https://de.wikipedia.org/wiki/Schwalbenschwanz_(Schmetterling)
L i t e r a t u r und T h eol o g i e
Folge VIII
Von Schmetterlingen
Der Schönheit und der Seele ein Vor- und A b b i l d
Die Deutung der Besonderheit der Naturerscheinung des Schmetterlings zieht sich durch alle Kulturen und Überlieferungen, durch Mythen und Märchen.
Diesen offenbar gelassen und heiter Segelnden, die sich der Schwerkraft zu entziehen scheinen, werden die schönsten Gedanken als Symbole beigegeben, von den Griechen (bei denen sie „Psyche" gleich Seele genannt wurden) bis zu den heutigen, ökologisch denkenden Naturbegeisterten: für Unverletzlichkeit, für die Schönheit an sich, ja für die Seele des Menschen, für das Göttliche, für die von der Sprache her gesteuerte Transzendenz allgemein.
Im Schmetterling, jedenfalls in seiner Vollgestalt, der sog. imago, können wir eine der Grundlagen jeglichen feiernden Benennens und lyrischen Rühmens sehen: der Natur und/oder Gottes, wegen ihrer natürlichen Schönheit und der schönen Hoffnung oder des fast kreatürlichen Zwanges (vgl. Kellers Gedicht), sie anthropomorph zu deisieren, sie als Signum Gottes, als Boten zu betrachten.
Sind sie doch die schönsten, weil sinnfälligsten Geschöpfe von allen Naturerscheinungen, unter Gottes weitem Himmel. (Die fehlende Sprache als Lautverständigkeit ersetzen sie durch Tanz und Düfte.)
Dichter und Dichterinnen haben in ihrem obligat breiten, unerschöpflichen Natur-Angebot an natürlicher Metaphorik wie Blumen, Tiere, spezielle Vögel und Pflanzen auch überraschend vielfach Schmetterlinge besungen.
Klassische Poeten wie Goethe, Mörike, Keller, Fontane haben häufig den Schmetterling als fortwährend staunenswertes Lebensmoment vermittelt, neben den modernen Naturlyrikern wie Loerke, Lehmann, Schnack, die sich mit dem Problem des schmetterlingshaft Schönen beschäftigt haben: dem Staunenswerten in uns, um uns; und/aber: durch wen vermittelt, in wessen Auftrag?
Haben Sie schon einmal eine Predigt über diese Sonnenlichtgaukler gehört, diese Farben- und Formenkünstler, diese materiell-stofflichen Wunder?
Kennen Sie ein Kirchenlied, das sich der Metamorphose des Schmetterlings von der Raupe bis zur Fluggestalt bedient, um ein gehöriges Staunen und ein natürliches Gebet zum Schöpfer-Göttlichen zu evozieren?
Als Kind ist aber sicherlich schon jeder von uns diesen verführenden Luftblumengebilden freudig nachgelaufen.
Warum sind diese Insekten aber in der christlichen lkoniographie nicht präsent?
Selten einmal sieht oder hört man von einem figurativen Grabmal für ein Kind, das statt des obligaten Engels einen Schmetterling beherbergt.
Warum sind christliche Gebete und Lieder so wenig naturnah, fast unnatürlich, so entstofflicht, so blutlos vergeistigt - so schöpfungsleer, dass man in ihnen schon erst gar keine Natürlichkeiten, keine Schöpfungswunder mehr erwartet, wenn man ihnen nachbetet?
Warum gibt es innerhalb der Kirchen kaum eine echte, ökologische Initiative? Warum ist die christliche Lehre so sinnenleer, ja häufig: so sinnenlos?
Warum wird Schöpfung nur als Handlungsraum für das„Wachsen und Vermehren" nach dem Genesis-Gebot ausgelegt und nicht so sehr für das Verehren und Bewahren?
Das Gleichnis des Unendlichen und des Einen (um es mit den Worten aus Hesses Gedicht auszudrücken) wer könnte an dieser Art kostenlosem Sinnenspiel und Naturerkenntnis vorbeigehen, wenn er auch nur einige Minuten über den Lebensweg und den sinnenreich schönen Flug von Schmetterlingen nachsinnt und noch zu staunen versteht?
