Sprachliches fach-sprachlich untersuchen: * Literatur; lustige, listige Wörter; WörterLISTEN, * Erzählungen * Wörterinformationen: Nomen,Adjektive und andere Worte und Wörter und * SprachFORMEN aller Art und Un-Arten *... WÖRTEREIEN und *... W O R T - M E L D U N G E N jeder Art und Un-Art
Sonntag, 15. September 2013
von Vegesack: De r P f a r r e r i m U r w a l d
Deutsch-baltische Erinnerungen an Autoren und Texte I
Siegfried von Vegesack
Ich stelle hier einige Absätze aus einer Novelle vor, die ein deutscher Schriftstetller für und über den brasilianischen Urwald geschrieben hat ... und über viele tapfere Kolonisten, die dort - im Urwald und mit seiner Hitze und seiner Vielfältigkeit, seiner Bedrohung und seinen Günstigkeiten - gearbeitet, gelebt ... und ihre eigene Religion empfunden haben, müde oder krank überleben und gestorben sind.
Siegfried von Vegesack
D e r P f a r r e r i m U r w a l d
- Eine Erzählung aus Brasilien. Geschrieben im März 1945
*
Das Büchlein erschien im Jahre 1947 im Verlag P. Keppler, in Baden-Baden. (Dieser Verlag ist erloschen; einen Rechte-Inhaber habe ich bei meinen Forschcungen über Siegfried von Vegesacks Werk nichtd gefunden. Ich bin mir im Klaren, dass Enkel oder Urenkel als Erben das offizielle Copyright noch haben; ihren Rechten will ich nicht vorgreifen.)
Ich verfüge über mehrere Exemplare der Erstausgabe, die 1947 in einer Auflage von 10 Tausend erschien. - Es gilt also rechtlich: Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1947 by P. Keppler Verlag. Baden Baden
Meine Absicht ist es, an dieses wichtige erzählerische Werk des Dichters Siegfried von V e g e s a c k aufmerksam zu machen. Seine Rezeption halte ich für eine dringliche Aufgabe im Gespräch der Kulturen und Religionen..
Der bayerische Verlag Morsak in 94481 Grafenau, der sich um einige Titel von SvV verdient gemacht hat, hat bisher kein Interesse an dieser Novelle gezeigt.
Wenn ich mit dieser Textprobe Aufmerksamkeit für einen vergessenen Weltbürger finden könnte, würde es mich sehr freuen. Kontakt über anton@reyntjes.de
S i e g f r i e d v o n V e g e s a c k:
D e r P f a r r e r i m U r w a l d
Ich hatte schon viel von ihm gehört, den die einen „El Santo“, den „Heiligen“, nannten, während die anderen ihn für einen Narren, im besten Fall einen Sonderling hielten. Man hatte mir die seltsamsten Dinge von ihm erzählt: wie er als junger Pfarrer in den Urwald gekommen wäre, um die deutschen Kolonisten zu betreuen, dann aber mit der Zeit selbst den Unglauben und Aberglauben der einheimischen Indios angenommen hätte, in Konflikt mit dem Konsistorium geraten wäre, so daß man ihn seines Amtes habe entheben müssen. Doch man hätte ihn nicht aus seiner Pfarre entfernen können, weil sowohl die Einheimischen als auch die Kolonisten mit kindlicher Verehrung an ihm hingen und sich geweigert hätten, einen anderen Pfarrer in ihrer Gemeinde aufzunehmen. So war es dazu gekommen, daß ausgerechnet hier im Urwalde von Espirito Santo, dem Staate Brasiliens, der den Namen des Heiligen Geistes trägt, und in der Gemeinde San Antonio, die dem heiligen Antonius geweiht ist, ein Pfarrer sich behauptete, den die Kirche ausgestoßen hatte.
Man hatte mich gewarnt, ihn aufzusuchen: er sei besonders den Weißen gegenüber mißtrauisch, streitsüchtig, ja, gewalttätig. Einen Amtsbruder, den das Konsistorium einmal zu ihm entsandt hatte, habe er fast verprügelt und mit dem Stock in der Hand davongejagt. Denn er sei von gewaltigem Wuchs und verfüge selbst jetzt, im hohen Alter, über Bärenkräfte, daß niemand es mit ihm aufnehmen könne.
