Mittwoch, 5. November 2014

Botho Strauss' Erinnerungsarbeit "Herkunft"



Wie kultiviert man sich? Sprachlich?

Man übt.




 Ein Lyrissement, anstelle einer Rezension:



Gelesenes: 



 

Nicht meine letzte Bemerkung zu Botho Strauss’ „Herkunft“, im Carl Hanser Verlag. München 2014:


Ja, eine süße Stelle des Erkennens, des Nennens, des Genanntseins: Strauss zitiert kurzzeilig Wilhelm Lehmann: „Ich bin die Dauer des Vorbeis“ (S. 76). [Der KonText ist erregend, die Aussage trefflich vorbereitet. Des Lesers Gewinn lyrisch strukturiert durch die Erinnerung an einen, pardon: „den knarrenden Eichenschrank der Großmutter“.]

Yeah: Aber sonsstig noch süß-schöner, sauer-herber im kompakt-komplexen Zitat, aus „Das Vorletzte“: Zeilen 4ff.:
„Und hörte niemand zu: „Ich auch, ich auch!“

Die dünne Schale platzt des Eis:

Ich bin die Dauer des Vorbeis.

Ob eine Gegenrede meine Verse fetzte, (…)“

Und wer ruft’s? Der Kleiber, der am Baum, am Stamm, an den Krusten und Schrunden der Menschengeschichte hinauf und hinunter laufen kann, mit seinen Klettenfüßchen.
(W.L.: Werke. Bd. 1.  Sämtliche Gedichte. 1982. S. 202)

Nein, Lehmann wurde nicht  gelesen, zu Zeiten der 668, pardon: 68er. Zu Zeiten der Sammlung seines Werks in „acht Bänden. Auch heuer nicht.
Strauss nennt Lehmann, eine Zeile seiner Dichtung. ohne KonText, ohne Charme, ohne Zeichen seiner Dichte.
Nein, im Internet findet man das Gedicht „Das Vorletzte“, nur bei Books-Google.de. - Nein, in keiner sonstigen Zitation. In keiner Interpretation. 
Memento poeticae: Er bleibt mein Held, Herr Lehmann!  Zier-,  Zucht- und Markstein meiner Bildung.
Dazu noch ein Strauss’sches Etepetete: „Aber nur das Gedicht kann der eruptive Akt der Erinnerung selber sein, der sich gedächtnis-erregend auf den Leser überträgt.“ (S. 89). Gedächtnishaft-erregend? Wenn man sich hingibt dem Zauber oder dem Zerwürfnis oder dem Zirkel von Liebe und Versagen. (Oder ähnlich.)


"Ich bin die Dauer des Vorbeis." -  Ein 'Sitta europaea' der gewichtigsten, der leichtesten Naturlyrik, der signatura des Vogels: Stimme.und Stimmung nach des Künstlers Sichtung, Gehör und Formung, ein lyrisches Ideal.

Wie kultiviert Strauss sich? Sprachlich?

 Strauss übt lyrisierend-steif-stimmig, "versinnend" (nennt er die gefühlte Melancholie): er zitterie - pardon: zitiert zart-zittrig: etepete. 

Autoren und Titel sind bei Strauss wohl&wehe richtig geschrieben; ansonsten gebiert der Sprachkünstler vielfach VerLegenheitn und IrrLosismen, die einer eigenen SamtStellung bedürfen.

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