Eine Übungsaufgabe für die Spätsommerzeit? In südlichen Ländern können wir noch wesentlich mehr und seltenere Exemplare der Gattung der Lepidoptera schauen. Nutzen Sie den Urlaub und bald schon die Erinnerungszeit daran! Als Erscheinungen des Himmels werden sie uns geschenkt - von der Natur, von Gott - von beiden in einem?
Ausgesucht habe ich neben eigenartig spezifischen Schmetterlingsreflexionen bei Mörike und Keller ein seltsam jenseitig anrührendes Gedicht von Nelly Sachs und einen Hesse-Text, in dem das Wort für diese vierflügeligen Insekten nicht auftaucht, der aber geradezu lyrisch aufblüht, wenn man die Symbolik der beschriebenen „Spiele" auch in der Gestalt des Schmetterlings belebt sieht.
Auch wenn das Stichwort Gott nicht in jedem Text auftaucht, ist es der Schönheit der Schmetterlinge und der sie fassenden Sprache einverwoben.
Eine Lesetipp (nicht nur für die Ferienzeit): Otto Heuschele (Hrsg.): Blumen und Schmetterlinge. Deutsche Gedichte. München 1996: dtv 24062. [Eine Anthologie mit reichem, kulturhistorisch orientierten Nachwort von O. H.]
Text 1
Eduard Mörike: Zitronenfalter im April
Grausame Frühlingssonne,
Du weckst mich vor der Zeit,
Dem nur in Maienwonne
Die zarte Kost gedeiht!
Ist nicht ein liebes Mädchen hier,
Das auf der Rosenlippe mir
Ein Tröpfchen Honig beut,
So muß ich jämmerlich vergehn
Und wird der Mai mich nimmer sehn
In meinem gelben Kleid.
(Aus: E M.: Sämtliche Werke. Hrsg. v. H. Göpfert. München 1964. S. 205)
Zum Text und zum Dichter: Mörikes (1804-1875) Gedicht entstand im Jahre 1846; es zeigt, dass der damals schon 42jährige Dichter in seinem Lebenshöhepunkt sehr genau die Erscheinungen der Natur beobachtete und ihren lebendigen, artspezfischen Sinn zu realisieren sachte. Er lässt nicht nur den Schmetterling sprechen, um einen ökologischen Naturzusammenhang auszudrücken, sondern auch um im psychologischen Bild des „Zu-früh-Gekommenen" seine eigene Funktionsrolle als Poet auszudrücken und seine Rolle als liebender Mann, der keine partnerschaftlich adäquate oder gar geniale Frau und Geliebte fand.
*
Ein Urgedicht aller klassisch und romantischen Signale des Schönen und Göttlichen stammt schon aus Herders mitteleuropäischer Volksliedsammlung „Stimmen der Völker in Liedern“.
Johann Gottfried Herder: Das Lied vom Schmetterlinge
Liebes, leichtes, luftges Ding,
Schmetterling,
das da über Blumen schwebet,
nur von Tau und Blüten lebet,
Blüte selbst, ein fliegend Blatt,
das mit welchem Rosenfinger!
wer bepurpurt hat?
Wars ein Sylphe, der dein Kleid
so bestreut,
dich aus Morgenduft gewebet,
nur auf Tage dich belebet;
Seelchen und ein kleines Herz
pocht da unter meinem Finger,
fühlet Todesschmerz.
Fleuch dahin, o Seelchen, sei
froh und frei,
mir ein Bild, was ich sein werden,
wenn die Raupe dieser Erde
auch wie du ein Zephir ist
und in Duft und Tau und Honig
jede Blüte küßt.
Worterklärung: Sylphe: Luftgeist
(Aus: Herder: Stimmen der Völker in Liedern. .1778/79-Ausgabe: Hrsg. v. Christel Käschel. S. 307)
Text 2
Gottfried Keller: Nachtfalter
Ermattet von des Tages Not und Pein,
Die nur auf Wiedersehen von mir schied,
Saß ich und schrieb bei einer Kerze Schein,
Und schrieb ein wild und gottverleugnend Lied.
Doch draußen lag die kalte Sommernacht,
Mild grüßt mein armes Licht der Mondenstrahl,
Und aller Sterne volle goldne Pracht
Schaut hoch herab auf mich vorn blauen Saal.