Nun, in einen Kampf mit diesem seltsamen Gottesstreiter wollte ich mich keinesfalls einlassen. Doch es reizte mich, nachdem ich schon verschiedene Pfarrer Im Urwalde besucht hatte, nun auch diesen kennenzulernen, der ganz auf sich allein angewiesen hier mitten In der Wildnis hauste, sich gegen alle Behörden behauptete und als ungekrönter König herrschte. Das war aber nicht so einfach. Denn um zu ihm zu gelangen, mußte ich über den Rio Doce, einen breiten Strom, in den eigentlichen Urwald, wo es keine Wege, nur schmale Saumpfade gibt, wo man nur auf dem Rücken einer geduldigen Mula Schritt für Schritt vordringen kann wenn es nicht regnet und wo man, überrascht von einem Guß, der hier mit tropischer Heftigkeit niederprasselt, rettungslos im Sumpf stecken bleibt.
Doch ich hatte Glück: das trockene Wetter hielt an. Ich hatte mir eine tüchtige Mula beschafft, meinen Reisesack, durch einen Riemen in zwei Hälften geteilt, hinten quer über den Sattel gehängt, und ein freundlicher Kolonist, der auch über den Rio Doce mußte, wollte mich ein Stück begleiten.
Eine Fähre trug uns über den Strom. Im gelben trüben Wasser zogen Baumstrünke mit hochragendem Wurzelwerk, verschlammte Schlinggewächse und Buschinseln langsam an uns vorüber. Am Oberlauf, In Minas Geraes, müsse es viel geregnet haben, meinte der Kolonist, aber hier unten werde das Wetter wohl noch halten. Wir stießen ans Ufer. Der Urwald nahm uns auf.
Zunächst konnte Ich nicht viel unterscheiden. Eine grau grüne Dämmerung, mehr grau als grün, umfing uns von allen Seiten. Selbst über unseren Köpfen, über dem schmalen Pfad, auf dem wir ritten, kam nur hier und da, und nur in kleinen, durchbrochenen Stücken, etwas vom Himmel zum Vorschein. Und auch dies Wenige war nicht blau, wie bei uns, sondern eher stahlgrau, als hätte der feuchte Urwald mit seinem Dunst sogar den Himmel verfärbt. Zu beiden Seiten zog sich eine undurchdringliche grau grüne Mauer von Dorngebüsch, aus der sich nach und nach, als das Auge sich an die Dämmerung gewöhnt hatte, einzelne Stämme, Zweige, Schlinggewächse und Wurzelknollen herauslösten und schemenhaft vorüberglitten.
Und kein Laut weit und breit, keine Vogelstimmen alles war wie tot und ausgestorben. Wie anders hatte ich mir den Urwald vorgestellt: voll lärmender Papageien, buntschillernder Kolibris und Schmetterlinge, blühender Orchideen! Statt dessen diese farblose, lautlose Dämmerung, diese unheimliche Stille. Es war mir, als ritten wir auf dem Grunde eines Meeres, zwischen wucherndem Tang: so fremd und rätselhaft erschien mir alles.
Dann gelangten wir auf eine gerodete Lichtung, eine sogenannte "Rossa", auf der zwischen schwarzangekohlten Baumstämmen fette, grüne Maisstauden in der Sonne glänzten. Hier trennten wir uns: mein Begleiter mußte nach rechts abbiegen, während ich in derselben Richtung weiterritt: "Immer auf dem gleichen Pfad", erklärte er mir beim Abschied, „bis zu einer Schlucht, und dann sehen Sie schon drüben, auf der Anhöhe, das Pfarrhaus!"
Und so ritt ich weiter. Meine Mula schien den Weg zu kennen: sicher wählte sie immer die richtige feste Stelle, und wenn es sumpfig wurde, setzte sie die kleinen Hufe immer so, daß sie nicht versank. Ich brauchte gar nicht auf den Weg zu achten. Jetzt, wo ich allein war, überkam mich noch stärker das Gefühl, in eine völlig fremde, rätselhafte Welt geraten zu sein. Alles erschien mir unwirklich, wie ein Traum: diese seltsame feucht warme Dämmerung, dieses unentwirrbare Durcheinander fremdartiger Gewächse, diese Totenstille.
(...)
- Textprobe aus der 60-seitigen Novelle. -
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen