Halbseiden und Ableitungen:
Ein bisschen Sprachlogik, auf
Grund von Teilungsregeln:
Halbseiden – ein schönes Wort:
suggestiv, sozusagen von nebenan, ja: anschauungs- und geruchsmächtig!
Man wird wohl nirgendwo etwas
(oder wen) finden, was die Entstehung und den Erstschreiber dieses Worts
festhält. Aber sympathisch ist mir jeder, der von „halbseiden“ mir Kunde
bringt. Ob auch von „drittelseiden“ – nu, das ist nicht nach meinem Geschmack.
Die Etymologie gibt die
Entstehung im 17. Jh. an, mit der Bedeutung „“anrüchig“, „unseriös“ (ugs.).
Vgl. Duden online, mit überraschenden Erweiterungen des Gebrauchs im
„halbseidenen“ Milieu:
Das DWDS-Korpus hilft weiter:
Die deutsche Literatursprache
hält den originalen Bestand, die Stoffqualität von “halbseiden“ fest, in
Hermann Stehrs „Der Heiligenhof“. München: [zuerst 1918]:
„Dann fragte Brindeisener mit
einer Kopfbewegung, und sie bejahte mit den Augen. Am Ständer hingen ihr
halbseidener Mantel, Hut und Schirm. Brindeisener ergriff alles, legte es sich
über den Arm, schritt in den Kreis, hob das Strumpfband auf, und als er sich
dem Mädchen näherte, streckte sie ihm schon das schöne Bein entgegen.“
„Halbseiden“ ist in diesem
Sprachregister kein häufiges Wort.
Aber hier die Qualität von
„halbseiden“, die über eine stoffliche hinweg leitet zu einer erotischen:
„Herr Schwertschwanz hörte
erschrocken und begeistert zu. Er war entzückt, als sie-kokett betonend, daß
sie leider nur wissenschaftliche Beziehungen zu Männern unterhalten könne - wie
unabsichtlich bis über das Knie ein gut geformtes, herbes Bein sehen ließ, das
in einem aufregend gemeinen, halbseidenen Strumpf befestigt war. Die Studentin
erwiderte merklich die Sympathie des Schauspielers.“ (Auctor: Alfred
Lichtenstein, in „Die Jungfrau“; nachgedruckt in: „Deutsche Literatur von
Lessing bis Kafka“. Berlin: Directmedia Publ. 2000 [Zuerst 1919].
Nachweis wie oben im DWDS.de.
Aus Pfeifers „Etymologischen
Wörterbuch“ wird zitiert:
„halbseiden Adj. ‘aus
einem Mischgewebe von Seide und Baumwolle oder Leinen bestehend’ (17. Jh.,
zusammengewachsen aus halb seyden, 15. Jh., halb sidin, 14. Jh.);
wegen der Minderwertigkeit und mangelnden Gediegenheit solchen Stoffes dient halbseiden
schon bei Goethe zur abschätzigen Kennzeichnung und wird seit Beginn des 20.
Jhs. übertragen für ‘fragwürdig, anrüchig, von zweifelhaftem Ruf’ gebraucht.
Das Goethe-Zitat sei hier nicht verschwiegen.
Es steht schon im DWB:
Deutsches
Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Leipzig 1971. Online-Version vom
24.01.2013.
„halbseiden, adj.: semisericum halb sidin Diefenb.
525c;
olosericum
gar
sidin, bombicinum halb sidin voc. o. 13, 82; halbseiden
wand, tela subserica Stieler 2406; halbseidene zeuge, deren aufzug
oder die kette entweder ganz von seide oder auch von seide und schafwolle
gemischt .. der einschlag aber von wolle, baumwolle oder auch leinengarn ist.
Jacobsson 2, 194b;
Und nun Goethe:
„handelsbübchen, die stets am sonntag drüben
sich zeigen,
und um die, halbseiden, im sommer das läppchen
herumhängt.“
(Goethe 40, 254)
Heuer nachgelesen als
Weiterentwicklung von „halbseiden“: „drittelseiden“:
Wer nun wie nach der Lektüre beim
„Wortisten“ in der taz „drittelseiden“ mit „viertelseiden“ vergleicht, erhält
für „viertelseiden“ ein wesentlich vielfältigeres Sprachbild als Auskunft über
eine gewollt stylische Minimierung oder Halbierung zu dem sprachgeläufigen,
dudengebuchten Original „halbseiden“:
Beispiele?
Hier geht es um ein Musical, na
bitte:
„Der Rock 'n' Roll Club
Stellingen hätte besser getanzt und weit besser ausgesehen dabei. Wie in diesem
bestenfalls viertelseidenen Gewerbe üblich, durfte der Rezensent nur unter der
Bedingung über die Voraufführung schreiben, daß er „entsprechend" darüber
schreibt. Abfällige Bemerkungen könnten den Erfolg des Musicals
beeinträchtigen. (Willi Winkler, damals in: Die Zeit. Vom 16.12.1994, Nr. 51)
„Viertelseiden“ - Der Wortist
hätte hierfür nur ein halbes Neuwort, aber ein aussagekräftiges präsentieren
können. - Ein kleiner Nachtrag, der zeigen kann, wie sprachmächtig Minierung
oder sprachLOGische Halbierung des "halbseiden" aus- und/oder
gefallen kann, statt einer LOBOmäßig konstruierten, einer zwanghaften.
Sprachgewalt übt nicht der
volkstümliche Sprachmund. Für sprachliche Überzeugung und Überlieferung des
Sprachdokuments hilft nur die ordentliche Teilungsregel:
Halbseiden. Viertelseiden. Achtelseiden. Sechzehntelseiden ... (Unser Jugend wird es uns danken, wenn es nachzulesen sich bequemt.)
"Es ist weit eher möglich, sich in den Zustand eines Gehirns zu versetzen, das im entschiedendsten Irrtum befangen ist, als eines, das Halbwahrheiten sich vorspiegelt." (Maximen und Reflexionen 74 . Nach den Handschriften des Goethe- und Schiller Archivs, Verlag der Goethe-Gesellschaft, Weimar, 1907)
Halbseiden. Viertelseiden. Achtelseiden. Sechzehntelseiden ... (Unser Jugend wird es uns danken, wenn es nachzulesen sich bequemt.)
"Es ist weit eher möglich, sich in den Zustand eines Gehirns zu versetzen, das im entschiedendsten Irrtum befangen ist, als eines, das Halbwahrheiten sich vorspiegelt." (Maximen und Reflexionen 74 . Nach den Handschriften des Goethe- und Schiller Archivs, Verlag der Goethe-Gesellschaft, Weimar, 1907)
- Korrigierte und eeergänzte Niederschrift
nach meinem beim taz-Wortisten angezeigten "Bei- und Nachtrags" unter dem Autorenamen
„Antoninus“. -
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