Am offnen Fenster blühen dunkle Nelken
Vielleicht die letzte Nacht vor ihrem Welken.
Und wie ich schreib' an meinem Hüllenpsalter,
Die süße Nacht im Zorne von mir weisend,
Da schwebt herein zu mir ein grauer Falter,
Mit blinder Hast der Kerze Docht umkreisend;
Wohl wie sein Schicksal flackerte das Licht,
Dann züngelt' seine Flamme still empor
Und zog wie mit magnetischem Gewicht
Den leichten Vogel in sein Todestor.
Ich schaute lang und in beklommner Ruh,
Mit wunderlich neugierigen Gedanken
Des Falters unheilvollem Treiben zu.
Doch als zu nah der Flamme schon fast sanken
Die Flügel, faßt' ich ihn mit schneller Hand,
Zu seiner Rettung innerlich gezwungen,
Und trug in weg. Hinaus ins dunkle Land
Hat er auf raschem Fittig sich geschwungen
Ich aber hemmte meines Liedes Lauf
Und hob den Anfang bis auf weitres auf.
Aus: Gottfried Kellers Werke. Band VIII. Gedichte. Zürich: Diogenes Verlag (detebe 20528). S. 12.
Gottfried Keller (1819 1890) hat diese kleine ketzerische Ballade 1873 in einem Gedichtband an dritter Stelle eines „Buches der Natur" veröffentlicht. Informieren Sie sich Über Kellers "Höllenpsalter" und zu seinem Hintergrundverständnis des von ihm nachvollzogenen "positiven Atheismus" in folgendem Text von Kellers Zeitgenossen und Freund Ludwig Feuerbach: „Nun ist aber Gott nichts Anderes, als das abgezogene, phantastische, durch die Einbildungskraft verselbständigte Wesen des Menschen und der Natur: der Theismus opfert daher das wirkliche Leben und Wesen der Dinge und Menschen einem bloßen Gedanken- und Phantasiewesen auf.' Der Atheismus dagegen opfert das Gedanken- und Phantasiewesen dem wirklichen Leben und Wesen auf. Der Atheismus ist daher positiv, bejahend; er gibt der Natur und der Menschheit die Bedeutung, die Würde wieder, die ihr der Theismus genommen; er belebt die Natur und Menschheit, welchen der Theismus die besten Kräfte ausgesogen. Gott ist eifersüchtig auf die Natur, auf den Menschen, wie wir früher sahen, er allein will verehrt, geliebt, bedient sein,- er allein will Etwas, alles Andere soll Nichts sein, d. h. der Theismus ist neidisch auf den Menschen und die Welt; er gönnt ihnen nichts Gutes. Neid, Mißgunst, Eifersucht sind zerstörende, verneinende Leidenschaften. Der Atheismus aber ist liberal, freigiebig, freisinnig; er gönnt jedem Wesen seinen Willen und sein Talent; er erfreut sich von Herzen an der Schönheit: die Freude, die Liebe zerstören nicht, sondern beleben, bejahen. "
(L. F. Sämtliche Werke. Bd. 8. Stuttgart 1960. S. 357)
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Text 3
Hermann Hesse: Bekenntnis
Holder Schein, an deine Spiele
Sieh mich willig hingegeben;
Andre haben Zwecke, Ziele,
Mir genügt es schon, zu leben.
Gleichnis will mir alles scheinen,
Was mir je die Sinne rührte,
Des Unendlichen und Einen,
Das ich stets lebendig spürte.
Solche Bilderschrift zu lesen,
Wird mir stets das Leben lohnen,
Denn das Ewige, das Wesen,
Weiß ich in mir selber wohnen.
(Aus: K H.: Gedichte. Gesammelte Werke. Bd. 1. Frankfurt/M. 1970, Suhrkamp Verlag. S. 63)
Zum Autor:
Hermann Hesse (1877 1962) ist wohl eine singuläre, sensible Erscheinung in der deutschen Literatur. Schon im 1. Weltkrieg trat er als Pazifist hervor und verfasste später symbolische Dichtungen, vom „Steppenwolf" z. B. bis zu naturnahen, heiter-,fromm impressionistischen Gedichten, die besonders Jugendliche in der Zeit ihrer Selbstfindung gerne lesen - und zu erleben versuchen. Der Text entstammt dem Gedichtband „Stufen", der Gedichte bis 1940 versammelte.
