Heinrich
Bölls Roman „Ansichten eines Clowns“ ist vor mehr als 53 Jahren
erschienen. Das Liebespaar Marie Derkum und Hans Schnier leidet unter
denselben Ehegesetzen und Kirchenstrukturen, wie sie auch noch heute
im Jahren 2016 als Dogmen gelten: Zweckbindung der Sexualität,
Fixierung von Frau und Mann auf die Fortpflanzung, Scheidungsverbot;
für die Priester: Verpflichtung auf das Zölibat, auf die
patriarchalische Geistlichkeitstilisierung. - Der frech anarchische
Clown Schnier hat Erbarmen mit den Kirchenmännern. Er imaginiert
Gespräche mit dem Papst Johannes XXIII., zum tragischen Endpunkt
seiner Karriere setzt er sich auf die Stufen des Bonner Bahnhofs und
singt zur Guitarre: „Der arme Papst Johannes...“
Heute
im Jahre 2016 und später könnte der Clown als Christ auch singen:
“Der arme Papst Franciscus...“ - Es wäre nicht nur ein Ehren- ,
sondern auch wahrer Titel.
Brief … an Papst Franziskus:
Diesen Brief möchte ich nach Rom, in
den Vatikan senden – und auf den bedeutendsten Roman von Heinrich
Böll aufmerksam zu machen, der auch mehr als 50 Jahre nach seinem
Erscheinen ein bedeutsames Leseerlebnis sein kann. Insbesondere in
den Tagen der global sprechenden Bischofssynode.
Heinrich Böll schreibt im Jahre 1963
auf mehreren Ebenen, geprägt von seiner Barmherzigkeit:
auf der sozialen Ebne der
Nachkriegszeit,
und vieler volkssprachlicher, ja
auch märchenhafter Elemente.
auf der ethischen Grundlage eines
Ur-Christentums.
Ich bitte den Heiligen Vater - oder den Heiligen Geist - diesen
Roman zu lesen oder lesen zu lassen – oder um auf Heinrich Bölls
Anliegen des sog. Rheinischen Katholizismus aufmerksam zu machen,
deren Liebespaar Hans und Marie die beispielhafte Intention eines
Liebespaares der 60er Jahre vertreten: … gescheitert vor mehr als
eine Generation – an Lieblosigkeiten in Familie und Geistlichkeit.
Böll gibt dem Roman ein Motto: „Die
werden es sehen, denen von Ihm noch nichts verkündet ward, und die
verstehen, die noch nichts vernommen haben.“
Böll zitiert hier nach Jesaja 52,15
(AT) und Römer 15,21 (NT). In der Einheitsübersetzung der Bibel
lautet der Text des Römerbriefs: »Sehen werden die, denen nichts
über ihn verkündet wurde, / und die werden verstehen, die nichts
gehört haben.« (Heilige Schrift. Stuttgart 1980.) Das Motto ist,
wie Böll in seinem Nachwort zum Roman von 1985 ausdrücklich
bemerkt, als »Schlüssel« zu verstehen. Jesaja, der judäische
Prophet, spricht in diesem Bibelwort von der Bekehrung der
Ungläubigen, der »Heiden«. »Jesaias wie Paulus werten die
'Heiden' (die heute gerne blank und ehrlich „Völker“ genannt
werden) gegenüber der Geringschätzung, mit der sie zu ihrer Zeit
betrachtet wurden, bewußt auf.“ (In der Neuausgabe des Romans.
Köln 1985 (oder in der KA. Bd. 13. 2004), S. 411)
So wie Böll im Jahre 1963 den Bruder
Papst Johannes XXIII. im Roman zitierte – so könnte er heute den
Barmherzigen Papst Franciscus zitieren ... mit jedem Wort aus seinem
Munde …
Die Botschaft an die Hirten, in „Amoris
Laetitia“ (2016;): „Daher darf ein Hirte sich nicht damit
zufrieden geben, gegenüber denen, die in 'irregulären' Situationen
leben, nur moralische Gesetze anzuwenden, als seien es Felsblöcke,
die man auf das Leben von Menschen wirft. ...“ Oder:
„Einer pastoralen Zugehensweise
entsprechend ist es Aufgabe der Kirche, jenen, die nur zivil
verheiratet oder geschieden und wieder verheiratet sind oder einfach
so zusammenleben, die göttliche Pädagogik der Gnade in ihrem Leben
offen zu legen und ihnen zu helfen, für sich die Fülle des
göttlichen Planes zu erreichen, was mit der Kraft des Heiligen
Geistes immer möglich ist.“ (* 297. In: „Amoris Laetititae“.
Buchausgabe. 2016, S. 248)
*
An solchen Sätzen hätte Böll in
seinem Stil - lat.
stilus – mit seiner Schreibhand sicherlich Korrekturen
vorgenommen: „Irreguläre Situationen“ … - für ihn war sein
gesamtes Personal real und wahrhaftig; er war persönlich für die
Figuren in Freud und Leid verantwortlich. „Amor sit ...“ - Böll
hätte sicherlich das „Miserando atque Eligendo“ („durch
Erbarmen erwählt“) des Papstes Franciscus auch für seine humane
Poesie beanspruchen können.
Böll 1959: „Schreiben wollte ich
immer, versuchte es schon früh, fand aber die Worte erst später.“
- Priestern, Bischöfen, Päpsten sind immer alle Worte schon
vorweg-gegeben. Franciscus Apostolat der Barmherzigkeit … ist der
erste Casus misericordiae clericalis. Böll hätte sich der
fraternitas als Nomen femininum, nicht verschließen mögen. Es
ziert ein Wahlspruch
das Wappen des Papstes: „miserando atque eligendo“ - „durch
Erbarmen erwählt“.
Böll leistet auch eine Anknüpfung an
die deutsche Märchentradition: „Sternthaler“. Hier stehen die
Märchen der Brüder Grimm volkskundlich Pate. Das Märchen heißt in
der ersten Fassung „Das arme Mädchen“; spätere Ausgaben tragen
die Überschrift „Die Sternthaler“, so dass die Beglückung des
Kindes als eine gläubige Erfüllung gesehen werden kann, nicht nur
durch die Erscheinungen des Nachthimmels, sondern auch als Gnade und
Barmherzigkeit einer höheren Macht. Wir wissen heute, dass zwar der
Glaube an solche Erscheinungen wichtig ist, die Erfüllung als
Veränderung einer erbärmlichen Not aber durch menschliche
Barmherzigkeit bedarf, um seelische und leibliche Nöte zu beheben.
So summiert Böll (S. 418) als
Forderung seiner Geliebten die „Diagonale zwischen Gesetz und
Barmherzigkeit“:
Wer die persönlichen und intimen
Sorgen zwischen der Geliebten Marie und dem Clown Hans Schnier liest
und nacherlebt, erfährt nicht nur die katholisch seelsorgerischen
Querelen der 60er Jahre im Roman, sondern noch heute die
Kerndifferenzen der heutigen Gesandten, die in Rom über die Fragen
und Ewigkeiten familiärer Seelsorge beraten wollen, eine
Bischofssynode derer, sich sich als Gottes-Künde anmaßen, statt
barmherzig-liebesvoller sich den Menschen zu öffnen, um deren Heil
zu erfahren. Bölls liebevollem Verständnis für Menschen, ob Laien,
ob Priester, sollten sich die RatSchlagenden in der Familiensynode
vergewissern. Er, der Autor und Prophet, würde an sie aber auch die
Forderung stellen: Verständnis, Vertrauen und Verbot von Dogmen.
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