
Kaiser: Bölls neuer Roman. [Einführung zum Vorabdruck des
Romans.]
- am Palmsonntag April 1967 zu lesen
in der Süddeutschen Zeitung -
Man darf sich nicht täuschen lassen:
weder von dem etwas beiläufigen Titel Ansichten eines Clowns
noch von dem ganz und gar unfeierlichen, oft lakonischen,
heiter-gescheiten Tonfall, mit dem hier erzählt wird. Darf sich
nicht täuschen lassen von dem flüssigen, mitunter hemdsärmeligen
ParIando, das mit grimmigem Realismus hinter üppigen Posen die
Wichtigtuerei entdeckt, hinter großen Worten die modische
Unaufrichtigkeit, hinter verkrampften Gesten die Flachheit - das aber
auch Erbarmen kennt für die kleinen Sünden, Mitgefühl für
Menschliches, Sympathie für Schwachheit und Armseligkeit. Heinrich
Bölls neuer Roman, der den Krisentag eines Clowns (monogam
veranlagt, aber allein gelassen) beschreibt, ist ein bewegendes,
strenges und schweres Buch geworden. Der 45jährige Schriftsteller
hat vielleicht niemals exzentrischer Position bezogen als hier bei
dieser Bewußtseinsinventur eines Scheiternden.
Nie spricht Böll selbst. Immer, bis
ins winzigste Detail hinein hört man seinem Clown (»offizielle
Berufsbezeichnung: Komiker«) zu. Die kurzen Stunden der Handlung, in
einem einzigen inneren Monolog sich ausbreitend, sind erfüllt von
Begegnungen, Telephongesprächen und einem dichten Gespinst
grandiosen Sich-Erinnern-Könnens. Der Starrheit großer, zudeckender
Worte setzt Böll das phantastische Leben unbesiegbarer Einzelheiten
entgegen. Obwohl die Kirchlichen, die Vergangenheitsbewältiger, die
Selbstzufriedenen genauso wie die DDR-Funktionäre und die »kleinen
Leute« oft Ungeheuerliches, Schockierendes, Erbitterndes und
manchmal notwendig »Ungerechtes« zu hören bekommen, kann man den
Roman wahrlich nicht auf die gängige Formel festlegen, er übe
scharfe Gesellschaftskritik. So leicht läßt Bölls Position sich
nicht umreißen und möglicherweise attackieren. Da spiegele sich
vielmehr in einem zugleich reinen und asketischen, schamlosen und
unbeirrbaren Außenseitertemperament die Welt zu deren
Lebensvoraussetzungen es doch gehört, daß sie sich die Konsequenz
vollendeter Askese oder Schamlosigkeit, unbeirrbarer Vernunft oder
strahlender Idealität nicht leisten kann. Dieser Clown verlangt von
seiner Umwelt nicht weniger, als ein Kierkegaard von seiner Kirche
forderte. Kein Wunder, daß Kierkegaards Name ein paarmal, wenn auch
in belanglosem Zusammenhang, fällt.
Heinrich Böll, der Poet unserer
dunklen Jahre, ist mehr als nur ein erstklassiger Schriftsteller. Er
ist zum - von vielen gehaßt, von vielen aber auch leichtfertig
verklärten - Symbol für die Existenz eines leidenden und
beschädigten Deutschland geworden. Eines Deutschland, das sich weder
über Terror und Finsternis mit elegantem Schlenker hinwegsetzt, noch
aus Leistung und Luxus eine fröhliche Ideologie des „Wir sind also
noch einmal davongekommen“ zurechtzimmert. Böll sucht Ausflucht
weder in trostleerer, moralistischer Besserwisserei (die niemandem
hilft) noch in gebildetem Feinsinn, der so tut, als könne man
anspielungsreiche Romane einfach von jenem Punkt aus weiterschreiben,
wo die Reichsschrifttumskammer eine zufällige Unterbrechung erzwang.
Seine Romane schleppen Lasten - wenn auch noch nie so verzweifelt
leichtfüßig wie in diesen Causerien eines betroffenen Clowns. Böll
nimmt es mit unserem Schicksal auf. Deshalb hat die literarische Welt
(nicht bloß die Welt der Literaten) schon früh gespürt, daß er
Besonderes, Verbindliches, ja Einzigartiges zu sagen hat. [...] Bölls
poetischer Intelligenz entgeht die Bedeutungslosigkeit des modischen
Nonkonformismus genauso wenig wie die Heillosigkeit bloßen
Weiterrnachens. Bölls Leitmotive sind nicht Pointen, die durch
Wiederholung abgenützt würden, sondern Symbole für den ewigen
Zusammenhang zwischen Alltäglichstem, Schuld und Sühne. Nur er
konnte jenen.unliebsamen Priester ersinnen, der sich befremdend oft
auf die BergpredIgt beruft (»Vielleicht wird man eines Tages
entdecken, daß sie ein Einschiebsel ist, und wird sie streichen«).