Text 4
Nelly Sachs: Schmetterling
Welch schönes Jenseits
ist in deinen Staub gemalt.
Durch den Flammenkern der Erde,
durch ihre steinerne Schale wurdest du gereicht,
Abschiedsgewebe in der Vergänglichkeiten Maß.
Schmetterling
aller Wesen gute Nacht!
Die Gewichte von Leben und Tod
senken sich mit deinen Flügeln
auf die Rose nieder
die mit dem heimwärts reifenden Licht
welkt.
Welch schönes Jenseits
ist in deinen Staub gemalt.
Welch Königszeichen
im Geheimnis der Luft.
(Aus: N. S.: Gedichte. Frankfurt/M. 1977: Suhrkamp Verlag)
Zur Autorin:
Nelly Sachs (/891 1970) gehört zu den deutschsprachigen Poetinnen jüdischen Glaubens, die den Herrschaftswahn der Faschisten überlebten und Gedichte von seltsam-schöner Sinnlichkeit allgemein gültiger Bildlichkeit schrieben. Dieses ihr Zeugnis vom Schmetterling dokumentiert ein Naturverständnis der poetischen Schönheit nach dem Holocaust, die nicht zurückgeführt wird auf Gott, weicher kirchlichen Provenienz auch. Das anfangs erwähnte, mehr ersehnte als erlebte „Jenseits" bleibt als das „Geheimnis" der letzten Zeile ausgedrückt: ein lebendig natürliches, virtuos sinnengläubiges Zeugnis der existenziellen Selbstständigkeit im Bewußtsein der wahrgenommen Schönheit - ein Zugang zum Göttlichen als dem Über-Menschlichen, dem erlebbar und mitteilbar Schönen.
Gertrud von den Brincken: Schmetterlinge
Ich bat , um meine Hoffnungskraft zu stärken,
um eines Zeichens Strahl, von Gott gesandt,
und siehe, ohne mein Vorherbemerken,
flog mir ein Schmetterling auf meine Hand.
Du kleiner Falter, tausend Dank ich sage
dir, Gotteszeichen zart und wunderbar,
und lockte dich die Blume, die ich trage,
dank’ ich auch ihr, daß sie so leuchtend war.
(Aus: G.v.d.B.: Wer nicht das Dunkel kennt. Gedichte. Riga 1911. S. 19)
Gertrud von den Brincken: Nachtfalter
Ein Falter, mit sehnendem Herzen
nach Lichtglanz, umflog meine Kerzen,
bewundernd den leuchtenden Schein.
Befangen in träumender, scheuer
Betrachtung umkreist er das Feuer,
... und flog in die Flammen hinein. -
Ich sah, wie die zitternden Schwingen
zu Asche im Feuer vergingen,
und frug mich: was Gott wohl gedacht,
als ER dieses ruhlose Streben
nach Licht und nach Helle gegeben
gerade den Faltern der Nacht...
(Aus: G. v. d. B.: Wer nicht das Dunkel kennt. Gedichte. Riga 1911. S. 35)
>> Zur Dichterin:
Zur baltischen Dichterin vgl. hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gertrud_von_den_Brincken
*
Wordsworth: To A Butterfly
I've watched you now a full half-hour,
Selfpoised upon that yellow flower;
And, little Butterfly! indeed
I know not if you sleep oder feed.
How motionless! - not frozen seas
More motionless! and then
What joy awaits you, when the breeze
Hath found you out among the trees,
And calls you forth again!
This plot of orchard-ground is ours;
My trees they are, my sisters's flowers;
Here rest your wings when they are weary;
Here lodge as in a sanctuary!
Come often to us, fear no wrong;
Sit near us on the bough!
We'll talk of sunshine and of song,
And summer days, when we were young;
Sweet childish days, that were as long
days are now.
> > A r b e i t s a u f t r a g zu allen Texten
* Erarbeiten Sie die Beschreibungen und die Bedeutungen der Schmetterlinge als Repräsentanten in den unterschiedlichen Beispielen!
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