Nie hat Böll sich seiner Mittel souveräner bedient und trotzdem den
Kampf mit Scheinchristentum und Hartherzigkeit verbissener geführt
als ~ diesen Ansichten eines Clowns, über deren literar-ästhetischen
Rang die Fachkritik noch zu befinden hat. Mit einer Inständigkeit,
welche die Monotonie nicht zu scheuen braucht, kreisen die Gedanken
des Clowns Hans Schnier um sein Schicksal und die, die es ihm
bereiteten. Schnier entstammt einem steinreichen rheinischen
Industriellenhaus. Weit beunruhigender noch als die ebenso
asketischen wie gewagten Ansichten über Ehe und Liebe die dieser
Clown zur Beunruhigung einer eher auf ausgleichend-freundliches
Gewährenlassen bedachten kirchlichen Umgebung hegt, müßte die
grimmige Fixierung des Verhältnisses zwischen Mutter und Sohn
wirken. Böll beschreibt nicht - was ja einfach natürlich- und
unausweichlich wäre - einen bloßen Generationskonflikt. Wir nehmen
vielmehr teil an den Gedankengängen eines Sohnes, der es seiner
Mutter nicht verzeihen mag, daß sie einst völkisch und unmenschlich
war, und der jetzt nur Hohn dafür aufbringt, wie fabelhaft
demokratisch und versöhnungssportlich sie sich gibt. Der Vater war
feige und reich und vielleicht gutmütig. Alle Mühsal, die zwischen
Vater und Kind sein kann, fließt in den hoffnungslosen und
verkrampften Dialog zwischen ihm und dem Sohn. Dafür entsteht ein
hinreißendes, wahrhaft poetisches Bild der Schwester Henriette, die
in einem sinnlosen »Einsatz« umkam.
Ja, der Erzähler kann es sich leisten,
auch Banales, Einfaches, Unoriginelles in diesen unliterarischen,
wirklichkeitsgesättigten Kosmos hineinzunehmen. Ihm gerät alles
gleichsam unter der Hand in epische Bewegung. Wo andere nur schreiben
könnten: »Ich bin sehr viel gereist«, da entwirft er schon in den
ersten Absätzen das zwingende Bild einer monotonen Ankunfts- und
Abreiseexistenz. Bölls erfüllter, oft schneidender Realismus hat
eine ungemeine charakteristische Folge: Während katholische
Schriftsteller oft nur zu gern und zu leicht die irdischen
Gegebenheiten transzendieren, um metaphysische Pointen auf
Wirklichkeiten antworten zu lassen (der Hinweis auf Gottes Größe
schließt sich etwa bei Claudel und Graham Greene oft donnernd an den
Aufweis irdischer Nichtigkeit), geht Böll in den Ansichten eines
Clowns den umgekehrten Weg. Gerade weil seine Welt erfüllt ist von
einer schwer beschreiblichen und doch allenthalben spürbaren, in
tausend Vergleichen und Assoziationen und Fragestellungen sich
offenbarenden Katholizität, verwirft der Clown die rauschhafte
Metaphysik, auf die man sich ausreden möchte, die erbauliche Phrase,
die beruhigende Erklärung und Verklärung. Sein Realismus ist frei
von jeder aufklärerischen oder desillusionistischen Attitüde.
Begütigend und feststellend legt er dafür die Hand auf Natürliches,
Winziges, Armes. Die Geschöpflichkeit des Menschen wird von einem
unbarmherzigen Samariter gegen alle festrednerhafte Beschönigung
verteidigt.
So entstehen eminente Schilderungen
menschlichen Versagens, familiären Streitens, skurrilen
Rachenehmens, aber auch Augenblicke eines überwältigenden,
furchtlosen Jasagens zu einer Liebe, die irdisch und heilig ist.
Alles das scheint getragen von rheinischem Tonfall, obwohl Böll
natürlich auf jede Dialektnachahmung verzichtet. Der Clown hat
überdies einen unfellbar wachen Sinn für typische Redensarten,
nagelt die Phrasen fest. Er macht dabei nicht - und das ist gewiß
typisch für berufsmäßige Komiker im mindesten „Witze“, zumal
sich ihm ohnehin und von vornherein das meiste beim bloßen
Aussprechen schon zu sanft-ironisch-pointierter Beobachtung steigert.
Selbst beiläufige Ansichten werden im herrlich lakonischen,
phrasenfernen Tonfall jemandes vorgetragen, der zu viele Augenblicke
im Kopf hat, zu viele Details und Winzigkeiten, um an irgend welche
Klassifizierungen noch im mindesten glauben zu können.
Ein säkularisierter Kierkegaard
erzählt also eine Geschichte aus dem 20. Jahrhundert. Seine
bodenlose Aufrichtigkeit läßt fast alle anderen in heillosem Lichte
dastehen: Sie werden zu Spießern, Schönrednern und Feintuern, zu
Verlorenen, die (wie er selbst) der Gnade bedürfen. Einmal heißt es
von jemandem, alle hätten ihn »fanatisch“ genannt, obwohl der
Betreffende doch gar nicht fanatisch gewesen sei, sondern immer nur
konsequent. Wer die Ansichten eines Clowns ernst nimmt, wird
kaum der Frage ausweichen können, ob Konsequenz in unserer Welt
nicht notwendig in Fanatismus umschlägt.
(Süddeutsche
Zeitung, München, 6./7.04.1963. (Abdruck nach H.B.: Ansichten eines
Clowns. Kölner Ausgabe. Bd.13. Köln 2004. S. 264f.)
In dieser Einleitung zum Roman erfährt man mehr an Substanzieellem von "ansichten eins Clowns" als aus vielen anderen Einlassungen (ob von Augstein, Reich-Ranicki .. Baumgart ...) - Kaiser benennt die wichtigen Grundthemen, die in dem Roman vibrieren: Liebe oder <andere> Ordnungsprinzipien im Katholiszimus - soziale Bedingtheiten im rheienischen Kapitalismus - Nachkriegsbedingunnen - Nazi-Vergangenheit(en) ...
Böll ... "Die Besten im Westen":
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